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by Fehr Q.

Diabetes mellitus : Abstract ?



Mit Diabetes mellitus bezeichnet man eine Gruppe metabolischer Erkrankungen, deren gemeinsames Kennzeichen eine Erhöhung der Glucose im Blut (Hyperglykämie) ist.


Die beiden wichtigsten Vertreter der Gruppe sind Diabetes mellitus Typ 1 und 2.


Bei Ersterem kommt es durch eine autoimmune Reaktion zur Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse.


Der häufigere Diabetes mellitus Typ 2 hat sowohl eine starke genetische Komponente als auch eine wesentliche Assoziation mit Überernährung.


Eine gestörte Wirkung des Insulins an den Körperzellen (Insulinresistenz) und eine (zunächst kompensatorisch erhöhte und im Verlauf) verminderte Insulinsekretion der Betazellen führen hier zur Hyperglykämie.


Dieser Diabetes-Typ bleibt fatalerweise häufig über viele Jahre klinisch inapparent, führt aber bereits durch die pathologische Stoffwechsellage über Mikro- und Makroangiopathien zu schwerwiegenden Organschädigungen insb. von Herz, Kreislauf, Nieren, Augen und Nervensystem.


Therapeutisch müssen weitere Risikofaktoren (wie bspw. eine arterielle Hypertonie) behandelt und zudem der Versuch unternommen werden, den Glucosestoffwechsel möglichst zu normalisieren.


Theoretisch wären bei Typ-2-Diabetikern oftmals eine Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung ausreichend, um eine Manifestation und das Voranschreiten der Erkrankung zu verhindern.


Leider gelingt dies nur äußerst selten, sodass zur Blutzuckerkontrolle (neben diätetischen Anweisungen) zunächst orale Antidiabetika und bei Sekundärversagen Insulininjektionen erforderlich werden.


Beim Typ-1-Diabetes ist dagegen direkt der Ausgleich des absoluten Insulinmangels durch mahlzeitengesteuerte Insulingaben notwendig, die der kohlenhydratdefinierten Nahrungsaufnahme (keine Diät!) entsprechen.


Eine intensive Patientenschulung ist erforderlich, um lebensgefährliche Hypo- und Hyperglykämien zu vermeiden und dem Ziel einer normoglykämischen Stoffwechsellage nahezukommen.

Diabetes mellitus : Pathophysiologie ?

Pathophysiologie

Insulin

  • Sekretion: Mehrschrittiger Prozess

    • Spaltung des Polypeptids Proinsulin → Entstehung von Insulin (physiologisch wirksam) und dem nicht stoffwechselaktiven C-Peptid (Connecting Peptide) → Sekretion ins Blut

  • Wirkung: Vielfältig, physiologische Ziele sind die Schaffung von Energiereserven, die Verminderung der Serumglucose-Konzentration und die Versorgung der Gewebe mit Glucose

    • Kohlenhydratstoffwechsel: Insulin ist das einzige blutzuckersenkende Hormon (antiglykämischer Effekt)

    • Lipidstoffwechsel: Insulin hält das Fett in den Depots (antilipolytischer bzw. antiketogener Effekt)

    • Proteinstoffwechsel: Stimulation der Proteinsynthese (Anabolie)

    • Elektrolythaushalt: Verschiebung von Kalium in den Intrazellulärraum


Diabetes mellitus Typ 1

  • Meist autoimmun

    • Progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhans-Inseln des Pankreas → Absoluter Insulinmangel → Bei Zerstörung von 80% der Betazellen: Anstieg des Blutzuckers

Diabetes mellitus Typ 2

Mehrere Faktoren spielen bei der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes eine Rolle:

  • Periphere Insulinresistenz mit starker genetischer Prädisposition, zusätzlich verstärkt durch Adipositas

    • Insulinabhängige Versorgung von Muskel- und Fettzellen mit Glucose vermindert

    • Zusätzlich Förderung der Hyperglykämie bedingt durch den Wegfall der insulinvermittelten hemmenden Wirkung auf Glykogenolyse und Gluconeogenese in der Leber

  • Pankreas

    • Abnorm verminderte Insulinsekretion (insb. postprandial)

Langfristige Folgen

  • Mikroangiopathie (bei allen Formen): Nach ca. 5–10 Jahren hyperglykämischer Stoffwechsellage

    • Folgeschäden: Nephropathie, Retinopathie und Neuropathie

  • Makroangiopathie (vermehrt bei Typ 2): Beim Myokardinfarkt bspw. besteht aufgrund des metabolischen Syndroms eine komplexe Pathogenese.


Diabetes mellitus : Diagnosesicherung Diabetes mellitus ?

Diagnosesicherung Diabetes mellitus

  • Klinische Chemie: Pathologischer Nüchternblutzucker (nach 8 h Nahrungskarenz)

Bestimmung aus venösem Blutplasma

Diabetes mellitus

„Prädiabetes“

Gesund

Glucose in mg/dL (nüchtern)

≥126 (≥7,0 mmol/L)

100–125 (5,6–6,9 mmol/L) = Abnorme Nüchternglucose

<100 (<5,6 mmol/L)

HbA1c in %

≥6,5 (≥48 mmol/mol Hb)

5,7–6,4 (39–47 mmol/mol Hb)

<5,7 (<39 mmol/mol Hb)

2-h-Wert des oGTT* in mg/dL

≥200 (≥11,1 mmol/L)

140–199 (7,8–11,0 mmol/L) = Pathologische Glucosetoleranz

<140 (<7,8 mmol/L)

* oGTT = oraler Glucosetoleranztest : Wird nicht in der klinischen Routine, sondern nur bei unklarer Diagnose angewendet. Kann aber auch zum Ausschluss einer gestörten Glucosetoleranz durchgeführt werden. Die Bestimmung des HbA1c-Gehalts im Blut ist dafür ungeeignet, da dieser noch lange normal bleiben kann.


Weitere allgemeine Untersuchungen

  • Urin

    • Albuminurie Grad A2 als Frühzeichen der diabetischen Nephropathie

    • Glucosurie

      • Die normale Nierenschwelle liegt bei 150–180 mg/dL Glucose im Blut, d.h. die Rückresorptionsmechanismen der Niere sind vollständig ausgelastet

      • Bei höheren Blutglucosewerten kommt es zur Glucosurie

      • Die Bestimmung der Glucose im Urin ist jedoch zur Diagnosesicherung nicht geeignet

  • Spezifische Autoantikörpertestung bei Diabetes mellitus Typ 1

    • Indikation: Nicht routinemäßig zu bestimmen, nur bei unklarer Diagnose bzw. zur Differenzierung zwischen Typ-2-Diabetes und Sonderformen des Typ-1-Diabetes (insb. LADA)

    • Antikörper

      • GAD65-AK (gegen Glutamatdecarboxylase, GAD65A)

      • IA-2-AK (gegen Tyrosinphosphatase 2)

      • Zytoplasmatische Inselzell-AK (gegen Ganglioside, ICA)

      • Insulin-Autoantikörper (IAA)

      • Zink-T8-AK: Autoantikörper gegen den Zinktransporter 8 (ZnT8)

  • C-Peptid-Bestimmung: C-Peptid↓ beim Typ-1-Diabetes, da ein absoluter Insulinmangel besteht (siehe auch: Pathophysiologie)

Diabetes mellitus - Ambulante Verlaufskontrollen (bei stabiler Stoffwechsellage)

  • Regelmäßige Kontrolle nach eigenem Ermessen

    • Diabetesschulungen des Patienten sind unerlässlich!

    • Vorbeugung einer Depression: In den Leitlinien zu Diabetes mellitus wird explizit darauf hingewiesen, dass auf eine depressive Stimmung geachtet und bei Anzeichen dafür eine weitere Abklärung eingeleitet werden sollte

  • Kontrollen alle 3–6 Monate

    • Blut: Nüchternblutzucker und HbA1c-Messung als "Blutzuckergedächtnis der letzten acht Wochen"

  • Kontrollen 1× im Jahr

    • Parameter des metabolischen Syndroms kontrollieren

    • Kardiovaskuläre Vorsorgeuntersuchungen zur Vorbeugung arteriosklerotischer Komplikationen

    • Vorbeugung des diabetischen Fußsyndroms: Untersuchung der Füße (Inspektion, Fußpulse, Stimmgabeltest)

      • Tragen von weichem Schuhwerk zur Vermeidung von Verletzungen und medizinische Fußpflege empfehlen, ggf. verordnen

    • Vorbeugung der diabetischen Nephropathie

      • Kontrolle GFR, Nierenretentionsparameter (Kreatinin), Elektrolyte im Blut

      • Urintest auf Albuminurie Grad A2 und Urinstatus

    • Vorbeugung der diabetischen Retinopathie: Untersuchung des Augenhintergrundes

Alle Patienten mit Diabetes mellitus sollen bei Einleitung einer medikamentösen Therapie eine spezifische Schulung erhalten. (DGIM - Klug entscheiden in der Endokrinologie)

Diabetes mellitus : (Therapie) Therapieziele und Ernährung ?

(Therapie) Therapieziele und Ernährung

Therapieziele

Allgemeine Empfehlungen

  • Lebensstil: Insb. werden körperliche Aktivität und Tabakentwöhnung empfohlen

    • Körperliche Bewegung führt zu Blutzuckerspiegel↓ und Insulinempfindlichkeit↑

  • Körpergewicht

  • Blutzucker

  • Blutdruck

  • Lipidstatus

Ernährung

  • Typ-1-Diabetiker: Im Vordergrund steht die optimale Abstimmung von Kohlenhydrataufnahme (durch die Nahrung) und Insulinzufuhr

  • Typ-2-Diabetiker: Eine Gewichtsnormalisierung (durch energiereduzierte Kost, körperliche Aktivität) kann die Manifestation des Diabetes mellitus Typ 2 verhindern oder zumindest verzögern

  • Empfehlungen

    • Häufige kleine Mahlzeiten

    • Zusammensetzung der Nahrung: ca. 55% Kohlenhydrate, ca. 25% Fette, ca. 15–20% Eiweiße

      • Erhöhung des Anteils langsam resorbierbarer Kohlenhydrate und Reduktion der Aufnahme einfacher Zucker wie Glucose und Saccharose

      • Keine Diabetiker- oder Diätprodukte mit Zuckeraustauschstoffen (Fructose, Xylit, Sorbit) empfehlen!

    • Ballaststoffreiche Ernährung

    • Alkoholkonsum sollte (wenn überhaupt) möglichst zusammen mit der Einnahme von Kohlenhydraten erfolgen, um Hypoglykämien zu verhindern

Es gibt keine „Diabetikerkost“ im eigentlichen Sinne - was für alle gesund ist, tut auch dem Diabetiker gut!

Bei der Behandlung des Diabetes mellitus beim älteren Patienten > 75 Jahre, soll die Zielgröße eines HbA1c an die funktionellen Fähigkeiten des Patienten angepasst werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Inneren Medizin)

Richtwerte für den Energiegehalt von Nahrungsmitteln

Sowohl beim Ziel der Gewichtsreduktion als auch ggf. zur Einstellung einer Insulintherapie sind Grundkenntnisse über den Energiegehalt von Nahrungsmitteln unerlässlich.

Brennwert von Grundnährstoffen

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

Brennwert

kcal/g

kJ /g

Kohlenhydrate

≈ 4

≈ 17

Proteine

≈ 4

≈ 17

Fett

≈ 9

≈ 37

Ethanol

≈ 7,2

≈ 29

Kohlenhydrateinheit

Für akute Effekte beim Blutzuckerspiegel ist primär die Aufnahme von Kohlenhydraten verantwortlich. Diabetiker müssen bei der Nahrungsaufnahme daher den Kohlenhydratgehalt der Nahrungsmittel einschätzen können. Die Kohlenhydrataufnahme kann normiert dargestellt werden.

  • Kohlenhydrateinheit (KE): 1 KE umfasst 10 g Kohlenhydrate und steigert den Blutzucker um etwa 30–40 mg/dL

    • Broteinheit (BE): Der Begriff Broteinheit (BE) verliert zunehmend an Bedeutung. Laut deutscher Diätverordnung entsprach eine BE definitionsgemäß 12 g Kohlenhydraten


Diabetes mellitus : (Therapie) Stufenschema für Typ-2-Diabetiker ?

