Klinische Psychologie -Definition
„ Klinische Psychologie ist diejenige Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und psychischen Aspekten somatischer Erkrankungen befasst, mit deren Entstehungs-und Aufrechterhaltungsbedingungen, Klassifikation und Diagnostik, deren Verbreitung sowie deren Prävention und Behandlung.“
Grundlagenbereich: Störungslehre („Abnormal Psychology“), incl. Klassifikation, Epidemiologie, Ätiologie/Bedingungsanalyse
Anwendungsbereich: Diagnostik, Psychotherapie, Beratung, Prävention und Rehabilitation (incl. Evaluation)
-> (Diagnostik hat wichtigen Aspekt, das wir Dinge feststellen können; kann helfen, Verlauf einer möglichen Intervention zu prüfen -> Verändern sich die Kriterien die das Störungsbild beschreiben?)
Abgrenzung/Überschneidungen: Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, medizinische Psychologie, Verhaltensmedizin, (klinische) Neuropsychologie …
Kernkonzepte zum Verständnis der Klinischen Psychologie
Kontextabhängigkeit
hilft, Symptome zu verstehen (Hinweise); Psychopathologie kann von vieler dieser Variablen mitbestimmt werden
weinen (auf Beerdigung oder mitten im Gespräch -> letztere sorgt für Verwirrung; verschiedene Gründe fürs weinen -> nah am Wasser gebaut, Gespräch erinnert einen an trauriges Event)
Kontinuum zwischen „Normalität“ und „Psychopathologie“
uns unterscheidet menschlich nicht viel non Menschen mit Psychopathologien
Kultureller & historischer Kontext
siehe letzte Stunde
Veränderungen über Jahrzehnte teilweise dramatisch (z.B. Hysterie Begriff; Homosexualität als psychische Störung)
Vor-und Nachteile von Klassifikationssystemen
Dafür: Verlässliche und hilfreiche Kriterien -> Helfen bei der Handlungsplanung und in der Kommunikation über Phänomene
Nachteil: Label (wissen nichts über Menschen; nur ICD10 Nummer; Individuelle wird vernachlässigt teilweise)
Diagnosen können stigmatisierend sein (z.B. bei Borderline Persönlichkeitsstörung)
Multikausalität
Psychische Störung meistens nie nur durch eine Sache erklärbar
Auslöser oft höchst individuell
verschiedene Ursache, die gemeinsam zu einem Phänomen/ einer Diagnose führen können
Verbindung von Leib & Seele
nicht getrennt betrachten
Gesundheit I
"Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts." (Schopenhauer, 1851)
„… die Fähigkeit zu lieben, zu arbeiten und das Leben zu genießen.“ (Freud, u.a. 1904)
„… ein Zustand der inneren Angemessenheit und Übereinstimmung mit sich selbst“. Sie sei schwer zu messen, da dies „zum Wesen der Selbstvergessenheit“ gehört; so komme es, „dass die Krankheit und nicht die Gesundheit das sich selbst Objektivierende, d.h. das sich Entgegenwerfende, kurz: das Aufdringliche ist“. (Gadamer, 1995)
—> schwieriger wahrzunehmen als Krankheit
Gesundheit II
Gesundheit ist …
"ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen." (WHO, 1946)
Komponenten seelischer Gesundheit (Becker, 1995):
Seelisch-körperliches Wohlbefinden (Sinnerfülltheit, Selbstvergessenheit, Beschwerdefreiheit)
selbstaktualisierung (Expansivität und Autonomie)
selbst-und fremdbezogen Wertschätzung (Selbstwertgefühl & Liebesfähigkeit)
Kriterien psychischer Gesundheit (Jahoda, 1958):
Positive Einstellung zur eigenen Person, Wachstum und Selbstverwirklichung, Integrierte Persönlichkeit, Autonomie / Selbstständigkeit, Adäquate Realitätswahrnehmung, Kompetenz in der Bewältigung von Anforderungen der Umwelt
Gesundheit III
Gesundheit ist politisch: z.B. ortsabhängige Lebenserwartung: > 80 Jahre bis < 50 Jahre
Gründe: Verteilung von Macht, Einkommen, Lebensmittel und Gestaltung des Lebensraumes, Zugang zur Gesundheitsversorgung und Bildung
Die Möglichkeiten eines Kindes (körperlich, sozial-emotional, kognitiv, Bildung) haben einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheit als Erwachsene*r (Grantham-McGregor et al., 2007)
Was ist normal?
