Materialismus & Besitz: Bedeutungsebenen von Besitz
Besitz als eine Erweiterung des Selbst: The Extended Self („Das erweiterte Ich“; Belk, 1988; Schultz Kleine, Kleine III, & Allen, 1995)
Besitz als Ausdruck von Identität und Persönlichkeit („wir sind was wir haben“)
Besitzt als Beitrag zum Selbstverständis
Besitz als Erinnerung an und Verbindung zu Erfahrungen, Errungenschaften und Menschen
“Groundedness“ (emotionale Verankerung, Erdung, Verwurzelung; Eichinger, Schreier, & van Osselaer, 2022):
Kann sich ausdrücken über
Place (physisch)
People (sozial)
Past (historisch)
Erhöhte Attraktivität von Produkten, die ein Gefühl von Groundedness vermitteln, da sie die Zufriedenheit erhöhen und Gefühle von Sicherheit, Stärke und Stabilität vermitteln.
Besitztümer als Ausdruck von Gruppenzugehörigkeit und Status
“Conspicuous Consumption“ (Veblen, 1899)
Brand Communities (Algesheimer, 2013)
Materialismus & Besitz - Definitionen
Definitionen:
Die Bedeutung, die ein Verbraucher weltlichen Gütern beimisst. Auf der höchsten Stufe des Materialismus nehmen diese Besitztümer einen zentralen Platz im Leben einer Person ein und werden als die größten Quellen für Zufriedenheit und Unzufriedenheit angesehen. (Belk, 1985)
Materialismus als Persönlichkeitseigenschaft (“Trait“; Belk, 1985):
Possessiveness (z.B. “I get very upset if something is stolen from me, even if it has little monetary value”)
Nongenerosity (z.B. “I don't like to lend things, even to good friends“)
Envy (z.B. “I am bothered when I see people who buy anything they want“)
Materialismus als Wertvorstellung (“Value“; Richins & Dawson, 1994):
Possession-defined success (z.B. “I admire people who own expensive homes, cars, and clothes“)
Aquisition centrality (z.B. “Buying things gives me a lot of pleasure“)
Acquisition as the pursuit of happiness (z.B. “I’d be happier if I could afford to buy more things“)
Materialismus & Besitz - Negative Auswirkungen
Negative Auswirkungen z.B. hinsichtlich:
Subjektives Wohlbefinden durch Konflikte mit kollektiv-orientierten Werten (Burroughs & Rindfleisch, 2002).
Stigmatisierung: “Participants expressed negative stereotypes of materialistic people, considering them to be more selfish and self-centered than experiential people” (Van Boven et al., 2010, p. 551).
Impulsives Geldausgeben: “materialistic consumers do not easily engage in impulsive spending when they perceive high economic mobility, whereas they tend to spend impulsively when they perceive low economic mobility“ (Yoon & Kim, 2016, p. 759).
Materialismus & Besitz: Mögliche Konsequenzen
Heutige US-Haushalte haben mehr Besitzt pro Haushalt als jede andere Gesellschaft je zuvor (Arnold et al., 2012)
Ein Übermaß an Besitztümern, die gemeinsam chaotische und ungeordnete Lebensräume schaffen („Clutter“; Roster et al., 2016, S. 32) kann führen zu
Stress und Angst (Arnold et al., 2012; Khamis, 2019)
Versagen der Selbstregulierung (Chae & Zhu, 2014)
vermindertem subjektiven Wohlbefinden (Roster et al., 2016)
Exzessives Horten von materiellen Gegenständen (“Hoarding“) steht in Verbindung mit Informationsverarbeitungdefiziten
betreffend Aufmerksamkeit, Kategorisierung, Gedächtnis und Entscheidungsfindung, die
vermutlich auf Unordnung und Desorganisation zurückzuführen sind (Steketee & Frost 2003)
Clutter wahrgenommen als Symptom für ein desorganisiertes Leben und Zeitmanagement (Belk et al., 2007)
„Der Besitz erzeugt nicht nur Pflichten, er schafft so viele, daß eine Fülle davon Qual ist.“
(Oscar Wilde)
Materialismus & Besitz: Organizing als Trend
Ziel ist eine übersichtliche und visuell ansprechende („instagrammable“) Anordnung der Gegenstände eines Haushalts
Üblicherweise kein Fokus auf eine Reduzierung der Gegenstände
Geht häufig mit der Anschaffung weiterer materieller Gegenstände einher, die zur Organisation notwenig erscheinen
z.B. farblich abgestimmte Aufbewahrungsboxen, in denen „hässliche“ Umverpackungen aus dem Supermarkt versteckt werden
z.B. Glasbehälter, in die Produkte der besseren Einsehbarkeit wegen umgefüllt werden
“Organizing is well-planned hoarding“ (theminimalists.com/organizing)
Konsumverzicht: Beispiel Bekleidung
Konsumverzicht: Beispiel Bekleidung – Capsule Wardrobe
Der Capsule Wardrobe besteht aus einer möglichst reduzierten Anzahl an essenziellen Kleidungsstücken, die Modetrends überdauern und die durch Kombinationsmöglichkeiten dennoch eine Vielfalt an verschiedenen Outfits erlauben
Project 333: Minimalistische Mode-Challenge, bei der man sich 3 Monate lang nur mit 33 oder weniger Kleidungsstücken kleidet
Bekannte Extrembeispiele:
Steve Jobs (schwarzer Rollkragenpullover)
Marc Zuckerberg (graues T-Shirt)
– “I really want to clear my life to make it so that I have to make as few decisions as possible about anything except how to best serve this community [...] I feel like I'm not doing my job if I spend any of my energy on things that are silly or frivolous about my life” (Zuckerberg über seine Kleiderwahl 2014)
Konsumverzicht: Beispiel Bekleidung – Qualität statt Quantität
Konsumverzicht: Beispiel Bekleidung – Qualität statt Quantität bei Luxusgütern
Der Kauf von Luxusgütern kann ein wirkvolles Mittel sein, um nachhaltig zu konsumieren, da hochwertige Produkte besonders langlebig sind.
