Buffl

Verwaltungs- und Haushaltsreformen

MG
by Maya G.

Neue Politische Ökonomie


-Die Neue Politische Ökonomie (NPÖ) versucht politische Prozesse überwiegend mit Hilfe von wirtschaftswissenschaftlichen Methoden und Modellen zu verstehen und ist die dominierende Betrachtungsweise von Politik und Verwaltung in den finanzwissenschaftlichen Lehrbüchern (Blankart 2006). Daneben hat sie sich auch als eine zentrale theoretische Perspektive in der Politikwissenschaft fest etabliert . Die NPÖ besticht durch ihre theoretische Stringenz und die Möglichkeiten zur Prognose, hat aber zumindest in den anfänglichen Ansätzen nur begrenzte empirische Bezüge und Evidenz. Die NPÖ weist Politik und Verwaltung überwiegend die Rolle zu, öffentliche Güter zur Verfügung zu stellen, von denen anders als von privaten Gütern auf dem Markt Individuen kaum ausgeschlossen werden können. Wer den Kaufpreis für einen Porsche nicht aufbringen kann, bekommt auch keinen. Wer aber sein Kind nicht auf eine private Schule schicken kann, hat dennoch ein Anrecht auf öffentliche Bildung, auch wenn in der Bildungspolitik in den letzten Jahren die Ökonomisierung durch Studiengebühren in begrenztem Maße Einzug gehalten hat


-Die Produktion und Bereitstellung dieser öffentlichen Güter folgen aus dieser Perspektive dem Leitbild des homo oeconomicus, wenn auch in anderen institutionellen Kontexten (repräsentative Demokratie und Bürokratie) als bei privaten Gütern. Die theoretischen Modelle der NPÖ (bzw. als Oberbegriff Rational-Choice-Modelle) setzen einen Menschen voraus, der gemäß seiner wenigen Ziele, die er verfolgt, die unterschiedlichen privaten und öffentlichen Güter in einem ausschließlich auf sich bezogenen Kosten-Nutzen-Vergleich der Reihenfolge nach ordnen kann. Dieser Mensch verhält sich rational auf dem „politischen Markt“ (sei es nun als Anbieter oder Nachfrager) und wählt immer diejenige Alternative, die in „seiner Präferenzenordnung den höchsten Rang einnimmt“ (Downs 1968: 6). Das hier zugrunde liegende Menschenbild widerspricht nicht nur den vermittelten Normen des politischen Systems der Bundesrepublik, sondern es ist auch nur begrenzt in der Lage, einige für das demokratische Gemeinwesen konstitutive politische Akte konsistent zu erklären (z.B. die Wahlbeteiligung3).

-Kritik: „Wenn dieses Konzept vom Individuum, das ausersehen ist, in sich die gesamte Wissenschaft zu enthalten [also in allen Lebenslagen rational abwägen zu können; L.H.] wenigstens der Wirklichkeit entsprechen würde! Aber die Ökonomen haben die Realität eingeengt, um die Dinge zu vereinfachen. Sie haben nicht nur von allen Umständen der Zeit, des Ortes und des Volkes abgesehen, um sich den abstrakten Typ des Menschen im allgemeinen vorstellen zu können, sondern sie haben außerdem in diesem Idealtypus selbst alles das vernachlässigt, was sich nicht strikt auf das individuelle Leben beziehen läßt, so daß ihnen von Abstraktion zu Abstraktion nichts weiter in den Händen geblieben ist als das traurige Bild eines reinen Egoisten“ (Durkheim 1981: 32).

-Für die Verwaltungs- und Politikwissenschaft erweisen sich diese reduktionistischen Annahmen der NPÖ als nützlich, um komplexe Akteurskonstellationen übersichtlich darstellen zu können und die letztendlichen Politikergebnisse in stark von Eigeninteressen beeinflussten Entscheidungssituationen und Politikfeldern, wie bei effizienzorientierten Verwaltungs- und Haushaltsreformen, möglichst einfach zu erklären. Einfache Erklärungen und sparsame Modelle sind komplexen Modellen immer vorzuziehen, solange ihre Erklärungskraft vergleichbar ist.

-Verschiedene Strategien der Akteure und die daraus resultierenden Handlungsketten können so mit der NPÖ relativ leicht „durchgespielt“ werden, ohne immer im Detail die Präferenzen der Akteure bei jeder Verwaltungs- und Haushaltsreform zuvor empirisch aufwändig erheben zu müssen. Insgesamt gehen nicht wenige Politikwissenschaftler davon aus, dass die Neue Politische Ökonomie „der umfassendste und vielversprechendste Ansatz der Modernen Politischen Theorie ist“ (Druwe 1995: 332).

-Damit dürfte die NPÖ auch für die empirisch orientierte Verwaltungswissenschaft eine sinnvolle Anleitung für die Analyse - gerade in Bezug auf den stark von Eigeninteressen geprägten Haushaltsprozess - bieten. Der Ansatz eignet sich vorwiegend für die Entwicklung von Hypothesen, die die kollektiven politischen Akteure und ihre Interessenlage in den Vordergrund stellen und die anschließend entsprechend dem empirisch-sozialwissenschaftlichen Verständnis unter Berücksichtigung anderer Erklärungsvariablen zu prüfen sind

-Die Neue Politische Ökonomie und das modellartig unterstellte Bild des homo oeconomicus kann somit als eine Perspektive genutzt werden, um unter dem Brennglas die öffentlich häufig verschleierten Interessen, Motive und Strategien im Zuge von Haushalts- und Verwaltungsreformen beschreiben und erklären zu können, ohne sie vorschnell zu verurteilen und damit die empirische Analyse abzubrechen

-Allerdings beziehen sich die Klassiker der Neuen Politischen Ökonomie weniger direkt auf die Untersuchung von effizienzorientierten Verwaltungsreformen (im engeren Sinne), sondern modellieren vorrangig die Probleme der Haushaltspolitik und des Haushaltsvollzugs, aus denen Verfassungsreformen abgeleitet werden. Diese Perspektive kann aber auch analog auf die empirische Analyse von effizienzorientierten Reformen in der Verwaltung angewendet werden.

Ausgabenexpansion durch gewählte Repräsentanten


-Der Schwerpunkt der Neuen Politischen Ökonomie lag zunächst nicht auf der Analyse der Effizienzprobleme von Verwaltungen, sondern ihr Interesse galt dem Verhältnis der Wähler und Abgeordneten bei der Bereitstellung von öffentlichen Gütern. Häufig war damit die Vermutung verbunden, dass die Politik entgegen den Präferenzen der Wählerschaft zu einem Überangebot an öffentlichen Gütern tendiert, das häufig mit steigenden öffentlichen Ausgaben und Haushaltsdefiziten einhergeht. Die Begrenzung dieser Ausgaben- und Verschuldungsexpansion insbesondere durch Verfassungsreformen ist eines der zentralen Anliegen der späteren wissenschaftlichen Arbeiten.

-Als Begründer der Modelle der Neuen Politischen Ökonomie, die sich auf das Verhältnis zwischen Politik und Wahlbürger beziehen, können vor allem Joseph Schumpeter und Anthony Downs gelten, deren Arbeiten später auch zur Erklärung von Haushaltsdefiziten herangezogen wurden.

-Charakteristisch für die Modelle der NPÖ ist, dass sie sich von der normativen Demokratietheorie bewusst abgrenzen und die Demokratie nur noch als eine Methode zur Auswahl der Regierenden ansehen (Röhrich 1991), ohne den Wählern weiterreichende Partizipationsmöglichkeiten einzuräumen.

-Die Wähler haben also kaum Anreize hohe Informationskosten in Bezug auf demokratische Prozesse einzugehen, um umfassend beispielsweise über den Haushaltsplan informiert zu sein. Sie sind in politischen Fragen „rationale Ignoranten“. Schumpeter definiert folglich die Demokratie wenig voraussetzungsvoll:

-Die „demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben“ (Schumpeter 1950: 428). Er kreiert damit das Bild des politischen Unternehmers, der aus blanken Eigeninteressen mit Wählerstimmen auf dem politischen Markt handelt wie andere Geschäftsleute beispielsweise mit Öl. Dabei sind die angebotenen Waren (die Parteiprogramme) für den einzelnen Politiker nur ein Mittel, das jederzeit austauschbar ist und dem Zweck des persönlichen Aufstiegs untergeordnet wird.

-Diese auf den ersten Blick zynische Rollendefinition des Politikers führt bei Schumpeter aber nicht dazu, dass er dem Politiker jedes Pflichtgefühl abspricht

Also auch unter den Bedingungen, dass Bürger und Politiker nicht immer besonders tugendhaft und gemeinwohlorientiert handeln, funktioniert die demokratische Methode. Zugleich schützt diese Minimaldefinition (Demokratie als Methode zur Auswahl der Regierung) vor überzogenen Erwartungen an die Demokratie und die Individuen, deren Enttäuschung zu Lebzeiten Schumpeters teilweise im Faschismus mündete.

-An diesen Gedanken knüpfte Anthony Downs an und postulierte, dass der Parteienwettbewerb fast automatisch zur Berücksichtigung der Mehrheit der Wählerpräferenzen führt. In einem der Einfachheit wegen zunächst unterstellten Zweiparteiensystem strebt der Politiker die absolute Mehrheit der Stimmen an und muss sein Angebot entsprechend der Nachfrage ausrichten. Bei zunächst modellmäßig unterstellter, umfassender Rationalität sind die Wähler in der Lage, die Partei zu wählen, deren Wahlprogramm am ehesten ihren Präferenzen entspricht, so dass die Partei keine lukrativen Regierungsämter erobert, die ausschließlich eine Minderheit vertritt.

-Für die Haushaltspolitik zieht Downs daraus folgende Schlüsse: Downs „Weil die Regierung in unserem Modell die ihr von den Wählern gegebene politische Unterstützung zu maximieren sucht, tätigt sie jene Ausgaben, die ihr die meisten Stimmen einbringen werden, und zwar mit Hilfe jener Finanzierungsmaßnahmen, die sie die wenigsten Stimmen kosten. Mit anderen Worten: die Ausgaben werden solange gesteigert, bis der durch die letzte ausgegebene Geldeinheit erreichte Stimmengewinn dem Stimmenverlust gleich ist, der durch die letzte, aus den staatlichen Finanzierungsquellen entnommene Geldeinheit verursacht wird“ (Downs 1968)

-Auch die von Downs in Übereinstimmung mit Schumpeter im Modell hinzugefügte Prämisse, dass die Wähler nicht vollkommen über den politischen Markt informiert sind, führt bei ihm nicht zu der Schlussfolgerung, dass die Staatsausgaben über die Präferenzen der Mehrheit der Wähler hinauswachsen könnten. Aus dem unvollkommenen Informationsniveau der Wähler resultiert im Gegenteil aus seiner Sicht eine Unterversorgung mit öffentlichen Gütern. Unterversorgung bedeutet, dass das staatliche Budget unter einem abstrakt bestimmten „korrekten Budget“ liegt, das wie folgt definiert wird: Das korrekte Budget ist dasjenige, „das sich aus einem demokratischen Entscheidungsprozeß dann ergeben würde, wenn Bürger wie Parteien vollständige Informationen über tatsächliche oder mögliche Regierungsmaßnahmen besäßen“

-Die These von der Unterversorgung bei Downs basiert auf der Annahme, dass die Bürger den Nutzen bestimmter Staatsausgaben gar nicht erkennen, während sie die Steuerbelastungen deutlich spüren. Die Wähler fragen also bei der jeweiligen Wahl weniger öffentliche Güter nach, als es ihren Bedürfnissen bei vollkommener Information entspräche. Insofern ist aus der Sicht von Downs das staatliche Budget in der Demokratie immer zu klein. Diese offensichtliche Differenz zwischen Theorie und Empirie hat viele Theoretiker der NPÖ dazu veranlasst, das Modell so weiter zu entwickeln, dass es im hinreichenden Maße die empirisch gegebenen Wachstumstendenzen des öffentlichen Sektors im letzten Jahrhundert erklärt. Dabei sind angelehnt an Downs zwei Versionen zu unterscheiden: Wachstumsmodelle bei vollkommener Information und Wachstumsmodelle bei eingeschränktem Informationsniveau der Wähler

Wachstumsmodelle bei vollkommenem Informationsniveau


-Wachstumsmodelle bei vollkommener Information implizieren im Sinne Downs ein „korrektes Budget“, wobei durch Zusatzannahmen eine kaum zu stoppende Wachstumstendenz unterstellt wird. Diese Tendenz kann bei vollkommenem Informationsniveau dadurch entstehen, dass die Mehrheit der Wähler kontinuierlich eine Minderheit ausbeutet, indem sie sich viele staatliche Leistungen zugute kommen lässt und die „Rechnung“ dafür der Minderheit präsentiert. Hierfür werden vor allem drei mögliche Verteilungskonflikte in der finanzwissenschaftlichen Literatur diskutiert.

-Robin-Hood-Effekt: Das erste Modell bezieht sich auf die Dimension der sozialen Schichtung, in der wenige Reiche einer Mehrheit aus Unterschicht- und Mittelschichtangehörigen gegenüberstehen. In diesem Modell wird der Progressionssatz der Einkommensteuer als Beispiel dafür angeführt, wie wenige Spitzenverdiener zugunsten breiter Einkommensschichten in dem Sinne „ausgebeutet“ werden, dass sie nur wenige öffentliche Leistungen erhalten, während das Preis-Leistungsverhältnis bei der Mehrzahl der Wähler viel günstiger ausfällt und deswegen die Wiederwahl der Regierung gesichert ist

—> Eine derartig konstruierte Ausgabenspirale impliziert allerdings, dass die Minderheit der Spitzenverdiener sich nicht zur Wehr setzen kann. Selbst wenn man unterstellt, dass diese Gruppe keinen besseren Zugang zur Politik hat als der durchschnittliche Wahlbürger, verbleiben mindestens vier Strategien jenseits des politischen Marktes: Abwanderung, Senkung der Besteuerungsgrundlage durch Leistungsreduzierung, Ausnutzen der Lücken des Steuerrechts sowie die Steuerhinterziehung. Alle vier Handlungsstrategien treffen den Staat empfindlich und verweisen auf das Swiftsche Steuereinmaleins, „daß zwei mal zwei in Steuersachen manchmal nicht vier, sondern nur eins ergibt“ (zitiert nach Schmölders 1970), dass also bei steigendem Steuersatz das Steueraufkommen trotzdem sinken kann, weil sich die Bemessungsgrundlage ändert. Es ist davon auszugehen - die Gültigkeit der Prämissen des homo oeconomicus vorausgesetzt -, dass die Politik diese Ausweichstrategien als Exit-Option antizipiert und demzufolge die Steuerbelastung der Spitzenverdiener nicht ständig in die Höhe schrauben wird

-räumliche Verteilungskonflikte:

Neben der Einkommensverteilung wird häufig auch die räumliche Dimension eines Ausbeutungsverhältnisses zwischen Mehrheiten und Minderheiten diskutiert. Um ein möglichst einfaches Beispiel aufzugreifen (Bernholz/Breyer 1994), sei angenommen, dass eine Kommune X sich aus drei gleich großen Wahlbezirken zusammensetzt. Die Wähler des Wahlbezirks A wünschen sich besonders stark ein neues Freibad, und die Wähler im Wahlbezirk B halten eine neue Turnhalle für unverzichtbar, wobei beide Infrastruktureinrichtungen in den jeweiligen Wahlbezirken liegen sollen. Die Ratsmitglieder aus diesen beiden Bezirken können bei dieser Konstellation eine „Sachkoalition“ eingehen und diese Infrastruktureinrichtungen von den Wählern des Wahlbezirkes C mitfinanzieren lassen. Damit können die Wähler der anderen beiden Bezirke einen Teil der Kosten externalisieren und sich so für Projekte einsetzen, die ohne den Finanzfluss von dem Wahlbezirk C für sie eine negative Kosten-Nutzen-Bilanz hätten.

—> Diese räumliche Dimension des Verteilungskonfliktes ist in ihren Auswirkungen auf die Haushaltsergebnisse aber wohl beschränkt. Auf Dauer wäre zum Beispiel zu erwarten, dass der Wahlbezirk C auch ein Bündnis mit einem der anderen Bezirke eingeht, so dass sich neue Verlierer ergeben würden. Diese Unsicherheit spricht vielmehr dafür, dass sich die regierenden Ratsmitglieder der verschiedenen Stadteile in ihren jeweiligen Parteien auf folgenden Verteilungskonsens (gerade im Gegensatz zum Mehrheitsprinzip) einigen: Alle Stadtbezirke bekommen nach einer bestimmten Reihenfolge einen Teil ihrer Wünsche erfüllt, damit kein Ratsmitglied bei seiner erneuten Kandidatur als schlechter Interessenvertreter seines Bezirkes dasteht.Dieser Verteilungsproporz, der die Ausbeutung von Minderheiten verhindern soll, kann auch Ausgabenwachstum induzieren bzw. Haushaltskürzungen erheblich erschweren

-Altersverteilung:

Eine weitere theoretisch mögliche Dimension des angesprochenen Mehrheiten-Minderheiten-Konflikts ist die Altersverteilung der Wählerschaft. Bilden die etwas älteren Wähler, die glauben, von den Folgen der Verschuldungspolitik der jeweiligen Regierung nicht mehr so stark betroffen zu sein, die Mehrheit, so könnten sie die jüngere Generation ausbeuten. Sie konsumieren im Übermaß staatliche Leistungen in der Gegenwart, in dem Wissen, dass sie die durch Verschuldungspolitik induzierten Steuererhöhungen in den nächsten Perioden nicht mehr voll treffen werden. Hiergegen lässt sich allerdings einwenden, dass die älteren Generationen häufig ebenso um die eigene Wohlfahrt bemüht sein dürften, wie um die ihrer Kinder und Enkel. Anders ließen sich auch nicht die zunehmend hohen Erbschaften erklären. Der hier deutlich werdende „intergenerative Altruismus“ steht also offensichtlich diesem rationalen Wachstumsmodell entgegen, wobei dieser allerdings gefährdet werden könnte, durch zunehmende Kinderlosigkeit, räumliche Mobilität, Individualisierung und die Erodierung der Mehrgenerationenfamilie


—> Allgemeiner kann man daraus schließen, dass mit dem wachsenden Anteil der Bezieher von Transfereinkommen der Veränderungsdruck durch expansive Ausgaben steigt, aber zugleich auch das Widerstandspotential gegen Reformen bei Wahlen auf allen föderalen Ebenen wachsen könnte. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte erstens - zumindest kurzfristig - die Finanzierung der Ausgabenexpansion über Staatsverschuldung bieten. Zweitens, und das erklärt die politische Attraktivität binnenorientierter Verwaltungsreformleitbilder, wie beispielsweise des Neuen Steuerungsmodells, könnten die Repräsentanten die Verwaltungskosten reduzieren und damit die Ausgabenexpansion begrenzen, ohne damit die Transfereinkommen mit den erwartbaren elektoralen Widerständen kürzen zu müssen. Solange der Anteil der Bezieher von Transfereinkommen deutlich höher ist als der Anteil der öffentlichen Beschäftigten auf dem „Wählermarkt“, wäre es aus der Perspektive des politischen Unternehmers rational, eher Personalabbau in öffentlichen Verwaltungen zu fordern, als massenwirksame Transfereinkommen, wie die Rente, massiv zu kürzen.

Wachstumsmodelle bei unvollkommenem Informationsniveau

-Fiskalillusion: Am prominentesten ist der Ansatz von Buchanan/Wagner zur Erklärung des Abweichens vom sog. korrekten Budget. Die Autoren gehen davon aus, dass viele Wähler einer Fiskalillusion unterliegen: Fiskalillusion „Our summary hypothesis is that complex and indirect payment structures create a fiscal illusion that will systematically produce higher levels of public outlay than those that would be observed under simple-payment structures“ (Buchanan/Wagner 1977).

-Gerade „die Eigenart der Steuer als Zwangsabgabe ohne Anspruch auf Gegenleistung“ führt zu dieser prekären Akzeptanz (Schmölders 1970). Die öffentliche Verschuldung dürfte bei den Finanzierungsarten den wenigsten Widerstand hervorrufen und zwar nicht in dem Sinne, dass die Wahlbürger eine steigende öffentliche Verschuldung befürworten würden, sondern dass sie das Problem nicht so stark wahrnehmen. Dabei ähnelt die Wahrnehmung der Verschuldung stark dem von Böhret (1990) für die Umweltpolitik entwickelten Modell der schleichenden Katastrophe: Ein Problem wird aufgrund seiner sehr langfristigen Folgen kaum als solches wahrgenommen, und wenn es dann endlich auf der politischen Tagesordnung steht, sind durch kumulative Prozesse (hier der „Zinses-Zins-Effekt“) die Handlungsressourcen geschrumpft. Zukünftig aufgrund der Schuldenaufnahme notwendige Steuererhöhungen werden vom Wähler in der Regel nicht dieser Ursache zugeschrieben.

-Außerdem werden von vielen Autoren die Rolle des Keynesianismus – und damit der Einfluss von Ideen und Ideologien auf die Haushaltsergebnisse – hervorgehoben. Der Keynesianismus delegitimierte besonders in den 1960er und 1970er Jahren eine eher vorsichtige Haushaltspolitik nach dem Motto „man kann als Staat genauso wie der private Haushalt nur das ausgeben, was man hat“. Die Schuldenaufnahme galt somit speziell in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht als unverantwortbares Wagnis, sondern als weitsichtige wirtschaftspolitische Maßnahme, um die Konjunktur anzukurbeln (antizyklische statt prozyklische Haushaltspolitik). Selbstverständlich sollten die Schulden anschließend in der Hochkonjunktur wieder getilgt werden, so dass langfristig mit keinem Anstieg der Verschuldung gerechnet werden musste. Die Modelle der NPÖ erklären aber, warum es in der Regierungspraxis fast nie zum Schuldenabbau in Phasen der Hochkonjunktur kam, woran die antizyklische Globalsteuerung der 1970er Jahre u.a. auch gescheitert ist: Der politische Unternehmer wird „bei einem Boom in einem Wahljahr kaum eine Kürzung der Ausgaben und eine Erhöhung der Steuern vornehmen, da die negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen viele Wähler fast unmittelbar treffen, während die positiven Auswirkungen sich erst nach den Wahlen bemerkbar machen“

-Für die mangelnde Beachtung des Schuldenstandes in der Hochkonjunkturphase spricht außerdem, dass, wenn es den privaten Haushalten relativ gut geht, wahrscheinlich gleichzeitig das Interesse an staatlicher Haushaltspolitik zurückgeht, weil man keine Krisenintervention des Staates für nötig hält (Franz 1985: 494).

-Keynesianismus

Gerade aber in der Krise setzt sich der Keynesianismus für eine weitere Kreditaufnahme ein, während er in Zeiten, in denen die Verschuldung kein öffentlich wahrgenommenes Problem ist, die Schulden tilgen will. Insgesamt hat also der Keynesianismus die psychologischen und politisch-institutionellen Rahmenbedingungen der Haushaltspolitik vernachlässigt und dadurch auch zum Schuldenwachstum in den westlichen Industrieländern beigetragen

-Ein weiterer Ansatz der NPÖ zur Erklärung der hohen Staatsausgaben knüpft an die Ergebnisse der Keynesianismusdiskussion an und beschäftigt sich mit sog. „politischen Konjunkturzyklen“. Das Modell setzt eine stark vereinfachte Verknüpfung zwischen dem politischen und wirtschaftlichen System voraus: „Die Wähler beurteilen die Regierung u.a. nach ihren Erfolgen in der Wirtschaftspolitik, d.h. das Überleben der Regierung hängt in hohem Maße von der Wirtschaftslage ab. Die Regierung wird deshalb die ihr zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Instrumente mit dem Ziel einsetzen, wiedergewählt zu werden und an der Macht zu bleiben“ (Frey 1980: 530). Da es sich die Regierung aber nicht leisten kann, diese Instrumente dauerhaft einzusetzen, wird sie ausschließlich kurz vor der Wahl massiv in den Wirtschaftskreislauf intervenieren, so zumindest die Theorie. Aus dieser Strategie ergibt sich vor jeder Wahl eine günstigere Konjunkturlage, so dass man hierbei auch von politischen Konjunkturzyklen spricht. Durch diese in der Regel schuldenfinanzierten Ausgaben kurz vor Wahlen kann es aber auch zu einem sukzessiven Ansteigen der Schulden kommen, wenn diese aufgrund der Anreize der politischen Unternehmer nicht zu einem anderen Zeitpunkt der Legislaturperiode zurückgezahlt wird, wie es die Ergebnisse der Keynesianismusdebatte zumindest nahe legen

-Zudem dürfte es der Wählerschaft sehr schwer fallen, die indirekten Kosten von „Wahlgeschenken“ und Verschuldung einzuschätzen. So spielen beispielsweise die Unterhaltskosten von öffentlichen Investitionen in der medienvermittelten öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Weiterhin kommen Folgekosten aufgrund von sehr komplexen sozialen Prozessen zustande, die der Wähler nur schwer in sein Kalkül einbeziehen kann. Hierfür ist die Zerstörung freiwilliger, ehrenamtlicher Leistungen durch expansive finanzielle Anreize von Seiten des Staates ein anschauliches Beispiel

-Ausgehend von Downs, der bereits konzedierte, dass der Wähler in unterschiedlichen Rollen agiert, vor allem in der des Einkommensbeziehers und der des Konsumenten , wird in der Literatur schon früh davon ausgegangen, dass der Wähler die Forderungen, die er als Konsument an den Staat stellt, nur selten in Relation setzt zu seinen Wünschen als Einkommensbezieher und Steuerzahler. Viele Bürger hätten demnach keine widerspruchsfreie Präferenzordnung. Dies führt dazu, dass die politischen Unternehmer mit divergierenden Vorstellungen der Wähler konfrontiert werden. Viele Wähler setzen sich für eine Ausweitung (bzw. zumindest gegen einen Abbau) der Staatstätigkeit ein und wünschen gleichzeitig eine Steuerentlastung. Die politischen Unternehmer werden unter der Bedingung, dass sich die Wünsche nach Aufgabenwachstum stärker öffentlich artikulieren als die nach Steuersenkung, das Wachstum staatlicher Leistungen forcieren bzw. zumindest den radikalen Abbau von Leistungen im Zuge der Haushaltskonsolidierung in der repräsentativen Demokratie möglichst unterlassen

Wachstumsmodelle und Gefangenendilemma im Mehrparteiensystem


-Im Mehrheitswahlsystem werden die Abgeordneten durch die Mehrheit der Wählerstimmen in ihrem Bezirk gewählt, während die Stimmenanteile der unterlegenen Kandidaturen nicht in die Vergabe der Parlamentsmandate eingehen. Daher findet häufig eine Konzentration auf wenige Parteien statt, die ihre Kandidaten hinreichend bekannt machen und viele Wähler mobilisieren können. Beim Verhältniswahlrecht sollen demgegenüber alle Wählerstimmen anteilig repräsentiert werden. Wer 20% der Wählerstimmen errungen hat, soll auch ungefähr 20% der Parlamentssitze erhalten, so dass die Erfolgschancen von kleineren Parteien deutlich höher sind

-Zunächst gelten die für das Zweiparteiensystem aufgezeigten Wachstumsmechanismen im Wesentlichen auch für das Mehrparteiensystem mit Verhältniswahlrecht. Allerdings sind hierbei zwei Spezifika des Mehrparteiensystems zu berücksichtigen: zwei Spezifika Erstens sind die Informationskosten für den Wähler höher, weil er die verschiedenen Koalitionsoptionen der Parteien in sein Kalkül einbeziehen muss. Legen sich Parteien immer seltener vor der Wahl auf Koalitionspartner fest, wie es in den letzten Jahren in der Bundesrepublik in einem mit der Partei „Die Linke“ schwer kalkulierbaren Fünf-Parteien-System zunehmend der Fall zu sein scheint, ist es schwer für die Wählerschaft ex-ante die Parteipräferenz entsprechend ihrer Kosten-Nutzen-Kalküle zu bestimmen. Auch der Rückblick auf die Politik der jeweiligen Regierungskoalition erleichtert die Auswahl nur bedingt, weil die einzelnen politischen Maßnahmen zum Teil nur schwer den Leistungen eines einzelnen Koalitionspartners zu zuordnen sind.

-Zweitens verändert sich in Mehrparteiensystemen Downs zufolge auch das Angebotsverhalten der Parteien. Die Parteien in einem Mehrparteiensystem bemühen sich aus seiner Perspektive „in ihren politischen Konzepten relativ eindeutig zu sein, da jede von ihnen nur einen geringen Teil der Wähler direkt anspricht“ (Downs 1968: 157). Gleichzeitig sind sie aber zu Kompromisslösungen in Koalitionen in der Regierungsphase gezwungen, um mit Mehrheit Regierungsämter erobern zu können und einen Teil ihrer politischen Programmatik umsetzen zu können. Dabei sollten sie aber um Stimmen bei der nächsten Wahl wieder maximieren zu können, nicht „die Gunst der um ihren eigenen Parteistandort gescharten Wähler“ durch zu große Eingeständnisse gefährden. Damit kann die Kompromissbildung von Parteien in Koalitionen dazu führen, dass die Staatsausgaben langfristig wachsen. Weil die Koalitionsparteien ihren jeweiligen Wählern zeigen wollen, dass sie die Wählerinteressen effektiv vertreten, müssen sie für ihre Klientel möglichst viele Leistungen in den Koalitionsverhandlungen herausholen

Die einfachste Form des Kompromisses ist es also für die Parteien, das Budget auszuweiten und die dafür benötigten Einnahmen möglichst für den Wähler kaum „fühlbar“ über höhere Schulden zu beschaffen (siehe Fiskalillusion).

-Aus theoretischer Perspektive wird die Situation von Koalitionsparteien in vereinfachter Form häufig als Gefangenendilemma dargestellt. Das Gefangenendilemma beschreibt eine Situation, in der individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv betrachtet suboptimalen Ergebnissen führen und ist eine der bekanntesten Konstellationen, die in der Spieltheorie behandelt werden. Auf ähnliche Konfliktkonstellationen wird weiter unten noch im Zusammenhang mit der Kollektivgut- und Allmendeproblematik einzugehen sein. Koalitionsparteien im Gefangenendilemma Die Spieltheorie als einer der prominentesten Rational-Choice-Ansätze hat sich zur Beschreibung der Interaktion zwischen Akteuren in vielen Bereichen der Wirtschafts- und Politikwissenschaft durchgesetzt.

-Bei dem Gefangenendilemma wurde ursprünglich als Beispiel die Situation von zwei isolierten Häftlingen in Verhörzellen zugrunde gelegt, die im Kern bei Berücksichtigung des erwartbaren Handelns des jeweils anderen nicht zusammen kooperieren, um durch gegenseitiges Leugnen straffrei auszugehen. Sie handeln damit angesichts des möglichen Handelns des anderen Gefangenen individuell durchaus rational, aber verfehlen deutlich das kollektive Optimum. Bezogen auf die Situation von zwei Koalitionspartnern in Haushaltsberatungen bedeutet das Gefangenendilemma, dass die Koalitionsparteien zwar einig sein können, dass die Staatsverschuldung zurückgeführt werden soll, aber sie können bei einer konkreten Konsolidierungspolitik nicht kooperieren, weil sie jeweils ihre Budgetposten und präferierten Ausgaben nicht kürzen wollen . Auch wenn man mehrere Budgetentscheidungen im Zeitablauf zugrunde legt5, können dadurch zwar die Kooperationschancen steigen, aber insbesondere wenn, wie im föderalen System der Bundesrepublik, fast jedes Jahr wichtige Wahlentscheidungen anstehen, ist die Kompromissfähigkeit der Koalitionspartner auch zu ungunsten ihrer Klientel zu sparen, durchaus limitiert.

Institutionelle Reformvorschläge


-Eine Veränderung der Präferenzen von politischen Unternehmern lediglich durch normative Appelle ist demgegenüber aus der Rational-Choice-Perspektive ausgeschlossen. Die politischen Unternehmer folgen unabhängig von Appellen ihren Interessen und werden aus dieser Perspektive zwingend weiter die Staatsverschuldung erhöhen, wenn sie davon ausgehen, dass durch Verschuldung (anstelle von Sparpaketen) ihre Wiederwahl wahrscheinlicher wird. Einzig Institutionen als veränderbare Restriktionen sind deshalb zur Beeinflussung des Verschuldungsverhaltens der politischen Unternehmer geeignet. Um den expansiven Steuer- und Schuldenstaat zu „fesseln“, werden traditionell in der Neuen Politischen Ökonomie Verfassungsbarrieren bzw. Grenzen für Verschuldung empfohlen, wie sie für die EU im Zuge der Währungsunion und neuerlich nach der Föderalismusreform II in Form einer Schuldenbremse für Bund und Länder eingeführt wurden. Im Parteienwettbewerb sollen durch diese institutionellen Grenzen die Parteien keinen Nachteil mehr haben, die auf Haushaltskonsolidierung und nicht auf Schuldenexpansion setzen. Amtierende (und zukünftige) Regierungen „lassen sich gewissermaßen die Hände von außen binden, so dass ihre Wiederwahlchancen durch „erzwungene“ Steueranhebungen oder Ausgabeneinsparungen nicht geschmälert werden

-Allerdings lässt sich hiergegen berechtigt einwenden, dass Verfassungsbarrieren wohl nur im begrenzten Maße starke und vor allem ihrem kurzfristigen Interesse verpflichtete Akteure fesseln können: „Keine Haushaltsregel kann politische Akteure dazu zwingen, etwas zu begehen, was sie für politischen Selbstmord halten und politische Akteure werden keine Haushaltsregeln verabschieden, die sie und andere dazu zwingen, politischen Selbstmord zu begehen“ (Hildebrandt 2009

-Demnach legen die politischen Akteure bereits im Entstehungsprozess von haushaltspolitischen Institutionen häufig die Grundsteine und „Schlupflöcher“ zu ihrer Verletzung, auch um eine gewisse politische Flexibilität zu konservieren. Schlupflöcher Auch die direkte Demokratie wird als prozedurale Restriktion zur Vermeidung expansiven Verschuldungsverhaltens von politischen Unternehmern diskutiert. Für die Schweiz wurde für die subnationale Ebene festgestellt, dass in Gemeinden mit Elementen direkter Demokratie das Ausgabenniveau signifikant niedriger ist als in Gemeinden mit ausschließlich repräsentativen Strukturen

-Während in der repräsentativen Demokratie vor allem die expansiven Ausgabenpräferenzen der Wähler über den Parteienwettbewerb befördert werden, führt die direkte Demokratie aus Sicht einiger Autoren dazu, dass die Ausgabenentscheidungen für die Bürger nachvollziehbarer mit der Einnahmenseite verbunden werden, wodurch sich die Ausgabenwünsche (und damit bedingt auch die Haushaltsdefizite) deutlich reduzieren (Feld/Kirchgässner 1998). Durch die direkte Demokratie wird so die Steuerzahler- und die Konsumentenrolle der Bürger zusammengeführt. Zudem sind durch die Elemente der direkten Demokratie die Anreizstrukturen für die Wähler günstiger, sich über aktuelle politische Fragen zu informieren. Insbesondere sind die Kosten, die durch die zur Abstimmung stehenden Maßnahmen verursacht werden, in der Regel bekannt

-In der aktuelleren Diskussion über die direkte Demokratie wird zudem hervorgehoben, dass in Teilbereichen des politischen Systems auch die von Schumpeter angenommene Elitenkonkurrenz in der repräsentativen Demokratie kaum gegeben ist. Zusätzliche politische Einkommen, die z. B. aus Beratungshonoraren, Parteienfinanzierung und Aufsichtratspositionen entstehen (Blankart 2006: 178), werden oftmals im Parteienkartell vergeben. Diese Absprachen bzw. stillschweigende Übereinkünfte zwischen Parteien dienen auch der Absicherung von politischen Karrieren auf der Kommunal-, Landes- und Bundesebene bzw. zur „Belohnung“ für Parteiaktivitäten, die insgesamt aber mit erheblichen Kosten für das politische System verbunden sein können. In diesem Sinne wird unter dem Begriff der Kartellparteien und „der politischen Klasse“ zunehmend hervorgehoben, dass im Bereich der Privilegien und Parteienfinanzierung der Parteienwettbewerb kaum vorhanden ist und damit die demokratische Methode in diesem Bereich versagt, was sowohl für die demokratische Legitimität als auch für die Effizienz des politischen Systems problematisch sein kann.

Ausgabenexpansion durch Bürokratien-Parkinson

-Auch die Bürokratiemodelle der Neuen Politischen Ökonomie gehen davon aus, dass die Akteure ihre rationalen Eigeninteressen konsequent verfolgen. Diese Eigeninteressen beziehen sich im Falle der Verwaltung zumeist auf die Ziele Einkommens-, Statusverbesserung und Arbeitsentlastung. Diese Sicht der Verwaltung widerspricht deutlich den Leitbildern der traditionellen Verwaltungswissenschaft in Deutschland. Diese wurden im wesentlichen von den idealtypischen Skizzen des modernen Verwaltungsapparates von Max Weber geprägt: Danach ist die moderne Verwaltung allen anderen Organisationsformen technisch überlegen, weil sie durch arbeitsteilige Organisation, durch klar geregelte Verantwortlichkeiten bzw. Befugnisse und durch hohe Ausbildungsstandards die ihr von der Politik zugewiesenen Aufgaben effektiv erledigt.

-in der NPÖ wird dieses Verhältnis von Verwaltung und Politik tendenziell umgekehrt. Die gewählten Repräsentanten halten ganz offensichtlich nicht den Beamtenapparat in ihren Händen, sondern dieser hat sich weitgehend unabhängig vom Gesetzgeber gemacht und folgt seinen eigenen Wachstumsgesetzen. Damit widersprechen sich allerdings die NPÖ-Modelle zur Bürokratie und Demokratie. Im Bürokratiemodell sind die Einflussmöglichkeiten der Wähler und der Repräsentanten weitgehend ausgeblendet, weil die Bürokratie unabhängig von den Wählerpräferenzen durch ihr Monopol zu einem nicht zu bremsenden staatlichen Ausgabenwachstum führt

-Der Satiriker Parkinson, der als „Vater der ökonomischen Theorie der Bürokratie“ gilt, hat diese Wachstumsmechanismen der Bürokratie mit dem Stilmittel der Übertreibung besonders deutlich hervorgehoben. Parkinson Er kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der Beamten und Angestellten in einem Verwaltungsapparat in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Arbeit steht, die den Bedarf der Bevölkerung an öffentlichen Dienstleistungen widerspiegelt. Die Verwaltung wächst unabhängig davon, ob die tatsächliche Arbeit wächst oder sinkt . Zu diesem Ergebnis gelangt er durch zwei Axiome: – Jeder Beamte will nicht die Zahl seiner Rivalen vermehren, sondern die seiner Untergebenen. – Die Beamten versorgen sich gegenseitig mit Arbeit. Das erste Axiom erklärt sich nach Parkinson aus der Vorstellung des Beamten, ständig überarbeitet zu sein und infolgedessen die Einstellung von neuen Sachbearbeitern zu fordern. Diese sollen dann seine Untergebenen sein, weil er sich selbst keine Konkurrenten schaffen will, falls der Stuhl des Vorgesetzten mal frei wird. Es empfiehlt sich nach Parkinson für ihn zumindest zwei Untergebene anzufordern

-Diese zwei Untergebenen fühlen sich ebenfalls bald überarbeitet und empfehlen wiederum für sich jeweils zwei Untergebene einzustellen. Spätestens jetzt wird ihr Vorgesetzter, der Ausgangspunkt der Überlegungen war, befördert, weil er die Arbeit so vieler Untergebener koordinieren muss. Das zweite Axiom erklärt zum Teil, warum sich die Beamten und Angestellten immer wieder überarbeitet fühlen. Danach beschäftigen sich die Beamten vor allem selbst, indem sie durch eine Flut von Anweisungen und Anträgen sich selbst legitimieren wollen.

-Aufstiegsinteressen: Weiterentwicklungen dieses Modell von Parkinson bezogen nicht nur das Gefühl des „Überarbeitetseins“, sondern von Anfang an auch die Aufstiegsinteressen der Beamten mit ein. Das Modell des Stellenkegels in der Verwaltung setzt voraus, dass der einzelne Beamte nur aufsteigen kann, wenn eine Stelle über ihm frei wird. Da die Vorgesetztenstellen nur in einer kleineren Anzahl vorhanden sind als die Stellen der jeweils Untergebenen (Stellenkegel) und die Fluktuation aufgrund lebenslanger Verbeamtung nicht sehr hoch ist, dauert es lange, bis man aufsteigen kann. Es sei denn, man verbindet seine Interessen mit denen der über einem stehenden Bürokratieschicht.

-Wie die Bürokratie ihre Expansionsbestrebungen gegenüber der Politik durchsetzt, beschreibt Parkinson nicht explizit. In seinen Schriften finden sich allerdings Hinweise auf zwei Steuerungsdefizite der Politik, die von der Bürokratie ausgenutzt werden können und die auch heute noch in Politik und Verwaltung

-beobachtet werden können. So geht er davon aus, dass Politiker sich mehr mit kleinen Summen beschäftigen als mit großen Haushaltsposten, oder noch prägnanter: „Die auf einen Tagesordnungspunkt verwendete Zeit ist umgekehrt proportional zur Größe der Summe, um die es geht“ (Parkinson 1994: 49). Wie es hierzu kommt, verdeutlicht Parkinson an einem Finanzausschuss, der sich mit der Anschaffung eines Fahrradständers befasst. „Die große Debatte läuft. Eine Summe von 350 Pfund ist in jedermanns Reichweite. Jeder weiß, wie ein Fahrradunterstand aussieht. Die Diskussion erstreckt sich über die nächsten 45 Minuten und kann möglicherweise zu einer Ersparnis von fünfzig Pfund Sterling führen. Schließlich lehnen sich die Mitglieder befriedigt zurück

-Übersteuerung im Detail und Untersteuerung bei großen Haushaltspositionen sind sicher keine wirksamen Mittel gegen die Ausgabenexpansion in Verwaltungen. Als zweites Steuerungsdefizit führt bereits Parkinson den Prozess der Haushaltsaufstellung an, der von unten nach oben verläuft und kaum wirksam im Detail kontrolliert werden kann: „Nach der Festlegung gegenwärtiger Kosten und zukünftiger Entwicklungen schlägt der erfahrene Staatsdiener 10 Prozent auf, weil erfahrungsgemäß (wenn eben auch nicht immer) die jährlichen Ressortforderungen höheren Ortes ohnehin wieder gekürzt werden, auf jeden Fall bei dem zu erwartenden Gerangel an der Ministeriumsspitze. Auf diese Schätzung schlägt der Minister seinerseits weitere zehn Prozent auf, weil erfahrungsgemäß (wenn auch nicht immer) die einzelnen Ressortforderungen vom Finanzministerium ohnehin wieder um zehn Prozent gekürzt werden“ (Parkinson 1994: 36). Diese verschlungenen Wege führen dazu, dass die Politik die realen Preise der Verwaltungsleistungen nicht erfährt und damit die Ausgabewünsche der Bürokratie nur schwer kontrollieren und begrenzen kann

Ausgabenexpansion durch Bürokraten- Niskanen & Downs


-Im Gegensatz zu diesem Bürokratiemodell sieht Niskanen (1971) nicht in der Expansion des Verwaltungspersonals das vorrangige Ziel des rationalen Bürokraten, sondern in der Budgetmaximierung. Mit der Höhe des Budgets hängen in den Verwaltungsorganisationen öffentliches Ansehen, Macht und Gehalt zusammen, die der rationale Bürokrat vermehren will. Auch in diesem Modell stellt sich die Frage, wie es den Verwaltungsmitarbeitern gelingt, die Expansion gegenüber den Politikern durchzusetzen, die mit dem parlamentarischen Budgetrecht die Höhe der öffentlichen Ausgaben bestimmen können und die in der Regel kein unmittelbares Interesse an der Verwaltungsexpansion haben. Die Beziehung zwischen Politik und Verwaltung beschreibt Niskanen als bilaterales Monopol, und er geht davon aus, dass die Verwaltungsmitarbeiter (im Gegensatz zu privaten Unternehmen im Wettbewerb) keinen Anreiz haben, einen bedarfsgerechten Output zu erstellen.

-Nach Niskanen dominiert die Verwaltung mit ihren Expansionsinteressen die Politik aus drei Gründen: – Die Verwaltungen tauschen den Gesamtoutput gegen das Gesamtbudget, d. h. es gibt keine Möglichkeit für die Politiker, lediglich bestimmte öffentliche Leistungen „einzukaufen“, weil sie vor die Wahl gestellt werden, alles oder nichts zu finanzieren. – Die Verwaltungen sind aufgrund früherer Haushaltsaufstellungsverfahren genau darüber informiert, wie viel die Politik zu zahlen bereit ist. – Und die Verwaltungen kennen die Produktionspreise öffentlicher Leistungen im Gegensatz zur Politik. Die Verwaltungen sind damit Optionsfixierer, die als Monopol gegenüber der Politik Preis und Menge in Paketofferten bestimmen. Dass diese pauschalen Bürokratiemodelle der NPÖ zunehmend kritisiert wurden, ist wenig überraschend. So wird zu Recht eingewandt, dass die Verwaltung kein monolithischer Block ist, der gegenüber der Politik einheitlich seine Interessen vertritt.

-Anthony Downs hat diese unterschiedlichen Akteursinteressen in Bürokratien bereits früh antizipiert und unterscheidet zwischen fünf Typen von Bürokraten, deren Motive auf einem Intervall zwischen den Extremen der Nutzenmaximierung und des Altruismus rangieren: Zu den stark eigeninteressierten Akteuren zählen die „Aufsteiger“ und „Bewahrer“ in der Bürokratie. Die Aufsteiger versuchen Macht und Einkommen zu vergrößern, während die Bewahrer lediglich den individuell erreichten Standard bei diesen Ressourcen konservieren wollen. fünf Typen von Bürokraten Zu den Bürokraten mit stärker gemischten Präferenzen gehören die „Eiferer“ und die „Anwälte“, die sich aus Eigeninteressen und Verpflichtung für die von ihnen zu vertretenden Politikfelder für Ausgabenexpansion einsetzen. Schließlich werden die „Staatsdiener“ als ausschließliche Vertreter des Gemeinwohls eingeordnet.

-Entsprechend diesen unterschiedlichen Motiven ergibt sich auch kein Automatismus zur Budgetexpansion. Überwiegen beispielsweise die Bewahrer in einem Amt, kann dies eher zur Budgetkonservierung beitragen. Zumindest dürfte danach aber bei vier von fünf Typen von Verwaltungsmitarbeitern mit massiven Widerständen beim Personal- und Leistungsabbau zu rechnen sein, während lediglich die Verwaltungsmitarbeiter als „Staatsdiener“ die Haushaltskonsolidierung forcieren könnten. Aber gerade dieser Typus von Verwaltungsmitarbeiter ist nach Downs empirisch seltener vertreten, so dass ein überwältigender Anteil der Bürokraten Budgetexpansion bzw. -konservierung in ihrem Aufgabenbereich anstrebt.

-Die Chancen der Politik die Ausgabenexpansion der Bürokratie zu beschränken, sieht Downs zumindest als begrenzt an, wobei er detaillierter die Mechanismen der mangelnden Kontrolle in Form von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten herausarbeitet. So stellt er im „Gesetz der unvollständigen Kontrolle“ fest, dass kein Leiter eine große Organisationen ganz kontrollieren kann und die ausführenden Büros werden in den Berichten ihre Arbeit so darstellen, dass sie den Wunschvorstellungen der Leitung voll entsprechen . Viele dieser von Downs beschriebenen Strategien eigennutzenorientierter Bürokraten sind auch bei der Implementation neuerer effizienzorientierter Verwaltungsreformen zu beobachten. Nicht selten gelingt es dabei den Verwaltungsakteuren sich durch diese Strategien zentralen Steuerungs- und Kontrollansprüchen zu entziehen und damit erhebliche Transaktionskosten von Verwaltungsreformen zu verursachen, ohne dass die neuen Controlling- und Managementmodelle auch nur annähernd die anvisierten Ziele erreichen können

-Gegen diese Wachstumsmodelle wird insbesondere in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung eingewendet, dass empirisch in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten bereits ein massiver Personalabbau in der Verwaltung zu konstatieren sei und deshalb die Annahmen der NPÖ als empirisch eindeutig widerlegt gelten können

-Bei diesen Einschätzungen wird aber zu wenig berücksichtigt, dass der Vergleichszeitpunkt dieser immer wieder veröffentlichten Statistiken als strategisch, aber sicherlich nicht methodisch, gut gewählt bezeichnet werden kann. 1991 wurden erstmals, die öffentlichen Beschäftigten Ostdeutschlands im Zuge der Wiedervereinigung in die gesamtdeutsche Statistik integriert. Dass der extrem hohe Personalbestand in ostdeutschen Verwaltungen, der auch in der Planwirtschaft nicht mehr finanzierbar war, selbstverständlich abgebaut werden musste und heute immer noch höher als in vergleichbaren westdeutschen Bundesländern ist, wird bei diesen Interpretationen ausgeblendet.

-Schaut man sich demgegenüber längere Zeitreihen zur Entwicklung der Beamten nach den Versorgungsberichten der Bundesregierung an, in denen diese selektiven Effekte weitgehend nicht durchschlagen, dann ist für die Landesbeamten als bedeutendste Beschäftigtengruppe in den westdeutschen Bundesländern beispielsweise eine haushaltspolitisch deutlich problematischere Entwicklung ausmachen. Gemessen in Vollzeitäquivalenten, um Effekte der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung konstant zu halten, nimmt die Zahl der Beamten im Erwerbsleben bis 1990 relativ kontinuierlich zu, um seitdem auf diesem hohen Niveau zu verharren.dem nimmt zeitversetzt zu dem Wachstum die Zahl der Versorgungs- und Pensionsempfänger deutlich zu. Insgesamt werden die Personalkosten aufgrund der Pensionslasten in diesem betrachteten Segment wahrscheinlich weiter steigen, so dass zukünftig effizienzorientierte Verwaltungsreformen nicht an Bedeutung verlieren werden.

Ausgabenexpansion durch Interessengruppen und die Trittbrettfahrerproblematik


-Aus dem Blickwinkel der Neuen Politischen Ökonomie haben sich insbesondere Anthony Downs und Mancur Olson mit dem Einfluss von Interessengruppen auf die politischen Repräsentanten und die Bürokraten befasst. Olson zeigt aus theoretischer Perspektive, dass sich viele Interessen der Bürger schlechter organisieren lassen und diese Ungleichgewichte zwischen gut und schlecht organisierbaren Interessen die Ausgaben- und Schuldenexpansion verstärken können. Mancur Olson Olson beschäftigte sich intensiv mit der Erstellung von Kollektivgütern in Gruppen (Olson 1979). Er geht nicht davon aus, dass es für eine Organisation ausreicht, dass alle Individuen dieselben Interessen haben, um das von allen erwünschte kollektive Gut zu erhalten (also z. B. einen starken Verband zur Einflussnahme auf den Staat im Sinne ihrer Interessen). Er kommt im Gegenteil zu dem Fazit, dass, obwohl alle Mitglieder ein großes Interesse an der Bereitstellung kollektiver Güter haben, es kaum zur Produktion kollektiver Güter kommt. Dies führt er darauf zurück, dass jeder rationale Bürger hoffen kann, von einem öffentlichen Gut (von dem er nicht ausgeschlossen werden kann) profitieren zu können, ohne einen entsprechenden Beitrag dafür entrichtet zu haben. Umgekehrt ist der individuelle Nutzen von Engagement für ein Kollektivgut sehr gering

-Dies führt dazu, dass alle rationalen Gruppenmitglieder versuchen, keinen Beitrag für das Kollektivgut zu leisten und es dennoch zu konsumieren, mit der logischen Konsequenz, dass kein Kollektivgut erstellt wird. Damit ist die Kollektivgut- bzw. die Trittbrettfahrerproblematik verwandt mit dem Gefangenendilemma in der Spieltheorie. Das individuell rationale Verhalten führt auch hier kollektiv zu suboptimalen Ergebnissen. Allerdings stehen sich hier nicht nur zwei Spieler gegenüber, sondern mehrere Akteure und mit zunehmender Anzahl von Akteuren nimmt die Trittbrettfahrerproblematik zu. Die Probleme bei der Erstellung von Kollektivgütern sind demgegenüber in kleineren Gruppen aus zwei Gründen weniger ausgeprägt: Trittbrettfahrerproblematik – Aufgrund der geringen Anzahl von Mitgliedern können Verhandlungen geführt werden, die Beitragszahlung von jedem kann genau beobachtet werden und abweichendes Verhalten kann bedingt im Zeitablauf sanktioniert werden. – Der Gewinn, den die Gruppe aus dem Engagement des einzelnen Mitglieds zieht, muss nicht durch so viele Mitglieder geteilt werden, so dass der Nutzen auch für den Engagierten relativ hoch ist.

-In der Realität kommt es aber auch zur Erstellung von Kollektivgütern in großen Gruppen. Olson begründet diesen Sachverhalt vor allem mit der Einführung sog. selektiver Anreize. Mit diesen selektiven Anreizen werden bestimmte Güter an Mitglieder ausgeschüttet, von denen Nicht-Mitglieder ausgeschlossen werden können (z. B. kostenlose Rechtsberatung)

-Die finanzielle Belastung individuellen Mehrkonsums verteilt sich auf Millionen von Beitragszahlern, während der monetäre Gewinn, der aus individuellem Verzicht resultiert, mit Millionen von Beitragszahlern geteilt werden muss. Erhöht sich infolge dieser Anreize der Beitragssatz, führt das nicht zu einem Umdenken, sondern es werden im Gegenteil noch mehr Leistungen nachgefragt, weil „man ja jetzt etwas sehen will für sein Geld“ (vgl. zum Überblick über die Trittbrettfahrerproblematik Weimann 1995). Das Trittbrettfahrerverhalten von Mitgliedern in Organisationen überträgt Olson (1985) auch auf das Verhalten der Organisationen untereinander. Mit der zunehmenden Organisation von Interessenverbänden geht das Interesse an der Produktion volkswirtschaftlicher Werte zurück. Für die Interessenverbände wird es danach zunehmend rational, ihre Ressourcen in den Verteilungskampf einzubringen. Während die Produktion von Wirtschaftswachstum für die einzelnen Interessengruppen nur wenig Erfolg verspricht (hoher Einsatz, während von dem Gewinn alle profitieren), lohnt sich der Einsatz für die Umverteilung des vorhandenen Bruttosozialproduktes. Je mehr spezialisierte Interessengruppen entstehen, desto geringer ist der Gewinn jeder einzelnen Interessengruppe, die sie aus der Beschleunigung des Wirtschaftswachstums ziehen kann

-Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Nation sind also nach Olson zwei Entwicklungspfade möglich: Entweder kommt es aufgrund historischer Entwicklungen (vorerst) nicht zur Organisation starker Interessengruppen, oder die Interessengruppen sind umfassend organisiert, d. h. sie vertreten jeweils einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung, so dass sie anteilsmäßig hoch an einem Wirtschaftswachstum partizipieren können. Allerdings sieht Olson analog zu seiner Kleingruppentheorie es als wahrscheinlicher an, dass sich kleine Sonderinteressengruppen herausbilden als umfassende Interessengruppen. Interessenverbände Olson zufolge sind Steuerzahlerinteressen nur sehr schwer zu organisieren7, weil sie „keinen Zugang zu selektiven Anreizen haben“ (Olson 1985: 44). Demzufolge steht den tendenziell ausgabenexpansiven Interessengruppen (z.B. Bauernverbände, Gewerkschaften) keine starke Interessengruppe gegenüber, die eine Reduzierung der Ausgaben fordert, um alle Steuerzahler zu entlasten

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Föderaler Wettbewerb und der Einfluss der Exit-Option


-Nach der Neuen Politischen Ökonomie kann der Föderalismus zunächst dazu führen, dass das Angebot an öffentlichen Gütern einstimmig befürwortet wird und somit eine pareto-optimale Verteilung vorliegt. Im Gegensatz zum einfachen Demokratiemodell nach dem Mehrheitsprinzip von Downs kann diese für alle Wähler zufriedenstellende Verteilung dadurch erreicht werden, dass auf der jeweiligen föderalen Ebene nur die öffentlichen Güter angeboten und von den Kollektivmitgliedern finanziert werden, die einstimmig befürwortet werden. Eine Ausgaben- und Schuldenexpansion über die Präferenzen der Wähler hinaus wäre damit theoretisch ausgeschlossen. Dieses Modell der konsensualen Aufgabenverteilung könnte sich in der Realität aufgrund von zwei Auswahlmechanismen durchsetzen:

„Wenn sich in den Regierungsprogrammen der Parteien Projekte finden, über deren Zweckmäßigkeit oder deren beste Ausführung Einstimmigkeit nicht zu erzielen ist, kann eine Partei durch Reduktion ihres Programms um einen strittigen Punkt und Zuweisung der Erledigung dieser Aufgabe an die nächst niedere föderative Ebene die Zustimmung der Bürger erhalten, die ihr bisher die Stimme nicht gegeben haben, ohne dass dabei die Stimmen der bisherigen Anhänger verlorengehen, deren Bedürfnisse jetzt auf einer niedrigeren föderativen Ebene befriedigt werden. Aus Konkurrenzgründen müssen sich die anderen Parteien anschließen“

-Als zweites kann Einstimmigkeit erreicht werden, indem die Interessen in den einzelnen Kommunen durch räumliche Mobilität angeglichen werden . Dies würde unter der Annahme gelten, dass die jeweilige Minderheit einer Kommune in andere Gemeinden umziehen könnte, in denen ihre Interessen mehrheitlich vertreten werden. In diesen Positionen der NPÖ kommt eine starke Präferenz zur Dezentralisierung der Kompetenzen im Föderalismus zum Ausdruck. Bezieht man den u.a. von Olson (1977) propagierten Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz in diese Betractungen mit ein, dann sollten die Zuständigkeiten zudem klar abgegrenzt werden, um eine effiziente Bereitstellung von Kollektivgütern gewährleisten zu können. Nach diesem Grundsatz ist für jedes Kollektivgut der spezifische räumliche Wirkungskreis zu analysieren und dann dementsprechend nur einer räumlich zugeschnittenen Regierungsinstitution die Produktion der Güter zuzuweisen, um externe Effekte zu vermeiden

-Aus vielen mitunter guten Gründen weichen die realen föderalen Systeme in der Regel aber stark von diesem Modell des dezentralisierten Trennföderalismus ab. Gerade in Deutschland ist aufgrund der traditionellen starken Verflechtung der Ebenen auch nicht damit zu rechnen, dass solche am Reißbrett entwickelten Konzepte in näherer Zukunft umgesetzt werden können. Zumindest ist aber das Modell dazu geeignet mögliche Fehlanreize für Politik und Verwaltung in föderalen Systemen mit starker rechtlicher und finanzieller Verflechtung zu identifizieren : Fehlanreize durch Verflechtung – Die höheren Ebenen können sich profilieren, indem sie neue sozialstaatliche Angebote auf dem Wählermarkt präsentieren und diese ohne angemessene Kostenerstattung unter Verletzung des sog. Konnexitätsprinzips9 von den nachgeordneten Ebenen erfüllen lassen (z. B. Versprechen von neuen Kindergarten- und Kinderkrippenplätzen). – Die dezentralen Ebenen können sich dafür „revanchieren“, indem sie sich ohne Sparbemühungen weiter verschulden und im Prinzip darauf vertrauen, dass im Falle möglicher Zahlungsunfähigkeit schon der Bund oder die EU für die Schulden eintreten wird (Bail-Out-Problematik)

-Die Folge der föderalen Verflechtung kann also sein, dass die höheren Ebenen zur Ausgabenexpansion oder Verringerung von Steuereinnahmen tendieren, weil sie dafür (zunächst) nicht die vollen Kosten tragen, während die Ausgabenexpansion auf den unteren Ebenen noch weiter forciert wird, weil im Zweifelsfall die höheren Ebenen schon für die rasante Verschuldung haften werden. Kommt es dann tatsächlich zu Hilfen der höheren Ebenen, die problematische Dominoeffekte für die anderen Einheiten in Bezug auf Währungsstabilität und Zinssatz für öffentliche Verschuldung vermeiden wollen, dann verschärft dies die Anreize zur Verschuldung in allen Einheiten (Trittbrettfahrerproblematik).

