Buffl

BGE

LH
by Licia Huber H.

Urteil 4A_635/2020 vom 5. Mai 2020

  • OR 55

  • Kausalität


1.  

Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer Vorinstanz im Sinne von Art. 75 BGG. Weiter erreicht der Streitwert den nach Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG geltenden Mindestbetrag von Fr. 30'000.--. Die Beschwerde in Zivilsachen ist damit grundsätzlich zulässig. 

 

2.  

 

2.1. Zur Diskussion steht, ob die Beschwerdeführerin als Herstellerin des Aufzugs für den immateriellen Schaden der Beschwerdegegnerin haftet und demzufolge gestützt auf Art. 47 OR eine Genugtuung zu leisten hat. Da der Lift vor Inkrafttreten des Produktehaftpflichtgesetzes (PrHG; SR 221.112.944) - mithin vor dem 1. Januar 1994 - in Verkehr gebracht wurde, findet dieses Gesetz im vorliegenden Verfahren keine (unmittelbare) Anwendung (vgl. Art. 13 PrHG).  

 

2.2. Gemäss Art. 55 Abs. 1 OR haftet der Geschäftsherr für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.  

Diese Bestimmung bildete vor Inkrafttreten des Produktehaftpflichtgesetzes die Grundlage für die Haftung des Produzenten für fehlerhafte Produkte, namentlich in Folge von Konstruktions- und Fabrikationsfehlern (vgl. Urteil 4C.307/2005 vom 25. Januar 2006 E. 2 f.; grundlegend BGE 110 II 456 E. 2-3; 64 II 254 E. II.1/a und c; siehe ferner zur [noch nicht vollständig geklärten] Frage, wie sich das PrHG zu Art. 55 OR verhält, etwa ROLAND BREHM, Berner Kommentar, Obligationenrecht, Die Entstehung durch unerlaubte Handlungen, Art. 41-61 OR, 4. Aufl. 2013, N. 80a f. zu Art. 55 OR; FRANZ WERRO, in: Commentaire romand, Code des obligations I, 2. Aufl. 2012, N. 38 f. zu Art. 55 OR). 

 

2.3.  

 

2.3.1. Unbestritten ist, dass - im haftpflichtrechtlichen Sinne - ein (Personen-) Schaden beziehungsweise eine seelische Unbill vorliegt. Kontrovers ist hingegen, ob dieser (immaterielle) Schaden als durch die Beschwerdeführerin (beziehungsweise ihre Hilfspersonen) verursacht gilt.  

 

2.3.2. Das Obergericht erwog, die Beschwerdegegnerin sei (als Geschädigte) für den "Hergang des Schadenereignisses" objektiv behauptungs- und beweisbelastet. In Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Produktehaftpflichtgesetz habe sie aber nicht die Ursache des Produktefehlers zu beweisen, sondern lediglich jene Umstände, die zum Unfall geführt hätten, und "dass das Produkt nicht die Sicherheit aufwies, die der Durchschnittskonsument unter Berücksichtigung der Umstände berechtigterweise erwarten durfte". Es gelte das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.  

Im vorliegenden Fall - so führte die Vorinstanz weiter aus - habe die "genaue Schadensursache" allerdings nicht "eruiert" werden können. Die technischen Expertisen hätten einzig gezeigt, dass die Konstruktion des Lifts "allfällige Fehler [...] bei den Sicherheitssystemen von der Steuerung nicht erkennen und den Aufzug damit - trotz allfälligen Vorliegens eines Fehlers - weiterhin funktionieren" gelassen habe. Die Beschwerdegegnerin habe aber immerhin darlegen können, dass der Lift der Beschwerdeführerin "bei der Entstehung des Schadens eine Rolle gespielt" habe. Dies stelle ein "bedeutendes Indiz für das Bestehen eines Fehlers am Produkt" der Beschwerdeführerin dar. Die Ursache des Fehlers sei durch die Beschwerdegegnerin "nicht zu beweisen" gewesen. Gemäss Art. 55 OR werde das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung vermutet. 

In der Folge prüfte das Obergericht, ob der Beschwerdeführerin der Entlastungsbeweis nach Art. 55 Abs. 1 OR gelungen sei. Es sei davon auszugehen, dass sowohl die im Aufzug eingebaute Lichtschranke als auch die Schliesskraftbegrenzung als Schutzmechanismen versagt hätten. Beide Mechanismen stellten freiwillige Sicherheitsvorkehren dar, die über die Minimalvorschriften der einschlägigen SIA-Norm hinausgegangen seien. Indes: Wer über die SIA-Norm hinaus Sicherheitsstandards verbaue, die von den Benutzern erkannt und erwartet würden, habe zu gewährleisten, dass diese funktionierten. Die Beschwerdeführerin habe mit anderen Worten damit rechnen müssen, dass die Liftbenützer einen Körperteil zwischen die sich schliessende Lifttüre hielten, um den Schliessvorgang der Kabinentüre zu beenden. Sie (die Beschwerdeführerin) hätte folglich mit einer entsprechenden Konstruktion des Aufzugs verhindern müssen, dass bei einem solchen Verhalten ein Schaden entstehe; konkret mit einem "zweikanalig[en], überwachten Sicherheitskreis der Kategorie 3 gemäss EN 954-1" statt einer "einkanalig[en], nicht überwachte[n] Steuerung". Somit sei der Beschwerdeführerin der (Entlastungs-) Beweis nicht gelungen, dass sie alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet habe, um einen Schaden in der Art des eingetretenen zu verhindern. 

 

2.3.3. Die Beschwerdeführerin moniert unter anderem, dass die Vorinstanz Art. 55 OR verletzt, die Beweislast in Missachtung von Art. 8 ZGB umgekehrt und gegen die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO) verstossen habe.  

 

3.  

 

3.1. Art. 55 OR setzt für die Haftung des Geschäftsherrn einen Schaden voraus, der durch dessen Hilfspersonen verursacht wurde (vgl. Urteile 4A_616/2019 vom 17. April 2020 E. 4.1.1; 4A_406/2019 vom 20. Februar 2020 E. 2.3.2; 4A_321/2011 vom 3. Oktober 2011 E. 2), im Bereich der Produzentenhaftung mithin einen Fehler am Produkt, auf den der Schaden kausal zurückzuführen ist. Diesen Grundsatz hat das Bundesgericht seiner Rechtsprechung zur aus Art. 55 OR abgeleiteten Produzentenhaftung stets zugrunde gelegt (siehe BGE 90 II 86 ["Friteusen-Fall"] E. 3b S. 90; 64 II 254 ["Steiggurt-Fall"] E. II.1/a und II.1/b; Urteil C.564/84 vom 14. Mai 1985 E. 3a und 3c, publiziert in: JdT 1986 I 571). Dass es sich bei der Geschäftsherrenhaftung um eine Kausalhaftung handelt, wie die Beschwerdegegnerin verschiedentlich hervorhebt, hat damit nichts zu tun.  

Für die den Schaden verursachende Fehlerhaftigkeit trägt entsprechend der allgemeinen Regel in Art. 8 ZGB die Beschwerdegegnerin als Geschädigte die Behauptungs- und Beweislast (so auch im Bereich des PrHG, vgl. BGE 137 III 226 E. 3.2; 133 III 81 E. 3.3). 

 

3.2. (Erst) wenn erstellt ist, dass ein durch die Fehlerhaftigkeit des Produkts verursachter Schaden eingetreten ist, stellt sich die Frage, ob dem Produzenten der Entlastungsbeweis gelungen ist. Mit diesem hat sich das Bundesgericht in BGE 110 II 456 ("Schachtrahmen-Fall") auseinandergesetzt. Es hat namentlich festgehalten, dass die vom Geschäftsherrn gemäss Art. 55 Abs. 1 OR verlangte Sorgfalt nötigenfalls auch die Endkontrolle seiner Erzeugnisse umfasse, wenn damit eine Schädigung Dritter verhindert werden könne (E. 3a). Sei eine Endkontrolle der Produkte nicht möglich oder unzumutbar, müsse der Geschäftsherr eine Konstruktionsart wählen, die Fabrikationsfehler und die sich daraus ergebende Schädigungsgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliesse (E. 3b).  

Der Entlastungsbeweis ist vom Geschäftsherrn beziehungsweise vom Produzenten zu erbringen (vgl. Art. 55 Abs. 1 OR). 

 

4.  

 

4.1. Die Beschwerdeführerin verweist auf die vorinstanzliche Feststellung, wonach "die genaue Schadensursache" nicht habe "eruiert" werden können und die "Ursache für den Fehler" durch die Beschwerdegegnerin "nicht zu beweisen" gewesen sei. Es sei "nicht erstellt, welches Konstrukt bzw. welche Komponente den Schaden verursacht" habe. Der Beschwerdegegnerin sei es folglich nicht gelungen, trotz der ihr obliegenden Beweislast einen schadensursächlichen (Konstruktions-) Fehler nachzuweisen.  

Dem hält die Beschwerdegegnerin entgegen, dass sie nicht "den konkreten (technischen) Fehler des Lifts" nachweisen müsse. Es genüge der Beweis, dass sie "einen Unfall erlitten" habe und "dabei das fehlerhafte Produkt für den Schaden verantwortlich" sei. 