(Therapie) Stufenschema für Typ-2-Diabetiker

Stufenschema für Typ-2-Diabetiker nach der Nationalen Versorgungsleitlinie 2020

Therapiegrundsätze

  • Individuell festgelegte Therapieziele berücksichtigen

  • HbA1c-Wert zwischen 6,5% und 8,5% (48 und 69 mmol/mol Hb) anstreben

    • Individualisierte Anpassung des HbA1c-Zielwertes anhand folgender Faktoren: Lebenserwartung, Komorbiditäten, Polymedikation, Risiko für Hypoglykämien und weitere Nebenwirkungen, Belastung durch die Behandlung, soziale Unterstützung, kognitive Fähigkeiten, Diabetesdauer

Therapeutisches Vorgehen

  • Auswahl der Antidiabetika: Individuelle Entscheidung, basierend auf einer integrativen Beurteilung der Risikofaktoren

    • Für Vor- und Nachteile sowie prognostische Effekte der einzelnen Antidiabetika siehe: Antidiabetika

  • Anwendung der Stufen

    • Im Allgemeinen Beginn mit nicht-medikamentösen Maßnahmen (entspricht Stufe I)

    • Jede Stufe wird für 3–6 Monate angewandt

    • Ist eine ausreichende Senkung des HbA1c-Wertes allein durch die Basistherapie nicht zu erwarten, kann direkt mit Stufe II begonnen werden

    • Therapie-Eskalation, wenn der HbA1c anschließend ≥7,5% (≥58 mmol/mol Hb) bzw. oberhalb des individuell festgelegten Therapieziels liegt

  • Initiale Kombinationstherapie

    • Bei klinisch relevanter kardiovaskulärer Erkrankung: Kombination aus Metformin + SGLT2-Inhibitoren oder GLP-1-Analoga


Stufenschema für Typ-2-Diabetiker


Therapieempfehlung

Stufe I

  • Basistherapie: Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität, Ernährungstherapie, „Lifestyle“-Schulung

Stufe II

  • Monotherapie: 1. Wahl Metformin

Stufe III

  • Zweifachtherapie: Antidiabetische Kombinationstherapie oder Antidiabetikum in Kombination mit Insulin

    • 1. Wahl Metformin +

      • Zweites orales Antidiabetikum

      • GLP-1-Rezeptor-Agonisten

      • Insulin

Stufe IV

  • Dreifachtherapie: Zwei Antidiabetika + Insulin oder drei Antidiabetika

    • 1. Wahl Metformin +

    • Zweites orales Antidiabetikum oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten +

    • Drittes Antidiabetikum oder Insulin

Stufe V

  • Intensivierte Insulintherapie, ggf. in Kombination mit Antidiabetika (insb. Metformin)


Diabetes mellitus : (Therapie) Insulintherapie?

(Therapie) Insulintherapie

Grundlagen der Insulintherapie

  • Indikation

    • Typ-1-Diabetes: Immer!

    • Typ-2-Diabetes:

      • Bei Versagen der Basistherapie (Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung und körperliche Bewegung) und oralen Antidiabetika

      • Bei metabolischen Entgleisungen, bspw. bei Erstdiagnose

      • Bei Indikation zur passageren Insulintherapie

  • Tagesbedarf: Als Faustregel und Merkhilfe gilt, dass der durchschnittliche Tagesbedarf 40–50 Insulineinheiten (IE) beträgt

    • Basal/prandial: Verhältnis beträgt ca. 1:1, also 20 IE für den basalen Stoffwechsel und 20 IE für die Nahrungsaufnahme

  • Korrekturdosierungen bei Nahrungsaufnahme: Die prandialen Insulindosen richten sich nach der aufgenommenen Kohlenhydrat-Menge und sind bei jedem Diabetiker individuell im Therapieverlauf zu ermitteln und ggf. im Krankheitsverlauf an veränderte Begebenheiten anzupassen

    • Eine IE Insulin senkt den Blutzucker um etwa 30–40 mg/dL (1,7–2,2 mmol/L), sofern keine Insulinresistenz vorliegt

    • Eine Kohlenhydrateinheit (KE) entspricht etwa 10 g Kohlenhydraten und erhöht den Blutzucker (BZ) um 30–40 mg/dL (1,7–2,2 mmol/L)

    • Es wird also grob etwa 1 IE für 1 KE benötigt

  • Insulinbedarf nach Tageszeit: Es besteht eine Tageszeiten-abhängige Insulinempfindlichkeit

    • Insulinbedarf pro Kohlenhydrateinheit ändert sich im Tagesverlauf

    • Pro KE: Morgens 2 IE, mittags 1 IE, abends 1,5 IE

  • Deeskalation der Insulintherapie

    • Falls die Indikation für eine passagere Insulintherapie nicht mehr besteht

    • Bei Erreichen oder Unterschreiten der persönlichen Zielwerte

    • Bei Hypoglykämien

    • Bei Änderung der persönlichen Therapieziele (bspw. bei Multimorbidität)

Besonderheiten der Insulintherapie bei Diabetes Typ 1

  • Externer Insulinbedarf abhängig von verbleibender Restproduktion in der Bauchspeicheldrüse

  • Nach Beginn der intensivierten Insulintherapie: Häufig vorübergehende Reduktion des Insulinbedarfs

Die Bestimmung des Insulinbedarfs ist immer individuell; es gibt orientierende Größen, aber keinen Standard!

Insulintherapieschemata

Basal-Insulin zur Nacht

  • Kurzbeschreibung: Erweiterung der oralen antidiabetischen Therapie um ein langwirksames Insulinpräparat (sog. Basal unterstützte orale Therapie (BOT)); bei Diabetes mellitus Typ 2 als Vorstufe oder Alternative zur konventionellen bzw. intensivierten Insulintherapie

  • Durchführung: Täglich einmalige Gabe eines Verzögerungsinsulins zur jeweils gleichen Tageszeit (z.B. Insulin Glargin abends) unter Fortführung einer oralen antidiabetischen Therapie

  • Indikation: Stufe III und IV , insb. bei morgendlich erhöhten Blutzuckerwerte (Nüchternblutzucker) bei Typ-2-Diabetikern unter bestehender oraler antidiabetischer Therapie

Konventionelle Insulintherapie

  • Kurzbeschreibung: Feste Insulindosierungen morgens und abends, entsprechend auch feste Vorgaben zur Nahrungsaufnahme

  • Durchführung: 2× täglich Insulinapplikation (Kombinationsinsulin aus Normalinsulin und NPH-Insulin) mit jeweiliger Blutzuckerselbstmessung

  • Vorteile

    • Einfache Durchführung

    • Nicht so zeitaufwendig

    • Patientenschulung nicht so schwierig

  • Nachteile

    • Nur bei festem Ernährungsplan erfolgversprechend

    • Ggf. Zwischenmahlzeiten erforderlich, um Hypoglykämien zu vermeiden

Intensivierte Insulintherapie

  • Kurzbeschreibung: Es wird versucht, einen nahezu physiologischen Glucosestoffwechsel mit Blutzuckerwerten um 100 mg/dL (5,6 mmol/L) zu erreichen. Postprandial sollten die Werte bei <140 mg/dL (<7,8 mmol/L) liegen

  • Methoden:

    • Intensivierte konventionelle Insulintherapie (Basis-Bolus-Prinzip, ICT)

      • Durchführung

        • Langwirksame Basalinsuline (z.B. Insulin Glargin, Insulin Detemir): Ein- oder zweimal täglich Gabe

        • Und mahlzeitbezogene Insuline (z.B. Normalinsulin, Insulin Lispro, Insulin Aspart, Insulin Glulisin): Zusätzlich zum Basalinsulin je nach gemessenem Blutzucker, Tageszeit und geplanter Größe der Mahlzeit (siehe auch: Kohlenhydrateinheit)

      • Zielgruppe

        • Insb. alle Typ-1-Diabetiker

        • Gut schulbare Typ-2-Diabetiker

    • Insulinpumpe (CSII )

      • Prinzip: Externe Pumpe mit kontinuierlicher Applikation von Normalinsulin (oder schnell wirksamem Analoginsulin)

        • Basal- und Bolusgaben individuell einstellbar

      • Indikationen

        • Schwangerschaft

        • Dawn-Phänomen

        • Typ-1-Diabetiker mit unzureichender Stoffwechselkontrolle unter der intensivierten konventionellen Insulintherapie (z.B. wiederholte Hypoglykämien, stark variierende Insulinempfindlichkeit)

  • Vorteile

    • Leichtere Einstellung des Blutzuckers möglich, kein fester Ernährungsplan („Der Patient isst, was und wann er will, und treibt Sport, wann und so viel er will“)

    • Bei guter Compliance optimale Einstellung möglich und Senkung des Risikos für Spätkomplikationen

  • Nachteile

    • Zeitaufwendig durch häufige Blutzuckerselbstkontrollen

    • Häufiger Hypoglykämien als bei konventioneller Insulintherapie

    • Gute Compliance des Patienten und intensive Schulung vonnöten


Diabetes mellitus : (Therapie) Probleme bei der Insulintherapie?

(Therapie) Probleme bei der Insulintherapie

Morgendliche Hyperglykämie

  • Dawn-Phänomen

    • Häufig (insb. junge Typ-1-Diabetiker betroffen)

    • Definition: Frühmorgendliche Hyperglykämie durch erhöhten Insulinbedarf in der zweiten Nachthälfte, der durch eine vermehrte Sekretion von Wachstumshormonen verursacht wird

    • Therapie

      • Vor Therapiebeginn nächtliche Blutzuckerkontrollen

      • Abenddosis des Verzögerungsinsulins später geben (gegen 23 Uhr) oder vorsichtig erhöhen

      • Bei Kindern evtl. Insulinpumpe

  • Somogyi-Effekt

    • Selten

    • Definition: Zu hohe abendliche Insulindosis führt zu nächtlicher Hypoglykämie, die durch hormonelle Gegenregulation eine postprandiale Hyperglykämie am Morgen verursacht

    • Therapie: Senkung des abendlichen Verzögerungsinsulins

Insulinbedarf bei körperlicher Anstrengung

  • Bei moderater körperlicher Anstrengung (insb. mit Muskelaufbau)

    • Insulinbedarf eher abnehmend, da die Skelettmuskulatur vermehrt Glucose aufnimmt (Insulineffektivität steigt)

    • Typ-2-Diabetiker, die ihr Bewegungsverhalten ändern und mehr Sport treiben, können bei Beibehaltung hoher Insulindosierungen eine Neigung zur Hypoglykämie entwickeln

  • Bei extremer körperlicher Anstrengung

    • Zunehmender Insulinbedarf, da Glucocorticoide und Adrenalin ausgeschüttet werden

    • Bei Insulinmangel kann daraus eine hyperglykämische Stoffwechselentgleisung resultieren

Diabetiker können und sollen Sport treiben. Im Bereich des Leistungssports ist allerdings ein sehr vorsichtiges und individuelles Vorgehen gefragt!

Insulinbedarf bei veränderten Lebensbedingungen oder Erkrankungszuständen

  • Viele Erkrankungen führen durch eine Stressreaktion zu einem Anstieg des Blutzuckers, sodass sich oftmals ein Mehrbedarf an Insulin bzw. eine Hyperglykämie zeigt

  • Erkrankungen mit Erbrechen und/oder Durchfall führen zu einer verringerten Glucoseaufnahme und gehen daher mit dem Risiko einer Hypoglykämie einher

  • Siehe auch: Medikamentöse Einflüsse auf den Insulinbedarf

Psychosoziale Aspekte der Insulintherapie

  • Insulin-Purging

    • Bewusste Nicht-Applikation von Insulin nach Nahrungsaufnahme, um Gewichtszunahme entgegenzuwirken

    • Absichtliche Herstellung eines Insulinmangelzustands → Insulinabhängige Glucoseaufnahme in die Zellen↓ und anaboler Insulineffekt↓

    • Junge Diabetes-Typ-1-Patienten mit Essstörungen nutzen Insulin-Purging als Alternative zum Nahrungsverzicht, Erbrechen etc.

      • Folge: Schlecht eingestellter Diabetes mit massiver Gefahr eines hyperglykämischen Komas


Diabetes mellitus : Komplikationen ?

Komplikationen

Akute Komplikationen

  • Bei unerkanntem Diabetes mellitus oder unzureichender Therapie: Schwere Hyperglykämien bis hin zum hyperglykämischen Koma

  • Unter Therapie: Gefahr lebensbedrohlicher Hypoglykämien

Diabetische Makroangiopathie

  • Koronare Herzkrankheit, arterielle Verschlusskrankheit der Hirnarterien (Schlaganfall), periphere arterielle Verschlusskrankheit

  • Mönckeberg-Mediasklerose (Mediakalzinose vom Typ Mönckeberg = „Sonderform der pAVK“)

    • CAVE: Fehlerhafte Diagnostik bei pAVK

Diabetische Mikroangiopathie

  • Diabetische Nephropathie

  • Diabetische Retinopathie

  • Diabetische Neuropathie

  • Diabetisches Fußsyndrom

Entscheidend zur Vorbeugung einer Mikroangiopathie ist eine strenge Blutzuckereinstellung!

Weitere Komplikationen

  • Diabetische Kardiomyopathie

    • Ätiologie: Nicht sicher geklärt, vermutet wird ein metabolischer Einfluss

    • Klinik: Herzinsuffizienz (insb. linksventrikuläre Funktionseinschränkung), schlechteres Outcome nach einem Myokardinfarkt

    • Therapie: Analog der Therapie der Herzinsuffizienz

  • Diabetische Fettleber

  • Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus

  • Erhöhte Infektanfälligkeit

  • Sialadenose

  • Limited Joint Mobility (früher: Cheiroarthropathie)

  • Necrobiosis lipoidica

    • Definition: Entzündliche, granulomatöse Hauterkrankung mit Kollagendegeneration und Lipidanreicherung in der Dermis

    • Epidemiologie

      • >60% Assoziation mit Diabetes mellitus

      • ♀ >> ♂

    • Klinik

      • Prädilektionsstelle: Streckseiten der unteren Extremitäten

      • Effloreszenz: Scharf begrenzte, rötliche Plaques mit zentraler Atrophie und papulösem Rand

      • Meist symptomlos

      • Teilweise Ulzerationen mit narbiger Abheilung

    • Histopathologie: „Nekrobiotische Palisadengranulome“

      • Lymphohistiozytäre Infiltrate mit Plasmazellen, Schaumzellen und Riesenzellen

      • Wandverdickte und okkludierte kleine Blutgefäße

      • Untergang von kollagenem Bindegewebe in der gesamten Dermis

    • Therapie: Glucocorticoide können wirksam sein (z.B. intraläsionale Injektion)

  • Katarakt: Ein Diabetes mellitus fördert die Entstehung und Progression einer Katarakt


Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Retinopathie ?