Statistische Norm:
Inwiefern Menschen von der Norm abweichen
z.B.: was ist zu erwarten an Unsicherheit in der Adoleszenz in Europa?
Idealnorm:
wie jemand zu sein hat
Soziale Norm
was gesellschaftlich sanktioniert wird
hängt viel mit Vorurteilen zusammen (Depressive Person Kind anvertrauen, ja oder nein?)
Subjektive Norm:
Ist und Soll Abgleich
Idee von Subjektiven Idealen Abgleich mit Soll Zustand
Vorstellung von Körper Ideal: kann Leid verursachen
Funktionale Norm
z.B. Rauchen
schadet der Gesundheit
Empathie Störung: hilfreich um als Söldner zu arbeiten
Die 10 impliziten „Gebote“ des DSM-IV (Leisinget al., 2009) (Klassifikationssystem)
Sei selbständig und unabhängig
Sei auf realistische Weise von dir selbst überzeugt
Komme mit anderen Menschen zurecht
Ertrage Unsicherheit und Unvollkommenheit
Suche nach dem Guten in Menschen
Halte dich an Konventionen
Habe dich selbst unter Kontrolle
Lass dich emotional auf andere Menschen ein und gehe anständig mit ihnen um
Genieße soziale Beziehungen und Aktivitäten
Habe Vertrauen in andere Menschen
Nachteil:
Mögliche Informationsverluste (erkenne Dinge nicht, die nicht abgebildet sind)
Flexibilität: niemand hat sich immer unter Kontrolle etc. -> Spielraum fehlt
Impliziten Geboten haben mit westlichen kulturellen Normen zu tun
Kategoriale statt dimensionaler Betrachtung birgt Probleme
Soziale Aktivitäten -> kann nicht jeder gleich pflegen/ andere Bedürfnisse (kann nicht sagen das weniger Aktivität gut oder nicht richtig ist)
Subjektive: Ist eine Abweichung für die Person überhaupt problematisch? (Relevant für Leidensdruck)
Krankheit
Mögliche Funktionen des Krankheitsbegriffs
Krankheit als…
Alltagsbegriff: wissenschaftliche Präzisierung notwendig
Sozialrechtlicher Begriff: Rechtliche und Leistungsregelungen
Sozialer Begriff: Inter-und Intraindividuelle Rollendefinition
Handlungsbegriff: z.B. Identifikation von Krankheitsverhalten
Berufspolitischer Begriff: zuständige Berufsgruppen
Begrifflichkeiten I
Syndrom: Ein durch Zusammentreffen verschiedener Symptome gekennzeichnetes „Krankheits-“bild(bzw. Komplex von Symptomen und Verhaltensweisen)
Störung: Komplex von Symptomen und Verhaltensweisen, der zu Leid und Beeinträchtigung in verschiedenen Funktions-bereichen führt. Impliziert Behandlungsbedürftigkeit!
Krankheit: Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von empfundenen und/oder feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen. Krankheit wird von der Befindlichkeitsstörung ohne objektivierbare medizinische Ursache abgegrenzt.
