Wo sind §§ 228, 904 BGB zu prüfen?
§ 228 BGB und § 904 BGB sind spezialgesetzliche Vorschriften zu § 34 StGB und deshalb vorrangig zu prüfen
§ 34 StGB ist subsidiär
Allg.: Können sich Amtsträger auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe von §§ 32, 34 StGB und § 127 StPO berufen?
h.M.: (+), soweit nicht spezielleres Gesetz eine abschließende Sonderregelung getroffen hat
Problematisch insb. bei polizeilichem Schusswaffengebrauch
BGH: Die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns richtet sich bei § 32 II StGB nicht streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrunde liegenden Rechtsgebiets
Defensivnotstand gem. § 228 StGB Prüfungsschema
Konfliktlage
Vorliegen einer Notstandshandlung
Grenzen
Subjektives Rechtfertigungselement
§ 228 StGB
Gefahr für ein Rechtsgut
Eine Gefahr für ein Rechtsgut ist gegeben, wenn aufgrund tatsächlicher Umstände der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich ist.
Durch eine Sache
z.B. ein Hund, der einen anfällt, ohne dass dessen Besitzer es möchte
hier liegt kein menschliches Verhalten vor ➔ somit kein „Angriff“ i.S.d. § 32 StGB
Sondern: Gefahr geht von der Sache aus
Grenzen => Erforderlichkeit
Erforderlich i.S.d. § 228 BGB ist eine Verteidigungshandlung, wenn sie geeignet ist, die Gefahr gänzlich zu beenden oder wenigstens zu behindern und zugleich das relativ mildeste Mittel darstellt
Erforderlichkeit
Interessenabwägung
Geopfertes Gut darf nicht wesentlich wertvoller sein als gerettetes Gut
Nicht so hohe Anforderungen wie bei § 904 BGB und bei § 34 StGB
Grund: Gefahr geht von dem beeinträchtigten Gut selbst aus
Bei § 904 BGB wird ein unbeteiligtes Gut beeinträchtigt
Kenntnis der rechtfertigenden Umstände
Handeln zur Gefahrenabwehr
Aggressivnotstand gem. § 904 BGB Prüfungsschema
§ 904 BGB
Gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut
Gegenwärtig ist ein Zustand i.R.d. §904 BGB, dessen Weiterentwicklung den Eintritt eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden.
= Einwirkung auf eine fremde Sache, von der die Gefahr nicht ausgeht
= fremde unbeteiligte Sache
§ 904 BGB schafft eine Duldungspflicht des Eigentümers
Zur Abwendung der Gefahr
Notwendigkeit
Handlung muss notwendig sein
Notwendig ist die Einwirkung auf die Sache i.R.d. § 904 BGB, wenn die Gefahr sich nicht anders als gerade durch die Beeinträchtigung der fremden Sache abwenden lässt
Objektive Ex-ante-Perspektive
Der drohende Schaden muss ggü. dem durch die Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß sein
Gerade umgekehrte Gewichtung wie bei § 228 BGB ➔ da eben unbeteiligte Sache
Aggressivnotstand gem. § 904 BGB
=> P.: Sachbeschädigung durch Klimaaktivisten, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen
Rechtfertigung durch den Aggressivnotstand gem. § 904 BGB?
Notstandslage:
Betroffene Rechtsgüter: Solche, die durch die Gefahren des Klimawandels beeinträchtigt werden, u.a. Recht auf Leben und Recht auf körperliche Unversehrtheit aller Menschen
Gegenwärtigkeit?
= wenn sofortige Abwehr zu Vermeidung des Schadenseintritts erforderlich ist
Auswirkungen des Klimawandels intensivieren sich ständig und führen bereits irreparablen Schäden => Erforderlichkeit (+)
P.: Geeignetheit und Erforderlichkeit?
Objektive ex ante-Perspektive
Geeignetheit?
Keine unmittelbar klimaschützende Maßnahme
e.A: Auch mittelbar wirkende Notsandshandlungen sind grds. geeignet, Gefahren abzuwenden
Arg.: Keine Einzelmaßnahme kann den Klimawandel aufhalten => Auch Aufmerksamkeit für das Problem zu erzeugen kann schon einen minimalen Beitrag zum Klimaschutz darstellen
a.A.: Eignung grds. (-), wenn die Tat die Rettungschance für das betroffene Rechtsgut nur unwesentlich erhöht
Aber: Bei Sachbeschädigung für politische Botschaft ist bereits nicht ersichtlich, dass die Bevölkerung im Sinne des Klimaschutzes beeinflusst wird => Geeignetheit (-)
Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB Prüfungsschema
Notstandslage
Gefahr nicht anders abwehrbar (= Erforderlichkeit)
Angemessenheit, § 34 S. 2 StGB
§ 34 StGB
Eine Notstandslage ist das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut.
