Buffl

Wahlen

MG
by Maya G.

Begriff & Funktion von Wahlen



• im politikwissenschaftlichen Fachkontext haben wir es mit 2 grundlegenden Begriffsbezügen zu tun, wenn wir von Wahlen sprechen: Wahlen als demokratische Methode & Wahlen als Technik


Wahlen als demokratische Methode:

• kommen zum einen zum Einsatz, um Personen in demokratische Vertretungsorgane

oder Führungspositionen zu bestellen

• wird in allen Bereichen des öffentlichen Lebens geschätzt, wo eine direkte Beteiligung der Bevölkerung an politischer Entscheidungsfindung nicht möglich ist, wo aber gleichzeitig demokratische Anforderungen an das Vertretungs- & Führungsper-

sonal gestellt werden -> Parlamente & Regierungen

• in allen Demokratien gibt es bestimmte Entscheidungsbereiche, die dem politischen

Wettbewerb entzogen sind

-> nicht-majoritäre Institutionen

—>die handelnden Akteure unterliegen dort keinen demokratischen Anforderungen ->

d.h., sie können ihre Entscheidungen frei von politischen Kalkülen treffen -> sind weder den Bürger*innen noch gewählten Abgeordneten gegenüber direkt verantwortlich

—>daher genießen Entscheidungen nicht-majoritärer Institutionen auch einen Schutz

• Bsp.: Zentralbanken & Verfassungsgerichte


Wahlen als Technik

• in dieser Eigenschaft sind Wahlen nicht auf Demokratien beschränkt

• Wahlen als Technik werden z.B. angewendet, um eine Körperschaft zu bilden oder wenn eine Person mit einer Führungsposition betraut werden soll

• in Autokratien dienen sie unterschiedlichen Zielen, z.B. der Kooptation bestimmter

Bevölkerungsgruppen in das Machtgefüge, der Informationsbeschaffung für die

Herrschenden oder der innen- & außenpolitischen Behauptung politischer Legitimität

• politische Legitimität spielt für Autokratien nicht zuletzt deshalb eine Rolle, als sich

politische Wahlen zu einer Universalie entwickelt haben

Kompetitive Wahlen


Grundanforderungen kompetitiver Wahlen


Wahlen sind nur dann kompetitiv, wenn sie 2 Grundanforderungen erfüllen

• Auswahlmöglichkeiten: Wahlen sind nur dann kompetitiv, wenn sie die Auswahl

zwischen mindestens 2 Angeboten garantieren

• Wahlfreiheit: Wahlen sind nur dann kompetitiv, wenn sich die Wähler*innen frei

zwischen den Angeboten entscheiden können

—>wenn diese beiden Anforderungen nur eingeschränkt erfüllt werden, sind Wahlen semi-

kompetitiv

—>werden die beiden Anforderungen nicht nur beschränkt, sondern verweigert, wird von

nicht-kompetitiven Wahlen gesprochen



Funktionen kompetitiver Wahlen

Machtzuweisung politischer Herrschaft

-Legitimation politischer Herrschaft

-Kontrolle von Macht

—>ex post-Kontrolle > bei nächsten Wahlen sanktionieren

—>durch freie Konkurrenz um Wählerstimmen (Parteien halten sich gegenseitig in Schach)


Artikulation

—>Einverständnis o. Unzufriedenheit mit dem gewählten Führungspersonal zum Ausdruck bringen

!Artikulation von Handlungsaufträgen ist umstritten

—>Pluralismus vs. Populismus

-Integration


Inklusion der Bürger in das politische System

—>Minderheiten: Möglichkeit der Interessenvertretung

—>Neue Parteien können Parlamentssitze erobern


Innovation

—>Wahlen ermöglichen Machtwechsel und damit Politische Veränderungsprozesse

—>Eingebauter Korrektur-/Lernmechanismus > Anpassungsfähigkeit demokratischer Systeme an

neue Herausforderungen (Kompetitive Wahlen = Institutionalisiertes Verfahren für den „feedback

loop“ nach David Easton)

