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5.1 Synergieeffekte von ABO- und Pädagogischer Psychologie im Kontext der Schule

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by leonie H.

Wie ist die Schule organisiert?

  • Schule ist nicht nur Lernort für mehr als acht Millionen Schüler, sondern auch Arbeitsplatz für mehr als 800.000 Lehrkräften

  • Insofern lässt sich Schule als Organisation verstehen, welche spezifische Ziele verfolgt (z. B. Bildungsprozesse der Schüler gestalten, erziehen, beraten usw.) und darüber hinaus auch durch eine spezifische Organisationsstruktur, bestehend aus einer flachen Hierarchie, hoher Formalisierung, geringer Zentralisierung und hoher Spezialisierung

  • Die Anzahl der Führungsebenen ist gering, d. h., eine Lehrkraft ist in aller Regel lediglich der Schulleitung und dem Kultusministerium der Bundesländer (bei freien Schulen auch dem Schulträger) unterstellt (= flache Hierarchie)

  • Dabei sind Lehrkräfte sehr stark an rechtliche und bürokratische Vorgaben gebunden (= hoher Formalisierungsgrad)

  • Darüber hinaus ist der Lehrerberuf geprägt von einem „Einzelkämpfertum“ bei dem insgesamt wenig Kooperation zwischen den Lehrenden notwendig ist (= geringe Zentralisierung)

  • Mitunter wird von einer Expertenorganisation gesprochen, d. h., Lehrer sind Experten in ihrem Unterrichtsfach (= hohe Spezialisierung).

  • Schule als Organisation hat demzufolge auch Auswirkungen auf deren Beschäftigte

  • Insofern ist es wenig verwunderlich, dass sich verschiedene psychologische Disziplinen mit dem Arbeitsort Schule befassen

  • So stellt die ABO-Psychologie beispielsweise Maßnahmen zur optimalen Gestaltung des Arbeitsplatzes zur Verfügung, während die Pädagogische Psychologie die Bedingungen für erfolgreiche Lehr-und Lernprozesse beleuchtet. Dabei entstehen häufig Synergieeffekte

Durch welche Merkmale lässt sich der Arbeitsplatz Schule laut Martin Rothland charakterisieren?

  • Zweiteilung des Arbeitsplatzes: Neben dem Arbeitsplatz in der Schule findet ein überwiegender Teil der beruflichen Tätigkeit auch am heimischen Arbeitsplatz statt. Dieser Teil der Arbeit ist für Außenstehende oft unsichtbar, was zum häufigen Vorurteil, Lehrer seien lediglich „Halbtagsjobber“, führen kann.

  • unvollständig geregelte Arbeitszeit: Die Anzahl der Unterrichtsstunden ist zwar in jedem Bundesland gesetzlich geregelt, die übrige Zeit, die Lehrende für Unterrichtsvorbereitung, Klausurkorrekturen, Eltern- und Projektarbeit aufwenden müssen, hingegen nicht. Diese Arbeitsaufgaben werden ebenfalls von Außenstehenden nur unvollständig wahrgenommen. Studien zeigen aber, dass die außerunterrichtliche Arbeitszeit oftmals sogar höher liegt als die Unterrichtszeit selbst (Schmitz/Voreck 2011, S. 142).

  • Offenheit und Grenzenlosigkeit der Aufgabenstellung: Zwar geben Lehrpläne grob die Ziele vor, welche Lehrende erfüllen sollen (z. B. in Form eines Lehrplans), allerdings ist nicht konkret festgelegt, wann ein pädagogisches Ziel erreicht ist. Neben der Erfüllung des Lehrauftrages entstehen dabei oft auch zusätzliche Aufgaben, die von Schülern, Eltern und der Gesellschaft erwartet werden (z. B. Elternarbeit, „Kümmern“ um spezielle Schüler usw.). Darüber hinaus werden Lehrende mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert, sei es der zunehmende Bedarf der Integration von Schülern mit Migrationshintergrund oder die durch die Corona-Pandemie notwendig gewordene Beschäftigung mit dem Thema Digitalisierung im Bildungswesen.

  • Schwebelage zwischen Reglementierung und pädagogischer Freiheit: Während der Ablauf des Schuljahres, die Unterrichtsfächer, die Stundenanzahl und Prüfungszeiträume stark strukturiert sind, genießen Lehrende darüber hinaus jedoch große Freiheiten hinsichtlich der pädagogischen Gestaltung (z. B. Methodik).

