ADHS - Biopsychosoziales/multifaktorielles
Entstehungsmodell
ADHS variiert im Schweregrad und geht von unauffälligem Verhalten bis hin zu schwerer Störung.
Aussagen zur Prävalenz von ADHS liegen zwischen 5% (Banaschewski et al, 2017) und 10-12% (APA, 2013).
Entstehungsbedingungen und Ursachen sind nicht vollständig geklärt.
Klassifikation
- ICD-11 und DSM-5: Störung der neuronalen und mentalen Entwicklung (neurodevelopmental disorders)
- Beginn vor dem Alter von 12 Jahren (ICD-10: vor dem 7. LJ)
- Symptomdauer von mindestens 6 Monaten
- Beeinträchtigung in mindestens zwei oder mehr Lebensbereichen (schulisch, privat, beruflich)
- Sichtbar in verschiedenen Situationen oder Settings (Schule, Freizeit, mit Freunden, mit Verwandten)
DSM-5 - Symptome
(Vorwiegend) Unaufmerksamer ADHS-Typ
• Schwierigkeiten beim Fokussieren bei uninteressanten Aufgaben
• Schwierigkeiten Handlungen zu planen und in Unteraufgaben
aufzuteilen
• Durch eine immer stärkere Arbeitsbelastung zunehmend verlangsamte Arbeitsgeschwindigkeit und dadurch sekundäre emotionale Auffälligkeiten (Schulangst, psychosomatische Auffälligkeiten, Schulverweigerung)
(Vorwiegend) hyperaktiv-impulsiver ADHS-Typ —> von unauffällig bis schwere Störung
• Immer in Bewegung (kippeln, wippender Fuß)
• Handeln of unüberlegt/Konsequenzen werden nicht vorhergesehen
• Schwierigkeiten beim Warten auf Belohnungen
• Schwierigkeiten im Sozialverhalten: Unterrichtsstörung, Opposition gegenüber den Lehrkräften, mangelnde soziale Integration
Gemischtes Erscheinungsbild: vermehrt Klassenwiederholung,
Unterrichtsausschluss, Schulverweise, Wechsel auf Förderschulen —> Je stärker die ADHS-Symptomatik ausgeprägt ist, desto weniger erfolgreich verläuft die Schullaufbahn
Komorbidität
ADHS geht häufig mit anderen Störungen einher (Angststörung, affektive Störung, Substanzmissbrauch, Adipositas)
Diagnostik
Für eine Diagnostik wird gefordert, dass die Symptome „in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden ist“ (Gawrilow, 2016).
Deshalb ist es wichtig, den Kontext der Verhaltensweisen einzubeziehen.
Ausschluss anderer Ursachen (zB. Angststörung, bipolare Störungen, die episodisch ähnliche Symptome auftreten, Substanzkonsumstörungen)!
Achtung!
Nicht jeder, der manchmal unkonzentriert ist, hat ADHS.
Umgekehrt ist ADHS nicht gleichzusetzen mit „manchmal bin ich etwas chaotisch“.
Aufmerksamkeit ist generell eine begrenzte Ressource. Menschen mit ADHS können jedoch im Vergleich schlechter darauf zugreifen (Gawrilow, 2016).
Eine Diagnostik ist daher zwingend notwendig
Beeinträchtigung Neuropsychologischer Funktionen:
Beeinträchtigung in vier exekutiven neuropsychologischen Funktionen
(1. (Nonverbalen) Arbeitsgedächtnis (Antizipation von
Verhaltenskonsequenzen, zeitliche Organisation von Verhalten)
2. Selbstregulation von Affekten, Motivation und Aufmerksamkeit
3. Internalisierung und Automation von Sprache (z.B. durch
Selbstinstruktionstraining oder bei der Problemlösung)
4. Analyse und Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten
Außerdem Beeinträchtigungen bei:
Selbstregulation, Flexibilität im Denken, Reaktionshemmung, Planen und Organisieren von Verhalten sowie dessen Sequenzierung
Inhibitorische Prozesse: Grundlage für exekutive Funktionen, die
sich als psychologische Prozesse beschreiben lassen, die der
Ausführung von Handlungen unmittelbar vorangehen
Nachteilsausgleich bei ADHS?
• ADHS kann als Teilleistungsstörung im Bereich der Aufmerksamkeit, Ausdauer und Selbstkontrolle aufgefasst werden und sollte den anderen Teilleistungsstörungen (z.B. Lese-/ Rechtschreibstörung) als Voraussetzung für eine spezielle Förderung und einen Nachteilsausgleich gleichgestellt werden (Eckpunktepapier ADHS: https://www.zentrales-adhs-netz.de/fileadmin/redakteure/Eckpunktepapier_zu_ADHS_und_Schule.pdf)
• Die Umsetzung und Anerkennung von ADHS für Nachteilsausgleiche wird unterschiedlich gehandhabt und ist nicht so klar geregelt, wie beispielsweise bei LRS.
