Diagnostik
Störungsspezifische Diagnostik: ICD, DSM, spezifische Fragebögen/ Interviews
Verfahrensspezifische Diagnostik (Verhaltenstherapie): Mikro-, Makro-, Plananalyse
VT-spezifische Diagnostik: Mikroanalyse
1. Mikroanalyse/ horizontale Verhaltensanalyse
Symptomatisches Verhalten (z.B. Vermeidungsverhalten, Zwangshandlungen, Rückzugstendenz, Selbstverletzendes Verhalten) soll so genau und präzise wie möglich beschrieben werden
Dazu zählen: Auslöser, Konsequenzen, Häufigkeit, Dauer, Intensität
Ziel der Mikroanalyse ist ein vertieftes Verständnis der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen eines Problems
Dafür wird eine relevante Verhaltenssequenz, in der das Problemverhalten aufgetreten ist, in ihrem zeitlichen Verlauf von den vorausgehenden Bedingungen bis zu den Konsequenzen genau beschrieben.
Es existieren verschiedene Analyseschemata, alle enthalten die Aspekte:
Situation/ Stimuli (S)
Organismus (O)
Reaktion (R)
Konsequenz/ Consequences (C)
Mikroanalyse (SORC)
Beschreibung des (ausgewählten) Problemverhaltens (R)
im Hinblick auf die verschiedenen Komponenten: kognitiv, emotional, physiologisch, motorisch
Identifikation der vorausgehenden internen und externen Stimuli (S)
z. B. kritische Bemerkungen von anderen (S-extern), negative Selbstkommentare (S-intern)
Analyse der auf das Problemverhalten folgenden Konsequenzen (C)
Sind sie an der Aufrechterhaltung des Problemverhaltens beteiligt?
Ist z. B. das Ruhigerwerden nach Verlassen einer angstauslösenden Situation ein Indiz für eine negative Verstärkung?
Konsequenzen können kurz- oder langfristig sein
Situationsübergreifenden Faktoren, die möglicherweise das Verhalten steuern (Organismusvariable, O)
SORKC-Modell
Erklärt, warum Problemverhalten aufrechterhalten wird
Lernprozesse spielen eine wichtige Rolle
Operante Konditionierung: C (—>K: Verstärkerplan)
Klassische Konditionierung: S-R, R-C
—>auch auslösende Situation/ Stimulus kann über assoziatives Lernen/ Klassische Konditionierung vermittelt werden
Situative Bedingungen/ Stimulus-Komponente (S):
Alle externen (z.B. neue Aufgabe) und internen (z.B. Hungergefühl, Müdigkeit, Aktiviertheit, bestimmte Gedanken) Reizbedingungen, die dem Verhalten vorausgehen und in systematischem, funktionalem Zusammenhang zu diesem Verhalten stehen. Zusammenhang kann unkonditioniert, klassisch konditioniert oder durch Reizdiskrimations- lernen vermittelt sein.
Organismus-Komponente (O):
Biologisch-physiologische und psychosoziale Faktoren, die die Reaktion möglicherweise mitbedingen
(Unerwünschte) Reaktion (R): Möglichst genaue Beschreibung aller behavioralen, kognitiven, emotionalen und physiologischen Reaktionen
Kontingenz (K):
Verknüpfung von Verhaltenskonsequenzen und situativen Bedingungen (Struktur, Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit)
Konsequenzen (C):
Aufbau, Abbau, Stabilisierung des Problemberhaltens (positiv, negativ, kurz- und langfristig), besonders löschungsresistent: negative Verstärkung (v.a. intermittierende)
Mikroanalyse/Horizontale Verhaltensanalyse
In der Regel werden auf diese Weise mehrere Situationsbeispiele für ein Problemverhalten betrachtet (meist über SORCK-Modell), sodass Aussagen darüber möglich werden,
unter welchen Bedingungen ein Problem auftritt
welche Bedingungen das Auftreten eines Problems modulieren, also z. B. die Intensität des Problems verstärken oder abschwächen
auf welchen (fehlenden) Lernprozessen ein Problemverhalten beruht
welche Konsequenzen es aktuell aufrechterhalten
—>Exemplarische Veranschaulichung des Problemverhaltens
—> Verbessert Beziehungsaufbau
Problemverhalten wird vom Patienten differenzierter wahrgenommen
Therapeut hält sich an Beobachtbares
Im Therapieprozess weiter einsetzbar, um neue Aspekte des Problemverhaltens zu verstehen
—> Ziel: PatientIn kann Problemsituationen selbständig, z.B. nach dem SORKC-Modell analysieren
—> Grundlage für Therapieplanung
Makroanalyse
Wie konnten sich die Probleme eines/r PatientIn in der aktuellen Form entwickeln?