-Zur Eindämmung dieser föderalen Problematik werden aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie institutionelle Begrenzungen empfohlen. Hier sind neben Haushaltsnotlagenregimen bis zur Bestellung von Sparkommissaren vor allem die No-Bail-Out-Klauseln in der Verfassung zu nennen, nachdem die übergeordnete Ebene bzw. die anderen Gliedstaaten rechtlich nicht für „Schuldensünder“ haften.

-Allerdings ist zweifelhaft, ob dies in Krisensituationen wirklich greift, weil die politischen und ökonomischen Kosten diese Klauseln konsequent durchzuhalten, sehr hoch sind. Es kommt deshalb trotz „No-Bail-Out-Klauseln“ zu starken Hilfsleistungen, wie im Fall Griechenlands durch die EU, die diesen Haftungsausschluss tatsächlich vertraglich verankert hatte.

-Die in der ökonomischen Theorie des Föderalismus behandelte räumliche Mobilität deutet aber auf andere politische Wettbewerbsmechanismen hin, die durchaus auch für die deutsche Haushalts- und Verwaltungspolitik relevant sind. Neben dem Parteienwettbewerb um Wählerstimmen kann auch ein Standortwettbewerb der Nationalstaaten um Steuereinnahmen oder von öffentlichen Einrichtungen auf der kommunalen Ebene um zahlende Kunden stattfinden

Aus der Rational-Choice-Perspektive können auch durch diese Wettbewerbsform, die als „Abstimmung mit den Füßen“ eingeordnet wird, Anreize für effizienzorientierte Verwaltungsreformen oder für eine Verringerung der Steuerbelastungen entstehen. Abwanderung bestraft danach die Staaten mit hoher Steuerbelastung bzw. mit hohen Verwaltungsausgaben und belohnt durch Zuwanderung Staaten mit einem günstigeren Preis-Leistungsverhältnis

-Die Abwanderung gibt nach Hirschman eine klare, aber wenig detailreiche, Information an die Anbieter. Die Bürger signalisieren, dass sie mit dem Angebot nicht zufrieden sind, ohne dass in der Regel die Gründe sofort ersichtlich sind. Dabei stellt Hirschman für Organisationen fest – was man auch auf die öffentliche Dienstleistungsproduktion und den Standortwettbewerb übertragen könnte –, dass die Exit-Option nicht selten einflussreicher ist als die Voice-Option:

-Die Voice-Option ist für den Bürger meistens kostspieliger, weil sie häufig nur in Abstimmung mit anderen Bürgern etwas bewirkt (vgl. die Trittbrettfahrerproblematik von Olson 1979) - im Gegensatz zur Abwanderung, die sofort für den Einzelnen einen Nutzen erbringt

-Aber öffentliche Einrichtungen und Gebietskörperschaften können nach Hirschman auch ganz anders reagieren. Denn erstens ist unklar, ob Abwanderung bei öffentlichen Angeboten tatsächlich zu fühlbaren Sanktionen führt oder ob es nicht realistischer ist, dass der Finanzminister sie im Zweifelsfall „nicht im Stich lassen wird“ (Hirschman 1974: 38). In der Tat ist fraglich, ob selbst bei einer Koppelung von Budget und Nutzerzahl Einrichtungen der Verwaltung geschlossen werden, wenn es zu einer starken Abwanderung von Kunden kommt. Neben personalrechtlichen Problemen ist mit erheblichen Protesten (Voice-Option) zu rechnen, die im Regelfall vorher von den Entscheidungsträgern antizipiert werden und häufiger zu einem Erhalt der Einrichtungen führen. Besonderheiten bei öffentlichen Einrichtungen Zweitens kann die Exit-Option bei öffentlichen Anbietern auch die Voice-Option unterminieren, die noch zu einer Verbesserung des Angebots beitragen könnte.

-Die Exit-Option führt also nicht automatisch durch die „unsichtbare Hand des Wettbewerbs“ dazu, dass sich alle öffentlichen Anbieter oder Gebietskörperschaften den Präferenzen der Nachfrager annähern, wie dies auch für den Wettbewerb zwischen öffentlichen Schulen mit Leistungsanreizen gezeigt wurde

—>Diese soziale Segregation wird noch weiter dadurch vertieft, dass „ärmere“ Schüler in der Regel nicht so mobil sind und bessere schulische Angebote in anderen Stadtteilen nicht wahrnehmen können. Zugleich beschweren sich ihre Eltern weniger über eine schlechte Performanz dieser Schulen, die aufgrund geringerer Nachfrage auch über eine schlechtere Finanzausstattung verfügen. Die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern werden im Endeffekt durch diesen Wettbewerb größer, wobei diejenigen, die Bildung am nötigsten bedürfen, meist auf eine schlechtere Schule kommen und wer Bildung hat, dem wird gegeben (‚Mathäuseffekt’).

Prinzipal-Agent-Ansatz


-Ansätze des Rational-Choice-Institutionalismus bzw. der Institutionenökonomik ermöglichen es die Theorien der Neuen Politischen Ökonomie zusammenzuführen und zeigen weitere Lösungen auf, wie die Ausgaben- und Schuldenexpansion durch Reformen in Verwaltung und Politik begrenzt werden kann. Auch diese Lösungsansätze sind vorwiegend institutioneller Art

-Das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung wird in der Wirtschafts- und Politikwissenschaft mit dem Prinzipal-Agent-Ansatz erfasst, der zunehmend die Ökonomische Theorie der Bürokratie von Niskanen transformiert und ersetzt hat. Einerseits werden danach die Politiker als Auftraggeber und die Verwaltung als Agenten eingeordnet. Andererseits sind die Politiker wiederum Agenten der Wähler - also von ihnen durch Wahl beauftragte Repräsentanten. Die Bürokratie ist damit das letzte Glied eines zweistufigen Prinzipal-Agent-Verhältnisses, indem der Wähler als ursprünglicher Auftraggeber fungiert, der die Repräsentanten als ersten Agenten selektiert, die wiederum die Bürokratie als zweiten Agenten koordinieren

-Wesentliches Merkmal des Prinzipal-Agent-Ansatzes ist die Annahme, dass Prinzipal und Agent asymmetrisch informiert sind. Kann der Prinzipal die Handlungen des Agenten nicht beobachten, liegt ein Prinzipal-Agent-Modell mit versteckter Handlung (Hidden Action) vor. asymetrische Information Ist dem Prinzipal im Gegensatz zum Agenten der Umweltzustand nicht bekannt, von dem es abhängt, welche beobachtbare Aktion der Agent wählen sollte und welche Effekte sein Handeln haben kann, so wird von versteckter Information (Hidden Information) gesprochen

-Die hierdurch entstehenden Handlungsspielräume kann der Agent nutzen, seine Eigeninteressen durchzusetzen (Müßiggang, Ämter- und Budgetmaximierung). Die Verwaltung kann als Agent dabei durchaus bewusst den Willen des Gesetzgebers und die Repräsentanten den des Wählers unterlaufen, um ihre eigenen Ziele zu maximieren, wenn der Prinzipal keine aufmerksame Kontrolle seiner Ziele wahrnimmt. Letztlich hat der Auftraggeber aber auch die Transaktionskosten (Informationskosten, Kosten der Kontrolle und des Vollzugs) zu berücksichtigen, zumal in einer zunehmend turbulenten Umwelt die Informationskosten hoch sind und die Probleme von detaillierten Festlegungen der Agenten darin bestehen, dass sie nicht effektiv auf gewandelte Umweltbedingungen und kooperativ auf mögliche Steuerungswiderstände eingehen können. Handlungsspielräume In diesem mehrstufigen Prinzipal-Agent-Verhältnis müsste der Wähler modellgemäß die Partei unterstützen, die die beste Kombination zwischen Kontrollkosten und -nutzen (eingesparte Kosten durch Reduzierung der bürokratischen Expansionsinteressen) offeriert, wobei er sich angesichts der Informationskosten aber auch nur einen begrenzten Überblick über die Parteiprogramme und das tatsächliche Regierungshandeln verschaffen wird. Für den Wähler wäre es folglich rational bei Berücksichtigung der Transaktionskosten im bedingten Maße die Expansionsinteressen der Verwaltung und Politik zu dulden. Oder aus Sicht der Agenten formuliert, weichen beide, Politik und Verwaltung, im gewissen Maße vom korrekten Budget im Sinne von Downs ab und tragen „durch die Verfolgung eigener Ziele zur Entstehung von Budgetdefiziten bei“

-Geht man davon aus, dass sich diese grundlegenden Probleme der Delegation von Entscheidungskompetenzen nicht durch rationale Verträge und andere Instrumente lösen lassen, wie es der skeptischen Version der Neuen Politischen Ökonomie weitgehend entspricht, können nur radikale ordnungspolitische Reformen die Verschuldungsproblematik begrenzen. Um ein Abweichen der Politiker als Prinzipale von dem korrekten Budget aus Wählersicht zu vermeiden, wird so beispielsweise die Einführung direktdemokratischer Verfahren auch bei Haushaltsfragen postuliert. Dadurch könnten Mehrausgaben für Prestigeobjekte oder parteiideologische Projekte von Politikern vermieden und zugleich die ausgabenexpansive Wirkung von Bürokratien und Interessengruppen, die in ihrem Sinne die parlamentarische Haushaltsverabschiedung beeinflussen, eingedämmt werden

-Auch im Prinzipal-Agent-Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung werden ähnlich radikale Reformen empfohlen, weil die Agenten aus einer skeptischen Perspektive, wie beispielsweise bei Niskanen, sich verselbständigen und ihr Budget maximieren. Die Lösung wird von Finanzwissenschaftlern modellgemäß darin gesehen, möglichst viele Leistungen durch den Markt produzieren und kontrollieren zu lassen, bzw. öffentliche Einrichtungen durch die Schaffung von ExitOptionen für die Kunden unter Wettbewerbsdruck zu setzen. Durch Wettbewerb würden aus dieser Position die Monopolstellung und der große Informationsvorsprung der Verwaltung gegenüber den gewählten politischen Repräsentanten deutlich reduziert.

-Empirisch setzt diese Vorstellung allerdings einen intakten Wettbewerb voraus, der häufig bei der Privatisierung von Infrastruktureinrichtungen nur wenig gegeben ist. So wird nicht selten aus dem öffentlichen sukzessive ein privates Monopol, indem sich Politik und Verwaltung mit zunehmender Vertragslaufzeit vom privatwirtschaftlichen Agent abhängig machen und die Kosten teilweise noch mehr aus dem Ruder laufen. So können Politiker als Prinzipale beispielsweise häufig nur günstige Preise bei der Beauftragung privater Dritter erzielen, wenn sie relativ lange Verträge abschließen.

-. Das Prinzipal-Agent-Problem wird also oftmals nicht durch privatwirtschaftliche Vergabe von staatlichen Leistungen durch eine disziplinierende Leistung des Marktes eingeschränkt, sondern privatwirtschaftliche Akteure bekommen als explizite Gewinnmaximierer ein Monopol zugewiesen mit dementsprechend möglicherweise höheren Belastungen für die Steuer- und Gebührenzahler

In der optimistischen Version des Prinzipal-Agent-Ansatzes, der insbesondere Konzepten des New Public Managements zugrunde liegt, ist es demgegenüber im Rahmen des Kontraktmanagements möglich, zwischen Politik und Verwaltung und innerhalb der Verwaltungshierarchie Verträge so zu gestalten, dass die Ergebnisse von Verwaltungen durch angemessene Anreizstrukturen, durch Dezentralisierung und durch outputorientierte Kennzahlen effizient gesteuert werden können

Zentralisierungsansatz


-Insbesondere für die Haushaltspolitik wurde noch eine weitere Unterscheidung zwischen den Entscheidungsträgern vorgenommen, die im Vergleich zum New Public Management für eine stärkere Zentralisierung als Dezentralisierung von Kompetenzen spricht, um Beiträge zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.

-In deutlicher Anlehnung an die Neue Politische Ökonomie hat Gerhard Banner durch intensive empirische Erfahrungen in der kommunalen Haushaltspolitik und gestützt auf Ergebnisse insbesondere der amerikanischen Politikwissenschaft10 die ausgabenexpansive Wirkung von Parlamentariern, Interessengruppen und Bürokratien in einer integrierenden Gesamtbetrachtung gebündelt. Zugleich hat er eine wichtige Differenzierung eingeführt, die die Verwaltung und die Politik nicht mehr jeweils als homogene einheitliche Akteure einordnet

-. An dieser Stelle ist es hinreichend die zentrale Unterscheidung zwischen Steuerungspolitikern und Fachkoalitionen aus Banners Beiträgen einzuführen. Unter Fachkoalitionen versteht Banner die Zusammenarbeit der jeweiligen Politiker in den Fachausschüssen, der Interessengruppen und der Fachverwaltungen, die gegen die zentralen Steuerungsabsichten gerichtet sind und expansiv auf das Budget wirken, weil alle drei Gruppen von der Vergrößerung ihres Fachbudgets gemäß den Annahmen der NPÖ profitieren bzw. sich zumindest gegen Kürzungen wehren werden. Diese Fachkoalitionen, die auch schon früher als „eiserne Dreiecke“ (Heclo 1978) bezeichnet wurden, sind in vielen Fällen durch die Intensität ihrer Beziehungen, durch ihre quantitative Bedeutung und durch ihr spezialisiertes Fachwissen den zentralen Steuerungspolitikern überlegen. Die zentralen Steuerungspolitiker haben dagegen die Aufgabe das fachpolitisch Wünschenswerte mit dem finanziell Machbaren in einer Gesamtschau zusammenzuführen und über den Haushaltsausgleich zu wachen. In dieser Rolle des zentralen Steuerungspolitikers sieht Banner auf kommunaler Ebene vorwiegend den Bürgermeister und den Kämmerer. Um dieses potentiell bestehende Ungleichgewicht zwischen Fach- und Steuerungspolitik zu Gunsten des Haushaltsausgleichs auszutarieren, empfahl Banner eine Stärkung der formalen Kompetenzen der Bürgermeister und ähnlich wie von Arnim die Einführung der Direktwahl, die wenig später auch flächendeckend in den Kommunen in Deutschland umgesetzt wurde

-Dieser Gedankengang wurde später durch den Rational-Choice-Institutionalismus stärker systematisiert und verallgemeinert. Der Rational-Choice-Institutionalismus gehört zu den neoinstitutionalistischen Ansätzen, die sich in der Ökonomie und in der Politikwissenschaft in den letzten Jahren als fruchtbare theoretische Perspektive durchgesetzt haben. Im Rational-Choice-Institutionalismus als einer Variante des Neo-Institutionalismus wird von individuell rationalen Akteuren ausgegangen, die sich mit Institutionen auf Spielregeln einigen, die ihren Präferenzen entsprechen und die kollektive Probleme und Dilemmata lösen können.

-Trotz empirischer Evidenz überschätzt der Rational-Choice-Institutionalismus potentiell den Einfluss von formalen Kompetenzen, während er die unterschiedlichen normativen Präferenzen beispielsweise der Finanzminister vernachlässigt. So mag es zwar rollenadäquat und individuell rational für den Finanzminister sein auf Haushaltskonsolidierung zu drängen, weil Haushaltsdefizite öffentlich vor allem ihm angelastet werden, aber er kann dennoch empirisch anders handeln. Und selbst wenn der Finanzminister sich entschieden für die Haushaltskonsolidierung einsetzt und starke formale Kompetenzen hat, wird er dennoch darauf angewiesen sein, Mehrheiten im Parlament oder beispielsweise im Bundesrat zu finden. Es gibt also keine schlüssigen monokausalen Erklärungen für Haushaltsdefizite, sondern diese hängen, wie an den Analysen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung zu zeigen sein wird, empirisch von vielen Erklärungsfaktoren ab. Der Vorteil dieses Rational-Choice-Modells liegt aber darin, dass sich hieraus klare Hypothesen und Zukunftsprognosen ableiten lassen. Zudem hat es analytisch den Reiz, dass man wesentliche Akteure im Haushaltsprozess relativ einfach, ohne zusätzliche empirische Informationen modellieren kann und damit mögliche Wirkungen von institutionellen Reformen durchspielen kann

-Zugleich ist der Zentralisierungsansatz für die Verwaltungswissenschaft besonders interessant, weil er die Leistungen hierarchischer Steuerung hervorhebt, während in den neuen Verwaltungsreformmodellen eher eine Ablösung von hierarchischer Koordination propagiert wird und stärker dezentrale Anreize oder gar Bürgerbeteiligung im Zuge von New Public Management und Public Governance zur Haushaltskonsolidierung beitragen sollen. hierarchische Steuerung Neben starker institutioneller Fragmentierung, die sich nach dem Zentralisierungsansatz u. a. in schwachen Kompetenzen des Finanzministers und starken Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments zeigt, werden in der Literatur noch andere Formen der Fragmentierung hervorgehoben, die zur Ausgaben- und Schuldenexpansion beitragen können

Allmendeproblematik


-Haushaltsdefizite werden aus dieser Perspektive als Allmendeproblem – verwandt dem Gefangenendilemma und der Kollektivgutproblematik von Olson11 - gedeutet, für das die Hierarchie als klassische Lösung empfohlen wird. Danach möchte jede Gruppe und jedes Regierungsmitglied für die jeweilige Klientel möglichst hohe Beiträge aus dem gemeinsamen Budget erhalten. Gelingt dies, so fallen die Nutzen der Ausgabenprojekte konzentriert an, während Kosten auf die Allgemeinheit der Steuerzahler überwälzt werden. Aufgrund dieser Anreize kommt es potenziell zu einer Übernutzung des gemeinsamen Budgets und damit zu einer höheren Staatsverschuldung. Wie im ursprünglichen Beispiel für die Allmendeproblematik – der gemeinsam genutzten kleinen Gemeindewiese durch viele Bergbauern, die ohne institutionelle Regeln durch Übernutzung für alle zerstört wird (Hardin 1968) - kann damit das individuell rationale Verhalten zu schwerwiegenden Problemen für alle Akteuren führen, wenn letztlich der Staatsbankrott droht. Auch die Allmendeproblematik lässt sich, wie der Prinzipal-Agent-Ansatz, auf Wählern, Parteien und Bürokratie anwenden. Haushaltsdefizite als Allmendeproblem Konsolidierungsimpulse können in der repräsentativen Demokratie danach nur von den Finanzministern bzw. Kämmerern und den Verwaltungs- und Regierungschefs ausgehen, von denen aufgrund der ihnen zugewiesenen Aufgaben und den damit verbundenen Eigeninteressen eher eine Eindämmung der Übernutzung des Budgets erwartet werden kann.

-Die Allmendeproblematik wird so auch als N-Personen-Gefangendilemma bezeichnet, was auf ähnliche Konflikte und Koordinationsprobleme nur mit mehreren Spielern als beim „einfachen“ Gefangenendilemma hinweist. Die Unterschiede zwischen Olsons Kollektivgutproblematik und der Allmendeproblematik sind gradueller Art. Während Olson vorwiegend die Koordinationsleistungen zwischen mehreren Akteuren beim Aufbau von kollektiven Gütern thematisiert, fokussiert sich die Allmendeproblematik auf die Nutzung eines bestehenden, durchaus limitierten, öffentlichen Guts

-Konsolidierungseffekte werden, wie bei Gerhard Banner, dann prognostiziert, wenn die Stellung der letztgenannten Steuerungspolitiker durch institutionelle Reformen gestärkt wird. Je stärker beispielsweise der Einfluss des Finanzministers auf die haushaltspolitische Agenda und den Haushaltsvollzug ist und je stärker insgesamt die Exekutive gegenüber der Legislative dominiert, desto geringere Haushaltsdefizite werden prognostiziert. Hierarchisierung und Zentralisierung des Haushaltsprozesses ermöglichen also eher Haushaltskonsolidierung als ein von vielen Spielern bestimmter, fragmentierter Budgetprozess . In vielen international vergleichenden Untersuchungen wurde dieser Zusammenhang zwischen Hierarchisierung der Haushaltspolitik und niedrigen Defiziten bestätigt und zugleich wurde auch eine zunehmende Zentralisierung der Haushaltspolitik im Zeitvergleich als funktionale Reaktion der rationalen politischen Akteure auf die Haushaltskrise konstatiert

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Size-Fragmentation/ Over-time fragmentation


-Size fragmentation“ (anteilsmäßige Zersplitterung) beinhaltet, dass mit zunehmender Anzahl von Fachministern und Koalitionspartnern damit zu rechnen ist dass sich die Ausgaben tendenziell erhöhen, als wenn wenige Fachminister mit großen Zuständigkeitsbereichen und wenige große Koalitionspartner am Haushaltsprozess partizipieren. Gerade kleinere Koalitionspartner können eher über ihre Vetopositionen den status quo von staatlichen Leistungen zu Gunsten ihrer Klientel verteidigen und damit Haushaltskonsolidierung behindern, als ein positives, abstimmungsintensives Konsolidierungsprogramm durchsetzen. Ähnlich wie Olson in Bezug auf Interessengruppen argumentiert, wird erwartet, dass viele Ministerien mit kleinen Zuständigkeiten weniger Verantwortung für die Budgetdisziplin zeigen und das Trittbrettfahrerverhalten in Form von expansiven Budgetforderungen zunimmt.

-„Over-time fragmentation“ (Zersplitterung über die Zeit) weist auf die Problematik hin, dass mit zunehmender Anzahl von Regierungswechseln politische Stabilität als wichtige Bedingung für Haushaltskonsolidierung verloren geht. Damit erhöhen sich die Anreize für die Parteien auf die „Fiskalillusion“ der Wähler zu setzen, weil sie bei zu erwartenden Regierungswechseln nicht maßgeblich (bzw. zumindest nicht berechenbar) durch die in Folge massiver Schuldenaufnahme verringerten haushaltspolitischen Handlungsspielräume negativ betroffen werden bzw. dadurch sogar die Startbedingungen der neuen Regierung gezielt verschlechtert werden können.


—>as in Deutschland mittlerweile dominante Fünf-Parteiensystem und die seit Ende der 1990er Jahren zügig aufkommende Unzufriedenheit mit den jeweiligen Regierungsparteien haben aus dieser Perspektive die Bedingungen für Haushaltskonsolidierung verschlechtert. Häufige Regierungswechsel, Mehrparteienkoalitionen, Minderheitsregierungen sind Anzeichen für schwache, fragmentierte Regierungen, die kaum zufriedenstellend die Allmendeproblematik in der Haushaltspolitik lösen können. Allerdings ist bei allen Rational-Choice-Modellen zu berücksichtigen, dass sie lediglich zur Hypothesengenerierung geeignet sind, die anschließend empirisch unter Berücksichtigung vieler anderer unabhängiger Variablen zu untersuchen sind, um den Einfluss auf die tatsächlichen Haushaltsergebnisse abschätzen zu können

Erklärungsansätze der Staatstätigkeitsforschung


-Die vergleichende Staatstätigkeitsforschung hat sich seit den 1980er Jahren in Deutschland zu einer der wesentlichen Subdisziplinen der Politikwissenschaft entwickelt und gehört zum wissenschaftlich produktivsten Zweig der Politikfeldanalyse. Im Kern geht es hierbei um die Erklärung von Politikergebnissen. Als quantitativ ausgerichtete Subdisziplin bezieht sie sich bei der abhängigen, zu erklärenden Variable häufig auf für Vergleiche gut verfügbare Haushaltsdaten. Wovon hängen beispielsweise die Sozialausgaben oder die Schulden im internationalen Vergleich ab? Das sind für diese Subdisziplin typische Fragestellungen. Zur Erklärung der Varianz der Staatsverschuldung wird häufig durch komplexe, multivariate Verfahren untersucht, ob es beispielsweise statistische Zusammenhänge zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung und der Höhe der Neuverschuldung zu verzeichnen gibt (Parteiendifferenzhypothese), wobei zugleich der Einfluss beispielsweise der zwischen den Ländern ebenfalls variierenden Schuldengrenzen und Schuldenbremsen in den Verfassungen kontrolliert wird. Die Kontrolle von Drittvariablen ist zur Identifikation der Ursachen für Neuverschuldung zentral, weil es beispielsweise sein kann, dass zwar linke Regierungen eine höhere Neuverschuldung ausweisen als konservative Regierungen, aber letztere dies nur tun, weil sie überwiegend in Ländern dominieren, die beispielsweise durch ihre EU-Mitgliedschaft unter relativ strenge Defizit-Kriterien fallen.

-Insgesamt folgt damit die vergleichende Staatstätigkeitsforschung den zentralen Fragestellungen der Politikfeldanalyse: Wie können durch Institutionen (polity) und Akteurskonstellationen (politics) die materiellen Politikergebnisse (policy) erklärt werden?

-In den letzten Jahren werden auf der Grundlage der empirischen Ergebnisse der Staatstätigkeitsforschung auch zunehmend Politikempfehlungen formuliert. Allerdings unterstellen deren Vertreter zumeist die Maximierung von Konsolidierungseffekten unhinterfragt als das entscheidende Politikziel, an dem sich der Haushaltsprozess ausrichten solle. Ausgeblendet wird dabei, dass der Haushaltsprozess mit der Bereitstellung von öffentlichen Gütern insbesondere für marginalisierte Gruppen, deren Existenzminimum und Anrecht auf gesellschaftliche Teilhabe nicht über reine Marktmodelle sicher gestellt sind, eine wichtige soziale Funktion hat. Auch andere wichtige Funktionen des Haushaltsprozesses, einschließlich der demokratischen parlamentarischen Kontrolle der Regierung, werden kaum noch bei diesen Empfehlungen erkennbar in den Abwägungsprozess miteinbezogen.

-Policy-Analyse sollte sich aber nicht einseitig als eine „Art Betriebswirtschaft der öffentlichen Angelegenheiten“ verstehen, die ausschließlich aus der Gesetzgeberperspektive effiziente Problemlösungen und Strategien zur Überwindung von Konsolidierungswiderständen formuliert. Am Beispiel der kommunalen Haushaltsdefizite wird noch darzustellen sein, dass sich aus empirischen Analysen auch andere Strategien entwickeln lassen, die es den Akteuren ermöglichen vom maximalen Konsolidierungspfad abzuweichen. Die Entscheidung über Haushaltstrategien ist angesichts divergierender legitimer Ziele eminent politisch und kann nicht durch empirische wissenschaftliche Studien ersetzt werden. Diese Studien können lediglich unterschiedliche, empirisch mögliche Handlungsoptionen aufzeigen, über deren Realisierung politisch zu diskutieren und zu entscheiden

-In der Analyse der Verschuldung hat sich zunehmend gezeigt, dass die unterschiedlichen Schulen der Staatstätigkeitsforschung (sozioökonomische Theorie, Parteiendifferenztheorie und politisch-institutionalistischer Ansatz) jeweils Stärken und Schwächen aufweisen und deshalb ein Ansatz verfolgt werden sollte, der diese Schulen kombiniert und damit auch einzelne Hypothesen der Neuen Politischen Ökonomie bei der empirischen Untersuchung der Einflussfaktoren mit einbezieht. Aus international vergleichenden Studien zu Sozialausgaben, Steuereinnahmen, Staatsverschuldung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben lassen sich vor allem sechs Variablenbündel zur Erklärung von Haushaltsdefiziten herausdestillieren, die etwas über den Dreiklang von polity, politics und policy hinausgehen: soziökonomische Faktoren, institutionelle Ursachen, die Verwaltungs- und Regierungsorganisation, die Parteiendifferenz, Einfluss von Interessengruppen und die sog. „Erblast“. Im Vergleich zur Neuen Politischen Ökonomie ist die theoretische Reichweite und Prognosefähigkeit dieses Analyserasters deutlich begrenzter. Dafür können aber mit diesem Analyseraster die empirisch vielfältigen Ursachen von Haushaltsdefiziten genauer ex post erfasst werden und Hypothesen über Kausalzusammenhänge bei relativ großen Fallzahlen empirisch getestet werden. Allerdings wird in diesen quantitativen Analysen aufgrund der methodischen Restriktionen nur selten der die Verwaltungswissenschaft besonders interessierende Einfluss von Politik und Verwaltung auf den Haushaltsprozess und dessen Reformierbarkeit i

Sozioökonomische Faktoren


-Wesentliche Ursachen für die Staatstätigkeit im internationalen Vergleich sind statistischen Regressionsanalysen zur Folge vor allem die Arbeitslosenquote, die Seniorenquote und das Wirtschaftswachstum. So nimmt die Sozialleistungsquote um so eher zu, je schwächer die Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr wächst, je stärker die Arbeitslosenquote in diesem Zeitraum steigt und je höher die Seniorenquote (Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung) liegt. Auch für die Höhe der Steuereinnahmen konnte, wenn auch deutlich begrenzter, ein Einfluss der Seniorenquote und des Wirtschaftswachstums nachgewiesen werden. Ein hoher Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung und ein nur niedriges langfristige Wirtschaftswachstum haben einen steuererhöhenden Einfluss. Auch für die Haushaltsdefizite konnte ein erhöhender Effekt durch hohe Arbeitslosen- und Seniorenquoten sowie ein niedriges Wirtschaftswachstum nachgewiesen werden. Wesentlich für Deutschland ist darüber hinaus das einmalige Ereignis der Wiedervereinigung, das vorwiegend über die gravierende Veränderung sozioökonomischer Variablen zu einem erheblichen Teil zum Wachstum der Staatsverschuldung beigetragen hat.

-Die internationale Finanzkrise ab 2008 hat ausgehend von dieser deutlich höheren Sockelverschuldung durch die Wiedervereinigung nochmals zu einer gravierenden Erhöhung der Nettoneuverschuldung in Deutschland geführt, um die konjunkturell bedingten Steuereinbrüche, die Spekulationsverluste einiger Landesbanken und die Konjunkturpakete finanzieren zu können

-Weiterhin wird in der Literatur diskutiert, ob durch die zunehmende Globalisierung ein Steuer- und Systemwettbewerb entsteht, der im Zuge eines „race to the bottom“ zu sinkenden Steuereinnahmen führt und damit auch eine steigende Verschuldung bzw. einen Abbau von Sozialausgaben begünstigen könnte. Danach hat die Liberalisierung und Internationalisierung der Finanzmärkte der Kapitalseite eine Exit-Option im Sinne von Hirschman eröffnet, die dazu führt, dass die Regierungen im starken Maße Steuersenkungen durchsetzen, um die mögliche Kapitalflucht bzw. Unternehmensverlagerungen zu verhindern. Dieser Zusammenhang konnte bisher aber in empirischen Untersuchungen nicht bestätigt werden. Trotz sinkender Steuersätze bei Einkommen und Körperschaftssteuern konnte durch eine Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen (beispielsweise durch die neuen Ökosteuern) ein schrumpfendes Steueraufkommen vermieden werden. Als wesentliche Erklärung für die nicht einsetzende Steuerabwärtsspirale wird angeführt, dass die Wähler in ihrer Mehrheit Ausgabenkürzungen zu ihren Lasten häufig negativ sanktionieren (Schimank 2009) und deshalb die auf die Wiederwahl fokussierten Regierungen ein dementsprechend hohes Steuer- bzw. Abgabenniveau realisieren, um diese Leistungen weiter finanzieren zu können. Danach wäre also die Voice-Option bei öffentlichen Gütern entgegen Hirschmans Überlegungen doch leistungsfähiger als die Exit-Option

-Allerdings ist ansatzweise schon eine Umverteilung innerhalb der unterschiedlichen Steuergruppen erkennbar, die stärker die Arbeitseinkommen belastet als die Kapitalerträge und die hohen Einkommensbezieher. Der durch den EU-Binnenmarkt steigende Systemwettbewerb zwischen Nationalstaaten erschwert zumindest eine „linke“ Steuerpolitik der Umverteilung von oben nach unten durch progressive Besteuerung bzw. führt zu einem immanenten Spannungsverhältnis zwischen Steuer- und Parteienwettbewerb, das im Querschnitt- und Zeitvergleich auch nach parteipolitischer Zusammensetzung der Regierung durchaus unterschiedlich aufgelöst werden kann. „race to the bottom“? Umverteilung Auch der Rückblick auf die Entwicklung der Steuern und steuerähnlichen Abgaben in Deutschland zeigt, dass diese vorwiegend konjunkturabhängig schwanken, insgesamt aber in Höhe der eingezeichneten Trendlinie zunehmen. Die wachsende Verschuldung in Deutschland ist damit stärker auf ein Ausgaben- als auf ein Steuereinnahmeproblem zurückzuführen.

Institutionelle Faktoren

-Um institutionelle Handlungsspielräume zu operationalisieren, hat sich in der Staatstätigkeitsforschung der Vetospieleransatz von Tsebelis (2002) in unterschiedlichen Spielarten durchgesetzt. Als Vetospieler definiert Tsebelis individuelle (z.B. Präsidenten) und kollektive Akteure (z.B. eine Zweite Kammer), deren Zustimmung zu Parlamentsentscheidungen notwendig ist. Die Reformfähigkeit eines politischen Systems hängt danach vor allem von der Zahl der Vetospieler und ihrer ideologischen Distanz und Polarisierung ab. Die institutionellen Vetopositionen (zum Teil in Kombination mit den variierenden parteipolitischen Kräfteverhältnissen) restringieren aus dieser Perspektive zwar in gewissem Maße Regierungshandeln, können aber durch mikropolitische Strategien und Schachzüge umgangen werden (z.B. in Bezug auf den Bundesrat durch „Lockangebote“15 für einzelne Bundesländer, um sie von der Position der Bundesregierung zu „überzeugen“).

-In Deutschland sind aufgrund der hohen Zahl von Vetospielern auf der Bundesebene die Bedingungen für grundlegende Reformen, die aus Sicht vieler Beobachter auf die gravierenden sozioökonomischen Probleme des Staatshaushalts eigentlich folgen sollten, kaum gegeben. Finanzpolitik „aus einem Guss“ ist unter den Bedingungen der föderalen Finanzverfassung, unterschiedlicher Sozialversicherungsträger und der Dominanz von Koalitionsregierungen kaum realisierbar. Durch die hohe Zahl von Vetospielern steigen einerseits die Transaktionskosten von Entscheidungen an und anderseits nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass zumindest ein Veto-Akteur die Entscheidungen nicht mittragen will. Insbesondere das Zusammenspiel von stark ausgeprägtem Parteienwettbewerb und institutionellen Vetospielern, wie dem Bundesrat, wird seit den Arbeiten von Gerhard Lehmbruch zumindest als problematisch beschrieben. Dieses Zusammenspiel kann zu Blockadegefahren und Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führen

-Drastische Kürzungen oder merkliche Steuererhöhung durch die Bundesregierung sind bei gegenläufigen Bundesratsmehrheiten nur schwer zu realisieren, weil die Opposition versucht sein dürfte, diese unpopulären Reformen auch aus Stimmenmaximierungsinteressen im Bundesrat zu blockieren. Neben dem Parteienwettbewerb kommen im Bundesrat zugleich die Haushaltsinteressen der Bundesländer zum Tragen, die sich die Zustimmung zu einem Rückzug des Bundes aus gemeinsamen Aufgaben- und Ausgabenbereichen in der Regel kompensieren lassen, so dass der Nettoeffekt der Ausgabenreduzierung gering bleibt. Reformfähigkeit Bundesrat Besonders am Beispiel des Bundesrates wird deutlich, dass die Handlungsspielräume der Bundesregierung durch Vetospieler vor allem in der Haushaltskrise und in Zeiten des Wohlfahrtsstaatsabbaus reduziert werden, während Leistungsgesetze mit höheren Standards in wirtschaftlich guten Zeiten meist im Konsens mit allen Parteien und Vetospielern umgesetzt werden. Der Aufbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen ist damit gerade in Deutschland bei ausgeprägter Vetospielerstruktur deutlich einfacher zu realisieren, als später diese Leistungen wieder zu kürzen.

-Als weiterer wichtiger Vetospieler in der Haushaltspolitik ist in Deutschland noch das Bundesverfassungsgericht zu nennen. Durch seine Urteilspraxis hat es in den letzten Jahren in der Steuer- und Sozialpolitik einschneidende Konsolidierungsmaßnahmen erschwert bzw. geringere Steuereinnahmen und Mehrausgaben induziert. Bundesverfassungsgericht Zudem könnte das Wahlrecht einen radikalen Schuldenabbau erschweren. Die durch den Föderalismus bedingten häufigen Wahltermine und eine durch das Verhältniswahlrecht gegebene Dominanz von Koalitionsregierungen könnten die Reformfähigkeit weiter begrenzen. In Deutschland führt der Föderalismus durch die Vielzahl der Wahltermine zu einer Art Dauerwahlkampf und zu einer starken Sensibilisierung der Parteien für die tendenziell expansiven Ausgabepräferenzen der Wähler in der repräsentativen Demokratie. Die Haushaltskonsolidierung kann durch diesen Dauerwahlkampf erheblich gebremst werden. Allerdings lassen sich auch institutionelle Vetopositionen identifizieren, die permanent auf eine Drosselung der Verschuldung hinwirken. Hierzu gehören quantitative Barrieren in den Verfassungen, die beispielsweise Schuldenober- bzw. Defizitgrenzen definitiv festlegen. Hierbei ist erstens auf die Maastrichtkriterien zu verweisen, die die Defizitquote weitgehend auf 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Schuldenquote auf 60% des BIP begrenzen, die eine erhebliche Steuerungswirkung vorwiegend in den 1990er Jahren hatten (Göke 2006). Hoch verschuldete Länder in der EU reduzierten signifikant relativ unabhängig von der Regierungszusammensetzung (Parteiendifferenzhypothese) ihre Neuverschuldung, so dass im Vergleich zu anderen OECD-Staaten ohne EU-Mitgliedschaft sich die Verschuldungssituation hier zunächst verbesserte

-Deutschland, das selbst besonders stark auf diese Kriterien gedrängt hatte, hielt diese Grenzen allerdings mehrfach nicht ein, was maßgeblich auf die hohen Belastungen durch die Deutsche Einheit und die wenig stringente Konsolidierungspolitik angesichts der schwierigen Vetospielerstruktur zurückzuführen ist. Zudem haben die größeren EU-Länder partiell einen strukturellen Anreiz, „den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu brechen, da es ihnen durch ihr Stimmengewicht gelingen kann, Sanktionen zu verhindern“

-Seit 2009 ist durch die zunehmende Verschuldung des Bundes und einiger Bundesländer in Folge der internationalen Finanzkrise für einen weiteren größeren Zeitraum damit zu rechnen, dass Deutschland die festgelegten Obergrenzen in der Europäischen Union überschreiten wird. Dieses Beispiel verdeutlicht auch, dass strikt festgelegte und sanktionierte Schuldengrenzen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht durchaus problematisch sein können, wenn nicht in Ausnahmefällen und Übergangszeiträumen von existenziellen Krisen eine verstärkte Staatsverschuldung- und -intervention zugelassen wird. Somit gibt es neben dem Problem eigeninteressierte Akteure sich selbst „fesseln“ zu lassen auch eine funktionalistische Begründung dafür, dass zumindest der Vollzug von Schuldengrenzen flexibel ausgestaltet ist, weil dies in Krisenzeiten eine effektivere Politik gewährleisten kann. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass strikte Schuldengrenzen auch die Anreize erhöhen, durch die „Flucht aus dem Budget“ in Schattenhaushalte und andere öffentliche und private Organisationsformen diese Grenzen zu unterlaufen und damit die haushaltsrechtlich vorgeschriebene Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sowie die demokratische parlamentarische Kontrolle zu unterminieren.

-Rechtliche Schuldengrenzen entfalten in der Regel also keine absolute Geltung und werden immer wieder auch durch Ausnahmeregelungen „durchlöchert“. Aber durch kleinere Sanktionen, durch Veröffentlichung und Prüfung der „Schulden sünder“ entsteht ein Rechtfertigungszwang, der vermehrt zum Schuldenabbau und zur Konsolidierungspolitik beitragen kann. Ganz ähnlich „weiche“ Wirkungen kann man von der im Rahmen der Föderalismusreform II beschlossenen Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz erwarten. Ab 2020 soll danach den Bundesländern keine Neuverschuldung mehr erlaubt werden und auch der Bund müsste vorher die Neuverschuldung auf ein Minimum (höchstens 0,35 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts) zurückführen.

-Bisher galt im Grundgesetz die sog. „goldene Schuldenregel“. Danach waren Kredite bis zur Höhe der veranschlagten Ausgaben für Investitionen im Haushaltsjahr zulässig. Diese schon relativ großzügige Grenze für Kreditaufnahmen konnte zudem überschritten werden, wenn Bundes- oder Landesregierungen eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ reklamierten, wovon in den letzten Jahrzehnten relativ unabhängig von der Wirtschaftslage zunehmend Gebrauch gemacht wurde. Faktisch hatte damit die „goldene Regel“ eine lediglich symbolische Bedeutung, die materiell kaum zur Begrenzung der Neuverschuldung beitragen konnte. Hingegen wird nun im neuen Artikel 109 des Grundgesetzes festgelegt, dass die Haushalte in Bund und Ländern „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ sind. Ausnahmen sind bei von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklungen oder Notsituationen und Naturkatastrophen möglich

-Im Vergleich zur goldenen Schuldenregel dürfte damit insgesamt der Druck auf die Begrenzung der Neuverschuldung etwas steigen, wobei Ausnahmeregelungen und die Verschuldung über Neben- und Schattenhaushalte immer noch genügend „Schlupflöcher“ lassen. Zudem fehlen bei einem Verstoß sowohl gegen die alte, als auch gegen die neue Schuldenregel effektive Sanktionen. Ein verfassungsgerichtliches Urteil, das einen Verstoß gegen das Haushaltsverfassungsrecht feststellt, ergeht in der Regel erst, wenn das Haushaltsjahr und damit auch das Haushaltsgesetz abgelaufen sind. Es hat damit aus juristischer Sicht häufiger „keine praktischen Auswirkungen mehr“

-Ob die im Rahmen der Schuldenbremse vereinbarten vorübergehenden Konsolidierungshilfen für Bremen, Saarland, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein tatsächlich nachhaltig dazu beitragen, dass diese hochverschuldeten Bundesländer zukünftig die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten, ist fraglich. Empirisch weist einiges darauf hin, dass diese Hilfen, wenn sie nicht mit klaren Auflagen und Sanktionen verbunden sind, eher zu einem „Gewöhnungseffekt“ führen, der gerade nicht die Bereitschaft für einschneidende Konsolidierungsentscheidungen, die den Stimmenmaximierungsinteressen zuwiderlaufen, stärkt

-Aus theoretischer Perspektive knüpft der Vetospieleransatz in Deutschland an das Forschungsprogramm des Akteurzentrierten Institutionalismus an (Wagschal 2005). Institutionen sind danach eine wesentliche Einflussgröße zur Erklärung des Verhaltens von individuellen und kollektiven Akteuren. Zumindest für die Haushaltspolitik sind aber auch im akteurzentrierten Institutionalismus erst einmal ähnlich dominante Akteursinteressen, wie im Rational-Choice-Institutionalismus anzunehmen. Bei starkem Konsolidierungsdruck und aus diesem Grund zu erwartender Umverteilung von wichtigen Ressourcen sind die Standardinteressen der Akteure zentral. Die Akteure tendieren im Budgetprozess also auch aus dieser Perspektive dazu, „für sich einen maximalen Nutzen aus den vorhandenen Mitteln zu ziehen“

Verwaltungs- und Regierungsorganisation


-Als drittes Variablenbündel wird in der Staatstätigkeitsforschung nur begrenzt die Verwaltungs- und Regierungsorganisation als der wesentliche Untersuchungsgegenstand der Verwaltungswissenschaft in die Analyse miteinbezogen. In der Neuen Politischen Ökonomie wurde, wie skizziert, lange Zeit ein fast unaufhaltbares Verwaltungswachstum unterstellt, das zu steigenden Haushaltsdefiziten führe. Wirklichkeitsnäher ist die Unterscheidung zwischen ausgabenexpansiven Fachkoalitionen und tendenziell bremsenden Steuerungspolitikern, wobei die formalen Kompetenzen der Steuerungspolitiker empirisch zwar einen Einfluss auf die Verschuldung haben, aber hierbei noch andere Variablen insbesondere in Bezug auf die Steuerungspolitiker zu berücksichtigen sind

-Neben den institutionellen Rahmenbedingungen und dem vom sozioökonomischen Druck in Form von Haushaltsdefiziten häufig ausgehenden Zentralisierungsimpuls wird immer wieder auf die wichtige Rolle von Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten des Regierungschefs bzw. Finanzministers hingewiesen. Sein Handlungswille und sein politisches Handlungsgeschick können die Staatsverschuldung erheblich begrenzen, auch wenn dies in quantitativ-vergleichenden Analysen nur schwer zu berücksichtigen ist. In der neueren Staatstätigkeitsforschung werden auch deshalb die statistischen Analysen ergänzt durch Fallstudien, die die empirischen Akteurskonstellationen in Regierung und Verwaltung wesentlich detaillierter erfassen können. Rechtliche Kompetenzen des Finanzministers und Regierungschefs sind im internationalen Vergleich für die Konsolidierung nicht so stark prägend wie „das Amtsverständnis und das persönliche Bekenntnis zur Konsolidierung“

-Auch in Untersuchungen zur Haushaltspolitik der deutschen Bundesländer werden als zentrale Erklärungsfaktoren hervorgehoben, dass die Verschuldung in den Bundesländern besonders niedrig sei, in denen Finanzminister und Ministerpräsident sich gemeinsam und kontinuierlich für eine solide Haushaltspolitik und Haushaltskonsolidierung eingesetzt haben und eine ausgeprägte Hierarchisierung des Budgetprozesses vorangetrieben wurde. Erfolgreiche Sparpolitik hängt damit auch zusammen mit „Leadership“, die durch persönliche Fähigkeiten und institutionelle Kompetenzen, aber auch durch mikropolitische Taktiken, parteipolitische Mehrheitsverhältnisse, Amtsdauer und das eigene Wahlergebnis gefördert werden kann . In vielen empirischen Untersuchungen konnte belegt werden, dass (auch bei Zentralisierung wenig begünstigenden institutionellen Rahmenbedingungen) durch mikropolitische Spielstrategien eine temporäre Verschiebung zu Gunsten der Zentrale in der Haushaltspolitik erreicht werden kann. Dadurch werden die Möglichkeiten der Ausgabenkürzung erweitert, die zumeist im gewissen Maße mit einer aus demokratietheoretisch zu problematisierenden Entparlamentarisierung der Haushaltspolitik einhergehen.

-Folgende Strategien erwiesen sich als förderlich, um Kürzungen auch gegen Vetospieler durchzusetzen, ohne gleichzeitig das Abwahlrisiko extrem zu erhöhen: Leadership – Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Haushaltskrise und Formulierung eines positiven Konsolidierungsziels (z.B. Erhalt des Sozialstaats durch rechtzeitige Konsolidierung) Strategien – Verschleierung der Kürzungsfolgen und der Verantwortung für Kürzungsmaßnahmen („blame avoidance“) – Reformen zu Beginn der Legislaturperiode verabschieden – Abwälzung von Konsolidierungslasten auf untere föderale Ebenen – Den Gegnern von Konsolidierungsmaßnahmen und damit auch den Parlamenten durch Zeitdruck möglichst wenig Entscheidungspunkte und -optionen bieten – möglichst Gleichverteilung von Konsolidierungslasten („Rasenmäherprinzip“) – konfliktreiche Einstellung von Aufgaben und Einrichtungen, die einen großen oder einflussreichen Nutzerkreis haben, nach Möglichkeit vermeiden.

-Insgesamt sollten aber auch die Leistungen hierarchischer Koordination nicht überschätzt werden. Anders als der Rational-Choice-Institutionalismus im Zentralisierungsansatz betont der akteurzentrierte Institutionalismus, vorwiegend aufgrund empirischer Analysen zu Steuerungs- und Implementationsproblemen, die Grenzen einseitig hierarchischer Koordination. Neben möglichen Implementationswiderständen stellen sich vor allem das Informations- und das Motivationsproblem. Das hinter hierarchischer Steuerung stehende Ideal des „wohlwollenden und allwissenden Diktators“ (Scharpf 2000: 286) stellt der akteurzentrierte Institutionalismus in Frage. Das Informationsproblem resultiert daraus, dass es für zentrale Verwaltungseinheiten häufig schwierig ist, adäquate Informationen über die zu lösenden Probleme zu erhalten (Informationsknappheit) und die von den unteren Verwaltungsebenen gelieferten Informationen angemessen zu verarbeiten (Informationsüberlastung). Das Motivationsproblem besteht darin, dass beispielsweise Finanzminister und Regierungschefs starke Kompetenzen dazu nutzen könnten, nicht das Gemeinschaftsgut eines ausgeglichenen Haushalts anzustreben, sondern aus Eigeninteressen ebenfalls die Leistungsexpansion einzusetzen, um beispielsweise die eigene Wiederwahl abzusichen

-Das Motivationsproblem bei Finanzministern dürfte im Regelfall nicht so stark ausgeprägt sein, weil über die Aufgabenzuweisung und die seit Jahrzehnten routinisierten Budgetspiele zwischen Fach- und Steuerungspolitiker – dem Finanzminister überwiegend die Rolle zugeschrieben wird, Defizite zu reduzieren und steigende Staatsverschuldung und Steuererhöhungen in der öffentlichen Auseinandersetzung vor allem ihm angelastet werden. Auch dem Regierungschef wird zumindest prinzipiell die Aufgabe zugewiesen, die Regierungspolitik als Ganzes zu leiten, so dass er motiviert sein dürfte, kostenintensive „Ressortegoismen in die Schranken zu weisen“ , auch wenn das subjektive Amtsverständnis der Regierungschefs besonders stark empirisch variieren dürfte. Schließlich hat der Regierungschef auch aus Eigeninteresse noch andere wirtschaftliche Probleme zu berücksichtigen (Arbeitslosigkeit, Inflation, Konjunktur etc.), die zumindest kurzfristig in Konflikt mit der Haushaltskonsolidierung stehen können, so dass er innerhalb der Regierungsperioden, auch massenmedialen Zyklen folgend, durchaus unterschiedliche haushaltspolitische Prioritäten haben kann

Parteiendifferenzhypothese


-Als weiterer wesentlicher Faktor zur Erklärung der Staatstätigkeit gilt die bereits angesprochene Parteiendifferenzhypothese. Danach macht die parteipolitische Färbung der Regierung auch für die Politikergebnisse einen Unterschied. Der Parteieneffekt dürfte umso stärker ausgeprägt sein, je umfangreicher die sozioökonomischen Ressourcen der Regierung sind, je stärker die Machtverteilung in Parlament und Zweiter Kammer zugunsten der Regierung geneigt ist und je stärker die institutionellen Rahmenbedingungen eine rein hierarchische Koordination durch die Regierung begünstigen

-Damit wird im Gegensatz zu den Ansätzen der Neuen Politischen Ökonomie (für Zwei-Parteien-Systeme) davon ausgegangen, dass sich Parteien nicht gänzlich flexibel als „Allerweltsparteien“ an die Wählernachfrage anpassen können, weil sie dabei ihre tradierte Parteiprogrammatik und -identität zu berücksichtigen haben. Die Identität entspricht einem vereinfachten Selbstbild, das auch durch gewachsene Organisationskulturen entstanden ist. Die eigene Identität, mit all den Erwartungen, die Wähler, Parteimitglieder und Massenmedien daran knüpfen, schränkt die Parteieliten erheblich in ihrer Strategiewahl ein. Mühevoll mit der Parteiidentität aufgebaute moralische Werte und kognitive Sicherheiten werden häufig selbst dann nicht zur Disposition gestellt, wenn die eigenen Standardinteressen vielleicht negativ tangiert werden könnten. Demnach sind Parteien – entgegen landläufiger Auffassungen – prinzipiell bemüht auch in der Regierungsphase ihre Parteiprogramme umzusetzen

-In international vergleichenden empirischen Studien wurde gezeigt, dass die Sozialleistungsquote sich nur gering erhöht, wenn konservative Parteien die Regierungsgeschäfte führen. Demgegenüber wirken sozialdemokratische, aber auch christdemokratische Parteien stärker ausgabenexpansiv. Gerade für die Bundesrepublik gilt, dass beide großen Volksparteien Sozialstaatsparteien sind, die lange auch aufgrund ihrer heterogenen sozialen Zusammensetzung zum Ausbau des Wohlfahrtsstaates beigetragen haben. Als „Omnibusparteien“ tendieren sie dazu, alle sozialen Schichten integrieren zu wollen und verfügen auch über einen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsflügel, der lange Zeit durch eine expansive Sozialpolitik eingebunden wurde

-In der Steuerpolitik ist demgegenüber national und international traditionell eine stärkere Parteiendifferenz festzustellen16. Insbesondere sozialdemokratische Regierungen produzieren eine hohe Steuerbelastung. Bei sonst ähnlichen Ausgabenbelastungen neigen bürgerliche, auch christdemokratisch-liberale Regierungen demgegenüber eher zu Steuersenkungen und zur Finanzierung der Ausgaben durch Schulden, um ihre Klientel durch die Steuerpolitik maßgeblich entlasten zu können, zumal diese über sichere Staatsanleihen durchaus von einer begrenzt steigenden Staatsverschuldung profitieren könnte.

—>Linke Regierungen, die zunächst parteiprogrammatisch einer Verschuldung im Zuge der keynesianischen Globalsteuerung durchaus aufgeschlossen gegenüber standen, neigen in der Regierungspraxis eher zu einer geringeren Nettoneuverschuldung als konservativ-liberale Regierungen, weil sie aufgrund ihrer Steuerpolitik über erhöhte Steuereinnahmen verfügen.

-Die Parteiendifferenzhypothese verliert aber in der Haushaltspolitik durch sozioökonomischen Druck und Schuldenbegrenzungen insgesamt etwas an Erklärungswert, zumal deutlich wird, dass seit den 1990er Jahren einschneidende Konsolidierungsmaßnahmen in erheblichem Maße auch von sozialdemokratischen Regierungen durchgesetzt wurden. Aber auch hier zeigt sich zumindest im internationalen Vergleich, dass linke Parteien in den Konsolidierungsphasen zum Teil andere Prioritäten realisieren. Sie senken die Sozialleistungsquoten weniger stark und erhöhen tendenziell eher die Steuern. Haushaltspolitik Insgesamt ist in Bezug auf die meisten Parteien zu konstatieren, dass sie aufgrund der skizzierten Ausgabenpräferenzen der Wähler in der repräsentativen Demokratie kaum mit radikalen Reformen in sozialpolitische „Besitzstände“ eingreifen wollen.

-Für die Parteien in Deutschland bedeutet das, dass sie zunehmend sehr widersprüchliche Anforderungen zu verarbeiten haben. Einerseits müssten sie sich inhaltlich klar im Fünf-Parteien-System profilieren und diese Parteiprogrammatik auch in Regierungshandeln umsetzen. Andererseits können sie sich im Hinblick auf multiple Koalitionsoptionen und auf zunehmende Verhandlungszwänge durch Vetospieler nicht auf eindeutige Positionen festlegen, zumal die angesichts extrem steigender Verschuldung notwendig erscheinende Sparpolitik häufig mit dem Stimmenmaximierungsziel konfligiert

Organisierte Interessen

-Die Theorie der Machtressourcen organisierter Interessen beschäftigt sich bedingt auch mit dem Einfluss von Interessengruppen auf die Staatsverschuldung. So sind, wie gezeigt, aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie Steuerzahlerinteressen nur sehr schwer zu organisieren, weil sie „keinen Zugang zu selektiven Anreizen haben“. Demzufolge steht den eher ausgabenexpansiven Interessengruppen keine starke Interessengruppe gegenüber, die eine Reduzierung der Ausgaben fordert, um alle Steuerzahler zu entlasten. Vorwiegend starke Gewerkschaften und Rentnerverbände stehen im Verdacht auf einen Ausbau des Sozialstaats hinzuwirken und Haushaltskonsolidierung in diesen Politikbereichen zu erschweren. Bei diesen Konstellationen ist es schwer, Staatsausgaben zu kürzen, sofern nicht ein Konsens mit wesentlichen Interessengruppen erreicht wird. Eine in diesem Sinne erfolgreiche Konzertierung, beispielsweise zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Staat, dürfte es auch der Opposition erheblich erschweren, aus unpopulären Reformen wahlpolitisches Kapital zu ziehen und kann damit den Parteienwettbewerb reduzieren

-Allerdings ist ein derartiger Konsens mit den Interessengruppen bei Verteilungskonflikten häufig nur erwartbar, wenn der Staat glaubwürdig mit einseitiger hierarchischer Koordination drohen kann, so dass die Interessengruppen durch ihre Konsensbereitschaft teuren und unkalkulierbaren staatlichen Eingriffen zuvorkommen wollen. In Deutschland hat diese Konzertierung im Gegensatz zu einigen anderen Ländern in den Bündnissen für Arbeit auch deshalb nicht funktioniert, weil der Staat aufgrund der Vielzahl der Vetospieler (insbesondere der gegenläufigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat) nur bedingt handlungsfähig ist und somit kaum glaubhaft mit einseitiger hierarchischer Koordination drohen kann bzw. den Interessengruppen Verhandlungspakete anbieten kann, auf die sich diese verlassen könnten

Erblast und historischer Institutionalismus


-Last but not least wird in der Staatstätigkeitsforschung die “Erblast” durch zurückliegende politische Entscheidungen als wesentlicher Faktor hervorgehoben. So reduzieren die Haushaltsdefizite vergangener Jahre ganz erheblich die aktuellen Haushaltsspielräume. Der Anteil der Zinsen an den Gesamtausgaben steigt bei jährlich konstant hohen Defiziten und damit sinken die politischen Handlungsspielräume aus einer modelltheoretischen Sicht langfristig. Allerdings ist empirisch dieser Effekt in gewissem Maße häufiger zeitlich verschoben und tritt im letzten Jahrzehnt aufgrund stark sinkender Zinssätze noch nicht so stark auf. Durch diese Zinssatzentwicklung wurde über Jahre die Zusatzbelastung durch Neuverschuldung weitgehend verdeckt, was sicherlich kaum Anreize für eine stärker ausgeprägte Haushaltsdisziplin geschaffen hat

-Deutschland nahm schon vor der Finanzkrise vor allem neue Kredite auf, um seinen Schuldendienstverpflichtungen nachkommen zu können. Die Schulden sind nun noch durch die Konjunkturpakete, EU-Verpflichtungen und Spekulationsverluste der Landesbanken extrem angestiegen und werden über die Zinsleistungen (bei nun nicht mehr zu erwartenden sinkenden Zinssätzen) die staatliche Handlungsfähigkeit langfristig weiter einschränken.

