Welche Störungsbilder lassen sich unter dem Kodierungsschlüssel F43 im ICD-10 finden?
Unter dem Kodierungsschlüssel F43 finden sich im ICD-10 folgende zentrale Störungsbilder, die als Reaktion auf schwere Belastungen entstehen können:
die akute Belastubgsreaktion (F43.0)
die posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
die Anpassungsstörung (F43.2)
Wie werden belastende Lebensereignisse manchmal umgangssprachlich bezeichnet und worauf weisen Tagay und Kollegen diesbezüglich hin?
Umgangssprachlich werden belastende Lebensereignisse manchmal als “traumatisch” bezeichnet.
Sie weisen auf die Notwendigkeit hin, den Begriff des Traumas nicht inflationär zu verwenden, da dies zu einer Pathologisierung belastender, aber normaler Lebensereignisse führe, die zu dem menschlichen Dasein dazugehören.
Welche objektiven Kriterien definiert das DSM-5, die ein Trauma kennzeichnen?
drohender Tod
Sexuelle Gewalt
ernsthafte Verletzungen, die selbst erlebt oder bei einer anderen Person beobachtet wurden
Dazu zählen…
Kriegserfahrungen
Terroranschlag
Folter
Schwere Naturkatastrophen
Schwere Verletzung einer anderen Person durch gewalttätigen Angriff, Unfall, Krieg oder Katastrophe
Nachricht über plötzliches und unerwartetes Versterben eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person
Was ist für die Vergabe einer F43.X-Diagnose notwendig?
Das (indirekte) Erleben eines katastrophenartigen oder kritischen Ereignisses ist für die Vergabe der Diagnose notwendig!
Worum handelt es sich bei einer Anpassungsstörung?
Bei einer Anpassungsstörung handelt es sich um eine Reaktion, die durch affektive Symptome (depressive Stimmung/Angst) oder Veränderungen des Sozialverhaltens zum Ausdruck kommt und auf ein einmaliges oder andauerndes belastendes Lebensereignis (zb Scheidung, finanzielle Schwierigkeiten, Pflege eines Angehörigen) zurückzuführen ist.
Wie lange dauert eine akute Anpassungsstörung?
Eine akute Anpassungsstörung dauert nicht länger als 6 Monate und die Symptome gehen zurück, wenn die Belastung und deren Folgen abgeschlossen ist.
Was unterscheidet die akute Anpassungsstörung von der akuten Belastungsstörung und posttraumatischen Belastungsstörung?
Bei der akuten Anpassungsstörung muss im Vorfeld kein “traumatisches” Ereignis aufgetreten sein.
(Ein belastendes Ereignis reicht)
Durch welche Symptome charakterisiert sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und wann treten diese auf?
Hypervigilanz
Intrusion
Flashbacks
Die spezifischen Belastungssymptome treten höchstens 6 Monate nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses auf
Was versteht man unter Hypervigilanz?
Eine übermäßig ausgeprägte Wachsamkeit/Wachheit wird als Hypervigilanz bezeichnet
Erhöhte psychophysiologische Erregung
Gerüche, Geräusche und andere sensorische Reize, die während des Ereognisses wahrgenommen wurden, führen nach dem Erwignis zu einer “Alarm-Reaktio
Schlafstörungen
erhöhte Schreckhaftigkeit
Was versteht man unter einer Intrusion?
Unter einer Intrusion wird das unkontrollierte Wiedererleben/-erinnern traumatischer Situationen verstanden
(Kann zb durch traumassoziierte Reize ausgelöst werden)
Was versteht man unter Flashbacks?
Ein Flashback ist ein blitzartiges Wiedererleben einer vergangenen Situation
Betroffene erzählen häufig von wiederkehrenden Albträumen, in denen sie Teile des Traumas erneut durchleben
Wie werden Flashbacks auch genannt?
Nachhallerinnerung
Warum spricht man von einem Traumagedächtnis?
Es wird angenommen, dass traumatische Erinnerungen im Gedächtnis anders abgespeichert werden
(da Betroffene berichten, dass sie die traumatischen Erinnerungen lebendiger wahrnehmen als normale Erinnerungen)
Wie lauten die Kriterien der PTBS nach DSM-5 A-E?
(A) Konfrontation mit dem Tod, drohendem Tod, schwerer Verletzung oder sexueller Gewalt
(B) Auftreten von Symptomen des Wiedererlebens des Traumas/ der Traumata (Intrusionen)
(C) Vermeidung von Reizen, die mit dem traumatischen Ereignis in Zusammenhang stehen (zb Vermeidung von Orten, Personen, Aktivitäten, Situationen) und möglicherweise eine erneute Erinnerung hervorrufen können
(D) negative Veränderung des Denkens und der Stimmung
(E) Veränderung der Erregung und Reaktivität
Wie lange dauern die Symptome/Kriterien der PTBS?
