Was ist Entwicklungspsychologie?
• Psychologie = Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen
• Empirische Wissenschaft: prüft Theorien und daraus resultierende Hypothesen durch wissenschaftliche Methoden
→Abgrenzung zur „Alltagspsychologie“
• Entwicklung bezieht sich auf relativ überdauernde intraindividuelle Veränderungen des Erlebens und Verhaltens über die Zeit hinweg (nicht kurzfristige Befindlichkeitsveränderungen) (Trautner, 1992)
• Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit intraindividuellen Veränderungen des Verhaltens und Erlebens über die menschliche Lebensspanne (von der Geburt bis zum Tod) sowie mit interindividuellen Unterschieden der intraindividuellen Veränderungen (Wilkening et al., 2009)
• Entwicklung als lebenslanger Prozess
d.h., Entwicklung endet nicht im frühen Erwachsenenalter. Entwicklung enthält über die gesamte Lebensspanne gleichzeitig Gewinn (Wachstum) und Verlust (Abbau)
Motoren der Entwicklung
• Reifung: Genetisch gesteuerte Ausbildung physiologischer, motorischer oder psychischer Strukturen
– Erfahrung nicht als kritischer Aspekt.
– Aber: Auch Genaktivität ist erfahrungssensibel (->Epigenetik)
• Lernen: Relativ überdauernde Verhaltensänderung aufgrund von Erfahrung und Übung.
- Aber: auch Lernen (bzw. Lernpotential) hat eine genetische Basis...
• Sozialisation: Lernvorgänge, die das Individuum zum Mitglied einer Gesellschaft werden lassen
– was ist die Rolle von Individuum, was die des (sozialen, ökologischen, etc.) Kontextes? Wie wirken Sie zusammen?
–> Allgemeines Entwicklungstheorem“: Entwicklung als Zusammenwirken von Anlage, Umwelt und aktivem Individuum
Geschichtliches: Sichten auf das Wesen des Kindes und Entwicklungsmechanismen
Beginn der erfahrungswissenschaftlichen Entwicklungspsychologie
Charles Darwin (1809-1882)
• Ursprung der Arten (1859) =>Wie ist Artenvielfalt möglich?
• Adaptation an die jeweilige Umwelt
• Natürliche Selektion
–> empirisch prüfbare Hypothesen über die Entwicklung der Arten.
• 1877, systematische Tagebuchaufzeichnung der frühkindlichen Entwicklung seines Sohnes.
• Evolutionstheorie => systematisches Studium der kindlichen Entwicklung als Methode zur Gewinnung von Erkenntnis über die Spezies Mensch
–> Idee, dass Ontogenese die Phylogenese widerspiegelt ist heute nicht mehr haltbar, jedoch Ausgangspunkt systematischer entwicklungspsychologischer Forschung
Deskriptiv-normativer Ansatz
Stanley Hall (1846 – 1924), Arnold Gesell (1880 – 1961)
Aufbauend auf Evolutionstheorie Theorien zu Kindheit und Adoleszenz
Reifung als zentraler Mechanismus
Normative Informationen zu vielen Aspekten des Entwicklungsprozesses
Alfred Binet (1857-1955)
Mitbegründer des psychometrischen Ansatzes Praktisches Problem: Identifikation von Kindern mit Lernschwierigkeiten
Entwicklung von Intelligenztests, Testbewegung
In der Folge zunehmendes Interesse an interindividuellen Unterschieden
Theorien der Entwicklungspsychologie
Klassische Theorien der Denkentwicklung: Piaget‘s Stadientheorie
• Erste umfassende kognitive Theorie der Entwicklung
• Stufentheorie: vorhergehende Stufen bilden notwendige Basis für weitere Entwicklung
• Kognitivistisch-konstruktivistischer Ansatz:
Das sich entwickelnde Individuum
− ist aktiv
− konstruiert Wissen als Reaktion auf Erfahrungen
− ist intrinsisch zum Lernen motiviert
Psychoanalytische Entwicklungstheorie nach Sigmund Freud (1856-1939)
Grundinteresse
Grundinteresse: Ursprung psychischer Störungen
Grundthese: Stadienansatz
–> In verschiedenen Entwicklungsstadien müssen Konflikte zwischen
Trieben und Umwelterwartungen aufgelöst werden
Die Qualität der Bewältigung als Grundlage weiterer Entwicklung.
Ausgangszustand: biologische Instinkte (Überlebens- und aggressive Instinkte)
Hydraulikmodell des psychischen Energiehaushalts
Triebziel: Wiederherstellung des seelischen und physiologischen Gleichgewichts.
