Literatur
Monica Juneja, Joachim Eibach und Claudia Opitz-Belakhal, „Monica Juneja Im Gespräch Mit Joachim Eibach Und Claudia Opitz-Belakhal. Kultur, Transkulturalität Und Post-Koloniale Grenzüberschreitungen“, in Zwischen Kulturen. Mittler und Grenzgänger vom 17. bis 19. Jahrhundert(Hannover: Werhahn Verlag, 2018), 15–25.
—>Hilfreiche Einführung, die „Interkulturalitätsforderung“ definiert->eignet sich, um Junejas Erläuterungen hierzu zu überprüfen und um vertieftes Verständnis für diesen teilweise vorgängigen und nach wie vor anderes gelagerten Ansatz zu erhalten. Empfohlen besonders für Studierende mit philologischem Interesse, Interesse an Kommunikationswissenschaften, aber auch psychologischen Ansätzen, da hier besonders etabliert.
In „Transkulturalität“ steckt „Kultur“
Was bedeutet „Kultur“ und inwiefern ist der Begriff zwar inflationär gebraucht, aber unverzichtbar?
Kultur im historischen Verständnis d. späten 18. und 19. Jh. Europas:
Historischer Kontext: Nationalstaatsbildung
Ulrich Beck: Globalisierung als Teil der „zweiten Moderne“ und Problem für Nationalstaaten sowie ihre Institutionen, Konzepte u. Praxis
„Der Nationalstaat ist ein Territorialstaat, d.h., seine Macht gründet in der Bindung an einen bestimmten Ort (in der Kontrolle über Mitgliedschaften, Bestimmung geltender Gesetzte, Verteidigung der Grenze usw.). Die Weltgesellschaft, die sich im Gefolge von Globalisierung in vielen (nicht nur der ökonomischen) Dimensionen herausgebildet hat, unterläuft, relativiert den Nationalstaat, weil eine multiple, nicht ortsgebundene Vielheit von sozialen Kreisen, Kommunikationsnetzwerken, Marktbeziehungen, Lebensweisen die territorialen Grenzen des Nationalstaates quervernetzt.“ Beck 18
„… Damit zerbricht das historische Bündnis zwischen Marktwirtschaft, Sozialstaat und Demokratie, das bislang das westliche Modell, das nationalstaatliche Projekt der Moderne integriert und legitimiert hat.“ Bech 24
Kultur im historischen Verständnis d. späten 18. Und 19. Jh. Europas:
Kultur heute
„Transkulturalität kann sich sowohl auf ein konkretes Untersuchungsobjekt beziehen als auch als eine heuristisch-analytische Kategorie herangezogen werden. Das Präfix „trans“ sensibilisiert für ein dynamisches Verständnis von „Kultur“. Diese wird aus Konstellationen grenzüberschreitender Mobilität konstituiert und ist einem stetigen Prozess des Wandels unterworfen. Der Ansatz nach Akteure, Prozesse und Phänomene jenseits der bisher als statisch verstandenen Kulturgrenzen ,sagbar´ und ermöglicht damit eine polyvalent und reziprok konzipierte Beziehungsgeschichte.“ Juneja 15
Spannungsfelder: konkretes Untersuchungsobjekt; heuristisch-analytische Kategorie
Wer? Akteure
Wie/Wann/Wo? Prozesse
Was? Phänomene
Transkultureller Ansatz versus Transferforschung
Produktive methodische Abgrenzung
„…Transferforschung, die sich mit der Übertragung von Inhalten und Praktiken von einem kulturellen oder semantisch-visuellen System in ein anderes beschäftigt und dabei häufig von zwei autonome, klar definierten Einheiten ausgeht – auch wenn diese Forschung heute von Übersetzungsprozessen und hybriden Formen spricht.“
„Geht man von der Annahme aus, dass sich Kulturen über Beziehungsprozesse erschließen lassen und sich im stetigen Prozess des Werdens befinden, so postuliert diese transkulturelle Sicht eben auch nicht strikt vorgegebene Untersuchungseinheiten…“
Vielmehr konstituiert sie ihre Untersuchungseinheiten entsprechend der Logik der Akteure und zwar mit Blick auf Zirkulationsprozesse und historische Beziehungen.“
Polyvalente und multiskalare Relationen
Wechsel, Inbezugsetzung und Verstärkung von Größenordnungen
„Diese [Zirkulationsprozesse und historischen Beziehungen] verlaufen häufig quer zu den etablierten Kategorien wie etwas Territorium, Staat, Nation, Religion, Ethnie oder Sprachgemeinschaft.
