Dissoziation
• Störung und/oder Unterbrechung der normalen Integration von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität, Emotionen, Wahrnehmung oder Verhalten
• Dissoziation = Mechanismus, der es ermöglicht, verschiedene mentale Prozesse und Inhalte voneinander getrennt zu halten.
• Auftreten in/ nach extremen/ traumatischen Situationen
• Funktionale Sichtweise: Dissoziationspotenzial erlaubt Individuen bei Lebensgefahr die Aufrechterhaltung eines Minimums an Handlungskontrolle, Selbstsicherheit und Identitätsgefühl
Was sind Merkmal von Dissoziativen Störungen?
• Verlust der psychischen Integration des Erlebens und Handelns
• Gestörte Erfahrung der Ganzheitlichkeit der eigenen Person
• Selten als Einzelstörung, häufig eingebunden in komplexe Prozesse der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen
• Teil anderer Traumafolgestörungen und anderer psychischer Störungen
• PTBS, Depression, Schizophrenie, Borderline-Persönlichkeitsstörung
Dissoziative Amnesie
Diagnostische Kriterien nach DSM-5
A. Unfähigkeit, sich an wichtige autobiografische Informationen zu erinnern, die in der Regel traumatischer oder belastender Natur sind, und die nicht als gewöhnliche Vergesslichkeit zu werten ist
B. Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder
Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
C. Keine Folge von Substanzwirkung oder Krankheitsfaktor (z.B. Schädel- Hirn-Trauma oder neurologische Erkrankung)
D. Störungsbild nicht besser erklärt durch Dissoziative Identitätsstörung,
Posttraumatische Belastungsstörung, Akute Belastungsstörung,
Somatische Belastungsstörung oder Neurokognitive Störung
Verschiedene Arten der dissoziativen Amnesie
• Lokale Amnesie: vollständiger Gedächtnisverlust einer zeitlich eingrenzbaren Periode
• Selektive Amnesie: umfasst nur bestimmte Ereignisse eines umgrenzten Zeitabschnittes
• Generalisierte Amnesie: kompletter Gedächtnisverlust für die eigene Lebensgeschichte,
auch der eigenen Identität (selten!)
• Kontinuierliche / Andauernde Amnesie: ein noch fortbestehender anterograder
Amnesieprozess (Unfähigkeit, neu aufgetretene Ereignisse kognitiv zu integrieren und zu
erinnern).
• Systematisierte Amnesie: Erinnerungsverlust von bestimmten Kategorien von
Informationen (z.B. Erinnerungen an die eigene Familie oder an bestimmte Personen).
Depersonalisations-/Derealisationsstörung
A. Das Vorliegen andauernder oder wiederkehrender Erfahrungen der Depersonalisation, Derealisation oder von beidem:
1. Depersonalisation: Erfahrungen der Unwirklichkeit, des Losgelöstseins oder Sich-Erlebens als außenstehender Beobachter bezüglich eigener Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, des Körpers oder Handlungen
2. Derealisation: Erfahrungen der Unwirklichkeit oder des Losgelöstseins bezüglich der Umgebung
B. Intakte Realitätsprüfung während Depersonalisations-/Derealisationserfahrung
C. Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
D. Keine Folge von Substanzwirkung oder Krankheitsfaktor (z.B. Schädel-Hirn-Trauma oder neurologische Erkrankung)
E. Störungsbild nicht besser erklärt durch andere psychische Störung (z.B. Schizophrenie,Depression, Panikstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Akute Belastungsstörung)
Dissoziative Identitätsstörung
A. Störung der Identität, gekennzeichnet durch zwei oder mehr unterscheidbare Persönlichkeitszustände (in einigen Kulturen auch als das Erleben von Besessenheit beschrieben)
Deutliche Diskontinuität des Bewusstseins des eigenen Selbst und des Bewusstseins des eigenen Handelns, begleitet von damit verbundenen Veränderungen des Affekts, des Verhaltens, des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung, des Denkens und/oder sensorisch-motorischer Funktionen
• Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren Persönlichkeitszuständen
• Verändertes Bewusstsein des eigenen Selbst: Gefühl, depersonalisierter Beobachter ihrer „eigenen“ Sprache und Handlung zu werden, auch Wahrnehmung von Stimmen oder
unabhängige Gedankenströme, die nicht kontrollierbar sind
• Verändertes Bewusstsein des eigenen Handelns: starke Affekte, Impulse, Sprache und Handlungen, die nicht als eigene erkannt oder kontrolliert werden können, als ich-dyston und
verwirrend erlebt
• z.B. Körper kann sich unterschiedlich anfühlen (wie der eines Kindes oder anderen Geschlechts)
• Bruch der Identität wird meist nicht offen gezeigt
• Teils sind Bewusstseinsbrüche und Amnesien nicht vollständig bewusst
Psychodynamische Perspektive auf Dissoziation:
Dissoziation als Abwehrmechanismus: Die psychodynamische Perspektive sieht Dissoziation als einen Abwehrmechanismus. Es dient dazu, sich vor überwältigenden physiologischen oder psychologischen Bedrohungen zu schützen. Es kann als ein zweckgerichteter und funktionalistischer Abwehrmechanismus oder als grundlegender mentaler Rückzugsmodus verstanden werden.