(Komplikationen) Diabetische Retinopathie

  • Definition: Krankhafte Veränderung der Netzhautgefäße durch die bei Diabetes mellitus auftretende Mikroangiopathie

  • Epidemiologie

    • Ca. 90% der Typ-1-Diabetiker und ca. 25% der Typ-2-Diabetiker entwickeln nach spätestens 15 Jahren eine Retinopathie

    • Häufigste Erblindungsursache im erwerbsfähigen Alter (in Deutschland)

  • Symptome: Lange symptomlos, später Sehverschlechterung bis Erblindung

  • Ophthalmoskopischer Befund und Klassifikation

    • Nicht-proliferative Retinopathie (mild, mäßig, schwer)

      • Mikroaneurysmen

      • Leichte intraretinale mikrovaskuläre Anomalien (IRMA)

      • Intraretinale Blutungen

      • Harte Exsudate

      • Netzhautödem

      • Kaliberschwankungen der Venen („perlschnurartig“)

      • Cotton-Wool-Herde

    • Proliferative Retinopathie: Präretinale Neovaskularisationen (Neubildungen von Blutgefäßen) definieren den Übergang zur proliferativen Form , mögliche Befunde sind:

      • Fibrovaskuläre Membranen

      • Glaskörperblutung, ggf. mit Traktionsamotio

      • Rubeosis iridis → Sekundärglaukom, zusätzlich Veränderungen wie bei nicht-proliferativer Retinopathie

    • Diabetische Makulopathie

      • Klinisch signifikantes Makulaödem

      • Netzhautödem

      • Harte Exsudate im Bereich der Makula

      • Ischämische Makulopathie

  • Therapie

    • Bei proliferativer Retinopathie sowie ggf. bereits bei schwerer nicht-proliferativer Retinopathie

      • Panretinale Laserkoagulation in mehreren Sitzungen

        • Risiken der Lasertherapie: Einschränkungen des Nachtsehens, Gesichtsfeldreduktion, Zunahme der narbigen Schrumpfung mit Netzhautablösung

      • Vitrektomie bei Traktionsamotio

    • Makulaödem: Zentrale Laserbehandlung des hinteren Pols (fokale Laserkoagulation)

      • Bei Foveabeteiligung : Intravitreale Applikation von VEGF-Inhibitoren (Zulassungsstatus beachten!), evtl. auch intravitreale Steroidapplikation


Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Neuropathie ?

(Komplikationen) Diabetische Neuropathie

  • Definition: Unter dem Begriff „diabetische Neuropathie“ werden an den peripheren Nerven auftretende Schädigungsmuster zusammengefasst, die infolge eines Diabetes mellitus auftreten

Formen der diabetischen Neuropathie

  • Periphere sensomotorische Polyneuropathie (ca. 80%): Insb. distal und symmetrisch

    • Schmerzempfinden↓, Areflexie

    • Parästhesien und/oder Allodynie

      • Small-Fiber-Neuropathie („Burning Feet“)

  • Autonome diabetische Neuropathie

    • Kardial

      • Stummer Herzinfarkt

      • Variabilität der Herzfrequenz↓ bis Frequenzstarre

      • Orthostatische Hypotonie

      • Ruhetachykardie

      • Ventrikuläre Arrhythmie

    • Magen-Darm-Trakt

      • Gastroparese (Verzögerte Magenentleerung, Gefahr der postprandialen Hypoglykämie)

      • Diarrhö, Obstipation, Inkontinenz

    • Urogenital: Erektile Dysfunktion, Blasenatonie

    • Weitere Manifestationen

      • Störungen von Pupillenfunktion, Thermoregulation und Sudomotorik (Dyshidrose)

      • Fehlsteuerung endokriner Prozesse, bspw. eine verminderte Wahrnehmung der Hypoglykämie infolge fehlender hormoneller Gegenregulation (durch Cortisol, Glucagon oder Katecholamine)

Diagnostik

  • Fortwährende Aufmerksamkeit bei Visiten, ambulanten Konsultationen und Verlaufsuntersuchungen

Therapie

Eine kausale Therapie besteht nicht!

  • Periphere sensomotorische Neuropathie: Schmerztherapie mit dem Ziel einer Schmerzreduktion und Verbesserung der Lebensqualität

    • Eingesetzte Analgetika und Co-Analgetika

      • Nicht-Opioid-Analgetika (z.B. Paracetamol, Metamizol)

      • Opioid-Analgetika (z.B. Tramadol, Morphin, Oxycodon)

      • Antikonvulsiva (Pregabalin oder Gabapentin)

      • Antidepressiva

        • SSNRI: Duloxetin

        • Trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin

  • Autonome diabetische Neuropathie: Symptomatische Therapie der jeweiligen Ausfallerscheinungen und Beschwerden bzw. Erlernen des Umgangs mit den jeweils vorliegenden Einschränkungen (z.B. kreislaufwirksame Gymnastik vor dem Aufstehen bei orthostatischer Dysregulation)

    • Diabetische Gastroparese: Versuch einer prokinetischen Therapie, z.B. mit Domperidon

    • Stuhlunregelmäßigkeiten: Stuhlregulierende Maßnahmen, z.B. mit Macrogol oder Flohsamenschalen


Diabetes mellitus : Besondere Patientengruppen ?

Besondere Patientengruppen

Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes, GDM)

  • Definition: Eine erstmals während der Schwangerschaft aufgetretene oder diagnostizierte Glucosetoleranzstörung

  • Pathophysiologie

    • Insulinbedarf verändert sich während der Schwangerschaft

      • Im 1. Trimenon besteht eine erhöhte(!) Insulinsensitivität mit einer Neigung zu Hypoglykämien

      • Im 2. und 3. Trimenon entwickelt sich hormonell bedingt eine zunehmende Insulinresistenz (insb. postprandial kann es zu deutlichen Hyperglykämien kommen)

    • Auftreten: Meist im 2. und im 3. Trimenon (seltener im 1. Trimenon)

  • Risikofaktoren

    • Betroffene Frauen weisen zumeist die gleichen Risikofaktoren wie Frauen mit einem Typ-2-Diabetes auf

    • Folgende Risikofaktoren erhöhen explizit das Risiko des Wiederauftretens

      • Internistisch

        • Typ-2-Diabetes bei Familienangehörigen 1. Grades, passagere Glucoseintoleranz in der Anamnese

        • Übergewicht mit BMI >27 kg/m2

        • Hohes Alter

      • Geburtshilfe

        • Gestationsdiabetes in früheren Schwangerschaften

        • Habituelle Aborte

        • Frühere Geburt mind. eines makrosomen Kindes mit Geburtsgewicht >4.500 g

  • Diagnostik

    • Klinische Symptomatik fehlt oft

    • Vor der 24. Schwangerschaftswoche bei Patientinnen mit Risikofaktoren: Bestimmung des Nüchternblutzuckers

    • 24–28. Schwangerschaftswoche (wird bei allen Schwangeren empfohlen!): Oraler Glucosetoleranztest (oGTT)

      • „Abgeschwächter“ oraler Glucosetoleranztest (50 g statt 75 g Glucose)

  • Therapie des Gestationsdiabetes

    • Ernährungsumstellung

    • Insulingabe bei Versagen diätetischer Maßnahmen

  • Komplikationen

    • Akute Folgen für die Mutter

      • Erhöhtes Risiko für schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom

      • Harnwegsinfekte: Glucosurie erhöht das Infektionsrisiko

      • Erhöhtes Risiko für Aborte und Frühgeburtlichkeit

      • Makrosomie: Evtl. Notwendigkeit einer operativen Entbindung

      • Polyhydramnion aufgrund einer Polyurie des Kindes

    • Akute Folgen für das Kind (Fetopathia diabetica)

      • Vermehrte Adipogenese: Makrosomie

      • Erhöhter Sauerstoffbedarf bei Makrosomie → Gesteigerte Bildung von Erythropoetin → Polyglobulie

      • Verminderte Surfactantbildung → Atemnotsyndrom

      • Einlagerung von Glykogen in den Herzmuskel → Kardiomyopathie

      • Postnatale Komplikationen aufgrund gesteigerter fetaler Insulinspiegel durch gewohnt hohe Glucosespiegel

        • Postnatale Hypoglykämie

        • Elektrolytstörungen: Hypokalzämie, Hypomagnesiämie

      • Bei frühem Gestationsdiabetes bzw. vorbestehendem, schlecht eingestelltem Diabetes mellitus

        • Erhöhtes Risiko für Fehlbildungen: Herzfehler, Darmfehlbildungen etc.

        • Kaudale Regression (kaudales Regressionssyndrom): Seltene Anomalie, bei der es zu einer Aplasie oder Hypoplasie des Steißbeins und der Lendenwirbelsäule kommt

          • Prognose

            • Schwere Verläufe führen in der Neonatalperiode aufgrund kardialer und renaler Komplikationen häufig zum Tod

            • Überlebende Kinder sind normal leistungsfähig

          • Klinik

            • Abhängig von der Ausprägung kann es von leichten Bewegungsstörungen bis hin zu kompletten Paresen und Blasenentleerungsstörungen kommen

            • Auch Fehlbildungen der unteren Extremität und Fußdeformitäten sind nicht selten

  • Prognose

    • In den meisten Fällen verschwindet diese Form des Diabetes mellitus nach Beendigung der Schwangerschaft wieder

    • Es besteht fortan aber ein erhöhtes Risiko, einen Gestationsdiabetes bei Folgeschwangerschaften (etwa 50%) und einen permanenten Diabetes mellitus im Laufe der nächsten Jahre zu entwickeln (bis zu 50%/10 Jahre)


Mammakarzinom : Abstract ?

(Brustkrebs)

Das Mammakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung der Frau und geht mit einem Lebenszeitrisiko für Frauen von ca. 12% einher.


Männer hingegen erkranken mit einem Lebenszeitrisiko von lediglich 0,1% deutlich seltener an Brustkrebs.


Die bedeutendsten Risikofaktoren sind endokrine Faktoren (bspw. ein langer hormonell aktiver Zeitraum), ein höheres Lebensalter sowie eine genetische Prädisposition (v.a. BRCA1/BRCA2-Genmutation).


Klinische Symptome zeigen sich beim Mammakarzinom meist erst im fortgeschrittenen Tumorstadium, bspw. in Form von tastbaren, nicht verschieblichen Knoten oder Veränderungen an der Haut oder Mamille.


Am häufigsten ist der obere äußere Quadrant betroffen.


Histologisch unterscheidet man das am häufigsten auftretende invasive Karzinom ohne speziellen Typ (ehemals „invasiv duktales Karzinom nicht anders spezifiziert“) vom invasiven Karzinom mit speziellem Typ (z.B. das invasiv-lobuläre Karzinom).


Daneben gibt es zahlreiche Risikoläsionen, die aufgrund ihrer klinischen Inapparenz insb. im Rahmen der Früherkennungsdiagnostik erkannt werden können.


Zur Früherkennungsdiagnostik gehört neben der klinischen Tastuntersuchung im Rahmen der gynäkologischen Routinevorsorge v.a. das Mammografie-Screening, das bei Frauen ab 50 Jahren durchgeführt werden sollte.


In Abhängigkeit von zusätzlichen Risikofaktoren können weitere Maßnahmen oder ein früherer Beginn sinnvoll sein.


Bei auffälligen Befunden erfolgt die Diagnosesicherung i.d.R. durch eine Mamma- und ggf. Lymphknotenbiopsie.


Bei positivem Befund schließt sich die Stagingdiagnostik mit CT-Thorax und -Abdomen sowie einer Skelettszintigrafie an.


Zu den typischen Metastasierungsorten gehören neben regionalen und nicht-regionalen Lymphknoten die Knochen, Lunge und Pleura sowie Gehirn und Leber.


Therapeutisch hat die operative Entfernung des Tumors die größte Relevanz.


Bei günstiger Relation zwischen Brust- und Tumorgröße wird i.d.R. brusterhaltend operiert.


Daneben erfolgt je nach Befund eine Strahlen- und/oder systemische Therapie (Antihormon-, Antikörper-, Chemotherapie), die adjuvant oder ggf. auch neoadjuvant durchgeführt werden kann.


Das gewählte Therapieschema ist dabei insb. von Tumorbiologie und dem individuellen Patientenrisiko abhängig und sollte im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz beschlossen werden.



Mammakarzinom : Ätiologie ?

