Geistige Behinderung - Definition
Allgemein: geistig behindert ist, wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogische Hilfen bedarf
• Sammelbegriff für ein Phänomen mit oft, aber verschiedenen Äußerungsformen einer unterdurchschnittlichen Verarbeitung kognitiver Prozesse und Probleme mit der sozialen Adaption
• Auch innerhalb eines Syndroms bestehen oft große Unterschiede
• Wurde eingeführt, um Betroffene von anderen behinderten Menschen abzugrenzen
Positiv am Begriff „geistige Behinderung“: Betroffenen wird eine Stimme gegeben und sie werden in das Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt
Negativ: drückt etwas Negatives/ein Defizit aus, das gesellschaftlich stigmatisiert ist als Intellektuelle Unzugänglichkeit
• Der Mensch und seine Fähigkeiten treten in den Hintergrund
• Das was er nicht kann, tritt in den Vordergrund
Problematik des Begriffes
„Es gibt Menschen, die WIR aufgrund UNSERER Wahrnehmung ihrer menschlichen Tätigkeit, im Spiegel der Normen, in dem WIR sie sehen, einem Personenkreis zuordnen, den WIR als ‚geistigbehindert‘ bezeichnen.“
Abhängigkeitsbezogene Sichtweise
Aktuelle Definitionen: Modell der ICF
Unterstützungsmodell der AAIDD
Begrifflichkeit/ Sichtweisen
Heute wird übergreifend der Begriff „Menschen mit geistiger Behinderung“ verwendet International ist
„People with intellectual disability (id)“ oder „people with learning disability“ oder „people with special needs“ geläufig
Im Rahmen der schulischen Förderung in Deutschland spricht man weitgehend übergreifend vom „Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“
Begriffliche Euphemisierungen verändern nicht das Denken einer Gesellschaft. Allerdings spiegeln veränderte Begrifflichkeiten auch ein verändertes Verständnis der Dinge
Ursachen geistiger Behinderung
Definition:
Entwicklungsverzögerung der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit und adaptiven Kompetenzen; häufig Sekundärstörung im Bereich Sprache, Wahrnehmung, sozial-emotionale Entwicklung
Ursachen:
Unterscheidung in prä-, peri- oder postnatal:
• Chromosomal verursachte geistige Behinderung
• Metabolisch verursachte geistige Behinderung
• Exogene Formen geistiger Behinderung
Prävalenz:
• 0,8-0,9% je Geburtsjahrgang mit leichter geistiger Behinderung (IQ < 70)
• 0,3-0,4% mit schwerer Behinderung (IQ < 50)
—> Keine spezielle Ausprägung in Bezug auf Wohnort/Geschlecht/Schicht
Bildung von Personen mit geistiger Behinderung über die Lebenspanne
Frühe Kindheit (0-6 Jahre):
• Frühe Bildung (Frühförderstellen, KiTa, SPZ)
Kindheit/Jugend (6-18/25 Jahre):
• Schulische Bildung (Förderschulen, Allgemeine Schulen)
Erwachsenenalter
• Beruflich: Berufliche Bildung (WfbM, Berufsbildungswerk,
Tagesstrukturmaßnahmen)
• Privat: Erwachsenenbildung (Wohnbereich, Freizeitangebot)
Schulische Situation bei komplexer Behinderung
• Menschen mit schwerer geistiger Behinderung haben erst seit
1978 Recht auf schulische Bildung
• Beschulung meist in Förderschulen GE, KME, Sehen, Hören
• (Inter-)national sehr geringer Anteil an SuS mit geistiger
Behinderung in inklusiven Settings, selbst in „Vorreiterländern“
wie Norwegen teils in Sonderklassen
• Klassenzusammensetzung: zunächst homogene Klassen, seit
den 80er Jahren zumeist in heterogenen Klassen in
Förderschulen
SCHULE MIT DEM FS GE
Gründe für die Nicht-Teilnahme am GL (gemeinsamen Lernen)
Werden zu 70% bei den SuS selbst gesehen v.a.
