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Erziehung, Bildung, pädagogisches Handeln & Befreiungspädagogik

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by Jana V.

Das Verhältnis zwischen Zögling und Erzieher bzw. Der pädagogische Bezug wird mit 6 verschiedenen Merkmalen charakterisiert:

  • 1. Pädagogische Verantwortung: Das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen. Der Zögling hat den Wunsch nach Entwicklung; gleichzeitig stellen Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und andere außerpädagogische Mächte Ansprüche und Anforderungen an den Zögling. Der Erzieher ist Anwalt des Zöglings und muss die Entwicklungsbedürfnisse vor den außerpädagogischen Einflüssen schützen bzw. dafür sorgen, dass der Zögling den Anforderungen gerecht wird. Er vertritt das Recht des Kindes.

  • 2. Erziehungswirklichkeit: Es gibt keine normative Pädagogik, d.h. es gibt kein übergeordnetes Ziel der Erziehung/Pädagogik. Vielmehr sind die Ziele wandelbar und immer abhängig vom gesellschaftlich-historisch Kontext. Erziehungsziele unterliegen einem geschichtlichen Wandel, überzeitliche Ziele einer normativen Pädagogik gibt es nicht. Um die Erziehungswirklichkeit begreifen zu können, braucht es geschichtliches Wissen.

  • 3. Erziehungswissenschaft: Das pädagogische Verhältnis ist ein Interaktionsverhältnis, es ist wechselseitig. Das Verhältnis wird sowohl von Erzieher als auch von Zögling gestaltet. Es ist eine Partnerschaft, an der beide aktiv beteiligt sind. So wird auf der einen Seite vertrauen, auf der anderen Seite Zuneigung geteilt. Erzieher und Zögling bilden eine Erziehungsgemeinschaft.

  • 4. Freiwilligkeit: Der pädagogische Bezug beruht auf Freiwilligkeit, unter anderem, da die Partnerschaft nicht einseitig funktioniert. Das pädagogische Verhältnis kann nicht erzwungen werden.

  • 5. Pädagogischer Takt: Das pädagogische Verhältnis ist nicht dauerhaft, sondern nur vorläufig angelegt. Es hat das Ziel, sich eines Tages beidseitig aufzulösen. Das Loslösen voneinander wird durch den pädagogischen Takt möglich, der dem Spannungsverhältnis von Bindung und Loslösung gerecht wird.

  • 6. Doppeltes Verhältnis: Die Erziehung richtet sich sowohl an die gegenwärtigen Bedürfnisse des Kindes als auch an den noch nicht verwirklichten heranwachsenden Menschen. Es geht also parallel um die aktuelle Situation und gleichzeitig um das, was noch nicht ist. Es braucht ein Vermitteln zwischen Aktuellem und Zukünftigem.

Erziehung im Rahmen einer kritischen Pädagogik:

  • Grundsätzlich: Der Heranwachsende soll nicht nach bestimmten gesellschaftlich geprägten Wertmaßstäben zu fördern, sondern systematisch zur Mündigkeit zu führen. Die Mündigkeit ist das zentrale Ziel.

    • Erziehung ist ein interpersonales Verhältnis. Das intime Verhältnis, Vater, Mutter und Kind. Abseits davon ist es aber auch ein gesellschaftliches Verhältnis, es steht in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Erziehung hat zum Beispiel gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen.

  • Regeneration: Gesellschaft braucht Erziehung für den Bestand und die Weiterentwicklung. Die Erziehung. Ist eine regenerative Tätiigkeit. Es geht jedoch nicht nur um die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen, sondern auch um das Weiterentwickeln, also das Neubilden von Wissen und Erfahrungen.

  • Intergeneratives Verhältnis: Erziehung findet zwischen den Generationen statt. Die Ältere Generation wirkt auf die jüngere, die erwachsenen Generation wirkt auf die heranwachsende. Das Verhältnis unterliegt gesellschaftlichen und politischen

    Voraussetzung, es besteht eine Machtkonstellation. Abseits davon findet Erziehung auch innerhalb einer Generation statt oder umgekehrt nach oben an die ältere Generation, diese Aspekte werden hier jedoch nicht zur grundständigen Erziehung gezählt.

  • Mediation Individuum und Gesellschaft: Erziehung ist eine Gratwanderung

    zwischen kindlichen Entwicklungsbedürfnissen und den gesellschaftlichen

    Anforderungen. Daraus resultieren zwei Grundauffassungen.

    • Das technizistische Erziehungsverständnis: Der Mensch ist durch Erziehung beliebig formbar. Deshalb kann Erziehung die Entwicklung nach einem bestimmten Zweck problemlos steuern.