Ätiologie

Risikofaktoren

Hormonelle Risikofaktoren

  • Langer hormonell aktiver Zeitraum: Frühe Menarche und späte Menopause

  • Keine/wenige Schwangerschaften, späte erste Geburt, keine/kurze Stillzeit („Nonnenkarzinom“ )

  • Adipositas, v.a. in der Postmenopause

  • Möglicherweise Hormonersatztherapie in der Postmenopause

  • Möglicherweise Einnahme hormoneller Kontrazeptiva

Hereditäre Risikofaktoren

  • Genetisch bedingtes Brustkrebsrisiko: Insb. aufgrund von Keimbahnmutationen in DNA-Reparaturproteinen (Tumorsuppressorgenen)

    • Hohes Risiko: Mutationen der BRCA1-, BRCA2- oder PALB2-Gene

      • Siehe hierzu auch

        • Familiäres Mammakarzinom (BRCA1/2-Mutation)

        • Einschlusskriterien der genetischen Diagnostik bei Mamma- und Ovarialkarzinom

    • Moderat bis niedriges Risiko: Mutationen von Genen anderer erblicher Krebssyndrome mit erhöhtem Mammakarzinomrisiko

      • Li-Fraumeni-Syndrom: Autosomal-dominant vererbte Mutation des p53-Tumorsuppressorgens (in einigen Fällen auch anderer Gene), die zum Auftreten zahlreicher Tumoren häufig bereits im Kindesalter führt

        • Assoziierte Tumorerkrankungen: Mammakarzinom , Sarkome, Leukämien, Lymphome, Hirntumoren, Nebennierenrindenkarzinome

        • Ionisierende Strahlung (bspw. Strahlentherapie) kann Tumorwachstum auslösen

  • Familiäre Belastung ohne Mutationsnachweis

Sonstige Risikofaktoren

  • Höheres Alter

  • Hohe Brustdichte

  • Brustkrebsanamnese

    • Nicht-proliferative Läsionen

    • Proliferative Läsionen mit oder ohne Atypien

    • Risikoläsionen für das Mammakarzinom

    • Brustkrebs (CIS, invasives Karzinom, Karzinom der kontralateralen Mamma )

  • Diabetes mellitus Typ 2

  • Toxische Faktoren

    • Strahlungsexposition der Brust (insb. in jungem Alter)

    • Hoher Alkoholkonsum

    • Rauchen

Risikoläsionen für das Mammakarzinom

Meist sind Risikoläsionen klinisch unauffällig und werden lediglich im Rahmen von Früherkennungsmaßnahmen diagnostiziert. Obwohl es sich bei allen Formen um Neubildungen (= Neoplasien) handelt, gehen sie dennoch mit einem unterschiedlichen Progressionsrisiko einher. Daher handelt es sich nicht bei allen Läsionen um obligate Präkanzerosen, sondern teilweise lediglich um Risikoläsionen, die die Entstehung eines invasiven Karzinoms begünstigen.

Duktale Risikoläsionen

Duktales Carcinoma in situ (DCIS)

  • Definition: Präkanzerose des invasiven Mammakarzinoms, die von den Milchgängen (Duktus) ausgeht und die Basalmembran nicht durchbricht

  • Epidemiologie

    • Häufigkeit: 95% der nicht-invasiven Krebsvorstufen

    • Inzidenz in den letzten Jahren zunehmend

    • Geringe Mortalität (3,3%) aufgrund guter therapeutischer Möglichkeiten

  • Charakteristika

    • Ca. 80% der DCIS bleiben asymptomatisch, ggf. Tastbefund

    • Häufiges mammografisches Korrelat: Mikrokalk entlang der Milchgänge

    • Zeitintervall zwischen DCIS und invasivem Mammakarzinom ca. 9 Jahre

    • Wachstum entlang der Milchgänge

    • I.d.R. unizentrisch, aber multifokales Wachstum möglich

    • Komedonekrosen möglich: Rasche intraduktale Zellproliferation mit zentraler Nekrosenbildung und erhöhter Entartungstendenz

  • Sonderform: Morbus Paget der Mamille

  • Diagnosesicherung: Häufig mammografisch gesteuerte Vakuumbiopsie bei Mikrokalk

  • Therapie

    • Operatives Vorgehen: Vollständige Resektion mit ausreichenden Resektionsrändern

      • Brusterhaltende Therapie (BET) als Standard, Mastektomie nur in Ausnahmefällen indiziert

      • Keine Axilladissektion oder Sentinel-Node-Biopsie empfohlen

    • Radiotherapie: Sollte allen Patientinnen angeboten werden

Lobuläre Risikoläsionen

Lobuläre intraepitheliale Neoplasie (LIN)

  • Definition: Epitheliale Proliferation, die von den Milchdrüsenläppchen (Lobuli) ausgeht und sich auf diese und die terminalen Milchgänge (die sog. terminalen duktulobulären Einheiten) beschränkt; Basalmembran wird nicht durchbrochen

    • Umfasst gemäß WHO-Klassifikation die atypische lobuläre Hyperplasie (ALH) und das lobuläre Carcinoma in situ (LCIS)

    • Primär Risikoläsion, die mit einem generell erhöhten Tumorrisiko ipsi- und kontralateral einhergeht

  • Häufigkeit: 5% der nicht-invasiven Krebsvorstufen

  • Charakteristika

    • Wachstum innerhalb der terminalen duktulobulären Einheiten (TDLE)

    • Häufig multizentrisch in einer Mamma lokalisiert, zu 30–40% bilateral

  • Therapie

    • Isolierter Befund oder Zufallsbefund eines klassischen (Niedrig-Risiko‑) LIN in der Biopsie: Keine weitere offene Biopsie

    • Hoch-Risiko-LIN (pleomorph, floride, mit Komedonekrosen): Komplette Exzision

      • Anschließende Bestrahlung aufgrund geringer Strahlensensitivität nicht empfohlen

Milchgangspapillom (Intraduktales Papillom)

  • Siehe: Milchgangspapillom


Mammakarzinom : Symptome/Klinik ?

Symptome/Klinik

Lokale Veränderungen

In der Regel zeigen invasive Mammakarzinome erst in fortgeschrittenen Stadien klinische Symptome. Ein DCIS geht nur in etwa 20% der Fälle mit klinischen Symptomen einher. Als typische klinische Zeichen können sich folgende zeigen:

  • Unscharf begrenzte, ggf. druckunempfindliche Verhärtungen und nicht verschiebliche Knoten

  • Hauteinziehungen, Hautödem, bleibende Rötungen

  • Entzündlich veränderte Haut (inflammatorisches Mammakarzinom)

  • Orangenhaut (Peau d'orange)

  • Mamillenretraktion, Entzündung und Sekretion aus den Mamillen

  • Größenveränderung der Brust, Asymmetrie zur Gegenseite

  • Vergrößerung der axillären und/oder supraklavikulären Lymphknoten

  • In fortgeschrittenem Stadium

    • Exulzeration

    • Cancer en cuirasse (Panzerkrebs)

Lokalisation

  • Ca. 55%: Oberer äußerer Quadrant (inkl. Übergang zur Axilla)

  • Ca. 15%: Oberer innerer Quadrant

  • Ca. 15%: Mamille sowie retromamillär (zentraler Bereich)

  • Ca. 10%: Unterer äußerer Quadrant

  • Ca. 5%: Unterer innerer Quadrant

  • Ca. 5–25%: Multizentrische Lokalisation in einer Mamma

  • Ca. 1–3%: Primär bilateral

Metastasierung des Mammakarzinoms

Frühe lymphogene und hämatogene Metastasierung

Lymphogen

  • Regionale Lymphknotenmetastasen (N1-N3)

    • Axilläre Lymphknoten (ipsilateral): Lymphknoten entlang der V. axillaris und ihrer Nebengebiete sowie interpektorale Lymphknoten (Rotter-Lymphknoten)

      • Level I: Lymphknoten lateral des M. pectoralis minor

      • Level II: Lymphknoten zwischen dem lateralen und medialen Rand des M. pectoralis minor sowie interpektorale Lymphknoten (Rotter-Lymphknoten)

      • Level III: Lymphknoten apikal und medial des M. pectoralis minor

        • Infraklavikuläre Lymphknoten (ipsilateral)

        • Supraklavikuläre Lymphknoten (ipsilateral)

    • Lymphknoten entlang der A. mammaria interna (ipsilateral): Extrapleural, parasternal und tief in der interkostalen Muskulatur (ca. ICR I-III)

  • Lymphknoten Fernmetastasen (M1): Alle sonstigen befallenen nicht-regionalen Lymphknoten (bspw. zervikale Lymphknoten) sowie regionale kontralaterale Lymphknoten

Hämatogen (M1)

  • Nach absteigender Häufigkeit

    • Knochen

    • Lunge, Pleura

    • Leber

    • Thoraxwand, Axilla

    • Gehirn

    • Selten u.a.: Ovar, Milz

Bei Lymphknotenbefall in der Axilla ist eine bereits stattgefundene hämatogene Metastasierung wahrscheinlich!

Mammakarzinom : Verlaufs- und Sonderformen ?

Verlaufs- und Sonderformen

Morbus Paget der Mamille

Der Morbus Paget der Mamille ist ein duktales Carcinoma in situ oder ein invasives Karzinom, das die Mamille und die umgebende Haut infiltriert.

  • Klinik: Jucken, Brennen und ekzematös-schuppige Hautveränderungen von Mamille und Areola, Mamilleneinziehung oder blutige Mamillensekretion möglich

    • Ggf. Mamillentumor tastbar

  • Diagnostik

    • Zytologische Untersuchung, besser Probeexzision (Stanzbiopsie)

    • Mammografie, Mammasonografie

  • Histologie: Maligne, intraepitheliale Pagetzellen

  • Differenzialdiagnose: Mamillenekzem, Hauttumoren (Morbus Bowen, Basalzellkarzinom, superfiziell spreitendes Melanom), Strahlendermatitis

  • Therapie: Leitliniengerecht entsprechend der Grunderkrankung (DCIS, invasives Karzinom), wenn möglich operativ

Inflammatorisches Mammakarzinom

  • Definition: Seltene und aggressive Sonderform des fortgeschrittenen invasiven Mammakarzinoms, bei der es zu einer Ausbreitung der Tumorzellen in kutane Lymphbahnen (Lymphangiosis carcinomatosa) kommt

  • Pathologie: Meist invasives Mammakarzinom ohne speziellen Typ

  • Klinik

    • Diffuse Rötung (Erythem) und Überwärmung der Brust

    • Ödematöse Hautschwellung und Verdickung (Peau d'orange)

    • Schnelle Größenzunahme der Brust, ggf. Mamillenretraktion

    • Ggf. geschwollene axilläre und/oder (supra-/infra‑)klavikuläre Lymphknoten

    • Meist kein solider Tumor tastbar

  • Therapie: Neoadjuvante Chemotherapie + radikale Mastektomie + postoperative Strahlentherapie

  • Prognose: Schlecht

Das inflammatorische Mammakarzinom wird der TNM-Klassifikation nach in das T4-Stadium eingeteilt!

Mammakarzinom : Stadien ?

Stadien

TNM-Klassifikation des Mammakarzinoms

Die Einteilung des Mammakarzinoms nach Größe des Primärtumors (T) und Ausbreitung (Lymphknotenbefall (N), Metastasierung (M)) erfolgt anhand der TNM-Klassifikation. Zusammengefasst werden diese Kriterien in der aktuellen UICC-Klassifikation, nach der sich auch die Therapieempfehlungen richten.

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

TNM-Klassifikation

Tumorausbreitung

TX

  • Keine Beurteilung möglich

T0

  • Kein Anhalt für Primärtumor

Tis

  • Carcinoma in situ

T1

  • Tumorgröße: ≤2 cm

    • T1mi: Mikroinvasion ≤0,1 cm

    • T1a: ≤0,5 cm

    • T1b: >0,5 cm und ≤1 cm

    • T1c: >1 cm und ≤2 cm

T2

  • Tumorgröße: >2 cm und ≤5 cm

T3

  • Tumorgröße: >5 cm

T4

  • Tumor jeder Größe mit Infiltration der Haut oder Brustwand

N1

  • Befall beweglicher axillärer Lymphknoten des Levels I–II

pN1

  • pN1mi: Mikrometastasen

  • pN1a: 1–3 axilläre Lymphknoten

  • pN1b: Lymphknoten entlang A. mammaria interna (mikroskopisch, aber klinisch nicht erkennbar)

  • pN1c: pN1a + pN1b

N2

  • Befall fixierter axillärer Lymphknoten des Levels I–II oder klinisch diagnostizierter isolierter Befall ipsilateraler Lymphknoten der A. mammaria interna

N3

  • Befall supra- oder infraklavikulärer Lymphknoten (Level III), gleichzeitiger Befall von axillären und Mammaria-interna-Lymphknoten

M

  • M0: Keine Fernmetastasen

  • M1: Fernmetastasen

Stadieneinteilung des Mammakarzinoms nach UICC und AJCC

Zusammengefasst werden die TNM-Klassifikationsangaben in der aktuellen UICC/AJCC-Klassifikation, nach der sich auch die Therapieempfehlungen richten.

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

UICC/AJCC-Stadium

TNM-Klassifikation

0

  • Tis, N0, M0

I

IA

  • T1, N0, M0

IB

  • T0–T1, pN1mi, M0

II

IIA

  • T0–T1, N1, M0

  • T2, N0, M0

IIB

  • T2, N1, M0

  • T3, N0, M0

III

IIIA

  • T0–T2, N2, M0

  • T3, N1–N2, M0

IIIB

  • T4, N0–N2, M0

IIIC

  • Jedes T, N3, M0

IV

  • Jedes T, jedes N, M1


Mammakarzinom : Diagnostik ?

Diagnostik

Basisdiagnostik zur Abklärung auffälliger Befunde

Klinische Untersuchung von Mammae und Axillae

  • Inspektion und Palpation der Mammae

  • Jackson-Test

    • Durchführung: Zusammenschieben der Brust über der zu tastenden Verhärtung

    • Hinweis auf gutartige Veränderung: Haut wölbt sich vor

    • Hinweis auf bösartige Veränderung: Hauteinziehung der Brust (= Plateau-Phänomen) verstärkt

  • Palpation der axillären, supra- und infraklavikulären Lymphknoten

Wird ein Mammakarzinom aufgrund eines palpablen Tumors diagnostiziert, liegt häufig bereits ein Stadium T2 oder höher nach TNM-Klassifikation vor!