Innerhalb von großräumigen… konstituierten geographischen Regionen treten damit spezifische lokale Formen und Praktiken in den Vordergrund, deren Untersuchung eine mehrfach gelagerte somit transkulturelle Perspektive verlangt.
Dazu ist ein Ansatz notwendig, der zwischen Lokalem, Nationalem und Globalen alterniert, diese Bezugsebenen aber nicht miteinander, sondern quasi simultan behandelt und sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen diesen Ebenen auseinandersetzt.“ Juneja 16
Transkulturelle versus Postcolonnial Studies
„Transkulturalität Studien (TS) fühlen sich keiner dieser Strategien normative verpflichtet, sondern betrachten prinzipiell alle Strategien. Verhältnisse und ihre Auswirkungen. Deshalb beschäftigten sich TS etwa auch mit Abgrenzungskonflikten und Mechanismen der Identitätsbildung und nicht etwa nur mit Momenten der Grenzüberschreitung, Vermischung oder Modi des Austauschs und der Mobilität.
àSiehe Folie
Herausforderungen der Transkulturellen Studien
Methodisch
Akteurszentrierte, historisch ansetzend, interdisziplinär, transregional und mehrsprachige Quellen einbeziehende Analyse von Strategien, Prozesse und Dynamiken.
Ziel/Zweck
Etablierten Vorstellungen von festgeschriebenen Identitäten und Alteritäten sowie unverrückbare Dichotomien zwischen Assimilation und Resistenz entgegenzuarbeiten.
—>kritischer, dekonstruktivistischer Ansatz
Beispiel
Paradoxien des Krieges:
Zerstörung von kulturellem Miteinander, kulturellen Akteur*innen, Gütern, Praktiken und Wissen
↕
Mobilität von Akteur*innen durch Flucht & Vertreibung kann zu neuen Gemeinschaften führen, zu kosmopolitischen Erfahrungen und einem Einstehen für gegenseitige Verständigung und Frieden
Beispiel für transkulturelle Thematik
Graduiertenkolleg: Ambivalente Feindschaften (Heidelberg, 2023-28)
„Statt Feindschaft als notwendiges Übel oder als Essenz alles Politischen zu verstehen, betonen wir ihre transkulturelle, prozessuale und ambivalente Dimension. Im Rahmen unseres Graduiertenkollegs wollen wir eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausbilden, die in der Lage sind, solche Ambivalenzen in der Entstehung, der Repräsentation und der Praxis von Feindschaften zu erfassen – und zwar sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart“, betont Tanja Penter, die als Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Ruperto Carola forscht. Co-Sprecher des Kollegs „Ambivalente Feindschaft: Dynamiken des Antagonismus in Asien, Europa und dem Nahen Osten“ sind Prof. Dr. Joachim Kurtz von der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und Prof. Dr. Svenja Taubner vom Universitätsklinikum Heidelberg.“
Transkulturelle Studien & frühere Konzepte/Positionen
Vgl. Schlüsseltexte!