    • Das naturalistische Erziehungsverständnis: Im Menschen sind bereits Anlagen vorhanden, die erst durch die Erziehung freigesetzt werden. Potenzial wir durch Erziehung entfaltet.

    • Kritisches Erziehungsverständnis: Diese beiden Positionen werden der Realität nicht gerecht, Erziehung ist nicht nur Formung oder Freilegung, sondern die Vermittlung zwischen Heranwachsenden und Gesellschaft. Entwicklungspotenziale werden mit gesellschaftlichen Anforderungen verknüpft. Mediation zwischen Individuum und Gesellschaft.

  • Intentionalität: Erziehung leitet den Entwicklungsprozess des heranwachsenden

    Menschen ein und begleitet ihn. Sie ist zielgerichtet, bewusst, und intentional.

    Erziehung ist im Rahmen der Gesellschaft immer mit einem Zweck verknüpft. Das

    zweckgerichtete Handeln stellt die Frage: „Was soll durch die Erziehung bewirkt

    werden?“

  • Erziehung und pädagogisch legitimierter Zwang: Erziehung zielt zwar auf die Emanzipation ab, ist jedoch mit Zwängen verknüpft. Sie ist ein Formungsprozess, der notwendigerweise Zwänge enthält, die eine schützende Funktion haben sollen. Von Entwicklungsgefährdungen, Selbstgefährdungen und Sozialisationsrisiken wird das Kind ferngehalten. Es erfolgt eine Fremdbestimmung, da es noch nicht zu einer Selbstbestimmung in der Lage ist.

  • Integration und Mündigkeit: Erziehung fördert die Integration des Kindes und ist zugleich auf seine Mündigkeit angelegt. Sie unterliegt gesellschaftlichen Zwängen, ist aber zugleich auf Autonomie ausgelegt. Vor allem zu Beginn ist das Kind auf Zwang und Fremdbestimmung angewiesen.

Erziehungsstile:

  • Generell: Um ein funktionierendes Verhältnis zwischen Integration und Mündigkeit zu gewährleisten, muss man die Frage nach der Gestaltung der Erziehung stellen. Hier kommen die Erziehungsstile ins Spiel, die verschiedenes erzieherisches Verhalten darstellen. Es sind also Einstellungen, Handlungsweisen und Ausdrucksformen, die die Interaktion von Kind und Elternteil kennzeichnen.

  • 1. Autoritärer Erziehungsstil: Hier geht es um die Befolgung von Regeln und Normen. Die elterliche Autorität wird durchgesetzt. Es herrscht ein kaltes Klima, in dem sogar physische Gewalt zur Geltung kommen kann. Die Subjekthaftigkeit des Kindes wird nicht behandelt.

  • 2. Autoritativer Erziehungsstil: Auch hier stehen die Anforderungen im Vordergrund, die die Eltern an ihre Kinder stellen. Mit dem Unterschied, dass diese Anforderungen hier gegenüber den Kindern begründet werden. Sie werden nicht einfach durchgesetzt, sondern erklärt. Es geht hier nicht so sehr um Kontrolle, sondern um das Fördern von Autonomie und Kommunikation.

  • 3. Partnerschaftlich-demokratischer Erziehungsstil: Das Kind wird in den Erziehungsprozess mit einbezogen. Es geht primär um die Interessen und Bedürfnisse der Kinder. Die Erziehungsmaßnahmen werden dementsprechend auch immer begründet, anstatt einfach durchgesetzt zu werden.

  • 4. Antiautoritärer Erziehungsstil: Hier geht es um die Selbstregulation der Kinder. Das Kind erschließt sich die Welt selbst. Das Kind soll lernen mit seinen Trieben und Bedürfnissen und auch mit den gesellschaftlichen Anforderungen umzugehen. Dies bedarf jedoch pädagogische Anleitung und Unterstützung durch Eltern.

  • 5. Permissiver Erziehungsstil: Dies ist eigentlich kein richtiger Erziehungsstil. Erziehungseingriffe werden als schädlich für die Entwicklung der Kinder gewertet. Jegliche pädagogischen Einflüsse sollen verhindert werden.

  • Abschließend: Diese verschiedenen Formen liegen normalerweise nicht isoliert vor, sondern werden miteinander vermischt. Welcher Stil angemessen ist, ist nicht leicht zu beantworten, da das Ziel einer emanzipativen Subjektwerdung von vielfältigen Bedingungen abhängt. Man muss bei der Wahl des Erziehungsstil unter anderem auch das Alter, den Entwicklungsstand, das soziale Umfeld, die konkreten Sozialisationserfahrungen und die vorhandenen Handlungsressourcen beachten. Ein Kleinkind könnte mit einem besonders freien Erziehungsstil überfordert sein, während gewaltbereite Kinder ggf. Einschränkungen benötigen.