Sozialpsychologisches Modell (Ann Arbor / Michigan)


-Erklärungsansatz für Wahlverhalten

-von Forschungsgruppe um Angus Campbell in 1950ern

-der Wahlentscheidung kausal vorgelagert sind die sozialpsychologischen Einflussfaktoren & dabei werden 3 zentrale Einstellungen (auch Einstellungsdeterminanten)

unterschieden -> Erklärungsansatz der 3 unabhängige Variablen postuliert:


Parteiidentifikation:

• langfristige affektive Bindung an eine Partei, eine Art ,psychologische Parteimitgliedschaft'

• durch politische Sozialisationsprozesse erworben

• Wähler mit einer starken Parteibindung wählen in der Regel auch diese Partei, und zwar auch

deswegen, weil die Parteiidentifikation sozusagen als ,rosa Brille' wirkt, durch die das personelle und inhaltliche Parteiangebot gesehen wird.

• insgesamt relativ hohe Stabilität


Kandidatenorientierung:

• Wirkt kurzfristig

• Vier Beurteilungskriterien der Wähler: Führungsqualitäten, Integrität, Sachkompetenz und

Sympathie

• Bedeutung der Kandidaten variiert von Wahl zu Wahl


Sachthemen-Orientierung (Issue-Orientierung / Themen-Orientierung):

• Wirkt kurzfristig

• Sachfrage zur Kenntnis nehmen, ihr Relevanz zuschreiben, eine eigene Position besitzen und

zwischen den Parteien Unterschiede erkennen

• retrospektives Wählen (z. B. die Bestrafung von Regierungen für Fehlleistungen) vs.

prospektives Wählen (Urteile über politische Kontroversen)

• Valenzissues vs Positionsissues

• Für Deutschland konnte gezeigt werden, dass eine positivere Wahrnehmung der

Wirtschaftslage eher zur Wahlabsicht für eine der Regierungsparteien führt


Funnel of causality:

relevante Faktoren wie sozialstrukturelle Einbindung oder vergangene politische Erfahrungen etc. (als zeitlich & kausal vorgelagerten Faktoren nur indirekt, nämlich vermittelt über die Einstellungen einer Person auf ihre individuelle Wahlentscheidung,

die politischen Einstellungen wirken demnach also als sog. intervenierende Variablen)

—> wirkt auf Parteiidentifikation ein

—> diese wirkt auf Kandidaten- oder Themenorientierung ein

—> Entscheidung zur Wahl (Explanandum)


—>Parteiidentifikation ist eine langfristig wirksame Einstellung

—>die anderen beiden Einstellungen sind kurzfristig variable Orientierungen

—>Kandidaten- & Sachfragenorientierung können dementsprechend von aktuellen Geschehnissen beeinflusst werden & anders als die Parteiidentifikation sich noch bis kurz vor der Wahl verändern

—>außerdem nimmt das „Ann Arbor“-Modell an, dass die Parteiidentifikation Effekte auf

die Kandidaten- & Issue-Orientierung hat -> d.h., die Parteiidentifikation wirkt als Filter oder Verstärker auf Kandidaten- & Sachfragenorientierungen


Rational-Choice-Ansatz (ökonomischer Ansatz)

nach Downs



Anthony Downs 1957

• Wahlen sind ein Tausch von Wählerstimmen gegen die Realisierung politischer Ziele

• Teilnehmer des politischen Wettbewerbs verhalten sich rein instrumentell-rational

individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül des Wählers: die gewählte Partei betreibt eine Politik, die

seinen eigenen Interessen entspricht

• unter den Handlungsalternativen diejenige wählen, die mit dem größten erwarteten

(Netto-)Nutzen verbunden ist: Tritt eine bisherige Oppositionspartei gegen eine

Regierungspartei an, so wird der rationale Wähler den Nutzen, den ihm die beiden Parteien als

Regierungspartei bringen, kalkulieren und gegeneinander abwägen (Parteiendifferenzial)