 

4.2. Das Bundesgericht hat in Bezug auf Art. 4 PrHG in BGE 133 III 81 ("Kaffeekannen-Fall") festgehalten, dass die geschädigte Person nicht die Ursache des Mangels zu beweisen habe. Es genüge, wenn sie aufzeige, dass das Produkt die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Konsumenten nicht erfüllt habe (E. 4.1). Ob diese Rechtsprechung auf Art. 55 OR zu übertragen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls setzt die Fehlerhaftigkeit eines Produkts (auch) im Bereich der Geschäftsherrenhaftung voraus, dass das Produkt einen gefährlichen Zustand schafft und eine sicherere Konstruktion im Zeitpunkt der Inverkehrbringung möglich und zumutbar war. Dies folgt aus dem Gefahrensatz, welcher die Grundlage der gestützt auf Art. 55 OR entwickelten Produzentenhaftung darstellt (BGE 110 II 456 E. 3a S. 464; 64 II 254 E. II.1a S. 260).  

 

4.3. In diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall vom "Schachtrahmen-Urteil" (BGE 110 II 456) :  

Dort galt die Ursache des Schadens als erstellt (eine "Schlaufe war während des Härtevorgangs versehntlich berührt und verschoben worden, und danach war der Beton nicht noch einmal gestampft oder vibriert worden" [E. 2b S. 461]). Ebenso war ausgewiesen, dass eine "sicherere Konstruktion" möglich gewesen wäre (E. 3b S. 465). Es stellte sich daher einzig die Frage, ob sich der Geschäftsherr gestützt auf die in Art. 55 Abs. 1 OR vorgesehene Befreiungsmöglichkeit exkulpieren konnte. 

Hier hat das Obergericht festgehalten, dass die genaue Schadensursache nicht habe ausfindig gemacht werden können. In Bezug auf die Frage, ob eine sicherere Konstruktion möglich und zumutbar gewesen wäre, führte es - unter dem Titel des Entlastungsbeweises - aus, dass die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht habe, dass die Umsetzung eines zweikanaligen, überwachten Sicherheitskreises der Kategorie 3 gemäss EN 954-1 (was den Unfall verhindert hätte) für sie im Jahr 1993 nicht möglich oder aber unzumutbar gewesen wäre. Sie behaupte auch nicht, dass "der Konstruktionsfehler nach damaligem Stand der Technik nicht erkennbar gewesen" sei. 

Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Verhandlungsmaxime, weil die Beschwerdegegnerin nicht behauptet habe, dass ein zweikanaliger, überwachter Sicherheitskreis der Kategorie 3 gemäss EN 954-1 sicherer gewesen wäre. Die Beschwerdegegnerin antwortet dazu lediglich, es handle sich hierbei um ein Element des Befreiungsbeweises der Geschäftsherrin, wofür diese (also die Beschwerdeführerin) beweisbelastet sei. Dies trifft nicht zu. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Anwendungsbereich von Art. 55 OR überhaupt eröffnet ist, weil ein fehlerhaftes Produkt einen Schaden verursacht beziehungsweise ein Produkt zu einem gefährlichen Zustand geführt hat, obwohl (im Zeitpunkt der Inverkehrbringung) eine sicherere Konstruktion möglich und zumutbar gewesen war. Dafür ist nach dem Gesagten (Erwägungen 3.1 und 4.2) die Beschwerdegegnerin als Geschädigte behauptungs- und beweisbelastet. Dass sie Derartiges prozesskonform in das kantonale Verfahren eingeführt hätte, tut sie im bundesgerichtlichen Verfahren nicht dar, schon gar nicht hinreichend (vgl. BGE 140 III 16 E. 1.3.1). 

 

4.4. Aus dem Umstand allein, dass der Lift "bei der Entstehung des Schadens eine Rolle" gespielt hat (so die Feststellung des Obergerichts), lässt sich nicht folgern, dass der Schaden (kausal) durch eine Fehlerhaftigkeit des Produkts (im eben dargestellten Sinne: Erwägung 4.2) verursacht worden ist. Auch der Umstand, dass im Nachhinein im Allgemeinen leicht feststellbar ist, durch welche Massnahmen in der Konstruktion eines Produkts ein Schaden hätte verhindert werden können, begründet als solcher keine Haftung (vgl. BGE 110 II 456 E. 3a S. 463; Urteil 4C.307/2005 vom 25. Januar 2006 E. 3.1 und 3.2). Die Vorinstanz scheint im Übrigen ganz allgemein aus dem Schadenseintritt zu schliessen, dass der Aufzug wohl fehleranfällig gewesen sein müsse. Dieser Schluss hält vor Bundesrecht nicht stand (vgl. auch BGE 133 III 81 E. 3.3 S. 86: "En soi, le dommage ne prouve pas le défaut du produit [...]".). Damit ist aber der Beweis eines kausalen Produktfehlers gescheitert und fehlt es an einer haftungsbegründenden Voraussetzung von Art. 55 Abs. 1 OR.  

 

4.5. Sind nicht alle Haftungsvoraussetzungen gegeben (beziehungsweise von der hierfür beweisbelasteten Partei behauptet und bewiesen), besteht kein Raum für eine Gutheissung der Klage. Darin ist sich auch die Lehre einig, welche die bundesgerichtliche Praxis zur Produzentenhaftung teils unterstützend, teils missbilligend mitverfolgt. Es erübrigt sich im vorliegenden Verfahren, auf die doktrinellen Streitpunkte im Einzelnen einzugehen. Ebenso kann offen bleiben, wie es sich mit der weiteren in der Beschwerde geübten Kritik verhält, so etwa derjenigen, die Vorinstanz habe den Entlastungsbeweis zu Unrecht als nicht erbracht beurteilt.  

 

5.  

Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, und die Klage der Beschwerdegegnerin ist in Anwendung von Art. 107 Abs. 2 BGG abzuweisen. 

Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG). 

Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 

BGE 110 II 456

Schachtrahmenfall

Regeste

Art. 55 OR. Haftung des Geschäftsherrn für Schäden aus Produktemängeln.

1. An den Befreiungsbeweis des Geschäftsherrn sind auch dann erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn die Arbeit der Hilfspersonen als solche nicht gefährlich ist, Fehler bei der Herstellung des Produktes aber zu einer Gefahr für Personen, die es bestimmungsgemäss verwenden, führen können (E. 2b).

2. Die vom Geschäftsherrn gemäss Art. 55 Abs. 1 OR verlangte Sorgfalt beschränkt sich nicht auf richtige Auswahl, Überwachung und Instruktion der Hilfspersonen, sondern der Geschäftsherr hat darüber hinaus für eine zweckmässige Arbeitsorganisation und nötigenfalls für die Endkontrolle seiner Erzeugnisse zu sorgen, wenn damit eine Schädigung Dritter verhindert werden kann (E. 3a).

3. Ist eine Endkontrolle der Produkte nicht möglich oder unzumutbar, muss der Geschäftsherr eine Konstruktionsart wählen, die Fabrikationsfehler und die sich daraus ergebende Schädigungsgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliesst (E. 3b).


1. Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind, soweit sie im folgenden wiedergegeben werden, von keiner Partei bestritten. Danach stellt die Beklagte verschiedene Arten von Schachtrahmen seit mehr als zwanzig Jahren in Stückzahlen von heute jährlich insgesamt 200 bis 250 her. Für den Herstellungsvorgang bestehen keine schriftlichen Anweisungen. Fabriziert werden die Rahmen von zwei langjährigen und bewährten Arbeitern. Beide gelten als zuverlässig und werden nicht speziell überwacht. Das Vorgehen bei der Rahmenherstellung ist einfach. Zunächst wird in die entsprechende Form eine erste Schicht Beton eingefüllt und eine Lage Armierungseisen eingelegt. Dann werden die vorfabrizierten Aufhängeschlaufen eingesetzt, die aus acht Millimeter dickem Armierungsstahl von ca. 45 cm Länge bestehen. Die Schlaufen weisen die Form einer unten offenen Acht auf; der obere runde Teil dient als Öse, die mit den zwei unteren Enden im Beton verankert wird. Nach dem Einsetzen der Schlaufen wird eine weitere Schicht Beton eingeschaufelt, die zweite Lage Armierung eingelegt und nochmals Beton eingefüllt, der jedesmal gestampft oder vibriert wird. Dann wird mit einer Schablone eine runde Vertiefung in den Rahmen gepresst, welche für das Einsetzen des eisernen Gussdeckels bestimmt ist. Schliesslich wird der Rahmen nach Erhärtung des Betons, d.h. nach ein bis zwei Tagen, mit einem Hubstapler ins Freie gebracht und auf dem Fabrikgrundstück gelagert.

Seit 1979 oder 1980 wird der unterste Teil der Schlaufenenden in Form von Widerhaken nach oben gebogen. Zudem werden heute bei exzentrischen Schachtrahmen anstelle von zwei Aufhängeschlaufen deren drei eingesetzt. Der Rahmen, welchen die BeklagteBGE 110 II 456 S. 459der Firma Gebrüder F. & B. am 1. September 1980 geliefert hatte, war mit zwei Schlaufen ohne Widerhaken versehen. Wann genau und von welchem Arbeiter er hergestellt wurde, ist nicht bekannt.