Desiderata der transkulturellen Studien
Juneja identifiziert vier Bedarfe
1. Kritisches Hinterfragen der modernen Wertigkeit beteiligter Disziplinen in den Geisteswissenschaften
Bsp.: Wir sehen einerseits das hegelianische Fortschrittsnarrativ des Westens (inkl. Musealer Vermittlung) mit Universalanspruch, andererseits kulturessentialistische Narrativen junger, postsowjetischer u.a. Nationalstaaten außerhalb Europas
—>wechselseitig bedingt & formen beide den Kanon der Kunstgeschichte (und anderer Disziplinen)
PROBLEM: Verflechtungen und konstitutive Wirkung von ethnisch-religiöser Pluralität wird häufig ausgeblendet, reduktionistisch von „Einfluss“, „Transfer“ oder „Anleihe“ gesprochen. Aber werden Untersuchungseinheiten anders, transkulturell gestellt, verlieren diese Kategorien und Taxonomien - wie „buddhistisch“, „christlich“, „Indisch“, „amerikanisch“ etc. - an Erklärungswert
Kritisches Hinterfragen damit verbundener Konzepte
Bsp.: künstlerische Moderne bedingte Erhöhung der „Originalität“ zum zentralen Wert und ihre dichotomische Abgrenzung von der „Kopie“. Folglich wurde Pablo Picasso als „originelles Genie“ verehrt, der sich kreativ bei angeblich anonymer, vormoderner, afrikanischer Plastik bediene (Stichwort: Primitivismus), während seinen afrikanischen zeitgenössischen Kolleg*innen negativ konnotiert eine „verspätete Nachahmung“ europäischer Modernismen vorgeworfen wurde, wenn sie sich umgekehrt mit westlicher Malerei auseinandersetzten.
PROBLEM: Diese Konzepte und ihre dichotomische Bewertung werden der historischen Vielfalt an Praktiken des Wiederverwertens, der Nachahmung und Replizierens nicht gerecht
—>Neue Begriffe werden benötigt, um Umgang mit angeeigneten, „eingewanderten“ Objekten/Konzepten als dialogische Beziehung mit kultureller Differenz, als Mittel der Domestizierung des Fremden oder als Anerkennung seiner Autorität sichtbar machen zu können.
2. Globale Vernetzung der Wissenschaft vs. Kommunikation in wenigen europäischen Sprachen
PROBLEM: Transkulturation erfordert differenziertere Begriffe und eine Zusammenarbeit, die sich aus Vielzahl von regionalen Expertisen speist, um kultureller Pluralität gerecht werden zu können.
Utopisch, aber unabdingbar:
—>analytisches Raster schaffen, um über mehrere Kulturen in einer gemeinsamen nicht-hierarchischen Wissenschaftssprache kommunizieren zu können.
3. Überwindung von Anthropozentrismus des Kulturbegriffs
PROBLEM: Kulturbegriff wird durch „trans“-kulturelle Perspektivierung zwar dynamisiert, bleiben aber immer noch auf menschliche Gemeinschaften bezogen. Stellenwert von nicht-menschlichen Wesen oder Aktanten (Bruno Latour) und ihr Verhältnis bzw. Beziehungen zum Menschen bleiben „unsagbar“. Handlungspotential von Aktanten ist aber zentral, wenn es um beispielweise um Phänomene wie den Klimawandel, künstliche Intelligenz oder Pandemien geht.
—>Erweiterten Kulturbegriff erarbeiten
4. Überwindung von institutionellen Hürden für Fokus auf transkulturellen Phänomenen
PROBLEM: Maßgebende Strukturen in der universitären Forschung und Lehre – Grenzen zwischen Fachbereichen, Methodische Differenzierung, Definitionen von Gegenstandsbereichen etc. – sind ebenfalls Produkt nationalstaatlichen Denkens weltweit sowie der Zivilsationskategorien des 19. Jhs. Diese transportieren entsprechende Wertigkeiten, statt notendige Voraussetzungen für neue Art der fachlichen und regionalen Zusammenarbeit.
—>Institutionellen Wandel fordern und fördern
Transferfrage
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