—>in der Entscheidungssituation der Wahl werden sie ihre Stimmvergabe für eine Partei

deshalb von 2 möglichen Erwägungen abhängig machen

• entweder geben sie ihre Stimme der Partei, von deren Arbeit sie in der Vergangenheit

wirtschaftlich mehr profitiert haben als von der Arbeit anderer politischen Parteien ->

retrospektives Wählen

• oder die nutzenmaximierenden Wähler*innen geben ihre Stimme der Partei, von der

sie sich in Zukunft einen größeren ökonomischen Nutzen versprechen -> prospektives Wählen


-die Wähler*innen stellen in Mehrparteiensystemen zunächst eine Mutmaßung darüber an, ob die von ihnen favorisierte Partei eine realistische Machtchance hat

—> Wenn das nicht der Fall ist, kann es für die Wähler*innen unter Umständen rational

sein, einer von ihnen weniger favorisierten Partei ihre Stimme zu geben

—>statt die eigene Wahlstimme also zu verschenken, versuchen die Wähler*innen durch

die Wahl des aus ihrer Sicht kleinere Übels zu verhindern, dass die von ihnen am

wenigsten gewünschte Partei die Wahl gewinnt


zur Erklärung des ,strategischen Wählens', also von Wahlentscheidungen, die

von der eigentlichen Parteipräferenz des Wählers abweichen, benutzt, wobei hier vor allem die

Effekte von Koalitionspräferenzen und Koalitionserwartungen auf die Wahlentscheidung von

Interesse sind

Wahlparadoxon


allerdings verursacht Wählen auch Kosten

• hohe Informationskosten für Wähler*innen, damit diese ihre Nutzenentscheidungen

treffen können

• Wahlakt selbst verursacht ebenfalls Kosten

• vor diesem Hintergrund ist die Theorie von Downs mit einem schwerwiegenden Problem konfrontiert -> in der Wahlforschung bekannt als Wahlparadoxon

• wenn Wahlverhalten wirklich instrumentelles Verhalten zur Auswahl einer Regierung ist,

macht es in Massendemokratien für den Einzelnen im Grunde überhaupt keinen Sinn sich an der Wahl zu beteiligen -> denn unter Millionen Wähler*innen fällt die eigene Stimme kaum ins Gewicht

—>höchst unwahrscheinlich, dass die eigene Stimme für den Wahlausgang entscheidend

ist

—> wenn die Wähler*innen nun ihr Parteiendifferential mit der Wahrscheinlichkeit ge-

wichten, dass ihre Stimme die Wahl entscheidet, wird der Nutzen ihrer Wahlteilnahme stets kleiner als 0 sein


Paradoxon: Wie ist dann aber zu erklären, dass sich in den meisten etablierten Demo-

kratien trotzdem Millionen Menschen an demokratischen Wahlen beteiligen?


• eine Erklärung für das Paradoxon haben Ferejohn & Fiorina angeboten: ihrer Argumen-

tation zufolge unterstellt Downs bei den Wähler*innen einen falschen Entscheidungs-

mechanismus

• die Wähler*innen würden nämlich nicht danach streben, ihren erwarteten Nutzen zu

maximieren, stattdessen würden sie versuchen, ihr maximal mögliches Bedauern zu

minimieren

• die Wähler*innen stellen sich dementsprechend eine Situation vor, in der die von

ihnen bevorzugte Partei aufgrund einer einzigen fehlenden Stimme die Wahl nicht

gewinnt


andere Erklärung: Brennan und Lomasky (1993): Bürger würden bei der Wahlentscheidung expressiv handeln

und sich bspw. von moralischen Überzeugungen leiten lassen. An der Wahl nehmen sie teil,

weil sie es als Pflicht eines Bürgers ansehen, sich an Wahlen zu beteiligen (= Norm).



• oder Spieltheorie: Wenn alle anderen denken, daß die eigene Stimme keinen Einfluß auf das

Wahlergebnis hat, könnte es sich für rationale Wähler lohnen, selbst zur Wahl zu gehen

• p (Wahrscheinlichkeit) weitaus höher als gemeinhin angenommen.