Differenzen zwischen Erziehung und Bildung:

  • 1. Subjektstatus/Objektstatus: Bei der Erziehung hat das Kind einen Objektstatus. Pädagogische und erzieherische Maßnahmen werden von außen auf das Kind gewirkt. Bildung ist hingegen auf die Mitbeteiligung des Subjekts angewiesen. Es herrscht ein Subjektstatus.

  • 2. Grundtendenz: Erziehung beschäftigt sich mit der Integration. Es geht nicht über die Eingliederung des Kindes hinaus. Bildung mag im Sinne der Reproduktion ähnliche Tendenzen haben, geht jedoch über diesen Aspekt hinaus, da es um das selbstbestimmte Handeln geht. Bildung beschäftigt sich mit der Gestaltung der eigenen Lebensumstände.

  • 3. Verhältnis zur Tradition: Erziehung zielt auf die Übernahme von Werten, Normen und Standards einer Gesellschaft. Das Kind soll diese Aspekte kennenlernen und einüben, es soll akzeptieren und bejahen. Bildung hingegen kann eine kritische Perspektive schaffen. Es geht um das Hinterfragen und sich eine Meinung bilden.

  • 4. Angesprochenes Subjektvermögen: Erziehung bezieht sich auf vorbewusste Vorgänge. Reflexionsfähigkeit und Rationalität sind noch nicht vorhanden. Bildung ist eng an das Bewusstsein geknüpft, setzt also genau diese beiden Aspekte frei.

  • 5. Lebensphasenspezifische Wirksamkeit: Erziehung ist so lange vorrangig, solange das Kind noch nicht selbst für sein Handeln verantwortlich ist. Erziehung ist also in der frühen Entwicklung besonders dominant. In späteren Entwicklungsphasen wird dann die Bildung vorrangig, da es um eigenverantwortliches Handeln geht.

Der klassische Bildungsbegriff:

  • Allgemein: Aus der Kombination von neuhumanistischen und aufklärungspädagogischen Elementen formt sich der klassische Bildungsbegriff. Der Begriff ist die Antwort auf die Freisetzung des Menschen aus verbindlichen Traditionen und die Antwort auf die Probleme und Möglichkeiten des Modernisierungsprozesses.

Charakteristika:

  • 1. Bildung ist die Befähigung des Individuums zur Selbstbestimmung. Es ist die Emanzipation weg von der Fremdbestimmung. Von der selbstverschuldeten Unmündigkeit hin zur Mündigkeit.

  • 2. Bildung ist ein selbsttätiger Prozess. Sie geht nicht von den Erwachsenen aus, sondern sie setzt die Eigenaktivität des zu Bildenden voraus. Bildung braucht auch Bildungsbereitschaft, sie kann nicht von außen erzwungen werden.

  • 3. Bildung ist auch durch seine Inhalte bestimmt. Eine vernünftige Selbstbestimmung kann nicht allein aus sich selbst gewonnen werden, sondern nur in der Auseinandersetzung mit den zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften der Menschen.

  • 4. Bildung ist die Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft. Auch hier kann das Individuum nicht aus sich selbst herausgebildet werden, sondern nur in der Kommunikation, im Dialog mit anderen. Es sind gemeinsame Lernprozesse.

  • 5. Bildung zielt auf die Entfaltung aller Kräfte und Subjektvermögen des Menschen. Sie ist immer umfassende Menschenbildung. Intellektuell, moralisch, ästhetisch, alles inbegriffen. Ebenso die Herausbildung praktisch-werktätigen Fähigkeiten, die man aus dem utilitaristischen Bildungsprinzip kennt.

  • 6. Bildung ist Bildung für alle. Sie darf nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt sein, sondern muss für alle frei zugänglich sein.

Emazipative Bildung aus der Sicht einer kritischen Bildungstheorie (Mit Charakteristika):

  • Allgemein: Bildung verkommt immer mehr zur Ware für das Erreichen gesellschaftlicher Positionen. Sie hat einen gesellschaftlichen Zweck, der Mensch steht nicht mehr im Zentrum der Bildung. Die Bildung sollte jedoch der Veredelung des Menschen dienen, also über das utilitaristische Prinzip hinaus. Man spricht leider nur noch Bildungsökonomie, dass oberflächliche Aneignen von Wissen mit dem Ziel Qualifikationen zu erreichen. Die kritische Bildungstheorie kritisiert diesen Zustand und formuliert Strukturmerkmale einer kritisch-emanzipativen Bildung.