-Weiterhin werden zukünftige Haushalte durch die Einstellung von Beamten und die später fälligen Pensionsleistungen belastet, weil hierfür in der Vergangenheit unter kameralem Haushaltsrecht überwiegend keine Rückstellungen vorgenommen wurden. Diese Versorgungslasten zukünftiger Haushalte wachsen auch aufgrund der deutlich gestiegenen Lebenserwartung stetig. Namentlich die Landeshaushalte werden durch die in den nächsten Jahren stark steigende Anzahl von Pensionsberechtigten zusätzlich belastet. Der strukturell hohe Beamtenanteil auf Länderebene (Lehrer und Polizeibeamte) führt zu sehr hohen Verpflichtungen und die in den 1970er und 1980er Jahren im Zuge der Bildungsexpansion eingestellten, großen Beamtenkohorten gehen sukzessive in Pension. Zudem sind aufgrund rechtlicher Restriktionen in den alten Bundesländern betriebsbedingte Kündigungen auch bei Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst kaum realisierbar, so dass das vorhandene Personal in der Regel nur sehr langsam durch „natürliche Fluktuation“ abbaubar ist

-Zur Erblastthese wird auch die sog. Pfadabhängigkeit von Institutionen zugeordnet. Pfadabhängigkeit bedeutet, dass Institutionen mit einer langen Tradition häufig nur schwer grundlegend veränderbar sind, selbst wenn diese Institutionen sich im Laufe der Zeit als ineffizient erwiesen haben sollten. Hierfür werden beispielsweise in der Haushaltspolitik häufiger die Sozialversicherungssysteme angeführt. Staaten, die wie Deutschland als „konservativer Wohlfahrtsstaatstyp“ organisiert sind und damit die Sozialpolitik maßgeblich über Sozialversicherungsbeiträge und nicht über Steuern finanzieren, haben beispielsweise in den letzten Jahren die Sozialausgaben im Gegensatz zu den anderen OECD-Staaten nicht zurückführen können. Da Sozialleistungen als Ansprüche von den Beitragszahlern erworben werden, sind Kürzungen politisch schwer durchzusetzen, zumal wenn man die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Vetospieler berücksichtigt

-Bei der Rentenversicherung macht sich der demografische Wandel heute schon stark bemerkbar, ohne dass es den Bundesregierungen bisher gelungen wäre den expansiven Trend des Bundeszuschusses unter Kontrolle zu bringen. Die eigentlich als beitragsfinanzierte Sozialversicherung angelegte Rentenversicherung wird 2010 zu gut einem Drittel vom Bundeshaushalt getragen. Insgesamt machen die Rentenausgaben nun schon 25% des gesamten Bundeshaushalts18 aus

-Der historische Institutionalismus, als eine vom Rational-Choice-Institutionalismus abweichende Variante des Neo-Institutionalismus, hat in den Sozialwissenschaften das Argument der Pfadabhängigkeit stark gemacht und markiert damit die Grenzen von institutionellen Reformen, die über veränderte Anreize das Akteurshandeln und die Haushaltsergebnisse verändern wollen. Aus dieser Perspektive lässt sich das Akteurshandeln durch institutionelle Reformen häufig nicht absichtsvoll verändern. Selbst wenn sich die Verfassung oder das Haushaltsrecht grundlegend ändern sollte, was der historische Institutionalismus bereits für unwahrscheinlich hält, werden die Akteure ihre Verhaltensmuster fortschreiben bzw. verändern sie in nicht-intendierter Weise

Haushaltsrecht und Haushaltsplanung


-Es werden von der normativen Verwaltungswissenschaft Reformleitbilder entwickelt, die vorrangig einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten sollen. Das eigentlich Politische des Haushaltsprozesses und der demokratische Auftrag des Parlaments werden hierbei häufiger ausgeblendet. Unter dem starken Konsolidierungsdruck wird in der normativen Verwaltungswissenschaft zunehmend suggeriert, dass es zum radikalen Sparkurs keine Alternative gibt und sich Politik und Verwaltung dem Konsolidierungsziel unterzuordnen haben. Dabei gerät aus dem Blick, dass Politik und Verwaltung ihr Handeln in einem Zieldreieck zwischen Effizienz, Effektivität und demokratischer Legitimation auszurichten haben und faktisch bei Zielkonflikten immer politische Prioritäten setzen werden.

-Heute zählt das Budgetrecht – trotz aller Unterschiede zwischen Staaten und Ebenen im Staatsaufbau – zu den zentralen Funktionen aller Parlamente. Gewählte Abgeordnete entscheiden bei uns auf der Ebene der Europäischen Union, des Bundes, der Länder und der Kommunen über den jeweiligen Haushalt als die systematische Aufzeichnung geplanter Einnahmen und Ausgaben. Er erhält Rechtskraft und Verbindlichkeit als Haushaltsgesetz (Staat) oder Satzung (Kommune). Budgetrecht aller Parlamente Selbst auf der kommunalen Ebene, wo die Elemente der direkten Demokratie am stärksten ausgeprägt sind, ist der Haushalt der direkten Partizipation durch Bürgerentscheid in Deutschland formal weitgehend entzogen und dem Rat als Repräsentativorgan vorbehalten. Die Bedeutung dieses Budgetrechts und des Haushalts als Instrument demokratisch legitimierter Verwaltungsführung wird auch nicht dadurch geschmälert, dass allenthalben wichtige Fachberatungen und Teilentscheidungen an Ausschüsse faktisch oder formell delegiert werden

-Materiell bestimmen die öffentlichen Haushalte in ihrer Gesamtheit über das relative Gewicht der öffentlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen (Programmfunktion). Die Notwendigkeit des formellen Haushaltsausgleichs verknüpft dabei Einnahme- und Ausgabeentscheidungen (Ausgleichsfunktion). Haushaltsfunktionen

-Prozedural ist der Haushalt als Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrument eng mit der administrativen Aufgabenerfüllung verknüpft:

  • Spätestens die Haushaltsplanung zwingt jede Verwaltung zu einer Ex-antePrüfung von zukünftigen Leistungen und Verwaltungstätigkeiten (Planungsfunktion).

  • Der vom demokratisch legitimierten Parlament verabschiedete Haushaltsplan steuert das Verwaltungshandeln nicht als einzige, aber als sehr wichtige Determinante (Steuerungsfunktion).

  • Der Haushaltsplan kann als Maßstab der Ex-post-Prüfung für interne und externe Instanzen der Finanzkontrolle (z.B. Rechnungsprüfungsämter, Rechnungshöfe) dienen, inwieweit das demokratisch legitimierte Handlungsprogramm tatsächlich effizient umgesetzt wurde (Kontrollfunktion).

- Die genannten Haushaltsfunktionen können unterschiedlich gut durch Vorgaben für den Haushaltsplan oder durch Anweisungen an die Verwaltung für ihr Handeln im Aufstellungs- und Vollzugsprozess umgesetzt werden. In dem langen historischen Prozess, in dem sich die heutigen Haushalte herausgebildet haben, wurde ein buntes Ensemble von Haushaltsgrundsätzen entwickelt und rechtlich über Gesetze und Haushaltsverordnungen verbindlich gemacht. Dazu gehören u.a.:

1. Grundsätze für die Aufstellung und den Haushaltsplan: Haushaltsgrundsätze Einheit, Vollständigkeit, Einzelveranschlagung, Bruttoveranschlagung, Gesamtdeckung, Klarheit und Genauigkeit zielen vor allem auf das Definitionsmerkmal „systematisch“.

2. Grundsätze für den Vollzug: Hier steht der Grundsatz der Spezialität im Mittelpunkt. Die in den einzelnen Haushaltstiteln ausgewiesenen Mittel dürfen i.d.R. nur in dem genannten Umfang (quantitative Spezialität), für den genannten Zweck (qualitative Spezialität) und in dem genannten Jahr (zeitliche Spezialität) verausgabt werden, was erst im Zuge der Budgetierung des New Public Managements strukturell verändert werden sollte.

3. Übergreifende Grundsätze:

Materiell ist hier die Wirtschaftlichkeit zu nennen, die alles Handeln bei Aufstellung und Vollzug steuern soll, prozedural die Öffentlichkeit, die durch öffentliche Plenarberatung, Publikation des Haushaltsplans und – später – von Finanzkontrollergebnissen gewährleistet werden soll.

Traditionelle Haushaltskritik und Reformansätze


-Die Kritik am traditionellen Haushaltsrecht und Budgetprozess sowie die daran anknüpfenden Reformansätze lassen sich grob in vier Kategorien klassifizieren. In der Verwaltungswissenschaft wird in immer wieder neuen Wellen der Haushaltsprozess als zu kurzfristig kritisiert und die Fachverwaltungen haben demnach bei der Haushaltsaufstellung eine zu starke Stellung. Zudem werden danach die Haushaltsmittel zu wenig in Verbindung gesetzt mit der Wirkung staatlicher Programme. Seit den 1960er Jahren war dies der Anlass für viele Reformen der Haushaltsplanung und der Verwaltung in den USA und etwas verhaltener auch in Deutschland. Die häufig ernüchternden Reformerfahrungen gerieten aber in Vergessenheit, so dass neue Reformbewegungen, wie das New Public Management oder das strategische Management, immer wieder Bestandteile dieser älteren Reformansätze mit sich führen, ohne dass verdeutlicht wird, was man aus Fehlern vergangener Reformen gelernt hat und warum sie in einem neuen Anlauf erfolgreicher zu implementieren sein sollten.

Kategorien

Traditionelle Haushaltspraxis

Beispiele für alternative Planungsmethoden

Zentralisierungsgrad

- relativ starke Stellung dezentraler Fachverwaltungen

- hoher Zentralisierungsgrad Beispiel: Planning-Programming-Budgeting-System (PPBS) und kommunale Entwicklungsplanung

Bestandsbezogenheit

- inkrementalistisch

- nicht am Bestand orientiert Beispiel: Zero-Base-Budgeting (ZBB) und kommunale Aufgabenkritik

Zeithorizont

- kurzfristig orientiert

mittelfristig orientiert Beispiel: mittelfristige Finanzplanung

Input- oder Output-/Outcomeorientierung

- am Input orientiert

- eher am Outcome orientiert Beispiel PPBS, ZBB und Evaluationsforschung


Zentralisierungsgrad in der Haushaltspolitik


-Als tendenziell dezentral ist die Haushaltspolitik dann zu bezeichnen, wenn die Fachverwaltungen über sehr große Handlungsspielräume bei der Haushaltsaufstellung bzw. beim Haushaltsvollzug verfügen. Eher zentrale Haushaltspolitiken zeichnen sich dadurch aus, dass die Finanzverwaltung und fachübergreifend angelegte Regierungsinstitutionen sehr frühzeitig detaillierte Zielvorgaben formulieren, die von den Fachverwaltungen umzusetzen sind. In Deutschland kann auf allen föderalen Ebenen ein eher dezentraler Haushaltsaufstellungsprozess konstatiert werden. Empirisch haben sich hierbei seit Jahrzehnten die folgenden Routinen „eingeschliffen“: Deutschland Auf der Bundesebene gibt so beispielsweise der Bundesfinanzminister das Startzeichen für die Erstellung des Haushaltsentwurfs, indem er einen Aufstellungserlass an alle Ministerien verfasst, der die Richtlinien für die Haushaltsaufstellung enthält ). Durch diesen Erlass werden den einzelnen Fachverwaltungen aber keine konkreteren Ziele vorgegeben, an denen hinterher ihre Vorschläge gemessen werden könnten. „Die Wirkung des Erlasses ist beschränkt, da er zu einer Routineangelegenheit geworden ist. Sein wichtigster Inhalt ist das Datum, bis zu dem die Anmeldungen vorzulegen sind“. Es findet vorab auch keine konkrete Zieldefinition durch andere zentrale Regierungsinstitutionen statt, wenn man Wahlprogramme und Regierungserklärungen aufgrund ihres doch überwiegend allgemeinen, perspektivischen Charakters für die Bestimmung von operationalen Budgetvorgaben für untauglich hält

-Ein entscheidender Grund für diese Routinisierung des Haushaltsprozesses ist in der zu verarbeitenden Komplexität in kürzester Zeit zu sehen. Diese Komplexität ergibt sich auch daraus, dass nicht nur zum aktuellen Haushalt alle Daten aus den unterschiedlichen Abteilungen zusammengeführt werden müssen, sondern gleichzeitig die Jahresrechnung für vergangene Haushaltsjahre und die Bedarfsermittlung für das darauf folgende Haushaltsjahr zu erstellen sind

-Die Haushaltsvoranschläge der einzelnen Ressorts entstehen durch einen von unten nach oben gerichteten Prozess, indem ausgehend von den untersten Verwaltungsstellen die benötigten Finanzmittel von Hierarchiestufe zu Hierarchiestufe aggregiert werden. Die beim Finanzministerium eingehenden Voranschläge der Ressorts werden mit den zur Verfügung stehenden Einnahmen abgeglichen. Das sich hieraus in der Regel ergebende Defizit (siehe die Beschreibungen des Verfahrens durch Parkinson) ist für das Finanzministerium Anlass genug, in bipolaren Verhandlungsprozessen mit den Fachverwaltungen zu versuchen, die Voranschläge herunterzuschrauben.

-Das Finanzministerium ist auch bei diesen Nachverhandlungen vorrangig an kurzfristiger Defizitbegrenzung interessiert (Input-Orientierung), während die mit den staatlichen Leistungen einhergehenden Wirkungen nur eine marginale Rolle spielen (Outcome-Orientierung). Der sich aus diesen Verhandlungsprozessen ergebende Haushaltsentwurf wird partiell noch einmal im Kabinett diskutiert, bevor er Bundestag und Bundesrat zur Beratung vorgelegt wird. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Haushaltsprozesse hochgradig zerstückelt ablaufen. „Nirgendwo wird über ‘die’ öffentlichen Ausgaben oder gar über Ausgaben und Einnahmen simultan entschieden“ und nirgendwo liegen auf zentraler Ebene genügend Informationen aus den einzelnen Ressorts vor, um verschiedene staatliche Angebote, gemessen an ihrer Effizienz und Effektivität, vergleichend beurteilen zu können. Die Nachteile einer derartig dezentralen Haushaltspolitik, in der es zu keiner Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag (bzw. Wirkung) verschiedener öffentlichen Leistungen auf übergeordneter Ebene kommt, liegen auf der Hand:

-Nachteile:

  • In vielen Ressorts werden teilweise Finanzmittel für ähnliche Aufgaben verwendet, ohne dass eine positive Koordination der einzelnen Programme stattfindet. Das kann zur „Mehrfachförderung“ verschiedener Projekte führen. Nachteile

  • Eine quantitativ bedeutsame Umschichtung der Finanzmittel zwischen den Ressorts ist unwahrscheinlich, solange Haushaltsplanung nicht auf der Grundlage vorher definierter politischer Zielvorgaben erfolgt und eventuelle Kürzungen nur aus haushaltswirtschaftlicher und nicht aus fachpolitischer Sicht erfolgen.

  • Folgt man den bereits skizzierten Annahmen des Rational-ChoiceInstitutionalismus dann führt eine starke Position der Fachverwaltung gegenüber den zentralen Steuerungspolitikern zur Budgetexpansion

-Aus politikwissenschaftlicher Sicht wird neben diesen Effektivitäts- und Effizienzproblemen zudem immer wieder die demokratische Legitimation dieses dezentralen Haushaltsprozesses kritisch hinterfragt. Zumeist wird nach diesen langen verwaltungsinternen Verhandlungen, die zumindest im gewissen Maße zunächst unabhängig von politischen Zielvorgaben stattfinden, der Haushaltsplan in den Parlamenten kaum noch grundlegend verändert. Damit steuern und kontrollieren sich Verwaltung und Regierung im gewissen Maße selbst, während die hierfür gewählten Parlamentarier eher kleine Nuancen verändern (können). Folglich wird traditionell eine Entmachtung der Parlamente und eine Entparlamentarisierung der Haushaltspolitik kritisiert


Planning-Programming-Budgeting-System (PPBS)


-Das in den USA in den 1960er Jahren entwickelte Planning-Programming-Budgeting- System (PPBS) sollte diese Probleme dezentraler Haushaltspolitik abbauen und ist in der Verwaltungswissenschaft „der Klassiker“ für große Haushalts- und Verwaltungsreformen. Durch damals neue Entscheidungstechniken, wie die Kosten-Nutzen-Analyse, wurde erwartet, dass weitgehend alle sozialen Probleme lösbar sind, ähnlich wie durch wissenschaftlichen Fortschritt die Landung auf dem Mond erreicht wurde. Die Reformer unterstellten zugleich, dass politische Probleme durch wissenschaftliche Analyse einer richtigen Lösung zugeführt werden können. Kritiker sahen hierin zu Recht einen Versuch der Entpolitisierung der Haushaltspolitik.

-Zusammengefasst lässt sich das PPBS als ein Drei-Phasen-Modell skizzieren (Wild/Schmid 1973): – Planungsphase: Schwerpunkt dieser ersten Phase ist die Diskussion von Zielsystemen, die die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse sicherstellen sollen. Diese Planungsphase ist größtenteils auf zentraler Ebene angesiedelt, weil nur diese Stellen einen umfassenderen Überblick haben. – Programmierungsphase: In dieser Phase werden alternative und detailreiche Handlungsprogramme von den Fachverwaltungen entwickelt, die helfen sollen, die definierten Ziele zu erreichen. Die effizientesten Handlungsprogramme werden anschließend durch Spezialstudien (häufig einfache Kosten-Nutzen-Analysen) erfasst. Dieser Prozess, der in der Regel in den einzelnen Unterabteilungen der Fachverwaltungen abläuft, wird den jeweiligen zentralen Entscheidungsträgern durch sog. Programm-Memoranda transparent gemacht. „In diesen Studien legt die Programmgruppe die für ihren Bereich erarbeiteten Vorhaben dar, ferner die empfohlenen Alternativen, das Für und Wider dieser Vorschläge, sowie die Daten, die Analyse und die Argumente für jene alternativen Möglichkeiten, die sie verworfen hat“

-– Budgetierungsphase: In dieser Phase wird eine mehrjährige integrierte Programm- und Finanzplanung erstellt, die den in den anderen Phasen entwickelten optimalen Output in Verhältnis setzt zu dem finanzpolitisch Machbaren (also zum Input). Durch diese Verbindung von Input und Outcome „soll eine Beurteilung der Programmleistungen und -kosten über einen längeren Zeitraum ermöglicht und dem - für jedes integrierte Managementsystem konstitutiven - Erfolgskontrollgedanken im Sinne eines Soll-Ist-Vergleiches in Hinsicht auf das Ausmaß der Zielerreichung Rechnung getragen werden

-Das PPB-System wurde nach langen Vorarbeiten der Rand Corporation 1961 nach der Übernahme der Präsidentschaft durch John F. Kennedy im US-Verteidigungsministerium eingeführt. Die Umstellung des ganzen Budgetsystems im Verteidigungsministerium verlief relativ reibungslos, und die erfolgreiche Umsetzung dieses Konzeptes war der Anlass für den 1965 gewählten Präsidenten Johnson, das PPBS auf die gesamte Bundesregierung und -verwaltung zu übertragen

-Die erheblich geringeren Implementationsprobleme, die bei dem Einsatz des PPBS im Verteidigungsministerium im Gegensatz zu den anderen Ministerien auftraten, werden auf zwei Ursachen zurückgeführt:

– Dem Verteidigungsministerium standen von der RAND Corporation ausgebildete Analytiker zur Verfügung, die sich nicht nur mit der Funktionsweise des PPBS gut auskannten, sondern auch in der Verteidigungspolitik.

– Das PPBS diente im Verteidigungssektor nicht dazu, Ausgaben zu kürzen, sondern im Gegenteil wuchs in dieser Zeit der Verteidigungsetat extrem an. Der erhebliche Mehraufwand, der durch die Umstellung des Budgetsystems entstand, zahlte sich also in der Regel aus der Rational-Choice-Perspektive für die einzelnen Unterabteilungen aus. Wer sich den Erfordernissen des neuen Budgetsystems schnell unterwarf, hatte gute Chancen, sein Budget auszuweiten.

-Es lassen sich vor allem drei Grundprobleme identifizieren, die zum Scheitern des PPBS in den USA führten und die für die zentrale Haushaltspolitik typisch sind:

– Erstens war die Einführung (aber auch die Fortführung) des PPBS mit erheblichen Kosten verbunden. Hauptsächlich führte die zentralisierte Entscheidungsstruktur zu einer Überforderung der Informationsverarbeitungskapazitäten, zumal die Zentrale mit detaillierten Direktiven eine flächendeckende Implementation der neuen Informationssysteme anstrebte, anstatt sich zunächst auf einige Schlüsselbehörden zu konzentrieren. Deshalb konnten die Informationen aufgrund von Überlastung nur sehr selektiv verarbeitet werden, so dass sie kaum Einfluss auf die Budgetentscheidungen hatten. Das Parlament schließlich interessierte sich kaum für die quantifizierten Studien. Deshalb wurde durch PPBS der zeitlich kurz getaktete Prozess der Haushaltsaufstellung kaum beeinflusst. Folglich entstanden „Stöße von unhaltbaren, irrelevanten Rechtfertigungen und Beschreibungen..., [wurden] Pläne ausgearbeitet ohne ernsthafte Berücksichtigung von Zielen, Ressourcenbeschränkung und alternativen Möglichkeiten. PPBS erschöpfte sich in den ersten Jahren in technischen Stilübungen“ (Schick 1975: 188). PPBS blieb also, bei hohen Transaktionskosten für den Budgetierungsprozess, letztlich folgenlos und erwies sich allein hierdurch schon als ineffizient . Wie in allen Bereichen der politischen Planung zeigte sich auch hier, dass hierarchische Koordination mit umfassenden Informationssystemen – also der „allwissende Diktator“ – kaum realisierbar ist.

- Gerade die Diskussion von Alternativentscheidungen konfligierte mit der Hierarchie in den einzelnen Fachverwaltungen und der zentralen Planungsstruktur: „Je stärker die leitenden Beamten die Alternativentscheidungen beeinflussen, desto sinnloser wird es für die Untergebenen, ihre eigenen Ideen zur Diskussion zu stellen“

– Drittens wurde die Einführung des PPBS durch den Widerstand einiger Fachverwaltungen erschwert, die im PPBS eine Bedrohung ihrer administrativen Besitzstände sahen. Die Auswertungen der Informationen aus den dezentralen Einheiten bereiteten den zentralen Planungseinheiten erhebliche Probleme, nicht zuletzt „aufgrund innerbürokratischen Widerstands zur Vermeidung von Programmkürzungen

PPBS in Deutschland


-Auch in Deutschland wurden in der Phase der „Planungseuphorie“ in den 1970er Jahren ganz ähnliche Reformen diskutiert, die maßgeblich durch politikwissenschaftliche Berater forciert wurden. Während nach 1945 die Planungstheorie in vielen Ländern diskreditiert erschien und vornehmlich in Deutschland sich die Ökonomie im Zuge des Ordoliberalismus vom Plan völlig abgewandt hatte, führte die erste ökonomische Krise 1966 in Deutschland zu einer Planungseuphorie und einer Hinwendung zur keynesianischen Globalsteuerung. Mit vorausschauender Politik sollte auf Marktversagen reagiert werden. Besonders an der Debatte über die Reform der Ministerialverwaltung und anderer Planungssysteme beteiligte sich die Politikwissenschaft maßgeblich. In der noch zu Zeiten der ersten großen Koalition (1966-1969) gegründeten Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform arbeiteten Politikwissenschaftler wie Fritz Scharpf, Renate Mayntz und Frieder Naschold aktiv mit.

-Insbesondere Renate Mayntz und Fritz Scharpf, die bis heute die politikwissenschaftliche Steuerungs- und Governancedebatte in Deutschland prägen, setzten sich für eine aktive Politik durch stärkere Planung ein . Die Wirksamkeit politischen Handelns sollte verbessert werden, indem der Staat durch Planungsinstrumente intelligenter intervenieren sollte . Die spätkapitalistische Industriegesellschaft habe durch die zunehmende Beschleunigung gravierende Folgeprobleme produziert (wirtschaftliche Strukturkrisen, Verkehrsprobleme in Ballungsgebieten, Umweltverschmutzung etc.), die durch eine lediglich reaktive Politik nicht aufgefangen werden könnten.

-Die Ministerialverwaltung sollte zur Ermöglichung dieser vorausschauenden Planung dahingehend reformiert werden, dass insbesondere die politische Leitungsebene und damit vorrangig die hierarchische Koordination gestärkt wird. Auch damit wurde nicht nur eine höhere Effektivität und Problemlösungsfähigkeit angestrebt, sondern auch die politische Programmierung der Verwaltung durch die dafür demokratisch legitimierten Parlamentarier und Regierungsspitzen sollte erleichtert werden. Effektivität und demokratische Legitimation wurden in der Folgezeit zu den zentralen Bewertungskriterien der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung in Deutschland, die bis heute auch weitgehend das empirische Erkenntnisinteresse steuern und, wie bereits problematisiert, zu einer geringen Aufmerksamkeit für Fragen der Haushaltskonsolidierung beitragen.

-Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die hochgesteckten Erwartungen in die Planungstechniken auf der Bundesebene „indes allesamt enttäuscht“ wurden. Die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform wurde 1975 „sang- und klanglos“ eingestellt, bevor umfassende Planungsansätze überhaupt in die Umsetzungsphase hätten münden können. Dies wird auf die Widerstände und Informationsblockaden der Fachministerien und des Koalitionspartners FDP zurückgeführt, die sich bei einer Fokussierung diverser Kompetenzen und Kontrollansprüche auf das Bundeskanzleramt als Verlierer im Machtspiel wähnten. Enttäuschung der Planungseuphorie Zur Implementation dieser ressortübergreifenden Planungstechniken kam es in Deutschland fast ausschließlich auf der kommunalen Ebene.

-Implementationsprobleme:

Zunächst formulierten Politiker und Verwaltungen in deutschen Kommunen keine klaren, hierarchisierten, langfristigen Ziele, die die Voraussetzung für die Bewertung von Verwaltungsleistungen und –entscheidungen nach einheitlichen Indikatoren sind. Kritiker der kommunalen Entwicklungsplanung konstatierten, dass das Zielsystem, wenn überhaupt, leerformelhaft formuliert und Konflikte damit vermieden wurden „und von daher weder Betroffenheit bei der Bevölkerung noch Interesse bei den politischen Repräsentanten zu erzeugen sind“. Bereits die Ungewissheiten der öffentlichen Finanzen führten dazu, dass die Entwicklungsplanung hinsichtlich ihrer Finanzquellen unbestimmt blieb und deshalb Implementationsprobleme vorprogrammiert waren. Bei der Entwicklungsplanung kamen im erheblichen Maße noch die Probleme der hierarchischen Steuerung gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt aufgrund vieler institutioneller und ökonomischer Restriktionen hinzu . Nur in wenigen Kommunen wurde die Entwicklungsplanung eingeführt und selbst bei großen wissenschaftlichen Bemühungen gelang es allein schon aufgrund der Komplexität der Aufgabe nicht, für eine Stadt Ziele und Programme so operationalisiert zu formulieren, dass sie im Sinne von allgemeinen Vorgaben einsetzbar gewesen wären. Folglich hatte die vage Entwicklungsplanung auch den später folgenden klaren Sparprogrammen nur wenig zu bieten bzw. entgegenzusetzen.

Bestandsbezogenheit und Inkrementalismus der Haushaltspolitik


-Die Haushaltspolitik in der Bundesrepublik kann man als weitgehend inkrementalistisch charakterisieren. Inkrementalismus in der Haushaltspolitik bedeutet, dass sich der haushaltspolitische Prozess an den Haushaltsansätzen des Vorjahres orientiert. Die neuen Haushaltsansätze kommen also nicht durch eine umfassende Aufgabenplanung und -kritik zustande, sondern richten sich nach den budgetpolitischen Forderungen der Vergangenheit, so dass durchgreifende Veränderungen der Budgetstruktur in wenigen Jahren nicht zu erwarten sind. Die Inkrementalismusdebatte geht maßgeblich auf Charles E. Lindblom zurück. Er argumentierte, dass eine umfassend rationale Planung (im Sinne von klarer Zielbestimmung, genauer Bewertung alternativer Handlungsprogramme durch quantifizierende Messinstrumente etc.) bei komplexen gesellschaftlichen Problemen kaum möglich ist

„Die Grenzen der intellektuellen Fähigkeit des Menschen und die jeweils verfügbaren Informationen sind Grenzen auch für den Anspruch der Vollständigkeit. In der Praxis ist deshalb die umfassend-rationale Methode für wirklich komplexe Probleme nicht anwendbar, weswegen eine mit einem einigermaßen komplexen Problem konfrontierte Verwaltung sich zu drastischen Vereinfachungen gezwungen sieht“ (Lindblom 1975)

-Eine derartige Methode ist der Inkrementalismus, d. h. die Orientierung am Bestand bei gleichzeitig eingeschränkter Analyse von graduellen Veränderungsmöglichkeiten. Diese Methode kommt aber nicht nur den begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten der Verwaltungen entgegen, sondern ist gleichzeitig politisch relevanter als die umfassend rationale Methode, weil sich das politische Angebot in einer Demokratie nur bedingt unterscheidet, so dass auch nach einer Wahl keine radikalen Änderungen zu erwarten sind. Für die Berücksichtigung gesellschaftlicher Werte bei der graduellen Veränderung staatlicher Leistungen hält Lindblom eine Planungszentrale nicht für geeignet und will entsprechend pluralistischen Modellen die Bedürfnisartikulation eher dem „Gleichgewicht der Interessengruppen“ überlassen. Insgesamt empfiehlt Lindblom damit eine kleinschrittige Politik mit graduellen Veränderungen, die aus seiner Sicht im Wesentlichen auch der Verwaltungspraxis entspricht, die aber durch die vorrangig in der Wissenschaft entwickelten, rational-umfassenden Planungssysteme immer wieder (unnötig) in Frage gestellt würde.

-Aus seiner Sicht ist auch die lange Diskussion von abstrakten Zielen in Planungssystemen weitgehend Zeitverschwendung, weil eine grundlegende Neuausrichtung nicht zu erwarten ist und die graduelle Veränderungen aus der Beteiligung von Interessengruppen als eher dezentral-partizipatives Moment resultieren (sollten) und nicht aus Zieldiskussionen der zentralen Entscheidungsträgern. Der Inkrementalismus weist damit auch eine Verwandtschaft mit dem reformkritischen historischen Institutionalismus auf. Auch dieser erwartet durchschnittlich keine grundlegenden Reformen und Veränderungen.

-In der Inkrementalismusdebatte wurde zudem aus pragmatischer Sicht darauf hingewiesen, dass es häufig schwerer sei, sich auf gemeinsame, operationale Ziele zu einigen, als über konkrete Projekte Einvernehmen zu erzielen. Bereits damals wies Lindblom auch auf Übertragungsprobleme von privatwirtschaftlichen Managementmodellen hin. Bei der Steuerung eines politischen Gemeinwesens seien diffusere und vielschichtigere Ziele zu berücksichtigen als bei einem privaten Unternehmen. Daraus resultieren häufig auch erhebliche Zielkonflikte, die sich nur schwer abstrakt lösen lassen, sondern stark vom jeweiligen Einzelfall abhängen

-Lindbloms Argumente können ohne weiteres auf die Haushaltspolitik übertragen werden und zur Begründung und Legitimation der inkrementalistischen Budgetpolitik dienen. Allerdings wurden inkrementalistische Budgetierungsverfahren von vielen Verwaltungswissenschaftlern für das Ansteigen der Staatsquote verantwortlich gemacht bzw. zumindest als ungeeignetes Instrument zur Rückführung der Staatsquote bezeichnet (z. B. Mäding 1983). Inkrementalistische Politik wird häufig gleichgesetzt mit einer zuwachsorientierten Politik, in der jedes Jahr für jede Interessengruppe mehr „öffentliche Wohltaten“ angeboten werden. Dass man eine derartige Politik in Krisenzeiten nicht lange durchhalten kann, dürfte einleuchten. Inkrementalistische Politik, die den aktuellen Aufgabenbestand nicht hinterfragt, kann dazu führen, dass asymmetrische Reaktionen der Politik auf Nachfrageänderungen der Bürger verstärkt werden: Einer „Mehrnachfrage nach einer bestimmten öffentlichen Leistung wird durch ein entsprechend erweitertes öffentliches Angebot Rechnung getragen

Zero Base Budgeting

-Um den inkrementalistischen Tendenzen der Haushaltspolitik entgegenzuwirken, wurde in den USA schon früh das Zero Base Budgeting (ZBB) erprobt. Bevor das ZBB zum Einsatz kommen kann, müssen (analog zum PPBS) anzustrebende Ziele definiert werden. Das ZBB lässt sich in drei konzeptionelle Elemente aufteilen: Als erstes werden für das ZBB den verschiedenen Aufgaben der Regierung eindeutig abgegrenzte Entscheidungseinheiten in der Verwaltung zugeordnet. Das zweite Element ist die Erarbeitung von sog „decision packages“. Es werden alternative Instrumente zur Aufgabenerfüllung in Form von Kosten-Nutzen-Analysen erstellt, und es werden auf dieser Grundlage unterschiedliche Haushaltsvorschläge unterbreitet. Die Spannweite dieser Vorschläge reicht von einer drastischen Ausweitung der Leistungserstellung bis hin zu einer deutlichen Reduzierung der Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr. Das dritte Element ist das Rangordnungsverfahren, das die einzelnen „decision packages“ der Wichtigkeit nach sortiert.

-Bereits im Jahre 1962 wurden im Landwirtschaftsministerium der US-Regierung die ersten Experimente mit ZBB gemacht. Die Ergebnisse waren aber für die Verwaltungsmitarbeiter wenig akzeptabel, so dass nach kurzer Zeit das Experiment eingestellt wurde. Wildavsky und Hamman (1968) stellten in der empirischen Untersuchung dieses Falles, gestützt auf umfangreiches Interviewmaterial, fest, dass die Behördenmitarbeiter sich nach kurzer Zeit wieder auf inkrementalistische Verhaltensweisen umstellten. Sie machen dafür zwei Gründe verantwortlich: 1.Implementationsprobleme

Erstens konnten die Verwaltungsmitarbeiter sich bei der Beurteilung von Budgets nur auf Erfahrungen stützen. Welche Auswirkungen beispielsweise eine 50%ige Kürzung eines Programmes zur Folge hätte, ließ sich für die Verwaltungsmitarbeiter nur schwer prognostizieren.

2. Zweitens ging eine drastische Veränderung der Programme und der Budgetstruktur aus ihrer Sicht an der politischen Realität vorbei, oder wie es ein Verwaltungsmitarbeiter ausdrückte: „We knock our heads against the wall and then we know it will all turn out the same“ (Wildavsky/Hammann 1968). Bei extrem hohem Aufwand für die Analyse von Alternativen wurden also auch in diesem Fall die Informationen kaum für die Veränderung von Budgetentscheidungen verwendet.

-Neben den bereits von Wildavsky und Hamman angeführten Gründen für das Weiterbestehen der inkrementalen Budgetierungspraxis lassen sich noch drei weitere Ursachen identifizieren:

– Die gerade für das Rangordnungsverfahren des ZBB notwendigen Kosten-Nutzen-Analysen waren offensichtlich nicht in der Lage, eine „objektive“ Reihung der Programme ihrer Wichtigkeit nach vorzunehmen. Die Verengung politisch-administrativer Entscheidungskriterien auf eine ökonomistische Betrachtungsweise griff entschieden zu kurz. Der Kongress schließlich interessierte sich auch deshalb kaum für diese Studien. Konfligierten die Ergebnisse von ZBB mit politischen Interessen (also dem erwarteten politischen Nutzen bzw. Kosten für die Wiederwahl), weil es beispielsweise empfahl Verwaltungsstandorte zu schließen, setzten sich die Standortinteressen durch . Zudem ist zu berücksichtigen, dass Kosten-Nutzen-Analysen in der Verwaltung im hohen Maße durch die Ausklammerung unerwünschter Alternativen und interessengeleitete Zielgewichtung manipuliert werden können .

– Da ZBB häufig zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung eingesetzt wurde, waren auch hier gegenläufige Strategien der dezentralen Verwaltungseinheiten zu beobachten. So wurden eher gefährdete Programme in der Rangordnung als sehr wichtig angesiedelt, während sehr populäre Programme als weniger wichtig bewertet wurden. Eine Kürzung des Budgets hätte für die Politiker somit die unangenehme Folge gehabt, dass gerade stimmenmaximierende Programme der Haushaltskonsolidierung zum Opfer gefallen wären.

– Der erhebliche Informationsaufwand des ZBB führte dazu, dass sich die Verwaltung nur auf wenige Programme konzentrierte, während die anderen weiter nicht zur Disposition standen. So wurden auch mit dem ZBB 80 bis 90 Prozent des Haushaltsbudgets des Vorjahres mehr oder weniger nicht hinterfragt

Aufgabenkritik


-Ganz ähnliche Probleme zeigten sich in deutschen Kommunen bei der Einführung der Aufgabenkritik in den 1970er Jahren. Ziel des von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) entwickelten, systematischen Verfahrens der Aufgabenkritik war es den stetig weiter wachsenden Aufgabenbestand durch zielorientierte kontinuierliche Aufgabenprüfung zu reduzieren, auch um damit die Effizienz des Verwaltungshandelns zu steigern. Die Aufgaben sollten nach transparenten Kriterien und durch Kosten-Nutzen-Analysen überprüft werden. Bezugspunkt war also nicht, wie bei der inkrementalistischen Methode, der Haushaltsansatz des Vorjahres, sondern insbesondere der gesellschaftliche Nutzen einer Aufgabe (outcome). Diese Prüfung sollte stärker zentral durch eine Kommission der verschiedenen Querschnittsämter (Kämmerei, Hauptamt, Personalamt) erfolgen. Es ging um einen „rationalen Ansatz des geordneten Rückzugs“ (Hack 1987: 126). Typisch für die Phase der Planungseuphorie sollten durch Aufgabenkritik Informationen generiert werden, die zu einer intelligenteren, hierarchischen Steuerung führen.

-Die Verfahren der Aufgabenkritik wurden allerdings nur in wenigen Großstädten eingeführt. Insbesondere zeigten sich in der Implementationspraxis die typischen Probleme. Die zentralen Ämter wurden einerseits durch Informationen überlastet und andererseits erhielten sie nur wenig relevante Informationen, weil die Fachverwaltungen selektiv die Informationen weitergaben. Die Informationsüberlastung führte dazu, dass die ursprünglich propagierte Verknüpfung der Aufgabenkritik mit den Haushaltsberatungen nicht realisiert werden konnte.

-Während die Haushaltsplanung als jährlich wiederkehrendes Element zügig in Politik und Verwaltung erstellt werden muss, dauerte die erste Runde der Aufgabenkritik länger als ein Jahr (KGSt 1976: 11). Danach wurde auch konzeptionell die Aufgabenkritik aufgrund der Komplexität der zu verarbeitenden Informationen von den Haushaltsberatungen abgekoppelt und die Aufgabenkritik hatte damit für die Verteilung von Haushaltsmitteln faktisch keine Relevanz (Banner 1985). Zudem leisteten die Fachverwaltungen gegen die Aufgabenkritik erheblichen Widerstand, weil ihr Ansehen, Personal und ihre Haushaltsmittel nicht unerheblich von dem historisch gewachsenen Aufgabenbestand abhängen. Insgesamt wurden aufgrund dieser massiven Implementationsprobleme die systematischen Verfahren der Aufgabenkritik bald wieder eingestellt.

Zeithorizont der Haushaltspolitik


-Die Haushaltspolitik hat in der Regel nur einen sehr kurzen Zeithorizont. Damit ist in erster Linie nicht der in der NPÖ hervorgehobene Wiederwahlrhythmus gemeint, sondern noch kurzfristiger die jährliche Haushaltsplanung. Zusammenfassend kann man drei Kritikpunkte an dieser kurzfristig orientierten Haushaltspolitik anbringen: Drei Kritikpunkte an der Kurzfristigkeit Auf der Grundlage des keynesianischen Globalsteuerungskonzeptes wurde kritisiert, dass die einjährige Haushaltsplanung keinen Beitrag zur Verstetigung des Wirtschaftswachstums leisten kann (Naschold et al. 1973). Insbesondere ist hier an die Mobilisierung von Finanzmitteln in den Zeiten der Rezession zu denken (antizyklische Fiskalpolitik), die auf Dauer eigentlich eine Sparpolitik in der Hochkonjunkturphase voraussetzt. Gerade zum Ende der Wahlperiode besteht zudem ein erhöhter Anreiz zu erheblichen Investitionen (siehe „politische Konjunkturzyklen“), während die Folgelasten der Investitionen in der einjährigen Haushaltsplanung für Politik und Öffentlichkeit nicht deutlich werden. Allgemein gesprochen, werden die Zukunftsinteressen (z. B. radikale Begrenzung des Kreditrahmens) gegenüber den Gegenwartsinteressen (z. B. Maximierung sozialpolitischer Programme) durch die einjährige Haushaltsplanung benachteiligt.

-Kurzfristig orientierte Sparpolitik führt zu erheblichen Asymmetrien in ihren Verteilungswirkungen. Während beispielsweise Investitionen sehr kurzfristig gekürzt werden können, ist dies aufgrund der geltenden Tarifverträge und der beamtenrechtlichen Regelungen bei den Personalkosten nur begrenzt möglich. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Subvention von Großprojekten, bei der sich der Staat nach einer Anfinanzierung häufig nicht mehr aus der finanziellen Förderung zurückziehen kann, weil die bereits gewährten Mittel die Regierung zum Erfolg dieses Projektes „verurteilen“. „Gerade aus diesem Grund entwickelt ein Einstieg in die Großprojekt-Förderung schnell Eigendynamik, der man durch Kürzungsoperationen selten Herr wird. Üblicherweise gelingt es nicht einmal, die sich in der Durchführungsphase ergebenden Überschreitungen der ursprünglich geplanten Kosten zu begrenzen“. Aus Sicht der Spieltheorie bestehen damit erhebliche Anreize für den Subventionsnehmer zunächst eine geringe Fördersumme anzugeben, um den Zuschlag zu erhalten. Danach kann dann sukzessive der Preis durch die geförderten Unternehmen erhöht werden, weil im Zeitablauf die Ausstiegskosten der öffentlichen Hand immer höher werden. Gerade die Subventionspolitik sollte deswegen im Rahmen der Haushaltsplanung eher langfristig angelegt sein.

-Seit der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes 1967 wird für die Haushaltsberatungen des Bundestages auch ein mittelfristiger Finanzplan zugrunde gelegt. Die Verknüpfung mit dem Stabilitätsgesetz zeigt, dass es damals eines der Hauptziele der mittelfristigen Finanzplanung war, die Grundlagen für die keynesianische Globalsteuerung zu schaffen. Die mittelfristige Finanzplanung umfasst einen Planungszeitraum von fünf Jahren. „Die ersten Finanzpläne wurden als Regierungsprogramm in Zahlen verstanden“ . D. h. es sollten nicht nur die finanziellen Verpflichtungen alter Investitionen dargestellt werden, sondern auch die finanziellen Auswirkungen neuer, von der Regierung geplanter Maßnahmen. Nachdem in der Bundesrepublik diese mittelfristige Finanzplanung nunmehr seit Jahrzehnten gängige Verwaltungspraxis ist, liegen viele kritische Beurteilungen über dieses Instrument vor:

  • Die mittelfristige Finanzplanung ist danach unverbindlich, zumal sie dem Bundestag nur zur Kenntnisnahme vorgelegt wird.

  • Die mittelfristige Finanzplanung hat am haushaltspolitischen Prozess nur wenig geändert. Nicht zuletzt das knappe Zeitbudget der Regierung und der Parlamentarier führt dazu, dass sie schon mit der einjährigen Haushaltsplanung überlastet sind. Mittelfristige Folgen sind deswegen weiterhin von zweitrangiger Bedeutung, zumal sie in den Medien fast nicht thematisiert werden und sich deshalb kaum zur politischen Profilierung eignen. In den parlamentarischen Debatten spielt die mittelfristige Finanzplanung daher kaum eine Rolle

  • Die Aussagekraft der Finanzplanung wird gerade von den Parlamentariern bezweifelt. „Auch der Finanzplan gibt nach Meinung einiger Abgeordneter keine zuverlässige Auskunft über zukünftige Entwicklungen, er ist nicht mehr als ein ‘Märchenbuch’“ (Sturm 1988: 34).

  • Schließlich wird die Finanzplanung in der Regel an die laufende Budgetentwicklung durch Übertragung der Haushaltsdaten angepasst und dient nicht umgekehrt dazu, die aktuelle Budgetentwicklung angesichts zukünftiger Finanzierungslasten zu begrenzen

-Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die mittelfristige Finanzplanung nur sehr bedingt einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann, weil Sparprozesse häufig kampagnenartig durchgeführt werden und damit zwangsläufig kurzfristig einsetzen, auch um Fachkoalitionen durch mikropolitische Strategien „überrumpeln“ zu können. Zudem ist der Kraftaufwand für radikalere Kürzungsprogramme nur bei einer gewissen politischen Folgebereitschaft, insbesondere der Parlamentarier, „leistbar, und diese ist eng an bestimmte Krisen-Ängste gebunden.

-Solche Kriseneinschätzungen sind nicht dauerhaft konsensfähig“ . Hinzu kommen in einer turbulenten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwelt und in einem fragmentierten politisch-administrativen System, in dem die staatlichen Akteure unterschiedlichen Interessen und Logiken folgen und ihre Handlungen über die komplexen föderalen Finanzverflechtungen (Finanzausgleich, Umlagen, Steuerverbund etc.) kaum übersehbare Folgen produzieren, ganz erhebliche Prognoseprobleme. Häufig können die Haushaltsdaten nicht für einen mittelfristigen Zeitraum zutreffend prognostiziert werden, selbst wenn sich Parlament und Regierung auf einer föderalen Ebene in ihrer Maßnahmenplanung und der für sie steuerbaren Haushaltspositionen festlegen würden.

-Allein schon die Prognosen wesentlicher Einnahmeentwicklungen durch den „Arbeitskreis Steuerschätzung“20, die die Grundlagen der Haushaltsplanung bilden, erweisen sich oftmals auch aufgrund politischer Vorgaben nicht als zuverlässig. Diese Prognosen fallen zumeist zu optimistisch aus, weil wesentliche Grundannahmen dieser Berechnungen (BIP, Inflationsrate etc.) auf Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums fußen, das „gleichsam funktional zu Optimismus“ verpflichtet ist.


Input- oder Outputorientierung


-Die Haushaltsberatungen in der Bundesrepublik verlaufen vorwiegend inputorientiert. In den Haushaltsberatungen werden die Haushaltsansätze auf der Grundlage der allgemeinen Haushaltsdaten (z. B. erwartete Nettoneuverschuldung) diskutiert. Die hinter den einzelnen Haushaltsansätzen stehenden Handlungsprogramme und deren Wirkungen werden hierbei kaum beachtet. Es liegt auf der Hand, dass diese Trennung der Vergabe von Haushaltsmitteln von der Frage der Wirksamkeit einzelner Handlungsprogramme zum ineffizienten Einsatz von öffentlichen Mitteln führen kann

-Mit dem PPBS und dem ZBB wurden bereits zwei outcomeorientierte Budgetierungsverfahren vorgestellt, wobei die aus der Outcomeorientierung entstehenden Probleme noch nicht systematisch dargestellt wurden. Die methodischen Schwierigkeiten sind zum größten Teil analog zu den Problemen der wissenschaftlichen Evaluationsforschung zu sehen. Um die Wirkung von einzelnen Handlungsprogrammen bei der Vergabe von Haushaltsmitteln berücksichtigen zu können, muss (wie bei der Programmevaluation) von den zentralen Entscheidungsträgern erstens eine klar definierte Zielhierarchie aufgestellt werden, die als Grundlage für die Messung der Wirksamkeit der einzelnen Programme dient. Allerdings sind gerade Politiker in ihrer Funktion als politische Unternehmer häufig nicht in der Lage, klare Ziele zu definieren, weil sie so einige Wählergruppen verprellen könnten (insbesondere bei Entscheidungen über konfligierende Ziele) und der Opposition bei mangelnder Zielerreichung zusätzliche „Munition“ für die parlamentarische Auseinandersetzung geben würden

-Zweitens muss bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Programme unterschieden werden zwischen durch andere Umweltbedingungen verursachten Effekten und den tatsächlichen Auswirkungen des Programms. Die Zurechnung der Effekte bereitet erhebliche Schwierigkeiten, weil nicht wie beim klassischen wissenschaftlichen Experiment die Wirkung exogener Größen ausgeschlossen werden kann. Die schwer einbeziehbaren Umweltbedingungen dienen, wie am Prinzipal-Agent-Ansatz verdeutlicht, der Verwaltung dazu die Kontrolle ihres Handelns zu erschweren, um eigene Handlungsspielräume ausweiten zu können. Deshalb wird die Erfassung von Umwelteffekten zusätzlich durch mikropolitische Definitionskämpfe erschwert, zumal es sich meist schon aus Kostengründen um „Selbstevaluationen“ der Verwaltung handeln wird. Verbessern sich die Wirkungsindikatoren (z. B. Arbeitslosenquote) wird das dann auf die eigenen Programme zurückgeführt, verschlechtern sich die Indikatoren, sind exogene gesellschaftliche Entwicklungen dafür angeblich verantwortlich und die eigenen Programme haben eine noch größere Verschlechterung verhindert.

-Drittens muss das Programm (als unabhängige Variable) während der Untersuchung konstant bleiben, damit seine Wirkung auf die Gesellschaft gemessen werden kann. Dies widerspricht den Bedürfnissen des Verwaltungspraktikers, der Handlungsprogramme sofort verändern will21, wenn unerwartete Probleme auf treten. Damit lässt sich aber nur noch schwer beantworten, ob ein auftretender Effekt der alten oder der neuen Version eines Programms zuzuordnen ist.

-Viertens muss sichergestellt werden, dass die für die Erfassung der Wirkung ausgewählten Indikatoren auch das messen, was sie messen sollen (sind bestimmte Effekte überhaupt messbar?).

-Zudem ist es nicht einfach der Begrenztheit der Politik durch niedrige Informationsverarbeitungskapazitäten oder vermeintliche Irrationalität zuzuordnen, dass outcomeorientierte Budgetierungsverfahren nicht dauerhaft erfolgreich umgesetzt wurden. Viele der aus Sicht der Evaluationsforschung und Policy-Analyse präferierten Standards sind zur „friedlichen“ Verarbeitung der Konflikte im Haushaltsprozess inklusive möglicher Kürzungen einfach nicht in der Lage. Politische und wissenschaftliche Rationalität unterscheiden sich unzweifelhaft grundsätzlich und die Übertragung wissenschaftlicher Rationalität auf politische Prozesse ist nicht nur schwer durchsetzbar, sondern hätte häufig auch wenig befriedigende Ergebnisse

Probleme von Haushalts- und Verwaltungsreformen in der Zusammenfassung


-Insgesamt lässt sich für alle hier vorgestellten Reformen resümieren, dass lediglich „verbesserte“ Informationsinstrumente nicht ausreichen, um die Konturen des inkrementalistischen, kurzatmigen Haushaltsprozesses nachhaltig zu verändern. Für das Gelingen haushaltspolitischer Reformen sind also zusätzlich die Interessen und die mikropolitischen Strategien der Akteure zu beachten. Weiterhin müssen gerade auch die knappen Zeitressourcen der Akteure im haushaltspolitischen Prozess berücksichtigt werden, die eine der wichtigsten Ursachen für das Scheitern aller bisher skizzierten Reformansätze waren. Im Wesentlichen stellten sich bei diesen alten Planansätzen, die vorwiegend auf Effektivität und demokratische Legitimation abstellten, die folgenden drei Probleme:

  • Widerstände der Fachverwaltungen gegen Steuerungspolitiker, wie sie aus der Rational-Choice-Perspektive zu erwarten waren Probleme der Planansätze

  • Überforderung des politisch administrativen Systems insbesondere bei flächendeckenden umfassenden Reformen durch zu viele Informationen, die durch ihre Inflation bei sehr hohen Transaktionskosten letztlich folgenlos blieben – und Defizite bei der Übertragung ausschließlich ökonomischer Entscheidungskriterien auf das politisch-administrative System.

  • Im konkreten Planungsablauf kam es, sortiert nach den einzelnen Planungsphasen, zu folgenden grundlegenden Problemen, für die es auch heute kaum erkennbare Lösungen gibt: Probleme im Planungsablauf Zunächst formulieren Politiker und Verwaltungen in der Regel keine klaren, hierarchisierten, Ziele, die die Voraussetzung für die Bewertung von Verwaltungsleistungen und -entscheidungen nach einheitlichen Indikatoren sind (Zielproblem).

-Zweitens werden schon aus Ressourcengründen die Indikatoren für die Messung der Zielerreichung deutlich begrenzt. Zudem werden sie in der Regel von den Fachverwaltungen mit Eigeninteressen selbst erhoben und teilweise manipuliert (Indikatorenproblem). Drittens ergeben sich erhebliche Umsetzungsdefizite dieser rational-umfassenden Planungsansätze daraus, dass die hierfür benötigten Informationen nicht zeitnah erhoben und verarbeitet werden können und somit nicht in den jährlichen Haushaltsprozess routinemäßig einfließen können, der die wesentlichen Ressourcen verteilt (Integrationsproblem). Das Integrationsproblem dieser Planungsansätze lässt sich auch nicht durch eine mehrjährige Planung beheben, weil sich die Haushaltsressourcen nicht zuverlässig über mehrere Jahre prognostizieren lassen (Prognoseproblem). Folglich gibt eine mehrjährige rational-umfassende Planung nicht die Parameter für den jährlichen Haushaltsplan vor, sondern in der Regel wird umgekehrt sukzessive die mehrjährige Planung an die jährlichen Haushaltsergebnisse vergangener Perioden angepasst.

-Diese Probleme dürften sich bei stärker effizienzorientierten Verwaltungsreformen neueren Datums eher noch steigern, weil diese vorrangig auf Haushaltskonsolidierung und Personalabbau abstellen und damit die Ängste und Widerstände der Fachverwaltungen und Verwaltungsmitarbeiter in erheblichem Maße provozieren. Bereits für die bisher beschriebenen älteren Reformen wurde deutlich, dass sich ihre Umsetzungsprobleme enorm verschärften, wenn sie in Phasen der Haushaltskonsolidierung eingeführt wurden. Durchaus ähnliche Konflikte und Implementationsdefizite sind deshalb auch beim New Public Management oder dem strategischen Management aus einer kritischen Rational-Choice-Perspektive zu erwarten

Theorien und Heuristiken


-In der empirischen Verwaltungsreformwissenschaft sollten Theorien und Analyseraster zur Erklärung von Reformergebnissen eine zentrale Rolle spielen. Sie verweisen als empirisch-analytische Theorien intersubjektiv nachvollziehbar darauf, welche Realitätsausschnitte, Erklärungsmuster und Begriffsdefinitionen in empirischen Untersuchungen einfließen und ermöglichen es hinterher die Untersuchungsergebnisse wieder in den allgemeineren Forschungsstand einzuordnen. Im Gegensatz zu Theorien sind Analyseraster (bzw. Heuristiken) kaum zur Prognose von zukünftigen Reformergebnissen geeignet, es sei denn im Lichte der Heuristiken werden in Sekundäranalysen viele zu den unterschiedlichen Reformtypen vorliegende empirische Untersuchungen ausgewertet. Hieraus lassen sich dann auch zukünftige Erwartungen bei einem bestimmten Reformtyp ableiten, wie es beispielsweise für rational-umfassende Planungsansätze im letzten Kapitel gezeigt wurde. Heuristiken markieren aber lediglich potentiell zu berücksichtigende Erklärungsvariablen, ohne Hypothesen über die Richtung oder die Stärke der Zusammenhänge vorzugeben. Wenn man also die Haushaltsituation als unabhängige Variable in einem Analyserahmen aufnimmt, dann heißt das zunächst (ohne Berücksichtigung des empirischen Forschungsstands) lediglich, dass neben vielen anderen Variablen auch der mögliche Einfluss der Haushaltssituation auf die Einleitung oder die Ergebnisse von Verwaltungsreformen abzuklopfen ist

-Neoinstitutionalistische Theorien geben demgegenüber bereits Kausalhypothesen vor, die einen Zusammenhang zwischen der zentralen Erklärungsvariable und der abhängigen Variable in eine klar definierte Richtung erwarten lassen. Deshalb sollen zuerst diese Hypothesen der neoinstitutionalistischen Ansätze für die empirische Untersuchung von kommunalen Verwaltungs- und Verfassungsreformen systematisch dargestellt werden, um daran anschließend alternativ eine „offenere“, deutlich mehr Variablen berücksichtigende, policyanalytische Heuristik zu entwickeln und ihre Anwendung in studentischen Haus- und Abschlussarbeiten exemplarisch zu verdeutlichen. Theorien und Heuristiken sind danach nicht wissenschaftlichen Forschungsprojekten oder „Theoretikern“ vorbehalten, sondern helfen in der Praxis die zentralen Untersuchungsfragen und Argumentationsschritte auch und gerade für studentische Haus- und Abschlussarbeiten angemessen zu strukturieren.

Neoinstitutionalistische Theorien


-Die zentrale Fragestellung der empirisch-analytischen Verwaltungs(reform)wissenschaft ist, ob und unter welchen Bedingungen Verwaltungs- und Politikreformen in der Phase der Politikformulierung durchsetzbar sind, ob es anschließend zu der intendierten Veränderung der Institutionen kommt und last but not least, ob diese institutionellen Veränderung auch zu den angestrebten prozessualen Veränderungen führen (z. B. Effizienz im engeren Sinne von Einsparungen). Institutionen haben sich in der Vergangenheit zwar nicht selten im Rahmen von Verwaltungsreformen gravierend verändert, die dahinter stehenden realen Prozesse häufiger aber nur rudimentär. Ämter heißen nun beispielsweise nach dem New Public Management in vielen Stadtverwaltungen Fachbereiche, aber manchmal wurde nicht viel mehr als die Türschilder ausgewechselt, während die Arbeitsprozesse und Koordinationsprobleme nahezu identisch geblieben sind und damit effektive Einsparungen kaum erreicht wurden

-Die Analyse von Verwaltungsreformen erfordert also die Berücksichtigung mehrerer Dimensionen des Implementationsprozesses durch mehrstufige Evaluationsschleifen, die umfassend nur außerordentlich schwer und aufwändig empirisch abzubilden und zu untersuchen sind. Zur Begrenzung dieses Analyseproblems geben neoinstitutionalistische theoretische Ansätze eine intersubjektiv nachvollziehbare Orientierung, indem sie eindeutige Definitionen, Kausalhypothesen und damit auch Prognosen zu den folgenden zwei Fragen zur Verfügung stellen: Ist erstens die Verabschiedung von Verwaltungsreformen wahrscheinlich und ist es zweitens erwartbar, dass diese zu den intendierten prozessualen Veränderungen und zur Erreichung der Reformziele führen (können)?

