Was versteht Abbott unter Professionen?
Professionen = Expertengruppen (Ärzte, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Lehrer)
verfügen über staatlich geschütztes/zertifiziertes Berufsmonopol
verfügen über besonderes Wissen und Fähigkeiten zur Anwendung auf komplexe Einzelfälle (Gegenteil Laien)
Aufnahme in Profession durch lange intensive Ausbildung
Gelten Professionen als “freie Berufe”?
“frei” vom Markt (als Vermittler des Angebots/Nachfrage von Arbeit)
“frei” von bürokratischer Ordnung und arbeitsteiliger Hierarchie
ABER:
Professionen formierten sich mithilfe Interessenverbänden
(durch Organisation gegen andere Organisationen durchgesetzt)
(z.B. Ärztevereinsbund, Anwaltskammern, Ingenieure etc.)
Professionen entwickelten sich im Kontext vom Staat (Verordnungen und Gesetzte, die Berufsmonopole bilden), Wirtschaft und Universitäten
Ärtzinnen -> Krankenkassen, Krankenhäuser,
Anwälte ->Großkanzleien, staatliche Verwaltung,
Wirtschaftsprüfer -> WiWi-Fakultäten
-> Man kann nicht von einer freien Trennung von Markt, Staat/Organisation und Professionen sprechen
Modell der Professional jurisdiction
Professional jurisdiction = gesellschaftlich anerkanntes Aufgabengebiert, auf das Professionen kognitive (Wissen) und soziale (Anwendung des Wissens) Zuständigkeitsansprüche erheben
Abstraktes akademisches Wissen (academic sector) vs. Anwendung in der Praxis (Professionals)
Basis zur Anwendung
Anwendung konstituiert die Juridiction (rechtssprechende Gewalt)
Commodities = Tools zur Wissensanwendung (Abhängig von academic sector)
Drei idealtypische Schritte der Anwendung des Wissens (Professionals)
Diagnose (Diagnosis) (muss auf einheitlichem Klassifikationsmodell beruhen)
Inferenz (Inference)
Behandlung (Treatment)
Beispiel Ärzte: Modell der Professional Jurisdiction
Fachwissen (academic sector) schafft Handlungsweise für Ärzte
Diagnose (Krankheitsfall aufnehmen und klassifizieren)
Inferenz (geeignete Methoden auswählen & nicht geeignete ausschließen)
Behandlung (Therapie anwenden)
Beispiel des Patenrechts: Modell der Professional Jurisdiction
Commodities: Websites für Patentanmeldungen
Akademischer Sektor: Wissen und vorherige Ausbildung/Studium
Professionals
Diagnose (Fall der Patente klassifizieren, Teilgebiet festlegen)
Inferenz (Literatur und Gerichtsbeschlüsse heraussuchen, Vorgehen festlegen)
Behandlung (Vorgehen wird in die Tat umgesetzt)
Gefahr, dass professionelle Tätigkeit Routinetätigkeit ähnelt, dann ergreifen Professionen Sicherheitsmaßnahmen, um den sozialen Status der Profession aufrecht zu erhalten
Professionen als komplexes soziales System (Arenen)
Expertengruppen konkurrieren um Jurisdiktionen, sie stehen in einem Wettbewerb um die Zuständigkeit für gesellschaftlich als relevant definierte Problembereiche.
In 3 Arenen werden Gesellschaftliche Unterstützung für spezialisierte Problemlösungskompetenz mobilisiert:
Öffentliche Meinung
Politisches System/Rechtssystem
Arbeitsorganisation
Beispiel: Entstehung der Psychiatrie - 19.Jhd.
Das Konzept der „psychisch Kranken“ ersetzt Verfolgung von Straftätern (durch Juristen-Monopol)
Öffentliche Meinung wird mobilisiert: „es gibt Straftäter, die nichts dafür können“
Legislative wird davon überzeugt, psychisch Kranke in Obhut von Psychiatern zu geben
Parallele Herausbildung eigener Disziplin (z.B. Fachzeitschriften, Fachvereinigung etc.)
Wie können Wettbewerbe von Professionen ausgehen?
Wettbewerb kann zur vollständigen Durchsetzung eines neuen Gebietsanspruches (new jurisdiction) führen:
z.B.: Psychiater setzen sich gegen Juristenmonopol durch.
z.B.: Psychotherapeuten setzen sich gegen Ärztemonopol durch
Experten-Wettbewerb kann zu vorläufigen und häufig instabilen Arrangements (limited settlements) führen:
Arbeitsteilung (division of labor) innerhalb gemeinsamer Jurisdiktion
Unterordnung (subordinate) einer Profession unter einer anderen
Beratung (advisory) ohne Jurisdiktionen der herrschenden Expertengruppe in Frage zu stellen (z.B. Pfarrer sorgen sich um Patienten im Krankenhaus)
Welche Professionelle Expertise ist in der Gesellschaft gefragt?
In der Wissensgesellschaft sind drei Formen der Expertise wichtig und gefragt
Personengebundene Expertise (expert individuals)
Warenförmige Expertise (expert commodities)
Organisationsförmige Expertise (expert organizations)
Welche Konsequenzen ergeben sich im Bezug auf Aushandlungsprozesse aus Abbotts Analyse?