§ 34 S. 1 StGB: „von sich oder einem anderen“ ➔ somit auch Notstandshilfe
=> Was sind notstandsfähige Rechtsgüter?
Notstandsfähige Rechtsgüter sind in § 34 StGB aufgelistet
Aber: Keine abschließende Auflistung
Notstandsfähig ist jedes rechtlich anerkannte Interesse, auch wenn seine Beeinträchtigung keinen Straftatbestand erfüllt
Sowohl Rechtsgüter des Einzelnen als auch der Allgemeinheit
Anders als bei § 32 StGB keine Beschränkung auf Individualrechtsgüter
Aber: bei dem Schutz der Allgemeinheit i.d.R. Erforderlichkeit (-)
=> Wann liegt eine Gefahr vor
Gefahr: Eine Gefahr liegt vor, wenn ein Zustand gegeben ist, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignisses besteht.
Wahrscheinlich ist der Eintritt, wenn die Möglichkeit nahe liegt oder begründete Besorgnis besteht
Bloß allgemeine Möglichkeit nicht ausreichend
Grad der Wahrscheinlichkeit ist i.R.d. Abwägung zu berücksichtigen
Objektiv-nachträgliche Prognose: Sicht eines objektiven Beobachters, der in Kenntnis der Umstände ex post urteilt
Anscheinsgefahr genügt nicht ➔ aber dann ggfs. Putativnotstand (Irrtum)
Art der Gefahrenquelle ist unerheblich
Wenn menschliches Verhalten vorliegt, ist vorrangig § 32 StGB zu beachten ➔ Die Notstandsregelungen greifen nur ein, wenn eine Notwehrhandlung ausscheidet
Auch z.B. bei Naturereignissen § 34 StGB
=> Wann ist eine Gefahr gegenwärtig?
Gegenwärtigkeit: Eine Gefahr ist gegenwärtig, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald eingegriffen wird.
Gegenwärtigkeit der Gefahr reicht weiter als die Gegenwärtigkeit des Angriffs ➔ Angriff ist das fortgeschrittene Stadium der Gefahr
Auch Dauergefahren erfasst
Eine Dauergefahr ist ein gefahrdrohender Zustand von längerer Dauer, der jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen kann, ohne aber die Möglichkeit auszuschließen, dass der Eintritt des Schadens noch eine Zeit lang auf sich warten lässt.
Dauergefahr ist aber nur dann gegenwärtig, wenn ein unverzügliches Handeln erforderlich ist
Dauergefahren sind von § 32 StGB nicht erfasst
Bsp.: Einsturzgefahr in einem baufälligen Haus
Bsp.: Hang eines Alkoholikers zur Misshandlung seiner Ehefrau nach jedem Alkoholmissbrauch
= Verhalten, das zu einer Verletzung von Rechtsgütern Dritter führt, um das zu schützende Rechtsgut zu retten
Gefahr nicht anders abwehrbar (=Erforderlichkeit)
Notstandshandlung muss geeignet und erforderlich sein
Für die Geeignetheit ist erforderlich, dass die Abwendung des drohenden Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist
Erforderlich ist eine Notstandshandlung dann, wenn sie sich als der sicherste Weg zur Erhaltung des gefährdeten Gutes darstellt und kein milderes gleich effektives Mittel zur Verfügung steht.
