Lernziele
- Symptome
- Epidemiologie/Verlauf
- Ätiologie (Biologische Modelle/Psychologische Theorien)
Bipolare Störungen
Was ist das?
• Wiederholte Episoden deutlich beeinträchtigter Stimmung und Veränderungen im Aktivitätsniveau (Stimmungs- u. Aktivitätsauslenkungen)
• Depressive oder (hypo-)manische Auslenkungen mit starker Variation in Häufigkeit und Reihenfolge
• Verlauf i.d.R. chronisch
Klassifikation ICD 10
Manische Episoden
• Mindestens 1 Woche abnorme, anhaltend gehobene, expansive oder reizbare Stimmung
• Übersteigertes Selbstgefühl, Größenideen, vermindertes Schlafbedürfnis, gesprächig/Rededrang, Ideenflucht/Gedankenrasen, erhöhte Ablenkbarkeit, psychomotorische Unruhe, übermäßige Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten
• deutliche Beeinträchtigung (Beruf; soziale Aktivitäten; Beziehungen)
• Hospitalisierung zur Abwendung von Selbst- und Fremdgefährdung oder bei psychotischen Symptomen
• Nicht auf organische Krankheit, Drogen, sonstige Substanzeinwirkung rückführbar (auch nicht: rein Antidepressiva-induziert)
Bipolare und verwandte Störungen DSM-5
• Bipolar-I-Störung
• Bipolar-II-Störung
• Zyklothyme Störung
• Substanz-/Medikamenteninduzierte Bipolare und Verwandte Störungen
• Bipolare und Verwandte Störungen aufgrund eines Anderen Medizinischen Krankheitsfaktors
• andere näher Bezeichnete Bipolare und verwandte Störungen
• nicht näher Bezeichnete Bipolare und verwandte Störungen
Bipolar-I-Störung DSM-5
Für die Diagnosestellung einer Bipolar-I-Störung ist es notwendig, dass die folgenden Kriterien einer manischen Episode erfüllt sind. Hypomane oder depressive Episoden können dabei der manischen Episode vorausgegangen sein oder ihr folgen.
Manische Episode
A. Eine abgegrenzte Periode von abnorm und anhaltend gehobener, expansiver oder reizbarer Stimmung und abnorm und anhaltend gesteigerter zielgerichteter Aktivität oder Energie von mindestens 1 Woche Dauer (bei Hospitalisierung auch kürzer), welche die meiste Zeit des Tages an fast allen Tagen vorhanden sind.
B. Während der Periode der Stimmungsveränderung und gesteigerten Energie oder Aktivität bestehen mindestens 3 (bei nur reizbarer Verstimmung mindestens 4) der folgenden Symptome in einem deutlichen Ausmaß und stellen eine deutliche Veränderung des üblichen Verhaltens dar:
1. Übersteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen
2. Vermindertes Schlafbedürfnis
3. Vermehrte Gesprächigkeit oder Rededrang
4. Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens
5. Erhöhte Ablenkbarkeit
6. Zunahme zielgerichteter Aktivität (im sozialen, beruflichen, schulischen oder sexuellen Bereich) oder psychomotorische Unruhe (z. B. planlose, nicht zielgerichtete Aktivität)
7. Übermäßige Beschäftigung mit Aktivitäten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen (z. B. ungezügeltes Einkaufen, sexuelle Abenteuer oder törichte geschäftliche Investitionen)
C. Die affektive Störung ist schwer genug, um deutliche soziale oder berufliche Funktionsbeeinträchtigungen zu verursachen oder eine Hospitalisierung zur Abwendung einer Selbst- oder Fremdgefährdung erforderlich zu machen oder es sind psychotische Symptome vorhanden.
D. Die Episode ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (z. B. Substanz mit Missbrauchspotenzial, Medikament, andere Behandlung) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors).
Beachte: Für eine manische Episode müssen die Kriterien A bis D erfüllt sein. Mindestens eine manische Episode während des Lebens ist für die Diagnose einer Bipolar-I-Störung erforderlich.
Bipolar-II-Störung DSM-5
-> Was ist der Unterschied zu I?
Für die Diagnosestellung einer Bipolar-II-Störung ist es notwendig, dass die folgenden Kriterien für eine aktuelle oder frühere hypomane Episode und die folgenden Kriterien für eine aktuelle oder frühere Episode einer Major Depression erfüllt sind.
Hypomane Episode
A. Abgegrenzte Periode von abnorm und anhaltend gehobener, expansiver oder reizbarer Stimmung und abnorm und anhaltend gesteigerter Aktivität oder Energie an mindestens 4 aufeinanderfolgenden Tagen, welche die meiste Zeit des Tages an fast allen Tagen vorhanden sind.