Dieser Rahmen war rund ein Monat vor dem Unfall von Arbeitern der Firma Gebrüder F. & B. an der Allmendstrasse auf das Schachtrohr aufgesetzt worden. Auch damals hatte ein Bagger den Rahmen an einem durch die Schlaufen gezogenen Seil hochgehoben und auf dem Schachtrohr abgesetzt. Am Tag des Unfalls wurde der Rahmen wieder abgenommen, weil das Schachtrohr verkürzt werden sollte. Für das Durchziehen des Drahtseiles war es notwendig, die Schlaufen etwas hochzubiegen. Der Rahmen wurde dann neben dem Schachtrohr abgesetzt. Nach der Verkürzung des Rohres wurde der Rahmen vom Bagger hochgezogen und über dem Schacht in die richtige Lage gebracht. Dabei stand der Kläger neben dem Rahmen, um beim Richten zu helfen, und während des Absenkens ereignete sich der Unfall.

Auch die Feststellungen des Appellationshofes über die Ursache des Ausreissens der Aufhängeschlaufe sind von beiden Parteien unbestritten. Die Vorinstanz stellte dazu auf ein Gutachten vom 17. Mai 1982, die Aussagen des Gutachters und den Augenschein bei der Beklagten ab. Nach dem Gutachten lagen drei Fabrikationsfehler vor. Erstens war die ausgerissene Schlaufe um ca. 35o verdreht eingesetzt worden, wodurch ein Schlaufenende allein den Grossteil der Last tragen musste; das heisst der Winkel zwischen Betonoberfläche und Schlaufenenden betrug nicht wie normal etwa 55o, sondern für das eine Ende ca. 20o und für das andere ca. 90o. Zweitens waren die Schlaufenenden ungleich lang. Während das eine rund 15 cm mass, wies das andere, beinahe senkrecht im Beton eingesetzte, eine Länge von rund 11 cm auf. Drittens waren die Schlaufenenden nicht vollständig vom Beton umgeben, weil die Schlaufe nicht genügend einvibriert worden war. Diese Fehler waren von aussen nicht zu erkennen. Nach den Aussagen des Gutachters hätte das kürzere Schlaufenende auch allein die Last tragen können, wenn es vollständig von Beton umgeben gewesen wäre. Der Gutachter gab an, die Schlaufe müsse nach dem Einsetzen, während des Härtens des Betons verschoben und nachher der Beton nicht mehr vibriert oder gestampft worden sein. Beim Augenschein stellte der Appellationshof fest, dass eine Schlaufe in diesem Stadium des Herstellungsvorgangs durch ein blosses Anschlagen mit der Pflasterkelle verschoben werden kann. Der GutachterBGE 110 II 456 S. 460hatte sich auch dazu geäussert, ob die Haftung zwischen Beton und Schlaufe durch das Niederdrücken und Wiederaufbiegen der Schlaufe habe geschwächt werden können. Er bezeichnete dies als möglich, aber nicht nachweisbar. Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, das Gutachten enthalte insofern einen Widerspruch, als an einer Stelle eine Schwächung der Haftbrücke zwischen Stahl und Beton grundsätzlich für möglich gehalten werde, an einer anderen Stelle aber festgehalten werde, das Um- und Wiederaufbiegen beanspruche nur den Stahl; nach den Aussagen des Gutachters bei der Befragung müsse die Schwächung jedoch für möglich gehalten werden. Im restlichen Teil des Urteils kommt der Appellationshof nicht mehr auf diese Bemerkung zurück; offenbar weil er die Frage für unerheblich hielt. Die Parteien äussern sich nicht dazu. Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass eine - nach Feststellung des Gutachters nicht nachweisbare - Schwächung der Haftung zwischen Beton und Schlaufe durch das Niederdrücken und Wiederaufbiegen als Ursache des Ausreissens ausser Betracht fällt.

2. Gemäss Art. 55 Abs. 1 OR haftet der Geschäftsherr für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verpflichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt zur Schadenverhütung angewendet hat, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Der Appellationshof weist zutreffend darauf hin, dass es sich dabei um eine Kausalhaftung handelt, die kein Verschulden der Hilfsperson oder des Geschäftsherrn voraussetzt (BGE 97 II 223 mit Hinweisen).

In bezug auf den Befreiungsbeweis hält die Vorinstanz fest, die vom Geschäftsherrn geforderte Sorgfalt werde im allgemeinen in die Trilogie cura in eligendo, instruendo vel custodiendo gegliedert; darüber hinaus könne sich der Geschäftsherr in der Regel nicht befreien, wenn er die Arbeit in seinem Betrieb unzweckmässig organisiert habe, ungeeignetes Material oder Werkzeug zur Verfügung gestellt, die Hilfsperson überanstrengt oder zu Arbeiten angehalten habe, denen sie nicht gewachsen sei oder die schlechthin gefährlich seien, ohne dass er gleichzeitig die im Interesse Dritter erforderlichen Schutzmassnahmen getroffen habe. An den Befreiungsbeweis seien strenge Anforderungen zu stellen, und die geforderte Sorgfalt sei um so grösser, je wichtiger oder gefährlicher die Arbeit der Hilfsperson sei. Vom Geschäftsherrn dürfe aberBGE 110 II 456 S. 461nicht Unzumutbares verlangt werden. Gegen diese Ausführungen, die mit Lehre und Rechtsprechung übereinstimmen, bringt der Kläger mit Recht nichts vor.

a) Nach Auffassung des Appellationshofes kann der Beklagten bezüglich Auswahl der Arbeiter, denen die Herstellung der Schachtrahmen übertragen war, kein Vorwurf gemacht werden. Auch die Überwachung durch den Vorarbeiter, der Stichproben gemacht habe, sei nicht ungenügend gewesen. Die seit Jahren mit dem Arbeitsvorgang vertrauten Arbeiter hätten beste Gewähr dafür geboten, die einfache und alltägliche Verrichtung ordnungsgemäss auszuführen. Es sei weltfremd zu fordern, dass während des gesamten Herstellungsvorgangs stets jemand hinter den Arbeitern hätte stehen und sie überwachen müssen. Eine Verletzung der cura in instruendo liege ebenfalls nicht vor. Die Arbeiter hätten aufgrund ihrer langen Erfahrung den Produktionsvorgang bestens gekannt. Die einfache und ihnen geläufige Arbeit habe nicht erfordert, dass ihnen stets die Weisung erteilt werde, namentlich bei der Einbetonierung der Schlaufen besondere Vorsicht walten zu lassen, denn das sei für die Arbeiter selbstverständlich gewesen.

b) Diesen Erwägungen kann insoweit ohne Bedenken beigestimmt werden, als sich die Beklagte auf ihre zuverlässigen, langjährigen Arbeiter verlassen durfte, ohne sie ständig zu ermahnen und zu überwachen. Es stellt sich aber die Frage, ob die Hilfspersonen ausreichend instruiert worden sind. Ursache für die ungenügende Haftung zwischen der ausgerissenen Schlaufe und dem Beton war nach der Aussage des Gutachters eine Unachtsamkeit bei der Herstellung: Die Schlaufe war während des Härtevorgangs versehentlich berührt und verschoben worden, und danach war der Beton nicht noch einmal gestampft oder vibriert worden. Es sind auch dann erhöhte Anforderungen an die Pflicht zur Erteilung von Anweisungen zu stellen, wenn die Arbeit der Hilfspersonen als solche nicht gefährlich ist, Fehler bei der Herstellung des Erzeugnisses aber zu einer Gefahr für Leib und Leben der Personen, die es bestimmungsgemäss verwenden, führen können (vgl. BGE 64 II 261/2). Dass das Ausreissen einer Aufhängeschlaufe während des Hochhebens des 690 kg schweren Schachtrahmens fatale Folgen haben konnte, musste der Beklagten bewusst sein. Es könnte deshalb mit guten Gründen die Auffassung vertreten werden, sie hätte ihre Arbeiter nachdrücklich darauf hinweisen müssen, dass auch ein geringfügiges Versehen beim Härtevorgang die Funktionstüchtigkeit der Schlaufen in Frage stelle. Mit der VorinstanzBGE 110 II 456 S. 462ist aber davon auszugehen, dass unter den gegebenen Umständen der Fabrikationsfehler durch das Erteilen derartiger Anweisungen nicht hätte verhindert werden können.

3. Der Kläger wirft dem Appellationshof vor, er habe unzureichend geprüft, ob die Beklagte hafte, weil sie die Schachtrahmen nach der Herstellung nicht habe kontrollieren lassen. Ein kurzes abruptes Hochheben und Absenken der Rahmen an ihren Schlaufen durch einen Gabelstapler hätte zur Prüfung der Festigkeit der Schlaufen genügt. Eng mit der Kontrollpflicht hänge die zweckmässige Organisation des Betriebes zusammen. Inhalt dieser "Organisationshaftung" sei sicher einmal der korrekte Ablauf der Herstellungsphase. Weiter habe der Geschäftsherr aber schon organisatorisch eine Kontrolle der Produkte vorzusehen. Die cura in custodiendo umfasse die sorgfältige Ausführung der Kontrolle, das Gebot der zweckmässigen Organisation jedoch das Vorsehen einer Kontrolle.