Apparative Diagnostik

  • Mammografie

    • Indikation

      • Bei auffälligem Tastbefund

        • Frauen ab 40 Jahre: I.d.R. immer zur Abklärung auffälliger Befunde

        • Frauen unter 40 Jahre: Nur wenn sonstige Untersuchungen (bspw. klinische Tastuntersuchung, Sonografie) keine ausreichende Abklärung gewährleisten

      • Bei nachgewiesenem Malignom: Prätherapeutisch beidseitige Mammografie

    • Durchführung: Im kranio-kaudalen und medio-lateral-obliquen Strahlengang als Standardaufnahmen, ggf. Zusatzaufnahmen oder 3D-Mammografie erwägen

  • Sonografie

    • Indikation

      • Bei auffälligem Tastbefund: Standarddiagnostik bei Frauen unter 40 Jahren (i.d.R. hohe Brustdrüsendichte)

      • Abklärung unklarer mammografischer und MR-tomografischer Befunde

  • Kontrastmittel-MRT der Mamma: Spezifischen Fragestellungen bei unklaren Befunden in der konventionellen Diagnostik vorbehalten

  • Galaktografie: Bei einseitiger Sekretion aus der Mamille sowie bei blutiger oder eitriger Sekretion einseitig oder beidseits

  • Pneumozystografie: Selten bei symptomatischen Zysten indiziert


Die beidseitige Mammografie und Sonografie spielen sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Nachsorge des Mammakarzinoms als kostengünstige und ubiquitär verfügbare Verfahren die wichtigste Rolle!

Diagnosesicherung bei Karzinomverdacht

  • Mamma-Biopsie

    • Verfahren: Insb. Stanzbiopsie oder Vakuumbiopsie (sonografisch, mammografisch oder MRT-gesteuert)

  • Lymphknoten-Biopsie

    • Verfahren: Stanzbiopsie

  • Präoperative Befundmarkierung: Mithilfe des Verfahrens, bei dem der Befund am besten darstellbar ist

Staging

  • Indikation: Neu diagnostiziertes Mammakarzinom ab Stadium UICC II mit erhöhtem Metastasierungsrisiko sowie immer im Stadium UICC III oder IV oder bei geplanter Systemtherapie (Chemo-/Antikörpertherapie)

    • Erhöhtes Metastasierungsrisiko: N+, Tumorstadium >T2, bei aggressiver Tumorbiologie (HER2-positiv, triple-negativ), klinischer Symptomatik

  • Stagingverfahren

    • CT-Thorax und -Abdomen

    • Skelettszintigrafie

    • Bei unklarem Befund ggf. PET oder PET-CT

    • Bei Verdacht auf ZNS-Metastasen: MRT


Mammakarzinom : Pathologie ?

Pathologie

Histologische Klassifikation

Man unterscheidet anhand der Ursprungsgewebe duktale und lobuläre Neoplasien.

  • Invasives Karzinom ohne speziellen Typ (Invasive carcinoma of no special type, NST): Etwa 75% aller Mammakarzinome

    • Nomenklatur geändert: Ehemals „Invasiv-duktales Karzinom nicht anders spezifiziert“ (invasive carcinoma not otherwise specified, NOS)

    • Histologie

      • Nest- oder strangartige, kohäsiv wachsende Tumorzellverbände mit variabler glandulärer Differenzierung

      • Meist mit desmoplastischer Stromareaktion

  • Invasive Karzinome mit speziellem Typ: Etwa 25% aller Mammakarzinome

    • Invasiv-lobuläres Karzinom: Etwa 15% aller Mammakarzinome (größter Anteil der speziellen Mammakarzinome)

      • Histologie: Kleine, nicht-kohäsiv wachsende , runde Tumorzellen, kettenförmig angeordnet

        • „Indian Files“: Reihen aus Tumorzellen in dichtem Stroma (Gänsemarschformation, einreihig)

        • „Targetoid Pattern“: Ringförmiges Wachstum um erhaltene Milchgänge

      • Oft multifokal und/oder bilateral

Zum Vergleich: Normalbefunde

Grading

Das in aktuellen Leitlinien für invasive Mammakarzinome empfohlene System ist das von Elston und Ellis modifizierte Bloom-Richardson-Grading (BRE-Graduierung) .

  • Dignitätskriterien

    • Ausmaß der Kernpolymorphien

    • Anteil der tubulären Strukturen

    • Anzahl der Mitosen

  • Interpretation

    • G1: Gut differenziert, geringer Malignitätsgrad

    • G2: Mäßig differenziert, mäßiger Malignitätsgrad

    • G3: Schlecht differenziert, hoher Malignitätsgrad

Multifokalität/Multizentrizität

  • Multifokalität: Auftreten mehrerer voneinander getrennter Tumorherde in einem Quadranten bzw. in einem Abstand <4 cm

  • Multizentrizität: Auftreten mehrerer voneinander getrennter Tumorherde in mehr als einem Quadranten bzw. in einem Abstand >4 cm

Hormonrezeptor-/HER2-Status

  • Regelhafte Bestimmung bereits in der Primärdiagnostik (idealerweise bereits aus Stanzbiopsie):

    • Östrogen (ER)- und Progesteron (PR)-Rezeptorstatus

      • Definition Hormonrezeptor-positiver (HR-positiver) Karzinome: Ab ≥1% ER‑ oder PR‑positiver Tumorzellen

        • Bestimmung über Immunhistochemie

      • Assoziiert mit gutem Ansprechen auf endokrine Therapie

      • Vorkommen Hormonrezeptor-positiver Tumoren: Ca. 75–80% aller Mammakarzinompatientinnen

    • HER2/neu-Status

      • Bestimmung über Immunhistochemie (Protein-Überexpression) oder Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung

      • Positiver HER2/neu-Status assoziiert mit

        • Gutem Ansprechen auf Antikörpertherapie mit Trastuzumab

        • Gutem Ansprechen auf Anthracycline und Taxane

        • Schlechtem Ansprechen auf endokrine Therapie mit Tamoxifen

    • Triple negatives Mammakarzinom: Östrogen-negativ + Progesteron-negativ + HER2-negativ

Ki-67-Proliferationsindex

  • Interpretation: Ein hoher Proliferationsindex spricht für ein schnelles Tumorwachstum

    • Sehr hohe (>25%) oder sehr niedrige Werte (<10%) sollten bei der Therapieentscheidung mitberücksichtigt werden


Mammakarzinom : {Therapie} Operative Therapie bei Mammakarzinom ?

{Therapie} Operative Therapie bei Mammakarzinom

  • Ziel: Komplettresektion des Tumors mit tumorfreien Resektionsrändern (R0)

    • Bei adjuvanten Therapiemaßnahmen: Knapper Resektionsrand i.d.R. ausreichend

Brusterhaltende Therapie (BET)

  • Indikation: Wenn möglich, ist eine brusterhaltende OP stets einer radikalen Mastektomie vorzuziehen!

    • DCIS

    • Karzinome mit günstigem Verhältnis von Brustvolumen zu Tumorvolumen

    • Tumoren mit intraduktaler Komponente und der Möglichkeit einer R0-Resektion

  • Durchführung: Komplettresektion des Tumors mit tumorfreien Resektionsrändern (R0)

    • Intraoperativ

      • Eindeutige Fadenmarkierung der Resektionsränder für die pathologische Begutachtung und zum Zweck einer möglichen Nachresektion

      • Intraoperative Markierung des Tumorbetts mit Clips zur gezielten Tumorbettbestrahlung

Nach einer brusterhaltenden Therapie muss bei invasiven Formen des Mammakarzinoms stets eine adjuvante lokale Radiatio durchgeführt werden, um das Risiko von intramammären Rezidivtumoren zu minimieren!

Mastektomie

  • Indikation: Bei Kontraindikation einer brusterhaltenden Therapie (BET)

    • Ungünstiges Tumor-Brust-Verhältnis

    • Keine komplette Tumorentfernung trotz Nachresektion möglich

    • Inflammatorisches Mammakarzinom

    • Bei Kontraindikationen für die notwendige adjuvante Bestrahlung nach BET

    • Multizentrisches Karzinom

    • Patientinnenwunsch bzw. Ablehnung einer nach BET obligaten Strahlentherapie

  • Durchführung: Entfernung des kompletten Drüsenkörpers und je nach Verfahren unterschiedlicher weiterer Anteile

Operative Lymphknotenentfernung

Die komplette oder partielle Entfernung der axillären Lymphknoten hat sowohl Bedeutung für das Staging als auch für die lokoregionäre Tumortherapie und sollte bei allen invasiven Mammakarzinomen durchgeführt werden.

Sentinel-Lymphonodektomie bei Mammakarzinom (SLNE)

  • Definition: Standardverfahren, bei dem der bzw. die Wächterlymphknoten entfernt werden, um repräsentativ den axillären Lymphknotenstatus zu erfassen (axilläres Staging)

  • Indikation

    • Bei klinisch negativem Lymphknotenbefund (cN0-Situation)

  • Vorteil: Deutlich geringere Morbidität als Axilladissektion bei gleichwertig hoher Sicherheit in den indizierten Fällen

  • Verfahren zur Detektion der Sentinel-Lymphknoten

    • Nuklearmedizinische Markierung: Am Vortag der OP durch peritumorale Applikation von Technetium99m → Lymphabflussszintigrafie zur Lokalisation der Lymphknoten im Anschluss und Befundmarkierung auf der Haut

  • Durchführung: Biopsie von i.d.R. max. 3 Lymphknoten

    • I.d.R. intraoperative Schnellschnittuntersuchung bei klinischer Konsequenz

    • Klinisch auffällige Lymphknoten sollen auch bei bisher negativem Biopsiebefund immer mitentfernt werden

Axilladissektion

  • Definition: Entfernung der axillären Lymphknoten der Level I und II im Rahmen des Stagings bzw. zur regionalen Tumorkontrolle

  • Indikation

    • Bei Nachweis axillärer Lymphknotenmetastasen in der Sentinel-Lymphonodektomie (pN1-Situation)

    • Bei Kontraindikation einer Sentinel-Lymphonodektomie

    • Bei geplanter Mastektomie

  • Nachteil: Höheres OP-Risiko als bei der Sentinel-Lymphonodektomie (bspw. Lymphödeme und Nervenläsionen)

  • Durchführung: Präoperative Anzeichnung der Schnittführung, die als Querschnitt entlang der Faltlinien erfolgen sollte

    • Entfernung von mind. 10 Lymphknoten und Untersuchung auf Malignität


Mammakarzinom : {Therapie} Systemische Therapie bei Mammakarzinom ?

{Therapie} Systemische Therapie bei Mammakarzinom

Neoadjuvante (primäre) systemische Therapie

  • Besteht aus einer präoperativen (neoadjuvanten) Chemotherapie und ggf. einer Antikörpertherapie (HER2) und/oder Antihormontherapie (nach Hormonrezeptorstatus)

  • Absolute Indikation

    • Inflammatorisches Mammakarzinom

    • Lokal fortgeschrittenes oder primär inoperables Karzinom

  • Vorteile

    • Ermöglichung der Operabilität bis hin zur Komplettresektion (R0)

    • Erhöhung der Rate brusterhaltend zu operierender Karzinome

Neoadjuvante (primäre) Chemotherapie

  • Vorgehen

    • Sollte das gleiche Therapieschema prä- oder postoperativ indiziert sein, ist die neoadjuvante Therapie vorzuziehen

    • Therapieschema: Anthracyclin und Taxan, siehe auch: Chemotherapie-Schemata bei Mammakarzinom

    • Therapiedauer: 18–24 Wochen

    • Bei HER2-positiven Tumoren zusätzlich

      • Trastuzumab: Präoperative Gabe bis ein Jahr postoperativ oder

      • Duale Blockade mit Trastuzumab und Pertuzumab

Adjuvante bzw. palliative Systemtherapie (Chemo-, Antihormon- und Antikörpertherapie)

  • Grundsätzliche Therapieentscheidung: Anhand einer Risiko-Nutzen-Entscheidung auf Basis von

    • Stadium

    • Grading

    • Patientinnenalter

    • Menopausenstatus

Adjuvante Chemotherapie

  • Stärkster Effekt auf Frauen <50 Jahre

  • Indikation

    • Luminal-B-Tumoren mit hohem Rezidivrisiko

    • HER2-positive Tumoren ab pT1b, N0

    • Triple-negative Tumoren

  • Vorgehen

    • Chemotherapie-Schemata bei Mammakarzinom

      • Anthracyclin und Taxan als Standard-Chemotherapie (bspw. Epirubicin + Docetaxel)

      • Ggf. Hinzunahme eines Platinderivats bei triple-negativem Karzinom möglich

        • Alternative (aktuell nicht mehr als Therapie der 1. Wahl empfohlen!): FAC- (5-FU, Doxorubicin , Cyclophosphamid) bzw. FEC-Schema (5-FU, Epirubicin, Cyclophosphamid)

          • Bei Anthracyclin-Kontraindikationen

            • Taxan-Monotherapie (z.B. Paclitaxel) insb. auch bei älteren und multimorbiden Patientinnen

      • Bei HER2-positiven Tumoren: Simultan Chemotherapie + Anti-HER2-Therapie mit Trastuzumab über ein Jahr

    • Therapiedauer: 18–24 Wochen

Prämenopausale Patientinnen sollten vor einer Chemotherapie über fertilitätserhaltende Maßnahmen aufgeklärt werden!

