Akute Leukämien : Definition ?
Akute Leukämien umfassen maligne Neoplasien der lymphatischen und myeloischen Zellreihe, bei denen es zur übermäßigen Proliferation unreifer, nicht funktionstüchtiger Blasten im Knochenmark kommt, ggf. mit Freisetzung ins Blut.
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste maligne Tumorerkrankung im Kindesalter, die akute myeloische Leukämie (AML) betrifft v.a. Erwachsene. Beide sind u.a. mit Trisomie 21 und der exogenen Schädigung des Knochenmarks assoziiert, z.B. durch Strahlen, Benzol oder Chemotherapie.
Klinisch führt die Verdrängung der physiologischen Leukopoese, Erythropoese und Thrombopoese zu Infektneigung, Anämie und Gerinnungsstörungen.
Leukämien können mit erhöhten, erniedrigten oder normalen Leukozytenzahlen im Blut einhergehen, daher ist der Nachweis von Blasten im Knochenmark mitunter entscheidend für die Diagnosestellung.
Die Chemotherapieschemata bei akuten Leukämien beinhalten grundsätzlich Hochdosiszyklen zur massiven Reduktion der Tumorzellzahl sowie anschließende Niedrigdosiszyklen zur Erhaltungstherapie. Je nach Risikoprofil wird ggf. eine Stammzelltransplantation durchgeführt. Abhängig von zyto- bzw. molekulargenetischen Befunden können zusätzlich auch monoklonale Antikörper oder Proteinkinaseinhibitoren zum Einsatz kommen.
Die akute Promyelozytenleukämie (APL), eine Unterform der AML, stellt aufgrund einer zunehmenden Blutungsneigung einen hämatologischen Notfall dar. Schon bei V.a. eine APL sollte daher unverzüglich eine Kombinationstherapie mit All-trans-Retinsäure eingeleitet werden.
Akute Leukämien : Pathophysiologie ?
(ALL/AML/APL)
Allgemein: Genetische Aberration (bzw. Akkumulation mehrerer Aberrationen ) → Unkontrollierte Proliferation eines malignen Klons → Verdrängung der normalen Hämatopoese (Zytopenien) und ggf. Befall von Organen
ALL: Unkontrollierte Proliferation eines malignen Klons ausgehend von einer lymphatischen Zelle
AML: Unkontrollierte Proliferation eines malignen Klons ausgehend von einer myeloischen Zelle
APL: Initial meist reziproke Translokation der Chromosomen 15 und 17 → Fusion der Gene für RARA auf Chromosom 17 und PML (promyelozytisches Leukämieprotein) auf Chromosom 15 → Entstehung eines PML-RARA-Proteins, das zur gestörten Zellreifung der Promyelozyten führt
Akute Leukämien : Welche Symptom konstellation ?
B-Symptomatik
Symptome der gestörten Hämatopoese
Ggf. Symptome leukämischer Organinfiltrationen
Spezifische Symptome bei ALL
Spezifische Symptome bei AML in Abhängigkeit vom Subtyp
Akute Leukämien : Allgemeine Symptome ?
Die Symptome entwickeln sich sehr schnell innerhalb von Tagen.
Leukozytopenie {Infektanfälligkeit: Vermehrt bakterielle und mykotische Infekte (z.B. Mundsoor bei Candida-albicans-Befall) / Fieber, grippeähnliche Symptome}
Anämie {Schwäche, chronische Müdigkeit, Blässe / Belastungsdyspnoe, Schwindel, Tachykardie}
Thrombozytopenie {Petechiale Spontanblutungen und Hämatome / Nasenbluten, Zahnfleischbluten, Menorrhagien}
Akute Leukämien : Symptome leukämischer Organinfiltrationen ?