Nach Ansicht des Appellationshofes hätte der Fabrikationsfehler durch eine Kontrolle der Schlaufen nicht entdeckt werden können. Die Vorinstanz leitet diese Annahme aus dem Umstand ab, dass die Schlaufen mindestens zweimal gehalten hatten. Der mangelhafte Schachtrahmen müsse als sogenannter Ausreisser betrachtet werden, dessen Fehler durch zumutbare Kontrolle nicht feststellbar gewesen sei. Im übrigen könne auch nicht behauptet werden, der Betrieb der Beklagten sei unzweckmässig organisiert gewesen.

a) In BGE 90 II 90 wurde festgehalten, der Geschäftsherr habe zur Haftungsbefreiung insbesondere nachzuweisen, dass er seinen Betrieb zweckmässig organisiert habe. Für die Beurteilung jenes Falles war diese Frage aber ohne Bedeutung. In einem früheren Entscheid zu Art. 62 alt OR wurde der Direktion eines Betriebes ein Verschulden vorgeworfen, weil sie die Arbeit der Hilfspersonen mangelhaft organisiert hatte. Der Mangel wurde darin gesehen, dass keine Personen bezeichnet worden waren, welche regelmässig eine bestimmte Arbeit auszuführen hatten und daher damit vertraut waren, sondern dass die Arbeiter vielfach wechselten und einige von ihnen dazu berufen wurden, die mit der Sache nur ganz ausnahmsweise zu tun hatten (BGE 31 II 701). Unter dem Begriff des Organisationsmangels wurde somit das Fehlen von Anweisungen darüber verstanden, wer die Arbeit regelmässig auszuführen habe. In der Literatur zur Produzentenhaftung, auf welche sich die Einwände des Klägers abstützen, wird dagegen der Begriff derBGE 110 II 456 S. 463Organisation wesentlich weiter gefasst. Diese Autoren gehen davon aus, die Arbeitsabläufe bei der industriellen Massenproduktion seien derart kompliziert und für einen Aussenstehenden unübersichtlich, dass der Beitrag des einzelnen Arbeiters unter dem Aspekt der Haftung des Herstellers für Schäden aus mangelhaften Erzeugnissen in den Hintergrund trete. Wichtiger als die Frage, ob der Geschäftsherr den Fehler des einzelnen Arbeiters hätte verhindern können, sei deshalb, ob er den Betrieb so organisiert habe, dass keine fehlerhaften Produkte das Unternehmen verlassen. Folgerichtig wird daher verlangt, eine zweckmässige Organisation habe auch die Kontrolle der fertigen Produkte zu umfassen (BARBARA MERZ, Analyse der Haftpflichtsituation bei Schädigung durch Medikamente, Diss. ZH 1980, S. 27 ff.; HANS NATER, Die Haftpflicht des Geschäftsherrn gemäss OR 55 angesichts der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, Diss. ZH 1970, S. 62 ff.; FRANZ BURKI, Produktehaftpflicht nach schweizerischem und deutschem Recht, Diss. BE 1976, S. 145 ff.).

Diese Überlegungen können nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Sie sind auf Produktionsverhältnisse zugeschnitten, wie sie in Grossbetrieben mit weitgehend automatisierten Arbeitsabläufen gegeben sein mögen. Zudem wird von den erwähnten Autoren, die de lege ferenda eine strenge Produzentenhaftung postulieren, im allgemeinen zu wenig beachtet, dass die Anforderungen an den Befreiungsbeweis des Geschäftsherrn gemäss Art. 55 Abs. 1 OR nach den tatsächlich gegebenen Umständen bestimmt werden müssen; es geht daher nicht an, die vom Geschäftsherrn im Einzelfall geforderte Sorgfalt an Massstäben zu messen, die auf allgemeinen Annahmen über die Arbeitsabläufe bei der Herstellung von Massenprodukten beruhen. Aus dem gleichen Grunde darf die Tatsache, dass nachträglich - das heisst aufgrund der Kenntnis über die Ursache des Produktemangels - im allgemeinen leicht festzustellen ist, durch welche Massnahme der Fehler hätte entdeckt und der Schaden verhindert werden können, nicht dazu verleiten, von vornherein unerfüllbare Anforderungen an den Befreiungsbeweis zu stellen (vgl. EMIL W. STARK, Einige Gedanken zur Produktehaftpflicht, in Festgabe für Karl Oftinger, S. 292 f.). Auf die erwähnten Lehrmeinungen kann dagegen auch im vorliegenden Fall insoweit abgestellt werden, als sie mit Recht unterstreichen, dass sich die vom Geschäftsherrn gemäss Art. 55 Abs. 1 OR verlangte Sorgfalt nicht auf richtige Auswahl, Überwachung und Instruktion der HilfspersonenBGE 110 II 456 S. 464beschränkt, sondern der Geschäftsherr darüber hinaus für eine zweckmässige Arbeitsorganisation und nötigenfalls für die Endkontrolle der Produkte zu sorgen hat, wenn damit eine Schädigung Dritter verhindert werden kann. Der Appellationshof hat dem zu wenig Beachtung geschenkt und zudem nicht berücksichtigt, dass der allgemeine Grundsatz des Haftpflichtrechts, wonach die Schaffung oder Unterhaltung gefährlicher Zustände zum Ergreifen von Schutzmassnahmen verpflichtet, auch für die Geschäftsherrenhaftung wegleitend sein muss (OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, 3. Auflage, S. 154/5).

b) Wie bereits festgehalten, musste der Beklagten bewusst sein, dass Herstellungsfehler, die sich auf die Festigkeit der Aufhängeschlaufen auswirkten, zu einer Gefahr bei der Handhabung der Schachtrahmen führen konnten. Die Arbeiter, die sich vor allem beim Ausrichten des Rahmens auf dem Schachtrohr im direkten Gefahrenbereich des Rahmens befinden, müssen darauf vertrauen können, dass die Aufhängeschlaufen unter allen Umständen der Belastung standhalten. Die Beklagte war deshalb verpflichtet, alle nötigen und zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um Herstellungsfehler zu verhindern, oder zu verunmöglichen, dass mangelhafte Erzeugnisse verkauft wurden. Wird mit der Vorinstanz angenommen, ein Fabrikationsfehler, wie er im vorliegenden Fall unterlief, hätte selbst mit einer anderen Organisation des Herstellungsvorgangs nicht vermieden werden können, so drängte sich die Vornahme einer Endkontrolle auf.

Die Beklagte bestreitet nicht, dass sie die Festigkeit der Aufhängeschlaufen nicht prüft. Sie bringt indes vor, die Schachtrahmen würden nach der Fertigung aus der Fabrikhalle auf den Lagerplatz transportiert, indem sie an den Schlaufen angehoben und weggeführt würden. Dieser bewährte innerbetriebliche Vorgang komme einer Testanordnung nahe. Der Kläger weist demgegenüber mit Recht darauf hin, dass bei einer eigentlichen Kontrolle zu prüfen wäre, ob die Schlaufen einer höheren als der normalen Belastung standhalten. Aus diesem Grund überzeugt auch das Argument des Appellationshofes nicht, dass eine Kontrolle nichts gebracht hätte, weil die mangelhafte Schlaufe vor dem Unfall mindestens zweimal gehalten habe; denn das besagt nichts darüber, ob der Mangel auch bei höherer Belastung nicht entdeckt worden wäre. Unklar ist aber, wie eine zweckmässige, vom Aufwand her zumutbare und technisch realisierbare Endprüfung zu gestalten wäre. Der Vorschlag des Klägers scheint zwar tauglich zu sein, es fragt sich aber,BGE 110 II 456 S. 465ob die Kontrolle auf diese Weise durchgeführt werden könnte, ohne dass gerade durch die Prüfung die Verankerung der Schlaufe im Beton - von aussen nicht erkennbar - gelockert und damit erst die Gefahr eines späteren Unfalls geschaffen würde. Ob mit anderen Untersuchungsmethoden, wie etwa Durchleuchten, eine ungenügende Haftung der Schlaufen im Beton festgestellt werden könnte, ist bisher nicht geklärt worden.

Die Frage, wie eine Nachkontrolle auszugestalten wäre, kann jedoch offen bleiben. Denn sollte es keine tauglichen und zumutbaren Möglichkeiten einer derartigen Prüfung gegeben haben, so durfte die Beklagte nicht darauf verzichten, ohne durch eine sicherere Konstruktion die Gefahr, dass eine Schlaufe ausreisst, auf ein Minimum zu reduzieren. Mit anderen Worten hätte also die Beklagte die Konstruktion der Schachtrahmen so verändern müssen, dass ein Ausreissen der Schlaufen auch dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen war, wenn deren Festigkeit nicht geprüft wurde oder geprüft werden konnte. Dass eine sicherere Konstruktion ohne grossen Mehraufwand möglich ist, beweisen die Änderungen, welche die Beklagte seit 1979 oder 1980 bezüglich der Aufhängeschlaufen vorgenommen hat. Sie versieht seither die Schlaufen mit Widerhaken und setzt bei exzentrischen Rahmen statt zwei deren drei ein. Die Widerhaken vermindern die Gefahr, dass die Schlaufen bei ungenügendem Einvibrieren ausreissen, und die dritte Schlaufe bietet mehr Sicherheit für den Fall, dass eine der Schlaufen der Belastung nicht standhält.

c) Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Beklagte im Hinblick auf die Funktion der Schlaufen, ein Einsetzen der Schachtrahmen ohne Schädigung der beteiligten Arbeiter zu ermöglichen, verpflichtet war, entweder durch eine Nachkontrolle allfällige Fehler bei der Produktion aufzuspüren, oder, wenn sie eine solche Kontrolle nicht vornehmen wollte oder konnte, eine sicherere Konstruktion zu wählen. Ihre Haftung ist demnach aufgrund von Art. 55 Abs. 1 OR zu bejahen. Damit braucht die vom Appellationshof verneinte Frage, ob die Klage auch auf Art. 41 OR gestützt werden könnte, nicht entschieden zu werden.