Normative Prinzipien kompetitiver Wahlen


1. Freiheit der Wahlwerbung

• erscheint zwar selbstverständlich, wird aber immer wieder z.B. durch die Zerstörung

von Wahlplakaten oder die gezielte Einschüchterung der Teilnehmer*innen verletzt

2. Garantie eines freien Wettbewerbs der Angebote

• demnach muss der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen personellen &

programmatischen Angeboten gesichert sein

• außerdem muss die Konkurrenz zwischen Problemdefinitionen & vorgeschlagenen

Lösungen garantiert sein

• der auch in der deutschen Bevölkerung weit verbreitete Wunsch nach Harmonie &

Konsens in der Politik schadet demokratischen Wahlen, denn damit wird der Kon-

kurrenzkampf um Wählerstimmen ausgehebelt

• kompetitive Wahlen gründen auf einen gesicherten Wettbewerb der Alternativen ->

wenn keine Alternativen mehr angeboten werden oder für die Wahlberechtigten nicht

mehr erkennbar sind, ist der Wettbewerbsgrad kompetitiver Wahlen eingeschränkt

3. Garantie der Chancengleichheit

• Praxis kennt viele Bsp., wie Chancengleichheit beschränkt werden kann, z.B. durch die

• Ungleichverteilung finanzieller Ressourcen

• Limitierung von Wahlwerbespots in den Medien

• zeitliche Begrenzung des Wahlkampfs durch praktische Terminierung


4. Geheime Stimmabgabe

• freie Wahl kann nur getroffen werden, wenn man weder Sanktionen noch Repressalien

befürchten muss -> nur möglich, wenn niemand kontrollieren kann, an welcher Stelle

man sein Kreuz gesetzt hat

• geheime Wahlen sollen außerdem verhindern, dass der Wahlausgang manipuliert wird

• war in der Vergangenheit nicht selbstverständlich & ist es auch bis heute nicht überall

dort, wo Wahlen durchgeführt werden


5. Demokratiesicherndes Wahlsystem

• Wahlsystem darf keine demokratiegefährdenden Resultate hervorbringen

• kompetitive Wahlen wären z.B. nicht mehr garantiert, wenn ein implementiertes Wahl-

system übergroße Mehrheiten & permanente Minderheiten hervorbringt

• sobald ein Wahlsystem nicht mehr sicherstellen kann, dass eine Minderheit prinzipiell

auch Mehrheit werden kann, sind Wahlen nicht mehr kompetitiv


6. Wahlentscheidung auf Zeit

• Demokratie ist Herrschaft pro tempore -> dementsprechend sehen kompetitive Wahl-

systeme immer nur eine Wahlentscheidung auf Zeit vor

• nur weil es kompetitive Wahlen zulassen, die Machtfrage zu stellen, können sie zur

Legitimation des politischen Systems beitragen -> zwar lassen auch autoritäre Herrscher wählen, aber ihre politische Macht steht durch diese Wahlen nicht nur Disposition

Wahlrechtsgrundsätze kompetitiver Wahlen


damit Funktionen erfüllt werden können, müssen sie durch verschiedene Wahlgrundsätze rechtlich garantiert werden


Grundvoraussetzung kompetitiver Wahlen: frei

• nur wenn Menschen frei, d.h., ohne direkten oder indirekten Zwang oder Druck, ohne

Androhung von Sanktionen & frei von Angst vor Nachteilen zwischen unterschied-

lichen politischen Angeboten wählen können, können Wahlen kompetitiv sein


Wahl- & Abstimmungsgesetz: Art. 20 (2), 2 GG

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen

und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Rechtsprechung ausgeübt.“

Wesentliche Wahlgrundsätze: Art. 38 (1), 1 GG

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer,

freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“


Prinzip der Herrschaftsausübung: Art. 39 (1) GG

„Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre

gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. Die

Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach

Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die

Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.“


—>aus dieser Verfassungsbestimmung, speziell aus dem Hinweis auf das Volk, lässt sich

