Willensmangel
Der Willensmangel kann in der Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Willen des Erklärenden und dem objektiven Erklärungsgehalt liegen (=“gestörte Willenserklärung“):
=> Fehler bei der WE
oder
=> Handeln ohne Geschäftswillen
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Beachte: Wenn z.B. mangels Handlungswillens oder bei nicht vorwerfbarem Fehlen des Erklärungsbewusstseins gar keine Willenserklärung vorliegt, gibt es keinen Willensmangel und deshalb kein (anfechtbares) Rechtsgeschäft!
Der Willensmangel kann aber auch darin liegen, dass der Erklärende irrtümlich von einem Umstand (Motiv, Beweggrund) ausgeht, der im Vorfeld der psychologischen Willensbildung liegt und für den Geschäftswillen bedeutsam ist (Fehler bei der Willensbildung).
Theoretische Lösungsmöglichkeiten
=> Willenstheorie (nur einseitig)
Die Abweichende WE soll stets wirkungslos sein
Lediglich der wahre Wille ist relevant
Stellt nur auf das Interesse des Erklärenden ab
=> Erklärungstheorie (es gilt immer das Erklärte)
Erklärtes soll immer Rechtsfolgen auslösen
Stellt nur auf das Interesse des Empfängers ab
Ansatz des BGB
Entschied sich weder für die Willens- noch für die Erklärungstheorie
Grundsätzlich ist von der Gültigkeit der Erklärung auszugehen („ein Mann, ein Wort'). Nur die Ausnahmetatbestände der §§ 116 ff. BGB schützen unter genau festgelegten Umständen den Erklärenden
Auf der Grundlage der Abwägung der Interessen der Beteiligten gilt somit gem. BGB eine von drei Möglichkeiten:
Gültigkeit der WE
Beispiel: Motivirrtum (anders beim Testament)
Nichtigkeit („absolute Nichtigkeit') der WE
Beispiel: Scheingeschäft (mit Einverständnis des Empfängers)
Vernichtbarkeit („relative Nichtigkeit") der Willenserklärung durch Anfechtung
Beispiel: Erklärungsirrtum
(Notwendigkeit der Interessenabwägung)
Arten von Willensmängeln
=> BEWUSSTE DISKREPANZ VON WILLE UND ERKLÄRUNG (§§ 116-118)
Geheimer Vorbehalt (Mentalreservation)
Mangel der Ernstlichkeit („Scherzerklärung")
Scheinerklärung (nicht so ernst)
Mangelnde Ernstlichkeit kommt häufiger vor (Beispiel: Vorlesung => klar, dass es keine ernste Erklärung ist bei Beispielnennung)
=> UNBEWUSSTE DISKREPANZ VON WILLE UND ERKLÄRUNG BZW. FEHLERHAFTE WILLENSBILDUNG (§§ 119-122)
Irrtum
Falsche Übermittlung
Übermittlung misslingt, nicht die Erklärung selbst
=> VERWERFLICHE BEEINFLUSSUNG BEI DER ABGABE DER WILLENSERKLÄRUNG (§§ 123, 124)
Arglistige Täuschung (jemand wurde getäuscht, deshalb wurde ein Wille gefasst, aber auf einer falschen Grundlage)
Rechtswidrige Drohung (drohen und deshalb wurde eine Erklärung abgegeben)
Bewusste Diskrepanz von Wille und Erklärung
Grundsätzlich ist der Erklärende in diesen Fällen nicht schutzbedürftig und an seine Erklärung gebunden. Nichtig ist sie nur, wenn der Empfänger „eingeweiht" ist.
Geheimer Vorbehalt („Mentalreservation“) (§ 116)
einseitiger Vorbehalt (“böser Scherz”)
unbeachtlich; Erklärung gilt (§116, 1)
Erkannter Vorbehalt
Kein schutzwürdiges Vertrauensinteresse des Erklärungsempfängers → Erklärung nichtig [§ 116, 2]
Mangel der Ernstlichkeit („Scherzerklärung“) (§118)
Nicht ernstlich gemeinte WE
Erklärender erwartet, dass die mangelnde Ernstlichkeit erkannt wird („guter Scherz"; aber auch Lehrerklärung: „Verkauf' im Hörsaal)
Rechtsfolgen:
Nichtigkeit der Erklärung (Erkennt der Erklärende allerdings, dass der andere die Erklärung ernstgenommen hat, muss er ihn nach Treu und Glauben unverzüglich aufklären, damit die Erklärung nicht gilt.)