Alle ex ante erkannbaren Umstände aus Sicht eines sachkundigen objektien Betrachters
Wenn Ausweichsmöglichkeit oder staatliche Hilfe zu erlangen ist: davon ist Gebrauch zu machen
= Unterschied zur Notwehr ➔ Grund: Bei der Notwehr braucht das Recht dem Unrecht nicht zu weichen
=> P.: Bei Rechtsgütern der Allgemeinheit
Hier: primäre Zuständigkeit staatlicher Organe
Privates Handeln zum Schutz der Allgemeinheit deshalb nur im äußersten Notfall
= ultima-ratio-Prinzip
34 StGB
Das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen
Bei vermögenswerten Rechtsgütern kann dabei auf den Wert geachtet werden
Dabei beachten:
Rangverhältnis der Rechtsgüter
Grad der drohenden Gefahr
=> Beachte: Rangverhältnis der Rechtsgüter
Sowohl unmittelbar als auch nur mittelbar betroffene Rechtsgüter berücksichtigen
Gesamtwürdigung aller Umstände ➔ abstrakter Rang der Rechtsgüter nicht als allein entscheidender Aspekt
Hilfsmittel für die Bewertung: Höhe der Strafandrohung bei einer Beeinträchtigung; Wertungen des Grundgesetzes
Somit ranghöchste Güter: Leib, Leben, Freiheit der Person
Abwägung nur in beschränktem Maße zulässig
z.B. geringfügige Verletzungen oder kurzfristige Freiheitsberaubungen können zur Abwehr einer gravierenden Leibes- oder Lebensgefahr zulässig sein
=> P.: Rechtsgut Leben
Rechtgut Leben ist einer Abwägung nicht zugänglich
Quantitative Aufrechnung „Leben gegen Leben“ ist nicht möglich
= Grundsatz des absoluten Lebensschutzes
Tötung eines Menschen kann nicht über § 34 StGB gerechtfertigt sein
Aber: Möglicherweise Entschuldigung gem. § 35 StGB
z.B.: Bergsteigerfall: A + B können sich retten, indem sie C vom Seil abschneiden, der wenig später sowieso gestorben wäre
§ 32 StGB (-): bereits kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff
§ 34 StGB (-): quantitative Abwägung von „Leben gegen Leben“ nicht möglich
Dass C ohnehin gestorben wäre ist eine unbeachtlich hypothetische Kausalerwägung
z.B.: Bei der Tötung eines Haus- oder Familientyrannen, wenn die Angriffsschwelle von § 32 StGB im konkreten Fall nicht überschritten wurde
=> Beachte: Grad der drohenden Gefahr
Grad der drohenden Gefahr sowohl für das geschützte Rechtsgut als auch für das beeinträchtigte
Art, Ursprung und Nähe der Gefahr berücksichtigen
Art und Umfang der drohenden Werteinbußen berücksichtigen
Grad der Wahrscheinlichkeit berücksichtigen
Bei nur geringer Wahrscheinlichkeit darf ein anderes Rechtsgut nur dann vernichtet werden, wenn sein Eigenwert gering ist
Auch Chance einer Rettungshandlung prüfen
Bei qualitativ gleichartigen Verlusten: den quantitativ größeren Verlust berücksichtigen
z.B. bei Vermögensverlusten
Nicht beim Rechtsgut Leben!
Berücksichtigen, ob es sich m einen Defensiv- oder Aggressivnotstand handelt
Defensivnotstand lässt qualitativ und quantitativ weitergehende Beeinträchtigungen zu
Bsp.: A erleidet Herzinfarkt. Nächstes Krankenhaus über 30km entfernt und kein Handyempfang. B fährt den A trotz seiner ihm bekannten Fahruntüchtigkeit (Grenze bei 1,1 Promille) ins Krankenhaus und rettet ihm so das Leben. Strafbarkeit gem. § 316 I StGB?
TB (+)
Vorsatz (+) ➔ Fahruntüchtigkeit ist bekannt
Rechtfertigung gem. § 34 StGB?