Folgendes ableiten:

das Wahlrecht ist in Deutschland an die deutsche

Staatsbürgerschaft geknüpft

—> eine Ausnahme hiervon bildet Art. 28, Absatz 1 GG: räumt EU-Bürger*innen das kommunale Wahlrecht ein


weitergehende Konkretisierungen der rechtlichen Grundlagen für die Wahl des Deutschen Bundestages finden sich im Grundgesetz aber nicht -> diese Rechtsbestimmungen werden stattdessen um Bundeswahlgesetz formuliert


• Wahlgrundsatz der gleichen Wahl bezieht sich auf den Zählwertgleichheit der bei einer

Wahl abgegebener Stimmen

• findet seinen Ausdruck im Prinzip „one person, one vote“

• Gleichheit der Wahl meint nicht, dass alle Stimmen gleich erfolgreich sind -> bedeutet, dass jede abgegeben Stimme gleich viel zählt

—>alle Formen eines Pluralwahlrechts verletzen dieses Prinzip

• mit dem Prinzip der politischen Gleichheit wird auch der Wahlrechtsgrundsatz der allgemeinen Wahl begründet




Wahlsysteme


Wahlsysteme enthalten dabei 2 grundlegende Festlegungen:

• definiert das jeweilige Wahlsystem als Modus, nach dem die Wähler*innen ihre

politischen Präferenzen in Wahlstimmen ausdrücken

• Wahlsystem enthält konkrete Bestimmungen, wie Wahlstimmen in Parlamentsmandate übertragen werden


-große empirische Vielfalt von Wahlsystemen lässt sich auf 2 Grundtypen von Wahlsystemen zurückführen:

• Mehrheitswahlsystem

• Verhältniswahlsystem (oder Proporzwahlsystem)


zur Unterscheidung der beiden Typen werden 2 Definitionskriterien angelegt:

-Repräsentationsprinzip (Ziel)

• Entscheidungsregel (Mittel) -> Methode, mit der Stimmen in Mandate übertragen

werden


• politisch hat das Repräsentationsprinzip größeres Gewicht -> deshalb werden Wahlsysteme in der Forschung auch nach diesem Prinzip klassifiziert

—>Entscheidungsregeln sind dem Repräsentationsprinzip nachgeordnet

—>sie verhalten sich zum Repräsentationsprinzip eigentlich wie Mittel zum Zweck


• in der Empirie kann man auch Beispiele dafür finden, wie die Elemente beider Wahl-

system-Typen miteinander kombiniert werden -> typisches Beispiel ist Wahlsystem zur

Wahl des Deutschen Bundestages


-verschiedene Kontextbedingungen in einem Land nehmen einen Einfluss darauf, ob ein Wahlsystem die in der Theorie idealtypisch formulierten Effekte hervorbringen oder nicht

• zu diesen Kontextbedingungen zählen z.B. die sozialpolitische Konfliktstruktur der

gegebenen Gesellschaft, die politische Kultur, das Parteiensystem, die Staatsorganisation & Eigenschaften der implementierten Demokratieform


• Verhältnissystem ist in den Demokratien in der Welt

am meisten vertreten


Idealtypische Merkmale von Mehrheits- & Verhältniswahl


Idealtypische Merkmale -> in der Realität werden wir Abweichungen von der Regel be-

obachten -> diese Anomalien verdienen dann unsere besondere Aufmerksamkeit & auch

eine gute Erklärung




Mehrheitswahl

Verhältniswahl

Prinzip der Stimmengleichheit

• gleicher Zählwert

• ungleicher Erfolgswert

• gleicher Zählwert

• gleicher Erfolgswert

Stimmenabgabe- Wahlergebnis

• einfache Zuordnung

• schwierige Zuordnung

Hochburgenanfälligkeit

hoch

gering

Regierungsbildung

• Tendenz zu Einparteien-

regierung

• meist Koalitionsregierungen

Regierungswechsel

• tendenziell begünstigt

• alternierende Mehrheiten

• Volk entscheidet direkt über

Regierungswechsel

• tendenziell wendiger begünstigt

• keine extremen Umschwünge

Accountability

• eindeutig zurechenbar

• weniger eindeutig zurechenbar

Parteiensystem

• Konzentration

• Tendenz zum 2-Parteiensystem

& zu hoher Stabilität

• Tendenz zum Mehrparteien-

system

• weniger starke Zementierung,

gute Chancen für neue polit.