Adjuvante Antihormontherapie (Endokrine Therapie)

  • Indikation: Hormonrezeptor-positive Karzinome

    • Reduktion des relativen Rezidivrisikos und der Mortalität bei diesen Tumoren!

  • Beginn: I.d.R. adjuvant

  • Empfohlene Dauer: Mind. 5 Jahre, ggf. Verlängerung der Antihormontherapie sinnvoll

  • Therapieoptionen

    • Tamoxifen (selektiver Östrogenrezeptor-Modulator) → Prä- und Postmenopause

    • GnRH-Analoga → Prämenopause zur Ovarsuppression

    • Aromatasehemmer → Postmenopause

  • Empfehlungen nach Menopausenstatus

    • Prämenopausale Patientinnen

      • Ziel: Blockade der Östrogenrezeptoren, evtl. zusätzlich Supprimierung der Hormonproduktion in den Ovarien

      • Endokrine Therapie der Wahl: Tamoxifen (selektiver Östrogenrezeptor-Modulator) über mind. 5 Jahre

        • Wirkung

          • Östrogen-antagonistisch am Brustdrüsengewebe

          • Östrogen-agonistisch am Endometrium

        • Nebenwirkungen

          • Hitzewallungen

          • Übelkeit

          • Exanthem

          • Risikoerhöhung für thromboembolische Ereignisse

          • Risikoerhöhung für Endometriumkarzinome

          • Schmerzen an betroffenem Gewebe und Knochen

          • Teilreversible Sehstörungen

        • Alternative: Fulvestrant

      • Weitere Therapiemöglichkeiten: Ausschalten der Ovarialfunktion (Ovarialsuppression) durch GnRH-Analoga oder bilaterale Adnexektomie

    • Postmenopausale Patientinnen

      • Ziel: Supprimierung der Hormonproduktion extraovariell und Blockade der Östrogenrezeptoren

      • Endokrine Therapie der Wahl

        • Aromatasehemmer (z.B. Anastrozol, Letrozol, Exemestan) für mind. 5 Jahre

          • Wirkung: Inhibition der Umwandlung von Androgenen zu Östrogenen (insb. peripher in Muskel- und Fettgewebe)

          • Nebenwirkungen (Auszug)

            • Hitzewallungen

            • Schwäche

            • Kopf- und Gelenkschmerzen

            • Übelkeit

            • Exanthem

            • Ödeme

            • Osteoporose

      • Weitere Therapiemöglichkeit: Tamoxifen + Aromatasehemmer

Tamoxifen wirkt agonistisch(!) an Östrogenrezeptoren des Endometriums und erhöht dadurch das Risiko für ein Endometriumkarzinom!

Zur Entscheidung über eine adäquate antihormonelle Therapie werden bei unklarem Menopausenstatus die Serumspiegel von Östrogen (postmenopausal↓) und FSH (postmenopausal↑) bestimmt!

Adjuvante Antikörpertherapie

  • Indikation: HER2-positive Karzinome und Tumordurchmesser ≥1 cm

  • Beginn: Idealerweise während der Taxan-Phase der (neo)-adjuvanten Chemotherapie

  • Empfohlene Dauer: 1 Jahr

  • Therapie der Wahl: Trastuzumab

    • Wirkung: Monoklonaler Antikörper gegen den humanen epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor 2 (HER2)

    • Nebenwirkungen (Auszug)

      • Kardiotoxizität (!)

      • Infektanfälligkeit

      • Allgemeine Beschwerden wie Fieber, Grippe-ähnliche Symptome, Abgeschlagenheit

      • Muskel- und Gelenkschmerzen

      • Verdauungsbeschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Diarrhö)

      • Gewichtsverlust

      • Blutbildveränderungen (z.B. Anämie)

Weitere Therapieoptionen

  • CDK4/6-Inhibitoren: Hemmen die Aktivität der Zellzyklus-regulierenden Cyclin-abhängigen Kinasen

    • Wirkstoffe

      • Palbociclib

      • Ribociclib

      • Abemaciclib

    • Indikation: Mammakarzinom mit Fernmetastasierung bzw. Rezidiv, Progress oder Nichtansprechen unter (adjuvanter) endokriner Therapie


Mammakarzinom : {Besondere Patientengruppen}

Das familiäre Mammakarzinom (BRCA1/2-Mutation) ?


{Besondere Patientengruppen}

Das familiäre Mammakarzinom (BRCA1/2-Mutation)

  • Mutationen im BRCA1- oder BRCA2-Gen: Vererbung folgt autosomal-dominantem Erbgang

  • Erhöhtes Risiko v.a. für Mamma- und Ovarialkarzinome (aber auch für Pankreas-, Prostata-, Magen- und Kolonkarzinome)

    • Mammakarzinom

      • Bei etwa 5–10% aller Mammakarzinome nachweisbar

      • Lebenszeitrisiko: Ca. 60% (bzw. 40% für ein kontralaterales Mammakarzinom)

      • Erkrankungsalter: Im Schnitt 20 Jahre früher als Frauen ohne Mutation im BRCA1/2-Gen

    • Ovarialkarzinom: 16–55%iges Risiko an einem Ovarialkarzinom zu erkranken

  • Diagnostik

    • Einschlusskriterien der genetischen Diagnostik bei Mamma- und Ovarialkarzinom (hohes Erkrankungsrisiko): In einer Linie der Familie mind.

      • 3 Frauen mit Mammakarzinom

      • 2 Frauen mit Mammakarzinom, wobei mind. eine Frau vor dem 51. Lebensjahr erkrankt sein muss

      • 2 Frauen mit Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primärem Peritonealkarzinom

      • 1 Frau mit Mamma- und Ovarialkarzinom

      • 1 Frau mit Mammakarzinom und 1 Frau mit Ovarialkarzinom

      • 1 Frau ≤35 Jahre mit Mammakarzinom

      • 1 Frau ≤50 Jahre mit bilateralem Mammakarzinom

      • 1 Frau mit Mamma- oder Ovarialkarzinom und 1 Mann mit Mammakarzinom

      • Bei Patient:innen mit triple-negativem Mammakarzinom ≤59 Jahre

      • 1 Frau mit Ovarialkarzinom ≤79 Jahre

      • Prädiktive (vorhersagende) Testung bei bekannter Mutation eines Risikogens für Mamma- oder Ovarialkarzinome in der Familie

    • Bei Erfüllung der Kriterien → Genetische Testung und ggf. Anbindung an ein Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs

      • Durchführung der Testung: Molekulargenetische Blutuntersuchung, zunächst Durchführung bei Indexpatientin

        • Bei positivem Gentest: Intensiviertes Früherkennungsprogramm und ggf. weitere prophylaktische Maßnahmen

        • Bei negativem Gentest: Evaluation des persönlichen Risikos, ggf. dennoch intensivierte Früherkennungsmaßnahmen indiziert

  • Besonderheiten in der Prävention

    • Intensivierte Früherkennungsuntersuchungen

      • Mammografie jährlich oder halbjährlich ab 40 Jahren

      • MRT der Brust jährlich ab 25 Jahren

      • Ärztliche Tastuntersuchung und Sonografie der Brust alle 6 Monate ab 25 Jahren

      • Regelmäßige Brustselbstuntersuchung

      • Gesunde Patientinnen mit BRCA1- bzw. BRCA2-Mutation

        • Präventive bilaterale Mastektomie (PBM) kann erwogen werden, stellt jedoch eine Einzelfallentscheidung dar

        • Beidseitige laparoskopische Salpingo-Oophorektomie (Entfernung der Eierstöcke und Eileiter) empfohlen (i.d.R. um das 40. Lebensjahr, nach abgeschlossener Familienplanung und mit nachfolgender Hormonersatztherapie bis zum Alter von 50 Jahren)

          • Nachteil: U.a. großer Eingriff, frühzeitiges Einsetzen klimakterischer Beschwerden

          • Möglicher Vorteil: Vermutlich Risikoreduktion für das Auftreten eines Mammakarzinoms um ca. 50%

  • Therapeutische Besonderheiten

    • Operative und medikamentöse Therapie sollten entsprechend des sporadischen Mammakarzinoms erfolgen

      • Brusterhaltende Therapie (BET) und Mastektomie sind in ihrem Therapieerfolg als gleichwertig anzusehen


Mammakarzinom : {Besondere Patientengruppen}

Das fernmetastasierte Mammakarzinom ?


{Besondere Patientengruppen}

Das fernmetastasierte Mammakarzinom

Allgemeines

  • Therapieansatz: I.d.R. palliativ

  • Therapieprinzip

    • Ansetzen an tumorspezifischen Targets (bspw. HER2/neu-Status, ER-/PR-Status)

    • Anpassung der Therapie an den individuellen Remissionsdruck

Therapie von Metastasen bei Mammakarzinom

  • Für allgemeine Informationen zur Metastasierung siehe: Metastasierung des Mammakarzinoms

  • Die Therapieentscheidung sollte stets in einem interdisziplinären Tumorboard getroffen werden und ist vom Einzelfall abhängig!

Therapie von Knochenmetastasen bei Mammakarzinom

  • Operation + postoperative Radiatio: Methode der Wahl bei

    • Rückenmarkskompression und neurologischer Symptomatik

    • Stabilitätsgefährdenden Knochenmetastasen (mit oder ohne bereits eingetretener Fraktur)

  • Operative Therapie, ggf. mit anschließender Strahlentherapie

    • Indikation

      • Pathologische Frakturen (insb. im Bereich der Extremitäten)

      • Rückenmarkskompression

      • Drohende Fraktur

      • Solitäre Spätmetastase

      • Strahlenresistente Osteolysen

      • Therapierefraktäre Schmerzen

  • Strahlentherapie: Remineralisierung des Knochens möglich (frühestens nach 3 Monaten)

    • Indikation

      • Schmerzsymptomatik

      • Bewegungseinschränkung

      • Frakturgefahr (mit Stabilitätsminderung)

      • Nach operativer Stabilisierung

      • Stabile ossäre Metastasen (insb. ohne Myelonkompression)

      • Als Alternative bei Myelonkompression (ohne vorhergehende OP)

  • Systemtherapie: Bei stabilen ossären Metastasen (insb. ohne Myelonkompression)

  • Weitere Therapieoptionen

    • Ggf. Korsettversorgung bei Wirbelkörperfrakturen

    • Medikamentöse Therapie mit Bisphosphonaten/Denosumab

    • Supportive analgetische Therapie


Ischämischer Schlaganfall : Klassifikation ?

Klassifikation

Infarkttypen nach Verlauf

  • Transitorische ischämische Attacke (TIA): Vorübergehende Episode neurologischer Dysfunktion infolge einer fokalen Ischämie des ZNS ohne Anhalt für zugrundeliegenden Infarkt

    • Kein Läsionsnachweis in diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen

    • Dauer meist einige Minuten, im Einzelfall länger möglich

    • Vielfältige Symptomatik, u.a. etwa Störung von Motorik, Sensibilität, Sprache, Koordination, Sehen (Amaurosis fugax)

    • Pathogenese: Vermutlich durch Ablösung von Mikroembolien aus Stenosen/Plaques der A. carotis interna

    • Schlaganfallrisiko nach TIA

      • 90-Tage-Risiko für Schlaganfall nach TIA: Ca. 10%

      • Besonders starke Risikoerhöhung in ersten Tagen/Wochen nach TIA

  • Ischämischer Schlaganfall: Episode neurologischer Dysfunktion infolge eines fokalen Infarktes des ZNS (Gehirn, Retina, Rückenmark)

    • Minor Stroke: Schlaganfall mit gering ausgeprägter Symptomatik (etwa NIHSS <4 und ohne behindernde neurologische Defizite)

    • Progressive Stroke: Neurologische Defizite nehmen im Verlauf weiter zu (meist innerhalb von Stunden)

Eine TIA geht mit einem hohen Risiko für einen späteren ischämischen Schlaganfall einher – Diagnostik und Sekundärprophylaxe entsprechen der des ischämischen Schlaganfalls!

Infarkttypen nach Morphologie

  • Territorialinfarkt

    • Oft großes, keilförmiges Infarktareal mit kortikaler und subkortikaler Ausdehnung

    • Ätiologie: Meist embolischer Verschluss oder Arteriosklerose einer größeren Arterie

  • Hämodynamisch-bedingte Infarkte

    • Ätiologie

      • Unzureichende Perfusion in Kapillargebieten durch einen Blutdruckabfall oder ein vermindertes Herzzeitvolumen

      • Grundlage ist meist eine schon bestehende regional eingeschränkte Perfusion (bspw. durch arteriosklerotische Gefäßverengung)

      • Durch die hämodynamische Verschlechterung (bspw. Blutdruckabfall oder Herz-Kreislauf-Stillstand nach Reanimation) kommt es zur kritischen Minderperfusion mit Gewebsuntergang

    • Subtypen

      • Endstrominfarkt: Infarkt in einem nicht durch Kollateralen versorgten Endstromgebiet einer Arterie, immer subkortikal, als „Ischämie der letzten Wiese“

      • Grenzzoneninfarkt: Infarkt an der Grenze von zwei arteriellen Stromgebieten, häufig fronto-parietal oder parieto-okzipital

  • Lakunäre Infarkte

    • Kleine subkortikale Infarkte (Durchmesser max. 1,5 cm), vereinzelt oder multipel (Status lacunaris)

    • Meist unterhalb des Kortex (subkortikal) oder im Bereich von Stammganglien, Thalamus und Hirnstamm lokalisiert

    • Ätiologie: Meist arteriosklerotische Veränderungen kleiner Arterien (Mikroangiopathie)


Ischämischer Schlaganfall : Symptome/Klinik ?

