Lernziele
- Symptome
- Epidemiologie/Verlauf
- Diagnostik
- Ätiologie (Biologische Modelle/Psychologische Theorien)
- Behandlung (wenn thematisiert)
Autismus Spektrum
Klassifikation nach ICD 10 (Überblick)
Autismus - der Begriff
Autismus
Begriff Autismus wurde von Eugen Bleuler (1911) eingeführt
beschrieb damit ein Grundsymptom der Schizophrenie
charakterisiert durch Rückzug in eine gedankliche Binnenwelt und die Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte
Begriff aufnehmend, beschrieben Leo Kanner (1943) und Hans Asperger (1944) das autistische Störungsbild bei Kindern
autistische Kinder ziehen sich nicht aktiv in eine Phantasiewelt zurück, sondern sind primär unfähig, soziale Kontakte zu entwickeln -> ursprüngliche Bezeichnung von Bleuler trift demnach nicht zu
dennoch wurde der Begriff beibehalten, weil er weltweit gebräuchlich ist
Welche Stufen gibt es?
je nach erreichtem Entwicklungsniveau sowie zur optimalen Förderung wird zwischen 3 Stufen differenziert:
autistische Menschen mit hohem Entwicklungsniveau
leben zurückgezogen aber eigenständig, können sich etwas von Kontaktstörung befreien, bleiben dennoch auffällig im sozialen Bereich
autistische Menschen mit mittlerem Entwicklungsniveau
leben häufig in therapeutischen Wohngruppen, haben häufig Schule für geistig Behinderte besucht, deutliche emotionale Auffälligkeiten, ausgeprägte Stereotypien sowie zwanghaftes Verhalten
autistischen Menschenmit niedrigem Entwicklungsniveau
deutlichere Defizite im intellektuellen Bereich als 2. Stufe, zusätzlich zu Verhaltensweisen der 2. Stufe unmotiviertes Schreien, selbstverletzendes Verhalten und nicht vorhersehbare Aggressionszustände
Savant- Syndrom:
10 % aller Autisten haben Inselbegabungen, die über dem allgemeinen individuellen Niveau oder der allgemeinen Norm liegen
Bei tatsächlich spektakulären Talenten spricht man von Savants
Weltweit gibt es nur ca. 100 Savants (die Hälfte sind Autisten)
Frühkindlicher Autimus (Diagnosekriterien)
Frühkindlicher Autismus - Früherkennung: „Red Flags“ und typische Anzeichen im Säuglingsalter oder im Vorschul- und Schulalter
Früherkennung: „Red Flags“:
Kein Brabbeln oder Lautieren im Alter von 12 Monaten
Keine Gesten mit 12 Monaten (Zeigen mit dem Zeigefinger, Winken etc.)
Kein einzelnes Wort im Alter von 16 Monaten
Kein spontaner 2-Wort-Satz im Alter von 24 Monaten (nicht echolalisch)
Jedweder andauernde Verlust sprachlicher oder sozialer Fähigkeiten in jedem Alter
Säuglingsalter
Kinder nehmen keinen Blickkontakt auf
Lächelreaktion bei Zuwendung der Mutter bleibt aus
Kind streckt die Arme nicht aus, um aufgenommen zu werden
Kinder sind meist ruhige, bequeme, unbeteiligte Säuglinge
Zärtlichkeiten gegenüber oft unbeteiligt oder wehren diese ab
Vorschul- und Schulalter:
Unfähigkeit, Beziehung zu Gleichaltrigen aufzunehmen
andererseits symbiotische Verhaltensweisen im Umgang mit den Eltern (z.B. essen nur, wenn sie gefüttert werden)
im Laufe der Entwicklung besserer Kontakt zu Erwachsenen (andere Kinder werden als wenig einfühlsam, laut und bedrängend erlebt)
Beeinträchtigung der sozialen Interaktion zeigt sich in devianten Reaktionen auf Emo6onen anderer und im Mangel spontaner Freude, Interessen oder Tä6gkeiten
Intelligenz:
gekennzeichnet durch außerordentlich starke Variation des Intelligenzniveaus
ca. 60% sind geistig behindert
ca. 20% sind lernbehindert
bei ca. 17% liegt ein IQ im Grenzbereich vor
bei ca. 3% liegt ein IQ im durchschnittlichen oder überdurchschnittlichen Bereich vor, d.h. IQ > 85 (high-functioning-Au6smus; diese Form führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten vom Asperger-Syndrom)
Asperger Syndrom (Diagnosekriterien)
Asperger Syndrom - Welche Beeinträchtigungen gibt es? Welche stereotypen Verhaltensweisen und Interessen gibt es?