Schadensersatz (Ersatz des Vertrauensschadens), falls der Empfänger wider Erwarten aber ohne Verschulden die fehlende Ernstlichkeit nicht erkennt (§ 122)
Wenn der erklärende merkt, dass die Erklärung nicht als Scherz sondern ernst aufgenommen wurde, muss dies umgehend aufgeklärt werden, damit die Erklärung nicht gilt (Falls nicht aufgeklärt -> Schadensersatz)
Scheinerklärung („simulierte Erklärung“) (§ 117 I)
Erklärender gibt empfangsbedürftige Willenserklärung mit Einverständnis des Empfängers nur zum Schein ab
Nichtigkeit der simulierten Erklärung (z.B.: „Schwarzkauf" mit falschem Kaufpreis zur Hinterziehung von Grunderwerbsteuer)
Dissimuliertes (verdecktes) Geschäft gültig, falls die Gültigkeitserfordernisse erfüllt sind (z.B.: Grundstückskauf zum tatsächlich gewollten Preis wegen Formmangels ebenfalls nichtig; allerdings „Heilung" des Verpflichtungsgeschäfts durch wirksames Verfügungsgeschäft (Auflassung und Eintragung im Grundbuch) möglich [§ 311b 12 ])
Unbewusste Diskrepanz von Wille und Erklärung
=> Irrtum
Fehler in der Willensäußerung (§ 119)
Erklärungsirrtum
Versprechen und Verschreiben
Inhaltsirrtum
Verlautbarungsirrtum
Individualisierungsfehler
Fehler in der Willensbildung
Allgemeiner Motivirrtum
Motivirrtum in Sonderfällen
=> Übermittlungsfehler (§ 120)
(wird gleich behandelt)
Irrtum:
Fehler in der Willensäußerung
=> Erklärungsirrtum (Irrung, Abirrung) (§119 I, 2. Fall)
Der Erklärende erklärt nicht das, was er erklären will, benutzt also ein „Erklärungszeichen“, das er nicht verwenden will (verspricht oder verschreibt sich) („Weiß nicht, was er sagt.“ bzw. „Erklärt nicht, was er erklären wollte.“)
= Man erklärt etwas anderes als was man eigentlich erklären wollte
=> Inhaltsirrtum (§ 11 I, 1. Fall)
Verlautbarungsirrtum: Der Erklärende irrt über den Sinn oder die Bedeutung des gewollt verwendeten „Erklärungszeichens“ (z.B. irrtümliche Verwendung von Maßen, Gewichten oder Typenbezeichnungen) („Weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt.“)
= man hat zwar gewusst was man sagt, aber man weiß nicht was man damit gesagt hat
Verwechslung des Geschäftspartners
Verwechslung des Geschäftsobjekts (z.B. „PKW im Innenhof“)
= Bsp. Verwechslung von Autos
(Rechtsfolge: U.U. Anfechtbarkeit)
=> Allgemeiner Motivirrtum
Enttäuschte Erwartung als Störung in der Willensbildung (Kauf von Trauringen; Hochzeit „platzt")
Dazu zählt auch der „gewöhnliche" Kalkulationsirrtum.
Rechtsfolge: Grundsätzlich unbeachtlich; Erklärung gilt.
Das Problem liegt im psychologischen Vorfeld der Erklärung
=> Eigenschaftsirrtum
Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder der Sache (nicht jedoch über den Preis)
Rechtsfolge: Es handelt sich zwar ebenfalls um einen Fehler in der Willensbildung, der aber als Ausnahme dem Inhaltsirrtum gleichgestellt wird und u.U. zur Anfechtung berechtigt.
Übertmittlungsfehler
Wortlaut der Erklärung wird bei der Weitergabe durch die Übermittlungsinstanz verändert
Dritter (Bote, Post, Internet-Provider) wird nur als „Werkzeug" eingesetzt (nicht als Stellvertreter!)
Rechtsfolge: Wird wie ein Erklärungsirrtum behandelt.
Beachte: Ist der Dritte Stellvertreter, ist seine Erklärung unmittelbar dem Vertretenen zuzurechnen und ein dabei unterlaufendes Versprechen oder Verschreiben daher Erklärungsirrtum.
Irrtumsanfechtung:
Voraussetzungen
(WE soll dadurch beseitigt werden)
Anfechtbares Rechtsgeschäft (überhaupt ein RG, kein Realakt)
Genaugenommen sind nur Willenserklärungen anfechtbar.
Realakte sind deshalb nicht anfechtbar.
Kausalität (§ 119 Abs. 1)
Der Irrtum muss für die Willenserklärung ursächlich sein
Subjektiv: ....bei Kenntnis der Sachlage..."