Meningeosis leucaemica (v.a. bei ALL )(Leukämische Infiltrate aus unreifen Lymphozyten siedeln sich in den Hirnhäuten ab und führen zu einem meningitischen Bild mit komplexen neurologischen Symptomen): Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie, Nackensteifigkeit, Nervenausfälle (insb. Hirnnerven), Querschnittsymptome
Infiltration der Tränendrüsen sowie okulärer und retrobulbärer Strukturen: Exophthalmus, Visuseinschränkung, Sicca-Syndrom
Splenomegalie, Hepatomegalie (Viszerale Schmerzen)
Hodenschwellung
Hautinfiltrate
Komplikationen der akuten Leukämien ?
Ggf. Komplikationen der akuten Leukämien
Leukostase-Syndrom
Tumorlyse-Syndrom
Akute Leukämien : Spezifische Symptome bei ALL ?
Häufig Meningeosis leucaemica
Ggf. Knochenschmerzen durch Knocheninfiltration: Kinder verweigern das Laufen und wollen getragen werden
Arthralgie, Gelenkschwellung, Rötung und Bewegungsbeeinträchtigung
Ggf. indolente Lymphknotenschwellung (Lymphadenopathie)
Ggf. Stridor und Atemnot durch Thymusinfiltration (sog. Mediastinaltumor, insb. bei T-ALL)
Akute Leukämien : Spezifische Symptome bei AML in Abhängigkeit vom Subtyp ?
Akute Promyelozytenleukämie (APL)
Akute myelomonozytäre Leukämie
Akute Megakaryoblastenleukämie
Akute Promyelozytenleukämie (APL): Ggf. DIC (Disseminierte intravasale Gerinnung) und Hyperfibrinolyse mit bedrohlichen Blutungen in Gehirn, Gastrointestinaltrakt, Lunge, Haut und Schleimhäuten
Akute myelomonozytäre Leukämie: Häufiger Organinfiltrationen wie bspw. Gingivahyperplasie und Meningeosis leucaemica
Akute Megakaryoblastenleukämie: Häufiger Knochenmarkfibrose mit Panzytopenie
Akute Leukämien :
Diagnose bei Blutuntersuchung ?
Blutbild und Differenzialblutbild
Leukozyten : Leukozytose , normale Leukozytenzahl oder Leukozytopenie (Aleukämischer Verlauf)
Thrombozytopenie
Anämie
Gerinnungsdiagnostik: Hinweise auf Gerinnungsstörungen
Erhöhter Zellzerfall: LDH↑ und Harnsäure↑
Blutausstrich
Nachweis unreifer Zellen (Blasten)
Hiatus leucaemicus
Definition: Vorkommen unreifer Blasten sowie reifer Zellstufen im Blutbild, jedoch Fehlen der mittelreifen Formen
Ursache: Ausschwemmung unreifer, klonaler Leukozyten (sog. Blasten), die myeloischen (AML) oder lymphatischen Ursprungs (ALL) sein können
Typisch für die AML: Auer-Stäbchen
Die Leukozytenzahlen sind kein sicheres Diagnosekriterium! Wegweisender Befund sind unreife Zellen (Blasten) im Blutausstrich!
Diagnose bei Knochenmarksuntersuchung ?
Die Diagnose einer akuten Leukämie wird durch die Knochenmarkzytologie und -histologie gesichert (Aspirat, ggf. Stanzbiopsie ).
Morphologie, Zytologie und Zytochemie: Hyperzelluläres Knochenmark, monomorphes Zellbild mit überwiegend Blasten
ALL: >25% Blasten
AML: >20% Blasten
Immunphänotypisierung: Zum Nachweis spezieller Oberflächenproteine, bspw. CD20
Zytogenetik bzw. FISH: Nachweis von Chromosomenaberrationen
Molekulargenetik: Nachweis von Mutationen oder Genumlagerungen
Diagnose bei Liquordiagnostik ?
Verfahren: Lumbalpunktion mit Liquordiagnostik
Ziel: Nachweis von Blasten als Zeichen eines ZNS-Befalls
Indikation: Standarddiagnostik bei ALL
Diagnose bei Bildgebung ?
Röntgen-Thorax: Mediastinalverbreiterung bei Thymusinfiltration, fleckige Verschattungen bei Leukostase
Sonografie-Abdomen: Hepatosplenomegalie und vergrößerte Lymphknoten
Diagnostik der minimalen Resterkrankung (MRD) ?