Beeinträchtigung der Kommunikation
Auffälligkeiten in der Sprechstimme = monotone, blecherne, eintönige Stimme, wenig Modulation
Beeinträchtigung hinsichtlich der wechselseitigen Kommunikation
Beeinträchtigung im Sprachverständnis
Beeinträchtigung hinsichtlich des Verständnisses sozialer Regeln der Kommunikation
Beeinträchtigung der sozialen Interaktion
auffälliges nonverbales Verhalten (reduzierte Gestik, Mimik, Blickkontakt)
Unfähigkeit zwanglose Beziehungen herzustellen (nicht aus Wunsch nach sozialem Rückzug, sondern Unfähigkeit, die ungeschriebenen Regeln des sozialen Miteinanders zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten)
Unfähigkeit, die Gefühle anderer zu erfassen und emo6onal mitzuschwingen („Störung der Empathie“, mangelnde „Theorie of Mind“)
Abkapselung von der Umwelt bzw. unangemessene Kontaktaufnahmen (sprechen gern und viel, ausführlich und weitschweifig von ihren Interessen, achten wenig auf Angemessenheit ihres Verhaltens in der Situation)
Stereotype Verhaltensweisen und Interessen
motorische Stereotypien, Ungeschicklichkeit, mangelnde Koordination und Situationsunangemessenheit von Bewegungsmustern, wirken linkisch / schwerfällig
ungewöhnliche Interessen, beschränkt auf bestimmte Themen (teils „besessen“ anmutend, störender Einfluss auf andere Aktivitäten, Beeinträchtigung der Teilnahme am alltäglichen Leben)
Zwänge, Rituale und Veränderungsängste
Asperger Syndrom - Im Erwachsenenalter
Asperger- Syndrom im Erwachsenenalter (hochfunktionelle Autismusspektrum-Störung): Menschen mit hochfunktionellen ASS, die sich erst im Erwachsenenalter vorstellen
haben oft eine weniger schwer ausgeprägte Symptomatik
verfügen oft über hohe Intelligenz und gute kognitive Kompensationsstrategien
verfügen oft über ein gut strukturiertes Netzwerk an sozialer Unterstützung (Familie, soziales Umfeld, Schule, Beruf)
können dennoch wegen ASS-Basisstörung in Beziehungen, Partnerschaft und Beruf komplett scheitern
Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung DSM-5 - Was ist typisch?
Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung DSM-5
treten gebunden an umschriebene Entwicklungsphasen auf
Kinder weisen Entwicklungsdefizite auf, die zu Beeinträchtigungen im persönlichen, sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsniveau führen
Bandbreite dieser entwicklungsbedingten Defizite reicht von sehr spezifischen Einschränkungen im Lernen oder in der Kontrolle von exekutiven Funktionen bis hin zu umfassenden Beeinträchtigungen der sozialen Fertigkeiten oder der Intelligenz
Autismus-Spektrum-Störungen (Diagnosekriterien und Schweregrade)
Autismus im ICD 11
Hypersensibilität, Filterproblematik, Hyposensibilität
Das fängt damit an, dass ich manchmal in bestimmten Körperregionen fast nichts spüre. Man könnte mich ruhig schlagen, ohne dass ich es als Schmerz registrieren würde. Dann aber wieder bin ich außerordentlich empfindlich und habe das Gefühl, dass jede Berührung elektrische Impulse in Gang setzt. Dann kann ich es kaum in meiner Haut aushalten.“ (Zöller, 1995)
Epidemiologie (Frühkindlicher Autismus, Asperger Syndrom, Autismus-Spektrum-Störung)
Epidemiologie
Frühkindlicher Autismus (Schwankungen zwischen Studien)
4.9 – 72.6/ 10.000
10 – 14.5/ 10.000 (Durchschnitt)
M : F = 3 - 4 : 1
Asperger Syndrom (Schwankungen zwischen Studien)
0.3 – 48.4/ 10.000
2 – 3.3/ 10.000 (Durchschnitt)
M : F = 7: 1
-> Änderung diagnostischer Kriterien und das Bewusstsein haben sich geändert -> deswegen der starke Anstieg
Verlauf
