Können Menschen gut zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden?
Nein!
Laien liegen knapp über dem Zufall
Sie fokussieren oft auf falsche Hinweisreize und interpretieren diese falsch
Fachkräfte bei der Polizei und in änhlichen Funktionen sind nur geringfügig besser
Wann werden Sachverständige zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung beauftragt?
Wenn das Gericht nicht über genügend Sachkunde verfügt
Aber nur, wenn Besonderheiten in der Person der Zeugen liegen
z.B. jugendliches/kindliches Alter oder psychische Erkrankungen
Was wird beurteilt?
Glaubhaftigkeit einer Aussage ≠ Glaubwürdigkeit einer Person
Typischer Ablauf
Beauftragung durch Gericht/Staatsanwaltschaft
Aktenanalyse
Exploration (bei Bedarf Testdiagnostik)
Gutachtenanfertigung
Hauptverhandlung (mit erneuter Beurteilung)
Mündlicher Gutachtenvortrag
Wie wird hypothesengeleitet vorgegangen?
Startpunkt (in dubio pro reo): Unwahrheitshypothese
Prüfe alle in Frage kommenden Hypothesen, dass es sich um eine unwahre Aussage handelt
Findet sich keine Evidenz für eine der Unwahrheitshypothesen, verwerfe diese und nimm die Wahrheitsannahme an
Welche sind die zu untersuchenden Unwahrheitshypothesen?
Die Aussage ist nicht erlebnisbasiert, sondern
Produkt von Persönlichkeitsbesonderheiten
Produkt suggestiver Einflüsse
eine bewusste Falschbeschuldigung
Welche sind die 3 Teilfragestellungen?
Aussagetüchtigkeit: Verfügt der Zeuge über die kognitiven Voraussetzungen, die für eine gerichts-verwertbare Aussage erforderlich sind?
Aussagetüchtigkeit: Gibt es Störfaktoren (z.B. Suggestion), die wahrscheinlich zu nicht-intentionalen Gedächtnisverfälschungen geführt haben?
Aussagequalität: Enthält die Aussage Qualitätsmerkmale, die nicht oder nur selten in erlebnisfernen Aussagen zu finden sind?
Vorgehen bei der Prüfung Aussagetüchtigkeit
Aktenstudium
Schulzeugnisse
Krankheitsanamnese
Arztberichte
Testdiagnostik
Welche Fragen werden bei der Beurteilung der Aussagetüchtigkeit geprüft?
Kann der Zeuge
den Sachverhalt wahrnehmen?
den Sachverhalt im Gedächtnis behalten?
sich sprachlich ausdrücken?
Fantasie und Realität unterscheiden?
Zusätzlich: Liegt deliktspezifisches Erfahrungswissen vor, um eine Falschaussage zu generieren oder aufrechtzuerhalten?
Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Verzerrung vor, …
… kann die Aussagequalität nicht mehr beurteilt werden
Vorgehensweise der Prüfung der Aussagezuverlässigkeit
Rekonstruktion der Aussagenentstehung und -entwicklung
Fanden wiederholte suggestive Befragungen statt?
Kam es zum Einsatz projektiver Verfahren?
Wurden die Aussagen zum relevanten Tatgeschehen bereits beim ersten Gespräch gemacht oder erst nach wiederholten Befragungen?
Vorgehensweise bei der Prüfung der Aussagequalität
Semi-strukturiertes Gespräch mit dem Zeugen
Merkmalsbasierte Inhaltsanalyse, die die Qualität der Zeugenaussage systematisch einschätzt
Anwendung eines Fragenkatalogs, um das Ergebnis der merkmalsbasierten Inhaltsanalyse zu evaluieren
Realkennzeichen:
Allgemeine Merkmale
Logische Konsistenz
Ungeordnet sprunghafte Darstellung
Quantitativer Detailreichtum
Spezielle Inhalte
Raum-zeitliche Verknüpfungen
Interaktionsschilderungen
Wiedergabe von Gesprächen
Schilderung von Komplikationen im Handlungsverlauf
Inhaltliche Besonderheiten
Schilderung ausgefallener Einzelheiten
Schilderung nebensächlicher Einzelheiten
Phänomengemäße Schilderung unverstandener Handlungselemente
Indirekt handlungsbezogene Schilderung
Schilderung eigener psychischer Vorgänge
Schilderung psychischer Vorgänge des Angeschuldigten
Motivationsbezogene Inhalte
Spontane Verbesserungen der eigenen Aussage
Eingeständnis von Erinnerungslücken
Einwände gegen die Richtigkeit der eigenen Aussage
Selbstbelastungen
Entlastung des Angeschuldigten
Deliktspezifische Inhalte
Deliktspezifische Aussageelemente
Gesamtbeurteilung der Merkmalsbasierten Inhaltsanalyse
Es gibt keinen objektiven Schwellenwert
Stattdessen erfolgt eine qualitative, einzelfallorientierte Bewertung aller in Frage kommenden Unwahrheitshypothesen
Probleme von Laborstudien bei der Validierung der merkmalsbasierten Inhaltsanalyse
Geringe ökologische Validität
geringe emotionale Belastung
zu Studienzwecken klar definierte Kriterien für Erlebnisbasiertheit können von den in der Praxis verwendeteten Kriterien abweichen
Welche Merkmale weisen eine niedrige Beurteiler-Übereinstimmung auf?