  • erzwungene Zusammenarbeit: Die Zusammenarbeit mit Kollegen, Schülern und deren Eltern ist eher unfreiwilliger Natur und vor allem gegenüber Schülern besteht ein asymmetrisches Machtverhältnis zugunsten der Lehrkräfte.

  • geringe Kontrolle über erzielte Effekte: Lernerfolg ist nicht nur allein vom Lehrer abhängig, sondern wird auch durch diverse Fähigkeiten der Schüler, das Engagement der Eltern, aber auch dem Einfluss der Lehrkräfte in den anderen Unterrichtsfächern mitbestimmt.

  • fehlende Rückmeldung über langfristige Folgen des schulischen Lernens und Unterrichtens: Zwar erhalten Lehrkräfte über die Leistungen ihrer Schüler in Tests und Klassenarbeiten ein unmittelbares Feedback über Lernerfolge. Dennoch heißt es ja bekanntermaßen: Man lernt fürs Leben. Und gerade hier stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit des in der Schule erworbenen Wissens. So argumentiert der Biologe und Hirnforscher Gerhard Roth, dass junge Menschen fünf Jahre nach Schulabschluss kaum noch über Wissen verfügen, welches sie in der Schule einst gelernt haben und der Wirkungsgrad des Schulsystems somit gegen null geht (Roth 2011, S. 524). Rückmeldungen darüber, was aus den ehemaligen Schülern geworden ist, fehlen zumeist. Darüber hinaus mangelt es oftmals auch an unmittelbaren Rückmeldungen von Kollegen und der Schulleitung. Hinzu kommt auch noch eine eher kritische Beurteilung der Lehrertätigkeit durch die Gesellschaft (Rothland 2013, S. 23ff.). Auch wenn die Tätigkeit an sich von der Gesellschaft als sehr bedeutsam betrachtet wird, haftet dem Lehrerberuf oftmals ein negatives Image an. Dies kann im Sinne des Modells der beruflichen Gratifikationskrise dazu führen, dass Aufwand und Belohnung für die geleistete Arbeit von den Lehrenden als nicht ausgeglichen erlebt werden, was die Entstehung psychischer Erkrankungen begünstigen kann

Was sind positive und negative Merkmale des Lehrerberufs?

Positiv

  • Stellt man die beschriebenen Merkmale des Lehrerberufs in Zusammenhang mit dem Job-Characteristics-Modell, so wird deutlich, dass einige Tätigkeitsmerkmale positiver Natur sind

  • Aufgrund der Offenheit der Aufgabenstellung ist eine hohe Anforderungsvielfalt gegeben und darüber hinaus führt die hohe Bedeutsamkeit der Institution Schule für die Gesellschaft zu einer hohen Wichtigkeit des Lehrerberufs

  • Vor allem dieser Punkt dürfte die erlebte Bedeutsamkeit des Berufs positiv beeinflussen, kann aber aufgrund des hohen gesellschaftlichen Drucks auch zu einer Last werden

  • Ein weiteres positives Tätigkeitsmerkmal des Lehrerberufs ist die hohe Autonomie, die durch die Möglichkeit der freien Einteilung der außerschulischen Arbeitszeit, der Offenheit der Arbeitsaufgaben und der pädagogischen Freiheit positiv beeinflusst wird

Negativ

  • die erlebte Bedeutsamkeit des Berufs kann aber aufgrund des hohen gesellschaftlichen Drucks auch zu einer Last werden

  • Auf der anderen Seite ist der Lehrerberuf insgesamt auch durch eine geringe Ganzheitlichkeit gekennzeichnet: Die Lehrkraft begleitet die Schüler in aller Regel nur über einen begrenzten Zeitraum der Schullaufbahn und meist nur in einem Unterrichtsfach

  • Der Einfluss auf Lernerfolge ist dadurch begrenzt und hängt darüber hinaus auch noch von weiteren Faktoren (Fähigkeiten der Schüler, Engagement der Eltern, Einfluss weiterer Lehrkräfte) ab

  • Ein weiteres negatives Tätigkeitsmerkmal stellt die oftmals fehlende Rückmeldung über erzielte Lerneffekte (durch Schüler, Kollegen, Eltern und/oder die Schulleitung) dar

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leonie H.

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