C. Episode geht mit einer eindeutigen und für den Betroffenen untypischen Veränderung des Funktionsniveaus im Vergleich zur symptomfreien Zeiten einher.
D. Stimmungsveränderung und Veränderung im Funktionsniveau sind für andere beobachtbar.
E. Episode ist nicht schwer genug um deutliche soziale oder berufliche Funktionsbeeinträchtigungen zu verursachen oder eine Hospitalisierung erforderlich zu machen. Treten psychotische Merkmale auf, wird die Episode per definitionem als manisch klassifiziert.
F. Episode ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz.
Beachte: Für eine hypomane Episode müssen die Kriterien A bis F erfüllt sein. Hypomane Episoden treten häufig bei einer Bipolar-I-Störung auf, sind für die Diagnose jedoch nicht erforderlich.
Unterschied:
-> identische Symptome
-> Dauer ist kürzer und Schweregrad ist geringer (keine massive Beeinträchtigung bei der Bipolar II Störung)
DSM 5 (Bipolar I und II)
Bipolar I – Störung:
• für Diagnose ist es erforderlich, dass die Kriterien einer manischen Episode erfüllt werden, aber hypomane oder depressive Episoden müssen nicht vorliegen (Dauer mindestens 1 Woche)
• können aber einer manischen Episode vorangehen oder folgen
Bipolar II – Störung:
• Wiederkehrende affektive Episoden von einer oder mehreren Episoden einer Major Depression und mindestens einer hypomanen Episode
• Episode einer Major Depression sollte mindestens 2 Wochen, die hypomane Episode mindestens 4 Tage bestehen
(Hypo-)Manie oder Fröhlichkeit?
• Es liegt kein offensichtlicher / angemessener Grund vor
• Labilität: reizbar und feindselig, wenn Grenzen gesetzt werden
• Gebrauch von Alkohol oder Sedativa, um Symptome zu mildern
• Urteilsvermögen eingeschränkt
• Zeitlicher Zusammenhang mit depressiver Episode (auf Hypomanie folgt Depression)
• Rekurrierender Verlauf
Manie/Hypomanie
-> Unterschiede
-> Episoden
Affektive Störungen
-> Zyklothyme Störung DSM-5
A. Für die Dauer von mindestens 2 Jahren (mindestens 1 Jahr bei Kindern und Jugendlichen) bestehen zahlreiche Perioden mit hypomanen Symptomen, welche nicht die Kriterien für eine hypomane Episode erfüllen und zahlreiche Perioden mit depressiven Symptomen, die nicht die Kriterien einer Episode einer Major Depression erfüllen.
B. Während dieser 2-Jahres-Periode (1 Jahr bei Kindern und Jugendlichen) waren die hypomanen und depressiven Perioden für mindestens die Hälje der Zeit vorhanden und die Person war nicht länger als 2 aufeinanderfolgende Monate symptomfrei.
C. Die Kriterien für eine depressive, manische oder hypomane Episode waren nie erfüllt.
D. Die Symptome aus Kriterium A können nicht besser durch eine Schizoaffektive Störung, Schizophrenie, Schizophreniforme Störung, Wahnhafte Störung oder Andere Näher Bezeichnete oder Nicht Näher Bezeichnete Störung aus dem Schizophrenie-Spektrum und Andere Psychotische Störungen erklärt werden.
E. Die Symptome sind nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (z. B. Substanz mit Missbrauchspotenzial, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. Hyperthyreose).
F. Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen Bereichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
-> wenn welche Störung
Diagnostik
• Diagnose beim Auftreten einer Manie relativ einfach zu stellen
• Schwieriger beim Auftreten einer depressiven Episode
• Verlaufsbeurteilung notwendig
• (hypo-)manische Phasen: Betroffener empfindet Zustand oft als angenehm, fühlt sich gesund -> kein Leidensdruck und keine Veränderungsmotivation -> Arzt wird nicht aufgesucht
• Problem: bipolare Störung oft fehlerhaft bzw. überhaupt nicht diagnostiziert
Diagnostik bipolarer Störungen unter anderem dadurch erschwert, dass Erkrankung häufig mit depressiven Phasen beginnt und hypomanische Symptome nicht als beeinträchtigend erlebt werden -> daher Kenntnis der wichtigsten Risikofaktoren nötig:
• positive Familienanamnese für bipolare Störungen (wenn Familien auch bipolare Störungen hatten)
• Depression im Kindes- oder Jugendalter
• schneller Beginn oder rasche Rückbildung der Depression
• subsyndromale hypomanische Symptome im Rahmen depressiver Episoden
• detaillierte Anamnese der Krankheitsgeschichte
• Möglichst: Einbezug wichtiger Bezugspersonen (diese erleben (hypo-)manische Phase anders als Betroffener oft als starke psychosoziale Belastung)
• Strukturierte bzw. standardisierte Erfassung v. Symptomatik u. Komorbiditäten (Interviewverfahren, z.B. DIPS, SKID, CIDI)
• Differentialdiagnostisch relevant:
○ Psychische Störungen: Unipolare Depressionen, Schizophrenie, Schizoaffektive Störung, Persönlichkeitsstörungen
○ Organische Erkrankungen (z.B. neurologische Erkrankungen)
○ Pharmakologische Ursachen (z.B. Psychostimulanzien)
Differenzialdiagnosen
-> Lebenszeitprävalenz
-> Geschlechter
-> Komorbiditäten
-> Erkrankungsbeginn
• Lebenszeitprävalenz: 3% (S3- Leitlinie Bipolare Störungen)
• Keine Geschlechtsunterschiede
• Komorbide psychische Störungen bei mind. 50% bipolarer Patienten
○ Substanzmissbrauch u. –abhängigkeit
○ Angststörungen
○ Persönlichkeitsstörungen
-> viele Menschen mit einer bipolaren Störung haben einen hohen Substanzmissbrauch und Angststörungen
-> viele auch Essstörungen
-> auch viele somatische Erkrankungen (zusätzlich zu der bipolaren Störung) wie Kopfschmerzen oder Hypertonie
• Erkrankungsbeginn meist im frühen Erwachsenenalter
• Zwischen Auftreten erster Symptome und Diagnosestellung liegen meist mehrere Jahre (häufig begleitet von Fehldiagnosen)
• Zeitnahe Stressoren relevant v.a. bei Auslösung erster affektiver Krankheitsepisode
-> Erkrankungsbeginn -> Prädiktoren für Wechsel von initialer depressiver Episode in bipolare Störung
Prädiktoren für Wechsel von initialer depressiver Episode in bipolare Störung:
• Schwere der Episode und frühes Erkrankungsalter
• Erhebliche psychosoziale Einschränkungen (schlechtes Umfeld, Arbeitslosigkeit, Armut, …)
• Hohe Rezidivrate auch bei aufrechterhaltender Medikation
• Unvollständige Remission zwischen Erkrankungsphasen
• Chronifizierung
• Ungünstiger Störungsverlauf: Frühes Erkrankungsalter, Komorbiditäten und psychosoziale Stressoren
Bipolar I Störung (=mit Manie): Verlaufsmerkmale
Onset: Einsetzen manischer Episoden meist sehr rasch (Std. bis Tage), manchmal aber auch über Wochen hinweg
Verlaufsform und Dauer:
• Dauer unbehandelter manischer Episoden durchschnittlich 3 Monate
• nach 1. Episode: 90% weitere Episoden (DSM 5)
• mit zunehmender Dauer der Störung kürzere Intervalle zwischen den Episoden
-> Genetische Vulnerabilität
-> Neurobiologische Befunde
Genetische Vulnerabilität:
• Entscheidende Rolle bei Entstehung bipolarer Störungen (Konkordanz MZ 33- 90%, DZ 5-25%)
Neurobiologische Befunde:
• Vielzahl an Neurotransmittern und Neuromodulatoren (Noradrenalin, Dopamin, Serotonin) an Entstehung bipolarer Störungen beteiligt
• Neuroanatomische Veränderungen und neuronale Dysregulation vermutlich als Folge von o.g. Fehlregulation)
-> starke Genetik sichtbar
-> integratives Modell
Integratives Modell (Margraf & Schneider, 2009):
• genetische, biologische, soziale und psychologische Faktoren sind integrativ an Entstehung bipolarer Störungen beteiligt
• Instabilität biologischer Rhythmen: genetische Vulnerabilität u./o. biologische Faktoren
• Individuelle Problembereiche u. fehlende Ressourcen -> Verstärkung des Instabilitäts- u. Dysregulationsrisikos
• Teufelskreis aus kognitiven, emotionalen u. behavioralen Warnsymptomen
-> Basis ist eine Vulnerabilität der Genetik und/oder biologische Faktoren (Instabilität/Dysregulation biologischer Rhythmen)
-> dadurch entstehen Konsequenzen und eine Schleife zwischen Gefühl, Verhalten und Gedanken
-> alle möglichen Ereignisse, die die Routine im Alltag stören, werden als Risiko für die Entstehung der bipolaren Störung gesehen (da alle den biologischen Rhythmus aus den Takt bringen und das dann zu der Schleife führen kann)
-> müssen ein geregeltes Leben fühlen (immer gleich aufstehen, genug schlafen, Ruhephasen, …)
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