BGE 133 III 81

Kaffeekannen-Fall

Produktehaftpflicht; Mangel (Art. 4 PrHG); Beweis.

Begriff des Mangels. Beweislastverteilung (E. 3).

Der Geschädigte hat nicht die Ursache des Mangels zu beweisen, sondern es genügt, wenn er aufzeigt, dass das Produkt die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Konsumenten nicht erfüllte. Kommt es im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Produktes zu einem Unfall, beurteilt sich der Beweis des Geschehensablaufs, der zum Unfall geführt hat, im Prinzip nach dem Gesichtspunkt der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (E. 4).


3. Wie die europäische Richtlinie 85/374/EG vom 25. Juli 1985, die es weitgehend inspiriert hat, führt das PrHG eine verschuldensunabhängige Haftung ein, die allein auf dem Fehler des Produkts beruht (FRANZ WERRO, La responsabilité civile, Nr. 705/706, S. 184/185; GILLES PETITPIERRE, Genèse d'une nouvelle réglementation, in Responsabilités objectives, Journée de la responsabilité civile 2002, S. 23/24). Der Fehler spielt daher in der Produkthaftung eine zentrale Rolle (HANSJÖRG SEILER, in Münch/Geiser [Hrsg.], Schaden - Haftung - Versicherung, N. 19.23, S. 23). 948; CATHERINE WENIGER, La responsabilité du fait des produits pour les dommages causés à un tiers au sein de la Communauté Européenne, thèse Lausanne 1994, S. 122; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, Grundriss der Produktehaftpflicht, N. 172, S. 72).

3.1 Nach Art. 4 Abs. 1 PrHG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Aufmachung (Bst. a), des Gebrauchs, der vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann (Bst. b), und des Zeitpunkts, zu dem es in Verkehr gebracht wurde (Bst. c), berechtigterweise erwarten kann. Diese Definition wurde fast wörtlich aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EG übernommen. Wie in den einleitenden Erwägungsgründen zu dieser Richtlinie dargelegt, zielt die Produkthaftung darauf ab, den "Verbraucher vor Schäden an seiner Gesundheit und seinem Eigentum zu schützen, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht werden" (Erwägungsgrund 1). Folglich bestimmt sich der Fehler "nicht nach der Untauglichkeit des Produkts für den Gebrauch, sondern nach dem Mangel an Sicherheit, den die breite Öffentlichkeit berechtigterweise erwarten kann", mit der Präzisierung, dass "diese Sicherheit unter Ausschluss eines unter den gegebenen Umständen unvernünftigen Missbrauchs des Produkts zu beurteilen ist" (Erwägungsgrund 6); es geht auch darum, "eine gerechte Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller" (Erwägungsgrund 7) zu erreichen. Angesichts der offensichtlichen Analogie zwischen der Richtlinie und dem Schweizer Gesetz gelten diese Überlegungen auch für die Bestimmung des Ziels des PrHG.

Das Fehlen der Sicherheit, die man berechtigterweise erwarten kann, ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Es ist Sache des Richters, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände festzulegen, welchen Grad an Sicherheit ein Produkt bieten muss (FELLMANN, Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 2 zu Art. 4 LRFP; REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., N. 1190, S. 266/267; ANDREAS E. BORSARI, Schadensabwälzung nach dem schweizerischen Produktehaftpflichtgesetz, Dissertation Zürich 1998, S. 110; HANS-JOACHIM HESS, Kommentar zum Produktehaftpflichtgesetz, 2. Aufl., N. 4 zu Art. 4 PrHG, S. 240; LUKAS WYSS, Der Fehlerbegriff im schweizerischen Produktehaftpflichtgesetz, in recht 14/1996 S. 119; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a. a. O., Anm. 185, S. 76). Das Pronomen "on" in Art. 4 Abs. 1 PrSG bezieht sich auf die Sicherheitserwartungen des Durchschnittskonsumenten, nicht auf diejenigen des Geschädigten oder einer bestimmten Gruppe besonders qualifizierter oder umgekehrt unerfahrener Benutzer. Die in einem bestimmten Fall erwartete Sicherheit wird somit objektiv beurteilt (ERDEM BÜYÜKSAGIS, La notion de défaut dans la responsabilité du fait des produits, Dissertation Freiburg 2005, S. 248-250; WERRO, op. cit, N. 749, S. 194; REY, a.a.O., N. 1190, S. 266; HESS, a.a.O., N. 7 ff. ad Art. 4 LRFP, S. 241 ff.; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 182/183, S. 75).

Im Übrigen muss der Richter "alle Umstände" berücksichtigen. Art. 4 Abs. 1 PrHG nennt ausdrücklich drei Umstände, denen eine besondere Bedeutung zukommt (REY, a.a.O., N. 1190, S. 267; BORSARI, a.a.O., S. 119; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 207, S. 82).

Die Produktaufmachung (Bst. a) umfasst insbesondere die vom Hersteller bereitgestellten Anweisungen. In diesem Zusammenhang muss die Aufmerksamkeit des Konsumenten klar auf die vorhersehbaren Gefahren im Zusammenhang mit der Verwendung des Produkts gelenkt werden, sowie auf die Art und Weise, wie Schäden vermieden werden können (REY, a.a.O., N. 1192, S. 267; BORSARI, a.a.O., S. 127; HESS, a.a.O., N. 66-68, S. 265/266; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 240-245, S. 91/92). Diese Informationspflicht stellt jedoch keine Alternative zur Pflicht des Herstellers dar, sichere Produkte zu entwickeln und herzustellen (FELLMANN, a.a.O., N. 15 zu Art. 4 PrSG; BORSARI, a.a.O., S. 132; WYSS, a.a.O., S. 114; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 247, S. 93; vgl. auch FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 247, S. 93; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 247, S. 93).

BGE 133 III 81 S. 85

WERRO, a. a. O., Nr. 762, S. 197). Bei Produkten des täglichen Gebrauchs, von denen das Publikum eine bestimmte Grundsicherheit erwartet, kann sich der Hersteller nicht im Voraus von seiner Verantwortung befreien, indem er auf dem Produkt eine Warnung vor einer bestimmten Gefahr anbringt (vgl. Art. 8 PrSG; FELLMANN, a.a.O., Art. 4 Abs. 1 PrSG; FELLMANN, a.a.O., Art. 4 Abs. 1 PrSG, N. 15 zu Art. 4 PrSG; BORSARI, a.a.O., S. 132); man denke zum Beispiel an die Explosionsgefahr einer Glasflasche, die Mineralwasser mit Kohlensäure enthält (FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 248, S. 93/94).

Ein weiteres Kriterium, das der Richter anwenden muss, ist die Verwendung, die vernünftigerweise von dem Produkt erwartet werden kann (Art. 4 Abs. 1 Bst. b PRSG). Dieser Begriff umfasst nicht nur den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Produkts, sondern auch einen anderen Gebrauch ("Fehlgebrauch"), mit dem der Hersteller vernünftigerweise rechnen muss (z. B. die Verwendung eines Stuhls als Trittleiter). Dagegen kommt die Produkthaftung bei Missbrauch (z. B. Trocknen eines Hundes in einer Mikrowelle) nicht in Betracht (REY, a. a. O., Nr. 1194 und Nr. 1195, S. 267/268; BORSARI, a. a. O., S. 139 ff.; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a. a. O., Nr. 257-264, S. 96-98).

Der dritte in Art. 4 Abs. 1 PrSG genannte Umstand ist der Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht wurde (Bst. c). Wenn ein fehlerhaftes Produkt einen Schaden verursacht hat, vermutet das Gesetz jedoch, dass der Fehler bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bestand (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. b PrSG; REY, a.a.O., Rz. 1211, S. 272).

Zu den in Art. 4 Abs. 1 PrSG nicht ausdrücklich erwähnten Kriterien gehören auch technische Normen und Sicherheitsvorschriften, die bei der Beurteilung des Mangels eine Rolle spielen können, da der Durchschnittsverbraucher erwarten kann, dass der Hersteller diese Normen anwendet und so eine grundlegende Sicherheit des betreffenden Produkts gewährleistet (FELLMANN, a.a.O., N. 27 zu Art. 4 PrSG; REY, a.a.O., N. 1199, S. 268).