Symptome/Klinik

Allgemeine Überlegungen

  • Leitsymptom des Schlaganfalls: Akutes fokal-neurologisches Defizit, d.h.

    • Neurologische Defizite, die sich einem bestimmten arteriellen Versorgungsgebiet zuordnen lassen

      • Klassisch: Hemiparese, Hemihypästhesie, Sprach- und Sehstörungen (z.B. verwaschene Artikulation, Wortfindungsstörungen oder plötzlich aufgetretene Hemianopsie)

      • Aber: Auch unspezifische Symptome möglich, bspw.

        • „Nur“ Bewusstseinseintrübung und Schwindel

        • Einseitig gesteigerte Muskeleigenreflexe

    • Plötzlicher Beginn (innerhalb von Sekunden)

Jedes plötzlich aufgetretene neurologische Defizit deutet auf einen Schlaganfall hin und muss als Notfall behandelt werden!

Klinik nach betroffenem Gefäß

Hirninfarkte im Karotisstromgebiet

  • A. carotis interna: Meist Symptome des Mediainfarkts

  • Hauptäste der A. carotis interna

    • A. cerebri media (Mediainfarkt): Häufigste Infarktlokalisation

      • Kontralaterale brachiofaziale (d.h. arm- und gesichtsbetonte) sensomotorische Hemisymptomatik

        • Blickdeviation zum Herd („Der Kranke guckt den Herd an.“)

        • Dysarthrie

        • Aphasie, Apraxie (wenn die dominante Hemisphäre betroffen ist)

        • Hemineglect (wenn die nicht-dominante Hemisphäre betroffen ist): Extinktion eines Reizes auf der betroffenen Seite bei bilateraler Stimulation

        • Mögliches Residuum: Wernicke-Mann-Gangbild

    • A. cerebri anterior (Anteriorinfarkt): Selten

      • Kontralaterale, beinbetonte Hemiparese

      • Apraxie

Hirninfarkte im vertebrobasilären Stromgebiet

Vertebralisstromgebiet

  • A. vertebralis

    • Symptome eines Kleinhirninfarkts (siehe: Kleinhirnsymptome) bzw. Hirnstamminfarkts

  • A. inferior posterior cerebelli (PICA, größter Ast der A. vertebralis): Symptome eines Kleinhirnhemisphäreninfarkts

    • Ataxie (Extremitätenataxie >> Gang- und Standataxie), Schwindel, Nystagmus, Dysmetrie (siehe auch: Kleinhirnsymptome)

Basilarisstromgebiet

  • A. basilaris (Basilaristhrombose): Lebensbedrohlicher Notfall mit hoher Mortalität, unbehandelt ca. 80%!

    • Allgemeine Klinik

      • Typische Konstellation: Vigilanzminderung + Zeichen einer Hirnstammschädigung + schwere motorische Störung

      • Symptomatik je nach Höhe des Verschlusses

    • Unterformen

      • Distaler Verschluss

        • Okulomotorik- und Pupillenstörungen

        • Akute Bewusstseinsstörung bis zum Koma, ggf. auch delirante Symptomatik und Gedächtnisstörungen

        • Kortikale Blindheit

      • Mittlerer Verschluss

        • Tetraplegie/-parese

        • Locked-in-Syndrom möglich

        • Bewusstsein i.d.R. nicht beeinträchtigt

      • Proximaler Verschluss

        • Dysarthrie, Dysphagie (Ausfall kaudaler Hirnnerven (IX–XII))

        • Ataxie

        • Hemi- und Tetraplegie/-parese, Atemlähmung

        • Koma

  • A. inferior anterior cerebelli (AICA)

    • Ataxie, Dysarthrie, Schwindel, Übelkeit, Nystagmus (siehe auch: Kleinhirnsymptome)

    • Ipsilateral: Hirnnervenausfall VII (faziale Parese) und VIII (vestibulokochleäre Störung)


Ischämischer Schlaganfall : Diagnostik ?

Diagnostik

Anamnese und körperliche Untersuchung

  • (Fremd‑)Anamnese: Fokus auf

    • Symptomatik

      • Beginn (genauen Zeitpunkt erfragen)

        • Bestimmbarer Zeitpunkt: Ist der Patient im Thrombolysezeitfenster? (<4,5 h nach Symptombeginn)

        • Bei nicht bestimmbarem Zeitpunkt, z.B. beim sog. „Wake-up Stroke“ (= Symptombeginn während des Schlafs): Letzten erinnerlichen Zeitpunkt erfragen, an dem keine Symptome vorhanden waren („Last seen well“), dieser wird als Beginn angenommen

      • Verlauf

      • Ereignissituation/Auslöser

    • Medikamentenanamnese, insb. Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmer

    • Basisinformationen

      • Patientenalter

      • Mobilität vor Ereignis

      • Vorerkrankungen

      • Ggf. Patientenverfügung vorhanden

    • Bei Patienten im Thrombolysezeitfenster: Gewicht? Wesentliche Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie erfragen!

  • Fokussierte neurologische Untersuchung: Fokus auf fokal-neurologische Defizite

    • FAST (Neurologie): Als schnelles Screening (insb. in der Prähospitalphase)

      • F („Facial Expression“): (Meist einseitige) veränderte bzw. verminderte Mimik

      • A („Arm Weakness“): Unfähigkeit oder Schwierigkeit, einen Arm angehoben zu halten

      • S („Speech Difficulties“): Gestörtes Sprachverständnis oder Sprachproduktion

      • T („Time is Brain“): Bei Hinweisen auf einen Schlaganfall (= eines der 3 oberen Kriterien trifft zu) ist schnelles Handeln notwendig → Zügige Einweisung bzw. Bildgebung veranlassen!

    • Erheben des NIHSS

    • Grobe Einstufung des Behinderungsgrades, i.d.R. mithilfe der modifizierten Rankin-Skala

    • Erfassen besonderer Gefährdung

      • Symptome einer Basilaristhrombose?

      • Schluckstörung?

      • Hirndruckzeichen?

    • Ggf. ausgedehntere Untersuchung notwendig, z.B. bei unklarer Symptomatik

Bei V.a. auf Schlaganfall muss schnellstmöglich eine (CT‑)Bildgebung erfolgen!

Bildgebung bei Schlaganfall

Bei V.a. einen Schlaganfall muss für die anschließende Therapie herausgefunden werden, ob es sich um ein ischämisches oder um ein hämorrhagisches Ereignis handelt. Diese Unterscheidung ist am besten mit einem cCT möglich. Auch wenn sich ein ischämischer Infarkt erst nach einigen Stunden demarkiert, ist eine frische Blutung sofort zu identifizieren.

Die Bildgebung dient insb. dem Ausschluss einer intrazerebralen Blutung als Ursache der Defizite! Zeigt sich keine Blutung, wird von einer frischen Ischämie ausgegangen – und die entsprechende Notfalltherapie eingeleitet!

Die cCT ist die wichtigste Untersuchung bei V.a. Schlaganfall!

CT-Diagnostik

Nativ-cCT

  • Indikation: Alle Patienten mit akutem V.a. Schlaganfall

  • Ziele

    • Ausschluss einer Hirnblutung

    • Ggf. Nachweis ischämischer Frühzeichen


Befunde des ischämischen Schlaganfalls im Nativ-cCT

Zeit nach Symptombeginn

Typische Darstellung

2–6 Stunden

Ggf. Frühzeichen wie

  • Verstrichene Sulci

  • Verlust der Mark-Rinden-Grenze und unscharfe Abgrenzung grauer und weißer Substanz in Basalganglien und insulärem Kortex

  • Frühe Hypodensität

  • Hyperdenses Mediazeichen (bei Mediainfarkt)

12–24 Stunden

Zunehmende Demarkierung

  • Hypodensität im Infarktgebiet

  • Ggf. Ödembildung (insb. bei großen Infarkten) mit Kompression von Umgebungsstrukturen

Tag 10–18

Fogging-Phase

  • Passagere Nicht-Sichtbarkeit des Infarkts

Ab 3. Woche

Definitive Demarkierung

  • Bleibende Hypodensität im Infarktareal (liquorisodense Infarktnarbe)

  • Befunde einer intrazerebralen Blutung im Nativ-cCT

    • Darstellung im cCT: Nachweis der Blutung → Hyperdense Darstellung von frischem Blut (früher sichtbar als ischämischer Schlaganfall)

      • Akute Blutung: Hyperdense Raumforderung

      • Hyperakute Blutung: Hypodense Raumforderung (vor Eintreten der Blutkoagulation)


cMRT

  • Indikation

    • In Akutsituation

      • Bei unklarem Zeitfenster (insb. bei Wake-up Strokes) oder Symptombeginn >4,5 h als Grundlage für eine revaskularisierende Therapie

      • Ggf. bei V.a. Infarkt im vertebrobasilären Stromgebiet

    • Im Verlauf

      • Zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen bei unklarer Klinik (sog. „Stroke Mimics“)

      • Zur Darstellung des Infarktmusters

  • Zusatznutzen

    • Frühere Darstellung von Infarktgewebe (DWI-MRT)

    • Einschätzung des Risikogewebes (Penumbra) durch Mismatch-Bildgebung möglich

    • Hohe Sensitivität auch bei kleinen und infratentoriellen Läsionen

  • Sequenzen der „Schlaganfall-MRT“

    • FLAIR („Fluid-Attenuated Inversion Recovery“): MRT-Sequenz, bei der durch einen zusätzlichen Impuls das Signal von Wasser unterdrückt wird, sodass andere Gewebe besser zur Darstellung kommen

    • Diffusions-MRT (= DWI-MRT, „Diffusion Weighted Imaging“) : Stellt das Areal des Gehirns dar, in dem die Diffusion eingeschränkt ist (also den „Infarkt-Kern“) → In diesem Areal sind bereits alle Zellen irreversibel geschädigt

    • Perfusions-MRT (= PWI-MRT, „Perfusion Weighted Imaging“): Stellt das Areal des Gehirns dar, in dem die Durchblutung eingeschränkt ist → In diesem Gebiet sind die Nervenzellen zum Teil bereits irreversibel, zum Teil aber auch noch reversibel geschädigt

    • Blutungssensitive Sequenz (Meist T2*-gewichtete Gradientenechosequenz)

    • MR-Angiografie: Stellt das Gefäßsystem dar und kann extra- und intrakranielle Gefäßstenosen zeigen

  • Darstellung von Infarktarealen in der MRT

    • T2-Wichtung: Hyperintens

    • T1-Wichtung: Hypointens

Perfusions-Diffusions-Mismatch (PWI-DWI-Mismatch, „Penumbra Imaging“)

  • Ziel: Abschätzung der Penumbra

  • Auswertung

    • Die Diskrepanz (= Mismatch) von Perfusions- und Diffusions-MRT entspricht in etwa der Penumbra

    • Je größer das Mismatch, desto mehr Gewebe könnte prinzipiell durch eine Thrombolysetherapie bzw. mechanische Thrombektomie gerettet werden


Weitere Diagnostik

  • Basis-Labordiagnostik bei Schlaganfall

  • Lumbalpunktion: Bei V.a. SAB ohne Blutungsnachweis im CT

  • EKG

    • Im Rahmen des Monitorings in der Akutphase

    • Nachfolgend ggf. Langzeit-EKG

  • Echokardiografie (vorzugsweise als TEE): Zur Suche einer Emboliequelle, insb. kardiale Thromben oder PFO

  • Darstellung der hirnversorgenden Arterien, i.d.R. durch Doppler-Sonografie: Stenosen, Verschlüsse, Dissektionen, bei V.a. Vaskulitiden und fibromuskuläre Dysplasie


Ischämischer Schlaganfall : {Diagnostik} Übersicht klinisch wichtiger Skalen und Scores ?

{Diagnostik} Übersicht klinisch wichtiger Skalen und Scores

NIHSS (National Institutes of Health Stroke Scale)

  • Ziel: Standardisierte und zeitsparende Beurteilung der Schwere neurologischer Defizite beim Schlaganfall

    • Anwendung bspw im Rahmen von

      • Akutphase (Objektivierung der Defizite, insb. durch regelmäßige Testung auf der Stroke Unit)

      • Verlaufsbeurteilung

      • Prognostischer Abschätzung

      • Klinischen Studien

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

NIHSS: Tabellarische Übersicht

Funktionsbereiche/Items

Abstufung

1A: Vigilanz

Vigilanz testen

1B: Orientierung

Frage nach Monat und Alter

1C: Befolgung von Aufforderungen

Aufforderung, die Augen und die Faust zu schließen

2: Blickparese

Aufforderung, dem Finger des Untersuchers zu folgen

3: Gesichtsfeld

Grobe Gesichtsfeld-Perimetrie

4: Faziale Parese

Mimik prüfen

5 A+B: Armparese

Aufforderung, den Arm anzuheben (rechts und links getrennt testen!)

6 A+B: Beinparese

Aufforderung, das Bein anzuheben (rechts und links getrennt testen!)