-Hierzu bieten neoinstitutionalistischen Theorieansätze Antworten an, die sich vom „Alt-Institutionalismus“ deutlich abgrenzen. Dieser fokussierte sich weitgehend nur auf die normative Diskussion verschiedener Verfassungstypen, die aus dieser Perspektive mit dem politischen Akteurshandeln gleichgesetzt und kaum empirisch untersucht wurden. Von dieser an Verfassungsformen orientierten Regierungslehre grenzen sich neoinstitutionalistische Ansätze dadurch ab, dass nun die Akteure stärker „ins Spiel kommen“, deren Verhalten eben nicht durch Verfassungen vollständig determiniert wird

-Aus theoretischer Perspektive bestätigen die beschriebenen Umsetzungsprobleme von Haushalts- und Verwaltungsreformen und die Persistenz von inkrementalistischen Routinen vorwiegend die reformskeptische Position des historischen Institutionalismus. Grundlegende Reformen sind danach im Gegensatz zu inkrementellen Veränderungen unwahrscheinlich. Hierfür gibt es rationale, machtpolitische und auch von den Akteuren nichtreflektierte Gründe

-Gemeinsam über einen langen Lernprozess erworbene kognitive Orientierungen, wie z. B. die inkrementalistischen Routinen im kurz getakteten Haushaltsprozess, die sich dadurch reproduzieren, dass sie mit der Zeit für die Akteure als funktional, legitim und letztlich alternativlos gelten. – Zudem sind mit der Schaffung von Institutionen und neuen Routinen häufig höhere Einstiegskosten verbunden, die sich für die Akteure mit zunehmender Dauer erst im „eingespielten“ Zustand rentieren. Deshalb kann ein einmal eingeschlagener institutioneller Pfad kaum noch verlassen werden (lock-in). – Nicht zuletzt werden durch institutionelle Reformen auch Macht- und Verteilungsfragen neu entschieden, wobei gerade die einflussreichen Akteure, die diese Muster verändern können, später kein Interesse an einer Umverteilung der Ressourcen und an grundlegenden institutionellen Reformen haben.

-Von diesem Standpunkt aus ist damit bereits die Einführung grundlegender institutioneller Reformen, die über kleinere, inkrementelle Veränderungen hinausgehen, unwahrscheinlich. Sollten dennoch institutionelle Reformen beispielsweise aufgrund von tiefgreifenden Krisen durchgesetzt werden, ist zu erwarten, dass sie kaum die intendierten Wirkungen erzielen, weil informelle Normen auch unter neuen rechtlichen Rahmenbedingungen und Reformleitbildern fortgeschrieben werden

-Allerdings erklärt der historische Institutionalismus nur wenig das Bedürfnis der politisch-administrativen Führung immer wieder durchaus ähnliche Haushalts- und Verwaltungsreformen bei eigentlich absehbaren grundsätzlichen Implementationsproblemen einzuführen. Auch der Rational-Choice-Institutionalismus in seiner reformoptimistischen Variante kann hierauf keine befriedigende Antwort geben und prognostiziert nicht dieses kontinuierlich „irrationale“ Verhalten.

-Dieses Reformbedürfnis kann besser eine andere Spielart des Neoinstitutionalismus – der soziologische Neoinstitutionalismus – erklären. Im Gegensatz zum Rational-Choice Institutionalismus geht der soziologische Institutionalismus nicht davon aus, dass durch rational kalkulierende Individuen oder durch den Standortwettbewerb sich effiziente Institutionenreformen für öffentliche Güter häufig durchsetzen. Vielmehr übernehmen die Organisationen oftmals unbewusst gesellschaftlich institutionalisierte Normen des richtigen oder zu vermeidenden Handelns bzw. ahmen andere als erfolgreich geltende Organisationen und Reformen nach

-Dabei ist häufig in Form von „Modewellen“ eine gewisse Angleichung der Organisationen an das jeweils als modern geltende Leitbild auf der Verlautbarungsebene zu verzeichnen. Diese Angleichungsprozesse der Verwaltungen können sich durch übergeordnete gesetzliche Regelungen, durch freiwillige Nachahmung von als erfolgreich geltenden Organisationen und durch Professionalisierung und „Standardisierung“ von Reformpromotoren wie z. B. durch Unternehmensberatungen (Isomorphismus durch Zwang, Nachahmung und normativen Druck) vollziehen. Moden Insgesamt kann für Politik und Verwaltung aus der Perspektive des soziologischen Neoinstitutionalismus häufiger eine Entkoppelung von talk, action und decision konstatiert werden. Gegenüber der Öffentlichkeit werden immer wieder neue rational-umfassende Planungskonzepte auf der Verlautbarungsebene präsentiert (New Public Management, Strategisches Management, Strategische Haushaltskonsolidierung, Public Governance, Neues doppisches Rechnungswesen, etc.), die aber auf die Entscheidungsprozesse und das Handeln, die eher von inkrementalistischen Routinen geprägt sind, kaum einen Einfluss haben


-Der soziologische Neoinstitutionalismus wurde schon früh auf die wechselnden Haushaltsreformen vom PPBS bis zum Zero-Base-Budgeting bezogen und lässt sich auch fruchtbar auf die in den folgenden Kapiteln noch zu analysierenden Reformkonzepte anwenden. Geändert haben sich aus dieser Perspektive nur die gesellschaftlichen Erwartungen und Reformkonzepte der normativen Verwaltungswissenschaft

-Aus soziologischer Sicht mag dies durchaus als funktional eingeordnet werden. Diese „Organisationsfassaden“ und Reformgeschichten sind zentral für den Erhalt von Organisationen, weil sie so den widersprüchlichen, kaum realisierbaren gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden können und im Inneren dennoch nach funktionalen Regeln arbeiten können, die für Außenstehende mit höheren Erwartungshaltungen wenig „appetitlich“ sind: funktional „Der Fleischkonsum würde vermutlich einbrechen, wenn Produzenten ihren Kunden systematisch Einblicke in die Aufzucht und Schlachtung von Schweinen, Kühen und Hühnern geben würden. Die Legitimität von politischen Entscheidungen würde weiter erodieren, wenn die Wähler im Detail mitbekämen, wie häufig Entscheidungen zwischen verschiedenen Parteien ausgemauschelt werden“ (Kühl 2010: 4). Vom Standpunkt der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung aus ist dies indes normativ nur wenig akzeptabel, denn diese Art von „symbolischer Politik“ und Reformmythen wirkt potenziell demokratiezersetzend.

-Der Rational-Choice-Institutionalismus geht davon aus, dass institutioneller Wandel durch bewusste Reformen nutzenmaximierender Akteure angeschoben wird. Die Einführung institutioneller Reformen ist damit das Koordinationsergebnis rational handelnder Akteure, die mit dem Aufbau von Institutionen versuchen, die beschriebenen Kollektivgutprobleme zu lösen. Wenn sich diese reformierten Institutionen in der Umsetzung als effizient zur Lösung der Probleme erweisen, bleiben sie dauerhaft bestehen. Die Umsetzung von Verwaltungsreformen ist unter diesen Bedingungen wahrscheinlich. Erneute Reformen sind dann wahrscheinlich, wenn sich die Präferenzen der Akteure verändern oder sich andere Institutionen in Lernprozessen der Akteure bzw. im Standortwettbewerb als noch effizienter erweisen. Dieser funktionalistische Reformoptimismus wird allerdings deutlich geschmälert, wenn man die Perspektive ergänzt durch die wesentlich skeptischere Bürokratietheorie der Neuen Politischen Ökonomie, wie es empirisch noch am Beispiel der Implementation des New Public Managements gezeigt wird

-In der Argumentation des historischen Institutionalismus können Institutionen dagegen auch fortbestehen, wenn sie bei der Lösung kollektiver Probleme, wie beispielsweise der Allmendeproblematik in der Haushaltspolitik, ineffizient sind, weil Institutionen durch die Interessen und kognitiven Orientierungen, insbesondere der einflussreichen Akteure, reproduziert werden. Weichenstellungen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, haben einen kaum veränderbaren Entwicklungspfad zur Folge. Selbst wenn es in Krisensituationen zu grundlegenden Reformen kommen sollte, sind die Folgen und Wirkungen kaum abschätzbar. Sei es, dass unkalkulierbar damit wiederum andere institutionelle Veränderungen angestoßen oder andere informelle Institutionen von den Akteuren pfadabhängig fortgeschrieben werden. Die Effekte dieser institutionellen Kombinationen sind kaum absehbar, so dass die Erreichung der Reformziele insgesamt unwahrscheinlich ist.

- Im Gegensatz dazu hält der soziologische Neoinstitutionalismus grundlegenden institutionellen Wandel auf der Verlautbarungsebene für durchaus wahrscheinlich, um eine Anpassung aus legitimatorischen Gründen gegenüber sich wandelnden gesellschaftlichen Erwartungen und Paradigmen zu suggerieren. Die Umsetzung der Reformen ist hingegen wenig erwartbar.

-Insgesamt können also mit den hier skizzierten theoretischen Ansätzen klare Alternativhypothesen formuliert werden, die häufiger in Sekundäranalysen verwendet werden, um vor dem Hintergrund vorliegender empirischer Untersuchungen beispielsweise die Entwicklung und Verbreitung von Reformen im internationalen Vergleich zu diskutieren. Die Verfolgung lediglich eines theoretischen Ansatzes ist in der empirischen Verwaltungs(reform)wissenschaft insbesondere bei Primäruntersuchungen relativ selten, auch weil dies erhebliche Vorkenntnisse des empirischen Untersuchungsfeldes voraussetzen würde, die man sich häufig gerade durch die Untersuchung erst aneignen will

Die neo-institutionalistischen Ansätze im Vergleich




Rational-Choice Institutionalismus

Historischer Institutionalismus

Soziologischer Institutionalismus

  1. Institutionenbegriff

Institution wird als rationales Konstrukt verstanden, das aus formellen und informellen Regeln, Normen und Prozeduren besteht.

Institutionen sind normative Konstrukte, die oft aus der Vergangenheit überliefert sind. Sie bestehen aus formellen und informellen Regeln, Normen und Prozeduren

Institutionen sind kulturelle Konstrukte bestehend aus informellen Regeln, Normen und Prozeduren

  1. Akteursverständis

Ein „homo oeconomicus“ d.h. ein (begrenzt) rationaler Akteur, der sich Nutzen maximierend verhäl

Normen und Interessen geleitete Individuen und Gruppen

„homo sociologicus“ d.h. Norm geleitete Akteure

  1. Kategorien, die menschliches Handeln steuern

Interessen, Präferenzen und die rationale Wahl aus allen möglichen Alternativen

Logik der Konsequenz

Geschichte und Tradition


Logik der Sequenz“

Normen und gegenseitige Erwartungshaltungen


„Logik der Angemessenheit

  1. Institutionenwandel


Möglich als zielgerichtete, durchaus auch grundlegende Reform rationaler Akteure, wenn sich die Präferenzen der rational kalkulierenden Individuen ändern oder sich im Wettbewerb andere Institutionen als effizienter zur Lösung der Probleme kollektiven Handelns erweisen.

Inkrementeller Wandel ist möglich; Radikale Reformen sehr selten

Grundlegender Wandel ist wahrscheinlich, um sich (zumindest) auf der Darstellungsebene (talk) an wandelnde gesellschaftliche Ansprüche anzupassen

  1. Umsetzung und Wirkung institutioneller Reformen entsprechenddem Reformziel

Wahrscheinlich, wenn sich die Reform auch in der Umsetzungsphase als effizient erweist.

Unwahrscheinlich wegen Pfadabhängigkeit

Unwahrscheinlich wegen der Entkoppelung von talk, decision und action


Policyorientierte Analyseraster


-Zur Strukturierung von Primär- und Sekundäruntersuchungen eignen sich Analyseraster der Policy-Forschung, wie sie beispielsweise in der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung oder vom akteurzentrierten Institutionalismus angewendet werden. Im Gegensatz zu den gegenstandsbezogenen Theorien neoinstitutionalistischer Prägung sind Analyseraster mit vielen möglichen Erklärungsvariablen allgemein kaum dazu verwendbar Prognosen über die Einführungs- und Umsetzungswahrscheinlichkeiten von institutionellen Reformen zu entwickeln. Analyseraster kreisen vorwiegend die zu berücksichtigenden möglichen Erklärungsvariablen ein, um ex-post Ursachen für Politikergebnisse detailliert untersuchen zu können

-Das folgende Analyseraster führt wesentliche Erklärungsvariablen aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung und dem akteurzentrierten Institutionalismus zusammen, ergänzt um einige verwaltungsstrukturelle und verwaltungsinterne Konstellationen, die sich bei der Analyse von Verwaltungsreformen und policy-change als wichtige unabhängige Variablen erwiesen haben

-Bei dieser Fokussierung auf Verwaltungsreformen in Deutschland ist zu berücksichtigen, dass damit einige Erklärungsvariablen bereits relativ konstant gehalten werden. Insbesondere die ausgeprägte Vetospielerstruktur, die föderale Verfassung und die Orientierung am Rechtsstaatsmodell mit dementsprechend sehr hoher Wertschätzung des regelorientierten Verwaltungsrechts gelten im internationalen Vergleich als bundesdeutsche Spezifika und zugleich nicht unerhebliche Barrieren, um beispielsweise stärker managementorientierte Reformen flächendeckend umzusetzen

-Bei der Einordnung von Verwaltungsreformpolitik als Politikfeld in der folgenden Heuristik sind einige Besonderheiten der Institutionenpolitik im Vergleich zur Untersuchung „konventioneller“ Politikfelder zu berücksichtigen: Besonderheiten der Institutionenpolitik – Die Identität von Vollzugsinstanz und Steuerungsadressat, die zu besonders ausgeprägten Widerstandspotentialen in der Verwaltung führt. – Institutionenpolitik ist eine klassische Querschnittsaufgabe, die politikfeldübergreifende Reformen anstrebt und damit in den administrativen Fachressorts auf erhebliche Vorbehalte stoßen kann. – Institutionenpolitik impliziert vorwiegend eine indirekte Steuerung.

-Durch institutionelle Veränderungen (polity) sollen die Akteurskonstellationen bzw. der Verwaltungsprozess (politics) gezielt so verändert werden, dass die erwünschten Politikergebnisse (policy) erzielt werden. Dadurch ist die Evaluation der Wirkung von Institutionenpolitik besonders komplex. – Die relative Ungewissheit der Wirkung von Institutionenpolitik führt zudem zu einem besonders starken Einfluss von normativen Reformdiskursen und wissenschaftlichen „Paradigmen“ (Snellen 2006) auf die Formulierung von Reformleitbildern, die Orientierung und (scheinbare) Sicherheit vermitteln bzw. Rezepte für „angemessenes Verhalten“ liefern

-Mikropolitik:

Während in vielen Politikfeldanalysen die einzelnen Verwaltungsorganisationen häufig eher als einheitlicher Akteur modelliert werden, ist es bei der Analyse von Verwaltungsreformen als Institutionenpolitik zentral, genauer zwischen unterschiedlichen Akteuren in der Verwaltung zu unterscheiden. Danach können wichtige Akteure in der Verwaltung zunächst gedanklich durchaus ähnlich behandelt werden wie korporative Akteure in einem Politikfeld. Dies bringt insbesondere die mikropolitische Organisationsforschung zum Ausdruck. Bis Ende der 1950er wurden Organisationen und damit gerade auch Verwaltungen weitgehend als Uhrwerk oder Maschine beschrieben, in dem jedes Mitglied seine klar definierten Funktionen erfüllt.

-Der zunehmend populär gewordene Begriff der Mikropolitik verweist darauf, dass nunmehr aus Sicht der Organisationsforschung die Organisationsmitglieder nicht mehr kleine Zahnrädchen sind, die automatisch ineinander greifen, wie es auch der Idealtypus der Bürokratie nach Max Weber nahelegt, sondern, dass sie selbst erhebliche Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben, wobei sie häufiger auch nur begrenzt rational handeln

-Dieses Bild mag mit Blick auf die formale hierarchische Ordnung in Verwaltungen zunächst irritieren, aber in empirischen Analysen hat sich immer wieder gezeigt, dass bei der Umsetzung von Verwaltungsreformen Akteure auch auf unteren Hierarchiestufen in Verwaltungen über ein nicht unerhebliches Sanktionspotential verfügen und effektiven Widerstand leisten, wenn die Reformen ihren Interessen zuwiderlaufen.

-Die vorgegebene hierarchische Organisationsstruktur verliert häufig gerade in der Reformumsetzungsphase an Prägekraft und mikropolitische Strategien einzelner Akteure in der Verwaltung gewinnen an Bedeutung. Diese verfolgen nicht ausschließlich die Ziele der Organisation bzw. des kommunalpolitischen Systems, sondern vielfach ihre Eigeninteressen und ihre individuellen Karrieren jenseits von formalen Zuständigkeiten und offiziellen Verlautbarungen. Folglich findet diese Mikropolitik oft im Halbdunkeln statt. Implementationswiderstand droht aber nicht nur aufgrund gegenläufiger Interessen, beispielsweise der Amtsleiter, die als mittleres Management die Abflachung der Hierarchien im Zuge des New Public Managements als persönliche Statusbedrohung deuteten, sondern er kann auch aus den Wertorientierungen der Akteure resultieren


Zentrale Akteure bei der Analyse von Verwaltungsreformen


-Deshalb ist es sinnvoll zunächst die Analyse von Verwaltungsreformen auf zentrale Akteure in und außerhalb von Verwaltungen zu begrenzen und nicht jeden einzelnen öffentlichen Beschäftigten zu interviewen. Dies lässt sich nicht nur aus forschungspragmatischen Gründen rechtfertigen, sondern auch inhaltlich sind die Handlungsspielräume von Verwaltungsmitarbeitern aus ihrer Sicht häufig eher gering

Verwaltungsmitarbeiter:

-Diese begrenzten Handlungsspielräume werden von den Mitarbeitern keineswegs durchgehend problematisiert und als Ansporn zu einer grundlegenden Veränderung der Verwaltung gedeutet. Niedrige Verantwortlichkeiten und hohe Arbeitsplatzsicherheit in der öffentlichen Verwaltung werden von den Mitarbeitern oft unterstützt, so dass die Reformpromotoren bei nicht wenigen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes auf „Strukturkonservatismus“ und die Verteidigung des Status quo treffen. Hierarchien können die Ungewissheit der Mitarbeiter reduzieren, bieten nach dem Senioritätsprinzip für viele Mitarbeiter sichere Karrierepfade und dies begrenzt den Wettbewerb in der Organisation. Damit wird für viele ein Gefühl der Geborgenheit geschaffen

-Allerdings sind die Beschäftigten zunächst meist eher Zuschauer und nicht Akteure im Reformprozess, wobei ihr „Abwarten“ bis hin zum „Dienst nach Vorschrift“ bereits eine Erklärungsvariable für Implementationsdefizite von Reformen sein kann. Verwaltungsmitarbeiter entscheiden sich also häufiger dafür, bewusst oder unbewusst, den tradierten Organisationsroutinen und nicht den neuen Reformleitbildern zu folgen. Dies kann teilweise auch individuell rationale Gründe haben, wenn die Erfahrung gesammelt wurde, dass immer wieder neue Verwaltungsreformen initiiert, aber in der Praxis kaum umgesetzt wurden. Verwaltungsmitarbeiter erwarten dann, dass sie sich die individuellen Umstellungskosten neben der normal zu leistenden inhaltlichen Arbeit ersparen können, wenn sie die alten Routinen einfach fortschreiben

-Damit wird zugleich deutlich, dass Erfahrungen mit früheren Verwaltungsreformen erheblichen Einfluss auf die Erfolgschancen neuerer Reformen haben können. Verwaltungsreformen, die nicht selten mehr Probleme produzieren als sie lösen, können so als Erblasten für zukünftige Reformen wirken bzw. Problemdruck für neue Reformbemühungen entfalten. So hat die durch das New Public Management ausgelöste Modernisierungseuphorie bei vielen Verwaltungsbeschäftigten durch die enttäuschenden Reformerfahrungen hinterher eher „verbrannte Erde“ hinterlassen . Oder nach der Privatisierungswelle in den 1990er Jahren sammelten viele Verwaltungen durchaus auch negative Erfahrungen (private Monopole, steigende Gebühren, sinkende Qualitätsstandards, Insolvenzen etc.),

-Die gleichberechtigten Organisationsziele Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, demokratische Legitimität und funktionale Aufgabenerledigung konfligieren mit den an die Verwaltung gestellten Rationalitätsanforderungen. Verwaltungshandeln unterliegt somit immer sehr unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben für die Aufgabenerfüllung und diese ist bei faktischem Aufgabenmonopol nicht einfach am Markterfolg zu messen. Probleme entstehen aus den grundsätzlichen Zielkonflikten zwischen diesen Bewertungsmaßstäben und dem Fehlen eines überwölbenden Rationalitätskriteriums. Im Hinblick auf die Organisationsstruktur ist der institutionelle Schutz im öffentlichen Dienst (Unkündbarkeit, Bestandssicherheit, kaum marktlicher Wettbewerb, gleichberechtigter Zugang zu gesetzlichen Leistungen) deutlich stärker als in vielen Unternehmen, wodurch die Beharrungskraft in öffentlichen Verwaltungen besonders ausgeprägt sein kann.


Führungskräfte

-Bei der Analyse der Akteurskonstellationen von Verwaltungsreformen kann sich die verwaltungswissenschaftliche Analyse zunächst auf die führenden Vertreter von Regierungsfraktionen, Oppositionsfraktionen, Querschnittsverwaltungen, Fachressorts und die jeweilige Verwaltungs- und Regierungsspitzen konzentrieren. Um auch etwas kritischere Einschätzungen zu Reformprozessen zu erhalten, können neben den Oppositionsfraktionen auch die Personalräte in die Analyse mit einbezogen werden. Die Funktion und das Aufgabenverständnis dieser Akteure verstärken, insbesondere gegenüber effizienzorientierten Verwaltungsreformen, eine skeptischere Haltung und die in diesen Interviews gesammelten Aussagen und Fakten eignen sich zumeist dazu, „regierungsamtliche Erklärungen“ kritisch zu hinterfragen. Führungskräfte

-Das tatsächliche Handeln der zentralen Akteure im Reformprozess wird sich aber nicht selten nur schwer und mit erheblichem Aufwand im Detail „ermitteln“ lassen. Folglich ist es anfangs aus forschungsökonomischer Sicht sinnvoll, wichtige, leicht erhebbare sozioökonomische und rechtliche Rahmenbedingungen der jeweiligen Verwaltungsreform zu berücksichtigen, die bereits erste Auskünfte über erwartbare Akteurskonstellationen und –widerstände (politics) geben können

Sozioökonomische Variablen für Verwaltungsreformen


-Bei den sozioökonomischen Variablen sind z. B. die Verwaltungsgröße und die Haushaltslage zu berücksichtigen. So sprechen die häufig mit wachsender Verwaltungsgröße einhergehende Fragmentierung und die zunehmenden Hierarchiestufen für größere Implementationsprobleme, wobei gerade in größeren Verwaltungen an der Spitze oder in „Modernisierungsabteilungen“ mehr Personal- und Finanzressourcen zur Verfügung stehen, um Verwaltungsreformen zu konzipieren und einzuleiten. Immer neue Reformleitbilder mit immer größeren Implementationsdefiziten können eine Folge hiervon in größeren Verwaltungen sein

Haushaltssituation: Zentral für die Einleitung von Verwaltungsreformen ist, wie bereits mehrfach betont, die Haushaltskrise, wobei sich die Haushaltssituation der Verwaltungen empirisch gravierend unterscheidet. Eine stark defizitäre Haushaltssituation wird in der Regel häufiger zu erheblichen Implementationsproblemen führen, weil sie zu einer Parallelität von Verwaltungsreform und Stellenabbau beiträgt. Zumindest ist dies der Fall, wenn die Personalausgaben wie in den Bundesländern und in den Kommunen einen hohen Anteil des Gesamtbudgets ausmachen. Daneben entsteht durch den Konsolidierungsdruck, der entscheidend durch strikte Haushaltsnotlagenregime auf institutioneller Ebene verschärft werden kann (Haushaltssicherungskonzepte, Nothaushalte und Sparkommissare, vorwiegend auf kommunaler Ebene), aber ein Anreiz für die politisch-administrative Führung in der Politikformulierungsphase vermehrt Reformvorschläge einzubringen. Auf diese Weise demonstriert die Regierung, dass sie das Konzept hat, um die Haushaltskrise zu meistern. Dies stößt dann zwar in der Regel auf energischen Widerstand von Beschäftigten, mittlerem Management und Personalräten, aber in der Öffentlichkeit kann dies eher positiv als Bürokratieabbau gedeutet werden

Bürokratieabbau: . Damit kann die Politik suggerieren, dass die Wählerschaft keine gravierenden Kürzungen bei Sozialleistungen bzw. keine Steuererhöhungen zu erwarten hat und die Haushaltskrise durch eine „Rationalisierung“ der Verwaltung in den Griff zu bekommen ist. Die Wähler müssen auf nichts verzichten, sondern die Verwaltung wird verschlankt. Damit wird zugleich die bürokratische Regelungsdichte zugunsten der Freiheit der Bürger und Unternehmen reduziert, wenigstens laut den Programmen der Parteien, die Verwaltungsreformen als Haushaltskonsolidierungsstrategie zunehmend auch im Wettbewerb um Wählerstimmen als zentrales Politikfeld entdeckt haben. Haushaltskonsolidierung wird somit als „Entbürokratisierung“ umgedeutet, die den im Zuge des Wertewandels gewachsenen Bürgeransprüchen an Selbstentfaltung, Freiheit und Partizipation zumindest auf rhetorischer Ebene entgegenkommt. Nicht nur der Parteienwettbewerb kann Verwaltungsreformen vorantreiben, sondern die Verwaltungen unterliegen auch anderen Wettbewerbsformen

Wettbewerb:

Zunächst ist hierbei an den Wettbewerb um Unternehmen und um gut situierte Einwohner zu denken. Die wirtschaftliche Globalisierung macht insbesondere die Exit-Option der Unternehmen wahrscheinlicher, mit der Folge, dass Planungs- und Verwaltungsreformen immer auch im Zusammenhang mit dem Standortwettbewerb diskutiert werden. Weitere Veränderungsimpulse können von Formen des Leistungswettbewerbs ausgehen, die durch veröffentlichte Benotungen und Rankings die Verwaltungen unter Legitimations- und Anpassungsdruck setzen. Die Durchsetzung von „Pisa-Tests“ durch die OECD unter Einschluss internationaler und bundesländervergleichender Bewertungen hat so deutlich zu einer Lancierung der Schulreformdiskussion beigetragen, während die Reformen der universitären Studiengänge (BA- und Master-Studiengänge im Zuge des „Bologna-Prozesses“) eher durch internationale Vereinbarungen und landesgesetzliche Umsetzungsbestrebungen initiiert wurden

demografischer Wandel:

Insgesamt ist vor allem die Haushaltssituation in Kombination mit den jeweiligen institutionellen Schuldenregeln die zentrale Triebfeder für die seit den 1990er Jahren in Deutschland zunehmend einsetzenden Verwaltungsreformen, worin zugleich ein erheblicher Teil der darauf folgenden Implementationswiderstände in der Verwaltung begründet liegt. An Bedeutung gewinnt auch der demografische Wandel als Triebkraft für Verwaltungsreformen. Neben einigen prozessorientierten Reformleitbildern (Bündnis für Familien, kommunaler Familienbericht etc.) ist hierbei vor allem zentral, dass auch durch Abwanderung Verwaltungsgebiete massiv Einwohner und damit Steuereinnahmen bei häufig konstanten Fixkosten verlieren und wiederum mit Bezug auf die Effizienz von Verwaltungsleistungen die räumliche Struktur bzw. Organisation in Frage gestellt wird

-Schließlich kommt der demografische Wandel auch bei den zunehmenden Pensionsleistungen zum Tragen, der insbesondere auf Landes- und Kommunalebene den Konsolidierungs-und Reformdruck zukünftig noch weiter erhöhen wir


Rechtliche Rahmenbedingungen & Reformkonzepte


-Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen (polity) ist neben verfassungsrechtlichen Kompetenzen und Vetopositionen, die zumindest erste Auskünfte über die Durchsetzungsfähigkeit der Akteure geben, auch die Verteilung des Organisationsrechts zu berücksichtigen. Flächendeckende Reformen in Verwaltungen sind zum Beispiel schwerer durchzusetzen, wenn die Fachressorts weitgehende Organisationsrechte haben, wie die Fachminister auf der Landes- und Bundesebene, als wenn der Regierungschef, wie auf kommunaler Ebene der Bürgermeister, weitgehend selbst die formale Kompetenz hat, die Organisationseinheiten neu zu ordnen. Nicht zuletzt deshalb dürfte beispielsweise das New Public Management in deutschen Kommunen eher und umfassender eingeführt worden sein als auf der Bundesebene mit dem hier geltenden Ressortprinzip.

-Rechtliche Rahmenbedingungen Erwartbare Implementationswiderstände und Interessenkonflikte auf der Akteursebene können außerdem aus der inhaltlichen Analyse der Reformkonzepte (als projektierte policy) hergeleitet werden. Ein hohes Konfliktniveau ist zu erwarten, wenn Kommunen oder größere Behörden zusammengelegt werden und für viele Verwaltungsmitarbeitern zukünftig ein neuer Dienstort gelten soll. Beispiele hierfür sind die Verwaltungsstrukturreformen auf Länderebene, bei denen teilweise die Regierungsbezirke abgeschafft und diese Verwaltungsmitarbeiter dann an anderen Dienstorten untergebracht wurden.

-Bei in Westdeutschland in der Regel politisch und rechtlich ausgeschlossenen betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst müssen objektiv gesehen, bei durchaus subjektiv bestehenden möglichen Ängsten, die Verwaltungsmitarbeiter sicherlich nicht um ihren Arbeitsplatz bangen. Aber neben längeren Wegstrecken zum Arbeitsort kann es durch Zusammenlegungen zu einer Reduzierung der Aufstiegschancen, Arbeitsverdichtung und Infragestellung von Arbeitsroutinen kommen. Empirisch wurde so die Hypothese bestätigt, dass mit längerer Wegstrecke zum neuen Arbeitsort die Reformvorbehalte der Beschäftigten steigt, worin sicherlich auch ein Grund zu sehen ist, dass der Hauptstadtumzug nach Berlin nicht für alle Bundesministerien zügig und konsequent umgesetzt wurde.

Verwaltungsstrukturreformen


-Parallel zu den Verwaltungswiderständen bei der Zusammenlegung von Behörden sind auch für den Politikbetrieb Einschränkungen einzelner Politikerkarrieren bzw. lukrativer Mandate z. B. in regionalen oder fachlichen Gremien zu erwarten und die mit Zusammenlegungen mögliche räumliche Konzentration bzw. Kürzung einzelner öffentlicher Dienstleistungen etc. kann auch von betroffen Bürgern und Interessengruppen zum Anlass für energische Proteste genommen werden. Bei Reformkonzepten, die also diese grundlegenden Veränderungen anvisieren, ist mit grundlegenden Widerständen bereits in der Politikformulierungsphase zu rechnen. Die negativ betroffenen Fachkoalitionen werden in der Regel versuchen, bereits die parlamentarischen Beschlüsse zu Verwaltungsstrukturreformen zu torpedieren, während in der Implementationsphase bei bereits beschlossenen Neugliederungen die Widerstandsmöglichkeiten in der Verwaltung nach der „Umsetzung“ beschränkter sind. Gerade Verwaltungsstrukturreformen werden nicht unerheblich auch von der verwaltungsstrukturellen Ausgangslage geprägt. Wollen die Bundesländer beispielsweise in einer Reform der Landesverwaltung die Aufgaben dezentralisieren und damit auf die kommunale Ebene verlagern, setzt dies leistungsfähige Städte voraus. Bei sehr kleinteiligen Gemeindegrößenstrukturen, wie in Bayern oder Rheinland-Pfalz, ist deshalb eine starke Kommunalisierung von Aufgaben der Landesverwaltung eher unwahrschei

-Ebenso können im Sinne der normativen Reformdiskurse günstige verwaltungsstrukturelle Ausgangsbedingungen dazu führen, dass kein Reformbedarf gesehen wird. Wenn Bundesländer historisch keine Mittelinstanz (Regierungspräsidium) haben, kann man naheliegenderweise nicht über eine Abschaffung der Mittelinstanz diskutieren und damit ist die Neigung zu Verwaltungsreformen geringer als in Bundesländern, die über eine solche Mittelinstanz verfügen. Zwar könnte man dafür die Einführung von Regierungspräsidien zur effektiveren Umsetzung der Landesgesetzgebung in den Kommunen diskutieren, aber dies passt nicht in den seit den 1990er Jahren dominanten (inter-) nationalen Reformdiskurs, der auch durch Mitwirkung der normativen Verwaltungswissenschaft stark auf Effizienzsteigerung und Verschlankung, und nicht so sehr auf Effektivität und Rechtmäßigkeit der Verwaltung abzielt. Bei vielen Reformleitbildern sind die Verteilungskonflikte für die Akteure aber anfangs weniger offenkundig bzw. mit der Verabschiedung der Reform ist noch kaum die Kosten-Nutzen-Bilanz präjudiziert. Diese Reformen richten sich stärker auf die Verfahren und Haushaltsprozesse innerhalb der Verwaltungen, um beispielsweise wirtschaftliches oder „bürgerorientiertes“ Verwaltungshandeln zu fördern. Welche Auswirkungen diese Reformen auf die Standardinteressen der Akteure haben, erweist sich in der Regel erst in der Implementationsphase.

-Bei Verwaltungsreformen, die weniger auf Binnenmodernisierung, sondern auf eine Neubestimmung der Außengrenzen abzielen (z. B. Privatisierung), ist demgegenüber, ähnlich wie bei den skizzierten Verwaltungsstrukturreformen einiger Landesverwaltungen, mit massiven Protesten bereits bei der öffentlichen Diskussion möglicher Reformen (und nicht erst in der Umsetzungsphase) zu rechnen, weil hier schon zentrale Verteilungskonflikte vorentschieden werden

Prozess- und binnenorientierte Reformen


-Stärker prozess- und binnenorientierte Verwaltungsreformen werden dagegen bei Verabschiedung der Reform meist überparteilich getragen und unter ausgeprägter Dominanz von Regierungs- und Verwaltungsakteuren eingeführt. Zeichnet sich aber in der Implementationsphase ab, dass die Verwaltungsreform tatsächlich stark mit Personalabbau einhergehen kann, der nicht nur auf dem Papier pauschal „dargestellt“ wird, sind erhebliche Widerständen in den Fachverwaltungen und bei den Personalräten wahrscheinlich, die nicht nur verwaltungsintern ausgetragen werden. Die Personalräte können dann (häufig in Personalunion) die Gewerkschaften mobilisieren und interne Probleme kommen an die Öffentlichkeit. Dies kann dann wiederum die Oppositionsfraktionen auf den Plan rufen, die hierin eine Profilierungsmöglichkeit im Parteienwettbewerb sehen. Dies kann auch die Kritik bei dem einen oder anderen Koalitionspartner anregen. Die Fraktionen werden in vertraulichen Gesprächen von den Fachverwaltungen mit Argumenten gegen die Reform „gefüttert“. Nicht selten steht dann im Implementationsprozess der in der Politikformulierungsphase dominante Verwaltungs- bzw. der Regierungschef mit den in der Verwaltung eingerichteten „Modernisierungsreferaten“ und den eingeschalteten Beratungsunternehmen fast allein da, wenn er nicht die Modernisierungsziele pragmatisch anpasst bzw. die Verwaltungsreform nur noch nominell weiterführt

-Regierungswechsel können dann zur endgültigen Beendigung eines Reformkonzepts führen und zugleich neue Reformen einleiten, die die ehemalige Opposition zuvor in Abgrenzung zur damaligen Regierung als Alternative formuliert hat . Der „Auftritt“ neuer Regierungsakteure in der politischen Arena, z. B. auch von neuen direktgewählten Bürgermeistern, ist nicht selten entscheidend für Einleitung und Beendigung von Verwaltungsreformen. Verwaltungsmitarbeiter können dies wiederum antizipieren und ihre mikropolitischen Taktiken darauf einstellen. Da viele Regierungsakteure mit demokratisch befristeten Mandat versehen sind und zudem auch eine hohe Fluktuation zwischen unterschiedlichen Fachressorts und föderalen Ebenen aufweisen, können Verwaltungsmitarbeiter in den Fachverwaltungen bei ziemlich geringer Mobilität damit rechnen, dass sie die Reformer in der Organisation „überleben“ werden und somit zunächst rational abwartend insbesondere auf prozessorientierte Reformleitbilder reagieren

Konfliktintensität und Konzeptfehler


-Reformleitbilder, die grundlegende institutionelle Veränderungen oder klar definierten Personalabbau vorsehen, führen demgegenüber eher zu „aktivem“ Widerstand der Fachkoalitionen, und unterscheiden sich damit wenig von den konfliktreichen Akteurskonstellationen, wie sie bereits allgemein aus der Rational-Choice-Perspektive für die Haushaltskonsolidierung beschrieben wurden. Wird durch Reformen eine Institutionen-Policy angestrebt, die Ressourcen einflussreicher Akteuren umverteilt (redistributive policy), dann ist mit konfliktreichen Akteurskonstellationen und Implementationsproblemen bei stärker prozessorientierten Reformen zu rechnen. Bei grundlegenden institutionellen Reformen mit anvisierter Schließung von Behörden treten die Konflikte bereits, wie skizziert, in der Politikformulierungsphase massiv auf und es ist fraglich, ob die Reform überhaupt verabschiedet wird und in die Umsetzungsphase mündet. Damit sind zugleich die zwei wesentlichen Phasen im Politikzyklus benannt, die die empirische Verwaltungsreformwissenschaft untersucht. Welche Verwaltungsreformen, die auf die politische Tagesordnung gesetzt wurden, schaffen es (aus welchen Gründen) verabschiedet zu werden und welche Reformen erreichen in der Implementationsphase tatsächlich die mit ihnen verbundenen Ziele (Soll-Ist-Vergleich im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation)?

-Die Analyse der Reformleitbilder kann außerdem auf Inkonsistenzen des Modells hinweisen. Wenn beispielsweise die bisherigen Effizienzprobleme der Verwaltungen durchgehend aus einer Rational-Choice-Perspektive erklärt werden und im neuen Leitbild aber im Wesentlichen daran appelliert wird, dass alle ihre Eigeninteressen für die Reform zurückstellen sollen, ist dies widersprüchlich und weist auf theoretische Konzeptfehler hin. Oder viele Verwaltungsreformen sind stark an privatwirtschaftliche Organisationsmodelle angelehnt und berücksichtigen nicht im Ansatz die Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Selbst bei sonst relativ günstigen Akteurskonstellationen für Reformen – reformwillige Akteure und ausreichende Reformressourcen – sind also zumindest Teile dieser Modelle aufgrund von Konzeptfehlern höchstwahrscheinlich nicht umsetzbar.

Polities und Zusammenlegung von Ausschüssen


Mit den hier skizzierten unabhängigen Variablen, rechtliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Reformkonzept lassen sich bereits mit öffentlich zugänglichen Dokumenten und Statistiken Erwartungen und Arbeitshypothesen über die jeweiligen Akteurskonstellationen und – konflikte (Politics) formulieren, die wiederum darüber Auskunft geben können, ob die Einführung und Umsetzung der Verwaltungsreform und ihrer Ziele prekär oder wahrscheinlicher ist. Wenn zum Beispiel der Oberbürgermeister einer finanziell noch recht gut ausgestatteten baden-württembergischen Stadt mit eigener Personalhoheit eine prozessorientierte Binnenreform der Stadtverwaltung durch den Stadtrat (zusätzlich) beschließen lassen will, dürfte dies zumindest in der Politikformulierungsphase durchsetzbar sein, ohne dass hierzu die Akteure im Detail durch halbstandardisierte Interviews und teilnehmende Beobachtung empirisch untersucht werden müssten.

-Bei einem Oberbürgermeister in einer hochverschuldeten nordrhein-westfälischen Stadt, der mehrere Fachbereiche und Fachausschüsse zwecks Haushaltskonsolidierung und Umsetzung des New Public Managements zusammenlegen will, sind hingegen erhebliche Akteurskonflikte bereits in der Politikformulierungsphase zu erwarten. Der Widerstand der bisherigen Ausschussvorsitzenden und Fachbereichsleiter dürfte ihm gewiss sein und über die Zusammenlegung von Parlamentsausschüssen muss das Kommunalparlament als potentieller Vetospieler zwingend selbst entscheiden. Die Ausschussvorsitzenden und Sprecher der Fraktionen31 dürften in der Regel bemüht sein, genau diese Zusammenlegung zu verhindern.

-Wenn es dann entgegen den erwartbaren Standardinteressen und rechtlichen Kompetenzen der Akteure doch zu einer Zusammenlegung von Ausschüssen und Fachbereichen kommt, lohnt es sich aus forschungsökonomischer Sicht in einer Fallstudie die Akteurskonstellationen empirisch detaillierter zu untersuchen. Auch dann ist es bei den hier eigentlich erwartbaren Verteilungskonflikten zentral, zunächst die Interessen und Machtpositionen der Akteure genauer zu erfassen. So kann es bei der Zusammenlegung von zwei Fachbereichen in der Verwaltung deshalb zu keinen massiven Konflikten kommen, weil ein Fachbereichsleiter gerade in Pension gegangen ist und damit ein zentraler Verteidiger des ersten Fachbereichs wegfällt und der zweite jüngere Fachbereichsleiter durch Zusammenlegung mehr Kompetenzen, eine höhere Vergütung oder ähnliches erhält. Dieser dürfte sich häufiger durchsetzen können (insbesondere wenn er dasselbe Parteibuch wie der Oberbürgermeister hat), selbst wenn die Karrierechancen der „Untergebenen“ aus dem ersten Fachbereich dadurch eingeschränkt werden könnten. Ausschüsse zusammenzulegen ist in nordrhein-westfälischen Kommunen aufgrund der Interessen der Ratsmitglieder deutlich schwieriger, auch wenn dadurch die zeitliche Belastung des Ehrenamtes durch Gremiensitzungen teilweise reduziert werden könnte. Weil die Ausschussvorsitze weitgehend nach den Wähleranteilen bei den Kommunalwahlen an die Fraktionen vergeben werden, können kleine Fraktionen erst bei einer größeren Ausschussanzahl einen Vorsitz erlangen. Sie werden in Koalitionen bemüht sein, eine Ratsmehrheit für viele Fachausschüsse als Voraussetzung für ihre Kooperationsbereitschaft durchzusetzen, um zumindest Zugriff auf einen Ausschussvorsitz zu erhalten.

-Hierin kann aber unter besonderen Bedingungen auch ein Grund dafür liegen, dass die Zusammenlegung von Ausschüssen im Rat durchsetzbar ist. Hat man es nicht nur mit einer gewöhnlichen wettbewerblichen, sondern feindseligen Interaktionsorientierung zwischen den Parteien zu tun, können die größeren Parteien unter Inkaufnahme des Verzichts auf eigene Ausschussvorsitze die Ausschusszahl so stark reduzieren, so dass eine kleine Fraktion überhaupt kein Zugriffsrecht auf einen Ausschussvorsitz hat, so wie es beispielsweise früher gegen die KPD und in den Anfängen gegen die Grünen in nordrhein-westfälischen Kommunen praktiziert wurde. Aber nur in diesen Ausnahmefällen generiert der Parteienwettbewerb selbst eine stärkere Begrenzung der Ausschusspositionen. Eine andere Option mit Blick auf die Erklärungsvariablen im Bereich der Akteurskonstellationen wäre, wenn der Bürgermeister deutlich über seine formalen Kompetenzen (polity – Organisationsrecht nur in der Verwaltung) eine empirische Machtposition erreicht hat, die es ihm erlaubt starken Einfluss und Druck auf die Beschlüsse des Kommunalparlaments oder wenigstens der Mehrheitsfraktionen im Sinne seiner Refo

Einführungs- und Implementationsstrategien


-Allgemein besteht gerade in dieser Literatur die Neigung, die Wirkung von Einführungs- und Implementationsstrategien zu überschätzen, auch weil sie in der Regel leichter gestaltbar sind als Implementationswiderstände, die aus fundamentalen Interessendivergenzen resultieren. In der empirischen Analyse wird man hingegen häufig feststellen, dass es einfache monokausale Problemlösungen nur selten gibt. So existieren bei der vorherrschenden starken Effizienzorientierung von Verwaltungsreformen starke Verteilungskonflikte, in denen die Standardinteressen der Akteure tangiert sind. Diese können somit sicherlich nicht einfach in Konsensstrategien eingebunden werden, weil aufgrund der Mittelknappheit ein Konsens aller Akteure durch Win-Win-Lösungen und expansive Verhandlungspakete kaum möglich ist. Stärker hierarchische Einführungsstrategien bei effizienzorientierten Verwaltungsreformen zeigen sich nicht nur auf kommunaler Ebene bei stark ausgeprägter exekutiver Führerschaft.

-Bombenwurfstrategie:

Auch die Ministerpräsidenten Baden-Württembergs und Niedersachsens entwickelten im kleinen Kreis mit Vertrauten einschneidende Verwaltungsstrukturreformen auf Länderebene, mit denen die Auflösung vieler Behörden einherging und die sie unter erheblichen Zeitdruck weitgehend durch hierarchische Steuerung durchsetzten . Dabei wurde bewusst auf eine zielorientierte Aufgabenkritik verzichtet, sondern die Verwaltungsreform folgte vielmehr politischen Verteilungsregeln (Gleichverteilung von Belastungen; Bündnisstrategien gegen einzelne „auszuschlachtende“ Behörden etc.). Demgegenüber sind Versuche einer konsensualen, systematischen Aufgabenkritik zur Umsetzung von effizienzorientierten Verwaltungsstrukturreformen bei ausgeprägtem Parteienwettbewerb wenig erfolgsversprechend. Die jeweilige Opposition verbindet sich mit potentiellen Konsolidierungsopfern, um bei der Wahl gegenüber der Regierung punkten zu können. Sie lässt sich deshalb nicht dauerhaft in konsensuale Verfahren einbinden. Nicht Konsens und Beteiligung, sondern zügige hierarchische Intervention (die sog. Bombenwurfstrategie) erwies sich somit als primäre Voraussetzung, um effizienzorientierte Verwaltungsreformen erfolgreich in der Politikformulierungsphase durchsetzen zu können

-Allerdings entsprechen diese Taktiken eher nicht den normativen Vorstellungen, wie in „modernen“ Organisationen angemessen gehandelt werden sollte und sie werden deshalb in der Regel nicht ausführlicher in den Hochglanzbroschüren von Reformern und normativer Verwaltungswissenschaft behandelt oder gar empfohlen. Auch bei den Einführungs- und Implementationsstrategien ist also zwischen Bühne und Taktiken hinter den Kulissen zu unterscheiden, wie es insbesondere der soziologische Neoinstitutionalismus hervorhebt. Die offiziell verkündeten Strategien decken sich nur selten mit den tatsächlichen mikropolitischen Einführungsstrategien, wie dies im Übrigen erst Recht für Widerstandstrategien gegen Reformen gilt


Offene Taktiken

Verdeckte Taktiken mit Täuschungsabsicht

Belohnen, Vorteile schaffen Bestimmt auftreten und auch bestrafen

Rationales Argumentieren Koalitionen bilden

Hohle Versprechungen machen, ködern, Schund andrehen

Bluffen, einschüchtern

Fassade von Rationalität präsentieren, blenden, hochstapeln

Pseudo-Partizipation

-Eine in der normativen Verwaltungswissenschaft oft diskutierte Einführungsstrategie verbindet sich mit der Fragestellung, ob eine Verwaltungsreform flächendeckend oder zunächst in einigen Pilotverwaltungen umgesetzt werden soll. Allgemein tendiert die normative Verwaltungswissenschaft zu Empfehlungen, die von ihr mitentwickelten Reformen möglichst flächendeckend und umfassend umzusetzen, weil nur so die anvisierte Wirkungen und „Synergieeffekte“ im vollen Umfange erreicht werden könnten. Für Pilotprojekte sprechen aus dieser Sicht lediglich, dass diese besser evaluiert werden können, um „eventuelle Vorbehalte der Beteiligten zeitnah zu adressieren und zu entkräften“. In der empirischen Verwaltungswissenschaft besteht dagegen eine stärkere Präferenz für Pilotlösungen im Sinne einer experimentellen Politik. Pilotprojekte dienen nicht dazu Vorbehalte auszuräumen, sondern um in kleinen Schritten, durchaus im Sinne des Inkrementalismus, die Wirkung von Reformen zu evaluieren und dann über ihre Weiterführung und Ausdehnung zu entscheiden. In einer rationalistischen Sicht hat bereits Karl Popper diesen Zusammenhang zwischen der empiri-

schen Sozialwissenschaft und Reformpraxis hervorgehoben. Er hat der Politik kleine Schritte und „Stückwerktechnik“ anstelle von holistischen Plänen empfohlen, was sowohl auf das Reformleitbild als auch auf die Einführungs- und Implementationsstrategie bezogen werden kann. Wenn ein Experte in Sozialforschung und Politik, so Popper, die „wissenschaftlichen Methoden einführen will, dann ist dafür die wichtigste Voraussetzung, dass er eine kritische Haltung einnimmt und sich dessen bewusst wird, dass nicht nur der Versuch, sondern auch der Irrtum nötig ist… Es ist sehr schwer, aus sehr großen Fehlern zu lernen… Wenn soviel auf einmal getan wird, dann kann niemand sagen, welche Maßnahme für welches Resultat verantwortlich ist“ (Popper)

-Aber auch wenn man der Politik und normativen Verwaltungswissenschaft kein großes Evaluationsinteresse unterstellt, hat der Einsatz von Pilotprojekten für die Akteure und die Effizienz der Verwaltung einen durchaus großen Nutzen. Er kann dazu beitragen die Transaktionskosten von Verwaltungsreformen drastisch zu senken und ermöglicht es den Akteuren sich dennoch als Reformer (kostengünstig) zu profilieren.

Potentielle Erklärungsvarisblen für die Einführung von Reformen und Reformergebnisse



sozioökonomische Rahmenbedingungen als „Reformtreiber“

Finanzielle Ausgangslage und Personalausgabenquote Förderprogramme und (transnationale) Reformdiskurse Demografische und technologische Entwicklung Wettbewerbssituation Bürgerwartungen und Wertewandel Besondere Anlässe (z. B. Wiedervereinigung, Skandale, Katastrophen)

rechtliche Rahmenbedingungen (polity)

Verfassungsrechtliche Kompetenzen, Vetopositionen, Schuldengrenzen und Haushaltsnotlagenregime Verwaltungsstrukturelle Ausgangslage und Verwaltungsraum Organisations- und Dienstrecht

Akteure und Akteurskonstellationen (politics)

relevante Akteure: z. B. Oppositionsfraktionen, Regierungsfraktionen, Fachverwaltung, Querschnittsverwaltungen, Personalräte, mittleres Management, Gewerkschaften „Auftritt“ neuer Akteure: Regierungswechsel, neuer direktgewählter Bürgermeister, Beratungsunternehmen, Bürgerinitiativen Machtposition der Akteure: abhängig von formalen Kompetenzen, Beziehung zu anderen Akteuren, Finanz- und Zeitressourcen, Mehrheitsbeziehungen, Persönlichkeitsmerkmalen und Strategiefähigkeit Akteursziele bzw. Interessen: Politiker wollen Stimmen maximieren, Fachverwaltung und Berater wollen ihr Budget maximieren und die Beschäftigten bzw. Personalräte wollen eine „angenehme“ Arbeitssituation mit sicheren Arbeitsplätzen erhalten; darüber hinaus wollen alle Akteure ihre Machtpositionen ausbauen Systemziele bzw. Wertorientierung der Akteure: Gewichtung von Effizienz, Effektivität, Legitimation und sozialer Gleichheit beeinflusst z. B. von Sozialisation im Beruf oder Partei (Parteiendifferenz) Begrenzte zeitliche und kognitive Ressourcen der Akteure; Kognitive Problem(lösungs)wahrnehmung Wahrgenommene Wirkung früherer Verwaltungspolitiken Interaktionsorientierung: z. B. Wettbewerb, Feindseligkeit oder Konkordanz zwischen Parteien

Inhaltliches Reformkonzept (präferierte Policy)

Reformintensität und Konfliktstruktur (erwartbare) Transaktionskosten und Konzeptfehler

Einführungs- und Implementationsstrategie

Beteiligungs- oder Bombenwurfstrategie Win-Win-Situationen herstellen Externe Berater/Lösungen im Haus Pilotlösungen/ Umsetzung Gesamtverwaltung Verdeckte mikropolitische Strategien


Analyseschritte der empirischen Verwaltungsreformwissenschaft


-Soll-Ist Vergleich: In der Regel handelt es sich bei der Beschreibung von Verwaltungsreformen um einen Vergleich. Häufig wird beispielsweise verglichen, welche Ziele für eine Verwaltungsreform formuliert wurden und welche dieser Ziele in der Umsetzungsphase tatsächlich erreicht wurden (Soll-Ist-Vergleich). Daran anschließend ist zu erklären, warum die Ziele erreicht bzw. nicht erreicht wurden. In einer eigenen Fallstudie über die Verwaltung XY wird man dann, die im Analyseraster skizierten Erklärungsvariablen auf Plausibilität abklopfen, wobei aus forschungsökonomischen Gründen zunächst zu prüfen ist, ob leicht erhebbare Erklärungsvariablen (sozioökonomische und institutionelle Variablen bzw. Schwächen des Leitbilds) möglicherweise die empirisch festgestellte Realisierung bzw. Verfehlung der Reformziele befriedigend erklären können. Ist dies nicht der Fall ist tiefer in die Analyse der Erklärungsvariablen einzutreten, die auf Akteurskonstellationen und mikropolitische Strategien abstellen. Auch hier sollten erst die prinzipiell unterstellbaren Standardinteressen der Akteure Berücksichtigung finden, bevor auf schwerer zu erhebende, variierende Konstellationen und Strategien eingegangen wird.

-Häufiger konzentriert sich die empirische Verwaltungswissenschaft lediglich auf die Beschreibung und verbleibt auf diesem deskriptiven Niveau. Dies ist allerdings gerade für Verwaltungsreformen unbefriedigend. Dass beispielsweise im Soll-Ist-Vergleich eine Verwaltungsreform kaum umgesetzt wird, ist beim heutigen empirischen Forschungsstand erstens keine „neue Nachricht“ und gibt zweitens keine Hinweise darauf, an welchen Ursachen des Scheitern angesetzt werden könnte, um in der Praxis möglicherweise einen größeren Reformerfolg erreichen zu können. Bei der Beschreibung von Verwaltungsreformen im Rahmen eines Soll-Ist Vergleichs ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Verwaltungspolitik in der Regel um eine sehr indirekte Form der Steuerung handelt und darum mehrere Schleifen bei der Evaluation von implementierten Verwaltungsreformen einbezogen werden können

-Evaluationsschleifen:

1. Im Rahmen der „Institutionenevaluierung“ ist zunächst von Interesse, welche Reforminstitutionen tatsächlich umgesetzt wurden (z. B. wurden tatsächlich die Ämter im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells in der Stadt XY aufgelöst und zu größeren Fachbereiche zusammengeführt?) Evaluationsschleifen

2. In der „Performanzevaluierung“ können darauf aufbauend die Veränderungen im Verwaltungshandeln (Effizienz bzw. Input und Output) betrachtet werden (sind durch die Schaffung der Fachbereiche Hierarchien wirklich „verschlankt“ und Arbeitsprozesse beschleunigt worden, so dass z. B. Baugenehmigungen zügiger erteilt werden?).

3. Die im Reformprozess angestrebten institutionellen und Performanzveränderungen zielen häufiger auch auf gesellschaftliche Wirkungen ab. Diese sind im Rahmen der Outcomeevaluierung zu erfassen (z. B. sind durch die beschleunigten Arbeitsprozesse in Folge der Fachbereichsbildung auch die Unternehmen zufriedener mit ihrer Stadtverwaltung? Hat die Stadt dadurch im Standortwettbewerb tatsächlich einige Vorteile und wurde durch die Beschleunigung des Baugenehmigungsprozesses vielleicht die Ansiedlung von Unternehmen gefördert?).


-Neben dem besonders „prominenten“ Soll-Ist-Vergleich werden für die wissenschaftliche Beschreibung von Verwaltungsreformen auch noch andere Vergleichstypen verwendet. Erstens kann im Phasenvergleich, angelehnt an die Heuristik des Politikzyklus, nicht nur der Soll-Ist-Vergleich angewendet, sondern auch bzw. alternativ die Politikformulierungsphase untersucht werden. Wie verändern sich Reformentwürfe im Gesetzgebungsprozess? Wie werden die auf die Agenda gesetzten Reformen verabschiedet? Das sind wesentliche Fragen für Vergleiche im Rahmen der Politikformulierungsphase. Phasen-, Zweitens können Zeitvergleiche durchgeführt werden. Man beschreibt, wie die Verwaltung vor der Reform aussah und wie sie nach der Reform strukturiert ist. Im Unterschied zum Soll-Ist-Vergleich steht beim Zeitvergleich vor allem die Veränderungsdynamik der Variablen im Mittelpunkt. Es werden also die „empirischen Realitätsausschnitte“ zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten miteinander verglichen und nicht wie im Soll-Ist-Vergleich die anvisierten Reformziele mit Realitätsausschnitten zu einem Zeitpunkt in der Implementationsphase. Zeit-, In einer dritten Perspektive kann man in einem Quervergleich in unterschiedlichen Städten (bzw. Ländern) Gemeinsamkeiten und Divergenzen zwischen Verwaltungsreformen beschreiben. Es werden also die empirischen Realitätsausschnitte an verschiedenen Orten oder auch in verschiedenen Verwaltungsabteilungen zu einem festen Zeitpunkt miteinander verglichen. Zu dieser Kategorie gehört auch der Ebenenvergleich, der zu einem Zeitpunkt die Reformaktivitäten beispielsweise in Bund, Länder und Kommunen miteinander vergleicht

-Aus diesen beiden Differenzierungskriterien (Bezugseinheiten und Analysedimensionen des Vergleichs) ergibt sich eine Neun-Felder-Tabelle, die die unterschiedlichen möglichen Evaluationsfelder verdeutlicht. In die Felder wurde zugleich eingetragen, für welche studentischen Arbeiten sich diese in der Regel bei eigenen Primärerhebungen eignen. In Sekundäranalysen können demgegenüber im Rahmen einer Hausarbeit prinzipiell alle Evaluationsfelder abgedeckt werden. Für eine eigene Primärerhebung im Rahmen einer studentischen Hausarbeit kommt fast nur der Phasenvergleich in Frage.

- Der Zeitvergleich im strengen Sinne scheidet für Hausarbeiten, aber in der Regel auch für Abschlussarbeiten aus, weil man zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten eine Verwaltung befragen müsste und dies nicht mit der Bearbeitungsfrist von studentischen Arbeiten kompatibel ist. Der Zeitvergleich kann höchstens von den Akteuren in Interviews selbst vorgenommen werden und kann damit (mit allen Ungenauigkeiten und Selektivitäten) als Rückerinnerungsfrage in die Untersuchung einfließen bzw. durch Dokumentenanalysen und statistische Datenanalysen ergänzt werden.