Verfahren: Real-time PCR (Zum Nachweis tumorspezifischer Nukleinsäureveränderungen (bspw. Fusionsgenen wie BCR-ABL)
Durchführung: An Referenzlaboren mit internationalen Qualitätssicherungsverfahren
Relevanz: Prognostisch (Bspw. spricht ein frühes Erreichen einer kompletten molekularen Remission für eine günstigere Prognose) und therapeutisch (Aufgrund der unterschiedlichen Prognosen ist die Wahl der Therapie häufig abhängig vom individuellen MRD-Befund)
Akute Leukämien : Induktionstherapie ?
Induktionstherapie
Ziel: Komplette Remission (engl. complete Remission = CR)
Therapieoptionen: Chemotherapieregime plus ggf. monoklonale Antikörper, Proteinkinaseinhibitoren
Dauer: Einige Wochen
Postremissionstherapie ?
Postremissionstherapie
Konsolidationstherapie
Ziel: Festigung der Remission
Therapieoptionen: Intensivierte Chemotherapieregime oder allogene Stammzelltransplantation ggf. plus Proteinkinaseinhibitoren
Dauer: Einige Monate
Ggf. Erhaltungstherapie
Ziel: Erhalt der Remission
Therapieoptionen: Mildere Chemotherapieregime oder Proteinkinaseinhibitoren
Dauer: Monate bis Jahre
ZNS-Prophylaxe bzw. ZNS-Therapie bei akuten Leukämien ?
Ggf. ZNS-Prophylaxe bzw. ZNS-Therapie bei akuten Leukämien
Indikationen
ALL: ZNS-Prophylaxe als fester Bestandteil der ALL-Therapie, ZNS-Therapie (hochdosierte, hochfrequentere intrathekale Therapie) bei initialem ZNS-Befall
AML: ZNS-Therapie nur bei initialem ZNS-Befall
APL: Nur bei Hochrisiko nach hämatologischer Remission
Therapieoptionen
Chemotherapie entweder nur mit Methotrexat oder in Kombination mit Cytarabin und ggf. einem Steroid
Schädelbestrahlung (24 Gy)
Akute Leukämien : Therapie der Akute Promyelozytenleukämie (APL) ?
Medikamente?
Die APL ist ein hämatologischer Notfall aufgrund des foudroyanten Verlaufs mit Blutungskomplikationen und hoher Frühmortalität. Schon bei klinischem/morphologischem V.a. eine APL sollte noch vor genetischer Bestätigung (t(15;17), PML-RARA ) eine Therapie eingeleitet werden!
All-trans-Retinsäure
Synonyme: ATRA, Tretinoin
Angriffspunkt: RARA-Teil des PML-RARA-Proteins
Wirkungsweise: Aufhebung des Differenzierungsblocks und dadurch Differenzierung der Promyelozytenvorstufen
Arsentrioxid
Synonyme: ATO, As2O3
Angriffspunkt: PML-Teil des PML-RARA-Proteins
Wirkungsweise: Differenzierung und Apoptose der Promyelozyten
Zytostatika: Anthrazyklin (Idarubicin), Cytarabin
Therapiealgorithmus?
Bei Standardrisiko: ATRA plus ATO
Bei Hochrisiko: ATRA plus Zytostatika
Rezidivtherapie
Induktionstherapie abhängig von Erstlinientherapie
Anschließend Remissionskontrolle (MRD) und ggf. Stammzelltransplantation
Durch sehr hohe Remissionsraten gilt die APL heutzutage als die günstigste Unterform aller akuten Leukämien bei Erwachsenen!
Komplikationen?