3.2 Die Lehre unterscheidet Mängel in der Regel nach ihrer Ursache (vgl. auch Urteil 4C.307/2005 vom 25. Januar 2006, E. 3). Ein Fabrikationsfehler liegt vor, wenn ein Fehler im Herstellungsprozess eines an sich gut konzipierten Produkts auftritt (WERRO, a.a.O., N. 755, S. 196; SEILER, a.a.O., N. 19.6, S. 940; HESS, a.a.O., N. 37, S. 253). Dies ist der Fall bei einem Mikroriss im Glas einer Flasche Mineralwasser mit Kohlensäure, auch wenn diese Folge bei einer bestimmten Anzahl von Einheiten statistisch unvermeidbar ist ("Ausreisser"; BGH, Urteil vom 9. Mai 1995, in NJW 1995, S. 11). S. 2162; BÜYÜKSAGIS, a. a. O., S. 285/286). Ein weiteres Beispiel für einen Fabrikationsfehler ist der Bruch eines Aufhängerings in der Armierung einer vorgefertigten Betonplatte, obwohl bereits eine grosse Menge identischer Platten hergestellt worden war und die Aufhängeringe nie Probleme bereitet hatten (siehe BGE 110 II 456).

Der Konstruktionsfehler liegt in der Art und Weise, wie das Produkt konzipiert wurde (WERRO, a.a.O., Nr. 757, S. 196); so wie das Produkt konzipiert wurde, weist es eine Eigenschaft auf, die es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder bei einem anderen Gebrauch, den der Hersteller vernünftigerweise erwarten durfte, gefährlich macht (SEILER, a.a.O., Nr. 19.26, S. 949; HESS, a.a.O., Nr. 22, S. 248). Ein Beispiel für einen Konstruktionsfehler findet sich im Urteil C.564/1984 vom 14. Mai 1985: Ein Zahnarztstuhl gab unter dem Gewicht eines Patienten nach, weil die Nieten, die zur Befestigung der beweglichen Teile des Stuhls verwendet wurden, aus einem Metall bestanden, das keine ausreichende mechanische Widerstandsfähigkeit gegen Abnutzung bot.

Der Instruktionsfehler betrifft ein Produkt, das nicht mit einer angemessenen Information über die Risiken für den Verbraucher versehen ist (WERRO, a. a. O., Nr. 759, S. 197; PLÜSS/JETZER, Die Produktehaftpflicht, Nr. 120, S. 46/47).

Das PrHG unterscheidet nicht nach der Ursache des Mangels. Dies bedeutet, dass die oben genannten verschiedenen Kategorien von Mängeln keinen normativen Wert haben (REY, a.a.O., Nr. 1202, S. 269; FELLMANN, a.a.O., Nr. 4 zu Art. 4 PrHG; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., Nr. 202, S. 81; anderer Meinung: HESS, a.a.O., Nr. 21, S. 247). Sie sind jedoch nicht überflüssig, da sie dem Richter helfen können, den Sachverhalt besser zu verstehen (PLÜSS/JETZER, a. a. O., Nr. 115, S. 45).

3.3 Im Gegensatz zur Richtlinie 85/374/EG (vgl. Art. 4) enthält das PrHG keine Bestimmung, die dem Geschädigten die Beweislast für den Fehler auferlegt. Im schweizerischen Produkthaftungsrecht ergibt sich diese Beweislastverteilung jedoch aus dem allgemeinen Grundsatz in Art. 8 ZGB (PIERRE WESSNER, Quelques propos erratiques sur des questions liées à la responsabilité du fait des produits défectuaux, in Responsabilités objectives, Journée de la responsabilité civile 2002, S. 68; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 176, S. 73). Der Schaden an sich beweist nicht, dass das Produkt fehlerhaft ist (WYSS, a.a.O., S. 111). Dennoch gilt: Wenn er

BGE 133 III 81 S. 87

nachweist, dass das Produkt eine Rolle bei der Entstehung des Schadens gespielt hat, hat der Geschädigte nach dem Grundsatz "res ipsa loquitur" (WESSNER, a.a.O., S. 68 in fine; vgl. auch FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, a.a.O., N. 178, S. 73/74) einen signifikanten Hinweis auf das Vorhandensein eines Fehlers geliefert. Eine Flasche Mineralwasser mit Kohlensäure, die explodiert, oder ein Auto, dessen Bremsen versagen, sind mit Sicherheit fehlerhafte Produkte (HESS, a. a. O., Anm. 24, S. 249). In Anwendung des nationalen Gesetzes, das nach der Richtlinie 85/374/EG erlassen wurde, erkannte ein französisches Gericht auch an, dass eine explodierende Kaminscheibe unabhängig vom Zug oder der Belüftung des Raumes einen Fehler aufweist (Urteil berichtet in Recueil Le Dalloz 2001 Nr. 38 S. 3092).

4.

4.1 Im vorliegenden Fall musste die Klägerin entgegen der Behauptung des kantonalen Gerichts nicht mittels eines Gutachtens beweisen, dass die Glaskaraffe der Kaffeemaschine mit einem Herstellungs- oder Konstruktionsfehler behaftet war. Zwar hätte die Analyse der Glasscherben vielleicht Mikrorisse ergeben, die einen Herstellungsfehler darstellen würden, und auch die Begutachtung einer identischen Kaffeekanne hinsichtlich der Qualität des verwendeten Glases hätte gegebenenfalls einen Konstruktionsfehler nachweisen können. Hätte die Klägerin auf diese Weise einen Herstellungsfehler oder einen Designfehler nachgewiesen, wäre die Fehlerhaftigkeit des Produkts im Sinne von Art. 4 PGRFA sicherlich bejaht worden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Fehlen der vom Verbraucher berechtigterweise erwarteten Sicherheit nur auf diesem Wege festgestellt werden kann. Wie bereits festgestellt, haben die Begriffe "Herstellungsfehler" und "Konstruktionsfehler" keine normative Bedeutung. Der Geschädigte muss nicht die Ursache des Mangels nachweisen, sondern nur, dass das Produkt nicht den Grad an Sicherheit bot, der von einem Durchschnittsverbraucher unter den gegebenen Umständen berechtigterweise erwartet werden kann. Daraus folgt, dass das kantonale Gericht im vorliegenden Fall von einem Begriff des Mangels ausgegangen ist, der nicht mit Art. 4 PrHG in Einklang steht.

4.2 Es ist nun zu prüfen, ob die Klägerin auf der Grundlage des im angefochtenen Urteil dargelegten Sachverhalts nachgewiesen hat, dass die streitige Kaffeemaschine einen Mangel im Sinne von Art. 4 PrHG aufweist, d.h. dass sie die legitimen Sicherheitserwartungen des Durchschnittsverbrauchers nicht erfüllt, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Aufmachung und des Gebrauchs, der vernünftigerweise von ihr erwartet werden kann.

4.2.1 Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte die Klägerin die Kaffeemaschine seit etwas mehr als einem Jahr benutzt. Es handelte sich also um ein neues Gerät. Das Modell hatte Qualitätstests bestanden, was jedoch nicht von vornherein einen Mangel im Sinne von Art. 4 PrHG ausschliesst. Als der Glasbehälter explodierte, bereitete die Klägerin gerade Kaffee zu. Folglich benutzte sie das Gerät bestimmungsgemäß. Im Gegensatz zu den oben genannten Fällen der Mineralwasserflasche mit Kohlensäure oder des Brandschutzglases ereignete sich die Explosion, während die Klägerin das Produkt handhabte. Es stellt sich daher die Frage, ob das Opfer die Kaffeemaschine ordnungsgemäß verwendet hat, insbesondere ob es die Sicherheitshinweise des Herstellers beachtet hat, sofern diese nicht als unzulässige Einschränkungen der Haftung des Herstellers erscheinen.

Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen zum eigentlichen Unfallhergang. Tatsächlich war das kantonale Gericht der Ansicht, dass die Ursachen der Explosion nicht mit Sicherheit bestimmt werden konnten. Die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt alleine in der Küche war, erklärte ihrerseits, sie habe die mit heissem Kaffee gefüllte Karaffe auf die marmorähnliche Laminat-Arbeitsplatte gestellt und den Deckel aufgesetzt; dabei sei das Gefäss explodiert.

4.2.2 Es war Sache der Klägerin, den Mangel zu beweisen, was in diesem Fall insbesondere bedeutete, die Umstände des Unfalls nachzuweisen.

Grundsätzlich gilt eine Tatsache als erwiesen, wenn sich der Richter von der Wahrheit einer Behauptung überzeugen konnte. Das Gesetz, die Lehre und die Rechtsprechung haben Ausnahmen von dieser Regel der Beweiswürdigung gemacht. Eine Beweiserleichterung ist dann durch einen "Beweisnotstand" gerechtfertigt, der vorliegt, wenn ein strenger Beweis aufgrund der Natur des Falles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, insbesondere wenn die von der beweisbelasteten Partei behaupteten Tatsachen nur indirekt und durch Indizien nachgewiesen werden können (BGE 132 III 715 E. 3.1 S. 715 E. 3.2 S. 1). 720; BGE 130 III 321 E. 3.2 S. 324 und Verweise). Dies kann der Fall sein, wenn ein Schaden in der Diebstahlversicherung eingetreten ist (BGE 130 III 321 E. 3.2 S. 325 und die zitierten Urteile) oder wenn ein natürlicher bzw. hypothetischer Kausalzusammenhang besteht (BGE 132 III 715 E. 3.2 S. 720 und die zitierten Urteile). Der erforderliche Beweisgrad beschränkt sich dann auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit (die überwiegende Wahrscheinlichkeit), die den folgenden Bedingungen unterliegt

höhere Anforderungen stellt als die Glaubhaftmachung. Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass aus objektiver Sicht wichtige Gründe für die Richtigkeit einer Behauptung sprechen, ohne dass andere Möglichkeiten von erheblicher Bedeutung sind oder vernünftigerweise in Betracht gezogen werden (BGE 132 III 715 E. 3.1 S. 720; BGE 130 III 321 E. 3.3 S. 325).