-Ein Quervergleich ist in der Regel für eine Hausarbeit zu aufwändig, während er bei Abschlussarbeiten für zwei Fälle gut leistbar ist. Dann wäre beispielsweise die Untersuchungsfrage, ob in der Stadt A stärker das New Public Management bei Institutionen und Prozessen umgesetzt wurde als in der Stadt B und ob dies z. B. auf die variierende Haushaltssituation als Erklärungsvariable zurückzuführen is



Bezugspunkte

Institutionelle Veränderungen

Performanzveränderungen

Outcome-Veränderungen

Phasen-Vergleich Soll-Ist-Vergleich Agenda-PolitikformulierungsVergleic

Hausarbeiten, Abschlussarbeiten

Hausarbeiten, Abschlussarbeiten

kaum leistbar

Quervergleich Horizontal auf einer föderalen Ebene Vertikal als Ebenenvergleich

Abschlussarbeiten

Abschlussarbeiten

kaum leistbar

Zeitvergleich

kaum leistbar

kaum leistbar

kaum leistbar


Effizienz und Effektivität


-Allgemein versteht man unter Effizienz die mengenmäßige Beziehung zwischen Output (z. B. die erteilten Baugenehmigungen) und dem zu dessen Erzielung erforderlichen Aufwand (Input). Häufig geht es darum, dass bei in Verwaltungen teilweise vorgegebenem Output dieser mit möglichst wenig Aufwand produziert werden soll. Aber woran soll man bei weitgehender Abwesenheit von Märkten in bundesdeutschen Verwaltungen messen, was möglichst wenig Aufwand oder der „kleinstmögliche Ressourceneinsatz“ ist? Das ist häufig nur durch (gesetzlich verbindliche) Leistungsvergleiche mit klaren Abgrenzungskriterien bis zur Produktebene leistbar, die in Deutschland selbst auf kommunaler Ebene noch nicht hinreichend implementiert sind. Insofern ist im Kern lediglich messbar, welche Einsparungen beim Aufwand durch Reformen in Haushaltsplanung und Jahresrechnungen erzielt wurden und welche Transaktionskosten durch die Reformen verursacht wurden. Diese inputbezogene Sichtweise dominiert auch in der Haushaltspolitik, weswegen unter effizienzorientierten Reformen in der politischen Praxis vorwiegend Ausgabenkürzungen bzw. Einsparungen verstanden werden, so wie es auch in diesem Lehrbuch definitorisch eingeschränkt wurde, um überhaupt Effizienzeffekte abschätzen zu können.

-Im öffentlichen Sektor wird häufig dieses „Minimalprinzip“ bei gesetzlich teilweise fixiertem Output angewendet. Beim „Maximalprinzip“ geht es demgegenüber darum den Output bei konstantem Ressourceneinsatz zu optimieren. Zwar ist das Minimalprinzip im öffentlichen Sektor etwas leichter abschätzbar, aber auch hier stellen sich die Probleme der Outputmessung, der Abgrenzung der Produkte und die Berücksichtigung von Drittvariableneinflüssen. Für deutsche Verwaltungen liegen die hierfür nötigen multivariaten Analysen hauptsächlich für Kommunen als Ganzes vor und wurden im Zusammenhang mit Überlegungen zu Gebietsreformen sehr aufwändig durchgeführt


-Unter Effektivität versteht man demgegenüber das Verhältnis zwischen öffentlichen Zielen und realisierter gesellschaftlicher Wirkung staatlichen Handelns (outcome). Gesellschaftliche Wirkungen von Verwaltungsreformen sind allerdings noch schwerer messbar als die Effizienz. Deshalb wird selbst in komplexen Forschungsprojekten häufig darauf verzichtet, die gesellschaftliche Wirkung zu messen (z. B. Bogumil et al. 2006), zumal es schwer ist, gesellschaftliche Veränderungen kausal der Wirkung von Verwaltungsreformen und nicht etwa anderen sozio-ökonomischen oder politischen Entwicklungen zu zuordnen. Wenn also in einer Kommune mehr Unternehmen ansiedeln (potentielle Outcomeveränderung), kann dies auf sehr viele Erklärungsvariablen zurückgeführt werden, wobei die schnellere Bearbeitung von Bauvoranfragen und Baugenehmigungen (Output bzw. Performanzveränderung) durch eine Optimierung der Verwaltungsstrukturen (Institutionenveränderung) nicht unbedingt die wahrscheinlichste Variable ist.

-Als alternative Erklärungsangebote wären beispielsweise die Entwicklungen des regionalen Arbeits- und Absatzmarkts, der Gewerbesteuerhebesätze und die jeweilige Branchenentwicklung in multivariaten statistischen Verfahren zu prüfen. Häufig wird aufgrund der Komplexität der Kausalbeziehungen die Effektivität von Verwaltungsreformen empirisch nicht im Detail untersucht, sondern es wird lediglich versucht anhand plausibler und transparent zu machender Annahmen den Outcome von Reformen grob abzuschätzen. Für diese Zuordnungs- und Erklärungsprobleme kann man sich auf Theorien beziehen (damit die getroffenen Annahmen intersubjektiv nachvollziehbar sind) und diese auf empirische Plausibilität in Fallstudien und Interviews mit zentralen Entscheidungsträgern prüfen.

Normative Verwaltungswissenschaft und Reformleitbilder


-Im Vergleich zu den beiden basalen Analyseschritten des Beschreibens und Erklärens der empirischen Verwaltungswissenschaft ist der Argumentationszugang der normativen Verwaltungsreformwissenschaft und „Beratungsindustrie“ weniger stringent. In der Regel werden neue sozio-ökonomische Umweltanforderungen und Probleme formuliert (z. B internationaler Standortwettbewerb, Demografischer Wandel etc.), denen die bisherigen administrativen Organisationsformen nicht „gewachsen“ seien. Ohne dies in der Regel tiefergehend empirisch zu analysieren, werden dem ausländische Verwaltungsorganisationen, privatwirtschaftliche Unternehmen oder sozialtechnische Innovationen (E-Government, Budgetierungsverfahren etc.) gegenüber gestellt, die diese neuen Herausforderungen besser bewältigen sollen. Daraus werden umfassende Reformmodelle entwickelt oder es wird schlicht der Institutionentransfer aus dem Ausland oder der Privatwirtschaft empfohlen. Diese Vor- und Leitbilder sollen möglichst umfassend umgesetzt werden, um die neuen Probleme zu lösen und nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen zu verpassen. Problem erkannt, Lösung benannt und Problem gebannt, ist der implizite Dreisatz der normativen Verwaltungswissenschaf

-Die empirische Fundierung dieser Reformmodelle ist also weniger ausgeprägt und diese Argumentationsschritte können nicht für die politik- und sozialwissenschaftliche Verwaltungsforschung als Vorlage dienen. In diesen stärker empirisch ausgerichteten Subdisziplinen, denen sich auch der Autor zurechnet, wird ein solches Vorgehen bereits in wissenschaftlichen Hausarbeiten in der Regel als ungenügend eingeordnet. Reformmodelle Häufiger richten sich diese Reformmodelle stärker an den Profilierungsinteressen von Verwaltungsspitzen aus, um eine zügige Verbreitung und Vermarktung des Modells zu gewährleisten. Die Erklärungsvariablen und Filter für die Diffusion von Reformleitbildern werden häufig zuvor schon von den Reformentwicklern antizipiert und daraufhin werden die Reformleitbilder ausgerichtet

-Reformleitbilder sind deutlich einfacher als die komplexe Verwaltungsrealität. Sie vermitteln den Eindruck einer umfassend rationalen Ordnung, die im Kern zwar nicht umsetzbar ist, aber die Erwartungen der Organisationsumwelt bedient. Wird dann (erwartungsgemäß) diese rationale Ordnung des Reformleitbilds nicht als Gesamtmodell umgesetzt, dann weiß die normative Verwaltungswissenschaft schon, „wen man dafür an den Pranger stellen kann: nämlich die Praxis selbst“.

-Hierbei kommen nicht selten auch quasi-religiöse Argumentationsmuster zum Tragen, nach dem die „true believers“ immer darauf verweisen können, dass ihr Modell gut ist, es nur von der Praxis nie richtig umgesetzt wird, was sich kaum empirisch wiederlegen lässt und damit jeden wissenschaftlichen Zweifel an dem Modell strukturell ausschließt. Meist betonen Leitbilder einseitig ein Ziel für das Verwaltungshandeln und tragen damit schon den Keim für neue Reformleitbilder in sich, die als Reaktion auf hierdurch verursachte Probleme ein anderes Ziel propagieren (beispielsweise anstelle von Effizienz nun demokratische Legitimation und Partizipation)

-Reformleitbilder beziehen sich zumeist nicht auf vergangene empirische Erfahrungen mit anderen Verwaltungsreformen. Die Zukunft verspricht mehr als der Rückblick, so dass auch die zu erwartenden problematischen Umsetzungserfahrungen der neusten „vielversprechenden“ Reform bei den Entwicklern auf geringes Interesse stößt, sondern lediglich Anlass für die Produktion noch modernerer Leitbilder gibt, deren Leistungen wiederum in die Zukunft projiziert werden können. Je stärker eine Reform in die konfliktreiche und komplexe Organisationsrealität hineinreicht, desto unattraktiver erscheint die Reform und desto wahrscheinlicher ist es, dass wieder ein neues Reformleitbild entwickelt wird

Bewertungen und Bewertungskriterien


-Bei Bewertungen und Empfehlungen in der empirischen Verwaltungswissenschaft sind in jedem Fall einige Vorsichtsregeln zu beachten. Die Bewertung ist deutlich von der Beschreibung und Erklärung zu trennen. Insbesondere abwertende Begriffe, die beispielsweise die Interessen der Akteure beschreiben sollen (z. B. „durch den Opportunismus der Politiker und das Schielen auf die nächste Wahl wird die Verwaltungsreform nicht umgesetzt“), sind in jeder wissenschaftlichen Arbeit zu vermeiden. Wenig hilfreich sind auch bloße Meinungsäußerungen, wie z. B., dass trotz aller Probleme, die Verwaltungsreform dennoch weitergeführt werden sollte. Vielmehr sind die Kriterien für Bewertungen offenzulegen und anschließend auf die Ergebnisse der empirischen Analyse zu beziehen. Dabei ist es ein häufiger Trugschluss, dass die mangelnde Umsetzung von Verwaltungsreformen automatisch negativ zu bewerten ist. Damit wird unreflektiert die meist einseitige Zielsetzung der Reformleitbilder übernommen und es wird ausgeblendet, dass nicht wenige von ihnen aufgrund von Konzeptfehlern nicht umsetzbar sind oder zu negativen Nebenwirkungen führen. So wird auch für Reformen in Unternehmen eine hohe Scheiternsquote bilanziert und zugleich darauf hingewiesen, dass dies häufiger angesichts der unterkomplexen Modelle und Nebenfolgen durchaus positiv bewertet werden kann

-Deshalb sollten von den Reformleitbildern autonome Qualitäts- und Erfolgskriterien als Bewertungsgrundlage entwickelt werden und die empirisch untersuchten Folgen der Reform anhand dieser Kriterien intersubjektiv nachvollziehbar beurteilt werden. Als ausgewogener Referenzrahmen für Bewertungskriterien hat sich in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung zunehmend die komplexe Demokratietheorie von Fritz Scharpf (1970)36 durchgesetzt, die aus heutiger Sicht insbesondere auf der Outputseite, um das Effizienzkriterium zu ergänzen ist


Beispiel:




Input-Legitimität

Output-Legitimität

mögliche Kriterien:

- klare Verantwortlichkeiten und Transparenz

- Demokratische Kontrolle der Verwaltung

- Partizipation

- Effektivität

- Effizienz

-Reformvorschäge: “. Die Reformempfehlungen sollten, auf die vorherige empirische Analyse abgestimmt sein und an den Erklärungsvariablen für Umsetzungsdefizite ansetzen. Ergebnis sind dann in der Regel kleinschrittige, kontextabhängige Empfehlungen anstelle von rationalistischen Gesamtmodellen und vermeintlich „goldenen“ Umsetzungsregeln für alle Verwaltungen

Methoden der empirischen Verwaltungswissenschaft


-Methoden werden gemeinhin definiert als ein planmäßiges (=methodisches) Verfahren, mit dem „Realität“ jeder Art (Dokumente, Aussagen etc.) systematisch erfasst wird. Dabei unterscheidet sich die empirische Verwaltungswissenschaft nicht grundlegend von anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Es gibt keine Methoden die eigens von der Verwaltungswissenschaft entwickelt wurden. Insbesondere die Diskussion über den unterschiedlichen Nutzen von sog. qualitativen und quantitativen Methoden wurde bereits früher in anderen wissenschaftlichen Disziplinen geführt, während die Verwaltungswissenschaft sich anfangs nur wenig systematisch mit empirischen Methoden auseinandersetzte

-Die quantitativen Methoden basieren in ihren Grundlagen auf der Wissenschaftstheorie des Positivismus bzw. des kritischen Rationalismus. Danach gelten, um die Extremform dieser Position zu markieren die methodologischen Grundlagen der Naturwissenschaft auch für die Sozialwissenschaft und Menschen sind durch ihre sozioökonomische und sozio-politische Welt in der gleichen Weise determiniert, wie die naturwissenschaftliche Welt durch Gesetze. Die Analyse dieser Zusammenhänge basiert auf den Prinzipien der Deduktion und Falsifikation. Deduktion bedeutet, dass Hypothesen aus allgemeineren Erkenntnissen bzw. Gesetzen und Theorien abgeleitet werden und erst dann mit der empirischen Realität konfrontiert werden

-multivariate Analyse: In der multivariaten Analyse kann hingegen der mögliche Einfluss von Drittvariablen kontrolliert werden. Andernfalls treten häufig sog. Scheinkorrelationen auf. Die Berücksichtigung des Indikators der variierenden gesetzlichen Kompetenzen der Kommunen als Drittvariable kann zum Beispiel dazu führen, dass der positive bivariate statistische Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Pro-Kopf-Ausgaben verschwindet. Damit wären wenige Effizienzargumente anführbar, um in einer Gebietsreform die Gemeinden zu verkleinern oder zu vergrößern. In der statistischen Analyse würde dann die Gemeindegröße keinen Unterschied mehr machen, sondern die (auch nach Gemeindegröße) variierenden rechtlichen Aufgaben der Kommunen wären dann die Erklärung für die Varianz der Pro-Kopf-Ausgaben

-qualitative Methoden:

Darüber hinaus können qualitative Methoden auch zur induktiven Analyse genutzt werden. Durch die Beschreibung von empirischen Fällen wird dann versucht allgemeinere Aussagen bzw. Theorien zu entwickeln. Soziales Handeln der Menschen ist in dieser Perspektive vom subjektiven Sinn geprägt und folgerichtig gibt es im Gegensatz zu den Naturwissenschaften auch keine objektive Wahrheit in den Erfahrungswissenschaften. Dementsprechend soll der Forscher gerade nicht mit vorgefertigten Hypothesen ins Untersuchungsfeld ziehen, sondern in Kommunikation mit den untersuchten Akteuren sollen möglichst offen und detailliert ihre Deutungs- und Handlungsmuster erfasst werden

-Fallstudie: Im konkreten Fall der Gebietsreform würde man in einer verwaltungswissenschaftlichen Fallstudie zuerst halbstandardisierte Interviews mit Entscheidungsträgern führen, die aus ihrer Sicht über die wahrgenommenen Entwicklungen und Wirkungen nach der Gebietsreform in der Stadt XY berichten. Hieraus lassen sich nachfolgend Hypothesen entwickeln, warum es zu Kostensteigerungen in der Verwaltung gekommen ist oder wie die neuen Gemeindegrenzen von Bürgern, Kommunalpolitikern und Verwaltungspersonal akzeptiert werden. Dabei wird das Interview auf der Basis eines Interviewleitfadens geführt

-Methodenkombination:

Insgesamt handelt es sich bei der induktiven und deduktiven Analyse um sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, die lange Zeit umstritten waren. Aber der Grundsatzstreit zwischen quantitativen und qualitativen Methoden wird schon seit Jahren in der Sozialwissenschaft nicht mehr geführt. In der Forschungspraxis hat sich gezeigt, dass sowohl qualitative als auch quantitative Methoden ihre Stärken und Schwächen haben. Es kommt ganz auf die Forschungsfrage an, welche Art von Methoden besser geeignet ist. Das ist nun auch das Fazit vieler Lehrbücher der empirischen Sozialforschung, nachdem lange Zeit eindeutig quantitative Methoden präferiert wurden. Oftmals bietet es sich an, die Methoden in unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses zu kombinieren. Für die Generierung von Hypothesen werden dann qualitative Methoden verwendet und die Hypothesen werden anschließend mit quantitativen Verfahren getestet. Neben der Differenz zwischen quantitativen und qualitativen Methoden ist die systematische Unterscheidung zwischen den (Einzel-) Fallstudien und dem Querschnittsvergleich zentral.

-Quervergleiche:

Die politikwissenschaftliche Methode par excellence ist der bereits angerissene Quergleich, wie er schon von Aristoteles entwickelt wurde. Hierbei kann man zwischen qualitativen und quantitativen Vergleichen unterscheiden. Während, wie am Beispiel der Regressionsanalyse gezeigt, die Überprüfbarkeit des (statistischen) Zusammenhangs vieler Variablen die unbestrittene Leistung des quantitativen Vergleichs ist, weist er wie alle quantitativen Methoden das Problem auf, dass er nur Daten berücksichtigen kann, die sich quantifizieren lassen. Dies ergibt häufig nur ein sehr grobes Raster, durch das viele Feinheiten gerade des politischen Prozesses und der Akteurskonstellationen fallen. Diese detaillierte Rekonstruktion der Politics-Ebene kann fraglos am besten durch den qualitativen Vergleich geleistet werden. Das Problem der einzelnen qualitativen Fallstudie ist häufig, dass sie die lokalen Spezifika überbetonen und so zu dem unspektakulären Schluss von der Einzigartigkeit des Einzelfalls kommen. Dieser Tendenz von Fallstudien zur „lokalgebundenen Kleinkunst“ kann durch mehrere Fallstudien im Rahmen eines qualitativen Vergleichs vorgebeugt werden. Quervergleiche Durch Verwendung der vergleichenden Methode versucht man häufig zu erreichen, dass möglichst wenige Variablen, die genauer untersucht werden sollen, stark variieren, während die Varianz der anderen nicht näher untersuchten Variablen möglichst gering sein sollte

-Deduktion: Der Vorteil dieses durchaus einschränkenden Untersuchungsdesigns ist, dass hierdurch, anders als sonst bei qualitativen Methoden, Hypothesen auf individueller Ebene auf Robustheit geprüft werden können. Mit diesem Untersuchungsdesign werden also weniger Hypothesen entwickelt, sondern theoretisch bzw. aus dem empirischen Forschungsstand abgeleitete Hypothesen werden einem Robustheitstest unterzogen. Deduktion Allerdings ist es aus forschungsökonomischer Sicht selbst in studentischen Abschlussarbeiten, die über die typische Fallstudie in der studentischen Hausarbeit hinausgehen können, kaum möglich mehr als eine Erklärungsvariable zu untersuchen.

-Induktion: Aber auch beim qualitativen Vergleich ist eine induktive Vorgehensweise möglich. Vorstellbar ist zum Beispiel zwei Zusammenschlüsse von Kommunen in einem Bundesland detailliert zu untersuchen und daraus Hypothesen zu entwickeln, von welchen Erklärungsvariablen auf der Politics-Ebene die Ausgabenentwicklung nach Gebietsreformen abhängen. Bei der Auswahl der zwei Untersuchungskommunen könnte man bei sonst relativ konstanten Bedingungen die abhängige Variable variieren lassen und Kommunen mit möglichst unterschiedlicher Ausgabenentwicklung nach einer Gebietsreform untersuchen. Hypothesen lassen sich mit diesem Untersuchungsdesign gut entwickeln, aber nicht überprüfen.

Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite


-Zugleich werden in der Öffentlichkeit von Wissenschaft und Praxis klare Problemanalysen und Lösungskonzepte präsentiert. Dabei zerfällt die Diskussion über kommunale Haushaltskonsolidierung in zwei normative Lager:


Opferthese: Im ersten Lager wird entschieden die „Opferthese“ (Pleschberger 2008: 53) vertreten. Die Kommunen sind danach unverschuldet durch Aufgabenüberwälzung höherer Ebenen und sozioökonomische Probleme in die Haushaltskrise geraten und dies gefährdet die kommunale Demokratie. Die auf die Opferthese folgende Rezeptur ist simpel: Das Haushaltsproblem ist exogen entstanden und muss deshalb auch exogen gelöst werden. Die Kommunen müssen von Bund und Ländern stärker finanziell unterstützt werden und kommunale Altschulden sollen über den Finanzausgleich oder einen Entschuldungsfonds abgedeckt werden. In diesen Aussagen treffen sich der Städtetag, Oppositionsfraktionen im Land und Bund einerseits und die kommunale Finanz- und Politikwissenschaft andererseits.


Verschwendungsthese

-Im zweiten Lager werden die Versäumnisse und die endogenen Konsolidierungspotentiale der Kommunen hervorgehoben („Verschwendungsthese“). Die Pflicht zum Haushaltsausgleich und die stetige Aufgabenerfüllung gelten als Maxime kommunalen Handelns. Mit effizienteren Verwaltungsreformen, mit Kommunalverfassungsreformen oder mit noch schärferen Haushaltsnotlagenregimen sollen diese kommunalen Konsolidierungspotentiale ausgeschöpft werden. In diesen Chor stimmen häufig die Parteivertreter ein, wenn sie in die Regierungsverantwortung auf Landes- und Bundesebene wechseln und werden in dieser Deutung von Kommunalaufsicht und normativer Verwaltungswissenschaft unterstützt

-Anders als in der international vergleichenden Staatstätigkeitsforschung fehlt somit häufig eine differenzierte Analyse von kommunalen Haushaltsdefiziten in Deutschland. Allein die erhebliche Varianz von Haushaltsdefiziten bei Kommunen mit ähnlichen sozioökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen verweist darauf, dass ein nicht unerheblicher Teil der Haushaltsdefizite in einigen Kommunen auch „hausgemacht“ – also von den kommunalen Akteuren selbst zu verantworten – ist. Diese endogenen Faktoren sind nicht nur für eine wissenschaftliche Ursachenanalyse und die Verwaltungsreformwissenschaft zentral, sondern auch für die kommunale Praxis können sich hieraus wichtige Hinweise ergeben, weil damit zumindest ein Teil der Haushaltsdefizite kommunal gestaltbar ist


-Zielkonflikt: Gerade auf kommunaler Ebene ist der Zielkonflikt zwischen Demokratie und Effizienz bereits in der Verfassung angelegt und spaltet die oben skizzierten beiden „Lager“. Die Kommunen erfüllen im föderalen System eine Doppelfunktion. Einerseits haben sie den Vollzug zentralstaatlicher Entscheidungen zu gewährleisten und unterliegen als staatsrechtlicher Teil der Bundesländer ihrem Aufsichts- und Weisungsrecht. Aus dieser Perspektive interessieren vor allem die Effektivität und die Effizienz kommunaler Leistungen, die den Bürgern kostengünstig und stetig mit einer nachhaltigen Finanzierung zur Verfügung gestellt werden sollen. Andererseits wird von den Kommunen erwartet, dass sie die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der ihnen grundgesetzlich eingeräumten Selbstverwaltungsrechte selbst regeln.

—>Die räumliche Nähe zwischen Bürgern und kommunalen Entscheidungsträgern nährt die normative Erwartung, dass gerade auf kommunaler Ebene die Bürger stärker an politischen Entscheidungsprozessen partizipieren sollen, wie es auch in dem Postulat von der Kommune als „Grundschule der Demokratie“ zum Ausdruck kommt. Diese Demokratiepotentiale der Kommune werden auch als „Gegengift“ gegen eine zunehmende massenmediale Inszenierung von symbolischer Politik auf der Bundesebene ins Feld geführt, die weitgehend aus Scheinhandlungen ohne Problemlösung besteht und die politische Urteilskraft der Bürger in demokratiegefährdender Weise beschneiden kann

-kommunale Besonderheiten: Mit der „Nähe“ der Kommunen zu den Bürgern ist bereits eine wichtige kommunale Besonderheit markiert, die bei einer Übertragung der Hypothesen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung zu berücksichtigen ist. Hinzu kommen als Spezifika, dass das kommunale Regierungssystem als präsidentiell einzustufen ist, die Kommune und der Stadtrat nur über eine erheblich eingeschränkte rechtliche Handlungsautonomie verfügen und direktdemokratische Verfahren in der Kommunalverfassung fest verankert sind. Weitere Besonderheiten sind für die Politikfinanzierung zu konstatieren, die zu überwiegend ehrenamtlichen Mandatsträgern und Parteiakteuren führen. Allerdings nehmen einige dieser Charakteristika der kommunalen Ebene mit steigender Gemeindegröße ab

Kommunale Haushaltsprobleme als institutionelles Problem


-Mit Blick auf die offizielle Finanzstatistik erschließen sich die langjährigen Haushaltsprobleme vieler Kommunen zunächst kaum. So sind Bund und Länder, wie bereits in der Einleitung gezeigt, deutlich höher verschuldet als die über 12.000 Kommunen in Deutschland. Auch die Analyse anderer Finanzindikatoren im Zeitvergleich zeigt für die Kommunen eine vergleichsweise günstige Entwicklung. Die Nettokreditaufnahme der Kommunen bleibt in jedem Jahr deutlich unter dem Wert des Bundes und in den letzten Jahren bis 2008 konnte sogar die Verschuldung abgebaut werden. Auch der kommunale Finanzsaldo, der die Einnahmen und Ausgaben des Verwaltungs- und Vermögenshaushalts zusammenführt, weist mit Ausnahme des Krisenjahrs der Kommunalfinanzen 2003 eher einen positiven Trend auf

-Die langjährigen Haushaltsprobleme insbesondere vieler mittlerer und größerer Kommunen lassen sich nur angemessen erfassen, wenn die haushalts- und kommunalaufsichtlichen Besonderheiten im Vergleich zur Bundes- und Landesregierung berücksichtigt werden. So wird in den finanzwissenschaftlichen Analysen die geringe Verschuldung der Kommunen vorwiegend darauf zurückgeführt, dass die kommunalen Kredite einer strengen Haushaltsaufsicht unterliegen. Anders als bisher noch für Bund und Länder sind die Möglichkeiten der Kommunalpolitik, „Steuergeschenke“ oder neue Aufgaben durch Kredite zu finanzieren, äußerst begrenzt. Deshalb wird in den Analysen davon ausgegangen, dass die Kommunen die sparsamste Ebene im föderalen System sind

-Kassenkredite:

Zentral für die Genehmigung von Kommunalhaushalten durch die Haushaltsaufsicht ist insbesondere die Höhe der Kassenkredite und des damit zusammenhängenden Fehlbetrags im Verwaltungshaushalt, der alle laufenden Einnahmen und Ausgaben (im Gegensatz beispielsweise zu einmaligen Investitionen im Vermögenshaushalt) beinhaltet. Weist der Verwaltungshaushalt dagegen einen Fehlbetrag aus, muss diese Lücke zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben durch Kassenkredite abgedeckt werden. Diese Kassenkredite dürfen haushaltsrechtlich nur zur kurzfristigen Liquiditätssicherung verwendet werden und deshalb drängt die Kommunalaufsicht darauf, dass die Kassenkredite möglichst in kurzer Frist wieder abgebaut werden. Anders als den fundierten Schulden für Investitionen stehen den Kassenkrediten keine realen Werte (Schulen, Straßen, Kanalisation etc.) gegenüber. Kassenkredite sind damit im Grunde genommen nichts anderes als ein überzogenes Girokonto bzw. ein Dispo-Kredit.

- In nur zehn Jahren bis zum Jahre 2009 haben sich die Kassenkredite der deutschen Kommunen bereits auf insgesamt 34,4 Mrd. versechsfacht , weil die Lücke zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben bei einer zunehmenden Zahl von größeren Kommunen immer weiter auseinanderklafft

-Kassenkredite führen für die Kommunen unmittelbar zu Autonomieverlusten und verstärkter Beobachtung bzw. Eingriffen durch die Kommunalaufsicht. Nach Ausweisung von Kassenkrediten werden von der Aufsicht unterschiedliche Haushaltsnotlagenregime (Haushaltssicherungskonzepte, Nothaushalte, beratende Sparkommissare etc.) eingesetzt

-Die Höhe der kommunalen Kassenkredite ist im Vergleich zur Verschuldung des Bundes und der Länder immer noch nicht besonders besorgniserregend. Obwohl die Kassenkredite über Jahre in den Kommunen aufgelaufen sind, liegen sie immer noch knapp unter der durchschnittlichen Nettokreditaufnahme, die der Bund jedes Jahr (noch vor der Finanzkrise und den Konjunkturpaketen) sich „selbst im Bundestag genehmigt“ hat. Die Dramatik der Kassenkreditentwicklung ergibt sich damit weitgehend aus den Besonderheiten des kommunalen Haushaltsrechts und den kommunalaufsichtlichen Eingriffen. Deshalb ist die kommunale Haushaltskrise auch ein Spezialthema, das der Öffentlichkeit häufig nur schwer vermittelbar ist. Denn die Eingriffe der Kommunalaufsicht und die Haushaltsnotlagenregime sind nicht nur eine erklärende Variable für die Haushaltsergebnisse, sondern führen dazu, dass vergleichsweise niedrige Haushaltsdefizite von den kommunalen Akteuren als massive Probleme wahrgenommen und „erlebt“ werden, weil sie anders als auf Bundes- und Landesebene sofort fühlbare Sanktionen nach sich ziehen.


Sozioökonomische und institutionelle Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite


-Einfluss der Bundesgesetzgebung: Seit den 1990er Jahren sind viele Kommunen in eine tiefgreifende Haushaltskrise mit starken Eingriffen der Kommunalaufsicht geraten, die zu einem erheblichen Anteil auf die Veränderung von sozioökonomischen und institutionellen Variablen zurückgeführt werden kann. Neben den seit den 1980er Jahren stark ansteigenden Belastungen durch die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit sind hier insbesondere die Kosten der deutschen Einheit als Ursache zu nennen. Die Kommunen in den alten Bundesländern zahlen (beispielsweise über die Gewerbesteuerumlage) jährlich ca. 3,5 Milliarden Euro für die deutsche Einheit. Das sind knapp 3 Prozent ihrer Einnahmen im Verwaltungshaushalt und diese Zahlungen haben damit häufiger zu Haushaltsdefiziten und zur Ausweisung von Kassenkrediten geführt.

-Zudem wurden durch Gesetzesinitiativen auf der Bundesebene teilweise die Steuereinnahmen der Gemeinden reduziert: Durch die Konzentrationsprozesse in einigen Branchen und durch die Gesetzgebung der damaligen rot-grünen Bundesregierung mussten beispielsweise viele größere Unternehmen zeitweise kaum noch Steuern zahlen. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Zuweisung von neuen Aufgaben und die Produktion von höheren Standards durch Bund und Länder, die häufiger nicht mit ausreichenden Mittelzuweisungen einhergingen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist das Schwangeren- und Familiengesetz, mit dem 1992 ein Rechtsanspruch auf Tagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt geschaffen wurde. In den alten Bundesländern entstand hierdurch nicht nur ein erheblicher Investitionsbedarf, vielmehr haben sich auch die laufenden Ausgaben extrem erhöht

-Insgesamt ist es aus einer Rational-Choice-Perspektive wenig verwunderlich, dass Bund und Länder – unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung der jeweiligen Regierungen – häufig den Aufbau zusätzlicher Standards, die Überwälzung von Aufgaben und die nicht bedarfsgerechten Finanzzuweisungen forcieren. Einerseits können die Fachverwaltungen auf Bundes- und Landesebene ihren Verantwortungsbereich dadurch weiter ausbauen, wobei sie sowohl von vielen Interessengruppen mit wirtschaftlichen Eigeninteressen unterstützt werden als auch von kommunalen Fachverwaltungen, die sich über die Standardsetzung gegen Eingriffe ihrer Kämmereien immunisieren wollen.

-Andererseits können sich die Bundes- und Landtagsabgeordneten gegenüber dem Wähler durch den Ausbau von staatlichen Leistungen profilieren und die Kosten dafür auf die Kommunen abwälzen. Insoweit sind die Kommunen durchaus Opfer der föderalen Verflechtung und die grundgesetzlich garantierte kommunale Selbstverwaltung wurde spätestens seit den 1990er Jahren durch eine zunehmende strukturelle Unterfinanzierung ausgehöhlt. Die eingeschränkte Handlungsautonomie der Gemeinden lässt sich also auch auf einen stetigen Verteilungskampf zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen zurückführen, in dem die übergeordneten Ebenen aufgrund weitergehender institutioneller Kompetenzen ihre Interessen häufiger auf Kosten der Gemeinden umsetzen

-Zentraler zur Erklärung dieser Lastenverschiebung ist neben den skizzierten Interessen der übergeordneten Ebenen der Vetospieleransatz. Wenn Bund und Länder über Steuergesetze oder Ausgabenprogramme diskutieren, bleiben sie in den entscheidenden Verhandlungen unter sich. Die Bundesregierung versucht dabei in der Regel durch Verhandlungspakete und durch den Verzicht auf konfliktreiche Regelungen zunächst die Vetospieler zu berücksichtigen, um ihre Gesetze durchzusetzen. Sie muss dabei die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts, die unterschiedlichen Präferenzen der Koalitionsfraktionen und Ressortminister berücksichtigen und insbesondere im Bundesrat für eine eigene Mehrheit werben.

- Im Bundesrat vertreten die Länder aber in erster Linie ihre Interessen bzw. die ihrer Partei, während die kommunalen Interessen hierbei in der Regel kaum repräsentiert werden. Häufig wird in diesen schwierigen Verhandlungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung die kommunale Finanzsituation erst nachrangig berücksichtigt, weil die Städte im bundesstaatlichen Gesetzgebungsprozess über keine effektive Vetoposition verfügen. Lange Zeit galt trotzdem die Stellung der deutschen Kommunen im Föderalstaat aufgrund des breiten Aufgabenprofils und der Selbstverwaltungsgarantie im Grundgesetz im internationalen Vergleich als vorbildlich. Ihnen wurden die stärkste Autonomie und die größten Handlungsspielräume im internationalen Vergleich bescheinigt. Aber bereits Mitte der 1990er Jahre fallen die deutschen Kommunen im europäischen Vergleich hinsichtlich der lokalen Handlungsspielräume ins Mittelfeld zurück, wenn man nicht nur die formalen Kompetenzen, sondern auch die Haushaltsspielräume berücksichtigt

-Noch 1985 betrug ihr Anteil an allen kommunalen Ausgaben in Westdeutschland über 20 Prozent. Bis 2004 reduzierte sich ihr Anteil auf nur noch knapp 12 Prozent. Diese Veränderungen lassen auf einen deutlichen Rückgang der kommunalen Entscheidungsfreiheit schließen. Zwar werden den Kommunen für steigende Sozialleistungen zusätzliche Mittel von Bund und Ländern zugewiesen. Diese decken die tatsächlich entstehenden Kosten in der Regel aber nicht zu 100 Prozent

-Die Kommunen sind folglich gezwungen, aus ihren Haushalten entsprechende Mittel für steigende oder von Bund und Ländern neu beschlossene Sozialausgaben beizusteuern, was ihren Handlungsspielraum in anderen Politikbereichen schmälert, zumal bei der Aufnahme von Kassenkrediten massive Eingriffe der Kommunalaufsicht drohen.

Regionale und lokale Disparitäten


-Allerdings sind von der kommunalen Haushaltskrise nicht alle Bundesländer im gleichen Maße betroffen. Während in NRW die Finanzierung der Kommunen über Kassenkredite schon vor dem Einsetzen der Finanzkrise ein Massenphänomen war, haben die Kommunen in einigen anderen Bundesländern kaum gravierende Haushaltsdefizite. Die Verteilung der kommunalen Kassenkredite pro Einwohner, gruppiert nach Bundesländern, verdeutlicht, dass die Kommunen in Baden-Württemberg (BW) auch noch 2009 durchschnittlich keine gravierenden Haushaltsprobleme bilanzieren. Selbst die Gemeinden in den neuen Bundesländern (NBL) haben im Durchschnitt noch relativ niedrige Kassenkredite zu verzeichnen. Sehr problematisch ist die kommunale Haushaltslage durchschnittlich insbesondere in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen

-Sozialausgaben: Eine erste Erklärung für diese Unterschiede zwischen den alten Bundesländern ist, dass in vielen NRW-Großstädten mit problematischer Sozialstruktur deutlich höhere Sozialausgaben anfallen als beispielsweise in Baden-Württemberg. So wird deutlich, dass die Sozialausgaben pro Einwohner 2007 in nordrhein-westfälischen Kommunen erheblich höher sind als in Baden-Württemberg, während die frei verfügbaren, laufenden Einnahmen auf ähnlichem Niveau rangieren

-ostdeutsche Kommunen: Diese sozioökonomische Erklärung kann allerdings nicht für die ostdeutschen Kommunen angeführt werden, die ähnlich hohe Sozialausgaben pro Einwohner wie die nordrhein-westfälischen Kommunen zu verzeichnen haben. Entscheidender sind hier die Einnahmenstrukturen, die maßgeblich durch die institutionellen Rahmenbedingungen variieren. Die ostdeutschen Kommunen erhalten deutlich höhere Landeszuweisungen bzw. Zuweisungen über den Fond „Deutsche Einheit“, die die geringeren Steuereinnahmen kompensier

-Teufelskreis: Für diese Problemkommunen wird im Gemeindefinanzbericht 2009 ein seit Jahren beobachtbarer Teufelskreis, der auch durch die Exit-Option der Unternehmen und problematische Effekte des Wettbewerbs forciert wird, konstatiert: Teufelskreis

„Die Kombination aus geringer Wirtschaftskraft und hoher Arbeitslosigkeit führt zu geringen Einnahmen bei gleichzeitig überdurchschnittlich hohen Pflichtausgaben. Die dadurch erzwungenen Einschränkungen bei den freiwilligen Leistungen führen in der Zukunft zu höheren Sozialleistungen sowie aufgrund der niedrigeren Attraktivität für die Bürger und Unternehmen allgemein zu schlechteren Bedingungen bei dem Anwerben von Unternehmen. Hieraus resultieren ebenfalls geringere zukünftige Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben. Dieser Teufelskreis kann von einer einzelnen Stadt ohne Hilfe von außen kaum durchbrochen werden“ (Anton/Diemert 2009: 18)

-Sozialstruktur: Allerdings ist bei dieser Analyse auch zu beachten, dass die Steuerausfälle in den nordrhein-westfälischen Problemkommunen durch höhere Schlüsselzuweisungen des Landes im Vergleich zu Münster und Düsseldorf teilweise kompensiert werden. Die gerade in den Problemkommunen zusätzlich stark gestiegenen Sozialausgaben werden aber durch den kommunalen Finanzausgleich kaum noch abgedeckt, so dass in statistischen Analysen nordrhein-westfälischer Kommunen immer wieder nachgewiesen wurde, dass die Kassenkredite bzw. die Ausweisung von Haushaltssicherungskonzepten im signifikanten Maße mit der Arbeitslosen-und Sozialhilfeempfängerquote sowie mit der Gemeindegröße korrelieren . Mit zunehmender sozialer Belastung und Gemeindegröße steigen die Kassenkredite im interkommunalen Vergleich an

-Dennoch zeigt sich in multivariaten Analysen, dass die Stärke des Einflusses von Sozialindikatoren auf die Ausweisung von Kassenkrediten in NRW durchaus begrenzt ist . Der Erklärungsbeitrag sozioökonomischer Variablen für die Höhe der Kassenkredite fällt also geringer aus, als es in der eingangs skizzierten „Opferthese“ postuliert wird

-endogene Faktoren: Auch bei ähnlicher sozioökonomischer und institutioneller Ausgangslage in NRW variieren die Haushaltsergebnisse zwischen den Kommunen erheblich, was vor allem auf die Relevanz der kommunalen Entscheidungsprozesse als Erklärungsvariable für Haushaltsdefizite hindeutet . Ein nicht unerheblicher Teil der Kassenkredite dürfte also in einigen Kommunen auch „hausgemacht“ – also von den kommunalen Akteuren selbst zu verantworten – sein. Diese endogenen Faktoren sind allerdings in quantitativen Analysen nur schwer zu erfassen und sollen deshalb im folgenden Kapitel in Fallstudien qualitativ erfasst werden

Haushaltsnotlagenregime zur Umsetzung von Schuldenbremsen


-In der finanzwissenschaftlichen Literatur werden für höhere föderale Ebenen häufiger die Kommunen als Vorbild zur Begrenzung der Verschuldung angeführt. So wurde im Vorfeld der Föderalismusreform II in wissenschaftlichen Expertisen darauf hingewiesen, dass Schuldenbremsen nur eine limitierte Steuerungswirkung haben, wenn nicht „Schuldensünder“ kontinuierlich von einer unabhängigen Aufsicht begleitet, zur Aufstellung von Sanierungsplänen gezwungen, sowie bei der anschließenden Umsetzung beobachtet und sanktioniert werden. Angelehnt an die Praxis der Kommunalaufsicht entwickelten Verwaltungswissenschaftler Gesetzesentwürfe für bundesstaatliche Haushaltsnotlagenregime und unabhängige Kontrollinstanzen, die allerdings nur begrenzt in die Föderalismusreform einflossen. So tritt an die Stelle des bisherigen Finanzplanungsrats auf Bundesebene der Stabilitätsrat, der zwar die Möglichkeit hat, ein Bundesland zu einem Sanierungsplan aufzufordern, aber keine weiteren tiefgreifenderen Sanktionen verhängen darf, wenn das Bundesland nicht von zusätzlichen finanziellen Unterstützungsleistungen Gebrauch macht. Hiermit dürften weiterhin zweifelhafte Anreize für einige Bundesländer mit erheblichen Erblasten fortgeschrieben werden

-Faktisch unterscheidet sich die kommunale Ebene von dieser problematischen Anreizstruktur der Bundesländer vorwiegend darin, dass sie unter einer strengen Haushaltsaufsicht stehen. Die Kosten der Verschuldung können hier durch Sanktionen der Aufsicht theoretisch von den kommunalen Akteuren internalisiert werden, so dass aus dieser Perspektive die endogenen Ursachen für Haushaltsdefizite minimiert werden. In der Literatur ist meist unstrittig, dass zunächst die Anreize für den Haushaltsausgleich auf kommunaler Ebene am stärksten ausgeprägt sind

-Symbolische Politik: Die Komplexität der kommunalen Haushalte im Zuge einer zunehmenden Politikverflechtung eröffnet vielmehr erheblichen Spielraum für symbolische Politik. Einfache Problemlösungen werden hierbei erfolgreich der Öffentlichkeit „vorgespielt“. Der Einsatz der Sparkommissare ist also nicht nur ein Fall für den Rational-Choice-Institutionalismus, sondern kann in kritischer Lesart auch aus der Perspektive des Soziologischen Neo-Institutionalismus als Rationalitätsfassade bzw. in politikwissenschaftlicher Terminologie als symbolische Politik beschrieben werden.

-Das Konzept der symbolischen Politik wurde schon früh in Politikwissenschaft eingeführt und hebt hervor, dass Politik nicht zwingend auf Problemlösung fokussiert ist, wie es häufiger im Rational-Choice-Institutionalismus und in der Policy-Analyse suggeriert wird. Zugespitzt gesagt‚ läuft hiernach die ‚eigentliche’ Politik, also das Entscheidungshandeln, hinter den offiziellen „Kulissen“ ab. Die symbolische Politik auf der Bühne ist dagegen Show – also Darstellungspolitik, weitgehend ohne Policy-Wirkung45. Auf der Darstellungsebene wird von den Entscheidungsträgern vor allem suggeriert, dass sie wissen, was auch in den schwierigsten Situationen zu tun ist, dass sie jedes Problem unter Kontrolle haben und alles Verwaltungshandeln sich ausschließlich an rechtstaatlichen Prinzipien ausrichtet

-Zunächst spricht im Fall der Sparkommissare alles für eine Bestätigung des Rational-Choice-Institutionalismus. Nach Aussagen der Haushaltsaufsicht wurde in beiden Städten der beratende Sparkommissar erfolgreich im Sinne der Haushaltskonsolidierung eingesetzt, nachdem die bisherigen Sanktionsmechanismen kaum zu einer nachhaltigen Umsteuerung in der Haushaltspolitik „angespornt“ hatten

Haushaltssicherungskonzept: Kann der Verwaltungshaushalt nicht ausgeglichen werden, verstößt die Kommune gegen das in den Kommunalverfassungen verankerte Gebot des Haushaltsausgleichs und muss in NRW ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen. In diesem Haushaltssicherungskonzept ist verpflichtend der Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen der Ausgleich des Verwaltungshaushalts wieder erlangt wird und die Kassenkredite abgebaut sind. Von den insgesamt 427 kreisangehörigen und kreisfreien Kommunen sowie Kreisen in NRW waren Ende 2006 (vor dem Antritt des beratenden Sparkommissars in Waltrop) schon 196 in der Haushaltssicherung

-Nothaushaltsrecht: Die Aufsichtsbehörde kann darüber hinaus das Haushaltssicherungskonzept in Nordrhein-Westfalen nicht genehmigen. Damit fallen die Gemeinden mit nicht genehmigtem Haushaltssicherungskonzept ganzjährig unter die Bestimmungen zur vorläufigen Haushaltsführung (das sog. Nothaushaltsrecht). Bei der vorläufgen Haushaltsführung kann die Kommune beispielsweise nur einen Bruchteil der langfristigen Investitionskredite des Vorjahres aufnehmen, um notwendige Investitionsmaßnahmen durchführen zu können. Zugleich dürfen auch keine neuen freiwilligen Aufgaben in den Haushalt einfließen und Beförderungen und Neueinstellungen in der Verwaltung unterliegen strengeren Restriktionen. Das Haushaltssicherungskonzept wurde anfangs in der Regel nicht genehmigt, wenn in der Prognose für die nächsten fünf Jahre nicht nachgewiesen werden kann, dass der originäre Fehlbetrag auf Null gefahren wird

beratender Sparkommissar: Die Aufsichtsbehörden befürchteten aber zunehmend, dass sich einige Kommunen im Nothaushaltsrecht „gut eingerichtet“ haben könnten (vertreten also eher die Verschwendungs- als die Opferthese), indem sie alle ihre Aufgaben und Einrichtungen konservieren und lediglich auf neue Investitionen stärker verzichten. Die Haushaltsaufsicht sieht ihre Aufgabe darin, diesen Kommunen „lästig zu werden“ , also einen verstärkten Druck auf die Verwaltungshaushalte der Kommunen auch über das Nothaushaltsrecht hinaus auszuüben. Diese Kommunen konnten durch weitere Sanktionsdrohungen lange Zeit kaum unter Druck gesetzt werden, weil der Beauftragte (bzw. Staatskommissar), der alle Geschäfte des Rates bzw. des Bürgermeisters übernimmt, aus Sicht aller Akteure für die städtische Selbstverwaltung eine eher unrealistische Option ist und zumindest als Massenphänomen auch nicht mit der Selbstverwaltungsgarantie im Grundgesetz vereinbar sein dürfte. Damit fehlte lange eine einsetzbare, neue Sanktionsstufe, um durch hierarchische Eingriffe bzw. deren Androhung noch stärker auf den Abbau der Kassenkredite hinzuwirken. Diese Sanktionsstufe wurde Ende 2006 erst durch den beratenden Sparkommissar geschaffen

Ursachen des Scheiterns von Haushaltsnotlagenregimen


-Die dauerhafte Präsenz der beratenden Sparkommissare im Rathaus auf Kosten der Städte führte einerseits zu hohen Erwartungen hinsichtlich der Qualität der Sparvorschläge, die nicht eingelöst werden konnten. Trotz zusätzlicher externer Gutachten wurden beispielsweise mit den vorrangig angestrebten Hebesatzerhöhungen längst bekannte Forderungen der Kommunalaufsicht fortgeschrieben oder noch zugespitzt, von der diese sich bereits distanziert hatte. Andererseits führte die Anwesenheit des beratenden Sparkommissars im Rathaus sehr schnell zu öffentlichen Konflikten mit dem hauptamtlichen Bürgermeister. Die Bürgermeister waren bemüht zügig den öffentlichen Eindruck zu korrigieren, dass im Rathaus eine „neue Doppelspitze“ durch die Kommunalaufsicht installiert worden sei. Der Bürgermeister als der potentielle Steuerungspolitiker in der Haushaltspolitik wurde durch das Aufsichtsmittel nicht gestärkt, sondern anfangs eher in Frage gestellt.

-Bereits bei diesen Kompetenzkonflikten, die noch gar nicht über umstrittene Konsolidierungsmaßnahmen und die in diesem Rahmen zu erwartenden starken Widerstände geführt wurden, erwies sich, dass das Aufsichtsmittel letztlich über keine wichtigen formalen Kompetenzen verfügte. Bei mit der Zeit stärker werdenden politischen und juristischen Druck von Kommune einerseits und Kommunalaufsicht andererseits, wurde das Aufsichtsmittel aus den Verhandlungen und Konflikten zunehmend exkludiert. Wenn in den Kommunen überhaupt die Konsolidierungsanstrengungen gesteigert wurden und mit der Schließung von Standorten auch für die Politik deutlich unangenehmere Entscheidungen getroffen wurden, geht dies auf direkte hierarchische Eingriffe der Kommunalaufsicht oder die Androhung der Bestellung eines richtigen Staatskommissars zurück. Hiermit konnte der beratende Sparkommissar wiederum nicht glaubwürdig drohen, weil nur die Kommunalaufsicht und nicht er den Staatskommissar (bei hohen politischen und verfassungsrechtlichen Hürden) bestellen kann.

-Grundprobleme von Haushaltsaufsicht und -recht:

Dies verweist bereits auf generelle Probleme der Haushaltsaufsicht und des Haushaltsrechts, die noch stärker gelten dürften, wenn man versuchen sollte, wie eingangs diskutiert, Haushaltsnotlagenregime auf die Schuldenbremse für Bund und Länder zu übertragen. Grundprobleme von Haushaltsaufsicht und -recht Erstens ist es aufgrund von Erblasten unwahrscheinlich, dass alle föderalen Einheiten selbst bei Ausschöpfung endogener Konsolidierungspotentiale überhaupt den Haushaltsausgleich noch erreichen können. Sanktionen, die vor den Verwaltungsgerichten beklagt werden können, müssen sich aber an diesen haushaltsrechtlichen Vorgaben orientieren, so dass sie häufig unrealistische und damit prinzipiell nicht erreichbare Zielsetzungen enthalten. Zweitens unterscheidet das geltende Haushaltsrecht nicht zwischen endogenen und exogenen Ursachen und selbst bei grundlegenden Reformen dürfte es schwer sein endogene Ursachen gerichtsfest in jedem Einzelfall empirisch zu bestimmen. Deshalb werden föderale Einheiten, die trotz Konsolidierungsanstrengungen den Haushaltsausgleich bzw. die Schuldengrenzen nicht einhalten, tendenziell ähnlich bestraft wie Einheiten ohne Haushaltsdisziplin. Wenn dann noch viele Einheiten sich nicht dem Haushaltsausgleich nähern, dann ist eine Informationsüberlastung der Aufsicht zu erwarten, die zu oberflächlichen Prüfungen und Standardeingriffen führen.

-Insgesamt zeigt sich hiermit auch für höhere föderale Ebenen, dass klare Schuldengrenzen und strikte Haushaltsnotlagenregime letztlich in Extremfällen immer in föderalistischen Systemen unterlaufen werden können und sie deshalb nicht gänzlich die Bail-Out-Problematik begrenzen. So haben sich einige Kommunen trotz ganz erheblichen Aufwands der Kommunalaufsicht und empfindlicher Sanktionen im Nothaushaltsrecht eingerichtet. Diese können trotz steigender Kassenkredite nur weiter existieren, weil alle Akteure einschließlich der Banken bisher davon ausgehen, dass im Zweifelsfall die Landesregierung für die „ungedeckten Schecks“ politisch haften wird (Sarnes 2010). Kommunen wurden somit bisher nicht zahlungsunfähig, weil die Landesregierung im Zweifelsfall, wie auch der Waltroper Fall demonstriert, selbst bei hausgemachten Konsolidierungsproblemen der Kommunen einspringen würde. Ähnliche Eigendynamiken und Fehlanreize zeigen sich mit der Währungsunion auch auf europäischer Ebene oder im Verhältnis von Bund und Ländern.

Wirkung von Haushaltsnotlagenregimen


-Hierarchie:

Zumindest in Einzelfällen können aber mit hierarchischen Eingriffen und Drohungen, ganz wie es aus der Perspektive des Rational-Choice-Institutionalismus zu erwarten ist, Konsolidierungsmaßnahmen durchgesetzt werden, die die Akteure vor Ort sonst nicht verabschieden würden. Zugleich entstehen durch neugeschaffene Aufsichtsmittel zusätzliche Drohoptionen, die in den beiden Untersuchungskommunen mit dem Verweis auf „richtige“ Staatskommissare zu politisch „unangenehmen“ Konsolidierungsentscheidungen geführt haben. Zusätzlich konnten weitere Nothaushaltskommunen in NRW in bipolaren Verhandlungen von der Haushaltsaufsicht mit der Androhung der Entsendung eines beratenden Sparkommissars unter Druck gesetzt werden, was in anderen Kommunen kurzfristig auch zu Konsolidierungsentscheidungen führte (Timm-Arnold 2010). So stellen auch die RP-Vertreter zufrieden in einem Rückblick auf die Waltroper Ereignisse fest: „Die Signalwirkung und Ausstrahlungskraft auch auf andere Kommunen ist deutlich erkennbar“. Allerdings sind hierarchische Eingriffe nicht nur zeitintensiv für die Haushaltsaufsicht, sondern sie beinhalten auch erhebliche Prozessrisiken. In der Regel dürfen selbst in den Kommunen (bei schon eingeschränkter verfassungsrechtlicher Autonomie im Vergleich zu Bund und Ländern) keine Detaileingriffe vorgenommen werden:


-„Soweit unbestimmte Rechtsbegriffe Spielräume belassen, eröffnen sich diese den selbstverantwortlich handelnden Gemeinden und nicht der Aufsichtsbehörde (...) Das kann eine gewisse Machtlosigkeit der Kommunalaufsicht gegenüber politischen Entscheidungen zur Folge haben. Sofern sich die Kommunen im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums bewegen, sind der Kommunalaufsicht weitgehend die Hände gebunden“. Deshalb setzen die Aufsichtsbehörden im Normalfall eher auf Verhandlungslösungen und verzichten auf schriftlich fixierte inhaltliche Auflagen. Diese bringen sie eher nichtöffentlich gegenüber der Kommune in exklusiven Verhandlungen vor und setzen diese unter Androhung allgemeiner Eingriffe (Nothaushalt, Staatkommissare, Kürzung bei investiven Krediten) häufiger durch. Verhandlungen Diese Verhandlungen erhöhen aufgrund ihrer Intransparenz zugleich das Potential für symbolische Politikangebote, die auch wegen der unrealistischen Zielsetzungen des Haushaltsrechts eingesetzt werden.

-Konsolidierungsfassaden werden von Kommune und Aufsicht gemeinsam gepflegt, um für beide Seiten riskante und unbequeme Eingriffe zu vermeiden und damit Unsicherheiten zu absorbieren. Nur wenn die Kommunen hiervon abweichen und verdeutlichen, dass sie den Haushaltsausgleich nie erreichen können, werden die Aufsichtsbehörden öffentlich herausgefordert und versuchen durch härtere Aufsichtsmittel zu vermitteln, dass sie die Lage wieder unter Kontrolle bringen und (kontrafaktisch) der Haushaltsausgleich wieder erreichbar ist. Mit dieser Konsolidierungsfassade legitimiert sich die Aufsicht schließlich selbst und entspricht den Erwartungen der Umwelt und Wählerschaft, dass orientiert am Modell der „schwäbischen Hausfrau“ auch im Staate nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen werden sollte. Notfalls, so die Erwartung, ist dies durch harte Einschnitte bei der Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik sicherzustellen, während eine differenzierte Analyse der Ursachen von Haushaltsdefiziten und die Nichterreichbarkeit des Haushaltsausgleichs durch Erblasten und exogene Lasten nur schwer vermittelbar sind

-Faktisch ist aufgrund der aufgelaufenen Erblasten der Haushaltsaugleich nicht mehr erreichbar, so dass beide Seiten in den Fallstudien ein Interesse daran hatten durch die Neuauflage einer Konsolidierungserzählung diesen aufwändigen und letztlich wenig effektiven Zustand im Konsens wieder zu beenden. So wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass der Einsatz der beratenden Sparkommissare zu einer finanziellen Gesundung der Problemkommunen geführt hat, während real die Schuldenfalle noch stärker zuschlägt.

- Damit ist selbst für den interessierten Teil der Wählerschaft nicht einschätzbar, wie ernst die Haushaltslage ist, wer von den nichtöffentlich verhandelnden Akteuren dafür die Verantwortung trägt und an wen man sich wenden kann, um beispielsweise die Schließung von Schwimmbädern und die Erhöhung der Steuern verhindern zu können. Wer ist der wichtigste Ansprechpartner für die Bürger – der direkt gewählte Bürgermeister, der Kämmerer, die untere, mittlere oder obere Kommunalaufsicht, der beratende Sparkommissar oder doch die Fraktionsvorsitzenden? erhöhte Intransparenz Die Rationalitäts- und Konsolidierungsfassaden, die der soziologische Neoinstitutionalismus hervorhebt, können in Verbindung mit den nichtöffentlichen Verhandlungen zwischen Kommune und Aufsicht teilweise stärker zum Demokratieabbau als zum Abbau von Haushaltsdefiziten beitragen

-Letztlich kommt es wohl bei den Haushaltsnotlagenregimen darauf an, realistische Zielsetzungen für die Extremfälle zu formulieren und nur bei extremer Verschuldung mit offensichtlich hohen endogenen Anteilen hierarchische Eingriffe mit Verhandlungselementen zu ergänzen. Konzentriert sich der tatsächliche Einsatz von Haushaltsnotlagenregimen nicht auf diese wenigen Fälle, dann werden die Schwächen hierarchischer Koordination deutlich forciert (Informationsproblem und Implementationswiderstände).

Kommunalverfassungsreformen aus neoinstitutionalistischen Perspektiven


-In der Verwaltungswissenschaft wird seit Jahrzehnten eine Verfassungsreform diskutiert, die auf kommunaler Ebene bereits vollzogen wurde und der häufig eine Steigerung der Effizienz und der demokratischen Input-Legitimation bescheinigt wurde. Die Rede ist von den Reformen der 1990er Jahre, die flächendeckend zur Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters und damit zu präsidentiellen Kommunalverfassungen geführt haben. In den kommunalwissenschaftlichen Lehrbüchern liest sich diese wohl grundlegendste Verfassungsreform auf kommunaler Ebene als Erfolgsgeschichte. Danach hat sich die süddeutsche, präsidentielle Kommunalverfassung in ganz Deutschland durchgesetzt, weil sie einfach in allen politischen Dimensionen besser ist: Sie reduziert den politischen Klüngel und die Parteipolitisierung und führt zu einer Kommunalpolitik „mit besseren und kostengünstigeren Ergebnissen“ (Wehling 2003: 308). Dementsprechend konnten sich aus dieser Sicht die anderen Bundesländer dieser Kommunalverfassung nicht mehr verschließen und führten sie auch unter dem partizipatorischen Erwartungsdruck der Bürger ein

-Um an dieser Stelle zunächst die grundlegenden Begriffe systematisch einzuführen, ist für eine Definition von präsidentiellen Verfassungen festzuhalten, dass sich parlamentarische und präsidentielle Verfassungsformen in Reinform durch drei Kriterien unterscheiden lassen

-– In parlamentarischen Systemen wird die Exekutive vom Parlament gewählt, in präsidentiellen Systemen direkt vom Volk. Abgrenzungskriterien – In parlamentarischen Systemen ist die Exekutive durch das Misstrauensvotum des Parlaments ohne größere Hürden abberufbar, in präsidentiellen Systemen gilt dies nicht. – Parlamentarische Systeme begründen häufig eine duale Exekutive, während für den Präsidentialismus eine monistische Exekutive unter Führung des Präsidenten (bzw. auf kommunaler Ebene durch den hauptamtlichen Bürgermeister) typisch ist.