H1: Holding the total budget and time horizon of consumption constant, consumers prefer to purchase multiple mid-range products over fewer high-end products.
H2: The effect specified in H1 is mediated by product durability neglect.
H3: Increasing the salience of product durability encourages the choice of fewer high- end products over multiple mid-range products.
Konsumverzicht: Anticonsumption
Anticonsumption: Bewusstes und bedeutsames Ausschließen oder Einsparen von Gütern aus der eigenen Konsumroutine oder die Wiederverwendung erworbener Güter mit dem Ziel der Konsumvermeidung (Makri et al. 2020)
Klassifizierbar in 3 Kategorien (Lee et al. 2011):
Reject (Ablehnung): Individuen schließen bewusst bestimmte Güter aus ihrem Konsumkreislauf aus
– z.B. eine bestimmte Marke aus funktionalen, symbolischen oder ethischen Gründen ablehnen
Restrict (Einschränkung): Reduzierung, Senkung und Begrenzung des Verbrauchs, wenn eine völlige Vermeidung des Verbrauchs nicht möglich ist
– z.B. Strom- oder Wasserverbrauch
Reclaim (Rückforderung/Zurückgewinnen): Ideologischen Wandel hinsichtlich der Prozesse des Erwerbs, der Nutzung und der Entsorgung
– z.B. Gemüse anbauen statt es auf konventionellen Märkten zu kaufen
– z.B. Dumpster Diving (der vermeintliche Abfall wird aus dem Prozess der Entsorgung zurückgefordert)
Konsumverzicht: Voluntary Simplicity (Definition, Entstehung, Motive, Problematik)
Definition: Voluntary Simplicity bezieht sich auf die Entscheidung, die Ausgaben für Konsumgüter und Dienstleistungen aus freiem Willen zu begrenzen und nicht- materialistische Quellen der Zufriedenheit und des Sinns zu kultivieren (Etzioni 1998, 2004)
Entstehung: Religiöser, philosophischer Ursprung (z.B. Puritanismus, Gandhi)
Motive: Ethik, Umwelt, Gesellschaft
Problematik: Sehr breites Konstrukt, Skalen fragen für heute typisches Verhalten ab (z.B. mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren; Glas recyclen [Cowles & Crosby 1986; Leonard-Barton 1981])
Konsumverzicht: Voluntary Simplicity - 5 Kernwerte
5 Kernwerte (Elgin & Mitchell 1977):
Materielle Einfachheit: Weniger konsumieren (insbesondere energieineffiziente, nicht biologisch abbaubare, nicht lebensnotwendige Luxusgüter)
Menschliches Maß: Weniger komplexe Institutionen
Selbstbestimmung: Autarker leben (z.B. Gemüse selbst anbauen)
Ökologisches Bewusstsein: Verantwortungsbewusstes Handeln im Umgang mit Menschen und Ressourcen
Persönliches Wachstum: Entwicklung des Innenlebens durch psychologisches und spirituelles Wachstum
Konsumverzicht: Minimalismus im Konsum
Minimalismus Definition:
Wilson & Bellezza 2022:
Konsumminimalismus als eine (stabile) Wertvorstellung, die den achtsamen Erwerb und Besitz weniger, sorgfältig ausgewählter Besitztümer mit einer Präferenz für eine sparsame Ästhetik umfasst.