Es finden regelmäßig Aushandlungsprozesse um existierende Jurisdiktionen statt
Zum anderen melden Expertengruppen Zuständigkeitsansprüche für neu entstandene gesellschaftliche Problembereiche
Nährboden für Aushandlungsprozesse (Zweifel)
Zweifel, ob vorhandene Profession tatsächlich gesellschaftlicher Funktion bzw. Auftrag gerecht wird (z.B. PISA-Schock)
Zweifel, ob vorhandene Professionen effektiv und kostengünstig arbeiten (z.B. Zwangsangaben von Apothekern an GKV)
Zweifel an Selbstregelungsfähigkeit von Professionen im Kontext eines starken Wachstums professioneller Tätigkeit
Evaluative Bibliometrie als neue Profession
Profession hat sich in den letzten 20 Jahren etabliert
Entstehung durch behauptete Selbstregelungsfähigkeit akademischer Fachdisziplinen nach enormen Wachstum nach 2. WK
Quantitative Verfahren der Publikations- und Zitationsanalyse
Unterscheidung produktiven und weniger produktiven Arbeitsgruppen
Entstehung durch gesellschaftliches Problem, das es vorher nicht gegeben hat
Fach- bzw. gebietsübergreifendes Steuerungswissen über durchgeführte Forschung, Originalität, Qualität und Anschlussfähigkeit
Problem ist typischerweise an Spitze der Organisation angesiedelt, die Entscheidungen über Aufbau und Finanzierung von Arbeitsgruppen treffen muss
Professionals: treten als individuelle Berater oder Expertenorganisationen auf
Handlungsfeld: Bibliometrische Forschungsbewertung, Forschungsergebnisse werden bewertet und dem Klienten zur Verfügung gestellt
Clients: Ministerien, Universitäten, Forschungsförderorganisationen
Akademisches Feld: Bewertungsmethoden, Indices etc.
Commoditis: verschiedene Datenbanken
Ausgangspunkt zur Prüfung der Entwicklung von Evaluativer Bibliometrie als Profession
Ausgangspunkt ist Entwicklung des JIFs (Journal Impact Factor =Summe aller Zitationen, die eine Fachzeitschrift erhalten hat -> Maß der Aufmerksamkeit)
Seit Mitte der 2000er bis 2015 großer Anstieg der Zitationen des JIFs
bekennt sich zur eval. Bibliometrie
-> neue Indices in Anlehnung an den JIF entwickelt (94 Stück)
Hirsch-Index:
Anzahl der Publikationen (h), die mindestens „h“ mal zitiert wurden
Analyseebene ist der einzelne Wissenschaftler
Außenseiter der evaluativen Bibliometrie
Schließung des wissenschaftlichen Feldes und Maßzahlen zu methodischen Standards
Mehr als 70% der Forschungsliteratur, die etwas zu der Disziplin veröffentlichen sind aus anderen Disziplinen -> (Offenheit des Feldes)
Evaluative Bibliometrie kein wissenschaftliches Feld mit starker sozialer und kognitiver Kontrolle -> keine Zuständigkeitsansprüche in den jeweiligen Arenen
die Beiträge von Außenseitern werden in Evalutationspraxis wenig verwendet (Indices in Anlehnung an den JIF sind weiter verbreitet)
innerhalb Feldes werden Experten eher herangezogen, also ist von Konzentration zu sprechen
Individualisten greifen auf billigere Optionen (z.B. HI) als auf teure WOS Pakete zurück
Petersohn und Heinze - Ergebnisse
Peer-Review als traditionelle Form der Bewertung von Publikationen
Erfolgte ausschließlich innerhalb der Disziplin (alle niederländischen Universitäten)
Mit der Zeit auch außerhalb (z.B. innerhalb Physik)
In 1990er Jahren wurde Autonomie der Universitäten gestärkt
Universitäten setzten durch, dass sie selbst die Publikationen prüfen können
Richtlinien wurden angepasst: b.E. ist möglich, aber kein muss
In niederländischen Universitäten ist es nun dezentral, jede Uni kann selbst entscheiden
CWTS =Centre for Science and Technology Studies
Universitäten, die mit Peer-Review arbeiten, ergänzen ihre Methodik mithilfe Aufträge an CWTS
-> untergeordnete Jurisdiktion geschaffen
Anteil des Peer-Review als Bewertungsmethode ist rückläufig, kommerzielle DatenbankAnbieter spielen eine zunehmende Rolle innerhalb Forschungsevaluation
CWTS zunächst größtenteils von niederländischer Regierung beauftragt
Mit der Zeit nahmen die Universitäten den größten Anteil ein -> immer globaler mittlerweile
Fazit
Globaler akademischer Sektor der evaluativen Bibliometrie ist kein geschlossenes intellektuelles Feld und verfügt über schwache kognitive und soziale Kontrolle
Dennoch hat sich ein Standard herausgebildet, der wesentlich vom niederländischen CWTS entwickelt und von dort aus verbreitet wurde
Bibliometrische Forschungsevaluation ist in den Niederlanden ein neues professionelles Handlungsfeld, das die traditionelle Jurisdiktion des Peer-Reviews ergänzt und erweitert (untergeordnete Jurisdiktion)
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