Notstandshilfelage (+)
Notwendigkeit (+) ➔ keine alternativen Rettungsmaßnahmen
Interessenabwägung:
Allgemeine Verkehrssicherheit vs. das Leben des A
§ 316 I StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt
Rettungsmaßnahme auch dringend erforderlich
Somit: Rechtfertigung gem. § 34 StGB (+)
Angemessenheit
Rechtfertigung nur dann, wenn das Verhalten des Notstandstäters nach den anerkannten Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem Recht entsprechende Lösung der Konfliktlage erscheint
Str., ob als eigener Prüfungspunkt zu prüfen ➔ h.M.: eher (-), da keine eigenständige Bedeutung neben der Interessenabwägung
Fallgruppen:
Besondere Gefahrtragungspflichten
Verstoß gegen oberste Rechtsprinzipien
Nötigungsnotstand
=> Fallgruppe: Besondere Gefahrtragungspflichten
Rechtfertigung gem. § 34 StGB (-), wenn dem Täter zugemutet werden kann, die Gefahr zu tragen
Arg.: Wenn nach § 35 S. 2 Alt. 2 StGB selbst die Entschuldigung ausgeschlossen ist, muss erst recht die Rechtfertigung ausgeschlossen sein
Gilt für Personen, die aufgrund ihrer Berufsstellung oder aufgrund ihrer persönlichen Stellung dazu verpflichtet sind, bestimmte Gefahren auf sich zu nehmen
Soldaten, Feuerwehrmänner, Polizisten
Personen, die Garantenpflichten nach § 13 I StGB treffen
P.: Personen, die die Notstandssituation vorwerfbar herbeigeführt haben
Teilw.: Keine Rechtfertigung gem. § 34 StGB
Arg.: Selbst Entschuldigung entfällt gem. § 35 I S. 2 Alt. 1 StGB
a.A.: Rechtfertigung (-) wegen fehlendem Rechtfertigungswillen
=> Fallgruppe: Verstoß gegen oberste Rechtsprinzipien
Wenn es ein abschließend geregeltes Verfahren bei einem bestimmten Eingriffsrecht gibt: Rückgriff auf § 34 StGB nicht möglich
Grund: Grundsatz der Spezialität
z.B.: § 136a StPO: Verbotene Vernehmungsmethoden; Beweisverwertungsverbot
Verbietet bestimmte staatliche Zwangsmaßnahmen
Konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip und Art. 1 I GG
Weiterer Güterabwägung nicht zugänglich
=> P.: Kann jemand zu einer Zwangsblutspende gezwungen werden, um damit das Leben einer anderen Person zu retten?
Wenn der unfreiwillige Spender eine Garantenstellung ggü. der lebensbedrohten Person hat: Bereits Notwehr gem. § 32 StGB (+), da Unterlassen in diesem Fall einen Angriff darstellt
Leben vs. körperliche Unversehrtheit ➔ Rechtsgut Leben überwiegt grds.
Aber: Art. 1 I GG
h.M.: Zwangsblutspende verstößt gegen fundamentale Rechtsprinzipien ➔ Körper darf nicht als „Ersatzteillager“ objektiviert werden
Arg.: Einheit der Rechtsordnung
a.A.: Grenze ist bei Blutentnahmen noch nicht überschritten
Arg.: Deshalb ist auch § 81a I StPO verfassungskonform
=> Fallgruppe: Nötigungsnotstand
= Täter lässt sich zur Abwendung eines ihm angedrohten oder zugefügten Übels zum Werkzeug eines rechtswidrig handelnden Dritten machen
z.B. A droht dem B mit Tötung, wenn dieser nicht einen Juwelier bestiehlt
Notwehr gem. § 32 StGB kommt hier nicht in Betracht, da es um den Eingriff in die Rechtsgüter eines unbeteiligten Dritten geht
Rechtfertigung gem. § 34 StGB möglich?
h.M.: § 34 StGB (-)
teilw. Arg.: Genötigter handelt selbst auf der Seite des Unrechts
(-): Frage nach Recht und Unrecht soll hier gerade erst geklärt werden
Teilw. Arg.: Sonst würden die Rechte des Dritten, in dessen Rechtsgüter eingegriffen werden, unangemessen beschränkt
Dritter würde sein Notwehrrecht verlieren, wenn der Genötigte nicht rechtswidrig handelt
Arg.: Es kommt weiterhin eine Entschuldigung in Betracht
a.A.: § 34 StGB ist nicht von vornherein ausgeschlossen, insb. wenn es sich um geringe Beeinträchtigungen zum Schutze von hochrangigen Rechtsgütern geht
(-): Auch mit § 35 StGB können angemessene Ergebnisse erzielt werden
(-): Interessen des betroffenen Dritten: Sonst verbliebe ihm teilweise kein Notwehrrecht
Subjektives Rechtfertigungselement (Rettungswille)
Der Täter muss handeln, um die Gefahr von sich oder einem bedrohten Anderen abzuwenden
= Rettungswille
Rettungswille darf neben anderen Motiven nicht völlig zurücktreten
Ähnliche Probleme wie beim subjektiven TB der Notwehr
z.B.: Putativnotwehr ➔ Wenn der Täter fälschlicherweise von einem SV ausgeht, bei dessen Vorliegen er gem. § 34 StGB gerechtfertigt wäre
= Erlaubnistatbestandsirrtum
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