Inhalt
• Definition, Kriterien, Epidemiologie und Verlauf
• Modelle (Ätiologie) und eigene Befunde
• Schwerpunkt: Therapie (Methoden, Effizienz)
• Schematherapie (SFT)
• Übertragungsfokussierte Therapie (TFP)
• Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)
Borderline Störung: Kernsymptome (4)
e
I
S
• tiefe Verzweiflung und Leere (dieses und folgende Zitate aus
Barnow, S. (2008)
• emotionale Instabilität
„... fühle mich leer, verschlingendes Loch der Leere.
Dort wo Lebendigkeit sein sollte ist ein
bodenloses Loch. Fühle Kälte, Dunkelheit, innere
Eiszeit, aber auch erdrückende Trauer, ein tiefes
schwarzes Loch der Verzweiflung gepaart mit
Sinnlosigkeit, die alles ergreift, vergiftet...“
• Impulsivität und Aggression
„... Ich schubs sie einfach aus dem Fenster, schaue ihr
dann noch hinterher und sehe wie sie an den Ecken am
Fensterbrett mit Ihrem Schädel immer wieder hängen
bleibt, sehe es so, als würde ich die ganze Zeit wie sie
fällt ganz dicht an ihrem Kopf sein, um das ganze
genau zu sehen, und freue mich...“ (nach Streit mit der
Ex Freundin)
• Identitätsstörung und Dissoziation
„...oft verstehe ich mich selbst nicht, wer bin ich, was
mach ich hier auf dieser Welt, ich fühle mich nicht als
ein eigenständiges Selbst, bin nicht ICH sondern
etwas, dass ich selbst kaum fassen kann, ein Alien
quasi …..“
•Suizidalität, Selbstverletzungen
“Ich möchte mich schneiden. Ich möchte den Schmerz sehen,
denn es ist das Körperlichste, was man zeigen kann. Man kann
den Schmerz drinnen nicht zeigen. Ich möchte mich schneiden,
schneiden, zeigen, zeigen. Es herausschaffen. Was heraus?
Nur den Schmerz.“
Diagnostische Kriterien DSM-5: Borderline
Persönlichkeitsstörung: A-Kriterium (4)
E
Persönlichkeitsstörung
A: Schwierigkeiten in min. 2 Bereichen:
• Identität: schlecht entwickeltes oder instabiles Selbstbild, exzessive
Selbstkritik; chronisches Gefühl der Leere; dissoziative Zustände unter
Stress
• Selbststeuerung: Instabilität in Zielen, Sehnsüchten, Werten oder
beruflichen Vorstellungen
• Empathie: beeinträchtigte Fähigkeit die Gefühle und Bedürfnisse
anderer wahrzunehmen; interpersonelle Hypersensitivität; negative
Verzerrung in der Wahrnehmung anderer Personen
• Intimität: Intensive, instabile, konfliktreiche Beziehungen; ängstliche
Beschäftigung mit tatsächlichem oder vorgestelltem Verlassenwerden;
Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung
Diagnostische Kriterien DSM-5: Borderline Persönlichkeitsstörung: B-Kriterium (4)
(e)L
Ä
T
D
R
F
• B: mind. 4 der folgenden Persönlichkeitsmerkmale, wovon entweder
Impulsivität, Risikobereitschaft oder Feindseligkeit erfüllt sein müssen :
• Emotionale Labilität: häufige Stimmungswechsel; Emotionen werden leicht
ausgelöst, sind intensiv und unverhältnismäßig zu den Auslösern
• Ängstlichkeit: intensive Gefühle von Nervosität, Anspannung oder Panik;
Sorgen über negative Auswirkungen vergangener unangenehmer Ereignisse
oder über zukünftige negative Konsequenzen; Angst bei Unsicherheit; Angst
die Kontrolle zu verlieren
• Trennungsangst: Angst vor Zurückweisung; Angst vor exzessiver Abhängigkeit
und Autonomieverlust
• Depressivität: häufige Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Pessimismus,
Scham, Minderwertigkeitsgefühle; Suizidgedanken, suizidales Verhalten
• Impulsivität: spontane Reaktionen; Fehlen von planvollen Verhaltensweisen;
Konsequenzen werden nicht berücksichtigt; Schwierigkeiten Pläne zu erstellen
und zu verfolgen; selbstverletzendes Verhalten oder Drang danach in emotional
belastenden Situationen
• Risikobereit: gefährliche, riskante und potentiell selbstschädigende
Verhaltensweisen; anfällig für Langeweile; eigene Grenzen werden nicht
wahrgenommen
• Feindseligkeit: persistierender oder häufiger Ärger; Wut oder Gereiztheit selbst
bei geringfügigen Kränkungen
Epidemiologie (4)
Epidemiologie
• Prävalenz ca. 1.2% (4.7% bei Adoleszenten) (Barnow et al., PPmP,