APL-Differenzierungssyndrom
Beginn: Häufig 2 Wochen nach Therapiebeginn
Symptome: Dyspnoe, Fieber unklarer Genese, Ödeme/Gewichtszunahme, Lungeninfiltrate ohne Hinweis auf eine Infektion, Pleura- oder Perikarderguss
Therapie: Dexamethason, diuretische Therapie
Prophylaxe: Prednison
Pathophysiologie
Rascher und massiver Tumorzellzerfall
Massive Freisetzung von Elektrolyten und Zellbestandteilen
Ausbildung von Calciumphosphat- und Harnsäurekristallen in der Niere
Klinik
Uratnephropathie mit Gefahr der akuten Nierenschädigung
Herzrhythmusstörungen
Epileptische Anfälle
Diagnostik
Blutuntersuchungen
Retentionsparameter
Elektrolyte
Hyperphosphatämie und sekundäre Hypokalzämie
Hyperkaliämie
LDH
Urinuntersuchungen
Hyperurikämie
Bei akuter Uratnephropathie: Erhöhter Harnsäure-Kreatinin-Quotient von >1
Sonografie der ableitenden Harnwege: Bei Nierenfunktionsstörung zum Ausschluss einer postrenalen Genese
Prophylaxe
Monitoring
Hydrierung
Vermeidung
Nierenschädigender Medikamente
Kalium-, Phosphat- oder Harnsäurespiegel-erhöhender Medikamente
Bei intermediärem und ggf. auch schon bei niedrigem Risiko: Allopurinol
Bei intermediärem bis hohem Risiko
Mittel der Wahl bei hohem Risiko: Rasburicase i.v.
Alternative: Febuxostat
Siehe auch Rote-Hand-Brief zu Febuxostat
Vorphasetherapie
Kein gleichzeitiger Einsatz von Rasburicase und Allopurinol!
Therapie
Intensivmedizinische Betreuung
Elektrolytausgleich
Hämodialyse: Bei akuter Nierenschädigung, ausgeprägter Elektrolytentgleisung
Definition und Ätiologie
Definition: Medizinischer Notfall mit Mikrozirkulationsstörungen bedingt durch eine übermäßige Anzahl unreifer Leukozyten
Hyperleukozytose:Leukozytenzahl >100.000/μL
Ätiologie: Meist im Rahmen akuter Leukämien, seltener bei chronischen Leukämien
Klinik und Diagnostik
Die Diagnose wird bei Leukämien anhand der klinischen Symptomatik gestellt, insb. die Kapillaren in Lunge und ZNS sind betroffen .
Pulmonal: Dyspnoe, Tachypnoe, Hypoxie
Neurologisch: Kopfschmerz, Schwindel, Bewusstseinsstörungen, Sehstörungen, fokalneurologische Ausfälle, Krämpfe
Weitere Befunde
Retinaeinblutungen, intrazerebrale Blutungen
Thrombosen bis hin zum Multiorganversagen
Priapismus
Prophylaxe eines Tumorlyse-Syndroms
Vermeidung von Bluttransfusionen
Zytoreduktive Therapie
Systemische Chemotherapie: Unmittelbare Einleitung der Induktionstherapie
Therapeutische Leukapherese
Kontraindiziert bei APL
Die Diagnose des Leukostase-Syndroms wird bei Leukämien klinisch anhand von Anzeichen einer Endorganschädigung gestellt (insb. Lunge und ZNS)!
Das Leukostase-Syndrom ist ein hämatologischer Notfall und muss umgehend behandelt werden!
Die Prognose ist u.a. abhängig vom Alter, wobei ein fortgeschrittenes Alter i.d.R. eine ungünstigere Prognose darstellt. Bei Therapierefraktärität oder Rezidiv ist die Prognose schlechter.
Unbehandelt: <1Jahr
ALL: Langzeitüberlebensraten, insb. abhängig von Alter und Subtyp
Kinder: >80%
Erwachsene ≤55 Jahre: 60–70%
AML: 5-Jahres-Überlebensraten, insb. abhängig von Alter und Risikogruppe
Erwachsene <30 Jahre: Ca. 60%
45–54 Jahre: Ca. 43%
55–64 Jahre: Ca. 23%
APL
Frühtodesraten um 25%
Bei frühzeitiger Therapie: Günstigste Prognose aller Leukämieformen bei Erwachsenen!
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