Charakteristika:

  • 1. Humane Kultivierung: Der Alltagsverstand ist unkultiviert. Der Mensch muss einen Kultivierungsprozess durchlaufen. Bildung ist ein humaner Kultivierungsprozess der menschlichen Natur. Diese ist human, weil der Mensch seine eigensinnige Subjektivität nicht aufgeben muss. Umwandlung von Natur in Kultur. Die Natur lebt dabei im Menschen fort.

  • 2. Freisetzung des intellektuellen Subjektvermögens: Sie ist Selbstermächtigung, also die Befähigung die Organisation seiner Lebensverhältnisse selbst in die Hände zu nehmen. Das Subjektvermögen wird freigesetzt.

  • 3. Aktiver Prozess der Bewusstseinserweiterung: Es ist kein Aneignen, sondern eine Zueignung. Es ist die selbstständige, reflektierende Verarbeitung gesellschaftlicher Wissensbestände, die Überführung von Kenntnissen in das innere.

  • 4. Tiefgreifende Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten: Gebildet sein heißt nicht, viele Daten, Informationen und Fakten zu kennen. Bildung braucht eine tiefgreifende Auseinandersetzung. Sie muss provozieren, sie muss irritieren. Die Menschen setzen sich mit nicht vertrauten Sachverhalten auseinander und ihren Strukturen und Bedeutungsinhalten. Die Irritationen regen zum Weiterdenken an.

  • 5. Erfahrung in Erkenntnis verwandeln: Bildung ist nicht die Anhäufung von Erfahrungen, sondern das Verarbeiten, Strukturieren und Reflektieren von Erfahrungen. So wird Erfahrung zu Erkenntnis.

  • 6. Unzeitgemäß und Nonkonform: Wenn Bildung die Auseinandersetzung des Kindes mit der Welt ist, darf sie nicht zeitgemäß und konform sein. Nur so entsteht die nötige Distanz zum gesellschaftlichen Alltagsleben. Das Einbeziehen aktueller Anforderungen lässt die Bildung zu funktionalistisch werden. Sie darf nicht zu lebensnah sein, sie muss unzeitgemäß und nonkonform sein.

Pädagogisches Handeln (Mit Charakteristika):

  • Allgemein: Erzieherisches Handeln hat immer objektive und subjektive Aspekte. Die Handlungen sind ständiger Reflexion unterworfen, sie brauchen Korrekturen und müssen sorgfältig geplant werden. Das Feld des pädagogischen Handelns äußert sich in der Erziehung und Bildung.

Strukturmerkmale:

  • 1. Pädagogisches Handeln ist eine aktive zielgerichtete Tätigkeit. Sie beruht also notwendigerweise auf Bewusstsein.

  • 2. Handeln kann gegenständlicher Natur sein, sich also auf Material beziehen oder aber sozialer Natur. Pädagogisches Handeln ist Handeln sozialer Natur, also der Umgang mit Menschen.

  • 3. Pädagogisches Handeln hat die Bedingung einer pädagogischen Konstellation, ein Gefälle zwischen den in ihr handelnden Personen. Es wird geführt, angeleitet oder unterstützt.

  • 4. Pädagogisches Handeln ist auf die Mündigkeit bzw. Autonomie hin orientiert. Es hat den Zweck, sich selbst überflüssig zu machen und die pädagogische Konstellation aufzulösen. Die Mündigkeit ist jedoch nie abgeschlossen, man spricht von einem prozessbezogenen Mündigkeitsbegriff, kein statischer Mündigkeitsbegriff. Die Gesellschaft erschwert mündiges handeln und bedroht die Mündigkeit des Subjekts. Die Mündigkeit muss also beständig abgesichert, erneuert und wieder hergestellt werden.

  • 5. Pädagogisches Handeln ist theoriegeleitet. Sie setzt eine Reflexion und Distanz zum Alltagshandeln voraus. Die Theorie wird mit der Praxis verbunden. Gleichzeitig gibt es keine allgemeingültige Theorie, da jede Bildungs- und Erziehungssituation besonders und einmalig ist. Theorie ist der Kompass für die Praxis.

Der befreiungspädagogische Ansatz nach Paulo Freires:

Befreiungspädagogik: Die Befreiungspädagogik stammt aus der dritten Welt. Die Gesellschaften wurden durch den Kolonialismus und den Imperialismus ihrer politischen und kulturellen Souveränität beraubt. Der Ausgangspunkt liegt also in der gesellschaftlichen Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen. Die Bildungs- und Erziehungsarbeit erfolgt an den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen. Die Verbesserung dieser Verhältnisse und die Selbstbefreiung der Menschen ist Ziel dieser Pädagogik.