Nach Art. 8 ZGB hat die Partei, die nicht in der Beweislast steht, das Recht, einen Gegenbeweis zu erbringen. Damit versucht sie, Umstände nachzuweisen, die geeignet sind, beim Richter ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Behauptungen, die Gegenstand des Hauptbeweises sind, aufkommen zu lassen. Für einen erfolgreichen Gegenbeweis genügt es, wenn der Hauptbeweis erschüttert ist, so dass die Hauptbehauptungen nicht mehr als die wahrscheinlichsten erscheinen (BGE 130 III 321 E. 3.4 S. 326).

4.2.3 Wenn sich ein Unfall im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Produkts ereignet, wird der Konsument oft bestenfalls über seine eigenen Aussagen verfügen, um den Ablauf des Geschehens zu rekonstruieren. Unter diesen Umständen ist es vernünftigerweise nicht möglich, vom Geschädigten einen strengen Beweis für die Kette zu verlangen, die zum Eintritt des Schadens geführt hat. Grundsätzlich wird der Richter daher die vom Geschädigten behaupteten Tatsachen unter dem Gesichtspunkt der überwiegenden Wahrscheinlichkeit beurteilen.

Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass das kantonale Gericht das Bundesrecht missachtet hat, indem es der Klägerin auferlegte, den Sachverhalt mit Gewissheit nachzuweisen. Folglich ist die Klage gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an den Gerichtshof zurückzuweisen, damit dieser eine neue Beweiswürdigung unter dem Gesichtspunkt der überwiegenden Wahrscheinlichkeit vornimmt. Hierzu wird er über die Aussagen der Klägerin zum Schadenseintritt sowie über die - teilweise indirekten - Zeugenaussagen der Eheleute D. und E. verfügen. Die Beklagte kann ihrerseits von ihrem Recht auf Gegenbeweis Gebrauch machen und versuchen zu beweisen, dass die vom Opfer dargestellte Version des Sachverhalts nicht die wahrscheinlichste ist.

BGE 143 III 646

  • Reitpferd als Haustier


Regeste

Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 1 bis OR; Tier, das im häuslichen Bereich gehalten wird.Qualifikation eines Pferdes, das in einiger Distanz vom Wohnort seines Halters gehalten wird, von diesem oder dessen Familie aber selber gepflegt wird, so wie diese ein im Haus (oder unmittelbar daneben) lebendes Haustier täglich selber versorgen würden, als ein "im häuslichen Bereich" gehaltenes Tier i.S.v. Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 1 bis OR (E. 1-3).


1. Bei Tieren, die "im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten" werden, können die Heilungskosten auch dann angemessen als Schaden geltend gemacht werden, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen (Art. 42 Abs. 3 OR). Im Falle der Verletzung oder Tötung eines solchen Tieres kann das Gericht sodann bei der Bestimmung des Schadenersatzes dem Affektionswert angemessen Rechnung tragen, den dieses Tier für seinen Halter und dessen Angehörige hatte (Art. 43 Abs. 1 bis OR). Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 1 bis OR wurden 2003 zusammen mit dem neuen Art. 641a ZGB erlassen, wonach Tiere keine Sachen sind. Der gleiche Begriff der Tiere "im häuslichen Bereich" wurde auch in andern im Rahmen dieser Revision angepassten Bestimmungen verwendet, nämlich in Art. 651a Abs. 1 ZGB (richterliche Zusprechung von Tieren), Art. 722 Abs. 1 bis ZGB (Eigentumserwerb bei Fund), Art. 728 Abs. 1 bis ZGB (Ersitzung) und Art. 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG (unpfändbare Vermögenswerte).

Es ist unbestritten, dass die Stute X. von der Beschwerdeführerin nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wurde. Zu prüfen ist, ob sie ein "im häuslichen Bereich" gehaltenes Tier ist. Das Bundesgericht musste bislang noch nie zu diesem Begriff Stellung nehmen.

2. Während das Bezirksgericht unabhängig davon, dass die Stute in einiger räumlicher Distanz zum Wohnort der Kläger untergebracht worden war, den Begriff "im häuslichen Bereich" als erfüllt betrachtete, da es aufgrund der mit der Revision verfolgten Zwecke massgeblich darauf ankomme, dass die Eigentümer das Pferd selber pflegten und eine entsprechende Bindung zu ihm unterhielten, stellte die Vorinstanz massgeblich auf den Wortlaut ab. Dieser lasse zwar eine Tierhaltung in der unmittelbaren Umgebung noch zu, jedoch könne bei einer Entfernung von sechs Kilometern nicht mehr vom häuslichen Bereich die Rede sein.BGE 143 III 646 S. 648

Die kantonalen Gerichte konnten sich auf je unterschiedliche Auffassungen in der Lehre stützen. Zwar wird allgemein angenommen, ein Tier müsse nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht im Haus selber gehalten werden; zum häuslichen Bereich könne auch ein separater Stall gezählt werden (ohne nähere Eingrenzung: INGEBORG SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2016, S. 122 Rz. 18.04). Jedoch unterscheiden sich die Lehrmeinungen hinsichtlich der Frage, bis zu welcher Distanz dies möglich ist. Ein Teil will den "häuslichen Bereich" auf die unmittelbare Wohnumgebung beschränkt wissen (ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 4. Aufl. 2013, N. 70 zu Art. 42 OR, "einige Schritte vom Haus entfernten Stall"; CHRISTOPH MÜLLER, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl. 2016, N. 18 zu Art. 42 OR; GEORGES VONDER MÜHLL, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2016, N. 11a zu Art. 92 SchKG, "heimhaltungstaugliche Haustiere [...], welche nach ihrer Wesensart und Beschaffenheit zu einem häuslichen oder sonst engen räumlichen Zusammenleben mit dem Menschen geeignet sind". Wohl auch FRANZ WERRO, La responsabilité civile, 2. Aufl. 2011, § 1 Rz. 186 und derselbe , in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2. Aufl. 2012, N. 33 zu Art. 42 OR, "l'écurie voisine"). Nach anderer Auffassung ist der entscheidende Gesichtspunkt die besonders enge Beziehung; dies bedinge eine gewisse Häufigkeit der Kontakte, so dass es mehr auf die zeitliche Intensität als die örtliche Nähe ankomme (PETER KREPPER, Affektionswert-Ersatz bei Haustieren, AJP 2008 S. 710; BERNHARD ISENRING, Das Haustier in der Zwangsvollstreckung, BlSchKG 2004 S. 44; OMBLINE DE PORET, Le statut de l'animal en droit civil, 2006, S. 291 Rz. 943; EVELINE SCHNEIDER KAYASSEH, Haftung bei Verletzung oder Tötung eines Tieres - unter besonderer Berücksichtigung des Schweizerischen und U.S.-Amerikanischen Rechts, 2009, S. 58, "in einer nahegelegenen Ortschaft in einem Stall"; BRUNNER/WICHTERMANN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 5. Aufl. 2015, N. 3 zu Art. 651a ZGB. Wohl auch: MICHEL OCHSNER, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 80 zu Art. 92 SchKG, "tous les animaux de compagnie"). Zwei Autoren nennen Pferde ausdrücklich und verstehen sie ohne Differenzierung (falls nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten) als Tiere im "häuslichen Bereich" (CHRISTINE CHAPPUIS, Les nouvelles dispositions de responsabilité civile sur les animaux, in: Le préjudice, Journée de laBGE 143 III 646 S. 649responsabilité civile 2004, Chappuis/Winiger [Hrsg.], 2005, S. 19 f.; ISENRING, a.a.O., S. 45).

3. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis . Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 140 III 616 E. 3.3 S. 620 f., BGE 140 IV 206 E. 3.5.4 S. 214; BGE 140 IV 1 E. 3.1 S. 5, BGE 140 IV 28 E. 4.3.1 S. 34; BGE 140 V 8 E. 2.2.1 S. 11; je mit Hinweisen).

Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, unter anderem, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben ( BGE 140 II 129 E. 3.2 S. 131; BGE 140 IV 108 E. 6.4 S. 111; BGE 140 V 213 E. 4.1 S. 216 f.; je mit Hinweisen). Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend; anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers (die sich insbesondere aus den Materialien ergibt) aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Gerichts bleibt, auch wenn es das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Umständen anpasst oder es ergänzt ( BGE 140 III 616 E. 3.3 S. 621; BGE 138 III 359 E. 6.2 S. 361; BGE 137 V 13 E. 5.1 S. 17; vgl. auch BGE 140 III 206 E. 3.5.3 S. 213 f.).

3.1 Der deutsche ("im häuslichen Bereich") und der französische Text ("milieu domestique") stimmen überein und gehen von einer räumlichen Einschränkung aus. Der - für das schweizerische Recht ungewohnte - Begriff "im häuslichen Bereich" wurde aus § 811c Abs. 1 der deutschen ZPO übernommen und erfasst dort Tiere im räumlichen Machtbereich des Tierhalters (GOETSCHEL/BOLLIGER, DasBGE 143 III 646 S. 650Tier im Recht, 2003, S. 147; DE PORET, a.a.O., S. 289 f. Rz. 937 ff.). Wegen dieser vorausgesetzten räumlichen Nähe schliesst die deutsche Lehre überwiegend ein Reitpferd, das ausserhalb des Wohngrundstücks des Halters zum Beispiel in einem gemieteten Reitstall gehalten wird, aus (URS PETER GRUBER, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 2, 4. Aufl. 2012, N. 3 zu § 811c ZPO mit Hinweisen).

