Der diagnostische Prozess (Modell)
Diagnostischer Prozess = Abfolge von Maßnahmen zur Gewinnung diagnostisch relevanter Informationen und deren Integration zur Beantwortung einer Fragestellung
Die Gewinnung eines umfassenden Persönlichkeitsbildes ist unrealistisch, da nur eine selektive Informationsgewinnung möglich ist
Bewährungskriterien für das Urteil: bereits im einleitenden Gespräch erfolgt Ableitung der Fragestellung
Prüfung der Umsetzbarkeit der Fragestellung
taktische/ strategische Planung
ggf. weitere Messungen
Auftraggeber = Rentenversicherung
Ist Frau X Arbeitsfähigkeit? Fragestellung
Differenziert: Ist Frau X in der Lage Arbeit weiterhin auszuführen unter Anstieg der Anforderungen?/ so strak beeinträchtigt, das sie Aufgaben nicht mehr erledigen kann und man von einer psychischen Erkrankung gemäß ICD10 sprechen kann?
Umsetzbarkeit in Hypothensformulierung (Ja/ Nein):
Hypothesenformulierung: Bei ausgeprägter/vorliegen einer Depression wird Frau Meyer nicht mehr alle Aufgaben ausführen können/ nicht mehr die Leistung erbringen die erfordert ist / Frau X sollte den Leistungstest oder Gedächtnistest mit durchschnittlicher leistung zeigen
Operationalisierbarkeit: Umgesetzte/erledigte Aufgaben in einem bestimmten Zeitraum/ Probearbeit in Zeitraum von 3 Monaten / Test mit Items die relevant sind für Fragestellung
Untersuchungsplanung/ Durchführung der Untersuchung: Einleitendes Gespräch, Planung der zu verrichteten Aufgaben und Durchführung der AUfgaben/Arbeit
Datenauswertung: Nur 1/ 3 der Aufgaben konnten zufriedenstellend ausgeführt werden
zusätzliche Hypothesen?!
Der diagnostische Prozess: Urteil
Nach Klassifikation von Meehl (1954) und Sawyer (1966) gibt es zwei gegensätzliche Strategien der diagnostischen Urteilsbildung:
Klinische UB: Wenn quantitative und qualitative Daten (z.B. projektive Tests, Verhaltensbeobachtung) vorliegen und ihre Kombination auf dem Fachwissen und der Erfahrung der Diagnostiker*in (Intuition) beruht, ohne dass Regeln explizit genannt werden.
-> Der Begriff klinische Urteilsbildung bezieht sich also auf individuelle Urteile von Menschen (Diagnostikern)
Statistische (mechanische) UB: Wenn Daten quantifiziert vorliegen (Tests/ Fragebogen/ Interviews) und ihre Kombination auf einem ausformulierten Algorithmus beruht (z.B. Regressionsgleichung; Diskriminanzanalyse)
-> Bei der mechanischen Urteilsbildung werden die Daten nach einer Formel verrechnet, die zuvor aus empirischen Daten abgeleitet wurde.
-> Regressionsgleichung
Befunde zur Güte der beiden Methoden
Laut Sawyer (1966):
bessere Prognosen mit statistsicher UB: unabhängig ob klinische Methoden, Testverfahren oder eine Kombination aus beidem
Metaanalyse von Grove et al. (2000):
136 Untersuchungen zeigen ein ähnliches Ergebnis (besser Prognose durch Statistsiche UB), allerdings nur eine kleine Effektstärke von d=0.089
die statistische UB scheint der klinischen vor allem dann überlgen zu sein, wenn medizinische und forensische Kriterien vorherzusagen sind und wenn die Informationen in Form von Interviewdaten vorliegen
Vrieze und Grove (2009)
wollten wissen, was praktisch tätige Psycholog*innen über mechanische UB denken und ob sie breit sind, diese auch anzuwenden
eine Mehrheit von 98% berichtete, klinische Urteilsbildung zu nutzen (integrierten teilweise auch Informationen statistsicher Modelle in ihr Urteil)
einige wandten nur klinische Urteilsbildung an (47%)
Subjektive Gründe für Nicht-Verwenden von statistsicher UB (Vrieze und Grove, 2009):
Mechanisches Urteilsmodell nicht verfügbar (40 %)
Nicht gut genug mit der Methode vertraut, um sie bequem anzuwenden (36 %)
Kann nicht alle Faktoren berücksichtigen, die für ein Urteil nötig sind (32 %)
Nicht so genau wie andere Methoden (32 %)
Zu teuer (27 %)
Ineffizient (23 %)
Warum erreichen menschliche Urteile nicht die Genauigkeit, die bei Anwendung von mechanischen Modellen möglich ist? -> Urteilsfehler:
Probleme statistischer Urteilsbildung
Man braucht für einen Probanden die gleichen Informationen wie von allen Probanden.
große Fallzahlen erforderlich -> oft nicht vorhanden
Statistische Modelle sind meist linear; selten mit Interaktionen zwischen Variablen (potentielle Lösung: künstliche, neuronale Netzwerke).