-Die Leistungen präsidentieller Kommunalverfassungen hat der Ex-KGSt-Vorstand Gerhard Banner schon früh aus einer Rational-Choice-Perspektive hervorgehoben. Seine These von dem Zusammenhang präsidentieller Verfassungen mit starken Konsolidierungseffekten wird in allen politikwissenschaftlichen Lehrbüchern zur Kommunalpolitik intensiver behandelt

-Aus heutiger Sicht kann man die Argumentation von Gerhard Banner in der Art rekonstruieren, dass die baden-württembergische Kommunalverfassung (polity) zu konkordanzdemokratischen Akteurskonstellationen (politics) führt, die wiederum geringere Haushaltsdefizite (policy) induzieren. Konkordanzdemokratische Akteurskonstellationen zeichnen sich durch einen starken Verwaltungschef (exekutive Führerschaft) bei einer geringen Parteipolitisierung und tendenziell einstimmigen Ratsbeschlüssen aus, während bei konkurrenzdemokratischen Konstellationen eine starke Parteipolitisierung bzw. Polarisierung im Rat und ein schwächerer Verwaltungschef dominiert. Die Hypothese vom Zusammenhang von Kommunalverfassungen und Haushaltsdefiziten konnte bisher allerdings in mehreren quantitativen Studien für Großstädte nicht bestätigt werden. Untersuchungen in den kreisfreien Großstädten zeigten noch für die 1980er Jahre, in denen die anderen Bundesländer außer Baden-Württemberg und Bayern noch nicht die Direktwahl eingeführt hatten, dass bei Kontrolle von wesentlichen sozioökonomischen Variablen die präsidentiellen Systeme zu keinen besseren Haushaltsergebnissen führten

-beiden Extremtypen der kommunalen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie rangieren, sind aber offensichtlich nicht weitgehend determiniert durch unterschiedliche Kommunalverfassungstypen und Wahlrechtssysteme. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen sind so auch die Gemeindegröße und die politische Kultur von zentraler Bedeutung dafür, wie stark der „ausgabenexpansive“ Parteienwettbewerb in einer Kommune ausgeprägt ist. Der Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch hat als erster die kommunale Konkordanzdemokratie beschrieben und gilt als einer der prominentesten Vertreter des historischen Institutionalismus in Deutschland. Er stellte insbesondere für kleinere und mittlere Kommunen in Baden-Württemberg fest, dass dort die Maxime des „gütlichen Einvernehmens“ im Gemeinderat unter einem starken Bürgermeister dominiere (Lehmbruch 1975: 5). Diese gütlichen Konfliktregelungsmuster dienen auf kommunaler Ebene auch der Vermeidung von persönlichen Konflikten und können als „Rücksichtnahme auf die persönlichen Beziehungen, die man mit jedermann unterhält, und die oft genug verwandtschaftlicher Natur sind“ (Lehmbruch 1975: 5), gedeutet werden. Mit wachsender Größe (und Anonymität) der Gebietskörperschaft nehmen aber aus seiner Sicht die konkordanzdemokratischen Strukturen ab.

-Bei den durchschnittlich deutlich größeren Kommunen in NRW im Vergleich zu Baden-Württemberg sind somit auch bei Einführung von präsidentiellen Kommunalverfassungen tendenziell stärker konkurrenzdemokratische Konstellationen zu erwarten

-Insgesamt sind damit also beide Faktoren (die Größe der Gebietskörperschaft und pfadabhängige Konfliktregelungsmuster), die auch nach präsidentiellen Verfassungsreformen zu anderen Akteurskonstellationen in der nordrhein-westfälischen Kommunalpolitik als in den durchschnittlich kleineren baden-württembergischen Gemeinden führen könnten, prinzipiell auch auf die Landes- und Bundesebene übertragbar, und können somit gegen einen simplen Institutionentransfer auf höhere Ebenen angeführt werden. Wenn man die verschiedenen Deutungen des Rational-Choice-Institutionalismus und des historischen Institutionalismus der Kommunalverfassungsreformen aus theoretischer Perspektive prägnanter fasst, kann man feststellen, dass die Gemeindeordnungen sich aus Rational-Choice-Sicht deshalb in Richtung präsidentieller Verfassungen entwickelt haben, weil sie zu effizienteren und demokratischer Ergebnissen führen

-Insgesamt sind damit also beide Faktoren (die Größe der Gebietskörperschaft und pfadabhängige Konfliktregelungsmuster), die auch nach präsidentiellen Verfassungsreformen zu anderen Akteurskonstellationen in der nordrhein-westfälischen Kommunalpolitik als in den durchschnittlich kleineren baden-württembergischen Gemeinden führen könnten, prinzipiell auch auf die Landes- und Bundesebene übertragbar, und können somit gegen einen simplen Institutionentransfer auf höhere Ebenen angeführt werden. Wenn man die verschiedenen Deutungen des Rational-Choice-Institutionalismus und des historischen Institutionalismus der Kommunalverfassungsreformen aus theoretischer Perspektive prägnanter fasst, kann man feststellen, dass die Gemeindeordnungen sich aus Rational-Choice-Sicht deshalb in Richtung präsidentieller Verfassungen entwickelt haben, weil sie zu effizienteren und demokratischer Ergebnissen führen

-Jenseits dieser Argumente, betont der historische Institutionalismus, dass diese Pfadabhängigkeit nicht nur aus einem rationalen Abwägen der Individuen entspringt, die entsprechend ihrer (exogenen) Präferenzen sich immer wieder für die Fortführung einer Institution entscheiden. Vielmehr entwickeln Institutionen Eigendynamiken und verfestigen sich, indem durch sie wiederum die Präferenzen und Sichtweisen der Akteure geprägt werden. Sie gelten mit der Zeit als funktional, legitim und alternativlos und werden auch mangels kognitiv vorhandener Alternativen fortgeschrieben. Wer also als Akteur in eher konkurrenzdemokratischen Institutionen sozialisiert wurde, wie der typische nordrhein-westfälische Großstadtpolitiker, kann sich kaum vorstellen, dass die Politik in seiner vom Parteienwettbewerb geprägten Kommune dauerhaft nach dem Prinzip des „gütlichen Einvernehmens“ zwischen den Parteien und dem Bürgermeister organisiert werden kann und hat zugleich auch Zweifel, dass dies normativ erstrebenswert wäre.

Empirische Ursachen der Kommunalverfassungsreformen


-Die flächendeckende Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters in allen deutschen Gemeindeordnungen in den 1990er Jahren kann nur wenig als Lernprozess landespolitischer Eliten verstanden werden, die sich nach einer gründlichen Analyse der kommunalen Entscheidungsprozesse im Bundesländervergleich für die „beste“ Kommunalverfassung (süddeutscher Prägung) entschieden haben. Charakteristisch an diesem Entscheidungsprozess ist, dass keiner der relevanten landespolitischen Entscheidungsträger einen klaren Plan hatte, wie die Gemeindeordnung zu reformieren ist, sondern die Gemeindeordnung wurde in NRW in einem inkrementalistischen Prozess an die Interessen verschiedener Vetoakteure angepasst

-Auch spielten die Effizienz von Kommunalverfassungsstrukturen und die Thesen von Gerhard Banner in diesen landespolitischen Entscheidungsprozessen nur eine untergeordnete Rolle. Die landespolitischen Entscheidungsprozesse in den alten Bundesländern kamen vielmehr dadurch in Bewegung, dass nach der Wende die ostdeutschen Bundesländer zumindest eine Präferenz zu einer stärkeren Partizipation der Bürger („Wir sind das Volk“) in den Kommunalverfassungen aufwiesen. Bis Januar 1994 ist in allen neuen Bundesländern die Direktwahl des Bürgermeisters verabschiedet worden. Wenn schon den nicht demokratieerfahrenen Bürgern der neuen Bundesländer stärkere Partizipationsrechte (Bürgerbegehren und Direktwahl) zugestanden wurden, gab es kaum noch überzeugende Gründe diese den Bürgern der alten Bundesländer vorzuenthalt

-pfadabhängiger Wandel:

Gerade die christdemokratischen Oppositionsfraktionen (und bedingt auch die juristisch dominierten Innenministerien) nahmen diese Forderungen und Argumente auf und leiteten auf Landesebene häufig Volksinitiativen und Volksbegehren zur Einführung der Direktwahl der Bürgermeister ein. Die Volksabstimmung 1991 in Hessen, in der 82% der Bürger für die Einführung der Direktwahl in den Kommunen votierten, machte für die Mehrheitsfraktionen in allen Bundesländern mehr als deutlich, dass die Ablehnung der Direktwahl bei Landtagswahlen nachteilige Auswirkungen haben könnte und zum Teil direkt durch Volksentscheide ad absurdum geführt werden könnte. Nachdem neben den neuen Bundesländern dann auch andere alte Bundesländer die Direktwahl einführten, wurde der Anpassungsdruck auf die „Nachzügler“ Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen immer größer. Man wollte nicht das letzte Land – „das Fossil“ – bleiben, das den Bürgern die Direktwahl und sich damit der notwendigen Modernisierung verweigert

-Dies kann auch nicht ausschließlich auf Stimmenmaximierungsinteressen der CDU zurückgeführt werden, die mit einer bürgernahen Reform im Parteienwettbewerb punkten wollte. Vielmehr spielt hierbei die pfadabhängige Deutung der kommunalen Selbstverwaltung insbesondere in juristischen und konservativen Kreisen eine herausragende Rolle. Bezogen auf die institutionelle Sonderstellung der Kommunen als Teil der Länder und damit der Exekutiven dominiert in diesem Lager häufig noch die Auffassung, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht zu stark von parteipolitischen Strukturen durchdrungen werden soll. Die Stärkung des Bürgermeisters durch die Direktwahl gegenüber dem Stadtrat, der in dieser Interpretation nicht als Parlament, sondern als Selbstverwaltungsorgan eingeordnet wird, wird dementsprechend befürwortet und eine konkurrenzdemokratische Strukturierung der Kommunalpolitik wird oftmals abgelehnt.

-Der grundlegende Institutionenwandel wurde also nur dadurch möglich, dass traditionell bei zentralen Akteuren eine kognitive Distanz gegenüber eher parlamentarischen Kommunalverfassungen besteht, die durch das Gelegenheitsfenster der deutschen Vereinigung und die direktdemokratischen Vetopositionen zum Tragen kamen und sich insbesondere gegen den Widerstand der sozialdemokratischen Basis, die stärker konkurrenzdemokratische Strukturen präferiert, durchsetzen konnte.

-Ein zweiter institutioneller Unterschied ist für diese Pfadabhängigkeit der Landesverfassungen im Vergleich zu den Kommunalverfassungen von entscheidender Bedeutung: Über die Landesverfassungen müssen die Landtage selbst entscheiden und würden ihre Kompetenzen und ihren faktischen Einfluss bei der Umstellung auf ein präsidentielles System beschneiden. Neben den traditionellen kognitiven Orientierungen spielen also auch die Interessen der Entscheidungsträger eine wichtige Rolle für die Pfadabhängigkeit von Verfassungen und Wahlrechtssystemen. Sie haben in der Regel keinerlei Anlass, „der Einrichtung von Institutionen zuzustimmen, die ihre Handlungsspielräume über Gebühr einengen“

-. Auch deshalb waren in den Stadtstaaten die großen Volksparteien nicht bereit, die Direktwahl des regierenden Bürgermeisters einzuführen bzw. solche Volksbegehren einzuleiten, während in Städten ähnlicher Größe, wie in Köln und München, die präsidentielle Verfassung schon längst von den Landesparlamenten (die ihre Kompetenzen damit nicht reduzierten) eingeführt wurden. Insgesamt zeigt diese kurze Analyse der Kommunalverfassungsreformen beispielhaft, wie voraussetzungsvoll die Einführung institutioneller Reformen ist. Gezielte Verfassungsreformen „aus einem Guss“ , die einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung über den „Umweg“ der veränderten Akteurskonstellationen durch Kompetenzzuteilung und Wahlrecht leisten sollen, wie es aus einer Rational-Choice-Perspektive häufig gefordert wird, sind damit eher selten

Direkt gewählte Bürgermeister im Vergleich


-Mit der Einführung der Direktwahl fielen beim Verwaltungschef die Qualifikationshürden und die Fraktionsvorsitzenden konnten sich häufiger als Bürgermeisterkandidaten der großen Parteien aufstellen lassen und hatten dadurch in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen gute Wahlchancen. Insgesamt zeigt sich in NRW, dass die Nominierung der Kandidaten zum hauptamtlichen Bürgermeister in relativ vielen Fällen eine Fortsetzung der kommunalpolitischen Karriere vor Ort über Parteiämter und Ratsmandat ist.

-In Untersuchungen gaben die kommunalen Entscheidungsträger in NRW zudem an, dass sich viele Bürger kaum für die allgemeine Verschuldungslage der Stadt interessieren und Kürzungen vor allem zu Widerständen führen. Wenn sich direkt gewählte Bürgermeister für die Haushaltskonsolidierung entscheiden, dann werden sie es also nicht aus Wiederwahlinteresse, sondern aufgrund ihrer persönlichen Einstellungen, beruflichen Sozialisation und Verantwortung für ihre Mitarbeiter tun. Durch die Einführung der Direktwahlen in NRW sind bisher also keine starken institutionellen Anreize entstanden, die parteilose zentrale Steuerungspolitiker mit ausgeprägtem Konsolidierungswillen über den politischen Wettbewerb hervorbringen und durch Wiederwahl belohnen, wie dies von Gerhard Banner angelehnt an den Rational-Choice-Institutionalismus ursprünglich erwartet wurde.

-Problematisch an den häufig gerade in NRW gewählten Bürgermeistern mit ausschließlich ehrenamtlichem Kommunalpolitikhintergrund in größeren Kommunen ist, dass sie den führenden Verwaltungsmitarbeitern nicht selten unterlegen sind und sich auf rein repräsentative Aufgaben konzentrieren, während die Verwaltung sich tendenziell selbst führt. Für die Haushaltskonsolidierung fällt damit der zentrale Steuerungspolitiker in diesen Konstellationen faktisch aus, wofür in wenigen Fällen und auch nur mit deutlich geringeren rechtlichen Kompetenzen der Kämmerer einspringen kann

-So wie dies für die Ergebnisse der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung festgestellt wurde, variieren auch auf kommunaler Ebene die Konsolidierungspräferenzen und Durchsetzungsfähigkeit der Steuerungspolitiker erheblich. Dieser Konsolidierungswille hat zum Teil eine größere Wirkung für die Haushaltskonsolidierung als die im Zentralisierungsansatz zunächst nur hervorgehobenen formalen Kompetenzen der Steuerungspolitiker. zwei Bürgermeistertypen Kandidaten, die langjährig in der Verwaltung als Führungskraft oder gar als Kämmerer tätig waren, nehmen in der Regel die gesetzlich normierte Pflicht des Haushaltsausgleichs und die Konsequenzen der Verletzung dieses Prinzips offensichtlich ernster als Bürgermeister aus der ehrenamtlichen Kommunalpolitik. Zudem können sie sich eher in der häufig von juristischen Auseinandersetzungen geprägten Kommunalverwaltung gegenüber den ausgabenexpansiven Fachverwaltungen behaupten

-Insgesamt kann man damit für NRW davon ausgehen, dass in den durchschnittlich sehr großen Städten sich eher parteigebundene Kommunalpolitiker durchgesetzt haben, die die Haushaltskonsolidierung als „zentrale Steuerungspolitiker“ weniger forcieren als die früheren Stadtdirektoren. Die Einführung der Direktwahl hat insgesamt also in NRW eher zu ungünstigeren Akteurskonstellationen für die Haushaltskonsolidierung geführt. ungünstigere Akteurskonstellationen Angelehnt an die Untersuchungen von Gerhard Lehmbruch zu Konkordanzdemokratien kann man diese Probleme der Kommunalverfassungsreform darauf zurückführen, dass die Gemeindegröße als Kontextfaktor und die pfadabhängigen, parteipolitisierten Nominierungsmuster dazu geführt haben, dass sich ein für die Haushaltskonsolidierung wahrscheinlich eher nachteiliges Bürgermeisterprofil durchsetzen konnte als im Durchschnitt aller baden-württembergischen Kommunen, die ganz überwiegend in die Gemeindegrößenklassen unter 50.000 Einwohner fallen.

-Hinzu kommen als Erklärungsfaktor sicherlich weiterhin verbliebene Unterschiede zwischen den Kommunalverfassungen, weil in den Reformen nicht einfach die baden-württembergische Gemeindeordnung aufgrund ihrer vermeintlichen Überlegenheit kopiert wurde, sondern in NRW, wie gezeigt, pfadabhängig aus Machtinteressen und eingeschliffenen kognitiven Mustern heraus eine schwächere formale Stellung des Verwaltungschefs gegenüber dem Kommunalparlament und den Parteien fortgeschrieben wurde. Als weiteres Problem für die Haushaltskonsolidierung und die demokratische Legitimation kommt in NRW hinzu, dass in den größeren Städten durch die Direktwahl nicht die effizienzmindernde Korruption oder der „Parteienklüngel“ reduziert wurde, wie dies Hans Herbert von Arnim für die Landesebene oder für Köln die Korruptionsforscher Ute und Erwin Scheuch (1994) erwartet haben

-Im Gegenteil scheint die Einführung der Direktwahl in nordrhein-westfälischen Großstädten die Korruptionsgefahr sogar erhöht zu haben

-Die Zunahme der Korruptionsgefahr durch die Einführung der Direktwahl und den daraus resultierenden kapitalintensiven Wahlkampf, um die Kandidaten in den Großstädten bei nur mäßigem Interesse der Wähler an der Kommunalpolitik überhaupt bekannt machen zu können, ist für NRW empirisch belegt. Die meisten Bürgermeisterkandidaten in NRW haben die hohen Wahlkampfkosten neben der Parteiunterstützung auch durch Spenden und Sponsoren finanziert, was für die vergangenen Ratswahlkämpfe in den meisten Fällen unüblich war

Kommunalparlamente im Vergeleich


-Kohabitation: Für die Haushaltskonsolidierung ist weiterhin zentral, ob der Bürgermeister von den Kommunalparlamenten als zentraler Steuerungspolitiker akzeptiert und unterstützt wird. Während dies in NRW vor der Kommunalverfassungsreform der Regelfall war, weil ehrenamtlicher Bürgermeister und hauptamtlicher Stadtdirektor von der Ratsmehrheit gewählt und dann auch gestützt wurden, kommt es durch die Direktwahl häufiger zu Konstellationen, in denen der Bürgermeister sich auf keine eigenen Mehrheit im Rat stützen kann bzw. sogar die Ratsmehrheit von anderen Parteien gestellt werden (Kohabitationskonstellation).

-Geht man von einer starken Prägekraft der Verfassungsstruktur aus, muss das für die Haushaltskonsolidierung nicht problematisch sein. Durch die präsidentiellen Verfassungen werden dann automatisch die Anreize für eine klare Polarisierung von Oppositions- und Mehrheitsfraktionen deutlich gesenkt. In der vergleichenden Regierungslehre wird argumentiert, dass die Regierung in parlamentarischen Systemen auf eine stärkere Disziplin „ihrer“ Fraktionen angewiesen ist (und hinwirkt), weil sie in der Regel jederzeit vom Parlament abgewählt werden kann.

—>Diese Rechte haben Parlamente demgegenüber in präsidentiellen Verfassungen nicht oder sie sind zumindest mit höheren Hürden und Quoren versehen, so dass häufiger davon ausgegangen wurde, dass präsidentielle Systeme mit einer geringeren konkurrenzdemokratischen Strukturierung der Parlamente einhergehen. Insofern wurde auch für die kommunale Ebene erwartet, dass durch die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister die Kommunalparlamente eine stärkere konkordanzdemokratische Orientierung aufweisen und somit gemeinsam eher mit den Bürgermeistern kooperieren würden. Der Bürgermeister könnte sich dann für Ratsbeschlüsse seine eigenen Mehrheiten suchen und wäre nicht mehr darauf angewiesen dauerhaft durch seine Parteimehrheit gestützt zu werden.

-Aber der Präsidentialismus führt als institutionelle Vetoposition nicht zwingend zu einer größeren Konsensbereitschaft der Fraktionen, sondern kann durchaus mit einem stark ausgeprägten Parteienwettbewerb einhergehen. In der vergleichenden Regierungslehre und Staatstätigkeitsforschung wird dieses Zusammenspiel von Präsidentialismus und starkem Parteienwettbewerb eher negativ bewertet. In Phasen, in denen sich der Präsident auf eine Mehrheit seiner Partei im Parlament stützen kann, hat er danach bei starkem Wettbewerb eine dominante Stellung, während er in Phasen der Kohabitation bzw. des „divided government“ nur einen sehr begrenzten Einfluss hat und Blockadegefahren deutlich zunehmen. Und diese Politikblockaden lösen sich auch häufig nicht dadurch auf, dass die Akteure bei institutionellen Vetopositionen in einem Lernprozess mit der Zeit eine größere Kooperationsbereitschaft an den Tag legen.

-Welche Auswirkungen dies auf die Haushaltspolitik haben kann, wird am bereits untersuchten Fall der Stadt Marl deutlich. Es gibt keine Kooperationsbereitschaft, dass Ratsmehrheit und direkt gewählte Bürgermeisterin überhaupt gemeinsam einen Haushalt aufstellen und selbst starke Eingriffe der Kommunalaufsicht können diese Konflikte nicht „befrieden“. Damit ist die kommunale Führung stark fragmentiert und kann sich strukturell nicht mit Sparmaßnahmen durchsetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Bürgermeister aufgrund der Pfadabhängigkeit der Kommunalverfassungsreformen nur schwache rechtliche Kompetenzen zugewiesen bekommen hat

-Bürgermeister und „gegnerische“ Parteien haben aufgrund der Persistenz konkurrenzdemokratischer Muster auch nach der Einführung der Direktwahl in NRW eine geringere Einigungsbereitschaft als in Baden-Württemberg. Das Kooperationsverhältnis der Fraktionen zu den direkt gewählten Bürgermeistern, die nicht ihrer Partei angehören, wird von den befragten Vorsitzenden gerade in den vielen nordrhein-westfälischen Großstädten klar als nicht gut eingeordnet.

-In NRW ist also eine parteiübergreifende Akzeptanz des Bürgermeisters als zentraler Steuerungspolitiker kaum denkbar, weil der Bürgermeister klar einer Partei zugeordnet und aufgrund der stärkeren prozeduralen Parteipolitisierung tendenziell eher als politischer Gegner eingeordnet wird, gegen den man mit fast allen Mitteln einen eigenen Kandidaten durchsetzen will. Geringe Handlungsfähigkeit des Bürgermeisters in Kohabitationskonstellationen kann so von den Mehrheitsparteien als richtig (wenn auch möglicherweise ineffizient) eingeordnet werden, weil man damit die Durchsetzung „gegnerischer“ Parteiprogrammatiken verhindert und so sogar den Bürgermeister als führungsschwach kritisieren kann, um damit die Chancen des eigenen Kandidaten bei der nächsten Bürgermeisterwahl zu erhöhen

-Durch den Parteienwettbewerb wird also der Druck auf die Mehrheitsfraktionen in nordrhein-westfälischen Kommunen bei möglichen Sparbeschlüssen in stärkerem Maße erhöht, als in baden-württembergischen Kommunen mit traditionell verankerten konsensualen Mustern, in denen diese häufiger gemeinsam von Bürgermeistern und allen Fraktionen in einer Art „Sparkartell“ gegenüber den Bürgern (weitgehend ohne Abwahlchance) durchgesetzt werden (Winkler-Haupt 1988). Im Ergebnis führt der Parteienwettbewerb in nordrhein-westfälischen Kommunen dazu, dass einschneidende Konsolidierungsmaßnahmen, wie die Schließung von Einrichtungen, deshalb häufiger weder von Oppositions- noch von Mehrheitsfraktionen getragen werden (Sarnes 2010: 35f.), um ihre Wettbewerbsposition auf dem politischen Markt nicht zu verschlechtern. Die Pfadabhängigkeit von konkurrenzdemokratischen Akteurskonstellationen in NRW kann aus der Perspektive des historischen Institutionalismus damit erklärt werden, dass das kommunale Parteiensystem in NRW sich schon früh deutlich anders entwickelt hat als in Baden-Württemberg und sich dadurch in den beiden Bundesländern unterschiedliche informelle Konfliktregelungsmuster und eingeschliffen haben, die durch formelle Verfassungsreformen intentional kaum noch veränderbar sind.

-Diese Blockbildung in den Kommunalparlamenten ist auch darauf zurückzuführen, dass parteidistanzierte Wählergemeinschaften in mittleren und größeren Kommunen in NRW zu keinem Zeitpunkt richtig Fuß fassen konnten, auch weil es hier aufgrund eines faktischen Verbots von Wählergemeinschaften im Kommunalwahlrecht der 1950er Jahre keine direkte Nachkriegsgeneration von mittelständischen Wählergemeinschaften gibt (Holtkamp/Eimer 2006). Bereits im Kommunalwahlgesetz von 1952 wurde in NRW das Recht Wahllisten aufzustellen ausdrücklich auf die Parteien beschränkt.

Fazit zu Kommunalverfassungen


-Insgesamt lässt sich bilanzieren, dass, obwohl in den größeren Kommunen in BW und NRW parteipolitisch orientierte Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende der Volksparteien aufeinander treffen, die Konflikte bei unklaren Mehrheitsverhältnissen und Kohabitationskonstellationen in Baden-Württemberg deutlich weniger ausgeprägt sind als in Nordrhein-Westfalen. Diese heute noch stark variierenden Akteurskonstellationen sind damit maßgeblich durch die unterschiedliche Entwicklung der kommunalen Parteiensysteme und die Pfadabhängigkeit der nach dem zweiten Weltkrieg eingeschliffenen Konfliktregulierungsmuster in beiden Bundesländern75 zu erklären.

-Insgesamt haben damit die wissenschaftlichen Unterstützer der süddeutschen Kommunalverfassung die Gestaltungskraft von formalen institutionellen Reformen über- und die Persistenz informeller konkurrenzdemokratischer Konfliktregelungsmuster unterschätzt und zusätzlich die Gemeindegröße als wesentlichen Kontextfaktor nicht berücksichtigt. Die Reform der Kommunalverfassung dürfte in NRW durch die Präferenzen der politikzentrierten Bürgermeister sowie durch die Blockadegefahren bei unklaren Mehrheitsverhältnissen und Kohabitation damit insgesamt zu für die Haushaltskonsolidierung problematischen Akteurskonstellationen geführt haben. Auch die angestrebte Entparteipolitisierung der Kommunalpolitik wurde durch die Verfassungsreform in NRW nicht realisiert

-Hierin bestätigt sich insgesamt die skeptische Haltung des historischen Institutionalismus gegenüber einfachen Institutionentransfers oder „Institutionenshopping“. Zunächst werden in der Regel formale Institutionen nicht einfach von den Akteuren übernommen, weil sie sich woanders als effektiv oder effizient erwiesen haben. Vielmehr werden auch in den seltenen Fällen von grundlegenden Reformen alte Bestandteile der Verfassungsstruktur aufgrund der Interessen und kognitiven Orientierungen der einflussreichen Akteure fortgeschrieben, so dass schon die formale Institutionenordnung Konflikte zwischen alten und neueren Verfassungselementen beinhaltet. Wie schließlich diese konzeptionell weniger durchdachte und kaum planbare neue Verfassungskonfiguration auf die Akteurskonstellationen wirken und was diese wiederum für Einflüsse auf die Haushaltsergebnisse haben, ist weder für die Wissenschaft noch für die Praxis einfach kalkulierbar

-Somit sind auch die Auswirkungen institutioneller Reformen häufig ungewiss, weil die Reform des Regierungssystems nach dem Vorbild beispielsweise des Nachbarlandes bei anderen Kontextbedingungen und informellen Regeln zu einem sehr unterschiedlichen Verhalten der Akteure führen kann. Allein durch Verfassungs- und Wahlrechtsreformen ist es somit zumindest schwierig, für die Haushaltskonsolidierung (wahrscheinlich) positive Akteurskonstellationen „herzustellen

New Public Management


-Die New-Public-Management-Bewegung, die in einigen angelsächsischen Ländern schon in den 1980er Jahren in die Regierungspolitik Einzug hielt, gewann in Deutschland erst in den 1990er Jahren im Zuge von Haushaltskrise und Kosten der Deutschen Einheit an Bedeutung. Das Neue Steuerungsmodell (NSM) verbreitete sich in den Städten binnen weniger Jahre wie ein Buschfeuer und griff seit Ende der 1990er Jahre zunehmend auch auf die Landesverwaltungen über. Während in vielen quantitativen Städtebefragungen von den Kommunen kontinuierlich ein hoher Implementationsstand einzelner Bausteine des Neuen Steuerungsmodells angegeben wird (man will als „modern“ gelten), ergaben qualitative Fallstudien seit Ende der 1990er Jahre zunehmend, dass die Verwaltungsmodernisierung nach anfänglicher Euphorie in allen betrachteten Kommunen zumindest ins Stocken geraten ist und vieles chronisch nicht umgesetzt

-Deshalb herrschte „in vielen deutschen Kommunen eine Mischung aus Frust, Ratlosigkeit und Durchhalteparolen“, wobei allerdings die NPM-Bewegung mit der Verankerung des Neuen öffentlichen Rechnungswesens in den meisten Kommunalverfassungen wenigstens in verbaler Hinsicht wieder Auftrieb seit Ende der 2000er Jahre zu verzeichnen hat. Damit sollen die Kommunen wieder Ziele definieren, Produkte und Kennziffern bilden, die zuvor schon nach den Implementationsproblemen des NSM zu den „Akten gelegt“ wurden

-Das New Public Management in seiner deutschen Variante des Neuen Steuerungsmodells diente insbesondere der Betriebswirtschaftslehre als Eintrittskarte in die Verwaltungswissenschaft. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt) erstellte in enger Kooperation mit Betriebswirtschaftlern, wie Christoph Reichard, Dietrich Budäus und Klaus Lüder, das Modell von der öffentlichen Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen bzw. als „Konzern Stadt“. Die betriebswirtschaftliche Verwaltungsforschung deutete die zügige Verbreitung des NSM so, als sei nun die „Reformkompetenz“ von allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen „tendenziell übergegangen auf die Ökonomen. Referenzmodell für eine Modernisierung öffentlicher Unternehmen ist das privatwirtschaftliche Großunternehmen“. Die politikwissenschaftliche Verwaltungsforschung kritisierte das NSM demgegenüber als ein mit „missionarischem Eifer“ überzogenes Konzept, das „a-historisch“ und „a-institutionell“ vor allem die „verwaltungspolitische Vergesslichkeit“ befördere

-Die Betriebswirtschaftslehre formuliert zwar bereitwillig immer neue normative Konzepte für eine effizientere Verwaltungspraxis, die aber nur wenig auf empirischen Fakten gründen. Insbesondere ist kaum ein Interesse an den empirischen Bedingungen für effizientes Verwaltungshandeln in der betriebswirtschaftlichen Verwaltungswissenschaft erkennbar und die tatsächlichen Ergebnisse von Verwaltungsreformen für die Haushaltskonsolidierung werden weitgehend ausgeblendet. So wurde erst in den letzten Jahren durch politikwissenschaftliche Evaluationen und kritische Recherchen der Landesrechnungshöfe deutlich, dass das Neue Steuerungsmodell, gerade gemessen an dem vorrangigen Effizienzziel, als gescheitert gelten muss

Zentrale Bausteine und Ziele des NSM


-Das Kernmodell des NSM in Deutschland bezieht sich auf die Binnenmodernisierung der Verwaltung. Anders als in den angelsächsischen Ländern wird die Verwaltungsreform oftmals als empfehlenswerte Alternative zur Privatisierung präsentiert, mit der die Verwaltungen die Effizienzrückstände aufholen können.

-Der in der Verwaltungswissenschaft wohl am kontroversesten diskutierte Baustein des NSM ist das Kontraktmanagement zwischen Politik und Verwaltung, nach dem die Politik nur noch die Ziele („was“) definieren und die Ausführung der Verwaltung überlassen sollte („wie“), um eine wirtschaftlichere Aufgabenerledigung zu gewährleisten. Als Zweites sollte eine Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung durch die Budgetierung erreicht werden. Den Fachbereichen sollten im Haushaltsvollzug mehr Budgetkompetenzen zugeordnet werden, um Flexibilität und Anreize für ein wirtschaftlicheres Verhalten der Verwaltungsmitarbeiter zu schaffen (z. B. Reduzierung des „Dezemberfiebers“). Die größeren Handlungsspielräume der Verwaltung sollten durch die outputorientierte Steuerung für die Politik kontrollierbar bleiben. Der Haushaltsplan sollte sich zu einem produktorientierten Haushaltsbuch wandeln. Die Ziele der Produkte sollten sich an den von der Politik gesetzten Zielen ausrichten, und die Verwaltung sollte regelmäßig über die Zielerreichungsgrade berichte

-Ziel des Neuen Steuerungsmodells war vor allem eine Effizienzsteigerung der Verwaltung, was durchaus im engeren Sinne als Einsparungsziel zu verstehen ist. Rückblickend weist Gerhard Banner auch auf strategische Gründe für die Fokussierung auf die Haushaltskonsolidierung hin.

-So verbanden auch die meisten Kommunen in Deutschland das Neue Steuerungsmodell vorrangig mit dem Ziel der Effizienzsteigerung und der Haushaltskonsolidierung durch Mobilisierung endogener Sparpotentiale. Die Haushaltskonsolidierung gilt den kommunalen Akteuren seit Anfang der 1990er Jahre als das mit Abstand wichtigste Problem der Stadtentwicklung, wie es die regelmäßigen Befragungen des Deutschen Institutes für Urbanistik hinreichend dokumentieren. Kontinuierlich wird aus diesem Grund in quantitativen Befragungen von den Kommunen die Effizienzsteigerung in der Verwaltung als wichtigstes Ziel des Neuen Steuerungsmodells angegeben. Auch in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur wird einheitlich konstatiert, dass die Haushaltskrise die Hauptursache für die Einführung des Neuen Steuerungsmodells in deutschen Kommunen ist, während in anderen Ländern durchaus andere Ziele und Motive zentral waren. Die Erschließung von Konsolidierungseffekten bzw. die Meisterung der Haushaltskrise sind auch nach Einschätzungen der verwaltungswissenschaftlichen Experten das konstante, zentrale Ziel des NSM in den deutschen Kommunen

-Auch die Landesverwaltungen, die konzeptionell häufig die kommunalen Reformbausteine im Hinblick auf die betriebswirtschaftliche Binnenmodernisierung übernahmen, gaben in der Regel die Haushaltskonsolidierung und Kosteneinsparungen als zentrales Ziel der Verwaltungsreformen an

Das Leitbild des Neuen Steuerungsmodells aus der Rational-Choice-Perspektive


-Bereits in den 1980er Jahren befasste sich Gerhard Banner mit den endogenen Konsolidierungspotentialen in den Kommunen, wie schon im Kapitel über Verfassungsreformen gezeigt wurde. In diesen Analysen identifizierte er vor allem zwei endogene Kostentreiber, an denen später das NSM ansetzen sollte. Erstens verschärft aus seiner Sicht die „Konkurrenzlogik“ (Banner 1987a: 51) im Stadtrat den Überbietungswettbewerb und führt ebenso wie parteipolitische Patronage zur Ausgabenexpansion. Der zweite Kostentreiber sind aus seiner Sicht, wie bereits skizziert, die Fachkoalitionen, bestehend aus Fachverwaltungen, Ausschussvorsitzenden und Interessengruppen. Kostentreiber Anfang der 1990er Jahre stellte Gerhard Banner fest, dass mit dem Neuen Steuerungsmodell ein dauerhaft wirksames Instrument gegen die von ihm beschriebenen Kostentreiber gefunden worden sei. In seinem Schreiben zur Haushaltskonsolidierung an alle Verwaltungschefs, Finanz- und Organisationsdezernenten der KGSt-Mitgliedskommunen zu den neuen NSM-Berichten wies er darauf hin, dass das NSM zwar kein Patentrezept zur kurzfristigen Bewältigung der Finanzkrise sei, weil zunächst erstmal bei Einführung nicht unerhebliche Mehrkosten entstehen würden, aber:

„Dennoch schafft es mit seinem Kernelement der Ressourcenverantwortung vor Ort eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von Konsolidierungsstrategien; es ermöglicht die eigenverantwortliche Festlegung der Konsolidierungsaktion durch die Fachdienste; es motiviert sie zur Ausschöpfung innerer Rationalisierungsreserven und es fördert eigenständige Überlegungen zur Aufgabenkritik.“

-Danach „steuern sich die Fachbereiche weitgehend selbständig“ (Banner 1991: 6) in den vorgegebenen Budgetgrenzen und haben einen dauerhaften Anreiz wirtschaftlich zu handeln. Somit wurde das NSM als Dezentralisierungs- und Delegationsstrategie eingeordnet (Jann 2005) und eine Entmachtung der Querschnittsämter wurde angenommen. Im Kern wird damit im Vergleich zum Zentralisierungsansatz des Rational-Choice- Institutionalismus eher das Gegenteil propagiert

-Da die KGSt entsprechend der Annahmen der Neuen Politischen Ökonomie von den Expansionsinteressen der Fachverwaltung ausging, wonach „nichts die eigene Karriere so zuverlässig wie eine steigende Zahl von Mitarbeitern und ein wachsender Etat“ fördert, hat die outputorientierte Steuerung und das Controlling als zweiter NSM-Baustein eine große Bedeutung, auch damit die Fachverwaltungen nicht wie zuvor laufend unkontrollierte Budgetreserven bilden können. Als Scharnier zwischen diesen beiden NSM-Bausteinen fungiert schließlich die angestrebte neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung.

-Die Politik soll klare Ziele und die Budgetgrenzen für die outputorientierte Steuerung vorgeben und dafür auf die Detailintervention verzichten, um den Fachverwaltungen die nötigen Spielräume im Rahmen der Budgetierung zu gewähren. Dieser Verzicht soll auch zu einer klaren Trennung insbesondere zwischen Fachverwaltungen und Fachpolitikern führen, um die Durchschlagskraft der Fachkoalitionen zu reduzieren.

-Danach wurden durch die starke Verflechtung zuvor die Politiker für die Budgetinteressen der Fachverwaltungen „eingespannt“ und die Politik habe ihrerseits in effizienzmindernder Art eine „Politisierung des Verwaltungsapparats“ vorangetrieben. Durch den Verzicht auf Detailintervention seitens der Kommunalpolitik sollte parallel dazu der Überbietungswettbewerb im Stadtrat eingeschränkt werden bzw. der „kurzfristorientierte Politiktyp, der unter dem Gesichtspunkt aktueller Wählerwünsche und bevorstehender Wahltermine Einzelmaßnahmen aneinanderreiht. Diese additive Politik ist teuer und geht zu Lasten künftiger Handlungsmöglichkeiten“

). In der sozialwissenschaftlichen Verwaltungsforschung wurde dieser Verzicht überwiegend als eine deutliche Beschränkung der Ratskompetenzen und des Parteieneinflusses gedeutet. Zugleich hält es die KGSt für den Reformerfolg für zwingend erforderlich, dass auch bei den Zielen und Reformschritten Politik und Verwaltung vertrauensvoll zusammenarbeiten und der strategische Zielkonsens „während der gesamten Umbauphase aufrechterhalten wird“. Politik und Verwaltung müssten „am selben Strang“ ziehen. Werde von diesen Grundsätzen und NSM-Bausteinen abgewichen oder nur einzelne Instrumente „herausgepickt“, könne das NSM, wie die KGSt immer wieder betont hat, nicht seine volle positive Wirkung entfalten.

-Insgesamt bleibt festzuhalten, dass im Neuen Steuerungsmodell bei der Kritik der tradierten Entscheidungsstrukturen von einer Rational-Choice-Perspektive ausgegangen wird. Allerdings sollen diese Eigeninteressen nicht durch hierarchische Eingriffe entsprechend dem Zentralisierungsansatz „gezähmt“ werden, sondern im Neuen Steuerungsmodell wird davon ausgegangen, dass sich die zentralen Akteure entsprechend ihren radikal neu definierten Rollen einfügen und dem Vorrang von Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftlichkeit unterordnen. Aus welchen Eigeninteressen die Politik beispielsweise auf Detailintervention und den Parteienwettbewerb verzichten sollte oder die Querschnittsämter wichtige Kompetenzen abgeben sollten, wird nicht dargelegt. Zur Kritik der alten Entscheidungsstrukturen wird vom rücksichtslosen Nutzenmaximierer ausgegangen, während in der NSM-Phase dann mit einem „positiven Menschenbild“ argumentiert wird

-Nur durch diese optimistische und durchaus widersprüchliche Sicht ist auch eine befriedigende Lösung der skizzierten Prinzipal-Agent-Probleme möglich. Durch Verträge werden den Agenten in der Verwaltung Handlungsspielräume und Anreize gegeben, die diese entsprechend der „natürlichen Anlage“ des Menschen versuchen auszufüllen. Aus Sicht des NSM ist der Mensch grundsätzlich intrinsisch motiviert eine gute Arbeit zu leisten und wird dies „verantwortungsbewusst“ und „eigenverantwortlich“ schon erledigen, wenn man ihn nur dafür die nötigen Spielräume gibt

-Wendet man hingegen die eher skeptische Sichtweise der Neuen Politischen Ökonomie zur Bürokratie nicht nur auf die alten Entscheidungsstrukturen, sondern auch auf das NSM selbst an, wirken viele dieser Reformvorstellungen naiv und es sind massive Implementationsprobleme zu erwarten, weil z. B. die Agenten in der Verwaltung Handlungsspielräume zur Befriedigung ihrer Eigeninteressen hemmungslos ausnutzen könnten. Die outputorientierte Steuerung dürfte kaum in der Lage sein diese Eigendynamiken zu kontrollieren, sondern vielmehr dürfte sie bei hohen Transaktionskosten geringe Wirkungen zeigen, wie es bereits für die outcomeorientierten Haushaltsreformen der 1970er Jahre (PPBS, ZBB etc.) skizziert wurde

Implementationsstand von NSM in den Kommunen


-Die neue „Was“- / „Wie“-Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung wurde in keinem untersuchten Fall dauerhaft umgesetzt. Die Politik hat in der Regel keine klaren Ziele formuliert, an denen sich die outputorientierte Steuerung hätte ausrichten können. Die Kommunalpolitik verabschiedete zwar in den Stadträten häufig das Neue Steuerungsmodell, um hiermit eine Antwort auf die Haushaltskrise zu geben, aber das im NSM angestrebte Verhältnis von Politik und Verwaltung wird mehrheitlich grundlegend abgelehnt und daher nicht umgesetzt. Die Kontrolle der Verwaltung erfolgt nicht durch Überprüfung der Zielerreichung, beispielsweise anhand des Berichtswesens, sondern die großen Fraktionen setzen weiterhin auf persönliche Kontakte in den Verwaltungen und parteipolitische Patronage. Die Detailintervention auch zu Gunsten einzelner Bürgerwünsche wird von der Politik weiter fortgesetzt, weil sie diese und nicht die Zieldiskussion als ihr Kerngeschäft ansieht. Die produktorientierten Haushaltsbücher wurden von der Politik nicht angenommen, sondern man berät weiter nach dem kameralen Haushaltsplan

-Auch bezogen auf die dezentrale Budgetierung zeigten sich in den Kommunen gravierende Probleme. Die Fachverwaltungen nutzten die neuen Spielräume teilweise zur Budgetexpansion. Aufgrund dieser Tendenzen wurde in einigen untersuchten Städten die Budgetierung wieder zurückgeführt. Budgetüberschüsse wurden am Ende des Jahres wieder gänzlich von der Kämmerei „eingezogen und zum Haushaltsausgleich genutzt“ oder die Budgetierung wurde nach nur einem Jahr durch haushaltswirtschaftliche Verfügung wieder aufgehoben, mit folgender schriftlichen Begründung des Kämmerers an alle Verwaltungsmitarbeiter: „weil die mit der Budgetierung gewährten Freiräume eher dazu verwendet wurden, Mehrausgaben zu tätigen, die sonst nicht möglich gewesen wären“ . Im Vollzug dominiert somit wieder eine starke Zentralisierung der Haushaltspolitik, während die Aufstellung des Haushaltsplans den tradierten dezentralen Verfahren folgt.

-Die outputorientierte Steuerung schließlich produzierte erhebliche Transaktionskosten, ohne dass sie tatsächlich zur Steuerung der Budgets und der Verwaltung beitrug. Die hierdurch generierten Informationen wurden von den kommunalen Entscheidungsträgern kaum zur Kenntnis genommen und blieben auch deshalb folgenlos. Im Kern wurden mit der outputorientierten Steuerung vorwiegend „Datenfriedhöfe“ produziert. Aufgrund dieser negativen Erfahrungen wurden die Produktkataloge und outputorientierten Haushaltsbücher anschließend häufig wieder zu den Akten gelegt, so dass auch die stark an Produkten orientierte Steuerung vorerst als gescheitert gelten kann (Holtkamp 2000b). Das hierauf aufbauende Controlling wurde in vielen Städten nicht oder verspätet eingeführt. Die Controller stießen auf eine geringe Akzeptanz in der Verwaltung, wurden häufig von den Fachverwaltungen nur selektiv informiert, und ihre Ergebnisse wurden von der Führung kaum zur Kenntnis genommen

-Bezogen auf das zentrale Ziel des NSM – die Haushaltskonsolidierung – ist eine eindeutig negative Bilanz zu ziehen. Kommunen, die das NSM umgesetzt haben, können keine größeren Konsolidierungseffekte nachweisen als Kommunen, die auf die Umsetzung des NSM weitgehend verzichteten. Gerade in den Städten, in denen das NSM fast in Reinkultur umgesetzt wurde und die als Vorzeigestädte für die Effizienz des NSM präsentiert wurden, ordneten die Akteure es hinterher als „konsolidierungsfeindlich“ und nur für „Schönwetterzeiten“ geeignet ein. So kommt die bisher umfassendste Evaluation des NSM in Deutschland zu folgendem Fazit: Haushaltskonsolidierung „Unter Einbeziehung der Reformkosten kann davon ausgegangen werden, dass das NSM nicht nachhaltig und längerfristig zur Haushaltskonsolidierung beigetragen hat. In manchen Fallstudien drängt sich sogar der Eindruck auf, dass die Dezentralisierung (…) die Budgetmaximierung in den Fachbereichen noch verschärft und die städtischen Ausgaben damit insgesamt eher in die Höhe getrieben hat“ (Bogumil/Grohs/Kuhlmann)

Umsetzungsdefizite in den Landesverwaltungen


-Zu den Konsolidierungseffekten des Neuen Steuerungsmodells auf Landesebene liegen in Deutschland bisher kaum verwaltungswissenschaftlichen Studien vor. Die wenigen zur Landesebene vorliegenden politikwissenschaftlichen Implementationsstudien beziehen sich bei der Beurteilung der Konsolidierungseffekte dieser Reformen auf die Berichte der Landesrechnungshöfe

-Auch in den Bundesländern, in denen Teile des NSM vorsichtig und in Pilotprojekten eingeführt wurden, kommen die Rechnungshöfe zu keinen positiven Bilanzen. Aus ihrer Sicht wurden hier über Jahre zweistellige Millionen-Beträge investiert, ohne dass die Wirkung dieser Modellprojekte evaluiert wurde und ohne dass nennenswerte Einsparungen den hohen Transaktionskosten gegenübergestellt werden konnten

-. In allen Berichten der Rechnungshöfe zu den Verwaltungsreformen werden insbesondere Elemente der outputorientierten Steuerung als unwirtschaftlich kritisiert, weil sie bei hohem Aufwand häufiger nur zu „Zahlenfriedhöfen“ ohne Steuerungswirkung geführt haben. Aufgrund problematischer Implementationserfahrungen wurden schließlich in vielen Landesverwaltungen insbesondere Instrumente der outputorientierten Steuerung wieder zurückgenommen bzw. eingeschränkt. Allerdings sind zumindest die Kosten für den Aufbau der outputorientierten Steuerung in Pilotprojekten geringer als in Baden-Württemberg und Berlin, in denen die Verwaltungsreformen flächendeckend zum Teil sogar auf gesetzlicher Grundlage umgesetzt werden sollten

-Zu den in den Landesverwaltungen eher verhalten eingesetzten Budgetierungsverfahren liegen dagegen nur wenige Erfahrungsberichte vor, die tendenziell keine oder sogar problematische Effekte auf die Haushaltskonsolidierung registrieren. Zudem ist die Umsetzung einer dauerhaft von Vertrauen geprägten Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung in Bezug auf Verwaltungsreformen und eine Konzentration der Politik auf die Formulierung klarer Zielvorgaben für die konkurrenzdemokratischen Landesparlamente nicht feststellbar. Deshalb bezieht sich die outputorientierte Steuerung auch nur auf „fiktive Ziele“

-Wenn man also insgesamt die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells bewerten soll, muss man angesichts der bisherigen Verfehlung der für die KGSt, die Kommunen und Landesverwaltungen zentralen Zielsetzung der Haushaltskonsolidierung und in Anbetracht der kaum vorhandenen dauerhaften Umsetzung der wichtigsten Reformbausteine zu dem Ergebnis kommen, dass das NSM gemessen an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist. Dies ist das Fazit, dass man aus allen seit den 1990er Jahren vorgelegten Evaluationsstudien und den Rechnungshofberichten für Deutschland ziehen muss

Politisches Kontraktmanagement


-Die Diskussion über Konzeptfehler des NSM hat sich anfangs vor allem am Kontraktmanagement zwischen Politik und Verwaltung festgemacht. Als Erklärung für das Scheitern der neuen Arbeitsteilung wurde die einseitige, an Managementmodellen angelehnte Betonung des Effizienzziels angeführt, welche den demokratischen Charakter und die politische Rationalität ausblendet. Hierbei wird empirisch insbesondere auf den starken Parteienwettbewerb in nordrhein-westfälischen Kommunen Bezug genommen, dessen Anreize nicht mit dem NSM kompatibel seien. Danach hätten die Mehrheitsfraktionen kein Interesse daran, klare Ziele zu setzen und die mangelnde Zielerreichung öffentlich zu diskutieren, um der Opposition nicht zusätzliche Munition für die parlamentarische Auseinandersetzung zu liefern. So stoße auch das Controlling häufig an die Grenzen der Konkurrenzdemokratie tionsfraktionen sich im Vorfeld von Wahlkämpfen nicht in konsensuale Zielbildungsprozesse einbinden lassen wollen

-Ähnliches wurde für die konkurrenzdemokratischen Landesparlamente konstatiert . Auch in vielen anderen deutschen Kommunen konnte die neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung nicht ansatzweise umgesetzt werden

-Gegen das Modell wird auch eingewendet, dass die Bürger von den Kommunalpolitikern die Detailintervention und nicht die abstrakte Zieldiskussion erwarten und dies auch von den Bürgern sanktioniert wird. Die Ursachen für das kaum implementierte Kontraktmanagement dürften damit nicht ausschließlich in der mangelnden Berücksichtigung des Parteienwettbewerbs begründet liegen, sondern auch grundlegender auf die unrealistische Erwartung, dass die Politik sich in gewissem Maße selbst entmachten und auf Stimmenmaximierungsstrategien freiwillig verzichten würde.

-Ganz ähnlich wie es schon für die Haushalts- und Verwaltungsreformen in den 1970er Jahren festgestellt wurde, lassen sich scheinbar rationale Managementmodelle nicht gegen die Interessen der Politik durchsetzen. Im Zweifelsfall greift die Politik immer wieder auf die Routinen der inkrementalistischen, inputorientierten Haushaltspolitik zurück und ignoriert die mit neuen Haushaltsverfahren „zugewiesenen“ Aufgaben und die hieraus resultierenden neuen, zumeist viel komplexeren Haushaltsinformationen. Da das Kontraktmanagement des NSM, wie die KGSt immer wieder betont, sehr stark mit den anderen Bausteinen des Modells zusammenhängt, strahlt die chronisch nicht umsetzbare neue Arbeitsteilung auch negativ auf die Budgetierung und die outputorientierte Steuerung aus

Delegation von Budgetverantwortung


-Als Zweites erwies sich die propagierte stärkere Dezentralisierung und Delegation von Budgetkompetenzen auf die Fachbereiche für die Haushaltskonsolidierung grundsätzlich als hinderlich, weil Haushaltskonsolidierung im Kern die Aufgabe der zentralen Steuerungspolitiker ist, während die Fachbereiche immer wieder versuchen sich diesem Prozess zu entziehen, wie dies Gerhard Banner schon früh annahm und auch im Zentralisierungsansatz des Rational-Choice-Institutionalismus begründet wird. Durch die Budgetierung wurden in einigen Fällen neue Handlungsspielräume zur Budgetexpansion eröffnet. Die Kämmerei ist schon bei der Haushaltsplanaufstellung bei nur schwer einzuschätzenden Haushaltspositionen weiterhin auf die Informationen der Fachbereiche angewiesen. Diese kalkulieren dann einzelne Ausgaben bewusst hoch bzw. Einnahmen niedrig, um im Haushaltsvollzug „Überschüsse“ zu produzieren, die sie dann auf das nächste Jahr übertragen bzw. durch die gegenseitige Deckungsfähigkeit auf andere präferierte Aufgabenbereiche im aktuellen Haushaltsjahr umschichten können. Dadurch erhalten die Fachbereiche mehr Spielräume für Ausgabenexpansion als bei der traditionellen haushaltsstellenscharfen Steuerung.

-In anderen Kommunen reagierten die Fachverwaltungen auf die Anreize der Budgetierung weder mit Expansion noch mit Konsolidierungsbemühungen, u. a. aufgrund möglicher Eingriffe der Kommunalaufsicht und Kämmerei ins Budget bzw. aufgrund möglicher Verhandlungen für Nachtragshaushalte78. Bei der Aufstellung von Haushaltssicherungskonzepten, die in nordrhein-westfälischen Kommunen aufgrund hoher Haushaltsdefizite seit Jahren ein Massenphänomen sind, dürfen häufig aus Sicht der Kommunalaufsicht keine Budgetreste der Fachverwaltungen auf die nächsten Jahre übertragen werden, so dass die Budgetierung des NSM nur sehr eingeschränkt umsetzbar ist

-Durchaus ähnliche Erfahrungen wurden zum Teil bei der Budgetierung in Landesverwaltungen gemacht. Auch wenn hier keine Eingriffe einer starken Haushaltsaufsicht wie in den kommunalen Fallbeispielen zu erwarten sind, kommt es auch hier nicht selten zu zentralen Eingriffen. So wird beispielsweise mit teilnehmender Beobachtung in einer Berliner Landesverwaltung der Vollzug der Budgetierung wie folgt skizziert


„Von Januar bis März ist noch kein Budget in Kraft getreten. Die Verwaltungen operieren mit einem Nothaushalt, der ihnen nur die notwendigsten Ausgaben erlaubt. Gleich nach Verabschiedung der Globalsummen Anfang März wird ein Stellenbesetzungsstop erlassen. Am Rande einer Dienstbesprechung tauschen zwei Haushaltsfachleute zweier Verwaltungen aus, wieviel Zeit ihnen zwischen Nothaushalt und Stellenbesetzungsstop blieb (‚Wir hatten vier Stunden. Haben immerhin drei Sachen über die Bühne gebracht‘. ‚Wir hatten eineinhalb Tage‘). Dieses Muster zieht sich über das Haushaltsjahr hinweg fort: Stellenbesetzungsstop, Ausgabenstopps und das Sperren von einzelnen Titeln

-Insgesamt gelang es durch das NSM und die Budgetierung nicht, die Expansionsinteressen der Fachkoalitionen besser als unter der traditionellen Haushaltsplanung in den Griff zu bekommen, sondern die Optionen für diese Strategien wurden bei delegierter Budgetverantwortung noch gesteigert. Die Budgetierung führte zudem in einigen Fällen dazu, dass jeder Fachbereich eigene Betriebsmittel anschaffte, ohne die Skaleneffekte der zentralen Beschaffung zu nutzen

-Aus der Rational-Choice-Perspektive lassen sich die Probleme der Budgetierung als N-Personen-Gefangenendilemma (bzw. als Allmendeproblem) mit mehreren Spielzügen erfassen und damit auch die bereits bei Einführung des NSM als Konsolidierungsmodell weitgehend bekannte Interaktionssituation zwischen Fachpolitikern, Steuerungspolitikern und Kommunalaufsicht in der Haushaltskrise berücksichtigen. Wer danach als Fachbereichsleiter auf Ausgaben freiwillig verzichtet, muss damit rechnen, dass die anderen Bereiche sich als Trittbrettfahrer verhalten, so dass das Kollektivgut des Haushaltsausgleichs bei hohen individuellen Kosten durch Verzicht nicht erreicht wird. Die hohen individuellen Kosten können erstens dadurch entstehen, dass die Übertragung von Budgetresten auf das nächste Haushaltsjahr nur zu einem geringen Prozentsatz oder überhaupt nicht ermöglicht wird bzw. bereits im ersten Haushaltsjahr eine Haushaltssperre vom Kämmerer bzw. indirekt durch die Kommunalaufsicht verhängt wird.

-d. Dabei ist besonders bedeutsam, dass Einsparerfolge der Fachbereiche sich in den folgenden Jahren negativ auswirken können. Diejenigen Fachbereiche, die im ersten Budgetierungsjahr kooperierten und tatsächlich Einsparungen vorgenommen hatten, wurden in den nächsten Jahren durch zentrale Eingriffe nach dem Rasenmäherprinzip demotiviert, weil sie die dann noch mal erfolgenden pauschalen Kürzungen schwerer auffangen konnten als Fachbereiche, die im Zuge der Budgetierung nicht kooperierten und sogar zusätzliche „Speckpolster“ anlegen konnten. Damit dürfte in den Fachbereichen die Nicht-Kooperation in der Haushaltskrise zur dominanten Strategie werden. Dies wiederum kann im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung im nächsten Spielzug den Zentralisierungsimpuls der Steuerungspolitiker bzw. der Kommunalaufsicht sowie die Rücknahme der Budgetfreiheiten intensivieren, weil aus Sicht der Steuerungsebene einige Fachbereiche offensichtlich unfähig zur Kooperation im Budgetierungsprozess sind. Außerdem dient die Möglichkeit nicht-kooperativer Fachverwaltungen den Querschnittsverwaltungen, deren Kompetenzen durch das NSM prinzipiell beschränkt werden sollten, als Vorwand für die Verteidigung ihrer Kompetenzen und die Kämmereien, die Hauptämter und Personalämter könnten auch deshalb dazu tendieren, Handlungsspielräume der Fachbereiche zügig wieder zurückzunehmen

-In finanziell „ruhigem Fahrwasser“ wird das Vertrauen in die Übertragbarkeit von Budgetresten gestärkt und kooperative Strategien der Fachverwaltungen und Steuerungspolitiker werden wahrscheinlicher. Der Erfolg der Budgetierung, d.h. ihr Beitrag zu wirtschaftlichem Handeln und zum Haushaltsausgleich, hängt damit in hohem Maße – neben Führungsstil und -qualitäten – von der kommunalen Finanzlage und dem Verhalten der Kommunalaufsicht ab, also von eher exogenen Variablen, die durch das NSM nicht beeinflussbar sind. Zugleich ist damit die Budgetierung gerade für die Verwaltungen offensichtlich wenig geeignet, in denen die Haushaltskonsolidierung die zentrale Herausforderung ist. Hier können und werden die Budgetreste jederzeit zur Haushaltskonsolidierung eingezogen, so dass keine positiven Anreize für die dezentralen Einheiten zum wirtschaftlichen Umgang mit dem (vorläufig) bereitgestellten Budget geschaffen werden. Unter starkem Konsolidierungsdruck können neue Budgetregeln nicht geduldig ausprobiert werden. Es zählt der kurzfristige Konsolidierungserfolg, wird dieser nicht erreicht, werden bereits im Vollzug die Budgetregeln wieder verändert.