Oder
Objektiv: ....bei verständiger Würdigung des Falls..."
Anfechtungserklärung (Ausdrückliche WE)
Einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Anfechtungsberechtigten gegenüber dem Anfechtungsgegner
Muss den Ausdruck „anfechten" nicht enthalten
Einhaltung der Anfechtungsfrist
Unverzüglich (ab zuverlässiger Kenntnis vom Anfechtungsgrund)
(Bedeutet nicht sofort, sondern ohne schuldhaften Aufschub)
Fehlen eines Ausschlussgrundes
Sind seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen, ist die Anfechtung ausgeschlossen. [§ 121 II]
Wird das anfechtbare Rechtsgeschäft vom Anfechtungsberechtigten bestätigt, ist die Anfechtung abgeschlossen (§ 144 I)
Rechtsfolgen
Nichtigkeit
Anfechtungserklärung wirkt ex tunc": Das angefochtene Rechtsgeschäft ist als von Anfang an nichtig anzusehen
Ex tunc => Wirkung der Anfechtung bezieht sich auf die Wurzel des Vertrags, die WE geht zurück auf den Zeitpunkt als das Rechtsgeschäft geschlossen wurde
Anfechtbar kann das schuldrechtliche Kausalgeschäft (häufigster Fall), aber auch das dingliche Erfüllungsgeschäft sein.
Schadensersatzplicht (§ 122)
Nur der Vertrauensschaden („negatives Interesse") ist zu ersetzen (Anfechtungsgegner ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte), nicht der Erfüllungsschaden („positives Interesse").
Begrenzung: Vertrauensschadensersatz nicht über die Höhe des Erfüllungsschadens hinaus
Verwerfliche Beeinflussung bei der Abgabe einer Willenserklärung:
Arglistige Täuschung,
Verschweigen von Tatsachen
=> ARGLISTIGE TÄUSCHUNG
Vorsätzliches Hervorrufen oder Aufrechterhalten eines Irrtums („Zivilrechtlicher Betrug")
Kann auch im Verschweigen von Tatsachen liegen, wenn der Vertragspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte mit Aufklärung rechnen durfte.
Auch bei „Dritttäuschung", wenn sie der Erklärungsempfänger kannte oder kennen musste
Beachte: Eine Täuschung durch einen Stellvertreter oder Mitarbeiter des Erklärungsempfängers ist diesem jedenfalls zuzurechnen. «Dritter" ist hier also jemand, der mit dem Geschäft an und für sich nichts zu tun hat.
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-> VERSCHWEIGEN VON TATSACHEN
Asymmetrische Information
Die eine Seite hat mehr Informationen als die andere
Damit umgehen z.B.: Hierarchien in Unternehmen (Principle Agents Problem)
Weiteres Beispiel: Gebrauchwagenhandel (Wer kennt den Wagen besser? = Verkäufer)
Informationssymmetrie
Täuschen auch durch das Verschweigen von Tatsachen
Aktiv Informationen geben die entscheidungswichtig sind
Rechtswidrige Drohung
(Zweck der Drohung muss verwerflich sein)
„Inaussichtstellung eines empfindlichen Übels" (Zivilrechtliche Nötigung"), auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat
Muss für die Erklärung kausal sein.
Muss rechtswidrig sein. Unwerturteil ergibt sich aus:
Mittel der Drohung,
Zweck der Drohung
Mittel-Zweck-Relation.
Stets auch bei entsprechender Drittdrohung (unabhängig vom Kennen oder Kennenmüssen des Erklärungsempfängers
- Nötigung = Drängen einer Handlung
- Zweck-Mittel-Relation -> Zweck der Drohung, damit es rechtswidrig ist
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bzw. rechtswidriger Drohung (nach Ablauf der Frist ist es nicht mehr anfechtbar)
=> Binnen Jahresfrist
Fristbeginn:
Bei arglistiger Täuschung mit dem Zeitpunkt ihrer Entdeckung durch den Anfechtungsberechtigten
Bei rechtwidriger Drohung mit dem Aufhören der Zwangslage
Voraussetzung: Fehlen eines Auschlussgrundes
Sind seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen, ist die Anfechtung ausgeschlossen. [§ 124 III]
Wird das anfechtbare Rechtsgeschäft vom Anfechtungsberechtigten bestätigt, ist die Anfechtung ausgeschlossen. [§ 144 |]
Rechtsfolgen der Anfechtung:
Nichtigkeit mit Wirkung „ex tunc"
Kein Ersatz des Vertrauensschadens
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