Fokus auf individueller Lerngeschichte, d.h. systematische Erhebung von Informationen zur körperlichen, psychosozialen und kognitiv-affektiven Problementwicklung
—>im Sinne
prädisponierender Faktoren
auslösender Faktoren
aufrechterhaltender Faktoren
Prädisponierende Faktoren/ Bedingungen
Vorexistierende genetische, somatische, psychische oder soziale Merkmale, die das Auftreten einer psychischen Störung möglich bzw. wahrscheinlicher machen (spezifische und unspezifische Risikofaktoren für psychische Erkrankungen)
Grundsätzlich kann zwar so gut wie jeder Mensch z.B. eine Depression oder eine Abhängigkeit entwickeln, aber eben nicht mit der gleichen Wahrscheinlichkeit
Manche Menschen sind anfälliger für (bestimmte) psychische Probleme, andere dagegen resistenter
Beispiele: Temperamentsfaktoren, frühe Bindungserfahrungen, Normen und Werte in der Herkunftsfamilie, traumatische Ereignisse, Peer-Erfahrungen, sozioökonomische Faktoren sowie Grundüberzeugungen und Werthalten
Auslösende Faktoren/ Bedingungen
Vor dem Hintergrund einer individuellen Vulnerabilität (s. prädisponierende Faktoren) lösen psychische, somatische oder soziale Bedingungen das Erstauftreten einer Störung aus
Beispiele: Belastungen, Erfahrungen, Ereignisse, „Stress“ (z.B. erhöhte Arbeitsbelastung, Unfälle, Veränderungen, kritische Lebensereignisse)
Halten die ursprünglich auslösenden Belastungen an, so können sie darüber hinaus die Funktion aufrechterhaltender Faktoren übernehmen
Aufrechterhaltende Faktoren/ Bedingungen
Anhaltende Belastungen, ungünstige Reaktionen des/r Betroffenen oder der Umwelt (z.B. störungsspezifische Teufelskreise) sowie Funktionalität des Problemverhaltens/ Symptomatik (s. auch SORKC-Modell)
Verhindern das rasche Abklingen der Beschwerden und machen das Problem chronisch
Entscheiden so wesentlich über den weiteren Verlauf nach dem Erstauftreten eines Problems
Gesundheitsfördernde und schützende Faktoren/ Bedingungen (Ressourcen)
Faktoren, die die Gesundheit fördern bzw. vor der Entwicklung von Krankheiten schützen
Beispiele: Emotionale Stabilität, soziale Unterstützung, tragfähige Beziehungen, die Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit, Problemlösefähigkeiten, soziale Kompetenz und Kommunikationsfertigkeiten
Solche sogenanntenn salutogenen Faktoren können auf alle drei Klassen von pathogenen Faktoren einwirken
Störungsanamnese:
Erstauftreten der Symptomatik, Bewertung durch Patienten, Coping und Selbsthilfeversuche, weiterer Symptomverlauf, Auftreten von Folgeproblemen, subjektives Krankheitsmodell, Veränderungsideen des Patienten (-> in Planung berücksichtigen), Nutzen von Infos aus biographischer Anamnese
Verständnis der Problemgenese wichtig für
Plausibles Entstehungsmodell (trägt zur Entpathologisierung bei/ Entlastung)
Ableitung von Therapiezielen und Interventionen/ Basis für individuelle Fallkonzeption, die im Behandlungsverlauf ergänzt und modifiziert wird (Selbstauskünfte, beobachtbares Verhalten in den Sitzungen, Ergebnisse der strukturieretn Diagnostik)
Identifikation individueller Risikofaktoren wichtig für Strategien der Rückfallprophylaxe
Mikro- und Makroanalyse
Störungsübergreifende Methode der Verhaltenstherapie
PatientIn und TherapeutIn wählen typische problematische Reaktionen aus
Durch Mikro- und Makroanalyse werden Erlebens-und Verhaltensweisen des/r PatientIn für inter- und intrapersonelle Probleme nachvollziehbar
—>Gestaltung der therapeutischen Beziehung
—> Individualisiertes psychologisches Störungsmodell
—> Ableiten von Ansatzpunkten für das Behandlungsvorgehen, die im Behandlungsverlauf ergänzt und modifiziert wird
Zusammenfassung
—> Verständnis der individuellen Problemgenese wichtig für eine individuelle Fallkonzeption, Ableitung von Therapiezielen und therapeutischen Interventionen sowie für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung
—> Wichtig: Eine solche Fallkonzeption ist immer hypothetischer Natur und sollte während des therapeutischen Prozesses fortlaufend überprüft, angepasst und erweitert werden (und entsprechend dann die therapeutischen Interventionen)!
Zusammenfassung Mikroanalyse
Zur störungsunspezifischen, aber verfahrensspezifischen Diagnostik gehört die Verhaltensanalyse/ Problembeschreibung
Problembeschreibung über Mikro- und Makroanalyse (sowie Plananalyse)
Mikroanalyse beschreibt das Problemverhalten in einer konkreten, charakteristischen Situation über die Zeitachse (auch horizontale Verhaltensanalyse)
Gängigstes Modell ist das SORKC-Modell:
S - (Situation/ Stimulus): In welcher Situation tritt das Verhalten auf?
O - (Organismusvariable): biologische und lebensgeschichtliche Ausgangsbedingungen
R - (Reaktion): Reaktion auf S: kognitiv, motorisch, physiologisch, emotional
K - (Kontingenz): Regelmäßigkeit des Auftretens der Konsequenz nach Reaktion (bzw. auch S-R)
C - (Konsequenz): Was folgt auf das Verhalten?
Verdeutlicht Relevanz lerntheoretischer Aspekte (v.a. operante, aber auch klassische Konditionierung)
Zusammenfassung MAkroanalyse
Über die Makroanalyse werden prädisponierende (Risiko-), auslösende und aufrechterhaltende Faktoren erfasst,
d.h. prädisponierende Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Störung, die dann entsprechend einem Vulnerabilitäts-Stress-Modell durch bestimmte Faktoren ausgelöst wird und durch aufrechterhaltende Faktoren aufrechterhalten wird
Aufrechterhaltende Faktoren werden u.a. über das SORKC-Modell verdeutlicht
Umgekehrt können salutogenen Faktoren (Ressourcen) schützend auf alle drei Klassen von pathogenen Faktoren einwirken
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