Methodologie
Garfinkel als Vertreter der Ethnomethodologie
Empirisch orientiert
Beobachtung als zentrales Werkzeug
Zentral: Alltagspraktische Handlungen
→ Wie entsteht Wirklichkeit und wie wird sie aufrechterhalten?
Untersuchung bestimmter Merkmale im Feld, um ihre Funktionsweise nachzuvollziehen
→ Auflösung der Blackbox/Sichtbarmachung von Regeln durch Krise
Fallstudie: Agnes
Wer ist Agnes?
Intersexuelle Person, erstmal ein Junge gewesen bzw. als eins aufgewachsen bis zur Pubertät ab da Entwicklung von weiblichen Geschlechtsmerkmale
Inwiefern verursacht Agnes eine Krise?
Entspricht nicht der Norm für die Außenwelt; Abweichung von Erwartung führt zu Entstehung von Krise
Was kann unter ‚doing gender‘ im Zusammenhang mit Garfinkels Interpretation von Agnes verstanden werden?
Gender ist etwas was wir machen und nicht was wir sind
Garfinkel stellt drei Alltags-Annahmen über Geschlecht auf:
Es gibt zwei – und nur zwei – Geschlechter
Geschlecht ist ‚natürlich‘, also angeboren
Geschlecht ist konstant und unveränderlich.
(Sex = Gender)
Agnes als „120 per cent female“ (129), ihr Freund als „120 per cent male“ (129)
→ Übersteuerung als Absicherung des Passings
(Agnes sehr weiblich könnte nicht ahhnen, dass sie intersexuell ist)
„Passing“ (118) als normalitätsherstellende Handlung
Erwartungen werden erfolgreich erfüllt
→ Geschlecht als Prozess und als potenziell krisenproduzierender Marker
→ Bestimmte “Insignia” (122) machen bestimmte Dinge signifikant und haben eine identifizierende Funktion
„The good society for the member is composed only of persons who are either one sex or the other.“ (123) → Agnes‘ Körperlichkeit verursacht eine Krise
Agnes als „convincingly female“ (119)
„Her manner was appropriately feminine” (119)
„My weight distributed in a way that I did not understand, my clothes from the Gap‘s boy section began to betray me. I could not detect myself. I didn‘t transform into me – the me I knew I was – like the other boys did.“ (Page 2023: 144)
„In the biography furnished to us over many hours of conversations, the male role was both consistently and insistently described as a difficult one and poorly managed.“ (120)
„puberty transmuted me into a character I had no interest in playing“ (Page 2023: 57)
→ Geschlecht als Prozess und Aktion (vgl. Judith Butler: Doing Gender)
Insignia
Haare, Größe, Körperbehaarung, Stimmton, Hautfarbe
—>Merkmale, welche Zuordnung gewährleisten
Doing Gender
De Beauvoir: Geschlecht nicht als inhärent auftretende, sondern sich entwickelnde Identität
—>Geschlecht entsteht durch Entwicklung
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.” (De Beauvoir: Das andere Geschlecht)
Entwicklung passiert in der sozialen Öffentlichkeit und ist dementsprechend von diesen abhängig → soziale Sanktionen, negative Affekte etc.
‚Sex‘ =/= ‚Gender‘ (biologisches vs. soziales Geschlecht)
Manifestation von Identität durch Handlungen
Diese Identität muss durch (alltägliche) Praktiken kontinuierlich ‚bewiesen‘ und hergestellt werden —> z.B. rasieren, schminken, Haare machen
„by extension, any gender, is an historical situation rather than a natural fact.“ (520)
Wandelbarkeit von Kategorisierung
—>Komplexitätsreduktion
Gender im sozialen Raum
„One is not simply a body, but, in some very key sense, one does one's body and, indeed, one does one's body differently from one's contemporaries and from one's embodied predecessors and successors as well.“ (521)
Schönheitshandeln → Tätowierungen, Haarfarben und -schnitte, Kleidung, Schmuck etc.