intensiver Betreuungsbedarf
Räumliche Voraussetzung und Ausstattung
Pflegenotwendigkeit
Überforder der SuS im allgemeinen System
Organisation im Schulsystem
Lern- und Entwicklungsbereiche an der Förderschule mit dem FS GE
• Hauswirtschaft
• Sachunterricht
• Sport/Schwimmen
• Technik
• Kommunikation
• Lern- und Arbeitsverhalten
• TEACCH-Konzept
• Sozialverhalten
• Wahrnehmung
• Unterstützte Kommunikation
• Deutsch
• Textilgestaltung/Werken
• Motorik
• Selbstständigkeit
• Emotionalität
• Musik
• Mathematik
Förderschwerpunkt geistige Entwicklung - Didaktik
Didaktische Theorien/Modelle:
Bildungstheoretische und kritisch-konstruktive Didaktik, Lerntheoretische Didaktik, Kritisch- kommuniktative Didaktik Konstruktivistische Didaktik
Didaktische Modelle im FSGE:
Entwicklungslogische Didaktik, Elementare Beziehung, Bildung mit ForMat, Reflexive Didaktik
Didaktische Konzepte:
Projektunterricht, Offener Unterricht, Handlungsorientierter Unterricht, Problemorientierter Unterricht
Didaktische Prinzipien:
Selbsttätigkeit, Lebensnähe, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit, Allsinnigkeit, Entdeckendes Lernen, Individualisierung, Strukturierung,
Anschaulichkeit
Unterrichtsmethoden: Experiment, Spiel, Unterrichtsgespräch,
Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Stationen lernen, Storytelling
allgemeine und spezifische didaktische Konzepte und Prinzipien
• Bildungstheoretische Didaktik
• Elementarisierung
• Aneignungsmöglichkeiten
• Entwicklungslogische Didaktik
• Bildung mit ForMat
• …
Elementarisierung
= didaktische Vorgehensweise, die oft als Herzstück der Unterrichtsplanung bezeichnet wird Ziele:
Existenziell bedeutsamer Unterricht für alle Schüler*innen
Offenlegen des Kerngehalts einer Sache
Aufbereitung von Bildungsinhalten zum subjektiv bedeutsamen Lerngegenstand
Ursprünglich von Nipkow in der Religionspädagogik entwickelt – von Heinen um die 5. Dimension der „Elementaren Aneignungswege“ erweitert
Elementarisierung als Prozess der Annäherung zwischen dem Lernenden und dem Bildungsgegenstand
Ist keine Vereinfachungsstrategie, die Komplexität reduziert & Inhalte simplifiziert, sondern Strukturierung, Verdichtung & Konkretisierung
Elementarisierung nach Klafki
Chancen und Grenzen
Chancen:
• Ermöglichung von kategorialer und anspruchsvoller Bildung für alle
• Sowohl die SuS als auch die Sache wird in den Blick genommen
• Großer Praxisbezug
• Hohe Flexibilität und Individualität (alle Aneignungsmöglichkeiten
werden bedacht)
Grenzen:
• Ist bei abstrakten Vorgängen (Buchstabeneinführung) sehr schwierig
• Umsetzung ist herausfordernd
„Aneignungsmöglichkeiten“ - Wie vollzieht sich Lernen?