Länger als einen Monat
Was versteht man unter dem Kriterium A der PTBS?
(Konfrontation mit Tod, drohendem Tod, schwerer Verletzung oder sexueller Gewalt)
persönlich erlebt
Als Augenzeuge erlebt
Erfahrungen über den gewaltsamen Tod/ tödlichen Unfall/ die Todesgefahr einer nahestehenden Person
Wiederholte Konfrontation mit belastenden Ereignissen bzw. Details in den Medien
Was versteht man unter dem Kriterium B der PTBS?
(Auftreten von Symptomen des Wiedererlebens des Traumas/ der Traumata (Intrusionen))
wiederkehrende, belastende Erinnerungen
Wiederkehrende Albträume
Flashbacks (dissoziative Reaktionen), wobei der Eindruck vorliegt, das Trauma wieder zu erleben
Deutliche körperliche Reaktionen sowie psychische Belastung bei Konfrontationen mit Reizen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen (sog Trigger)
Was versteht man unter dem Kriterium D der PTBS?
(negative Veränderung des Denkens und der Stimmung)
Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte des Traumas zu erinnern
Andauernde, übertriebene und negative Überzeugungen über sich selbst und andere Personen (zb ich bin schlecht/ die Welt ist ein gefährlicher Ort)
Verzerrte Kognition bzgl Ursache und Folgen des Ereignisses, verbunden mit Schuldzuschreibungen
Anhaltende negative Emotionalität
Interessenverlust
Entfremdungsgefühle/Abgetrenntsein
Unfähigkeit, etwas Angenehmes zu fühlen
Riskante/selbstzerstörerische Verhaltensweisen
Was versteht man unter dem Kriterium E der PTBS?
(Veränderung der Erregung und Reaktivität)
Reizbarkeit oder Wutausbrüche
Riskantes, selbstzerstörerisches Verhalten
Erhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz)
Erhöhte Schreckhaftigkeit
Konzentrations- und Schlafstörungen
Was bilden Betroffene häufig direkt nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses?
Eine akute Belastubgsstörung (DSM-5) bzw. eine akute Belastungsreaktion (ICD-10)
(dessen Symptome eine hohe Übereinstimmung mit den definierten Symptomen einer PTBS aufweisen)
Wie nennt man umgangssprachlich eine akute Belastungsstörung (DSM-5) bzw. akute belastungsreaktion (ICD-10)?
Schock oder Krise
Wie definiert die ICD-10 das Auftreten einer akuten Belastungsreaktion?
Die ICD-10 definiert das Auftreten von versch psychischen Symptomen (zb Bewusstseinseinengung und Desorientierung), welche innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden nach einem belastenden Ereignis auftreten und ca 2-3 Tage anhalten, als akute Belastungsreaktion.
Wie definiert das DSM-5 das Auftreten der akuten Belastungsstörung?
Die Symptome der akuten Belastungsstörung nach DSM-5 hingegen dauern mindestens 3 Tage und höchstens einen Monat an.
Zeigen sich direkt nach dem Trauma psychische Symptome, die innerhalb von 3 Tagen verschwinden, so sind die Kriterien der akuten Belastungsstörung nach DSM-5 nicht erfüllt
Wofür haben Personen, die eine akute Belastungsstörung entwickeln, ein erhöhtes Risiko?
Für die Entstehung einer PTBS.
( Andersherum muss einer PTBS jedoch nicht zwangsläufig eine akute Belastungsstörung vorausgehen)
Wo liegt schätzungsweise die Lebenszeitprävalenz einer PTBS?
Die Lebenszeitprävalenz einer PTBS liegt schätzungsweise zwischen 1% und 7%
Inwiefern unterscheiden sich Männer und Frauen bezüglich der Epidemiologie einer PTBS?
Frauen sind in etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer
Auch die Art des erlebten Traumas unterscheidet sich
-Männer: häufiger Opfer von physischer Gewalt, Unfällen oder Naturkatastrophen
-Frauen: häufiger Opfer von sexueller Gewalt und lebensbedrohlichen Erkrankungen
Für wen zeigen sich erhöhte Raten für die Entwicklung einer PTBS?
1/3 der Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung werden
Kriegsveteranen
Einsatzkräfte der Feierwehr und Polizei
Überlebende von sexuellem Missbrauch und Genozid
Was sind typische komorbide Störungen einer PTBS?
Wo liegt die Lebenszeitprävalenz für komorbide psychische Störungen?