Strömungen

Parteienwettbewerb

• Konkurrenz der Parteien -> „the

winner takes it all“

•gesellschaftliche Integration

durch Aushandeln

Bsp. in der EU

• Frankreich (abs. MW)

• Großbritannien (rel. MW)

• Österreich

• Deutschland

• Belgien

• Niederlande

• Polen

-Hochburgen: Mehrheitssystem bevorzugt tendenziell politische Parteien, die in bestimmten Wahlkreisen Hochburgen haben

• „accountability“ -> Verantwortlichkeit für getroffene Entscheidungen

—>Möglichkeit der Wahlbevölkerung „accountability“ klar zu adressieren, ist zentrale

Voraussetzung dafür, Herrschende zu kontrollieren & gegebenenfalls zu sanktionieren

—>Bei Koalitionsregierungen ist das grundsätzlich schwieriger, den Wähler*innen

können z.B. bestimmte Entscheidungen der falschen Partei zuschreiben & diese

dann ungerechterweise bei der nächsten Wahl dafür honorieren oder bestrafen

Mikrosoziologischer Ansatz (zur Erklärung des Wahlverhaltens)



• Ansatz gründet sich auf 2 zentrale Studien:

• „The People’s Choice“ - Paul Lazarsfeld & Kollegen (1944)

• „Voting“ - Bernard Berelson & Kollegen (1954)



Bsp: People´s Choice:

• sozialstrukturelle Faktoren beeinflussen jeweils das politische Verhalten der Menschen, also auch ihre Wahlabsicht

• Schlüsselzitat: „[…] persons thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics

determine political preference“

• Zitat macht Ursache-Wirkungsbeziehung deutlich: politisches Verhalten ist hier das Phänomen, das uns interessiert -> abhängige Variable

• politisches Verhalten wird ursprünglich auf die soziale Position des Individuums zurückgeführt -> verschiedene sozialkulturelle Faktoren, die das Individuum kennzeichnen,

fungieren dementsprechend als unabhängige Variable


2 zentrale Mechanismen, die dabei wirksam werden:

• 1. Mechanismus basiert auf der Beobachtung, dass Individuen in der gleichen sozialen Lage ähnliche Bedürfnisse & Interessen entwickeln & deshalb ein ähnliches Wahlverhalten zeigen -> dabei spielt auch die Identifikation mit der sozialen Gruppe,

der man angehört, & deren Interessenorganisation eine Rolle

• nach 2. Mechanismus gehen Forscher von Annahme aus: objektive soziale Merkmale

einer Person entscheiden darüber, in welchen sozialen Kreisen sich diese Person

bewegt -> dafür bedienen sich die Forscher der Theorie der sozialen Kreise


Theorie der sozialen Kreise“ (Georg Simmel)

• Kernaussage: Wir Menschen gehören verschiedenen sozialen Kreisen an

• gebildet werden diese sozialen Kreise z.B. durch unsere Wohngegend, unseren Wohnort, unseren Arbeitsplatz, unsere Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder einer Peergroup

• in jedem der sozialen Kreise wirken Normen, die unser individuelles Verhalten steuern

• Mechanismen des sozialen Drucks & der sozialen Kontrolle veranlassen uns dazu, unser Verhalten an den jeweils geltenden Normen auszurichten

• funktioniert deshalb, weil Menschen i.d.R. danach streben, mit unserer unmittelbaren