Outputorientierte Steuerung


-Weiterhin wurde das Sparziel des NSM häufiger nicht erreicht, weil die outputorientierte Steuerung bei sehr hohen Transaktionskosten prinzipiell nicht zur finanziellen und parlamentarischen Kontrolle der größeren Handlungsspielräume der Fachverwaltungen im Zuge der Budgetierung geeignet und insgesamt überhaupt keine Steuerungswirkung erkennbar ist. Offen spricht auch die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen nach langjährigen Erfahrungen mit dem NSM diese Kontrollprobleme an:

„Die Produktsystematik, die sich an imaginären Hierarchien von strategischen und operativen Staatszielen orientiert, bietet zudem dem Parlament keine Ansatzpunkte für finanzpolitische Steuerungsentscheidungen. (…) Produktkosten, die neben liquiditätswirksamen Ausgaben auch – und oft zu mehr als 50% – interne Verrechnungen enthalten, die sich auf Zeitaufschreibungen, Umlageformeln für Overheadkosten und ähnliche Annahmen stützen, erlauben weder dem Parlament noch den Verwaltungen eine verantwortungsvolle Steuerung, weil diese fiktiven Daten jederzeit manipulierbar sind.“

-Im Kern stellen sich hier auf der Ebene der Kommunen und der Länder dieselben Probleme, wie sie für ältere outcomeorientierte Budgettechniken (PPBS, ZBB, kommunale Entwicklungsplanung) bereits beschrieben wurden und wie sie nach der Ökonomische Theorie der Bürokratie von Anthony Downs zu erwarten sind. Zunächst werden von der Politik, wie bereits erwähnt und wenig überraschend, keine klaren Ziele vorgegeben, anhand derer sich die Zielerreichung einzelner Produkte messen lassen würde. Selbst wenn es gelingen würde, die Parlamente zu operationalen Zielhierarchien zu motivieren, wäre man bei der Erhebung des Outputs immer auf die Fachverwaltungen angewiesen, weil dies durch Unternehmensberatungen weder fachlich möglich noch finanzierbar ist

-Anthony Downs erfasst ausgehend von nutzenmaximierenden Bürokraten diese Problematik schon früh als „Gesetz der unvollständigen Kontrolle“. Danach kann kein Verwaltungsleiter große Organisationen ganz kontrollieren und die ausführenden Büros werden in den Berichten ihre Arbeit so darstellen, dass sie den Wunschvorstellungen des Verwaltungsleiters voll entsprechen, während sie hinter dieser Fassade zum Teil durchaus im Widerspruch zu diesen Vorstellungen auch ihren eigenen Nutzen (Macht, Einkommen, Prestige, Sicherheit und Bequemlichkeit) mehren.

-Über die vollkommen unzureichende Datenqualität der outputorientierten Steuerung in Landesverwaltungen haben insbesondere die Landesrechnungshöfe immer wieder berichtet. Die Mitarbeiter haben so beispielsweise ihre Leistungen in möglichst viele Produkte gegliedert, um viele Tätigkeitsbereiche nachweisen zu können. Zudem war die Datenqualität, die beispielsweise auf der Arbeitszeiterfassung durch die Mitarbeiterschaft fußte, mangelhaft

-Dies kann nach Downs dazu führen, dass die Kontrolle und der Detailliertheitsgrad der Indikatoren als Reaktion hierauf zunehmen und die Transaktionskosten des Berichtswesens stark ansteigen. Auch nimmt die Komplexität der Informationen zu, was wiederum die Kontrollmöglichkeiten schmälert („Gesetz der schlechter werdenden Kontrolle“; Downs 1967, 152f.). Dies führt in der Tendenz dazu, dass neue Kontrollorganisationen entstehen, die lediglich den Verwaltungsapparat aufblähen, auch weil sie aus Eigeninteressen die Kontrollaktivitäten ausweiten, selbst wenn die immer aufwändiger generierten Informationen durch die Führung nicht mehr verarbeitbar sind („Gesetz der Duplizierung von Kontrolle“; „Gesetz der ständig zunehmenden Kontrollversuche“). Zumindest der in einigen Landesverwaltungen extrem angewachsene Mitarbeiterstab für Controlling könnte durch diese Annahmen von Downs erklärt werden

-Daneben erklären die Hypothesen von Downs auch, warum die im Zuge des NSM eifrig gesammelten Daten nicht in den zeitlich kurz getakteten Haushaltsprozess einfließen. Downs integrierte als Erster den inkrementalistischen Entscheidungsansatz in die Neue Politische Ökonomie und erfasst damit die grundlegenden Probleme der Informationsgenerierung und -verarbeitung, wie sie gerade auch für die outputorientierte Steuerung gelten

-Die Leistung der Ent scheidungsträger besteht danach nicht darin Daten anzuhäufen, sondern radikal zu vereinfachen, um bei zunehmender Komplexität überhaupt entscheidungsfähig zu bleiben. Das heißt gerade unter Zeitdruck und hoher Ungewissheit gegenüber kurzfristigen Haushaltsentwicklungen und zentralen Eingriffen stark inkrementalistische, inputorientierte Strategien anzuwenden. Insgesamt kann mit Downs Ansatz plausibel erklärt werden, warum die outputorientierte Steuerung bei hohen Transaktionskosten letztlich wirkungslos blieb oder, wie es die Akteure auf Kommunal- und Landesebene einheitlich formulierten, vorwiegend „Datenfriedhöfe“ produzierte.

Ursachen des Scheiterns von NSM in Deutschland


-Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Neue Steuerungsmodell, gemessen an dem vorrangigen Einsparungsziel und dem chronisch defizitären Umsetzungsstand der zentralen Reformbausteine, im ersten Anlauf als gescheitert gelten kann. Insbesondere die mangelnde Eignung des NSM zur Haushaltskonsolidierung hat offensichtlich zur rationalen Abwahl des NSM in der Implementationsphase geführt. In der Analyse konnte als zentraler Konzeptfehler die mangelnde Berücksichtigung der Eigeninteressen der wichtigsten Akteure identifiziert werden, der maßgeblich zum Scheitern der Reformen beigetragen hat.

-So wurde die neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung nicht umgesetzt, weil dies faktisch zu einer freiwilligen Selbstentmachtung der Politik geführt hätte, an der diese erwartungsgemäß kein Interesse haben kann. Zudem konfligiert die angestrebte neue Arbeitsteilung stark mit dem in vielen untersuchten Kommunen und Bundesländern ausgeprägten Parteienwettbewerb. Die propagierte starke Delegation der Budgetierung hat zweitens neue Handlungsspielräume zur Budgetexpansion oder zumindest für zu geringe Konsolidierungserträge der Fachpolitiker eröffnet und wurde deshalb und aus Eigeninteressen der Querschnittsämter in der Haushaltskrise wieder zurückgenommen.

-Haushaltskonsolidierung als Allmendeproblem setzt ganz offensichtlich eine stärkere Hierarchisierung in Haushaltsplanung und - vollzug voraus, wie sie im Zentralisierungsansatz des Rational-Choice-Institutionalismus deutlich zum Ausdruck kommt. Die outputorientierte Steuerung war schließlich nicht dazu geeignet, die neuen Handlungsspielräume der Fachbereiche adäquat zu kontrollieren, auch weil die Eigeninteressen der Fachverwaltungen und ihre mikropolitischen Strategien die Datenqualität stark beeinträchtigten und die zusammengestellten „Datenfriedhöfe“ aufgrund der begrenzten Rationalität und Zeitressourcen der Steuerungspolitiker nicht verarbeitbar waren. Bei hohen Transaktionskosten blieb die outputorientierte Steuerung deshalb weitgehend wirkungslos, wie dies bereits für die outcomeorientierten Haushaltsreformen der 1970er Jahre (PPBS, ZBB, etc.) hinreichend häufig festgestellt wurde.

-Die Ursachen des Scheiterns des NSM in Deutschland können also befriedigend dadurch erfasst werden, dass die Rational-Choice-Perspektive konsequent zu Ende geführt und somit nicht nur auf die „alte“, sondern auch auf die „neue“ Steuerung angewendet wurde. Es wirkt paradox, dass das gerade von der betriebswirtschaftlich orientierten Verwaltungswissenschaft für eine stärkere Effizienzorientierung propagierte NSM offensichtlich zu millionenschweren Fehlinvestitionen geführt hat und dieses Konzeptversagen auch noch am besten durch ökonomische Theorieansätze erklärt werden kann

Institutionalisierung durch Doppik und Neues öffentliches Rechnungswesen


-Während die politikwissenschaftliche Verwaltungsforschung schon früh einen Stillstand auf den Reformbaustellen des Neuen Steuerungsmodells bemerkte, wurde und wird das Modell, wenn auch modernisiert, in der betriebswirtschaftlichen Verwaltungsforschung immer noch als vorbildlich angepriesen. Die Reformbefürworter-Koalition aus KGSt und Betriebswirtschaftslehre setzt sich bis heute nicht empirisch mit den Effizienzproblemen des NSM auseinander. Eher entzieht sie sich mit immer neuen Argumenten dem Soll-Ist-Vergleich und jeder (gegenwärtigen) empirischen Überprüfung ihrer Empfehlungen: Reformbefürworter – Wenn die durchweg negativen Ergebnisse vieler Fallstudien überhaupt von den Reformbefürwortern erwähnt werden, erfolgt der Hinweis, dass es sich hierbei nur um Einzelfälle handele und diese empirischen Befunde nicht vorschnell verallgemeinert werden sollten. Dass zugleich aber eine ernstzunehmende quantitative Evaluation vieler Kommunen ausgeschlossen wird und zuvor keine Probleme bestanden, Effizienzeffekte des NSM ohne die Ergebnisse auch nur einer wissenschaftlichen Fallstudie zu bilanzieren, bleibt dabei unerwähnt.

-– Es wird betont, dass das NSM prinzipiell das richtige Modell sei, aber dass die kommunale Praxis entgegen dem ausdrücklichen Rat der KGSt immer nur Teile des Modells umgesetzt habe, so dass das Modell nicht seine positiven Wirkungen habe entfalten können. – Oder es wird bereitwillig eingeräumt, dass ein Soll-Ist-Vergleich zum NSM in der Bilanz durchaus bescheiden ausfalle (Banner 2001), aber dass sich dies deutlich verbessern werde, wenn auf dem NSM noch andere Reformen, wie das strategische Management, Public Governance oder die Doppik, aufgesattelt würden. – Oder es wird darauf hingewiesen, dass man nach nur 15 Jahren Neuem Steuerungsmodell noch keine abschließende Evaluation vornehmen könne. Schließlich könne man bei einem solchen Systemwandel – vergleichbar mit der Französischen Revolution – nicht in Jahrzehnten rechnen

-Die betriebswirtschaftliche Verwaltungsforschung hat parallel keine Probleme, weiterhin Effizienzerfolge des New Public Managements ohne empirische Belege zu konstatieren, bzw. sie führt kontrafaktisch hierfür als vermeintlichen Beleg die Studie von Jörg Bogumil an, die darauf hindeute, „dass Budgetierung zu gewissen Einspareffekten geführt haben könnte“. Unabhängig davon, ob man die nach wie vor außerordentlich geringe empirische Orientierung der betriebswirtschaftlich inspirierten Verwaltungswissenschaft darauf zurückführt, dass sie zum „moralischen Kreuzzug“ tendiert, oder ob man hierin eine pfadabhängige disziplinäre Neigung zum Modellplatonismus sieht, faktisch geben der Entstehungskontext und die bisherige Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Verwaltungsforschung kaum Anlass zu der Erwartung, dass sie einen nennenswerten Beitrag zur Überbrückung der Kluft zwischen Soll-Konzepten und Ist-Analysen leisten kann.

-Allerdings wurde zunächst überzeugend von den Reformbefürwortern im Anschluss an das Neue Steuerungsmodell argumentiert, dass zukünftig bei der Verwaltungsmodernisierung nicht mehr so starke Implementationsdefizite zu erwarten seien, weil das Neue Steuerungsmodell im Zuge der Einführung der Doppik auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werde. Das Neue Steuerungsmodell sei jetzt nicht mehr freiwillige Kür der Bürgermeister, sondern eine gesetzliche „Pflichtveranstaltung“. Es wird unterstellt, mit der gesetzlichen Verankerung werde den Modernisierungsbefürwortern in den Kommunen der Rücken gestärkt und das NSM als Gesamtpaket implementiert: „Zwar mag es örtlichen Einflüssen hier und da gelingen, das Umsetzungstempo zu bremsen, doch am Ende müssen sich alle bewegen“ (Banner 2005: 171). Derzeit wird in der Tat flächendeckend in vielen Bundesländern die Doppik als neues Rechnungswesen umgesetzt (vgl. Abbildung 42) und Vorreiter, wie Nordrhein-Westfalen, haben die Doppik mit einer gesetzlichen Normierung der outputorientierten Steuerung verbunden.

-So heißt es nun in den Erläuterungen zur neuen Gemeindehaushaltsverordnung in NRW zur Umsetzung der Doppik, die in diesem Bundesland unter dem Begriff „Neues Kommunales Finanzmanagement“ (NKF) subsumiert wird: „Die politische Steuerung in den Gemeinden wird sich mit der Einführung und Anwendung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements grundlegend ändern. Während die gemeindliche Steuerung bisher durch die Bereitstellung der erforderlichen Geldmittel geprägt war, soll künftig über Ziele und Kennzahlen gesteuert werden

-Die alten inputorientierten Haushaltsroutinen sollen danach durch die outputorientierte Steuerung in Frage gestellt werden und einzelne Maßnahmen und Produktbereiche sollen durch ein Controlling und Berichtswesen gemessen an den politischen Zielen und dem Ressourcenaufwand auf den Prüfstand kommen. Zugleich soll durch NKF auch die wirtschaftliche Lage der Kommunen transparenter und der Haushalt für alle verständlicher werden

Weiterentwicklungen des Neuen Steuerungsmodells


-Allerdings sind keine gravierenden Veränderungen im Vergleich zu 2004 bei der dezentralen Ressourcenverantwortung, der Budgetierung und dem Berichtswesen festzustellen. Hier hat das NKF offensichtlich bereits auf der Ebene der Institutionen keinen nennenswerten Effekt erzielt, so dass sich die Frage nach den Wirkungen dieser neuen Institutionen weitgehend erübrigt. Neu wurde in der Befragung 2010 nach der Umsetzung der Zieldefinition und der Leitbildentwicklung durch die Kommunalpolitik gefragt. Obwohl auch diese im Gesetz benannt wurden, sind sie in der Praxis deutlich weniger umgesetzt worden. In den Fallstudienstädten in NRW, gaben die interviewten Bürgermeister und Kämmerer noch deutlicher an, dass die neue Arbeitsteilung zwischen Stadtrat und Verwaltung nach wie vor nicht umgesetzt wird (vgl. auch Niehaves 2009: 78f). Die Politik definiert auch aktuell keine klaren Ziele und will weiterhin im Detail intervenieren

-70 bis 80% beider befragten Akteursgruppen halten das Modell der neuen Arbeitsteilung für (eher) unrealistisch, so dass auch in Zukunft kaum eine deutlich stärkere Umsetzung erwartet werden kann, zumal die Arbeitsweise der ehrenamtlichen Kommunalpolitik gesetzlich nicht detailliert vorgeschrieben und bei Umsetzungsdefiziten durch die Kommunalaufsicht sanktioniert werden kann. In der multivariaten statistischen Analyse zeigte sich zudem, dass dies nicht nur für Großstädte gilt, in denen der stark ausgeprägte Parteienwettbewerb dazu führt, dass die Mehrheitsfraktionen keine Interesse an klaren Zielsetzungen und der Messung von Zielerreichungsgraden haben. Gerade in den kleineren Kommunen geben die Bürgermeister 2010 in statistisch signifikantem Maße häufiger an, dass kein Leitbild entwickelt und auch keine klaren Ziele von der Politik entwickelt wurden81. Dies kann auch darauf zurückgeführt werden, dass in niedrigeren Gemeindegrößenklassen die Fraktionsvorsitzenden die Wirkung des Modells auf tatsächliche Haushaltsentscheidungen in signifikant höherem Maße bezweifeln, weil sie ihre persönlichen Erfahrungen und die erwartbaren Widerstände für wichtiger als die Messung von Zielerreichungsgraden halten

-Als Konsequenz wird hieraus aber nicht gezogen, dass das Modell wohl in den Augen der Akteure unrealistisch ist und deshalb weiter nicht umsetzbar ist, sondern es wird mittel- bis langfristig auf eine neue Generation von Kommunalpolitikern und eine neue „Steuerungskultur“ gesetzt bzw. von den Kommunalpolitikern „eingefordert“ (70). Bei diesen Evaluationen dürfte auch eine Rolle spielen, dass der Städtetag und das Innenministerium selbst die maßgeblichen Promotoren des NKF waren und man für die kaum vorhandene Umsetzung zentraler Bausteine dieser sehr kostenintensiven Reform die Verantwortung hierfür möglicherweise auch bereitwillig bei anderen Akteuren sucht. Das Modell ist gut, die Akteure vor Ort müssen es nur richtig umsetzen, lautet abermals die legitimationsentlastende Formel der Reformer, wie es aus der Perspektive des soziologischen Neoinstitutionalismus wenig überraschend heißt

-Für den reklamierten „kurzfristigen und großen Handlungsbedarf“ scheint dies allerdings keine schnell verfügbare Lösung zu sein. Im Kern bleibt als Strategieempfehlung das Warten auf politische Veränderungen, die sich bereits beim NSM nicht eingestellt haben. Seit knapp 20 Jahren – wenn man noch die kommunale Entwicklungsplanung und Aufgabenkritik berücksichtigt, dann seit gut 40 Jahren – wartet die propagierte neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung in den Kommunen auf Umsetzung. Trotz wechselnder Politikergenerationen ist eine Umsetzung auch heute nicht in Sicht, weil politische Steuerung und die Vorstellungen der Kommunalpolitik mit diesem Modell grundsätzlich nicht kompatibel sind.

-Auffällig ist in der multivariaten Analyse, dass die Fraktionsvorsitzenden in Kommunen mit massiven Haushaltsproblemen in besonderem Maße über keine erhöhte Transparenz durch NKF berichten können. Die Bürgermeister in diesen Kommunen konstatierten zugleich in signifikantem Maße, dass die Kommunalaufsicht nach der Einführung von NKF kurzfristig weniger Spardruck ausübt84, so dass gerade in den ärmeren Kommunen durch NKF sicherlich keine größeren Konsolidierungsimpulse gesetzt wurden.

-In den Interviews vor Ort wurde dieser kausale Zusammenhang zwischen geringer Transparenz und dem Verhalten der Kommunalaufsicht deutlicher. Kommunen, die seit Jahrzehnten keinen ausgeglichenen Haushalt hatten, konnten durch NKF ihren Haushalt fiktiv durch das errechnete Vermögen in der Rücklage ausgleichen, wie es bereits in den Studien zu den beratenden Sparkommissaren gezeigt wurde. Dementsprechend negativ bewerten die befragten Akteure vor Ort dies als „Trick“, mit denen die Kommunen vor der Landtagswahl „reichgerechnet“ wurden


Probleme von NSM/NFK


-Die hier nur kurz skizzierten Analysen in nordrhein-westfälischen Kommunen zeigen insgesamt, dass sich bei diesem zweiten „Anlauf“ ähnliche Probleme, wie bei dem Neuen Steuerungsmodell in den 1990er Jahren abzeichnen. Die vorgesehene neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung wird kaum umgesetzt.

-Nicht ganz so kritisch wird von den Fraktionsvorsitzenden und Bürgermeistern in den landesweiten Befragungen die outputorientierte Steuerung eingeordnet. Aber auch hier verweist knapp die Hälfte der Befragten darauf, dass die outputorientierte Steuerung in der Kommunalvertretung wenig Beachtung findet und „Datenfriedhöfe“ produziert. Dies weist auf erhebliche Effizienzdefizite hin, die bereits für das NSM mehrfach empirisch nachgewiesen wurden. Für zwei Drittel der zusätzlich flächendeckend befragten Personalratsvorsitzenden ist als in der Regel langjährige verwaltungsinterne Akteure sogar klar, dass die outputorientierte Steuerung durch „Datenfriedhöfe“ einen den Nutzen übersteigenden Aufwand produziert. Hierin dürften sich auch die mit dem NSM erworbenen Erfahrungen mit weitgehend folgenlosen Produktkatalogen, die aufwändig von den Verwaltungsmitarbeitern erstellt werden mussten, widerspiegeln. Zumindest verweist diese Positionierung der Mitarbeitervertretung darauf, dass die outputorientierte Steuerung auf ganz erhebliche Akzeptanzprobleme in der Verwaltung trifft, die in den bisherigen Evaluationen ausgeblendet wurden

-Das von den Reformentwicklern kritisierte Rauspicken einzelner Bausteine des NSM, wird vor Ort als Lernprozess gedeutet, um über Umwege doch noch das Ziel der erhöhten Verwaltungseffizienz erreichen zu können, indem die Transaktionskosten gesenkt wurden und auf die aus pragmatischer Sicht nur schwer realisierbaren Reformelemente verzichtet wurde. Folglich werden in den Fallstudien die hohen Transaktionskosten von NKF offen als extremes Problem angesprochen („Wahnsinn“). Das Gesetz, dass ein einheitliches Modell mit umfassender Vermögensbewertung, Entwicklung von Produktkatalogen und Berichtspflichten für alle Kommunen festschreibt, wird zum Teil als hinderlich für die Verwaltungsmodernisierung eingeordnet, weil es hinter die Lernprozesse in den Kommunen zurückfällt. Bei sehr hohen Transaktionskosten der Doppik wird von den Akteuren noch keine Steuerungswirkung gesehen, so dass insgesamt der „Nutzwert des NKF“ teilweise als gering eingestuft wird

-sche haushaltspolitische Prozess bleibt von der Reform, bis auf die zunehmende Intransparenz, nach Angaben der zentralen kommunalen Akteure unberührt. Die Gefahr, dass bei sehr hohen Transaktionskosten für den Aufbau und den Unterhalt von NKF flächendeckend vor allem ineffiziente „Datenfriedhöfe“ produziert werden und kommunale Lernerfolge aus dem NSM der 1990er Jahre durch gesetzliche Pflichten in einem Einheitsmodell nivelliert werden, ist insbesondere aus Sicht der Akteure in den Fallstudien groß

-Die Protagonisten des NSM und NKF haben insgesamt die Steuerungswirkungen von formalen Institutionen überschätzt und Akteursinteressen bei der Realisierung ihrer Konzepte weitgehend ausgeblendet. Die Reformierbarkeit und intentionale Gestaltbarkeit des Haushaltsprozesses, der zeitlich eng getaktet Komplexität und Konflikte bewältigen und nicht potenzieren soll, wird überbewertet oder man hofft auf „neue Menschen“ bzw. Politikergenerationen. Mit dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement wurde eine neue effizienzorientierte Verwaltungsrevolution angekündigt, die maßgeblich von der betriebswirtschaftlichen Verwaltungsforschung mit durchgesetzt wurde (Budäus 2006) und die ein „umfassendes Reformprogramm (ist), das noch mindestens ein Jahrzehnt dauern wird und das erhebliche Kapazitäten und Finanzmittel binden wird“

Strategisches Management und wirkungsorientierte Verwaltungsreformen


-Neben NKF und Doppik als dem „gesetzlichen Standbein“ der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre werden aufbauend auf dem New Public Management immer neue noch anspruchsvollere Reformkonzepte produziert, die zu einer höheren Effizienz der Verwaltung nicht nur unter Berücksichtigung des Outputs, sondern auch des Outcomes und der Wirkungen politischer Programme beitragen sollen. Von wirkungsorientierter Verwaltung, von strategischem Management oder gar von strategischer Planung ist die Rede, die das „nur“ outputorientierte Neue Steuerungsmodell in Deutschland weiterentwickeln sollen. Dabei wird das Scheitern outcome-orientierter Budgetierungsverfahren in den 1970er Jahren weitgehend ausgeblendet und wie im Beispiel der niederländischen Stadt Tilburg für das NSM eher nach aktuellen Vorbildern in anderen Staaten gesucht, für die man positive Modernisierungsbilanzen konstatiert, die nun wieder auf deutsche Verwaltungen übertragen werden sollen.

-Bei den Kontextfaktoren, die beispielsweise eine Übertragung Schweizer Erfahrungen auf Deutschland erheblich erschweren, ist insbesondere die ausgeprägte parteipolitische Konkordanz hervorzuheben. Die Schweizer und die Schweizer Parteien sind im Vergleich „zu den deutschen Nachbarn – regelrecht harmoniesüchtig und versuchen offene Konflikte zu vermeiden“. Dass unter diesen Bedingungen – im Gegensatz zum ausgeprägten Parteienwettbewerb in Deutschland – die gemeinsame kontinuierliche Umsetzung von Verwaltungsreformen eher realisierbar ist, dürfte wenig überraschen. Zugleich ist in Anlehnung an den historischen Institutionalismus aufgrund der Pfadabhängigkeit dieser informellen Konfliktregelungsmuster zwischen Parteien, die von „eigentümlichen kulturellen Voraussetzungen mit komplexen historischen Wurzeln“ abhängen, nicht zu erwarten, dass durch freiwillige Vereinbarungen im Zuge des politischen Kontraktmanagements oder durch gut gemeinte Politikempfehlungen innerhalb weniger Jahre „Schweizer Verhältnisse“ bei der Umsetzung von Verwaltungsreformen in Deutschland erreicht werden können.

-Als zweite Besonderheit im Vergleich zu Deutschland ist die geringere Ausrichtung des Schweizer Modells der wirkungsorientierten Verwaltungsführung an dem Ziel der Haushaltskonsolidierung anzuführen. Für die Schweizer Gemeinden wurde auf breiterer empirischer Basis festgestellt, dass die Haushaltskonsolidierung und die Kostensenkung kein wesentliches Ziel der Verwaltungsreform war. Die Reformen werden von zentralen Akteuren insgesamt sehr positiv beurteilt, auch wenn das (nicht prioritäre) Ziel der Kostensenkung aus Akteurssicht nicht erreicht wurde (Ladner 2005). So werden für die Schweizer Kantone ähnliche Probleme in Bezug auf die Transaktionskosten und Steuerungsleistungen der Reformen festgestellt wie in Deutschland: ähnliche Probleme „Erhöhter administrativer Aufwand und dadurch eine neue Bürokratie aufgrund zu detaillierter Controllingstrukturen, zahlloser Reportingformulare und - berichte, überperfektionierter, aber nicht steuerungsrelevanter Produktdefinitionen

-Zudem werden in der Schweiz auch die verborgenen Kosten der Evaluation und Verwaltungsreform betont. Provokant wird unter dem Begriff der „Evaluitis“ kritisiert, dass der Nettonutzen von Evaluationen systematisch überschätzt und die verborgenen Kosten unterschätzt werden. Wirkungsmessung führt danach dazu, dass die Akteure sich auf die Erhöhung der Wirkungsindikatoren konzentrieren, „und alles andere beiseite lassen“. Auch fühlen sich die Betroffenen in Verwaltungen zunehmend kontrolliert, wodurch die intrinsische Arbeitsmotivation abnehmen kann. Evaluationen bewirken darüber hinaus in der Schweiz Pfadabhängigkeiten. Auch wenn sie ineffizient sind, werden sie immer weiter fortgeschrieben, weil Kritik hieran nicht mehr offiziell geäußert wird und sich die betroffenen Verwaltungsmitarbeiter nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, dass sie Angst vor dem Ergebnis der Evaluation haben, was letztlich auf sie negativ zurückfallen könnte

Inkrementalistisch-hierarchische Ansätze der Verwaltungspraxis


-Nachdem man feststellen muss, dass die Weiterentwicklungen der betriebswirtschaftlichen Verwaltungswissenschaft für die Haushaltskonsolidierung wenig erfolgsversprechend sind, lohnt sich ein Blick in die Verwaltungspraxis, wie diese auf die Haushaltskrise reagiert. In der NSM-Praxis wurde in den Evaluationsstudien eine Rezentralisierung der Budgetkompetenzen bei zugleich weitgehendem Verzicht auf die Verarbeitung von outputorientierten Informationen in der Verwaltungspraxis konstatiert

-Der „Rasenmäher“ als erfolgreicher, inkrementalistischer Sparansatz wurde von den Verwaltungsführungen mit der Rezentralisierung verbunden. Hierin kommt ein für die Haushaltskonsolidierung durchaus stimmiges Praxiskonzept zum Ausdruck, das sich in der Empirie als leistungsfähiger als die Konzepte der normativen Verwaltungswissenschaft erwiesen hat. Bei der Rasenmähermethode orientiert man sich nicht an den zu erledigenden Aufgaben und versucht nicht durch Prioritätensetzen Einsparungen zu erzielen, sondern man nimmt die Haushaltsansätze des Vorjahres als Maßstab und kürzt in allen Fachbereichen das Budget um eine festzulegende, relativ einheitliche Prozentzahl. Der Vorteil der Rasenmähermethode liegt vor allem in ihrer relativ leichten Umsetzbarkeit, wie es die Verwaltungswissenschaft zumeist widerwillig festgestellt hat:

„Nur dann, wenn überall in gleicher Weise gespart wird, wenn überall die Hecke kurz gehalten wird, kann auf Verständnis gehofft werden, daß auch die eigene Hecke gekappt werden muß. Der Gleichheitssatz, d. h. der Rasenmäher, der alles in gleicher Weise auf einen niedrigen Stand herabschert, ist im Kampf um Etatpositionen oft der einzige anerkannte Legitimationsgrundsatz“

-Die Konsolidierungsleistungen der Rasenmähermethode sind insgesamt in der empirischen Literatur unbestritten und sie wird nun mit der Budgetierung des NSM verbunden. Dadurch sind die Kürzungswirkungen intransparenter, als wenn jede Haushaltsstelle ausgewiesen würde und die eingeschränkte Budgetierung ermöglicht den Fachbereichsverwaltungen im Konsolidierungsprozess noch eigene Prioritäten zu setzen, ohne dass Budgets auf das nächste Jahr übertragbar sind

-Intransparente Sparansätze, bei denen bei der Konzepterstellung nur wenige beteiligt werden und die Entscheidungen unter massivem Zeitdruck durchgesetzt werden, führen dazu, dass Fach-Basis-Koalitionen bestehend aus Fachämtern, Fachausschüssen und Interessengruppen nur wenig Ansätze geboten werden, den Widerstand gegen Konsolidierungsmaßnahmen wirksam zu organisieren. Die Budgetexpansion der Bürokratie und des Staates, wie sie in den anfänglichen Modellen der Neuen Politischen Ökonomie als unaufhaltsames Gesetz galten, lässt sich also begrenzen und im gewissen Maße umkehren, wobei dies allerdings in diesem Fall mit einer inkrementalistischen Budgetpraxis erkauft wird, die in der Finanz- und Verwaltungswissenschaft in Deutschland nicht hoch im Kurs steht. Es ist weitgehend unumstritten, dass zur Abbildung und Interpretation der jährlichen Budgetierungsprozesse sich der Inkrementalismus in der Regel besser eignet und sich in empirischen Untersuchungen durchgesetzt hat

-Insgesamt lässt sich also resümieren, dass sich in der Haushaltskrise häufig Zentralisierung im Verbund mit inkrementalistischen Sparansätzen durchsetzt. Im Kern deckt sich diese Vorgehensweise mit den im Rahmen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung bereits skizzierten erfolgreichen mikropolitischen Strategien zur Haushaltskonsolidierung im internationalen und subnationalen Vergleich. Systematisch aus der Akteursperspektive lassen sich diese auch als Kombination mikropolitischer Sparstrategien für die kommunale Ebene plastisch zusammenfassen

Sparstrategien von Kommunen


-Systematisch aus der Akteursperspektive lassen sich diese auch als Kombination mikropolitischer Sparstrategien für die kommunale Ebene plastisch zusammenfassen: – Zentralisierung: Der Bürgermeister lässt Sparvorschläge entweder in einer „vertrauten“ Runde mit loyalen Verwaltungsmitarbeitern oder durch Unternehmensberatungen entwickeln. Hieran werden die Fachämter, der Stadtrat, die Öffentlichkeit und der Personalrat nur begrenzt beteiligt. Sparstrategien – Inkrementalismus und Inputorientierung: Relevant sind kurzfristig erzielbare Einsparpotenziale nach der Rasenmähermethode und damit die Konzentration auf die wichtigsten Ausgabe- und Einnahmepositionen. Sperrige Berichte über Ziele, Output-Indikatoren und Zielerreichung erschweren eher zügige Entscheidungen bzw. produzieren erhebliche Transaktionskosten. Zentral ist vielmehr, welche Konsolidierungsstrategien wenig öffentliche Widerstände provozieren, damit die Verwaltungsleitung weiter das „Heft des Handelns“ in der Hand behält und der Rat nicht von sich aus aktiv wird. – Konsolidierungserzählung: Der Verwaltungschef und der Kämmerer werben in der Öffentlichkeit für Unterstützung, indem sie das entwickelte Sparpaket

-als alternativlos darstellen. Öffentlichkeit und Stadtrat wird suggeriert, dass es eigentlich nichts mehr zu entscheiden gibt, womit die Politik von Verantwortung „entlastet“ wird. Die Konsolidierungsmaßnahmen werden mit einem einfachen Ziel verbunden. Bei noch nicht ganz aussichtsloser Haushaltslage wird der mittelfristige Haushaltsausgleich als Ziel ausgegeben, bei schwierigerer Lage wird die Verhinderung von stärkeren Eingriffen der Kommunalaufsicht (z.B. Bestellung von Sparkommissaren) in den Vordergrund gestellt. – Zeitdruck: Interessengruppen, Fachverwaltungen und Fachausschüssen wird nur wenig Zeit gegeben zu opponieren und die Ratsmitglieder zu beeinflussen. Diese können sich unter Zeitdruck auf entlastende Konsolidierungserzählungen stützen, insbesondere wenn die Konsolidierungsentscheidungen so ausgewählt wurden, dass sie keine starken politischen Widerstände provozieren. – Kontrollierte Delegation im Vollzug: Die zumeist allgemeinen politischen Einsparvorgaben müssen durch Kämmerei und Verwaltungsspitze konkretisiert werden. Dabei ist eine begrenzte input-bezogene Budgetierung durchaus sinnvoll. Die Fachverwaltungen werden damit gezwungen selbst Prioritäten zu setzen und können damit einige „Steckenpferde“ schützen. Das erhöht die Akzeptanz, entlastet die Verwaltungsführung und begrenzt den Widerstand in der parlamentarischen Beratungsphase. Allerdings wird verdeutlicht, dass jederzeit von zentralen Eingriffen (Haushaltssperren etc.) Gebrauch gemacht werden kann.

-Diese Spartechniken sind im Übrigen nicht neu, sondern wurden bereits von Gerhard Banner und der KGSt in den 1980er Jahren forciert durch den Druck der kommunalen Praxis als Reformkonzept formuliert. Mit diesem damaligen Modell der Haushaltskonsolidierung, das sich größtenteils als Kontrastprogramm des NSM liest, wurden kurzfristig befriedigende Sparleistungen erbracht und dies wurde nach dem weitgehenden Scheitern des NSM Jahrzehnte später wieder in den Kommunen imitiert. Klar wurde in diesem Konsolidierungsmodell der 1980er Jahre hervorgehoben, dass Haushaltskonsolidierung vor allem vom energischen Eingreifen des Verwaltungschefs abhängt.

-Haushaltskonsolidierung war danach nur erfolgreich, wenn sie gegenüber den Fachverwaltungen durch eine „hartnäckige Aneinanderreihung einer Vielzahl kleiner, mittlerer und größerer Einzeleingriffe“ (KGSt 1982: 12) erfolgt. Der Stadtrat und damit die transparente Diskussion von Konsolidierungsoptionen soll demgegenüber möglichst eine geringe Rolle im Konsolidierungsprozess spielen (Banner 1987). Haushaltskonsolidierung soll unterhalb der politischen „Reizschwelle“ verwaltungsintern durch hierarchische Koordination organisiert werden. Dementsprechend werden mit der Rasenmähermethode stark inkrementalistische Sparansätze geduldet bzw. sogar empfohlen, die eher zu einer wenig sichtbaren „Leistungsverdünnung“ als zu einem Aufgabenabbau führen

-Erst wenn die Möglichkeiten inkrementalistischer Sparansätze ausgereizt sind, wird damals wie heute die selektive Schließung von Einrichtungen und Aufgabenabbau ernsthaft erwogen. Die Auflösung von Einrichtungen und die Aufgabe von politischen Programmen ist konfliktreich und wird auf allen föderalen Ebenen in der Regel zunächst vermieden, auch um die Wiederwahl politischer Akteure nicht zu gefährden und starke verwaltungsinterne Konflikte zu vermeiden. Dementsprechend sind die Entscheidungsträger in den eher wenigen Fällen von Schließungen bemüht, sich der politischen Verantwortung noch stärker durch Konsolidierungserzählungen, Intransparenz und systematische Täuschungen zu entziehen, die nur wenig mit demokratischen Prinzipien vereinbar sind


Gegenstrategien von Zivilgesellschaft


-Vielmehr sind auch den zivilgesellschaftlichen Akteuren Strategieoptionen aufzuzeigen, wie sie sich in die demokratische Willensbildung effektiv einbringen können, auch um von maximalen Konsolidierungseffekten abweichende, durchaus legitime Zielsetzungen durchsetzen zu können. Die Bürger und zivilgesellschaftliche Akteure stehen so sicherlich dem Abbau der kommunalen Infrastruktur nicht chancenlos gegenüber, selbst wenn durch Hierarchisierung der kommunalen Entscheidungsstruktur die Schließung von öffentlichen Einrichtungen durchgesetzt werden soll. Sie verfügen über das ganze Widerstandsarsenal, das aus der empirischen Analyse von Bürgerinitiativen und Initiatoren von Bürgerbegehren hinlänglich bekannt ist.

- Im Kern können sie sich auf die mikropolitischen Schachzüge beim Hierarchisierungsansatz einstellen und daraus spiegelverkehrt ihre Strategien entwickeln. Während die Bürgermeister und der Verwaltungsvorstand häufig dazu tendieren werden, die Akteure unter Zeitdruck zu setzen und in der parlamentarischen Arena möglichst wenig Diskussionsraum und Entscheidungspunkte zu geben, werden zivilgesellschaftliche Akteure bestrebt sein, das Gegenteil zu erreichen, um die Schließung von Einrichtungen bzw. massive Kürzungen abzuwenden. Der Schwerpunkt wird auf öffentlichen Protesten, der Vernetzung mit anderen Akteuren, der Mobilisierung von Oppositionsfraktionen und der betroffenen Fachpolitiker sowie der Bezirksvertreter und der Mehrheitsfraktionen liegen.

-Mit diesen Strategien gelingt es den zivilgesellschaftlichen Akteuren häufiger, ihre legitimen Interessen durchzusetzen. Insbesondere ist das der Fall, wenn sich der parlamentarische Beratungsprozess länger hinzieht, weil es in der Regel nicht schwer fällt, Zweifel an den Konsolidierungserzählungen der Verwaltung zu streuen und im Bündnis mit der Fachpolitik und der Bezirksvertretung die Mehrheitsfraktionen öffentlich unter Druck zu setzen. Darin liegt auch der zentrale Grund, warum die Bürgermeister ihrerseits bemüht sind, den Entscheidungsprozess zu beschleunigen und die Entscheidungen als alternativlos zu präsentieren. Das explizit Politische der Haushaltspolitik bei leeren Kassen wird durch die Betonung vermeintlicher Sachzwänge häufig geleugnet. Es gibt also real nichts zu entscheiden und deshalb kann auch keiner politisch für Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden, ist die implizite legitimationsentlastende Formel der kommunalen Entscheidungsträger. Die zivilgesellschaftlichen Akteure werden jedoch bestrebt sein, die Ratsmitglieder als Entscheider in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zu rücken und fachlich akzeptable Alternativen in einer gemeinwohlorientierten Darstellung zu präsentieren. Damit verbinden sie in der Regel die Hoffnung, dass Ratsmitglieder unter dem öffentlichen Druck nachgeben

-Gelingt dies nicht, steht den zivilgesellschaftlichen Akteuren immer noch der Bürgerentscheid als effektive Vetoposition zur Verfügung. Zwar sind Bürgerentscheide zu Haushaltsfragen rechtlich in den meisten Kommunalverfassungen ausgeschlossen, aber in Beratungen mit Verbänden gelingt es häufig, die Abstimmungsfragen und -inhalte so zu strukturieren, dass der Bürgerentscheid vom Stadtrat für zulässig erklärt wird. So waren beispielsweise viele Bürgerentscheide gegen Privatisierungsvorhaben in der Vergangenheit erfolgreich, so dass bereits die Androhung von Bürgerbegehren häufiger zu einem Einlenken des Kommunalparlaments führt

-Schließlich können Kommunalpolitik und Verwaltung dieses erhebliche Widerstandspotential frühzeitig antizipieren und auf Haushaltskonsolidierung weitgehend verzichten, selbst wenn die Kommunalaufsicht Druck ausübt, wie es am Beispiel des Einrichtens im Nothaushaltsrecht gezeigt wurde. Bilanzen werden dann geschönt, um an der Fiktion des Haushaltsausgleichs festzuhalten, ohne dass hierauf tatsächlich Konsolidierungsmaßnahmen folgen.

Public Governance und Bürgerhaushalte


-Im neuen Jahrtausend entdeckt die politikwissenschaftliche Verwaltungsforschung „Public Governance“ als neues Leitbild der Verwaltung. Es wird als das neue „Zauberwort der Verwaltungsreform“ (Nullmeier 2007: 15) und legitimer Nachfolger des New Public Managements präsentiert. Mit diesem Reformleitbild werde nun vor allem eine stärkere Partizipation des Bürgers angestrebt (Janning 2006: 91). Bei diesem engen Governance-Begriff ist im Gegensatz zum weiten Begriff, der als analytische Perspektive das Zusammenspiel von Hierarchie, Verhandlung, Mehrheitsentscheidungen und Wettbewerb interpretiert, Governance häufig nur ein anderes Wort für intensive dialogorientierte Bürgerbeteiligung und Verhandlungssysteme.

-Das Verwaltungsreformleitbild „Public Governance“ hat aus dieser engen Perspektive mit dem New Public Management eine grundlegende Skepsis gegenüber hierarchischen Steuerungsreformen gemeinsam, setzt aber nicht auf mehr Wettbewerb und Anreize, sondern auf „netzwerkartige Steuerungsformen als zweite Alternative zu traditioneller hierarchischer Steuerung“. Die „Managementmode“ ist danach weitgehend vorüber und es kommt zu einer „steilen Karriere des Governance-Konzepts“ durch „Lernprozesse der Verwaltungsakteure“ , die sich nun von der einseitigen Effizienzorientierung des Neuen Steuerungsmodells lösen würden. Effektivität und demokratische Legitimation durch Partizipation stünden in den Verwaltungsleitbildern nun hoch im Kurs

-Als prominentes Beispiel für diese Entwicklung wird der Reformtrend in den Kommunen vom Neuen Steuerungsmodell zur Bürgerkommune und Bürgerbeteiligung angeführt. Netzwerkartige Koordination und Enthierarchisierung werden in der governanceorientierten Verwaltungswissenschaft nicht nur im Verhältnis der Verwaltung zu den Bürgern, sondern vermehrt auch innerhalb der Verwaltungen ausgemacht. Selbst die Kommunalaufsicht wird aus dieser Perspektive zunehmend durch kooperatives Verwaltungshandeln und Beratungsleistungen geprägt (Wegrich 2006: 231). Netzwerke Auch in der lokalen Politikforschung wird Governance häufig als Ablösung von hierarchischer Steuerung durch partizipative bzw. diskursive Verhandlungssysteme gedeutet (Heinelt 2004). In diesen werden gemeinsame, gleichberechtigte und freiwillige Problemlösungen ausgehandelt bzw. „ausargumentiert“

-Dieser empirisch konstatierte Entwicklungstrend wird oftmalig aus einer funktionalistischen Perspektive begründet. Diskursive Verhandlungssysteme, wie z. B. der Bürgerhaushalt, setzen sich danach als effektivere Koordinationsformen gegenüber hierarchischer und marktlicher Koordination durch. Sie führen zu Synergieeffekten zwischen Verwaltung und Bürgern und hierdurch werden problemgerechtere Lösungen erzielt. Selbst unter ökonomischen Effizienzgesichtspunkten soll sich danach die Beteiligung aller Gruppen rechnen, weil dadurch Proteste und Klagen vor den Verwaltungsgerichten reduziert werden könnten und damit für Investoren eine höhere Berechenbarkeit entstünde. Durch Partizipation könne zugleich eine höhere Output- und Input-Legitimität erreicht werden. Dies wird zunehmend mit Begriffen wie „partizipative Governance“ oder „Good Governance“ postuliert, unter denen die partizipatorische Demokratietheorie eine bemerkenswerte Renaissance erfährt.

-Die empirischen Belege für diese Kehrtwende der Verwaltungspraxis fallen allerdings bescheiden aus

Allerdings wird auch von diesen Vordenkern schon früh konstatiert, dass das Leitbild des Aktivierenden Staates in der Regierungspraxis schon nach 2002 „archiviert und vergessen“ worden sei und dass politische Begriffe wie „Good Governance“ in vielen Fällen „nur ablenken sollen von der Delegation der Verantwortung an die Bürger oder andere Akteure“. Damit lässt sich vorwiegend der haushaltspolitisch motivierte Abbau von sozialpolitischen Leistungen legitimieren

-Eher dominieren weiterhin hierarchische Koordination und Haushaltskonsolidierung. Vieles deutet darauf hin, dass bei dieser Governance-Hypothese der „Wunsch der Vater des Gedanken“ gewesen ist. Es geht bei diesem Governance-Ansatz nicht nur um empirische Analyse, sondern auch darum mehr Governance „normativ einzufordern“, was allerdings entgegen sozialwissenschaftlichen Standards nicht intersubjektiv nachvollziehbar voneinander getrennt wird. Durch die enttäuschte Planungseuphorie der 1970er Jahre ist die Politikwissenschaft mit normativen Empfehlungen vorsichtiger geworden und tendiert dazu, eigene normative Entwürfe als empirischen Trend zu deuten. Man empfiehlt nicht direkt das Governance-Konzept, dass die klassischen Anliegen der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung – die demokratische Legitimation und die Effektivität – transportiert, sondern man macht einen empirischen Trend in der Verwaltungspraxis zu „Public Governance“ aus, die häufig allerdings schon mit dem Begriff wenig anfangen kann. Lediglich für den Bereich der Bürgerbeteiligung konnte in den 1990er Jahren empirisch eine Zunahme von partizipativen Verhandlungssystemen festgestellt werden

Erfolgsbedingungen von Verwaltungsreformen


-Mit der Vernachlässigung der Haushaltskonsolidierung als zentrales Reformmotiv hat sich die Politikwissenschaft spätestens seit den 1990er Jahren weit von der deutschen Verwaltungspraxis entfernt. Das New Public Management wurde anfangs kaum beachtet und die späteren politikwissenschaftlichen Empfehlungen, um die massiven Implementationsprobleme dieser Reform zu reduzieren, verfehlten überwiegend die eigentlichen Themen der Reform – die Effizienz und damit die Haushaltskonsolidierung.

-Im Kern folgten diese politikwissenschaftlichen Empfehlungen Erfolgsbedingungen, die schon Fritz Scharpf vor dem Hintergrund der effektivitätsorientierten Verwaltungsreformen in den 1970er Jahren entwickelt hatte: Erfolgsbedingungen – Reformer müssen danach einen „langen Atem“ haben und einen zumindest vorübergehend zu erwartenden Funktionsverlust der Organisation tolerieren. Der Erfolg von Reformen stellt sich, wenn überhaupt, erst langfristig ein. – Reformer müssen möglichst einen parteiübergreifenden Konsens herstellen, weil sonst die Verwaltungsmitarbeiter bei der (mangelnden) Umsetzung auf einen Regierungswechsel spekulieren können. – Man muss Reformpromotoren in der Leitung der Verwaltungseinheiten finden und auch die „einfachen“ Mitarbeiter müssen motiviert sein.

-Verwaltungsreformen können danach also nicht generell durch hierarchische Intervention umgesetzt werden, sondern es muss ein langfristiger Konsens aller politischen Entscheidungsträger bestehen, in den möglichst auch die Verwaltungsmitarbeiter eingeschlossen sind.

-Demgegenüber lässt sich aber für effizienzorientierte Verwaltungsreformen berechtigt fragen: Wie soll bei starkem Konsolidierungsdruck eine Politik des „langen Atems“ verfolgt werden? Wie kann man bei angestrebtem Personalabbau die Verwaltungsmitarbeiter zu mehr Beschäftigtenbeteiligung bewegen, die auch noch die Mitarbeitermotivation erhöhen soll? Wie kann man die Oppositionsfraktionen dauerhaft dazu motivieren Konsolidierungsmaßnahmen mitzutragen? In der Verwaltungspraxis erwiesen sich diese politikwissenschaftlichen Empfehlungen als kaum umsetzbar, weil sie nicht die Interessen und Konflikte der Akteure in der Haushaltskonsolidierung hinreichend reflektieren.

Bürgerbeteiligung in der Haushaltskrise


Ressourcenthese:

Typisch für die Governance-These für den Bereich der Bürgerbeteiligung, die die unterstellte Zunahme von runden Tischen als „vernünftige“ Reaktion auf gesellschaftliche Herausforderungen deutet, ist, dass sie die Kosten-Nutzen-Kalküle und die begrenzten Ressourcen der Akteure oftmals ausblendet. Politisches Handeln und der Prozess der Informationsbeschaffung konkurrieren aber aus der Rational-Choice-Perspektive mit anderen Freizeittätigkeiten der Bürger, wobei der Nutzen des politischen Handelns angesichts der geringen Einflussmöglichkeiten des Einzelnen relativ gering sein kann (Lindner 1990)86. Dies gilt insbesondere dann, wenn die dezentrale politische Ebene mit finanziellen Ressourcen unterausgestattet ist und deshalb kaum mit der Umsetzung von Beteiligungsergebnissen zu rechnen ist. Dann droht eine „Demokratisierung der Machtlosigkeit“ (Roth 2001: 139), die die Nachfrage nach Beteiligungsangeboten bei den Bürgern tendenziell sinken lassen könnte. Den demokratischen Potenzialen der kommunalen Selbstverwaltung steht in der Haushaltskrise häufiger ein massiver Demokratieabbau durch symbolische Politikangebote gegenüber, so wie dies auch für die nationalstaatliche Ebene konstatiert wird. Die Politik hat aufgrund steigender Staatsverschuldung geringere Haushaltsspielräume und verliert an materieller Responsivität. „Je mehr ihre disponiblen Ressourcen schwinden, desto weniger dürfen ihre Bürger von ihr erwarten, und desto weniger erwarten sie“. Warum sollten sich die Bürger unter diesen Vorzeichen überhaupt noch an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen wollen, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt?

Modethese:

Dieser rationalistische Problemlösungsbias des politik- und verwaltungswissenschaftlichen Mainstreams wird radikal vom soziologischen Neoinstitutionalismus durchbrochen, der zunehmend auch auf Bürgerbeteiligung und Verwaltungsreformen angewendet wird. Bürgerbeteiligung kann danach zugespitzt als Modewelle eingeordnet werden. Sie galt als moderne Institution, die anfangs von vielen Kommunen imitiert wurde, die sich inzwischen aber „noch moderneren“ Reformen, wie beispielsweise dem NKF, zugewandt haben. In empirischen Untersuchungen zur zeitweise sehr verbreiteten Bürgerbeteiligung im Rahmen der sog. Lokalen Agenda wurde so auch konstatiert, dass sie lediglich aus Legitimationsgründen auf der Verlautbarungsebene eingeführt wurde, aber auf der Handlungsebene von Politik und Verwaltung keinerlei nennenswerte Folgen zeigen

Pfadabhängigkeitsthese:

Schließlich könnte viertens mit der Pfadabhängigkeitsthese angelehnt an den historischen Institutionalismus auch das Gegenteil zur Ressourcenthese behauptet werden. Geschichte verläuft danach gerade nicht effizient, wie es der Rational-Choice-Institutionalismus suggeriert, sondern aufgrund der Interessen und Machtpotentiale der Entscheidungsträger und der kognitiven Reproduktion von Institutionen, die mit der Zeit für die Eliten als funktional, legitim und alternativlos gelten, werden alte Techniken und Verfahren auch und gerade in Krisen fortgeschrieben. Pfadabhängigkeitsthese Damit könnte prinzipiell auch erwartet werden, dass insbesondere Kommunen mit gravierenden Haushaltsproblemen an institutionalisierten Beteiligungsinstrumenten festhalten, auch wenn sie sich als ineffizient in den Augen der Akteure erwiesen haben sollten.

-Der Ressourcenthese folgend, die der Governance-These fundamental widerspricht, wäre zu erwarten, dass durch die sich zuspitzende Haushaltskrise lediglich beim Aktiven Beschwerdemanagement nicht mit einem Rückgang zu rechnen ist und diese Beteiligungsform auch in Kommunen mit erheblichen Haushaltproblemen, den Nothaushaltskommunen, starke Anwendung findet. Die anderen Beteiligungsinstrumente dürften aufgrund ihrer Ressourcenintensivität, sei es durch die Exit-Option der Bürger oder die der Verwaltung, eine geringere Anwendung in den letzten Jahren finden und aktuell weniger in Nothaushaltskommunen eingesetzt werden.

Beteiligungsinstrumente für Bürger


-Bürgerbefragung als Partizipationsinstrument mit ein, die in vielen Großstädten schon seit mehreren Jahrzehnten eingesetzt wird. Dabei werden häufig die gleichen Fragebatterien zu allgemeinen kommunalen Themen verwendet, um Zeitreihen bilden und sich mit anderen Städten vergleichen zu können. Bürgerbefragungen sind nicht dialogorientiert und enthalten in der Regel nur wenig offene Fragestellungen. Die Beteiligungsintensität ist im Vergleich zu Bürgerforen relativ gering, so dass von den Bürgern verhältnismäßig wenig Zeit investiert werden muss, wobei die Kosten dieses Verfahrens für die Kommune (Anschreiben, Auswertung etc.), insbesondere wenn es kontinuierlich angewendet wird, relativ hoch sind (Deutscher Städtetag 1997). Bürgerforen können demgegenüber relativ kostengünstig durch die eigene Verwaltung (dann aber evtl. höhere Zeitbelastung) durchgeführt werden, während dauerhafte dialogorientierte Beteiligungsverfahren, wie Senioren- und Jugendbeiräte, erhebliche Kosten verursachen dürften und auch für die beteiligten Bürger ressourcenintensiv sind.

-Die geringsten Ansprüche an die Ressourcen der Akteure stellt das Aktive Beschwerdemanagement. Es greift lediglich die Beschwerden von Bürgern auf, die diese traditionell an die Verwaltung und Politik richten und garantiert die schnelle Bewortung und einen einheitlichen Ansprechpartner, so dass es zumindest auf konzeptioneller Ebene weniger Zeit erfordert als die klassische Beschwerde. Zugleich soll auch in der Verwaltung der Umgang mit Beschwerden effizienter werden, indem nicht aufgrund starker Arbeitsteilung die Beschwerden zwischen den Ämtern hin- und hergeschoben und damit doppelt und dreifach bearbeitet werden. Zudem fallen keine zusätzlichen Verwaltungskosten für die Erhebung der Bürgermeinung im Gegensatz zur Bürgerbefragung an.

-Bürgerforen:

Tatsächlich offenbart der empirische Zeitvergleich einen deutlichen Rückgang bei einigen Bürgerforen nach Angaben der Bürgermeister im Jahre 2002 und 2010. Insbesondere die Beteiligung bei der Lokalen Agenda geht entsprechend der Ressourcenthese deutlich zurück und die angestrebte dauerhafte Institutionalisierung des Nachhaltigkeitsdiskurses ist offensichtlich in nicht wenigen Kommunen gescheitert

-Auffällig ist aber auch, dass Bürgerforen nicht in allen Bereichen zurückgeführt wurden. Negativ ist die Entwicklung vor allem in den Bereichen (Lokale Agenda, Stadtmarketing und Kriminalprävention), in denen Bürgerforen finanziell durch die Landesregierung in den 1990er Jahren noch unterstützt wurden (vgl. Holtkamp 2000), die nun kaum noch gefördert werden. Dies kann sowohl als ein Beleg für die Ressourcen als auch für die Modethese angeführt werden. Landesregierungen fördern in der Regel zeitlich befristet Beteiligungsprojekte und wenn sich diese in einem Politikfeld etwas etabliert haben, werden neue „noch modernere“ Projekte gefördert. Diese „goldenen Zügel“ dürften in den Kommunen insbesondere dann eine erhebliche Steuerungswirkung haben, wenn die finanziellen Ressourcen in den Kommunen abnehmen

-Probleme von Bürgerforen:

In einem nächsten Schritt wurden die nordrhein-westfälischen Bürgermeister in den Städten mit über 20.000 Einwohnern 2002 und 2010 nach den wesentlichen Problemen von Bürgerforen gefragt. Deutlicher als 2002 heben die Bürgermeister in der aktuellen Erhebung hervor, dass nur ein kleiner Kreis der Bürger an den Bürgerforen teilnimmt, was darauf schließen lässt, dass die Bürger in der kommunalen Haushaltskrise zunehmend von der Exit-Option Gebrauch machen, weil bei konstant hohem Aufwand bei der Teilnahme an runden Tischen die Umsetzungswahrscheinlichkeit von Beteiligungsergebnissen tendenziell zurückgeh

-Allerdings wird deutlicher hervorgehoben, dass Beteiligungsforen viel Zeit bei Politik und Verwaltung erfordern und angesichts des wahrgenommenen geringen politischen Nutzens – eher höhere Politikerverdrossenheit durch Beteiligung und geringe Teilnahme der Bürger– kann der Rückgang der Bürgerforen auch mit dem geringeren, rational-kalkulierten Engagement der zentralen Entscheidungsträger erklärt werden

-So wurde u. a. gefragt, worin sie sehr wichtige Ursachen dafür sehen, dass Ergebnisse von Bürgerforen häufiger von ihnen oder der Verwaltung nicht umgesetzt werden. Wesentliche Ursachen mit deutlich steigender Tendenz sehen sie darin, dass die kommunalen Handlungsspielräume zu klein und die Bürgerwünsche nicht finanzierbar sind. Dies bestätigt nochmals die Ressourcenthese, dass Bürgerbeteiligung in der Haushaltskrise aus Sicht der Beteiligten schwerer und weniger „lohnend“ ist, wobei auch die Kommunalpolitiker häufiger anführen, dass Beteiligungsangebote relativ unreflektiert eingesetzt werden, weil sie als modern gelten (vgl. Modethese).