Lernen als Tätigkeit
Ansatz der kulturhistorischen Schule
Tätigkeit ist ein grundlegendes menschliches Merkmal
In der Auseinandersetzung mit einer Sache werden Wahrnehmungs- und Handlungserfahrungen gemacht, die aktiv verarbeitet werden
Wissen ist nicht zwangsläufig übertragbar, sondern muss situationsgebunden neu erlernt werden
Aneignungsmöglichkeiten (Definition)
Art und Weise, in der sich der*die Schüler*in mit einem Bildungsgegenstand auseinandersetzt → Zugang der Person zur Welt
Sind keine Niveaus, sondern gleichwertig
Sind altersübergreifend (erlauben keine Rückschlüssen auf das Lebensalter) Aneignungsmöglichkeiten als ein Teil der kognitiven Lernvoraussetzungen
ABER Betrachtung der Lernvoraussetzungen darf sich nicht nur auf die Aneignungsmöglichkeiten beschränken (alle Entwicklungsbereiche berücksichtigen – Kognition, Sprache, Motorik, Wahrnehmung, Soziabilität, Emotionalität…)
Ursprünge der Aneignungsmöglichkeiten
Aneignungsmöglichkeiten im Überblick
Entwicklungslogische Didaktik (Georg Feuser)
“Seit Beginn der wissenschaftlichen Pädagogik hat es zu keiner Zeit eine allgemeine Pädagogik für alle Kinder gegeben, nur Sonderpädagogiken! Universität, Gymnasium, Realschule, Hauptschule - sie alle sind Sonderschulen, Schulen für Menschen ohne den jeweiligen anderen Menschen [...]“ (Feuser 1989, 6)”
Grundpfeiler:
Keine Differenzierung der Unterrichtsinhalte, sondern;
• Innere Differenzierung
• Kooperation
• Der Gemeinsame Gegenstand
(= Kooperation am gemeinsamen Gegenstand -> Soziale Interaktion -> Wertschätzung -> Integration)
Ziel: humanes, demokratisches und soziales Lernen
Theoretische Hintergründe:
Bildungstheoretische Didaktik:
• Kategoriale Bildung
Tätigkeitstheorie der kulturhistorischen Schule:
• kritisch-materialistische Behindertenpädagogik
• Tätigkeitstheorie nach Leontjev, Vygotskij
• Stufen der Entwicklung nach Galperin
Didaktische Struktur
Feusers Baum-Metapher
Innerer Stamm = Gemeinsamer Gegenstand (Elementare Strukturen eines relevanten Bildungsinhalts)
Äste = Teilaspekte des Themas (Je nach Nähe zum Stamm: Präsentation der Inhalte auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus
Didaktische Prinzipien - Unterrichtsplanung im Förderschwerpunkt
Kernpunkte analog zu Schüler*innen ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf
Analyse der Bildungsinhalte
Beschreibung der Lernvoraussetzungen
Formulierung der individuellen Lernchancen
Methodische Umsetzung Zusätzlich:
Einbezug sonderpädagogischer, therapeutischer und pflegerischer Elemente
Das Haus der Unterrichtsplanung
Vorschlag eines Planungsrasters:
• Fasst verschiedene Entscheidungsfragen im Rahmen der Unterrichtsplanung zusammen
• Kann somit als Orientierungsgrundlage dienen
Theoretische Grundlagen & Ausgangspunkte:
• Sichtweise auf Behinderung
• Richtlinien des Förderschwerpunktes
• Allgemeine & spezielle Didaktik / gemeinsamer Unterricht
• Verständnis von Bildung & Lernen
Bildungsinhalte und Lernvoraussetzungen werden gleichrangig und in Wechselwirkung betrachtet (im Sinne der kategorialen Bildung nach Klafki)
• durch Lernchancen miteinander in Bezug gesetzt
• durch methodische Entscheidungen für den Unterrichtsverlauf konkretisiert
Haus der Unterrichtsplanung
Exemplarische Unterrichtsprinzipien im FSGE
Lebenspraxis und Lebensnähe
Handlungsorientierung
Differenzierung
Kleine Schritte und/oder Sinnzusammenhang
Ganzheitlichkeit
Strukturelemente einer Handlung
Handlung lässt sich in vier Strukturelemente aufgliedern – jedes Strukturelement beinhaltet Kompetenzen. In die einzelnen Strukturelemente lassen sich Förderkonzepte als Ansatzpunkt einsortieren.
Mögliche Schwierigkeiten im Kontext GB
Kooperative Lernformen
Es geht darum, wie Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen auf Augenhöhe miteinander lernen können.
Nicht jede Gruppenarbeit ist Kooperation: Es müssen eine wechselseitige Abhängigkeit, Face-to-Face-Interaktion, geteilte Verantwortung, Soziales Lernen und eine eingehende Reflexion gegeben sein.
Daher braucht Kooperation Begleitung und sowie die Reflexion von gemeinsamen Lernphasen.
Interventionen im Bereich geistige Entwicklung
Offene Haltung für Nichtverstehen und Unvorhersehbarkeit
Zugang zu wichtigen Themen ermöglichen (Beschriftungen, Bilder)
Rituale, Strukturen, Wiederholungen, Individualisierung
Unterteilung von Aufforderungen und Demonstrationen eines Handlungsablauf in kleine Schritte
Unterstützung bei Konflikten
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