Juristische Argumentationstechnik
-> Allgemeines
1. Analogie und Umkehrschluss
2. Teleologische Extension und Reduktion
3. Erst-recht-Schluss
4. Argumentum ad absurdum
5. Negatives Argument
6. Gegenakt (actus contrarius)
Analogie
Analogie (argumentum a simile)
= Anwendung eines anderen Rechtssatzes auf eine ungeregelte/ lückenhaft geregelte Situation
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Beispiel: Widerspruch gegen Verkehrszeichen
§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO: „Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung.“
§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO: „Die aufschiebende Wirkung entfällt nur bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten."
· Analogie zu § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO: Widerspruch gegen ein Verkehrszeichen hat keine aufschiebende Wirkung
-> Vorraussetzungen der Analogie
1. Kein Analogieverbot
Vgl. Art. 103 Abs. 2 GG fürs Strafrecht,
Auch im Steuer- und öffentlichen Recht für staatliche Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers
2. Planwidrige Regelungslücke (der Gesetzgeber hat etwas übersehen)
3. Rechtsähnlichkeit und gleichartige Interessenlage der geregelten und der ungeregelten Situation
-> Vorgehen bei Analogie
1. Feststellen, dass konkreter Sachverhalt nicht unter die Norm subsumiert werden kann und deshalb die Analogie erforderlich ist
2. Behauptung der Teilgleichheit
Normzeck der anzuwendenden Norm ermitteln
Ähnlichkeitsargument (argumentum a simile)
Erst-recht-Schluss (argumentum a maiore ad minus und argumentum a minore ad maius)
3. Verfassungsrechtlicher Gleichheitssatz -> Gleiches muss gleichbehandelt werden
Umgehungsargument und Unbilligkeit
4. Schließen der Regelungslücke
Umkehrschluss
aus dem Vorhandensein einer (Spezial-)Regelung wird gefolgert, dass alle anderen Fälle nicht erfasst sein sollen
dass bestimmte Fälle nicht erfasst sein sollen, ist also keine planwidrige Regelungslücke, sondern bewusste Entscheidung des Gesetzgebers
Beispiel:
zivilrechtliche Gefährdungshaftung (= verschuldensunabhängige Haftung) gilt nur, wo sie geregelt ist (z. B. für Haustiere)
· Analogie oder Umkehrschluss? → Wertungsfrage
Teleologische Extension
wird angewendet, wenn der Gesetzgeber „nicht genug" geregelt hat
vorhandene Norm wird ihrem Zweck folgend auch über den Wortsinn hinaus ausgedehnt, um dem Zweck zur Geltung zu verhelfen
Abgrenzung zur Analogie (wichtig bei Analogieverboten):
bei der Analogie gibt es keine Auslegungsgrundlage, da eine Regelung bisher fehlte
bei der teleologischen Extension ist ein „Grund-Tatbestand" vorhanden
§ 157 BGB: „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern." → Wortlaut = „Verträge"
aktuelle allgM: Alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen erfasst! (z. B. Anfechtung, ohne das Wort Anfechtung verwendet zu haben)
Teleologische Reduktion
Voraussetzung: „Der Gesetzgeber hat zu viel geregelt." – überschießende Regelung, Zweck überfüllt
§ 258 StGB: „Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer ... bestraft wird, wird .. bestraft.“
Der Verteidiger vereitelt die Bestrafung, wenn er Erfolg hat! Das ist ja auch seine Aufgabe
Zusätzliche Einschränkung durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „... und nicht in zulässigem Maße als Verteidiger handelt…“
Erst-recht-Schluss
Erst-recht-Schluss (argumentum a fortiori) besteht aus Vergleich der Größenverhältnisse:
1. argumentum a maiore ad minus: Schluss vom Größeren auf das Kleinere
Beispiel: Wenn eine Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel sogar auflösen dürfte, darf sie erst recht Auflagen verhängen (Art. 8 Abs. 2 GG).
2. argumentum a minore ad maius: Schluss vom Kleineren auf das Größere
Beispiele:
Wenn es verboten ist, zu zweit auf einem Rad zu fahren, ist es erst recht verboten, zu dritt darauf zu fahren.
Art. 14 Abs. 3 GG gewährt dem rechtmäßig Enteigneten Entschädigung.
-> Dann muss das erst recht für rechtswidrige Enteignungen gelten.
Argumentum ad absurdum
Hinweis auf unsinnige Folgen
Funktionsprinzip: Die (Fern-)Folgen einer rechtlichen Regelung werden (oft übertrieben) dargestellt, um ihre Unsinnigkeit zu beweisen.
Wenn ein Autohändler ungebeten ein Kärtchen ans Autofenster steckt und man anschließend das Kärtchen einfach auf den Boden wegwirft, macht man sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig so die Stadt Kassel.
Argument dagegen: „Dann könnte ja auch jemand Atommüll vor meine Haustür stellen und ich müsste diesen entsorgen. Das kann nicht sein!"
Negatives Argument
= argumentum negativum
Funktionsprinzip: Es gibt kein Argument für die eine Ansicht; aber aus dem Fehlen von Argumenten für eine andere Ansicht wird auf die Bestätigung der ersten Ansicht geschlossen. Typische Formulierung: „Es ist kein Grund ersichtlich, ..."
„Es ist kein Grund ersichtlich, OHG und KG als Personengesellschaften, die aus natürlichen Personen bestehen, die Berufung auf Grundrechte zu verwehren, wenn schon die den natürlichen Personen noch ferner stehenden juristischen Personen sich auf Grundrechte berufen können."
Gegenakt (actus contrarius)
bestimmte Rechtmäßigkeitsanforderungen, die für eine bestimmte Maßnahme gelten, sind ebenfalls beim „Gegenakt" (= actus contrarius) einzuhalten
Gegenakt = Akt, der eine bestimmte Maßnahme wieder aufhebt
spielt vor allem bei formellen Voraussetzungen wie Zuständigkeit, Verfahren und Form eine Rolle
Bedarf ein Gesetz der Zustimmung des Bundesrates, so ist auch das Aufhebungsgesetz zustimmungsbedürftig.
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