Äquivalenzparadoxon
Warum kann ein Patient ggf. von einer psychodynamischen Therapie ähnlich gut profitieren wie von einer verhaltenstherapeutischen, auch wenn die theoretischen Konzepte (z.B. Verständnis von Veränderung) sehr unterschiedlich sind?
Suche nach „Common Factors“ (= Mechanismen, die „schulen“-unabhängig erfolgreichen Psychotherapien zugrundeliegen) z.B. Rosenzweig, 1936; Frank, 1971; Pfamatter et al., 2016
Für den Therapieerfolg wesentliche Wirkfaktoren werden teilweise ähnlich realisiert trotz unterschiedlichem Verständnis von Veränderung
Allgemeine Wirkfaktoren
Annahme: Wirkung von Psychotherapie lässt sich auf therapeutische Faktoren zurückführen, die (implizit) alle Psychotherapiemethoden beinhalten
Allgemeinen Wirkfaktoren sind Faktoren,
die therapeutische Veränderungen bewirken
nicht explizit in einem Psychotherapiemodell verankert sind
nicht spezifisch für bestimmte Psychotherapiemethoden sind
nicht spezifisch wirksam bei bestimmten psychischen Störungen sind
(vs. Spezifische Wirkfaktoren: Typische/ exklusive Merkmale eines therapeutischen Verfahrens, welche für den Therapieerfolg verantwortlich sind)
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
Klaus Grawe (1995, 1998):
Klaus Grawe (1995, 1998): Theoretische Grundkonzepte therapeutischen Vorgehens weniger durch Therapieschulen beschreiben
stattdessen mit Begrifflichkeiten der empirisch fundierten Psychologie und Neurowissenschaften Aufbauend auf großer Metaanalyse zur Effektivität von Psychotherapie (Grawe et al., 1994):
Allgemeine Wirkfaktoren (Grawe, 1998; 2004; Grawe et al., 1994)
Motivationale Klärung
Problembewältigung
Problemaktualisierung
Ressourcenaktivierung
Außerdem hohe Bedeutung der therapeutischen Beziehung (teilweise als 5. Wirkfaktor bezeichnet)
4 Wirkfaktoren nach Grawe
1. Motivationale Klärung:
Der Patient erhält neue Einsichten und Erkenntnisse über die Störungsdynamik, Zusammenhänge zu früheren Erfahrungen, bewusste und unbewusste Ziele und Werte etc
funktionales Verständnis der eigenen Problematik
(—> Entpathologisierung; Ansatzpunkt für Veränderung und Akzeptanz) Bsp: SORCK, Verbalisierung emotionaler Erlebensinhalte (Gesprächstherapie)
2. Problembewältigung:
Patienten steigern ihre Kompetenzen zur Bewältigung von Schwierigkeiten und problematischen Situationen, zum besseren Umgang mit der klinischen Symptomatik, erwerben verbesserte Problembewältigungskompetenz und erhöhte Selbstwirksamkeitserwartungen
Bsp: Problemlösetraining, Training sozialer Kompetenzen, Selbstwirksamkeitserwartung
3. Problemaktualisierung:
Die meisten Therapieformen streben an, die problematischen Verhaltens- und Erlebenssituation im Verlauf der Therapie zu aktivieren, oftmals verbunden mit einer emotionalen Intensivierung, um darauf aufbauend neue Bewältigungsmöglichkeiten oder Erfahrungen zu realisieren („Prinzip der realen Erfahrung“),
Bsp: Verhaltenstherapeutische Exposition
4. Ressourcenaktivierung:
Psychotherapeutische Ansätze sind dann besonders erfolgreich, wenn sie gezielt positive Möglichkeiten, Eigenarten, Fähigkeiten und Motivationen des Patienten berücksichtigen bzw. darauf aufbauen
Therapeutische Beziehung als Wirkfaktor
Therapeutische Arbeitsbeziehung („working alliance“) GOALS (verfolgte Therapieziele) TASKS (Verständigung über ein Vorgehen) BONDS (emotionale Beziehung zwischen Patient und Therapeut)
Psychotherapeutische Verfahren („Schulen“) unterscheiden sich im Verständnis, der Umsetzung und Gestaltung der psychotherapeutischen Beziehung
Allgemeiner Konsens, dass die therapeutische Beziehung eine wichtige Rolle spielt, z.B. für Vorbereitung und Unterstützung eines Veränderungspozesses
Allgemeine Psychotherapie
Unterschiedliche „Schulen“, d.h. Therapieverfahren und –methoden (i.d.R. mit spezifischem Theoriegebäude und für diesen Ansatz spezifischen Wirkfaktoren) kennzeichnen die Geschichte der Psychotherapie
Mittlerweile gibt es eine lange Tradition an Bemühungen um die Integration verschiedener psychotherapeutischer Konzepte, Theorien und Methoden
Übergeordnete theoretische Modelle sowie eine gemeinsame Sprache wichtig für Weiterentwicklung und Verbesserung professioneller Psychotherapie
—> gegenseitiges Verständnis, Stimulation und ggf. Integration
Integrative Psychotherapie
Integration auf Ebene der Theorie, Methode und Strategie
Theoretische Integration (z.B. verfahrensübergreifendes Störungsverständnis, Ansatz prozessbasierter Psychotherapie, Integration therapeutischer Konzepte auf Basis von psychologischen Theorien und Modelle (Grawe))
Technischer Eklektizismus: Verwendung von Techniken ohne besondere konzeptionelle Einbindung
Modelle allgemeiner Wirkfaktoren/ assimilative Integration: Dritte-Welle-Verfahren der Verhaltenstherapie (z.B. CBASP, Schematherapie) mit Integration humanistischer, psychodynamischer und kognitiv-behavioralen Ansätzen
—> WICHTIG: Ziel integrativer Bemühungen sollte NICHT „integrative Einheitstherapie“ sein, sondern intergratives Denken auf der Basis wissenschaftlich fundierte Befunde fördern
Kompetenzorientierte Psychotherapie
Idee: Aus (verfahrensübergreifenden) allgemeinen Wirkfaktoren und verfahrensübergreifenden Störungsmodellen allgemeine psychotherapeutische Kompetenzen ableiten
—>Kompetenzen
die auf allgemeinen multifaktoriellen Störungsmodellen aufbauen, z.B. biopsychosoziales Störungsmodell
die auf allgemeinen Wirkfaktoren und Veränderungsmodellen aufbauen
zur Aktivierung von wissenschaftlich fundierten Veränderungsmechanismen und -prozessen
Zusammenfassung
Für professionelle Weiterentwicklung von Psychotherapie sind übergeordnete theoretische Modelle sowie eine gemeinsame Sprache wichtig
Psychotherapie-Integration wird kontrovers diskutiert
Wirkweise von Psychotherapie lässt sich hauptsächlich auf die Interaktion methodenübergreifender allgemeiner Wirkfaktoren (common factors) und spezifischen Interventionstechniken zurückführen (neben außertherapeutischen Einflüssen)
Die therapeutische Beziehung hat besonderen Stellenwert als allgemeiner Wirkfaktor
Weitere allgemeine Wirkfaktoren nach Grawe: Motivationale Klärung, Problembewältigung,
Problemaktualisierung, Ressourcenaktivierung
Früher: Betonung auf übergeordnete theoretische Orientierungen und unterschiedliche
„Menschenbilder“ /Heute: Fokus u.a. mehr auf (empirisch gestützte) allgemeine Veränderungsprozesse Idee: Evidenzbasierter kompetenzorientierter Ansatz der Psychotherapie
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