2010)
• In psychiatrischer/therapeutischer Behandlung: 80%
• Häufigkeit in Kliniken: 15%
• Suizidraten: 7-10% (bei high risk bis 30%)
• Erkrankungsalter meist vor dem 25. Lebensjahr
Komorbidität ()
Komorbidität
• Affektive Störungen (bis zu 90%)
• Essstörungen (etwa 25%)
• Psychose (Minipsychose)
• Posttraumatische Belastungsstörung (30-60%)
• Angststörungen (etwa 50%)
• Suchtstörungen (30-50%)
• Insgesamt 70-92% haben weitere Achse 1 Störung
Ursachen - Diathese-Stress Modell: Geschätzte Erblichkeit und
Familiarität (2)
Ursachen
Diathese-Stress Modell
Geschätzte Erblichkeit und Familiarität
• Zwillingsstudie : Vererbungseffekt ≈ 69% (aber keine
Interviewdaten) Torgersen et al. (2000, 2012)
• Familiarität : Angehörige 1. Grades haben ein 4-12fach erhöhtes
Risiko (Review: White et al. (2003))
Ursachen - Diathese-Stress Modell: Familiarität (2)
Familiarität der BPS
Ursachen - Diathese-Stress Modell: Umwelt: Trauma und BPS (2)
Umwelt: Trauma und BPS
• Daten ergeben eine hohe Traumatisierungsrate von etwa
70 % bei BPS-Patientinnen
• Belege für gehäufte Invalidierung (u.a. Barnow et al., J Am Acad Child Adolesc
Psychiatry 2006; Reinelt, … Barnow, 2014, Psychopathology)
Invalidierende Erziehungserfahrungen
„Mutter wurde nicht müde zu wiederholen, dass so unartige Kinder wie ich mit unaussprechlichen Strafen zu rechnen hatten. “Wenn ich du wäre“, sagte sie häufig, „könnte ich wahrscheinlich nicht einschlafen vor lauter Angst, dass Gott mich im Schlaf sterben lässt.“ Das sagte sie ganz sanft und mit unendlichem Bedauern in der Stimme, so als würde das Schicksal ihrer irregeleiteten Tochter sie zutiefst cbekümmern.“
Quelle FAZ
Exkurs: BPS traumaassoziierte Störung?
• Studienbefunde sprechen eher dagegen:
• Zwillingsstudie (N=197 eineiig, davon jeweils einer missbraucht der andere nicht)
Ergebnis: Störungsraten waren in beiden Gruppen gleich (Bornovalova et al., 2013; J.
Abnorm Psychol., zitiert aus Kring, Johnson, Hautzinger, 2019)
• Weitere Zwillingsstudie bestätigt dies, Missbrauchserlebnisse waren nur für 1% der Varianz für die Entwicklung einer BPS verantwortlich (Berenz et al., J. Abnorm Psychol, 2013)
Psychoanalytisches Modell (3)
Psychoanalytisches Modell
(O.F. Kernberg)
• BPS ist primär Schwäche des ICH
• verursacht durch Störung der ICH Entwicklung innerhalb der ersten
2 Lj
• Die Integration von guten und bösen Objektrepräsentanzen misslingt
(versorgende aber auch strafende Mutter), daher Spaltung in Gut oder
Böse
• Ursachen:
• Übermäßige Aggression oder/und schwere frühe Frustration
• führt zu Identitätsdiffusion und primitiven Objektrepräsentanzen
Kognitive Theorie ()
Kognitive Theorie (Beck & Freeman, 1999 (4. Aufl.), 2004)
3 Grundannahmen für BPS
„Die Welt (und andere) ist (sind) gefährlich“
„Ich bin hilflos und verletzlich“,
„Ich bin böse und nicht akzeptabel“
Folge: hypervalente Schemata führen zu Aufmerksamkeitsverzerrungen und verstärken (verursachen) emotionale Instabilität
BPD Frauen suchen mehr Support von ihrem Partner aber v.a. auf negative (!) Art
Zudem zeigen sie weniger “creating closeness” also stellen weniger (emotionale) Nähe her, sondern mehr Distanz
Exkurs: Forschung aus unserer AE:
Evaluativer Bias in BPS (Barnow et al (2009) Behavior Research Therapy)
Aufmerksamkeitsverzerrungen bei Patienten mit BPS (N=51) und gesunden Kontrollen (N=41)
Evaluationsbias für aggressive Eigenschaften am stärksten ausgeprägt!
Annahmen des Neurobehavioralen Modells
(mod. aus Marsha Linehan, 1993)
Anmerkung: aber Trauma kann doch nur 1% der Varianz erklären. . . ?
Emotions(dys)regulation bei BPS ( & PTBS) ()
These findings suggest that BPD patients are not more physiologically reactive to emotional cues in general but show increased emotional vulnerability if borderline-specific schemas are activated. Moreover, emotional reactivity is attenuated in BPD patients with PTSD.