• Wichtig ist daher der Einbezug in die Lehrer*innenbildung, um das Wissen und Verständnis für ADHS zu fördern.
ADHS: Lehrkräfterolle
Ablehnendes Verhalten der Lehrkraft gegenüber ADHS Kindern:
• kann zu Schulversagen, Ausschluss/Ablehnung von Peers,
geringerem Selbstwert führen
Positives Verhalten der Lehrkraft gegenüber ADHS Kindern:
• fördert das Verhalten und spezifische Fähigkeiten der
betroffenen Kinder, die allgemeine Akzeptanz bei den Peers kann
gefördert werden , ADHS Symptome können verringert werden
Interventionsansätze: Multimodale Therapie
Medikation
Durch Stimulantien (paradoxe Wirkung von Ritalin, Medikinet) oder Antidepressiva zeigen sich folgende Kurzzeitwirkungen:
Bei 70 –90% der betroffenen Kinder bestehen nachgewiesene Kurzzeiteffekte:
Weniger Hyperkinese, Impulsivität, Störungen
Bessere Handschrift
Bessere Konzentration und Ausdauer
Weniger ablenkbar
Weitere Wirkungen: manchmal verbessern sich zudem
Die oppositionelle und aggressive Symptomatik
Die Beziehungen (Eltern, Lehrer, Gleichaltrige, soziometrische Position in der Klasse)
Die schulischen Leistungen (Genauigkeit bei Schulaufgaben, Verminderung von Flüchtigkeitsfehlern, mehr vollendete Aufgaben
Insgesamt ergeben sich unter medikamentöser Behandlung günstigere Verläufe der Kernsymptomatik, auch wenn keine Normalisierung erreicht wird (Banaschewski et. al)
• Nationale und Internationale Leitlinien zu ADHS empfehlen einmal jährlich zu versuchen, die Medikamente abzusetzen
• Longitudinale Studien zur Hirnentwicklung weisen auf eine strukturelle Normalisierung der kortikalen Hirnentwicklung hin
• Das Risiko für delinquentes Verhalten, Substanzmissbrauch,
suizidales Verhalten und Unfälle können bedeutsam reduziert werden
6 Ebenen der Interventionen
ADHS kann in verschiedenen Schweregraden ausgeprägt sein, die Vermittlung von Strukturen im Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten kann zur Prävention schwerer Verlaufsformen beitragen.
Ebenen der Interventionen:
• Klassenraum-Struktur
• Classroom-Management-Strategien
• Curriculare und Lehr-Modifikationen
• Peer Interventionen
• Self-Management-Strategien
• Tokensysteme
Klassenraumstruktur
Klassenraum-Struktur:
Fester Sitzplatz (in Pultnähe)
leer geräumter Arbeitsplatz, Identifizierung + Entschärfung von Ablenkungsmöglichkeiten
Einrichtung reizarmer Arbeitsecken,
Lärmpegel gering halten (z.B. Kopfhörer)
Classroom-Management
Classroom-Management-Strategien:
Rituale und Strukturen
Gliederung des Tages mit optischen Zeichen
Individuelle Vereinbarungen und Verträge mit den SuS
Verstärkersystem
Regeln (wenig, aber transparent und verbindlich mit klaren Konsequenzen, positiv formuliert und visualisiert)
Curriculare und Lehr-Modifikationen
• Interessante und abwechslungsreiche Unterrichtsgestaltung
• Aufgaben mit Anreiz für die Schüler*in
• Vorstrukturierung der Aufgaben, damit Erfolg erreicht wird
• Kurze, intensive Übungsphasen
• Klar strukturierte, motivierende Arbeitsmaterialien
• Schlüsselwörter hervorheben
• Rhythmisierung und Bewegung
Peer Interventionen
• Mitschüler*in verstärken das Kind mit ADHD für positives Verhalten (sofortige Rückmeldung, Transfer & Beziehungen besser!)
• Kinder mit ADHD haben Verantwortung für Partner/ Gruppen-Arbeit und geben Feedback & Verstärkung an Mitschüler*in
Self-Management Strategien
• Selbstinstruktionsanweisungen erarbeiten: Stopp!
–Schau genau –Plane sorgfältig –konzentriere dich –überprüfe dein Ergebnis in Ruhe –Gut gemacht!
Signalkarten visualisieren Handlungsschritte
Förderung grundlegender Operationen (genaues Zuhören, genau lesen...)
Materialien mit Selbstkontrolle, selbständig kontrollieren lernen!
Selbstbeobachtung und Selbstbelohnung geben (mit Detektivbogen und Smileys!)
Token Systeme
Token-Systeme (Materialien für erwünschtes Verhalten) haben stärkste Wirkung nach Medikation (DuPaul et al. 1997)
Response Cost Systeme (Kombination mit möglichem Verlust von Verstärkern bei unerwünschtem Verhalten)
Token können zu festgelegten Zeit umgewandelt werden in attraktive Belohnungen (Objekte, Aktivitäten, Privilegien)
Tägliche Verhaltensbeurteilungen (Daily Report Cards)
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