Analyse der Bildungsverhältnisse. Kultur des Schweigens und kulturelle Invasion:

Um Freires Ansatz zu verstehen, muss man die gesellschaftliche Situation betrachten, in der er entwickelt wurde. Brasilien war auf dem Weg von einer geschlossenen zu einer offenen Gesellschaft. Geschlossen heißt, ihr Schicksal wird zum großen Teil von außen bestimmt, sie ist abhängig, zum Beispiel ökonomisch. Es gibt keine oder kaum Partizipation des Volkes am politischen und gesellschaftlichen Leben. Das Volk kann sich nicht frei kulturell entfalten. Es findet eine kulturelle Enteignung statt.

Kultur des Schweigens: Diese Verhältnisse sorgten für eine Kultur des Schweigens, die Menschen können nicht selbst über ihre eigene Entwicklung bestimmen, sie schweigen. Sie sind nicht fähig, ihre eigenen Lebensverhältnisse zu gestalten. Sie verlieren das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, dass fehlende Selbstvertrauen wird Teil der Identität. Die Kultur des Schweigens ist dadurch tief in den Menschen verankert und nur schwer zu überwinden, da die Menschen in ewiger Abhängigkeit und Armut gefangen sind.

Kulturelle Invasion: Die dominante Gesellschaftsgruppe übermittelt Mythen an die abhängige Bevölkerung. Dadurch wir die lohnabhängige Bevölkerung in ihrer Situation gehalten, ihnen wird suggeriert, dass es eine gottgewollte natürliche Ungleichheit gibt. Sie wären nicht kompetent genug, ihre eigenen Lebensverhältnisse zu regeln. Die Bevölkerung beginnt diese Mythen zu glauben und werden Komplizen ihrer eigenen Unterdrückung. Sie werden selbst zu dem, zu dem sie von anderen gemacht werden sollen. Sie beginnen sich fast schon vor der Freiheit zu fürchten, die Meinung der dominanten Gesellschaftsgruppe wird internalisiert und es findet eine Selbsterniedrigung statt, mit all ihren negativen Folgen.

Kulturimperialistische Erziehung und Bildung: Zielt darauf ab, das Handeln und Denken der Menschen zu domestizieren. Die lohnabhängige Bevölkerung wird klein gehalten. Es findet eine Depositäre Erziehung statt, man spricht vom Bankier-Konzept oder von Container-Bildung. Die Bildung ist hier eine Spareinlage. Der Lehrer ist der Anleger, der Schüler ein Sparbuch. Die Wissensinhalte werden abgelegt, wie in einen Container. Je mehr Inhalte, desto besser sei das schulische Lernen, es wird mechanisch auswendig gelernt. Der Mensch ist demnach kein aktiver Lerner, sondern nur passiver Zuschauer.

Die Antrhroppologische FGrundlage des befreungspädagogischen Bildungsmodells:

1. Der Mensch ist zur Humanisierung bestimmt: Die Menschen leben in einer enthumanisierten Welt, voll von Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung. Die Kernaussage Freires lautet, dass der Mensch zur Humanisierung berufen ist. Die menschlichen Lebensbeziehungen sollen zur vollen Menschlichkeit geführt werden, die menschliche Natur humanisiert. Die Enthumanisierung muss überwunden werden.

2. Der Mensch ist ein Praxis-Wesen: Das Nachdenken des Menschen über seine Welt kann nicht vom Handeln in der Welt getrennt werden. Es geht um Aktion und Reflexion.

3. Der Mensch ist ein Grenz-Wesen: Der Mensch ist nicht auf eine Sache spezialisiert, in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt kann er sich weiterentwickeln und Grenzen überschreiten. Er besitzt ein vielfältiges Potenzial.

4. Der Mensch ist ein Dialog-Wesen: Er ist auf zwischenmenschliche Kommunikation angewiesen, um seine Welt zu erschließen. Ohne, kann er seine Welt weder erschließen, noch verändern.

5. Der Mensch ist ein mit Bewusstsein ausgestattetes Wesen: Das Bewusstsein empfängt nicht einfach nur Informationen aus der Umwelt, es ist selbsttätig. Es setzt sich sowohl mit seiner Umwelt auseinander als auch mit sich selbst. Der Mensch kann sein eigenes Wahrnehmen und Denken zum Gegenstand selbst machen.

6. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind dem Menschen bewusst. Er besitzt eine Geschichtlichkeit. Geschichte ist ein Raum, der von Menschen gestaltet wird. Sie ist die Möglichkeit einer Gesellschaftsveränderung.

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Jana V.

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