Spontane Verbesserungen
Objektivität bei der Kodierung
Scheint gegeben zu sein
bis auf 2 Ausnahmen ergeben sich für alle Merkmale mehrheitlich mind. gute Übereinstimmungen
der Gesamtwert weist durchgängig eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen Beurteilenden auf (> .75)
Welche Realkennzeichen differenzieren am besten zwischen wahren und falschen Aussagen?
-> Kognitive Aspekte differenzieren besser
-> Gesamtwert besser als einzelne Merkmale
Welche Realkennzeichen differenzieren am schlechtesten zwischen wahren und falschen Aussagen?
Einwände gegen Richtigkeit
Sensitivität und Spezifität der Merkmalsorientierten Inhaltsanalyse
im Mittel wurden 73% der wahren Aussagen als wahr eingestuft
im Mittel wurden 72% der falschen Aussagen als falsch eingestuft
Welchen Einfluss hat Alter?
Jüngere Kinder produzieren weniger Qualitätsmerkmale
Bei jüngeren Kindern differenzieren weniger Qualitätsmerkmale zwischen wahren und falschen Aussagen
Unterschiedliche Merkmale differenzieren in den verschiedenen Altersgruppen zwischen wahren und falschen Aussagen
Fazit zur Beurteilung der Aussagequalität
Einflussvariablen wie Alter, verbale Fähigkeiten und Interviewstil müssen berücksichtigt werden
Absolute Schwellenwerte sind sinnlos
Sinnvoll sind intraindividuelle Vergleiche in der Schilderung wahrer und erfundener Aussagen
Was ist das Konzept der differenziellen Konstanz?
Manche Aspekte erlebnisbasierter Aussagen werden besser erinnert als andere - entscheidend ist nicht, ob absolut konstant erinnert wird, sondern ob das Muster dem üblichen Muster erlebnisbasierter Erinnerungen folgt
Aspekte hoher erwarteter Konstanz
Kerngeschehen
Beteiligte Personen
Örtlichkeiten
Relevante Gegenstände
Fortbewegungsarten
Lichtverhältnisse
Körperpositionen
Deliktspezifische Angaben
Aspekte niedriger erwarteter Konstanz
Nebenhandlungen
Nicht beteiligte Personen
Kleidung, Wetter
Datierungen, Reihenfolgen
Schätzungen, Zahlen, Häufigkeiten
Seitenverhältnisse
Gespräche
Eigene Motive
Schmerz
Möglicher Vorteil der differenziellen Konstanz
Das Realkennzeichen lässt sich aufgrund seiner Unzugänglichkeit bei Falschaussagen schlecht nachahmen
Alternativen zur merkmalsbasierten Inhaltsanalyse
Polygraph
EKPs
Bildgebende Verfahren
Vorgehensweise beim Polygraph
Kontrollfragentest:
Irrelevante Frage
Relevante Frage
Kontrollfrage, die sich auf sozial verwerfliches Verhalten bezieht
Annahmen beim Kontrollfragentest
Schuldige reagieren stärker auf relevante Fragen
Unschuldige reagieren gleich stark oder stärker auf Kontrollfragen
Probleme des Polygraphen
andere Arten von Erregung können ebenfalls zum Anstieg peripherphysiologischer Indikatoren führen
bestimmte Personen reagieren nicht peripherphysiologisch auf Lügen
Gegenmaßnahmen möglich
Entspannungstechniken
Selbst erzeugte Erregung bei Kontrollfragen (z.B. auf Zunge beißen)
Vorgehensweise bei EKPs
Tatwissenstest:
P300: starke Ausprägung bei seltenen, aufgabenrelevanten Ereignissen
Straftat-Wissen, das nur Schuldige haben können, führt bei Schuldigen zur Ausprägung einer P300
Vorgehensweise bildgebende Verfahren
Lügen ist kognitiv anspruchsvoll
Um erfolgreich zu lügen, muss die ehrliche Antwort unterdrückt werden
Beim Lügen zeigt sich dementsprechend erhöhte Aktivität in Regionen für exekutive Kontrolle (PFC)
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