gute kognitive und sprachliche Fähigkeiten haben positiven Einfluss auf Verlauf der Störung, sind aber nicht die einzigen Einflussfaktoren auf den Verlauf
Verminderung der Symptomatik im Altersverlauf, aber Kernsymptome persistieren lebenslang
frühe Diagnose und Intervention sind für gute Prognose entscheidend
Verlauf ist sehr variabel
Auftreten von komorbiden Erkrankungen beeinträchtigt die Entwicklungsmöglichkeiten
Ca. 30% zeigen dennoch gelungene soziale Integration
Prognose stark von psychosozialem Umfeld und kognitiven Ressourcen abhängig
Diagnostik
-> Zugehörige Merkmale zur Diagnosesicherung
Zugehörige Merkmale zur Diagnosesicherung:
Intellektuelle und/oder sprachliche Beeinträchtigung (z. B. verzögerter Spracherwerb, das rezeptive Sprachniveau liegt unter dem expressiven Niveau)
Große Diskrepanz zwischen intellektuellen und adaptiven Fähigkeiten
Motorische Beeinträchtigungen (z. B. eigenartiger Gang, Ungeschicklichkeit, motorische Auffälligkeiten)
Selbstverletzendes Verhalten (z. B. Kopfanschlagen, ins Handgelenk beißen)
Ängste, Depressionen, Katatonie
-> Fokus Sprache
Diagnostik - Fokus Sprache:
oft gute verbale Fähigkeiten
Beeinträchtigungen in Bezug auf „Pragmatik der Sprache“ = sozialer Gebrauch und soziales Verständnis der Sprache (Pragmatik der Sprache regelt den kommunikativen Gebrauch von Grammatik und Semantik in verschiedenen Kontexten)
Diese Regeln müssen verstanden werden, um zu erkennen, dass
jemand stichelt
jemand Hintergedanken hat
höflich, humorvoll, sarkastisch etc. sein möchte
-> Reading the Mind in the Eyes
-> MET
Differentialdiagnostik (normal und bei Erwachsenen)
Differenzialdiagnostik bei ASS im Erwachsenenalter:
Vor allem Pa6enten mit „leichterer“ Ausprägung einer ASS erreichen oft das Jugend- oder sogar Erwachsenenalter, ohne dass eine autistische Störung erkannt und diagnostiziert wurde
Aufgrund der i. d. R. guten kognitiven Fähigkeiten entwickeln diese Patienten oft kompensatorische Strategien
Trotz dieser Anpassungsleistung kommt es oft zu erheblichen Schwierigkeiten in der Bewältigung von Alltagsanforderungen, in der beruflichen Entwicklung und in zwischenmenschlichen Beziehungen
Nicht selten entwickeln sich komorbide psychiatrische Störungen
Differenzialdiagnostik
Anzeichen, die auf ASS hinweisen könnten:
Eingeschränkte nonverbale Kommunikation (DD soziale Phobie, Depression)
Unangemessenes Verhalten im Kontakt (DD eingeschränkte soziale Kompetenz)
Intensive Beschäftigung mit Interessen (DD intensives Hobby)
Starres Festhalten an Routinen (DD Zwangsstörung, zwanghafte Persönlichkeit)
Vorhandensein der Auffälligkeiten seit früher Kindheit (Fremdanamnese bzw. Elterninterview nötig)
Screeninginstrument: Fragebogen zur Sozialen Kommunika6on (FSK)
Ätiologie
v.a. biologische Verursachung
Risiko für Geschwister etwa 50-fach erhöht
Monozygote Zwillinge zeigen deutlich höhere Konkordanz als dizygote Zwillinge (36%-95% vs. 0%-23%)
Alter des Vaters (> 40 J vs. < 30 J: 6-fach erhöhtes Risiko)
Komorbidität mit Epilepsien und Intelligenzminderung
Neuropsychologische Funktionsstörungen häufig
Einfluss sozialer und psychischer Faktoren sehr gering
Keine Zusammenhänge mit Erziehungsverhalten und sozioökonomischen Bedingungen
Keine Belege für kausale Rolle von Lebensmittelunverträglichkeiten (z.B. Gluten) oder Impfungen
-> starke Genetik
-> Aufmerksamkeit, Reizverarbeitung und Gedächtnis
Aufmerksamkeit
Besonders schwierig, sich auf neue, schwer vorhersagbare Reize einzustellen
Reize, die mehrere Sinneskanäle gleichzeitig ansprechen, können nicht adäquat verarbeitet werden
Große Probleme mit Aufmerksamkeitswechsel: Können sich nur schwer von einem Reiz lösen