Umwelt in einem spannungsfreien Zustand zu leben -> Harmonie statt Disharmonie

-> tendieren daher dazu, unser Verhalten an sozialen Gruppennormen auszurichten

• Kreise = soziale Kreise; Pfeile = Verhaltensnormen, die auf uns als Individuum einwirken

• verhaltenssteuernder Kontext wahrscheinlich umso wirksamer, je stärker Verhaltensformen unters. sozialer Kreise, in denen wir uns befinden, deckungsgleich sind


• aus verschiedenen sozialen Kreisen, den wir angehören, wirken unterschiedliche &

zum Teil widersprüchliche Verhaltensnormen auf uns ein

• System konzentrischer Kreise wird in modernen, ausdifferenzierten Demokratien immer seltener -> Prozesse des sozialen Wandels haben unsere Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Kreisen in mind. zweierlei Hinsicht verändert:

• Wahrscheinlichkeit, dass wir mehr sozialen Kreisen angehören, ist gestiegen

• die dort geltenden Verhaltensnormen weisen auch immer wahrscheinlicher in unterschiedliche Richtungen

• aufgrund solcher Veränderungsprozesse geraten wir durch unsere Mitgliedschaft in

unterschiedlichen sozialen Kreisen auch viel wahrscheinlicher unter den Einfluss

widerstreitender oder konfligierender sozialer Verhaltensnormen -> „cross pressure“-

Situation

—> Folgen für Wahlverhalten: Wechselwahl oder keine Wahl

Makrosoziologischer Ansatz (zur Erklärung des Wahlverhaltens)



• von Seymour Martin Lipset & Stein Rokkan entwickelt

• berühmt geworden als „cleavages“-Theorie


• ihre ursprüngliche historisch-soziologische Rekonstruktion der Entstehung der westeuropäischen Parteiensysteme enthält viele Aussagen zum Wahlverhalten der Bevölkerung ->

daher hat die Theorie ihren festen Platz unter den zentralen Erklärungsansätzen des

Wahlverhaltens der Bevölkerung in demokratischen politischen System gefunden


-Zentrales Konzept: „cleavages“-Konzept



Zentrale These

• vor dem Hintergrund dieser langfristig stabilen sozialen Spaltungslinien ist auch die

Kernthese zu verstehen

• Basis ihrer berühmten These von den „frozen party systems“ war eine empirische Ver-

allgemeinerung -> danach ist die bei der ersten Mobilisierung einer sozialen Gruppe

eingegangene Koalition dauerhaft

• d.h., wenn nach Abschluss der politischen Mobilisierungsphase die Bündnisse

zwischen sozialen Großgruppen & politischen Parteien erst einmal gebildet sind,

bleibt das so entstandene Parteiensystem langfristig stabil

• Lipset & Rokkan kamen zu dem Schluss: die Parteiensysteme frieren ein, sobald sich

diese Koalitionen gebildet haben & die Mobilisierungsphase abgeschlossen ist


Gründe für das „Einfrieren“ der Parteiensysteme

„first mover“-Vorteil

—>sobald sich in der Phase der politischen Mobilisierung eine politische Partei einer

sozialen Großgruppe erfolgreich als Bündnispartner der politischen Interessenvertretung angeboten hat, haben andere politische Parteien keine oder kaum noch eine Chance, sich dieser sozialen Gruppe ebenfalls als Koalitionspartner anzubieten


Organisations- & Ressourcenstärke

• ob eine Partei den „first mover“-Vorteil nutzen kann, ist auch von ihren organisatorischen Fähigkeiten abhängig

• ressourcenarme & organisationsschwache politische Parteien haben nur geringe

Chancen, sich als glaubhafter & vor allem durchsetzungsstarker Bündnispartner anzubieten


Definition institutioneller Regeln -> Tendenz zur Kartellbildung

• aus demokratietheoretischer Sicht kritisch diskutiert

• die erfolgreich etablierten Parteien definieren institutionelle Regeln, die andere bzw.