3 Dimensionen:
Anzahl der Besitztümer
Sparsame Ästhetik
Achtsam kuratierter Konsum
Eckmann & Landwehr 2022:
Minimalismus als die formbare Präferenz für eine geringe Anzahl von materiellen Besitztümern
Begründet sich in der Annahme, dass Besitz mit diversen Kosten verbunden ist (z.B. Zeit und Mühe für Aufräumen/Putzen, Platzrestriktionen, Unordnung; Cost of Ownership-Perspektive)
Motive: Persönliche Vorteile (egozentriert)
Minimalismus: Messung – Minimalist: Consumer Scale
Minimalismus: Messung – Minimalism in Material Possessions (MMP) Scale
Minimalismus: Empirische Befunde
Kostenlose materielle Dinge werden abgelehnt (Wilson & Bellezza 2022)
Negative Beziehung zwischen hohem Wert auf der Minimalismus-Skala und Anzahl an ausgewählten Gratisartikeln (β = -.28, t(198) = 4.08, p < .001).
Probanden mit hohem Minimalismus-Wert wählten weniger Gratisartikel aus.
Beide Minimalismus-Skalen sagen das Interesse der Verbraucher an der Anzahl der Gratisartikel vorher; aber nur MMP ist experimentell induzierbar und wirkt als Mediator.
Tendenz zum Ausmisten als verhaltensrelevante Folge einer minimalistischen Präferenz
Positive Beziehung zwischen Minimalismus-Score beider Skalen und Tendenz zu entrümpeln (βMMP = 0.27, SE = 0.08, t(198) = 3.33, p = .001; βCM = 0.20, SE = 0.10, t(198) = 1.98, p = .049).
Probanden mit höheren Minimalismus-Werten neigten eher dazu, auszumisten, als zusätzlichen Stauraum zu schaffen, wenn sie mit dem hypothetischen Dilemma konfrontiert wurden, dass ihnen der Platz ausgeht.
Minimalismus: Empirische Befunde - Zusammenhänge
Zusammenhang mit mengenbezogenen Variablen
Negative Korrelation mit der Menge an Besitztümern in verschiedenen Besitzkategorien
Kleidungsstücke
Accessoires (z.B. Taschen, Sonnenbrillen)
Dekoration (z.B. Pflanzen, Bilder)
Medien (z.B. Bücher, DVDs, CDs)
Zusammenhang mit Soziodemographika
Positive Korrelation mit derzeitigem sozioökonomischen Status (z.B. “I have enough money to buy things I want“, Griskevicius et al., 2013)
Kulturelle Unterschiede
Höherer durchschnittlicher Minimalismus-Score in individualistisch geprägten Ländern (USA, Deutschland) als in kollektivistisch geprägten Ländern (China)
Minimalismus: Kritik
Minimalismus als Statussignal
Minimalismus nur praktikabel für finanziell besser gestellte
“Conspicuous Non-Consumption“: Bewusster Nichtkonsum als soziales Signal der Gruppenzugehörigkeit
Materialistische Minimalisten:
Ästhetische Inszenierung des verbliebenen Besitzes
Erhöhte Anstrengungen und Aufwand um perfekte Produkte zu finden und um Lebensstil aufrecht zu erhalten (Versprechen: weniger Aufwand!)
Weniger zu besitzen geht nicht zwangsläufig mit weniger Konsumausgaben einher
Wechsel zu teureren Alternativen
Wechsel zu nicht-materiellem Konsum (z.B. Reisen)
Kein Fokus auf Nachhaltigkeit und/oder gesellschaftliche Belange durch egozentrische Perspektive
Affektives Entscheidungskriterium (Marie Kondo: “Does this item spark joy?“) oder Nutzungshäufigkeit als Entscheidungskriterium beim Aussortieren
Keine Rücksicht auf Funktionalität von Gegenständen
Konsumverzicht: Weitere Erscheinungsformen
Overearning = die Tendenz, auf Freizeit zu verzichten, um über den eigenen Bedarf hinaus zu arbeiten und zu verdienen.
Normative Gründe für Overearning
Freude an der Arbeit
Unsicherheit über die Zukunft
Wunsch, anderen Vermögen zu vererben
FIRE (Financial Independence, Retire Early) Bewegung
Ziel: Finanziellen Unabhängigkeit so früh wie möglich zu erreichen
Methode: Extremes Sparen und Investieren, sodass vom angelegten Geld gelebt werden kann
Arbeiten ist nach Zielerreichung optional
– Experiential vs. Material Purchases
Experiential Advantage: Konsumenten sind glücklicher, wenn sie Erlebnisse statt materielle Güter konsumieren
Der Effekt reduziert sich
für negative Erlebnisse
für allein erlebte (vs. gemeinsame) Erlebnisse
für Konsumenten mit niedrigem sozioökonomischem Status
wenn Erlebnisse im Vergleich zu materiellen Gütern ein ähnliches Maß an utilitaristischem Nutzen bieten
- Nachhaltigkeit durch Acess-based Consumption
Ein höherer länderspezifischer Globalisierungsindex korreliert positiv mit dem Durchschnittumsatz pro Nutzer in Kurzzeitmiete von Fahrzeugen (Study 1A) sowie negativ mit einem Index für den Erwerb von Wohneigentum (Study 1B). >> Länder mit einer “global identity“ mieten eher, statt zu kaufen.