Rahmenbedingungen werden vernachlässigt, d.h. Allgemeingültiges wird auf den Einzelfall übertragen (Holzkamp, 1966)
(Un)bekannte moderierende Effekte werden vernachlässigt
Unmenschlichkeit durch statistsiches Urteil?
Forderung an klinische Urteilsbildung
Forderung an klinische Urteilsbildung:
Klinische Untersuchung als „psychologisches Experiment“ und nicht als „esoterische Kleinkunst“ gestalten
Forderungen
Explizite Untersuchungshypothese formulieren
Kontrolle der Untersuchungsbedingungen (Wiederholung und Vergleich mit anderen Untersuchungen möglich) und Dokumentation
Explizite Entscheidungsregeln formulieren (oft eher implizit)
-> ggf. nachträglich ermitteln (aber sehr aufwendig)
-> nicht generell valider durch Dokumentation der Entscheidungsregeln aber besser nachprüfbar und verbesserbar
Kontrolle: Bedingungen unter Kälte, Lärm usw. -> muss gut dokumentiert werden
Explizit: Fehler gemacht/ falsche Entscheidung getroffen: mit diesem Schritt besser nachvollziehbarer
sehe wie wahrscheinlich es ist aus alten/früheren Ergebnissen, das Person rückfällig wird
Gutachten
Schlechte Gutachten:
keine sauberen Gutachten
Hinweis darauf wie Gutachten erstellt werden sollte:
Psychologisch-diagnostische Gutachten Definition
ein psychologisches Gutachten dokumentiert ein wissenschaftliches fundiertes Vorgehen und beantwortet eine von einem Auftraggeber vorgegebene Fragestellung
Die Fragestellung betrifft bestimmte Aspekte des Erlebens und Verhaltens einer Person oder mehrerer Personen
Die Fragestellung wird im Rahmen des diagnostsichen Prozesses beantwortet
Im Gutachten wird der diagnostsiche Prozess und die Beantwortung der Fragestellung nachvollziehbar dargestellt
Die im Rahmen der Begutachtung eingesetzten Methoden werden so beschrieben, dass sie nach wissenschaftlich akzeptierten Gütekriterien beurteilt werden können
Psycho-diagnostsiche Gutachten stellen eine wissenschaftlich begründete Entscheidungshilfe bei einem gegebenen Problem dar.
Im Mittelpunkt der Betrachtung steht nur ein bestimmter Ausschnitt aus dem Verhalten einer Person, nicht die ganze Persönlichkeit.
-> Gewöhnlich wird das Gutachten in schriftlicher Form vorgelegt
-> manchmal erfolgt aber auch ein mündlicher Bericht, oder das schriftliche Gutachten wird zusätzlich mündlich erläutert.
Rechtliche Vorschriften und berufsethische Fragen
Unter welchen Bedingungen erfolgt die Kontaktaufnahme zum Diagnostiker?
freier Kontakt (z.B. Form eines Privatgutachtens)
bedingt freier Kontakt (z.B. Besuchs‐ oder Sorgerecht bei Eltern)
aufgezwungener Kontakt (z.B. Feststellung, ob Zeuge objektiv genug ist, Problem: Kann erwünschtes Verhalten vorttäuschen; Wissen, dass Informatioenn an 3. Weitergegeben wird, hemmt)
Verbindliche Kriterien für Gutachten und Untersuchungsberichte:
(Föderation der Deutschen Psychologenvereinigungen, 1998)
Sorgfaltspflicht (größtmögliche sachliche und wissenschaftliche Fundierheit, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit)
Transparenz (inhaltlich nachvollziehbar)
Einsichtnahme
Auftraggeber ≠ Begutachteter (sind Auftraggeber und Begutachtete nicht identisch, kann das Gutachten den Begutachteten nur mit Einwilligung des Auftraggebers zugänglich gemacht werden)
Begutachteter sollte Möglichkeit der Einsichtnahme bekommen (sofern dadurch kein Schaden entsteht).
Wenn keine Einsichtnahme möglich, muss Begutachteter darüber vorab informiert werden.
Gefälligkeitsgutachten (unzulässig)
Stellungnahme zu Gutachten von Kollegen (zulässig)
Entscheidungsschritte
Aufbau eines Gutachtens
Ein Gutachten sollte bestimmte Gliederungspunkte enthalten, andere sind nicht obligatorisch
Anforderungen an ein Gutachten
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