–> Kritische Würdigung: Zentrale Annahmen kaum prüfbar; hat aber nachfolgende Ansätze inspiriert –> heuristischer Wert
Klassische Theorien sozialer Entwicklung: Eriksons psychosoziale Entwicklungstheorie
Identität als Fokus der Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter
Modifikation der Freud‘schen Stadientheorie durch soziale Faktoren
Auf jeder der acht Stufen grundlegender Konflikt; gesunde oder schlechte Anpassung, Aufbau von Selbstkonsistenz
Integrationsleistung
Moratorium: Aufschub erwachsener Verpflichtungen
Entwicklung findet immer in kulturellen Kontexten statt; muss aus jeweiliger Lebenssituation heraus verstanden werden
Klassische Theorien sozialer Entwicklung: Havighurst‘s Konzeption der Entwicklungsaufgaben
Konzept der Entwicklungsaufgabe
In unterschiedlichen Lebensabschnitten je unterschiedliche Aufgaben
Erfolgreiche Bewältigung: Glück, Erfolg; bei Nichtgelingen: unglücklich, Ablehnung durch Gesellschaft
Quellen der Entwicklungsaufgaben
− Physische Reife / indiv. Leistungsfähigkeit
− Kultureller Druck / soziokulturelle Normen
− Individuelle Zielsetzung
Lebenslanges Überwinden von Problemen; Individuum aktiver Gestalter
Bindungstheorie nach John Bowlby (1907-1990) und Mary Ainsworth (1913-1999)
Grundinteresse: Entstehung der Beziehung zwischen Mutter und Kind und deren Auswirkung auf die sozioemotionale Entwicklung. Modern erweitert: Aufbau und Entwicklung enger sozialer Beziehungen über die Lebensspanne.
Ausgangszustand: Bindungssystem als angeborenes Verhaltenssystem
Grundthese:
– Ursprünglich aufbauend auf psychoanalytischer Theorie
- systemischer Ansatz: Auffälligkeiten im Verhalten wurzeln in einer gestörten Eltern-Kind Beziehung
– unterschiedliche Bindungsqualitäten lassen sich empirisch erfassen und Zusammenhänge prüfen
Die kognitive Wende - Informationsverarbeitungsansätze
• Vor allem ab Mitte der 1980er Jahre
• „Öffnung“ der „Black Box“ des Behaviorismus
• Das Individuum als aktiver Verarbeiter von Information–> Das Kind als aktiver Gestalter seiner Entwicklung
Computermetapher
• Fragen:
− Welche Informationsverarbeitungsmechanismen bestimmen kognitive Leistungen?
− Wie bilden Kinder Konzepte?
− Soziale Kognition: Wie verstehen sie die soziale Welt?
Klassische Theorien kognitiver Entwicklung: Vygotsky: Soziokulturelle Entwicklungstheorie
• Kinder sind soziale Wesen, Teilnahme an Aktivitäten mit anderen, gelenkte Partizipation
• Personen gestalten Situationen so, dass andere Menschen mit geringeren Kenntnissen etwas lernen können –> Lernen als Nebenprodukt gemeinsamer Aktivitäten
• Soziale Interaktion als Kerngeschehen, in dem Formen des Denkens und Verhaltens angeeignet werden
• Kognitive Entwicklung als gesellschaftlich vermittelter Prozess
• Denken = verinnerlichter Dialog mit Anderen
–> verbale Eigeninstruktion bei Aufgaben
Übergreifende Ansätze:
Ökologische Systemtheorie nach Bronfenbrenner
• Person entwickelt sich in komplexem System von Beziehungen
–> Umwelt als Reihe verschachtelter Strukturen
• Differenzierte und vollständige Beschreibung von Umwelteinflüssen
− Mikrosystem
− Mesosystem
− Exosystem
− Makrosystem
− Chronosystem
• Ökologische Übergange: Entwicklungsveränderungen, die zu Verschiebungen des Kontextes führen–> dynamisch
Theorie dynamischer System (Thelen & Smith, 1994)
• Ursprünglich aus der Physik: Theorie zur Erklärung des Verhaltens komplexer Systeme
Grundannahmen:
• Intrinsische Motivation zu entdecken und zu handeln
• Interesse an sozialer Umwelt als entscheidender Entwicklungsfaktor
Wissenschaftliche Methode
Beobachtungsmethoden
Prüfung von Zusammenhangshypothesen
Fragestellung:
− Besteht ein Zusammenhang zwischen zwei (oder mehr) Variablen?
Korrelation:
− Zusammenhang zwischen zwei Variablen
Korrelationskoeffizient:
− Statistisches Maß für die Richtung und Stärke einer Korrelation
− Die Korrelation kann zwischen +1 bis -1 variieren
Aussagen über Ursache und Wirkung
Logik experimenteller Designs:
2 oder mehrere Gruppen von Untersuchungsteilnehmern, die hinsichtlich ihrer Ausgangsbedingungen vergleichbar sind
–>Die Teilnehmer in jeder Untersuchungsgruppe werden Bedingungen ausgesetzt, die sich von den Bedingungen der anderen Gruppe nur in dem interessierenden Aspekt (unabhängige Variable) unterscheiden (Experimental- vs. Kontrollgruppe).
–> Die Probanden in den Gruppen unterscheiden sich nach Darbietung der jeweiligen Bedingung in der interessierenden Variable (abhängige Variable)
–> Die unterschiedlichen Bedingungen müssen die nachfolgenden Verhaltensunterschiede verursacht haben
Korrelations- vs. Experimentaldesigns
Untersuchungsdesigns zur Abbildung von Veränderungen über die Zeit
Designs
Querschnittdesign
Kinder unterschiedlichen Alters werden zu einem Messzeitpunkt verglichen
Längsschnittdesign
Dieselben Kinder werden über längere Zeit hinweg zweimal oder mehrmals untersucht
Kohortensequenzdesign
Kombination von quer und Längsschnitt
Mikrogenetisches Design:
Intensive wiederholte Beobachtung der gleichen Kinder in einem relativ kurzen Zeitabschnitt, in dem der Eintritt der interessierenden Veränderung zu erwarten ist.
Vor- und Nachteile von Quer- und Längsschnittdesigns
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