Dissoziative Störung als Extremform der Verdrängung: In dieser Perspektive wird die dissoziative Störung als eine Extremform der Verdrängung betrachtet. Verdrängung ist ein Abwehrmechanismus, bei dem Erinnerungen unbewusst blockiert werden, um den Schmerz der Konfrontation zu vermeiden.
Erinnerungen werden unbewusst blockiert: Der Fokus liegt darauf, dass Erinnerungen als Abwehrmechanismus unbewusst blockiert werden, um den emotionalen Schmerz zu reduzieren, der mit der Konfrontation dieser Erinnerungen verbunden ist.
Unterscheidung zwischen Dissoziation und Verdrängung:
Kapfhammer (2017):
Dissoziation:
Informationen werden nicht transformiert.
Durch direkte psychotherapeutische Techniken wie Hypnose kann versucht werden, diese bewusst zu machen.
Betrifft in der Regel einen zeitlich umschriebenen Ausschnitt der Biografie.
Funktioniert als Copingmodus vor einer psychisch unerträglichen Realität.
Verdrängung:
Verborgene Informationen werden nicht direkt wahrgenommen.
Es erfordert die Übersetzung der impliziten Bedeutungen, zum Beispiel durch Deutung in Träumen.
Auslösung erfolgt durch intrapsychische Konflikte.
Artifizielle Störungen
• Absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen von körperlichen oder psychischen
Symptomen oder Behinderungen
• Vortäuschen körperlicher oder psychischer Symptome
• Selbstschädigung
• Bei sich selbst oder anderen
Diagnostische Klassifikation nach DSM-5
Vorgetäuschte Störung, Sich Selbst Zugefügt
A Vortäuschen körperlicher oder psychischer Merkmale oder Symptome oder Erzeugen einer
Verletzung oder Krankheit in Verbindung mit identifiziertem Täuschungsverhalten.
B Die Person stellt sich anderen gegenüber als krank, behindert oder verletzt da
C Das Täuschungsverhalten ist offensichtlich, auch wenn keine offensichtlichen äußeren Anreize für das
Verhalten vorliegen
D Das Verhalten kann nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden, wie eine
Wahnhafte Störung oder eine andere psychotische Störung
• Bestimme, ob:
• Einzelne Episode
• Rezidivierend (die Vortäuschung von Krankheit und/oder das Erzeugen einer Verletzung tritt zweimal
oder häufiger auf)
Vorgetäuschte Störung, Anderen Zugefügt
(vorher Vorgetäuschte Störung „by proxy“)
Verletzung oder Krankheit bei einer anderen Person in Verbindung mit identifiziertem
Täuschungsverhalten.
B Die Person stellt eine andere Person (Opfer) Dritten gegenüber als krank, behindert oder verletzt dar
• Beachte: Der Täter, nicht das Opfer, erhält die Diagnose
Warum werden artifizielle Störungen nicht erkannt?
• Enorme Heterogenität des Störungsbildes
• Behandlungsabbrüche bei Verdacht, Weigerung der psych. Diagnostik
Klinische Indikatoren für eine artifizielle Störung:
-Unkontrollierbare Symptomatik und Verläufe, Rückfälle
Mangelnde Passung Klinik ≠ objektive Befunde
- Direkte oder indirekte Hinweise auf Selbstmanipulation
- Exzessive Inanspruchnahme in verschiedenen Einrichtungen
- Inkonsistente, selektive, irreführende Informationen
- Weigerung fremdanamnestische Angaben einzuholen
- Ungewöhnliche Bereitschaft zu medizinischen Maßnahmen
Wenn nicht artifiziell, was dann?
• Offene Selbstverletzungen
(z.B. im Rahmen einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung)
• Somatoforme Störungen
• Simulation
• Psychotische Störungen
• Akute Intoxikationen, Sucht
• Körperliche Erkrankungen
Wer sind die Patient: innen?
Alter 34 Jahre
66% weiblich
57% Gesundheits-berufe
59% Induzieren durch Selbstschädigung
22% Falschbericht
19% Vortäuschen von Symptomen
-Große Variabilität, häufig:
Endokrinologie, Dermatologie, Kardiologie, Psychiatrie, ZNA, Innere Medizin
-Depression: 42%
Persönlichkeitsstörung: 17%
Substanzabusus: 15%
-0,5-2% in somatisch-
medizinischen Versorgungskontexten
Was motiviert die Betroffenen dazu?
Motive bleiben fast immer unklar
• Wunsch, die Krankenrolle einzunehmen, darüber Zuwendung
•„Adrenaline rush“ durch medizinische Behandlungen
• Kontrollerleben durch die Täuschung des medizinischen Personals
Warum entwickeln Personen eine Artifizielle Störung?
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