Konsumenten mit einer hohen globalen Identität ("Globals") haben eine größere Präferenz für zugangsbasierten Konsum als solche mit einer hohen lokalen Identität ("Locals"), was durch Konsumoffenheit mediiert wird.
Study 2A
- Nachhaltigkeit durch Psychological Ownership
Psychological Ownership = Gefühl der Eigentümerschaft („Das ist meins”), ohne dass Eigentum im rechtlichen Sinne vorliegen muss (Pierce, Kostova, & Dirks 2003)
Positiver Effekt auf den Umgang mit öffentlichen Gütern (Peck, Kirk, Luangrath, & Shu 2021)
H1: Increased psychological ownership of a public good increases the likelihood of engaging in stewardship behavior for that good.
H2: The positive effect of psychological ownership on stewardship behaviors for public goods is mediated by perceived responsibility.
Stewardship behaviors: actual donations, intentions to pick up trash, intentions to volunteer time, intentions to repair storm damage
H3: The effect of psychological ownership on stewardship through perceived responsibility diminishes in the presence of a diffusion of responsibility cue (attendance sign).
2 (psychological ownership vs. control) x 2 (diffusion of responsibility cue: attendance sign vs. no attendance sign) between-subjects design (Study 4)
Digitaler Überkonsum/Digital Detox: Status Quo
Digitaler Überkonsum
Entstehung:
Constant connectivity: in-app push notifications, instant messaging, emails, and intelligent algorithms
Information Overload
Noch größere Onlinenutzung seit Beginn der COVID-19 Pandemie (Lockdowns, Quarantäne, Remote Working, weniger persönliche Kontakte)
Entstehung fließender Übergänge von Arbeit und Privatleben
Folgen:
Übermäßige Internetnutzung
verringert die zwischenmenschliche Kommunikation,
erhöht Stress,
erhöht Depressionen oder Einsamkeit und
beeinträchtigt das allgemeine Wohlbefinden (Kraut et al. 1998)
Verstärkter Wunsch den digitalen Konsum und die Nutzung digitaler Geräte - zumindest vorübergehend - einzuschränken
Digital Detox
Definition (Winkler et al. 2022):
“... the intentional (temporary or permanent) reduction of digital consumption behavior, which includes all technical devices such as smartphones, laptops, tablets, as well as digital services such as social networking sites (SNS), messengers, and online gaming.”
Digital Detox zielt nicht darauf ab, die Nutzung von Technologien gänzlich abzulehnen, sondern fördert vielmehr das Bewusstsein und bietet Strategien für einen bewussteren Umgang mit Technologie (Syvertsen und Enli 2020)
Digital Detox: Problem Focused Coping
Erreichen eines Wendepunkts, an dem die Vorteile der Interaktion mit digitalen Geräten zu einer wahrgenommenen Belastung werden (Deloitte 2017)
Verschiedene Bewältigungsstrategien („Coping Strategies“) für den Umgang mit wahrgenommenen Belastungen
Digital Detox als Gegenreaktion eines Individuums auf den übermäßigen Konsum digitaler Technologie
Digital Detox: Preference for Digital Detox Scale (PDDS)
To what extent do you agree with the following statements? (1 = not at all, 7 = very much)
Limiting the use of digital devices helps to prevent becoming addicted.
Being offline from time to time fosters my feeling of freedom.
Knowing when to put down my phone helps me to improve my self-discipline.
Being unavailable by turning off my digital devices builds my appreciation for the more meaningful things.
Spending time on offline hobbies (e.g., sports, craftsmanship, art...) does more to develop my character than using any digital device.
Reducing my digital activities improves my mental health.
Being offline helps me sort my thoughts and listen to my heart.
Digital Detox: Einfluss auf Konsumverhalten
Digital Detox: Kritik/Limitationen
Dauerhafte Veränderung des eigenen digitalen Konsumverhaltens sind nur bedingt möglich:
soziokulturelle Erwartungen
Gruppendruck
Anforderungen des Arbeitsmarktes
Infrastruktur (Apotheken(not-)dienste, Öffnungszeiten, Terminservices, etc.)
—> Rückkehr zu digitalen Technologien und Diensten kann nach einer digitalen Auszeit häufig von Dritten „erzwungen“ werden.
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