-> Hier ist mitzudenken, dass „objektivierbare medizinische Ursachen“ keine eindeutige Definition darstellt
Begrifflichkeiten I: Psychische Störungen
Psychische Störung
Der Begriff der psychischen Störung hat den Begriff der Krankheit abgelöst
Störung verweist auf psychische und soziale Ursachen im Kontrast zu rein somatisch-biologischen Erklärungsansätzen
Weniger stigmatisierend als Krankheit (verweist nicht auf einen „Defekt“, sondern Person hat eine Störung)
Psychische Störungen sind wissenschaftlich nicht „eindeutig“ definierbar, sondern entsprechen dem aktuellen
Stand der sozialen Normen
Stand der grundlagenwissenschaftlichen Forschung
Stand der Praxis
—> gibt z.B. neue Störungsbereiche, die beschlossen werden
—> auch Störungsbegriff kann negative Konnotation haben
Vor-und Nachteile von „Schnellkriterien“ zur Definition von psychischer Störung: HIDES
1. Help seeking (Vorsicht! z.B. Rosenhan-Studie von 1973)
2. Irrationality/ Dangerousness(trifft nur auf eine Minderheit zu)
3. Deviance(Störung ≠ Nonkonformität)
4. Emotional Distress(Ausnahme Persönlichkeitsstörungen und Trauer)
5. Significant Impairment (eher ein Synonym für Störung als ein Kriterium)
-> Hilfe suchen heißt nicht, dass Person eine psychische Störung hat!
-> Irrationalität und Gefährlichkeit: sind Menschen mit psychischer Störung gefährlicher als Menschen ohne Störung? Nein!
-> Abweichung: ob jemand andere Musik oder rote Haare hat sollte nicht dafür sprechen, dass Person Störung hat, nur weil sie rote Haare hat
Kriterien nicht ausschlaggebend/zielführend
anders machen
Begrifflichkeiten I: Störungsbegriff WBP & DSM 5
Störungsbegriff DSM-5 (S. 20)
„Eine psychische Störung ist definiert als Syndrom, welches durch klinisch signifikante Störungen in den Kognitionen, in der Emotionsregulation und im Verhalten einer Person charakterisiert ist.“
„Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen.“
„Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamen Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten.“
Zwei wichtige Praxiskategorien
Krankheitswertigkeit
Einschränkung der normalen Lebensführung in Bezug auf die berufliche (oder schulische) Leistung, soziale Aktivitäten und Beziehungen
Erhebliches subjektives Leiden oder Leiden der Umwelt
Behandlungsbedürftigkeit
Ausmaß der Störung
Vorliegen mindestens einer geeigneten Behandlung
Motivation
Begrifflichkeiten II
Drei Arten von Symptomen (Bsp. Depression)
Leitsymptome (zwingend: Anhedonie)-> definiert als der Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden, in Situationen, die früher Freude bereitet haben
Fakultative Symptome (möglich, aber nicht zwingend: Appetitveränderung)
Unspezifische Symptome (Grübeln)
Syndrom = überzufälliges gemeinsames Auftreten von Symptomen
Bsp. Depressives Syndrom: Niedergeschlagenheit, Libidoverlust, Interessenverlust
Wird heute häufig für Diagnosen verwendet, die nicht als offizielle Diagnosen anerkannt werden
Bsp.: Burnout-Syndrom, suizidales Syndrom (Nicht als offizielle Diagnose anerkannt)
Begrifflichkeiten III
Komorbidität= Mehrfachdiagnosen psychischer Erkrankungen bei einer Person („Jemand kann Läuse und Flöhe haben.“)
Differenzialdiagnose= Abgrenzung verschiedener Diagnosen unter Berücksichtigung von Ausschlusskriterien (z.B. war Trauer ein Ausschlusskriterium für eine Major Depression im DSM-IV) („Was könnte es noch sein? Was müssen wir noch abklären?“)
Diagnostik ist immer Hypothesentesten!
- Kontext, Auftrag, Prozess
- In die Breite und in die Tiefe
- Beispiel Diagnostik in der Psychotherapie
Last changeda year ago