Demgegenüber ist der italienische Ausdruck "animali domestici" weiter. Ein Haustier ist ein Tier, das vom Menschen versorgt wird und in seiner Umgebung lebt; es ist der Gegenbegriff zum Wildtier (so auch die Gegenüberstellung in Art. 12 i.V.m. Art. 35 Abs. 1 der bei Erlass dieser Bestimmungen in Kraft gewesenen Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981 [aTSchV; AS 1981 575 und 580]; ähnlich nunmehr Art. 2 Abs. 1 der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 [TSchV; SR 455.1]; vgl. auch Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1983, S. 551 "nicht frei lebendes, an den Menschen gewöhntes Tier"). Innerhalb des so abgegrenzten Begriffs der Haustiere wird unterschieden zwischen den Nutztieren und den Tieren, die der Mensch aus emotionalen Gründen hält (GOETSCHEL/BOLLIGER, a.a.O., S. 83; DE PORET, a.a.O., S. 288 Rz. 932). Ausgehend von dieser Abgrenzung würde das (domestizierte) Freizeitpferd tel quel unter den italienischen Text "animali domestici" fallen. Stellt man aber auf den deutschen und französischen Wortlaut ab, kommt es darauf an, wie gross die räumliche Distanz zur Wohnung des Tierhalters ist. Eine Distanz von sechs Kilometern wie vorliegend wäre nicht mehr der häusliche Bereich.

3.2 Sinn und Zweck der Gesetzesrevision sprechen für eine Auslegung, die überhaupt nicht auf ein räumliches Kriterium abstellt. Es ging darum, der affektiven Beziehung eines Menschen zu einem Tier Rechnung zu tragen und es insofern nicht mehr wie eine Sache zu betrachten (Art. 641a Abs. 1 ZGB). Dass gerade zu einem Pferd diese Beziehung eine sehr enge sein kann, ist notorisch. Damit eine enge Beziehung entstehen kann, muss ein genügender Umgang in zeitlicher Hinsicht bestehen. Die örtliche Nähe spielt dann nur insofern eine (indirekte) Rolle, als bei zu grosser Distanz häufige Kontakte nicht oder weniger möglich sind (i.d.S. zutreffend KREPPER, a.a.O., S. 710).

3.3 Aus der Entstehungsgeschichte der verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen ergeben sich keine eindeutigen Hinweise.BGE 143 III 646 S. 651

Einerseits war im Rahmen der allgemeinen Ausführungen immer wieder statt von Tieren "im häuslichen Bereich" bzw. im "milieu domestique" vom Haustier (animal domestique) die Rede, welches dem von diesen Bestimmungen nicht erfassten Nutztier gegenübergestellt wurde (Kommissionssprecher Epiney, AB 2002 S 65; Kommissionssprecher Siegrist, AB 2002 N 1252 und 1257). Da das Freizeitpferd zweifellos kein Nutztier ist, spricht die hier verwendete Abgrenzung für ein weites Verständnis des strittigen Begriffs. Im Hinblick auf nach Art. 42 Abs. 3 OR zu deckende Heilungskosten wurde mit dem nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehaltenen Pferd als Beispiel begründet, dass solche Kosten verhältnismässig zu sein hätten (Kommissionssprecher Epiney, a.a.O., 65). Auch damit wurde das Pferd undifferenziert als Tier "im häuslichen Bereich" verstanden.

Andererseits wurden im Rahmen der Kommissionsberichte Bemerkungen zu einzelnen Bestimmungen gemacht, die Pferde ausschliessen. So heisst es im Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats zur parlamentarischen Initiative "Tier ist keine Sache" und zur parlamentarischen Initiative "Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen" vom 18. Mai 1999 zum neuen Art. 722 Abs. 1 bis ZGB (Eigentumserwerb bei Fund), mit den Tieren im häuslichen Bereich seien "Tiere gemeint, zu denen der Besitzer eine besonders enge Beziehung hat, unabhängig davon, ob sie im Haus, im Garten oder im Stall gehalten werden. Eingeschränkt wird der Geltungsbereich durch die Bedingung, dass diese Tiere nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. In die Interessenabwägung einzubeziehen ist aber auch der wirtschaftliche Wert eines Tieres. Wer beispielsweise ein Pferd findet, kann sich nicht oder nur ausnahmsweise auf diese Bestimmung berufen, selbst dann nicht, wenn er eine enge Beziehung zum Tier entwickelt hat" (BBl 1999 8942 f. Ziff. 332.1. Wörtlich gleich: Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats zur parlamentarischen Initiative "Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung" vom 25. Januar 2002, BBl 2002 4170 Ziff. 3.3.2.1). Schliesslich bemerkte der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2002 zu diesem Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (BBl 2002 5808 Ziff. 2.2), der neu vorgeschlagene Art. 92 [Abs. 1] Ziff. 1a SchKG werde wohlkeine praktischen Wirkungen zeitigen, denn es könne davon ausgegangen werden, dass bei Tieren, die im häuslichen Bereich undBGE 143 III 646 S. 652nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, kaum Aussichten auf einen Verwertungserlös bestünde. Gerade bei einem Freizeitpferd dürfte diese Aussage aber in aller Regel nicht zutreffen. Auch vorliegend hatte das Pferd X. nach den Feststellungen der Vorinstanz einen Vorunfallwert von Fr. 17'500.-.

Den Ausführungen in den Räten selber ist höheres Gewicht beizumessen als solchen in vorbereitenden Berichten. Daher sprechen die Materialien insgesamt eher für ein weites Verständnis des strittigen Begriffs, das nicht entscheidend auf die räumliche Distanz abstellt.

3.4 Das Ergebnis einer Auslegung muss in sich stimmig sein und darf nicht an einem unhaltbaren Wertungswiderspruch leiden. Eine Auslegung, nach welcher ein Pferd, das in einem Stall in näherer Umgebung der Wohnung gehalten wird, als Tier "im häuslichen Bereich" qualifiziert würde, ein Pferd in einem einige Kilometer entfernten Stall aber nicht, obwohl ihm die Pferdehalter den gleichen Aufwand an Pflege und Kontakt zukommen lassen und sich so ihre (zumindest) vergleichbare Affektion manifestiert, lässt sich im Hinblick auf den Gesetzeszweck nicht rechtfertigen. Wenn überhaupt, müsste die räumliche Abgrenzung dann eine engere sein in dem Sinn, dass nur Tiere, die mit ihren Haltern in deren Heim gleichsam als Hausgenossen zusammenleben, den geschützten Begriff erfüllen. Pferde würden die Qualifizierung dann nie erfüllen, egal ob sie in der näheren Umgebung oder weiter weg gehalten werden. Da im Gesetzgebungsprozess aber ausdrücklich auch auf die Haltung in einem separaten Stall hingewiesen wurde, verbietet sich eine derart enge Auslegung.

Angesichts der erwähnten Hinweise im Gesetzgebungsprozess namentlich zu Art. 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG lässt sich fragen, ob Pferde - sie bereiten ja vor allem Mühe bei der Abgrenzung - wegen ihres Wertes nicht erfasst sein sollten. Mit andern Worten, ob der Gesetzgeber davon ausging, Pferde würden nicht in die geschützte Kategorie fallen, andernfalls er nicht hätte ausführen können, die Verwertung der von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG erfassten unpfändbaren Tiere würde ohnehin kaum zu einem Erlös führen. Ob und inwiefern ein hoher Verkehrswert eines Tieres bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, betrifft allerdings primär, wenn nicht gar ausschliesslich, diese betreibungsrechtliche Norm, denn dort stehen den Interessen des Tierhalters die Gläubigerinteressen entgegen, die wiederum in Relation zum Wert des Tieres stehen. Ob dieserBGE 143 III 646 S. 653Interessenkonflikt allenfalls ein restriktiveres Verständnis von "im häuslichen Bereich" bei Art. 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG oder womöglich eine spezifisch auf die Bedürfnisse des Betreibungsrechts zugeschnittene, weitere Interpretation des Haltens zu "Vermögenszwecken" rechtfertigen könnte, braucht hier nicht behandelt zu werden - für die zivilrechtlichen Bestimmungen und insbesondere für Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 1 bis OR ist solches jedenfalls nicht angezeigt.

3.5 Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass jedenfalls auch ein Pferd, das zwar in einiger Distanz zum Wohnort seines Halters gehalten wird, von seinem Halter oder dessen Familie aber selber gepflegt wird, so wie diese ein im Haus (oder unmittelbar daneben) lebendes Haustier täglich selber versorgen würden, als "im häuslichen Bereich" gehaltenes Tier im Sinne von Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 1 bis OR zu qualifizieren ist. Nachdem diese Voraussetzung gemäss den unbestrittenen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hier erfüllt ist, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache im Sinn des sinngemäss eventualiter gestellten Rechtsbegehrens Ziffer 3 zur Beurteilung des Quantitativen an das Bezirksgericht zurückzuweisen.

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Licia Huber H.

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