7: Extremitätenataxie

Aufforderung zum Finger-Nase-Versuch und Knie-Hacke-Versuch

8: Hemihypästhesie

Testen von Berührungsempfinden und Schmerz an beiden Körperhälften

9: Aphasie

Sprache beobachten, ggf. Gegenstände benennen lassen

10: Dysarthrie

Sprache beobachten, ggf. Wortliste lesen lassen

11: Neglect

Auslöschungs- und Vernachlässigungsphänomene prüfen

mRS (modified Rankin Scale)

  • Ziel: Grobe Einschätzung des Behinderungsgrades nach Schlaganfall

  • Durchführung/Auswertung

    • Zuordnung eines Punktwertes von 0–6, je nach Behinderungsgrad

    • Je höher der Punktwert, desto schwerer die Beeinträchtigung

  • Anwendungsbereiche: Insb. zur Verlaufsbeurteilung oder für Outcome-Studien

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

mRS: Tabellarische Übersicht

Punktwert

Behinderungsgrad

Klinik

0

Keine Behinderung, keine Symptomatik

  • Überhaupt keine Symptome

1

Keine signifikante Behinderung trotz Symptomatik

  • Kann sich eigenständig versorgen

2

Leichte Behinderung

  • Braucht in einzelnen Bereichen wenig Hilfe

  • Fast selbstständige Versorgung

3

Mäßige Behinderung

  • Braucht Hilfe in mehreren Bereichen

  • Weitgehend selbstständige Versorgung

  • Gehen noch ohne Hilfe

4

Schwere Behinderung

  • Braucht Hilfe bei Aktivitäten des tägl. Lebens

  • Keine selbstständige Versorgung möglich

  • Gehen nur mit Hilfe

5

Sehr schwere Behinderung

  • Ständige Hilfe und Überwachung notwendig

  • Bettlägerigkeit

  • Inkontinenz

6

Tod

TICI (Thrombolysis In Cerebral Infarction Scale)

  • Ziel: Standardisierte Erfassung des Behandlungserfolges nach Rekanalisierung

  • Durchführung/Auswertung: Einstufung der Perfusion des zuvor verschlossenen Gefäßes anhand von angiografischer Bildgebung

VOLLBILDTABELLEN-QUIZ

TICI: Tabellarische Übersicht

Grad

Perfusion nach Rekanalisation

0

Keine

1

Fluss distal des Verschlusses vorhanden, aber mit inkompletter Füllung

2

a

Antegrader Fluss und <50% Perfusion des Territoriums

b

Antegrader Fluss und >50% Perfusion des Territoriums

c

Antegrader Fluss mit fast kompletter Perfusion des Territoriums, aber langsamem Fluss oder kleinen Embolien

3

Komplette Perfusion aller distalen Äste

  • Interpretation: TICI 2b/3 oder höher entspricht erfolgreicher Rekanalisation

Weitere

  • Scores zur primären Risikoabschätzung

    • ACC/AHA CV Risk Calculator (2013)

  • Scores zur Erfassung der Pflegebedürftigkeit

    • Barthel-Index

    • Frühreha-Barthel-Index

  • Scores zur Antikoagulation bei TIA-/Schlaganfall-Patienten mit nachgewiesenem Vorhofflimmern

    • CHA2DS2VASc-Score

    • HAS-BLED-Score


Ischämischer Schlaganfall : {Therapie} Akuttherapie im Krankenhaus ?

{Therapie} Akuttherapie im Krankenhaus

Bei Eintreffen des Patienten mit V.a. Schlaganfall/TIA im Krankenhaus steht nach Diagnosesicherung und Blutungsausschluss im cCT oder MRT die Entscheidung an, ob eine rekanalisierende Therapie möglich ist.

Rekanalisierende Therapie des ischämischen Schlaganfalls

  • Ziel: Reperfusion minderperfundierter Areale (sog. Penumbra oder „Tissue At Risk“ ), da hier der Zelluntergang noch verhindert werden kann („Time is brain!“).

  • Therapieoptionen

    • Thrombolysetherapie und/oder

    • Mechanische Thrombektomie

Thrombolysetherapie bei Schlaganfall

  • Wirkprinzip: Gabe von Alteplase → Aktivierung von Plasminogen → Bildung von Plasmin → Auflösung von Fibrin im Thrombus → Thrombolyse → Reperfusion vormals verschlossener Gefäße

  • Wirkstoff: Alteplase (=rt-PA, rekombinanter gewebespezifischer Plasminogenaktivator)

  • Indikation: Ischämischer Schlaganfall innerhalb von 4,5 h nach Symptombeginn („Thrombolysezeitfenster“)

    • Schnellstmögliche Durchführung!

    • Keine obere Altersgrenze

  • Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie bei Schlaganfall: Insb. bei erhöhtem Blutungsrisiko (Auswahl)

    • Aktive oder anamnestisch stattgehabte intrazerebrale Blutung

    • Gerinnungsparameter: Thrombozyten <100.000/μL, INR >1,7, Quick <50%

    • Erkrankungen mit erhöhtem Blutungsrisiko (Malignom, akute Pankreatitis, Ösophagusvarizen)

    • Gewebedefekte: OP oder Trauma innerhalb der letzten zwei Wochen, nicht-komprimierbare Punktionen (Organ-, Gefäß- oder Lumbalpunktion) innerhalb der letzten Woche

    • Schwangerschaft/Entbindung/Wochenbett

    • Nicht kontrollierbare arterielle Hypertonie >185/110 mmHg

    • Bakterielle Endokarditis

  • Komplikationen

    • Blutungen (insb. intrakraniell)

    • Orolinguales Angioödem mit Gefahr der Atemwegsverlegung

  • Nach Thrombolysetherapie

    • Erneute cCT-Untersuchung 24 h nach Thrombolysetherapie (Kontroll-CT zum Blutungsausschluss)

    • Danach Beginn einer antithrombozytären Therapie bzw. Antikoagulation in Abhängigkeit von Kontroll-CT, Klinik und ätiopathogenetischen Erwägungen

Interventionelle Therapie des Schlaganfalls (mechanische Thrombektomie)

  • Indikationen

    • Akuter Verschluss der großen hirnversorgenden Gefäße des vorderen Kreislaufs (distale A. carotis interna, M1-Abschnitt der A. cerebri media)

      • Bis 6 h nach Symptombeginn, im Einzelfall auch darüber hinaus

      • Zusätzlich bei Symptombeginn vor <4,5 h: Vorherige intravenöse Thrombolysetherapie (falls nicht kontraindiziert)

      • Auch bei relativ geringen Symptomen (NIHSS <5) sinnvoll

    • Akuter Verschluss der A. basilaris

      • Keine definierte zeitliche Obergrenze

      • Zusätzlich intravenöse Thrombolysetherapie (falls nicht kontraindiziert)

  • Prozedere

    • Nicht-invasive Gefäßdarstellung (CT-Angiografie, MR-Angiografie) bei potenziell geeigneten Patienten für interventionelle Therapie → Darstellung des Hauptstammverschlusses

    • Darstellung des Perfusions-Diffusions-Mismatch (PWI-DWI-Mismatch)

    • Innerhalb des 4,5-Stunden-Zeitfensters: Vorab zusätzlich intravenöse Thrombolysetherapie mit rt-PA (bei fehlenden Kontraindikationen)

      • Ein Wirkungseintritt sollte nicht abgewartet werden, da dies die mechanische Thrombektomie verzögert

    • Falls notwendig, notfallmäßige Verlegung in Zentrum mit endovaskulärer Therapiemöglichkeit („drip-and-ship“-Strategie)

    • Mechanische Thrombektomie mittels Stent Retriever


Nur 5–10% aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall kommen für eine interventionelle Therapie infrage!

Ischämischer Schlaganfall : {Therapie} Frühversorgung auf der Stroke Unit ?

{Therapie} Frühversorgung auf der Stroke Unit

Die Versorgung in der Frühphase nach Schlaganfall dient der Vermeidung von Rezidiven und sekundären Komplikationen. Sie sollte auf einer Stroke Unit (Schlaganfall-Station) erfolgen.

  • Stroke-Unit-Konzept

    • Definition: Neurologische Stationen, die auf die Therapie von Schlaganfall-Patienten spezialisiert sind

    • Bestandteile: Strukturiertes Initialmanagement mit hohen diagnostischen und therapeutischen Qualitätsstandards

  • Monitoring: Beginn unmittelbar nach stationärer Aufnahme

    • Kontinuierliches Monitoring der Vitalparameter: EKG, Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung

    • Regelmäßige Kontrolle

      • Neurologischer Befund

      • Temperatur und Blutzucker

      • Infektparameter (→ Antibiotische Behandlung bakterieller Infektionen, keine antibiotische Prophylaxe)

    • Dysphagie-Screening („Schluckversuch“) vor erster oraler Kost

  • Neuroprotektive Basismaßnahmen bei ischämischem Schlaganfall/TIA

    • Blutdruckmanagement

      • Antihypertensive Therapie nur bei Überschreitung kritischer Blutdruckgrenzen

      • In den ersten Tagen nach Schlaganfall leichte Hypertonie anstreben

      • Schnelle und drastische Blutdrucksenkung vermeiden!

      • Aber: Konsequente Therapie hypotoner Blutdruckwerte

      • Zielwerte: 180/100 mmHg für bekannte Hypertoniker bzw. 160/90 mmHg für Nicht-Hypertoniker

      • Korrektur: ab ≥220/120 mmHg, bei Bestehen einer Thrombolysetherapie oder bei intrakranieller Blutung schon ab >140/90 mmHg

    • Blutzuckermanagement: Vermeidung schwerer Hyperglykämien

      • Korrektur: Ab ≥200 mg/dL, i.d.R. mit Alt-Insulin

    • Fiebersenkung mit dem Ziel der Normothermie (<37,5 °C)

    • Ausgleich von Elektrolytstörungen

    • Erwägung einer nasogastralen Sonde zur Ernährung

  • Thromboseprophylaxe

    • Supportiv

      • Frühmobilisation und ausreichende Volumentherapie

  • Frührehabilitative Behandlung: Hierbei handelt es sich um eine Rehabilitationsmaßnahme, die bereits während der akutmedizinischen Behandlung einsetzt (u.a. physio- und ergotherapeutische sowie logopädische Maßnahmen)

    • Rehabilitation bspw. nach dem Bobath-Konzept

Bei akutem ischämischem Apoplex soll eine medikamentöse Blutdrucksenkung in der Regel nicht erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme 2)


Frühe Sekundärprophylaxe nach ischämischem Schlaganfall beginnen (siehe Prävention)!

Ischämischer Schlaganfall : Prävention ?

Prävention

Primärprävention des ischämischen Schlaganfalls

  • Optimale Einstellung der Grundkrankheiten bzw. Beseitigung der veränderbaren Risikofaktoren (siehe auch: Prävention der Atherosklerose)

    • Blutzuckereinstellung

    • Blutdruckeinstellung

    • Nikotinverzicht

    • Risikoadaptierte LDL-Cholesterineinstellung mit Statinen

    • Ggf. Gewichtsreduktion

    • Regelmäßig Sport treiben

    • Bei Vorhofflimmern: Ggf. Antikoagulation und/oder Kardioversion (für detaillierte Informationen siehe: Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern)

    • Vermeidung eines hohen Alkoholkonsums (>40 g täglich)

Sekundärprävention des ischämischen Schlaganfalls und der TIA

  • Schlaganfallpatienten OHNE Vorhofflimmern: Frühe Rezidivprophylaxe mit einfacher Thrombozytenaggregationshemmung (ASS oder bei Unverträglichkeit Clopidogrel) innerhalb von 48 h nach Ereignis

  • Schlaganfallpatienten MIT Vorhofflimmern

    • Therapeutische Antikoagulation mit DOAK oder Cumarinen

    • Keine zusätzliche Gabe von ASS oder Clopidogrel (Ausnahme: Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung nach frischer PCI)

    • Siehe auch: Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern

  • Weitere Empfehlungen

    • Behandlung mit Statinen

    • Blutdruckeinstellung mit Zielkorridor von 120/70–140/90 mmHg

    • Siehe auch: Therapie atherosklerotisch bedingter Erkrankungen

Ischämischen Schlaganfällen liegen i.d.R. kardiologische Grunderkrankungen (insb. Atherosklerose und Vorhofflimmern) zugrunde. Die (Sekundär‑)Prophylaxe muss daher immer die optimale Einstellung dieser internistischen Erkrankungen einschließen!

Vorgehen bei Karotisstenose

  • Symptomatische Karotisstenose: Bei einem Stenosierungsgrad >50% nach NASCET-Standard wird eine zeitnahe operative Versorgung empfohlen (meist mittels Thrombendarteriektomie)

  • Asymptomatische Karotisstenose: Bei einer Stenosierung von >60% ist eine Thrombendarteriektomie indiziert, wenn die Summe von Mortalität und Morbidität der Behandlung <3% (bezogen auf 30 Tage) und die Lebenserwartung >5 Jahre beträgt – Männer haben einen größeren Benefit von dem Eingriff als Frauen

  • In Stadium IV der zerebrovaskulären Insuffizienz und bei gleichzeitiger kontralateraler Karotisstenose (symptomatisch oder asymptomatisch): Indikation zur Operation zur Vorbeugung eines erneuten Schlaganfalls

Die Bestimmung des Stenosegrades bei Veränderungen der Arteria carotis soll mit der farbkodierten Duplex-Sonografie (FKDS) erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Angiologie)

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Fehr Q.

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