Zb
affektive Störungen
Angststörungen
Somatoforme Störungen
Substanzmissbrauch (kann aber auch auf eine dysfunktionale Bewätigungsstrategie zurückzuführen sein)
Die Lebenszeitprävalenz für eine komorbide psychische Störung (ohne Berücksichtigung von Persönlichkeitsstörungen) liegt zwischen 62% und 92%
Wofür erhöht sich das Risiko, wenn bereits eine psychische Störung vorliegt?
Das Risiko für das Erleben eines traumatischen Ereignisses und somit die Entwicklung einer PTBS
Wie verläuft eine PTBS?
Auftreten der Symptome innerhalb der ersten 3 Monate nach einem Trauma
Verläuft meist chronisch (nur etwa Hälfte der Betroffenen hat nach 2 Jahren Therapie keine Symptome mehr)
Was erschwert die Verarbeitung eines traumatischen Ereignisses?
Die Dissoziation und ein vermeidender Bewältigungsstil
(Dissoziationsprozesse laufen nicht bewusst ab, dh sie unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle der Person)
Was ist Dissoziation?
Als Dissoziation wird eine Veränderung des Raum- und Zeiterlebens bezeichnet, zb das Gefühl, neben sich zu stehen,
oder Erinnerungslücken
Welche Theorien und Modelle werden zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung einer PTBS genutzt?
Die “Zwei-Faktoren-Theorie” nach Mowrer
Das “Furchtstrukturmodell” von Foa und Kozak
Das “kognitive Modell der chronischen posttraumatischen Belastung” nach Ehlers und Clark
“Das Rahmenmodell der Ätiologie von Traumafolgen” nach Maercker
Siehe S. 35-36!
Welche 2 psychobiologischen Erklärungsansätze gibt es zur Entstehung der PTBS?
Die “Neuroendokrinologie” und die “Neuromorphologie”
Wie erklärt die Neuroendokrinologie die Entstehung einer PTBS?
Normaler Ablauf der Aktivierung der Stressantwort…
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) ist für die Aktivierung der biologischen Stressreaktion von Relevanz
Als Antwort auf einen Stressor werden Hormone in Hypothalamus und Hypophyse ausgeschüttet, sodass schließlich die Freisetzung von Glucocorticoiden in der Nebennierenrinde (v. a. Cortisol) erfolgt
Über eine integrierte Feedbackschleife wird die Stressreaktion, nachdem die Cortisolkonzentration eine bestimmte Schwelle erreicht hat, wieder gehemmt
Bei PTBS…
Diese Feedbackschleife scheint bei Personen mit PTBS verändert zu sein
Unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis werden höhere Mengen Cortisol ausgeschüttet (Hyperkortikolismus)
Nach einiger Zeit jedoch fällt der Cortisollevel unter das „normale“ Niveau (Hypokortikolismus)
Erklärung…
Studien liefern Hinweise darauf, dass Hypokortikolismus (z. B. bedingt durch frühere traumatische Ereignisse) die Vulnerabilität für die Entwicklung einer PTBS erhöht
Darüber hinaus konnten erhöhte Konzentrationen von Katecholaminen (z. B. Noradrenalin) im Blut festgestellt werden, die mit einer erhöhten Aktivität des sympathischen Systems assoziiert werden.
Das bedeutet, dass sich der Körper bei Personen mit einer PTBS in erhöhter „Alarmbereitschaft“ befindet (z. B. erhöhter Puls, Blutdruck)
Wie erklärt die Neuromorphologie die Entstehung einer PTBS?
Veränderungen in der Morphologie und Funktion des Gehirns ähneln denen anderer Angststörungen: Eine Hyperaktivität der Amygdala auf traumaassoziierte Reize und emotionale Stimuli (z. B. emotionale Gesichtsausdrücke) weist bspw. auf eine erhöhte Aktivierung von „Angstkreisen“ im Gehirn hin
Eine vielfach untersuchte Gehirnregion im Zusammenhang mit PTBS ist der Hippocampus. Der Hippocampus bildet einen Teil des limbischen Systems und ist bedeutsam für die Gedächtniskonsolidierung (v. a. autobiografischer Gedächtnisinhalte), die Stressreaktion sowie für Kontexteffekte bei der Furchtkonditionierung
Die Forschungswelt ging lange Zeit davon aus, dass eine Volumenreduktion des Hippocampus als Folge eines Traumas entsteht
(Einige Studien konnten dafür zwar Evidenzen finden, insgs. sind die Befunde über den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang bisher jedoch uneinheitlich)
Was sind Katecholamine?
Die Katecholamine sind eine Gruppe chemischer Stoffe, die als Neurotransmitter und Hormone wirken.
Die wichtigsten Katecholamine sind Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin
Was bedeutet Morphologie?
Die äußere Form bzw. Gestalt wird in der medizinischen Fachsprache als Morphologie bezeichnet
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