VL10 - Bozeman, Eigenleben der Bürokratie und seine Folgen

Formalisierung als Ausgangspunkt der Analyse

• Bezug Luhmann: Nichterfüllung der formalen Erwartungen führt zur Ausschließung als Mitglied

• Pugh: Ausmaß der schrifftlich fixierten formale Erwartungen

• Scott: Position in Struktur unabhängig von individuellen Rollen

• Regelsumme (rule sum) = absolute Zahl formaler Regeln

• Regelkosten (compliance burden) = alle Ressourcen im Sinne von Zeit, Menschen und Geld, die zur Regelbefolgung aufgewendet werden müssen

• Regeldichte (rule density) = Summe aller Ressourcen, die eine Organisation zur Regelbefolgung einsetzt als Anteil aller Ressourcen einer Organisation

-> diese 3 Begriffe definieren “red tape” NICHT

->sagen nichts darüber aus, ob die formalen Regeln selbst oder die verwendeten Ressourcen gerechtfertigt sind!

Legitime Zweckbindung definiert „red tape“

• Inwiefern dienen Regeln dem Organisationszweck?

  • Regelungsgegenstand (functional object) = Problem, das gelöst werden soll

  • Faktische Wirksamkeit (rule effciency) mit der die Regel das Problem adressiert

  -> Wenn beide Merkmale gegeben sind, dann ist Regel unabhängig von Kosten etc. gerechtfertigt

Definition Red Tape:

„Red tape“ = Regeln und Vorschriften, die nicht zur Lösung eines legitimen sozialen Problems beitragen („rules with no benefit“)

• Organizitional „red tape“ = ist objektiv nachvollziehbar und beruht auf Autoritätsbeziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten

  (Bezug zu Weber, legal rationale Herrschaft)

• Stakeholder „red tape“ = nutzlose Regel wird von verschiedenen Akteuren in der Organisation unterschiedlich bewertet, also kein Konsens was „red tape“ ist

  (z.B. Abrechnung von Dienstreisen)

• Regelformulierung selbst erzeugt „red tape”

  • Fehlerhafte Annahmen über Ursachen-Wirkungszusammenhänge (Bezug zu March, begrenzte Rationalität)

  • Nicht-legitime Zwecksetzungen

  • Kontroll- und Überwachungsexzesse (z.B. Regeln aufgrund Marktunsicherheit zur Absicherung, nicht zur konkreten Problemlösung)

  • Funktionsüberladung der Regeln durch Kompromisse (z.B. ursprüngliche Gesetzesentwürfe treffen eigentliches Ziel aufgrund Kompromiss nicht)

• Regelverwendung erzeugt “red tape”

  • Wandel / Veraltung des Gegenstandes, auf den die Regel zielt

  • Wandel des externen Umfelds (z.B. technische Innovationen)

  • Stress durch immer mehr Regeln, sodass die Grenzerträge absinken (Überblick über eigentliches Problem schwer)

  • Wechselseitige Inkompatibilität verschiedener Regeln

• Fragen zu Regeln und Restriktionen im Arbeitsumfeld (self-assessed red tape)

  • Fragebögen mit Beschreibungen (z.B. Personal Red Tape Scale (PRT)

• Fragen zum Zeitaufwand für die Bearbeitung von Aufgaben (red tape as delay)

  • Fragen für Manager, wie lange es dauert, bis Personal eingestellt oder entlassen ist oder bestimmte Verbrauchsgüter beschafft worden sind

Red tape (als UV) beeinflusst folgende Organisationseigenschaften:

• Arbeitszufriedenheit (je weniger rt → desto weniger Zufriedenheit (Bezug zu Hirschmann, Exit & Loyalität)

• Motivation und Organisationsziele (je weniger rt → desto mehr Motivation)

• Effektivität und Leistungsfähigkeit (je weniger rt → desto mehr Effektivität)

Studie:

• aus 182 potenziellen Studien aus WOS -> 24 tatsächlich relevante

  • 2 AVs: Beschäftigteneffekte (z.B. Arbeitszufriedenheit), organisationale Leistungsfähigkeit (z.B. Output, Arbeitsqualität)

• Ergebnisse:

  • beide AV durch „red tape“ negativ beeinflusst

  • organisationsinternes „red tape“ hat eine negativere Wirkung als organisationsexternes „red tape“ (z.B. durch Gesetze, staatliche Einrichtungen)

  ->Erklärt absinken von Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit

External Control Red Tape weniger problematisch als Interganizational Red Tape (hier Möglichkeiten, Änderungen einzuführen)

• Red tape ist normale Begleiterscheinung bürokratischer Organisation

  • Bezug March: Organisationen entscheiden begrenzt rational

  • Bezug Hirschmann: Leistungsdefizite durch neglect

  • Bezug Perrow: Unfälle gehören zur Normalität

• Kein staatliches Phänomen, jede Organisation weißt red tape auf, Ursachen sind vielfältig

• Theorie und Empirie sind im frühen Entwicklungsstadium (ca. 30 Jahre)

  • Forschung beruht auf Massenbefragungen, nicht auf Archivarbeit oder nicht-reaktiven Indikatoren

  • Insbesondere organisationsinternes red tap hat negative Auswirkungen auf Arbeitsmotivation und organisationale Leistungsfähigkeit

  • Deutschland eher schwach in Studien vertreten