Beispiel personalisiertes (Trauma) Skript
„Ich versuche mit meiner Mutter zu reden. Sie antwortet nicht. Das ganze Blut und die Wunde
am Unterarm schockieren mich. Mein Herz schlägt bis zum Hals.“
(Suizidversuch der Mutter)
Unangenehm: Verlassen werden
"Die Tür schlägt zu, ich bleibe zurück. In mir nichts als Leere. Die Tränen laufen mir das
Gesicht herunter. Ich fühle mich wie benommen."
BPS und Affektregulation: Startle Reflex als Indikator emotionaler Reagibilität
Komorbide PTSD: schwere PTBS verhindert affektive Modulation (Dissoziation)c
Fazit Studien zur emotionalen Dysregulation bei BPS ...
• Emotionsdysregulation ist störungsspezifisch (keine generellen Defizite)
• Komorbidität und Traumatisierung haben Einfluss auf die Affektregulation, u.a. bei BPS+PTSD kaum Modulation des Affekts
• Dissoziation vermittelt mglw. inkonsistenten Befunde zur emotionalen Hyper/Hypo-Reagibilität
Psychotherapie der BPS ()
Schema-fokussierte Therapie (SFT, Young, 2003, 2008),
Schema-fokussierte Therapie
Young (1999): early maladaptive schemas:
• weitgestecktes umfassendes Thema
• besteht aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen
• in Kindheit/Adoleszenz entstanden
• später verstärkt
• (jetzt) dysfunktional
Techniken u.a.
• Identifikation der Schemata (Fragebögen, Interview, Anamnese)
• Imaginationsübungen um Schemata zu aktivieren und auszulösen (Anmerkung: Ist das eine Art Expo in sensu?)
• „Schema Memo“ erstellen, enthält Aussagen die gegen das Schema sprechen, diese werden auf eine Karte geschrieben und der Pat. trägt sie ständig bei sich
18 Schemata und assoziierte maladaptive Bewältigungsstile und Beispiele für Reaktionen (aus Young, 2008)
Beispiel: Imaginationstechnik um Schemata spürbar zu machen
Arbeit am Schema:
• Marika berichtet über Probleme mit ihrem Partner (James), der sie vernachlässigt und verbal
missbraucht, sich wenig um sie sorgt. Der Therapeut (Dr. Young) versucht herauszufinden warum Sie immer wieder solche Partner wählt...
aus Young et al., Schematherapie (2008), S 160ff
Dialektisch Behaviorale Therapie
(DBT)
Begründerin Marsha Linehan
• Selbst an BPS erkrankt und lange stationär (fehl)behandelt (siehe Interview in der
New York Times, Carey, 2011, pdf in moodle)
• geheilt über radikale Selbst-Akzeptanz, später Psychologie studiert und DBT entwickelt (siehe
auch S. 448, Kring et al., 2019)
Standard-DBT
• Ambulante Einzel-Psychotherapie
• Telefonkontakte
• Ambulantes Skills-Training
• Therapeutinnen-Supervisionsgruppe
• Ergänzende Behandlungen
• z.B. Pharmakotherapie, Stationäre Behandlung
Therapieziele (strenge Reihenfolge!)
1.akute Suizidalität
2.Therapieschädigung
3.Störungen Verhaltenskontrolle
4.Störungen emotionales Erleben
5.Störung Lebensbewältigung
Merke: in der DBT wird das Trauma erst bearbeitet wenn die Therapieziele 1-3 erreicht sind
Techniken der DBT
Stresstoleranz:
Fertigkeiten die dem Spannungsabbau dienen
Stresstoleranzskills:
Wege finden, um unangenehme Gefühle zu ertragen, wenn sich die Situation nicht verändern lässt (akute Suizidalität, Spannung 70-100 usw.).
Frühwarnzeichen
Einführung in die Achtsamkeit
WAS Fertigkeiten
• Durch Achtsamkeitsübungen lernen Sie, bestimmte Fähigkeiten einzusetzen. Es geht um Ihre Fähigkeit, etwas wahrzunehmen, etwas zu beschreiben und an etwas teilzunehmen. Das nennen wir WAS-Fertigkeiten.
WIE-Fertigkeiten:
Wirksamkeit der DBT
Überlebenskurve bis ersten Suizidversuch:
Deutliche Überlegenheit DBT gegenüber Therapie durch Experten
Psychotherapie der BPS: Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) ()
TFP: Kern-Inhalte
• es geht um das Erkennen dominanter Objektbeziehungsmuster
• Hier und Jetzt abhängig von „innerer Welt“ des Patienten
• Aber Therapeut aktiver, direkter als in Psychoanalyse, klare
Hierarchie von Therapiezielen
• Techniken:
Sichtbarmachen der Abwehrmechanismen durch Deuten von Übertragung und Gegenübertragung
Wirksamkeit der Psychotherapie ()
Schema Fokussierte (SFT) versus Übertragungsfokussierte Therapie (TFT): eine RCT Studie
SFT v.a. hinsichtlich Drop Out Rate besser aber auch in anderen Measures
Psychopharmakotherapie
• Keine Medikamente gegen „Borderline Störung“
• Behandlung einzelner Syndrome, v.a. Ärger und Aggression u.a. per Neuroleptika
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