Schwierigkeit, Einzelheiten in den Hintergrund treten zu lassen und sich auf das gesamte Bild zu konzentrieren -> Erklärung für die typischen Probleme, Bezüge herzustellen und somit Bedeutungen aufzubauen
Reizverarbeitung
Informationen aus unterschiedlichen Sinnesbereichen werden nicht miteinander in Beziehung gesetzt -> deshalb ist es für Autisten kaum möglich, über etwas Geschehenes, Gehörtes, Beobachtetes zu berichten oder dieses nachzuahmen
Räumlich-visuelle Informationen werden besser verarbeitet als auditive
Neue Erfahrungen können viel schwieriger mit Bekannten in Verbindung gebracht werden -> Zentrale Kohärenz: Fähigkeit, einzelne Wahrnehmungselemente in einen Gesamtbedeutungskontext zu integrieren („den Wald vor lauter Bäumen…“)
Gedächtnis
Ungewöhnliche Gedächtnisleistungen, oft:
– Musikalisches Gedächtnis
– Zeichnerische Begabungen
Fähigkeit, für lange Zeiträume bestimmte Daten Wochentagen zuzuordnen
Schwierigkeiten, an gespeicherte Informationen heranzukommen -> Folge: es werden gezielte Hinweise oder Erinnerungshilfen benötigt
-> Problemlösungsverhalten -> Beeinträchtigung folgender Fähigkeiten: …
Problemlösungsverhalten
Beeinträchtigung folgender Fähigkeiten:
Planung von Handlungen
Überblicken von zeitlichen Abfolgen
Koordinieren von komplexen Handlungsschriften
Sich Lösen-Können von der aktuellen, konkreten Situation und ihren Reizen
Entwicklung innerer Vorstellungen
Kontrollieren eigener Impulse
Systematische Suche nach angemessenen Lösungsstrategien
Flexibilität im Denken und Handeln
Therapie
verhaltensorientierte, direkte und strukturierte Behandlungsmethoden sind indiziert
Umgebung der autistischen Kinder sollte strukturiert und organisiert sein
autistische Kinder mit niedrigem Entwicklungsstand lassen sich durch strukturierte Maßnahmen besser fördern
früher Beginn der therapeutischen Bemühungen ist von allergrößter Bedeutung
Aufklärung und Beratung der Eltern sowie die Erarbeitung eines gemeinsamen Förder- und Behandlungskonzeptes
die Behandlung muss die Eltern und Bezugspersonen integrieren
-> spezielle veränderte Zusammensetzung der Darmflora kann Ursache sein
-> Stuhltransplantation kann Behandlungsansatz sein
Multimodaler Therapieansatz
Multimodaler Therapieansatz:
Psychoedukation und Sozialarbeit
Verhaltenstherapeutische Ansätze
Verhaltenstraining
Gruppenintegration
Pharmakologische Behandlung
Keine ursächliche Behandlung!
-> Krankheitsstadienbezogene Komponenten
-> Psychoedukative Maßnahmen
Krankheitsstadienbezogene Komponenten:
Wahl des richtigen Kindergartens/ der richtigen Schule
Berufsfindung und Ausbildung (Archivar)
Krisenintervention
Psychoedukative Maßnahmen:
angemessenes Störungskonzept für die Eltern und die Kinder
wichtige erzieherische Grundsätze (Arbeit mit Hierarchien, Verstärkung, Shaping, Hilfestellungen, Über- und Unterforderung vermeiden usw.)
Bezüglich der Anwendung des verhaltenstherapeutischen Ansatzes ist von 3 Grundannahmen auszugehen: …
bezüglich der Anwendung des verhaltenstherapeutischen Ansatzes ist von 3 Grundannahmen auszugehen:
Autismus wird nicht als eine Beziehungsstörung angesehen, sondern als eine Störung der Perzeption und Kognition
eine Modifikation des Verhaltens ist unabhängig von einer genauen Ursachenkenntnis möglich -> besteht im Aufbau erwünschter und im Abbau unerwünschter Verhaltensweisen
verhaltenstherapeutische Maßnahmen werden nicht nur von dem Therapeuten, sondern auch von Eltern und Bezugspersonen durchgeführt
Medikamente ausgerichtet nach Zielsymptom
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