neu entstehende politische Parteien als Konkurrenten & Mitbewerber schwächen

oder auch marginalisieren sollen

• es können z.B. wahlrechtliche Regelungen getroffen werden, um politischen Konkurrenten den Zugang zum Wettbewerb um Wählerstimmen zu erschweren oder Hürden für die parlamentarische Vertretung zu errichten

• auch hier wird noch einmal deutlich: die Ausgestaltung von Wahlsystemen ist immer

auch eine machtpolitische Angelegenheit

• außerdem ist die Art & Weise der staatlichen Parteienfinanzierung ein gern genutztes

Instrument für die Kartellbildung etablierter politischer Parteien


Sozialmoralische Milieus

-soziale Einheiten, die sich durch das Zusammentreffen mehrerer Strukturdimensionen

herausbilden -> Bsp. für Strukturdimensionen: regionale Tradition, Religion, wirtschaft-

liche Lage & kulturelle Orientierung

z.B. : katholisches Milieu, konservativ-protestantisches Milieu auf dem Land, protestantisch-bürgerliches Milieu in den Städten


Cleavages


• „cleavages“ = soziale Spaltungslinien in einer Gesellschaft

• die in solchen Spaltungslinien angelegten tiefgreifenden Gegensätze zwischen sozialen

Gruppen bildeten nicht nur einen wichtigen Katalysator für die Entstehung politischer

Parteien -> die entstandenen Parteiensysteme repräsentieren dann auch die

grundlegenden Konfliktlinien in einer Gesellschaft


• dafür waren 3 zentrale Charakteristika dieser zentralen Spaltungslinien verantwortlich &

anhand dieser lässt sich das „cleavage“-Konzept nun auch etwas präzisieren:

A. ein „cleavage“ steht für eine langfristige, sozialstrukturell verankerte Spaltung

—>d.h., in einer gegebenen Gesellschaft lassen sich bestimmte soziale Gruppen

objektiv identifiziert, z.B. Arbeitnehmer & -geber

• die sozialstrukturelle Verankerung ist der Grund dafür, warum wir es mit langfristig

angelegten Konflikten zu tun haben

• cleavages trennen die Bevölkerung also nach bestimmten sozialen Merkmalen,

z.B. nach Beruf, sozialem Status, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit

• nicht jeder politische Konflikt ist ein „cleavage“: nur dann ein „cleavage“, wenn sich diese Konflikte in der Sozialstruktur der Gesellschaft manifestieren, d.h., wir müssen für diese Gegensätze eindeutig soziale Gruppen identifizieren können

B. gemeinsame Werthaltung & kollektive Gruppenidentität

• Gruppenmitglieder müssen bereit sein, auf Basis dieses Gruppenbewusstseins zu

agieren

• ohne ein kollektives Gruppenbewusstsein kann die objektive soziale Teilung nicht in ein soziopolitisches „cleavage“ transformiert werden -> möglich wird diese Transformation erst, wenn die von einem Konflikt betroffenen sozialen Großgruppen auf der Basis ihrer Gruppenidentität ein Bündnis mit einer politischen Partei eingehen

—> d.h., bestimmte politische Parteien stellen sich bestimmten sozialen Großgruppen als Koalitionspartner zur Verfügung, um die Interessen dieser Gruppe in der politischen Arena zu vertreten -> „Politisierung der Sozialstruktur“ (F. U. Pappi)

• im Ergebnis dieser Koalitionsbildung votieren die Mitglieder der sozialen Großgruppe dann bei Wahlen ziemlich geschlossen für ihre Bündnispartei

C. Verankerung in Organisation

• „cleavage“ drückt sich auch organisatorisch aus, v.a. in Form der politischen Parteien, aber z.B. auch in Form von Gewerkschaften, Kirchen, Jugendgruppen

etc.


—>diese 3 Merkmale zusammengenommen erklären die Beständigkeit bzw. langfristige

Dauerhaftigkeit von „cleavages“ -> dementsprechend kann der Wandel der „cleavage“-

Struktur in einer Gesellschaft das Ergebnis eines Wandels in einem oder auch in allen 3

Merkmalen sein

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Maya G.

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