Je nach Körper, welcher der sozialen Umwelt als Interaktionsfläche geboten wird, und je nach ‚Ausschmückung‘ und Darstellung dieses Körpers, bestehen andere Handlungsoptionen
„To do, to dramatize, to reproduce, these seem to be some of the elementary structures of embodiment.” (521) → Performativität als zentrales Element
Vgl. Elias (Fremdzwänge → Selbstzwänge)
“Nothing between me and the moment, no expectations, no performing, no eviscerating self-doubt.” (Page 2023: 37
Gender und Sanktion
“Hence, as a strategy of survival, gender is a performance with clearly punitive consequences. Discrete genders are part of what 'humanizes' individuals within contemporary culture; indeed, those who fail to do their gender right are regularly punished. Because there is neither an 'essence' that gender expresses or externalizes nor an objective ideal to which gender aspires; because gender is not a fact, the various acts of gender creates the idea of gender, and without those acts, there would be no gender at all. Gender is, thus, a construction that regularly conceals its genesis. (…) The authors of gender become entranced by their own fictions whereby the construction compels one's belief in its necessity and naturalness.” (522)
Vgl. Garfinkel: ‚Passing‘ als zentrales Moment, um Sanktionen zu vermeiden (‚120 percent female‘)
„I should be turning into a young lady, my mother‘s idea of one at least. „I just want what‘s best for you…I want to protect you…I don‘t want you to have a hard life.““ (Page 2023: 26)
Agnes und ‘Der Fremde’ (Schütz)
Gemeinsamkeiten
Verschiedene Normen und Regelkataloge aufgrund verschiedener Merkmale (vgl. Sozialisation)
Problem: Wann werden diese Regeln beigebracht und wie kann dieses Wissen nachträglich aufgenommen werden?
Absicherung einer Identität/Sedimentierung von Erfahrungen
„120 % female“ vs. ‚Stranger bias‘→ Über-Performance
Verhalten wird (auf Basis von Beobachtungen) kopiert
Fokus: Analyse von Alltagspraktiken
Krise bei Nichterfüllen von Erwartungen
Unterschiede
Agnes ist in der gleichen Gesellschaft → muss dadurch weniger hinterfragen
Fremder muss unter Umständen nicht vollständig Fremdsein verbergen, weil sein Fremdsein zu einem gewissen Grad akzeptiert wird
Schütz: Fremdsein (je nach Merkmalen) ist nur in bestimmten Situationen anwendbar, in anderen Situationen gehört man ‚dazu‘ weil die Merkmale der anderen Personen meinen entsprechen
Garfinkel: Agnes als konstante Fremde
Fremder assimiliert sich durch Lernen, Agnes auch durch physische Attribute
Methodologischer Ansatz
Geschlecht, Krise und Macht
„Such admonitions [verbal sanctions, L.H.] as a "first line of social control" make up commonly encountered sanctions whereby persons are reminded to act in accordance with expected attitudes, appearances, affiliations, dress, style of life, round of life, and the like that are assigned by the major institutions. In our society these consist prominently of occupational and kinship arrangements with their intended obligatory statuses. Their importance is this: that persons are held to compliance with them regardless of their desires, i.e., "whether they like it or not."“
Darstellung von Intersex-Personen als “very rare occurrence. These persons are after all freaks of nature“ (124)
→ Wer entscheidet über Normalität?
Reaktion auf eine Krise in drei Schritten:
Reparation
Delegitimation/Pathologisierung
Aggression
„„When did you know?“ she asked as we stood outside, leaning against a wall. She loomed over me. For a brief moment, I wondered what she meant. This is something I‘m asked frequently and not something I wish for during a casual night out. I‘d experienced this inquiry as a queer woman, but as a trans guy it‘s perpetual. Code for – I don‘t believe you.“ (Page 2023: 14)
Zusammenfassung
Identität muss durch (alltägliche) Praktiken kontinuierlich ‚bewiesen‘ und hergestellt werden, um Interaktionen zu stabilisieren
Krise als Sichtbarmachung von Interaktionsregeln und Praktiken
Blackbox
Gender als nervös und aggressiv umkämpftes Spannungsfeld
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