Einfluss von Beteiligungsinstrumenten in Nothaushaltskommunen



-Während sich also im Zeitvergleich bei den Bürgerforen viele empirische Belege für die Ressourcenthese finden, sind im Querschnittvergleich keine größeren Unterschiede beim Einsatz und bei den referierten Problemen zwischen Kommunen ohne besonders gravierende Haushaltsprobleme und Nothaushaltskommunen zu konstatieren. Bei der Untersuchung der anderen Beteiligungsinstrumente zeigen sich demgegenüber signifikante Unterschiede hinsichtlich des Einsatzes in Nothaushaltskommunen im Vergleich zu den anderen Kommunen (vgl. Abbildung 52). Seniorenbeiräte werden entsprechend der Pfadabhängigkeitsthese signifikant häufiger in Nothaushaltskommunen eingesetzt. Als meist über Jahre fest institutionalisierte, politische Gremien sind sie offensichtlich in Nothaushaltskommunen schwerer aufzulösen. Anders sieht es bei den nur wenig institutionalisierten Bürgerbefragungen entsprechend der Ressourcenthese aus.

-In Nothaushaltskommunen werden sie im signifikanten Maße (unter Kontrolle der Drittvariable Gemeindegröße) weniger eingesetzt. Beim Aktiven Beschwerdemanagement zeigen sich hingegen knapp keine signifikanten Unterschiede bei Nothaushaltskommunen, wobei die Prozentzahlen schon darauf hindeuten, dass es stärker in Nothaushaltskommunen umgesetzt wird. Im Zeitvergleich ist zudem erkennbar, dass im Vergleich zu 2002 die Nutzung des Aktiven Beschwerdemanagements in den nordrhein-westfälischen Kommunen mit über 20.000 Einwohnern nicht zurückgegangen ist


-Dass die Bürgerforen im Querschnittvergleich nicht der Ressourcenthese entsprechen, kann bei allgemein zu konstatierendem Rückgang als empirischer Beleg eher für die Modethese eingeordnet werden. Danach würden Bürgerforen nicht wegen der zunehmenden Haushaltsprobleme der Kommune weniger eingesetzt, sondern weil es für die Entscheidungsträger nicht mehr modern wirkt, beispielsweise aktuell zur Beteiligung an der Lokalen Agenda aufzurufen, sondern möglicherweise eher den Eindruck des zu spät gekommenen Nachahmers bzw. „Hinterwäldlers“ vermitteln könnt

-Neben dem Einsatz von Beteiligungsinstrumenten wurde 2010 auch bei den Entscheidungsträgern abgefragt, welchen Einfluss diese Instrumente auf kommunale Entscheidungsprozesse haben. Gemäß der Ressourcenthese geben die Bürgermeister in Nothaushaltskommunen, die Bürgerbefragungen dennoch durchgeführt haben, signifikant häufiger an, dass die Ergebnisse der Partizipationsinstrumente nur einen geringen Einfluss auf die Verwaltungsarbeit haben, so dass bei schwieriger Haushaltslage Partizipation häufiger folgenlos ist.

-Beim Aktiven Beschwerdemanagement gibt es hingegen keinen signifikanten Einfluss der Haushaltslage bei diesem Item zu verzeichnen (vgl. Abbildung 53)88. Demgegenüber bestätigt sich beim Seniorenbeirat die Pfadabhängigkeitsthese. In Nothaushaltskommunen haben Beiräte aus Sicht der Befragten signifikant weniger Einfluss auf die Verwaltungsarbeit und dennoch „leistet“ man sich deutlich häufiger einen Seniorenbeirat als Kommunen ohne gravierende Haushaltsprobleme.

-Diese Sichtweise zu dem Einfluss der Beteiligungsinstrumente wird überwiegend auch von den befragten Fraktionsvorsitzenden bestätigt. Sie waren im signifikanten Maße in Nothaushaltskommunen im Vergleich zu den Fraktionsvorsitzenden in Kommunen ohne Nothaushalt eher nicht der Auffassung, dass die Ergebnisse der Beiräte einige Routinen in der Verwaltung in Frage stellen89. Die Bürgermeister in Nothaushaltskommunen stimmen zudem in signifikantem Maße (immer unter Kontrolle der Drittvariable Gemeindegröße) eher der Aussage zu, dass die ständigen Beiräte in der Arbeit des Stadtrates kaum Beachtung finden, was im Übrigen auch für die Verwaltung gelte

-Deutlich wird in der Analyse, dass das Aktive Beschwerdemanagement der nach Beteiligungsinstrumenten differenzierten Ressourcenthese zufolge in der Haushaltskrise nicht weniger eingesetzt wird und es gibt auch keine nennenswerten signifikanten Unterschiede zwischen Nothaushaltskommunen und Kommunen ohne gravierende Haushaltsprobleme zu verzeichnen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass das Beschwerdemanagement weder für die Verwaltung noch für die Bürger Mehraufwand produziert, sondern zumindest von der Konzeption her und nach früheren Evaluationsergebnissen eher eine effizientere Abwicklung von Beschwerden erwarten lässt (Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003). Zugleich ist eine „rationale Abwahl“ durch die Bürger kaum möglich. Selbst wenn Beschwerden aufgrund der Haushaltskrise kaum umgesetzt würden, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass alle Bürger auf Beschwerden verzichten, so wie z. B. Bürgerforen teilweise nicht stattfinden, weil Bürger angesichts ihrer subjektiven Kosten-Nutzen-Bilanz zu Hause bleiben. Höchstens wäre ein Rückgang der Beschwerden möglich, was aber eher als Leistung des Aktiven Beschwerdemanagement dargestellt werden könnte.

—> Also auch in dieser Hinsicht ist das Aktive Beschwerdemanagement politisch „krisensicher“


-Die Abnahme von Bürgerforen spricht also eher für die Ressourcen- und bedingt für die Modethese. Die mit Landesprogrammen geförderten Beteiligungsangebote der Lokalen Agenda, des Stadtmarketings und der Kriminalprävention sind zu einem guten Teil mit ihrer Verbreitung in den Kommunen ausgelaufen.

-Mit einer Neuauflage dieser Programme auf Landesebene oder dem Neueinsatz der Beteiligung in diesen Bereichen in den Kommunen wird man kaum die gesellschaftlichen Erwartungen an Verwaltungsmodernität noch erfüllen können, sondern eher als zu spät gekommener „Hinterwäldler“ gelten. Ohne finanzielle Unterstützung durch die „goldenen Zügel“ bei engen kommunalen Handlungsspielräumen und damit eher negativen Kosten-Nutzen-Kalkülen machen die Bürger und die kommunalen Entscheidungsträger zunehmend von der Exit-Option Gebrauch.

-Auch für andere Beteiligungsinstrumente, wie die Bürgerbefragungen, konnte nachgewiesen werden, dass die Haushaltslage der Kommunen eine entscheidende Rolle spielt. Nothaushaltskommunen setzen aktuell Bürgerbefragungen in signifikantem Maße weniger ein. Zumal sich auch aus Sicht der Entscheidungsträger gezeigt hat, dass die Bürgerbefragung unter schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen wenig Einfluss auf die Verwaltungsarbeit hat. Auch beim Aktiven Beschwerdemanagement bestätigt sich eher die Ressourcenthese. Bei wenig Aufwand für Bürger und Entscheidungsträger spielt die Haushaltslage beim Einsatz dieses Instruments in den Kommunen keine bedeutende Rolle. Lediglich bei den Seniorenbeiräten sind auch empirische Belege für die Pfadabhängigkeitsthese nachgewiesen worden. Nothaushaltskommunen „leisten“ sich signifikant häufiger dieses dauerhafte, ressourcenintensive Beteiligungsinstrument und die Befragten geben zugleich an, dass unter diesen finanziellen Rahmenbedingungen seine Auswirkungen auf die Verwaltung eher gering sind. Bei diesen fest institutionalisiertem Beteiligungsverfahren wurde also anders als bei den anderen Beteiligungsinstrumenten die Ressourcenthese eindeutig widerlegt

Direktdemokratische Angebote


-Theoretisch können sich diese Beteiligungsmodelle auch auf Rational-ChoiceAnsätze stützen. Im Gegensatz zum Zentralisierungsansatz wird im partizipativen Rational-Choice-Ansatz, wie im theoretischen Teil skizziert, davon ausgegangen, dass in der direkten Demokratie die Bürger aufgrund ihrer höheren Entscheidungskompetenzen einen Anreiz haben sich mehr zu informieren und zu beteiligen. Der Bürger ist dann nicht mehr „Mitglied eines handlungsunfähigen Komitees“ und rationaler Ignorant, sondern er beteiligt sich, weil er davon ausgeht etwas im Sinne seiner politischen Präferenzen erreichen zu können. Durch umfassende Bürger- und Volksentscheide zu Haushaltsfragen kann es dann zu einer Integration der Steuerzahler- und Konsumentenrolle kommen, wenn die Bürgerschaft gleichzeitig über Ausgaben und Einnahmen abstimmen kann-Dadurch können die Ausgabenwünsche der Bürger gedrosselt und somit eine Erhöhung der Output- und gleichzeitig der Input-Legitimation erreicht werden. Zugleich können die Prinzipal-Agent-Probleme zwischen Wählern und Politikern reduziert werden, weil Politiker in der direkten Demokratie weniger Spielräume haben, ihre privaten Ziele auf Kosten der Steuerzahler und der Staatsverschuldung zu verfolgen bzw. den Budgetexpansionsinteressen der Bürokratie nachzugeben

-Insbesondere die Schweiz kann hierfür als treffendes Beispiel angeführt werden. In Untersuchungen für die Schweizer Kommunen wurde empirisch sogar belegt, dass zur Verringerung der öffentlichen Schulden direktdemokratische Elemente wirksamer sind als eine Stärkung der Kompetenzen der Steuerungspolitiker nach dem Zentralisierungsansatz (Feld/Kirchgässner 2000). Beispiel Schweiz Allerdings ist die Frage, wie „reisefähig“ dieses Modell ist. Was in der Schweiz in direktdemokratischen Institutionen im Sinne der Input- und Output-Legitimation „gut funktionieren“ mag, kann unter anderen Kontextbedingungen auch das Gegenteil bewirken, wie es sich in empirischen Analysen zu nordrhein-westfälischen Kommunen andeutet.

-Seit der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den 1990er Jahren in den deutschen Kommunen – bei durchaus unterschiedlichen Regelungen in den Gemeindeordnungen der Bundesländer– mehren sich die empirischen Belege, dass die direkte Demokratie nichts zur Haushaltskonsolidierung beiträgt. Bürgerbegehren zielen in NRW häufig auf den Erhalt des Status quo ab, so dass kommunalpolitische Innovationen schwer zu realisieren sind und damit die kommunalen Handlungsspielräume weiter eingeengt werden. Darüber hinaus haben die Bürgerentscheide in NRW die Haushaltsprobleme der Kommunen sogar tendenziell verstärkt. Zunächst sind bei dieser Bewertung die hohen direkten Kosten bei der Durchführung zu berücksichtigen, die angesichts sehr begrenzter Verteilungsspielräume in den Verwaltungshaushalten besonders schwer wiegen

-Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben in der Haushaltssicherung im Gegenteil durchweg Maßnahmen ergriffen, um ihre Ausgaben zu verringern und zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Gegen diese Konsolidierungsmaßnahmen richteten sich aufgrund der starken Status-quo-Orientierung der Bürger häufig unter Führung der Oppositionsparteien die Bürgerbegehren (z.B. Schließung von Bädern, Erhebung von Parkgebühren und Privatisierung). Bereits die Androhung eines Bürgerentscheides bringt bei stark ausgeprägtem Parteienwettbewerb die Mehrheitsfraktion nicht selten dazu, auf unpopuläre Konsolidierungsoptionen zu verzichten

-Die Kommunen in NRW haben deutlich geringere Einnahmekompetenzen als in der Schweiz, so dass sich Mehrausgaben nicht unmittelbar und transparent in Steuererhöhungen niederschlagen. Dadurch wird in NRW bei Bürgerbegehren der Bürger weniger als Steuerzahler angesprochen und hat weniger Anreize seine Ausgabenwünsche in der Konsumentenrolle zu reduzieren. Steuerzahler und Konsumentenrolle Zweitens variiert ganz erheblich die institutionelle Ausprägung der direkten Demokratie. Bürgerentscheide direkt zu kommunalen Steuern, Ausgaben und der Aufnahme von Krediten waren im Untersuchungszeitraum in NRW wie in den meisten deutschen Kommunalverfassungen ausgeschlossen.

Deshalb wird auch nicht die Steuerzahlerrolle der Wähler gestärkt, sondern es wird nur über einzelne Ausgabenprojekte mit starken fachpolitischen Bezügen abgestimmt. In einigen Schweizer Kantonen können die Bürger im Gegensatz dazu nicht nur durch Bürgerbegehren in den Kommunen eine Beteiligung an Haushaltsfragen erzwingen, sondern bei der Überschreitung von definierten Obergrenzen von Ausgaben und Krediten müssen den Bürgern obligatorisch (ohne ihr „Begehren“) die Verwaltungsvorlagen zur Abstimmung vorgelegt werden

-Drittens geht es in NRW-Kommunen nach der Einführung von Bürgerbegehren darum, den Haushalt ausgehend von einem hohen Ausgabenniveau und erheblichen Erblasten zu konsolidieren. In den Schweizer Kommunen kam es hingegen bei traditionell ausgeprägter Direktdemokratie erst gar nicht zu diesem ausgeprägten Ausgaben- und Verschuldungswachstum. Damit lässt sich für nordrhein westfälische Kommunen der Befund der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung anführen, dass die direkte Demokratie als Vetoposition kurzfristige einschneidende Politikwechsel unwahrscheinlich macht

-Viertens variieren die politischen Konfliktregelungsmuster und Interaktionsorientierungen erheblich. Bei in NRW-Kommunen stärker ausgeprägter Konkurrenzdemokratie können die Oppositionsfraktionen die direkte Demokratie instrumentalisieren, um gegen Konsolidierungsentscheidungen der Mehrheitsfraktionen die Bürgerschaft als Vetospieler zu mobilisieren. Sie verlagern damit den Dissens von der parlamentarischen in die direktdemokratische Arena, um die Abstimmungsniederlage im Kommunalparlament über die Bürger(-entscheide) wieder rückgängig zu machen.93 In der Schweizer Konkordanzdemokratie wäre demgegenüber eher zu erwarten, dass alle Parteien in Sparbeschlüsse eingebunden werden und dementsprechend hinterher nur wenig Anreize haben dürften ihre gemeinsamen Beschlüsse durch Bürgerbegehren wieder in Frage zu stellen

-weiche Beteiligungsangebote:

aus pragmatischen Gründen haben sich die bundesdeutschen Kommunen schon früh auf andere kommunale Reformvorhaben wie die Bürgerkommune und den sog. Bürgerhaushalt konzentriert, um eine Steigerung der Input- und Outputlegitimität zu erreichen. Diese Beteiligungsangebote unterscheiden sich grundlegend darin von direktdemokratischen Elementen, dass das Kommunalparlament bei diesen „weichen“ Beteiligungsangeboten das Letztentscheidungsrecht hat und deshalb die Bürger darauf angewiesen sind, dass die kommunalen Entscheidungsträger tatsächlich Beteiligungsergebnisse umsetzen wollen und aus Sicht der Haushaltsaufsicht auch umsetzen dürfen. Bei zugelassenen Bürgerentscheiden, bei denen zuvor die Haushaltsdeckung der Vorschläge nur sehr allgemein geprüft wird, müssen die Abstimmungsergebnisse vom Kommunalparlament dagegen ohne nennenswerte Einflussmöglichkeiten der Haushaltsaufsicht umgesetzt werden, selbst wenn sie den Kommunalhaushalt stärker belasten.

Das Reformmodell Bürgerkommune

-Das Konzept der Bürgerkommune baut auf einen im Zuge des Neuen Steuerungsmodells formulierten Leistungsverstärker auf. Der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Haushaltssicherungskommune Arnsberg, Hans Josef Vogel, der als einer der Begründer des Bürgerkommune-Ansatzes in der Praxis gelten kann, propagierte schon früh eine starke Kundenorientierung der Verwaltung, deren Potential in der damaligen NSM-Diskussion „übersehen oder nicht ausreichend berücksichtigt“ (Vogel 1995: 360) wurde. Er führte in Bürgerämtern die Leistungen der Verwaltung zusammen und warb mit dem Aktiven Beschwerdemanagement dafür, dass sich die Bürger über die Verwaltung beschweren sollten, damit diese ihren Output verbessern könne. Zudem führte er Beteiligungsverfahren in der Aufraggeberolle ein und beteiligte die Bürger an den Entscheidungsprozessen zu konkreten Planungsprojekten. Darüber hinaus bezog er die Bürger durch die Übergabe von Sportplätzen etc. an Vereine in die Mitgestaltung des kommunalen Outputs mit ein. Er setzte hierbei im Zuge der Kommunitarismusdebatte auf Appelle an die gemeinschaftliche Identität und immaterielle Anreize. Hinzu kamen aber auch finanzielle Anreize. So beteiligte er die Vereine an der„Rationalisierungsdividende“, die durch Personaleinsparungen in der Stadtverwaltung im Zuge der Aufgabenübertragung zu verzeichnen war.

-Hierbei handelte es sich im Kern um ein ganz typisches Konsolidierungsinstrument, das in NRW-Kommunen mit immer weiter steigenden Haushaltsdefiziten vermehrt eingesetzt wurde und als Aufgabenübertragung auch in anderen Bereichen heute noch an Bedeutung zunimmt (Bürgerbäder, Bürgerstiftungen, ehrenamtliche Bibliotheken etc.). In der kommunalen Praxis wurde auch die Möglichkeit betont, dass bürgerschaftliches Engagement als kostendämpfendes Allokationsinstrument dienen kann, das wiederum Anreize für Beteiligung schafft

-. Wenn die Gemeinden in vielen Bereichen nur noch unter der Bedingung, dass die Bürger auch einen Eigenanteil miteinbringen, neue Investitionen durchführen, werden sich demzufolge die Bürger genau überlegen, für welche Investitionen sie sich einsetzen. „Je größer die Bereitschaft zur Mithilfe ist, desto höher fällt die Unterstützung der Stadt bei der Umsetzung aus. Damit wird sichergestellt, daß nur Maßnahmen durchgeführt werden, für die ein echter Bedarf besteht"

-Das Konzept der Bürgerkommune war somit insgesamt von Anfang an auf knappe Haushaltsressourcen abgestimmt. Vor dem Hintergrund der Arnsberger Initiativen und bereits vorliegender Evaluationsstudien zu einzelnen Beteiligungsinstrumenten wurde schließlich das Leitbild der Bürgerkommune systematisiert und für die Praxis plakativ zusammengefasst: Leitbild Bürgerkommune

- Danach geht es bei der Bürgerkommune, aufbauend auf der stärkeren Kundenorientierung, um die Realisierung von Beteiligungsangeboten in der Auftraggeber- und Mitgestalterrolle. Das Leitbild der Bürgerkommune konzentriert sich pragmatisch darauf, was unter den gegebenen schwierigen Rahmenbedingungen in Kooperation mit der Kommunalpolitik und -verwaltung (und nicht gegen sie, wie teilweise durch Bürgerentscheide) möglich ist. Die Bürger sollen dazu ermutigt werden, sich stärker mit ihrem Wissen und ehrenamtlichen Potenzial einzubringen, um eine bedarfsgerechte und effiziente kommunale Aufgabenerledigung zu gewährleisten und Demokratie vor Ort produktiv mitzugestalten

-Im Leitbild der Bürgerkommune ist es Aufgabe der kommunalen Entscheidungsträger, durch vorausschauendes Partizipationsmanagement die Beteiligungsthemen so zuzuschneiden, dass die Bürger nicht überfordert werden. Dabei ist den durchaus interessengeleiteten Engagementmotiven der Bürger Rechnung zu tragen. Die Beteiligung sollte sich somit eher auf die kleinräumige Planung, konkrete unstrittige Projekte oder Mitwirkung in öffentlichen Einrichtungen in den Stadtteilen konzentrieren. Alles andere ist kaum umsetzbar, was nicht nur auf die Interessen der kommunalen Entscheidungsträger zurückführbar ist, sondern auch bei den Bürgern kann keineswegs eine bedingungslose, altruistische Partizipationsbereitschaft vorausgesetzt werden. Häufiger geht es um durchaus egoistische, kleinräumige Anliegen

-Im Rahmen des Partizipationsmanagements sollen sich die kommunalen Entscheidungsträger vor dem Einsatz von Beteiligungsinstrumenten darüber Gedanken machen, wann, an welcher Stelle und zu welchem Thema, Bürger wie zu beteiligen sind. Zwei normative Kriterien sollen für das Partizipationsmanagement in der Bürgerkommune gelten: Anstreben eines nachhaltigen Umgangs mit Partizipationsressourcen und soziale Ausgewogenheit. Die umfassende, zeitintensive Bürgermitwirkung an allen Stadtentwicklungsfragen ist bei diesem Partizipationsverhalten illusorisch bzw. auch wenig wünschenswert

-Der Bürgermeister setzte das aktive Beschwerdemanagement und den Einbezug von Vereinen in die Aufgabenerledigung gegen den Widerstand von Verwaltungsmitarbeitern durch und bestimmte die in Bürgerforen behandelten Themen häufig maßgeblich mit. In einigen anderen nordrhein-westfälischen Kommunen wurden beispielsweise die Aufgabenübertragung von Schwimmbädern durch die Androhung oder Realisierung von Schließungen angestoßen. Vereine und Bürger übernahmen den Betrieb der Bäder erst, als durch hierarchische Vorgaben deutlich wurde, dass andernfalls die Einrichtungen geschlossen würden. Es ist insgesamt also ein Missverständnis, wenn das Reformmodell Bürgerkommune in der politikwissenschaftlichen Literatur immer wieder als Beleg für eine Hinwendung der Verwaltungspraxis zu Public Governance angeführt wird. Es steht nicht für einen Trend von der Hierarchie zu freiwilligen Verhandlungssystemen, sondern die hierarchische Koordination ist weiterhin unter selektivem Einbezug der Bürger prägend.

-Durch Beteiligung gelang es, Teile der Bürgerschaft intensiver in die politische Willensbildung einzubeziehen. Die Bürgerkommune kann auch zur Legitimationsentlastung der kommunalen Entscheidungsträger beitragen. Insbesondere die Verlagerung von Kompetenzen und Aufgaben auf Vereine kann dazu führen, dass Verteilungskonflikte dezentral gelöst werden und kostenintensive Ansprüche der Bürger reduziert werden. Durch Beteiligung können die kommunalen Entscheidungsträger zudem grundsätzlich responsiver werden und bekommen bei kleineren Projekten Informationen mit hoher Qualität, die ihnen über die gewöhnlichen Instrumente (z.B. Expertengutachten) nicht zur Verfügung gestellt werden. Dieser „Informationsmehrwert“ kann bei kommunaler Planung und Dienstleistungsproduktion auch zu effektiveren Problemlösungen führen, wenn die Beteiligungsverfahren auf konkrete Projekte und Produkte bezogen werden. Die Bürgerkommune kann in Teilbereichen einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten, indem Vereine und Bürger in öffentlichen Einrichtungen stärker ihre eigenen Ressourcen einbringen

Bürgerhaushalte in Deutschland


-Im Konzept der Bürgerkommune hatte der sog. Bürgerhaushalt nur eine randständige Bedeutung bzw. wurde teilweise als „linke“ Alternative zur Bürgerkommune präsentiert. Im Gegensatz zur Bürgerkommune sollten hier die Bürger umfassend an der Haushaltsplanung und damit „an der Macht“ (Rupp 2003: 1126) beteiligt werden, was auch in der politikwissenschaftlichen Literatur auf Unterstützung stößt (Sintomer/Herzberg/Röcke 2010; Herzberg 2009). Im Konzept der Bürgerkommune wurde jedoch darauf hingewiesen, dass diese Beteiligung die Bürger und den Haushalt überfordern könne und (wenn überhaupt) eher repräsentative Befragungen als intensive Bürgerforen angebracht sein könnten, um diese Probleme in Kommunen mit Haushaltsdefiziten zu begrenzen

-Zunächst ging es aber bei der Einführung der Bürgerhaushalte in Deutschland, ganz ähnlich wie bei der Bürgerkommune, auch um Haushaltskonsolidierung (Holtkamp 2008). Im Umfeld der Bertelsmann Stiftung (also nicht im linken Parteienspektrum) und durch Unterstützung von Gerhard Banner wurde das Modell des Bürgerhaushalts in Deutschland populär gemacht. Mit Hinweis auf die Schweizer Direktdemokratie wurde propagiert, dass mehr demokratische Beteiligung und Haushaltskonsolidierung kein Widerspruch sein müssten. Als Vorbild galt insbesondere die neuseeländische Stadt Christchurch, die ähnlich wie die Stadt Tilburg von der Bertelsmann Stiftung ausgezeichnet wurde (Herzberg 2009: 105). Nach anfänglichen Versuchen in kleinen baden-württembergischen Kommunen wurden Bürgerhaushalte durch eine gemeinsame Initiative der Bertelsmann Stiftung und des Innenministeriums NRW in nordrhein-westfälischen Kommunen ab 2002 ausprobiert. Der Bürgerhaushalt gliedert sich nach Vorstellung der Promotoren in drei Phasen: Direkt nach Haushaltseinbringung im Stadtrat werden die Bürger über den Gesamthaushalt und einzelne Teilbereiche in verständlich aufbereiteter Form informiert. Hieran schließt sich die Konsultationsphase an, in der die Bürger in Bürgerforen die Möglichkeit erhalten sollen über Prioritäten bei den Sparmaßnahmen oder den Investitionsmaßnahmen zu diskutieren. In der dritten Phase – der Rechenschaft – soll der Rat durch Broschüren bzw. Internetangebote darüber Auskunft geben, welche Beteiligungsergebnisse von ihm umgesetzt wurden bzw. warum bestimmte Ergebnisse nicht umgesetzt wurden. Dies kann auch damit verbunden sein, bereits über die Einbringung des nächsten Haushalts zu informieren, weil der Bürgerhaushalt als Daueraufgabe gilt, so dass in jedem Haushaltsjahr zu informieren, zu beteiligen und Rechenschaft abzulegen ist

-Das Ziel des nordrhein-westfälischen Innenministeriums war es durch Beteiligung und Haushaltstransparenz die Akzeptanz für Konsolidierungsmaßnahmen zu erhöhen, so dass der von der Kommunalaufsicht angemahnte Konsolidierungskurs auch politisch durchgehalten werden kann: „Wenn die Menschen selbst die Sparvorschläge machen, dann akzeptieren sie sie auch eher“, auf diesen Nenner brachte der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens die Erwartungen zum Bürgerhaushalt.95 Die kommunalen Motive für die Einführung des Bürgerhaushaltes, die insbesondere durch die direkt gewählten Bürgermeister forciert wurden, waren durchaus ähnlich: Motive der Entscheidungsträger – Man will Akzeptanz für notwendige Konsolidierungsmaßnahmen schaffen. – Man will die so wahrgenommene „Anspruchsinflation“ bei den Bürgern eindämmen und die geringen Handlungsspielräume verdeutlichen. – Der Bürgermeister will den Rat indirekt durch Partizipationsangebote unter Druck setzen, indem den Steuerzahlern die Kosten von ausgabenexpansiver Politik vor Augen geführt werden

-Die Ergebnisse von Bürgerumfragen in nordrhein-westfälischen Kommunen belegen, dass im Vergleich zu konkreten Projekten das Interesse der Bürger an der Haushaltsplanung, entgegen den Erwartungen der Promotoren der Bürgerhaushaltsidee, nicht sehr ausgeprägt ist. Gerade in größeren Kommunen in NRW, die häufig besonders stark von der Haushaltskrise betroffen sind, ist das geäußerte Interesse der Bürger besonders niedrig

-So zeigen die Evaluationen zum Bürgerhaushalt, dass in einigen mittleren und größeren Städten der Bürgerhaushalt auch wegen der geringen Resonanz aus der Bürgerschaft wieder eingestellt wurde


Probleme von Bürgerhaushalten


-Zudem ist in allen unabhängigen Evaluationen zum Bürgerhaushalt in Deutschland nicht erkennbar, dass in Bürgerforen nennenswerte Konsolidierungsvorschläge entwickelt wurden. Wenn überhaupt eine Deckung der in Bürgerforen geforderten Mehrausgaben angestrebt wurde, wurde eher eine Abgabenerhöhung zu Lasten unbeteiligter Dritter präferiert. In der Regel dominieren Vereine und Interessengruppen die Bürgerforen, die vorwiegend einen Abbau ihrer Förderung bzw. der von ihnen genutzten öffentlichen Einrichtungen vermeiden wollen. Während es für viele Bürger belastend ist, sich in Bürgerforen öffentlich für Leistungskürzungen gegenüber Interessengruppen einzusetzen, ist der Nutzen nur wenig greifbar (z. B. sind spürbare Steuerentlastungen in Defizitkommunen kaum zu erwarten).

-Bürgerforen im Rahmen des Bürgerhaushalts lassen sich als freiwillige Verhandlungssysteme charakterisieren, die auf dem Konsensprinzip basieren, das sich kaum für die Durchsetzung von Umverteilung und Kürzungen eignet. In freiwilligen Verhandlungssystemen werden konflikthafte Entscheidungen, die gerade im Rahmen der Haushaltskonsolidierung anstehen, oft weitgehend ausgeklammert und nicht bearbeitet, damit die wenigen Teilnehmer nicht ihre Exit-Option nutzen. Der Druck der Kleingruppe führt in Bürgerforen häufig auch zu relativ einseitigen konsensualen Sichtweisen, die nicht die Meinung der Mehrheit der Bürger berücksichtigen und häufiger von dieser auch nicht akzeptiert bzw. durch Bürgerbegehren anschließend sogar wieder „kassiert“ werden


-Hinzu kommt, dass spätestens im Nothaushaltsrecht der Haushaltsplan nur wenig aussagekräftig ist und wesentliche haushaltspolitische Entscheidungen in nichtöffentliche Verhandlungen mit den Aufsichtsbehörden verlagert werden. Durch zeitintensive Partizipation würden dann bei den Bürgern Erwartungen geweckt, die hinterher systematisch enttäuscht werden. Nach Ansicht der kommunalen Entscheidungsträger besteht hierin auch die größte Gefahr der Bürgerhaushalte in nordrhein-westfälischen Städten (Köllner 2004: 11). Folge wäre eher eine sinkende und nicht eine steigende Akzeptanz von Konsolidierungsentscheidungen, wie es eigentlich das Ziel der Reformer war. Außerdem bestehen unabhängig von der Haushaltslage in größeren Kommunalparlamenten erhebliche Bedenken gegen Bürgerhaushalte. Zum einen wird befürchtet, dass der Bürgermeister sich im Rahmen des Bürgerhaushalts vorwiegend auf Kosten des Kommunalparlaments profiliert und dieses, indirekt über die Bande der Bürgerbeteiligung gespielt, unter Druck setzen will.

-Zum anderen sehen viele Kommunalparlamentarier das Budgetrecht als die Kernkompetenz („das Königsrecht“) der kommunalen Vertretungskörperschaft an. Wenn man berücksichtigt, dass der Stadtrat in den letzten Jahren durch die Reform der Gemeindeordnungen in den meisten Bundesländern (Einführung von Bürgerbegehren und direkt gewählten Bürgermeistern) bereits in erheblichem Maße Kompetenzen abgeben musste, ist erklärlich, warum der Bürgerhaushalt insgesamt sehr misstrauisch von den Ratsmitgliedern begleitet wurde, was große Umsetzungsdefizite bei den Beteiligungsergebnissen wahrscheinlich macht

-So zeigt sich auch in der bisher umfassendsten Untersuchung der Bürgerhaushalte, dass „nur in den Städten mit einem ausgeglichenen Haushalt eine Bürgerbeteiligung am Haushalt langfristig etabliert werden konnte“ (Herzberg 2009: 113). In den NRW-Kommunen mit massiven Konsolidierungsproblemen wurde der Bürgerhaushalt nach dem Auslaufen der Förderung durch Land und Stiftung wieder eingestellt, weil die Resonanz der Bürger zu niedrig war oder keine Verteilungsspielräume mehr gesehen wurden

-brasilianische Kommune Porto Alegre als gutes Beispiel:

„Städte mit Bürgerhaushalt sind erfolgreicher im Kampf gegen Armut und bei der Verbesserung der grundlegenden Infrastruktur wie fließendem Wasser und der Einrichtung von Kanalisationssystemen als Städte ohne Bürgerhaushalt, selbst wenn letztere von Vertretern der Arbeiterpartei regiert werden… Sobald er [der Bürgerhaushalt; L. H.] auf einen tatsächlichen politischen Willen zurückgeht und sich nicht auf eine reine Imagestrategie beschränkt, stellt er ein potentielles Instrument von good governance dar, das Korruption, Klientelismus und Verschwendung öffentlicher Gelder reduziert und eine bessere Kontrolle des Regierungshandelns bewirkt“


Sparbürgerhaushalte


-In 2009 wurde in Solingen und Essen eine „bürgerbeteiligte Haushaltssicherung“ durchgeführt. Abgestimmt und unterstützt von der Haushaltsaufsicht wurden die Bürger an der Auswahl von Sparmaßnahmen im Zuge der mehrjährigen Haushaltssicherung beteiligt. Bedingung war für die Haushaltsaufsicht (neben vielen anderen Auflagen), dass keine Mehrausgaben, sondern lediglich Einsparungen zur Abstimmung gestellt wurden (Banner 2010: 26). Weiterhin wurde dieser Sparbürgerhaushalt fokussiert auf eine Abstimmung im Internet, die relativ kostengünstig von Beratungsunternehmen als Komplettangebot entwickelt wurde

-Selbstverständlich wird dadurch sicherlich nicht der Haushaltsausgleich in extremen Nothaushaltskommunen, wie Solingen und Essen, dauerhaft wieder erreicht werden, weil die aufgetürmten Kassenkredite und Zinsleistungen ohne exogene Hilfe in diesen Fällen nur sehr schwer abbaubar sind. Zumindest kann aber so die Neuverschuldung reduziert werden

-Insgesamt scheint es in diesen Sparbürgerhaushalten bedingt zu gelingen die Steuerzahler- und Konsumentenrolle der Bürger zusammenzuführen und bei relativ niedrigen Transaktionskosten der Internetverfahren tatsächlich Konsolidierungseffekte mit einer höheren Akzeptanz zu realisieren. Die Kämmerer versuchen wenigstens teilweise erfolgreich sich „bei den Bürgern Rückendeckung für ihre Konsolidierungsvorhaben zu verschaffen“. Voraussetzungen sind, dass, wie es der Kämmerer von Solingen formulierte, der Bürgerhaushalt von einem „Wunschkonzert“ zu einem Konsolidierungsinstrument „umfunktioniert“ wird99 und die Transaktionskosten des Verfahrens drastisch durch Unternehmensberatungen und Internetlösungen gesenkt werden

-Durch diese Weiterentwicklungen kann mittlerweile die Kommunalaufsicht in NRW auch anderen Kommunen im Nothaushaltsrecht diese bürgerbeteiligende Haushaltssicherung anbieten100. Wenn allerdings nicht nur Sparvorschläge, sondern auch Ausgabenwünsche thematisiert werden, tendieren die Bürger auch bei Abstimmungen und Online-Vorschlägen eher zu Mehrausgaben, wie es beispielsweise für den Bürgerhaushalt in Oldenburg in der wissenschaftlichen Evaluation festgestellt wurde

-Prinzipiell stehen für die Partizipation bei Sparbürgerhaushalten vor allem zwei unterschiedliche Beteiligungsinstrumente zur Verfügung: Die Internetabstimmung und die schriftliche Bürgerbefragung bzw. Telefoninterviews bei einer Stichprobe ermöglichen beide bei relativ niedrigen Transaktionskosten im Verhältnis zur Anzahl der Beteiligten eine auch für die Bürger wenig ressourcenintensive Partizipation. Beide Beteiligungsinstrumente sind aber sicherlich nicht ansatzweise dazu geeignet die Verwaltung zu kontrollieren oder gar „Bürgermacht“ aufzubauen, was unter den restriktiven Bedingungen der Haushaltssicherung bei freiwilligen Beteiligungsinstrumenten auch „utopisch“ bleiben muss.

-Zunächst ist bei beiden Verfahren kein differenzierter Input der Bürger im Sinne einer die Komplexität und Prioritätensetzung des Haushalts reflektierenden Positionsbestimmung zu erwarten, weil anders als bei Bürgerforen den Teilnehmern nicht nahezu zwangsweise durch mündliche Präsentationen Grundinformationen vermittelt werden können. Gerade die Internetabstimmung lädt dazu ein, nur kurz Präferenzen zu Teilbereichen abzugeben, ohne sich stärker einzulesen. Lernprozesse der Bürger sind dabei relativ selten und es besteht wie bei der Demoskopie die Gefahr, stereotype Einstellungen abzufragen

-Sehr gravierend unterscheiden sich aber die Onlineabstimmung und die schriftliche Bürgerbefragung bzw. Telefonbefragung mit Zufallsstichprobe hinsichtlich der Repräsentativität der Ergebnisse. Bei der Online-Beteiligung ist wie bei Bürgerforen die extrem sozial selektive Zusammensetzung der Teilnehmer zu bemängeln. So waren in Solingen Männer mit hohen formalen Bildungsabschlüssen zwischen 30 und 50 Jahre bei der Onlinebeteiligung stark überrepräsentiert

-Noch problematischer sind aber Internetabstimmungen, weil unklar bleibt, wer sich, wie oft beteiligt hat. Alle Bürgerhaushalte bieten bisher einen Benutzeraccount an, bei dem nicht der richtige Name der Person und die Adresse angegeben und überprüft werden (Schwirz 2010: 67). Auf diese Weise wird einerseits zwar dem Datenschutz stärker Rechnung getragen und die Teilnahmebereitschaft erhöht, aber der Missbrauch bei Abstimmungen ist vorprogrammiert

—>In empirischer Hinsicht lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass sich auch beim Bürgerhaushalt kein Trend in Richtung Public Governance ausmachen lässt. Freiwillige Verhandlungssysteme werden auch in diesem Bereich nicht deutlich häufiger eingesetzt, auch weil sie kaum in der Lage sind die Verteilungskonflikte in der Haushaltskonsolidierung konsensual zu lösen. Man kann nicht die Zustimmung aller beteiligten Bürger erwarten, wenn Angebote zurückgebaut werden sollen. Vielmehr zeigt sich auch bei der Bürgerbeteiligung ein starker Einfluss hierarchischer Steuerung, die kombiniert wird mit eng zugeschnittenen Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Bürgerkommune und des Sparbürgerhaushalts und so zu Konsolidierungseffekten und Akzeptanz von Sparmaßnahmen beitragen kann


Ergebnisse aus der Perspektive policyorientierter Analyseraster


-Zeitvergleich: Wenn man zunächst den beiden Grundschritten der empirischen Verwaltungswissenschaften – dem Beschreiben und Erklären – folgt, wird bereits im Zeitvergleich deutlich, dass die politikwissenschaftliche Verwaltungsforschung Reformen häufig falsch eingeordnet hat. Weder kann der in der Literatur lange Zeit verbreitete Eindruck der Reformabstinenz deutscher Verwaltungen (Seibel 1997), noch die Hinwendung zu weniger an der Effizienz ausgerichteten Reformtypen bestätigt werden (Benz 2003). Seit den 1990er Jahren sind Reformen in der Verwaltung zur Daueraufgabe geworden, nachdem wenige Jahre zuvor noch eine Reformflaute zu verzeichnen war. Die Ursachen für diese zunehmenden Reformaktivitäten sind in Deutschland zu einem erheblichen Teil auf eine als problematisch wahrgenommene, steigende Verschuldung, die maßgeblich durch die deutsche Wiedervereinigung beschleunigt wurde, zurückzuführe

-Zugleich wurde mit dem Neuen Steuerungsmodell eine deutsche Variante des New Public Management präsentiert, die explizit nicht auf Privatisierung, sondern auf die Binnenmodernisierung der bestehenden Verwaltung fokussiert ist und deshalb auf größere Akzeptanz bei den Verwaltungsführungskräften stieß. Damit waren die effizienzorientierten Reformen zugleich auch nicht als „neoliberales Projekt“ parteipolitisch besetzt und wurden in Kommunen und darauf folgend in den Bundesländern meist einstimmig, unabhängig von den politischen Mehrheiten im Parlament eingeführt. Auf das Neue Steuerungsmodell folgte die Umsetzung der Doppik mit ähnlichen Elementen, Strukturreformen der Landesverwaltungen und stärker an (limitierter) Bürgerbeteiligung orientierte Reformleitbilder, die ebenfalls häufig auf Effizienz und Haushaltskonsolidierung ausgerichtet sind.

-Insgesamt ist also die „Management-Mode“ keineswegs beendet, sondern wurde dauerhaft institutionalisiert, so dass die Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Management- und Rechnungsmethoden gesetzlich gesichert sein dürfte. Auch international wird davon ausgegangen, dass sich diese Managementorientierung im Reformdiskurs und in der Verwaltungspraxis bereits so stark durchgesetzt hat, dass dieser Trend sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird, wobei allerdings die konkrete Ausformung der Managementmodelle offen bleibt

-Ebenenvergleich:

Allerdings muss man diesen empirischen Trend im Ebenenvergleich relativieren. Auf der kommunalen Ebene wurden in Deutschland unzweifelhaft die meisten effizienzorientierten Reformen eingeführt, gefolgt von den Bundesländern, während in der Bundesverwaltung, auch aufgrund der relativ niedrigen Personalkostenanteile an den Gesamtausgaben, weniger Aktivitäten in diesem Bereich zu verzeichnen sind. Ebenenvergleich Für die kommunale Ebene ist aber gerade nicht ein besonders starker sozioökonomischer Problemdruck zu verzeichnen. Im Gegensatz zu den höheren föderalen Ebenen ist keine gravierend zunehmende Gesamtverschuldung zu bilanzieren. Lediglich durch das kommunale Haushaltsrecht und die Eingriffe der Haushaltsaufsicht ist bei steigenden bzw. drohenden Kassenkrediten der wahrgenommene Konsolidierungsdruck auf kommunaler Ebene besonders groß. Zugleich ist der Verwaltungschef aufgrund weitreichender Personalkompetenzen und einer vergleichsweise geringen Komplexität des Verwaltungsapparats auf der kommunalen Ebene durchschnittlich handlungsfähiger

-Das „Reformfieber“ in den Kommunen geht zudem auch von der Landesebene aus, auf der kaum Hindernisse für die Reform der kommunalen Ebene zu konstatieren sind. Obwohl beispielsweise die Reform der Kommunalverfassung durch Einführung von Direktwahl und Bürgerbegehren durchschnittlich zu einem deutlichen Kompetenzverlust der Kommunalparlamente führt, wurde sie relativ reibungslos auf Landesebene durchgesetzt. Landespolitikern fällt es offensichtlich leichter durch grundlegende Verfassungsreformen dem Ruf nach mehr Partizipation auf der kommunalen Ebene nachzugeben und somit die Handlungsspielräume der kommunalen Parlamentarier zu begrenzen, als derartige Reformen in den Landesverfassungen auf Kosten ihrer Kompetenzen zu realisieren

-Neben dem Verfassungsrecht und der Haushaltsaufsicht greifen die Landesregierungen zudem durch „goldene Zügel“ in die kommunale Reformlandschaft ein. So wurde die Einführung von Bürgerhaushalten als Modellvorhaben gefördert und flächendeckend einzelne Elemente der Bürgerkommune unterstützt. Für die Bundesländer macht damit die kommunale Ebene den wesentlichen Bestandteil ihrer Reformpolitik aus. Folglich wurden die Direktwahl, direktdemokratische Verfahren mit nennenswerten Anwendungschancen, gestufte Haushaltsnotlagenregime und Bürgerforen bisher fast ausschließlich auf kommunaler Ebene eingeführt. Die Doppik als Fortführung des New Public Managements gilt ebenfalls gesetzlich verbindlich häufig nur für die kommunale Ebene

-Soll-Ist-Vergleich:

Im Soll-Ist-Vergleich schließlich wird deutlich, dass zwar viele effizienzorientierte Reformen eingeleitet wurden, diese aber nur selten tatsächlich einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Insbesondere die von allen verwaltungswissenschaftlichen Subdisziplinen empfohlenen (durchaus unterschiedlichen) Reformleitbilder verfehlen dieses Ziel. Die Verwaltungswissenschaft analysiert nicht nur die Probleme der Verwaltungspraxis und schlägt Problemlösungen vor, sondern verschärft oft genug diese Probleme durch unterkomplexe Empfehlungen und Reformmodelle. Besonders deutlich wird dies bei der betriebswirtschaftlichen Verwaltungswissenschaft, die das New Public Management für sich zwar als Eintrittskarte in die Verwaltungspraxis nutzen konnte, aber der Verwaltung keine problemangemessenen Orientierungen gab, um tatsächlich Konsolidierungseffekte erzielen zu können.

-Konzeptfehler: Wenn man demgegenüber von strukturellen Konzeptfehlern ausgeht, weil die hiermit anvisierten rational-umfassenden Planungsmodelle auch unter den günstigsten Kontextbedingungen tendenziell zu kostenintensiven „Datenfriedhöfen“ führen werden, dann wird man diesem erneuten flächendeckenden Großversuch für die Haushaltskonsolidierung wenig positives abgewinnen können. Für die Verwaltungspraxis wäre es sicherlich hilfreich gewesen, wenn man die sich heute abzeichnenden massiven Implementationsprobleme und Transaktionskosten der Doppik schon vorher hätte antizipieren können, um die flächendeckende Einführung und detaillierte gesetzliche Regelung zur Disposition zu stellen. Das zeigt den Stellenwert den die Ex-Ante-Evaluation („Kann man das nicht vorher wissen?“) in der praxisorientierten, empirischen Verwaltungswissenschaft eigentlich haben müsste. Dafür reichen aber die dominanten empirischen, lediglich deskriptiven Einzelfallstudien, die nur die Implementationsprobleme einzelner alter Reformen protokollieren, nicht aus, sondern hierfür müssen die Ursachen für den (Miss-) Erfolg aller Reformanläufe analysiert und gebündelt werden

Ergebnisse aus unterschiedliche neoinstitutionalistischen Perspektiven


-Rational-Choice-Institutionalismus:

Zur Entwicklung von Hypothesen über die Konsolidierungseffekte von Reformen eignet sich insbesondere der Rational-Choice-Institutionalismus. In der Haushaltspolitik hat sich auch in empirischen Untersuchungen immer wieder gezeigt, dass die Interessen der Akteure als Erklärungsvariable für Haushaltsdefizite eine maßgebliche Rolle spielen und dass dominante Koalitionen aus Fachpolitikern, Fachverwaltungen und Interessengruppen zur Ausgabenexpansion tendieren bzw. zumindest Konsolidierungsopfer in ihrem Bereich verhindern wollen. Bei begrenzt rationalen, interessengeleiteten Akteuren lassen sich die Prinzipal-Agent und die Allmendeproblematik unterscheiden

-Politiker und Bürokraten können danach als Agenten gegenüber dem Wähler ihren Informationsvorsprung nutzen und dadurch ihr Budget und ihre Gewinne maximieren. Zudem gilt für alle betrachteten Gruppen, dass ohne weitere institutionelle Restriktionen der Haushaltsausgleich der Allmendeproblematik unterliegt und damit der Haushalt tendenziell „übernutzt“ wird. Bei Ausgabenkürzungen stellen sich danach vorwiegend zwei kollektive Dilemmata (May 2002: 120). Wer erstens auf Ausgaben freiwillig verzichtet, muss damit rechnen, dass die Anderen sich als Trittbrettfahrer rer verhalten, so dass der Haushalt trotz hoher individueller Kosten durch Verzicht wahrscheinlich übernutzt wird. Deshalb wird kaum jemand den ersten Schritt zur Haushaltskonsolidierung wagen. Das zweite Dilemma besteht in der Stabilisierung der Kürzungskoalition. „Für die Koalitionsmitglieder existiert ein permanenter Anreiz, die Koalition zu sabotieren und zu verlassen, um die free-rider-Position eines Kartellaußenseiters einzunehmen und Kürzungslasten vermeiden zu können“

-An diesen Problemen und kollektiven Dilemmata setzen in einer komprimierten Darstellung vier unterschiedliche Reformoptionen der Rational-Choice-Ansätze an: vier Reformoptionen Durch stärkere hierarchische Kompetenzen der Steuerungspolitiker kann besser der erste Impuls für Haushaltskonsolidierung gegeben und können mögliche Trittbrettfahrer in Kürzungskoalitionen diszipliniert werden. Durch Partizipation, und hier insbesondere durch direktdemokratische Verfassungsreformen, kann zweitens eine stärkere Kontrolle der Agenten und ihrer Expansionsinteressen durch den Wähler als Prinzipal realisiert werden. Zudem wird die Steuerzahler- und Konsumentenrolle des Wählers stärker zusammengeführt, wenn er synchron über Steuereinnahmen und öffentliche Ausgaben entscheidet, was im Ergebnis zu einer Reduzierung seiner Ausgabenwünsche und der Allmendeproblematik führen kann.

-Weiterhin könnte der Wähler durch Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern oder Gebietskörperschaften über die Exit-Option dem bisherigen bürokratischen Monopolanbieter entgehen, wobei diese Option bisher in Deutschland bei der Wählerschaft (anders als teilweise bei abwandernden Unternehmen) eine untergeordnete Rolle spielt. Schließlich ist es durch Planungssysteme denkbar, die Informationsasymmetrien zwischen Politik und Verwaltung zu reduzieren und damit die Budgetexpansion der Verwaltung als Agenten zu begrenzen.

-Verfassungsreformen konnten bisher in Deutschland wohl nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Dies lässt sich auf drei allgemeinere Erklärungsfaktoren zurückführen: Verfassungsreformen Grundlegende Verfassungsreformen fanden, wie skizziert, bisher vorwiegend für die kommunale Ebene statt, weil nur auf dieser Ebene nicht die (Kommunal)- Parlamente über „ihre“ Verfassung abstimmen. Grundlegende Verfassungsreformen n auf höheren föderalen Ebenen sind demgegenüber durch Akteursinteressen und Vetopositionen kaum durchsetzbar, so dass hier höchstens ein inkrementeller Wandel zu erwarten ist (Oberreuter/Stern 2009: 59f.). Warum, lässt sich angelehnt an den historischen Institutionalismus fragen, sollten auch einflussreiche Akteure „der Einrichtung von Institutionen zustimmen, die ihre Handlungsspielräume über Gebühr einengen“

-Zweitens zeigt sich bei den kommunalen Reformen, dass Verfassungen, die sich woanders in empirischen Untersuchungen als effizient erwiesen haben, kaum in all ihren Ausprägungen übernommen werden. Verfassungsreformen entstehen nicht am Reißbrett der Finanzwissenschaft, sondern werden unter Berücksichtigung von möglichen Widerständen, Interessen und Verfassungstraditionen ausgehandelt. Zudem ist, im Gegensatz zu Verwaltungsreformen, die Haushaltskonsolidierung seltener das zentrale Motiv für Verfassungsreformen

-Schließlich sind die Auswirkungen dieser wenigen Verfassungsreformen kaum berechenbar, weil sie in anderen kulturellen Kontexten zum Teil zu entgegengesetzten Folgen führen können. Die Leistungen von Verfassungsmodellen als formelle Institutionen hängen auch von den (bereits regional in Deutschland) variierenden informellen Regelstrukturen ab (z. B. Parteienwettbewerb oder Konkordanz), so dass es keinen per se überlegenen Verfassungstyp geben kann und auch deshalb die Möglichkeiten eines erfolgreichen Institutionentransfers sehr limitiert sind. Die Verfassungsmodelle sind also nur sehr bedingt „reisefähig

-Im Vergleich zu Verfassungsreformen sind prozessorientierte Verwaltungs- und Haushaltsreformen deutlich häufiger in Deutschland eingeführt worden und einige haben tatsächlich Konsolidierungserträge erbracht. Dies spricht zunächst für den in Bezug auf die intentionale Institutionengestaltung wesentlich optimistischeren Rational-Choice-Institutionalismus. Der soziologische Neoinstitutionalismus kann demgegenüber besser erklären, warum mit den umfassend-rationalen Planungsmodellen immer wieder neue Verwaltungsreformleitbilder ähnlichen Typs eingeführt wurden, obwohl diese zuvor niemals umsetzbar waren. Institutionelle Reformen können nach dem soziologischen Neoinstitutionalismus relativ unproblematisch eingeführt werden, weil die Organisationen sich aus Legitimationsgründen an veränderte gesellschaftliche Vorstellungen oder verwaltungswissenschaftliche Reformdiskurse auf der Verlautbarungsebene anpassen. Aber die tatsächlichen Handlungen und Routinen sind hiervon entkoppelt, so dass massive Implementationsdefizite der Reformen theorieimmanent sind


Ergebnisse aus der Governance-Perspektive


-Wenn man nun detailschärfer die Ursachen für den (Miss-) Erfolg bei der Implementation von effizienzorientierten Reformen erfassen will, eignet sich hierfür insbesondere der analytische Governance-Ansatz (Holtkamp 2010a). Er grenzt sich deutlich von dem engen Governance-Begriff (vgl. Public Governance in Kapitel 10) ab, der einen zunehmenden Trend in Richtung Verhandlungssysteme und eine Abwendung von der Effizienz bei Reformleitbildern konstatiert, und sich weder für die Verwaltungswissenschaft noch für die Praxis bewährt hat. Beim weiten analytischen Governance-Begriff wird demgegenüber kein zwingender Trend oder eine vermeintliche Überlegenheit eines Governance-Typs unterstellt.

-Politische und gesellschaftliche Koordination wird zunächst lediglich analytisch als Zusammenspiel von Hierarchie, Verhandlungssystemen, Wettbewerb und anderen Koordinationsmechanismen gefasst.Zugleich wird davon ausgegangen, dass diese institutionellen Regelsysteme „wirken“ , ohne dabei das Akteurshandeln vollends zu determinieren. Die Wirkungen von institutionellen Reformen sind danach zunächst offen und Theorien mittlerer Reichweite, die auch zur Prognose und Ex-Ante-Evaluation der Wirkung von institutionellen Regelstrukturen geeignet sind, können lediglich induktiv (und nicht deduktiv aus einer Institutionentheorie) entwickelt werden. Der weite Governance-Ansatz bietet hierfür ein analytisches Werkzeug, um die Ergebnisse von empirischen Einzelfallstudien zu ordnen und zu aggregieren, und in einem nächsten Schritt die Bedingungen, Zusammenhänge und Folgen der Governance-Mechanismen zu beschreiben und zu erklären

-Governance ist danach also kein neues Leitbild der Verwaltungsreform, sondern „ist – und darüber scheint inzwischen ein gewisser Konsens zu bestehen – vor allem ein analytisches Konzept“ (Schuppert 2011: 31). Insbesondere das Interesse dieses analytischen Konzepts für die Kombination unterschiedlicher Koordinationsmechanismen macht es in allen Forschungsbereichen von local bis global governance attraktiv für differenzierte politik- und verwaltungswissenschaftliche Analysen

-In normativer Hinsicht wird häufiger die Hypothese vertreten, dass nicht nur empirisch eher ein Governance-Mix zu verzeichnen ist, sondern dass diese Mischung auch normativ wünschenswert ist, weil alle Governance-Typen in Reinform nicht ihre optimalen Leistungen erbringen können. Jeder Typ weist spezifische Schwächen auf und setzt den Einsatz anderer Governance-Typen voraus, so dass der Ansatz nicht zu einseitiger Planungs- oder Partizipationseuphorie tendiert. Es geht demnach um die „intelligente“ Kombination von Governance-Typen, um die jeweiligen Schwächen des einzelnen Typs zumindest teilweise zu kompensieren, ohne dass bisher hieraus aber in der Verwaltungswissenschaft praxisnahe Empfehlungen generiert wurden

-Der Ansatz ist aber nicht nur für die Grundlagen-, sondern gerade auch für die überwiegend anwendungsorientierte Verwaltungsforschung Erfolg versprechend, weil er ohne normative Engführung einen komprimierten Überblick über die gesamte Breite der Reformleitbilder geben, wiederkehrende Reformmuster als Kombination von Governance-Mechanismen erkennen und damit die Implementationserfahrungen vergangener Reformansätze auch neuen Leitbildern zuordnen kann. Damit können die Ergebnisse der vielen Fallstudien zu unterschiedlichen Verwaltungsreformen besser eingeordnet werden. Zur Erklärung, warum einzelne Governance-Mechanismen oder -kombinationen gemessen an den Zielen der Verwaltungsreformer mehr oder weniger Erfolg haben, kann im Falle effizienzorientierter Reformen zunächst auf den „sparsamen“ Rational-Choice-Ansatz zurückgegriffen werden. Insgesamt können dadurch auch Formen des Konzeptversagens, die bisher in der policyanalytischen Heuristik der Erklärungsvariablen für Verwaltungsreformen wenig differenziert betrachtet werden, besser empirisch erfasst werden

Implementationserfolge- und probleme von Verwaltungsreformen


-Die an rational-umfassenden Planungsmodellen orientierten Verwaltungsreformen sind gemessen an ihrem eigenen Effizienzanspruch weitgehend gescheitert. Die zentralistische Aufgabenkritik, das eher dezentral ausgerichtete Neue Steuerungsmodell und die diese Elemente gesetzlich verbindlich regelnde Doppik haben bei hohen Transaktionskosten keine nennenswerten Auswirkungen auf den haushaltspolitischen Entscheidungsprozess gehabt

-Diese Spielart des Inkrementalismus bzw. in deutscher Übersetzung „Sich-Durchwurstelns“ hat sicherlich „nichts Heroisches, sondern hinterlässt bei vielen Wissenschaftlern den Eindruck, dass bei dieser Methode die Entscheidungsträger, nur zu unbeholfen, zu irrational oder zu faul sind, um den Entscheidungen eine klare Linie zu geben“ (Schimank 2005: 237). Dass Inkrementalismus nicht nur individuell vor dem Hintergrund der Eigeninteressen, sondern auch bei Berücksichtigung von gemeinwohlorientierten Zielen durchaus rational sein kann, weil man hierdurch viele Entscheidungen schnell treffen kann, um Zeit zu gewinnen und sich „bei wenigen Entscheidungen mehr Zeit nehmen und Planung leisten zu können“ (Schimank 2005: 350), wird in der Verwaltungswissenschaft weitgehend ignoriert

-Die im Sinne von Konsolidierungseffekten erfolgreichen Reformmodelle sind demgegenüber maßgeblich von der Verwaltungspraxis entwickelt worden. Während in den verwaltungswissenschaftlichen Leitbildern die Steuerungsprobleme der Hierarchie als kaum beherrschbar dargestellt werden, sei es nun, um sie durch Dezentralisierung und mehr Wettbewerb oder durch partizipative Verhandlungssysteme ersetzen zu wollen, ist die hierarchische Koordination ein zentraler Baustein erfolgreicher Reformmodelle. Sehr problematisch für binnenorientierte Verwaltungsreformen scheint lediglich die hierarchische Koordination kombiniert mit rational-umfassenden Planungsansätzen zu sein, wie sie gerade für die 1970er Jahre typisch war. Dies führt naheliegenderweise dazu, dass die vielen anfallenden Informationen an der Spitze nicht verarbeitet werden können und aus dieser Phase der Planungseuphorie resultieren noch viele Vorbehalte der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung gegenüber hierarchische Koordination

-Erfolgreich im Sinne der Haushaltskonsolidierung sind die Reformleitbilder, die hierarchische Koordination mit den anderen Governance-Mechanismen kombinieren. So kann beispielsweise bei hierarchischer Koordination ganz bewusst auf rational-umfassende planerische Ansätze verzichtet werden. Im Gegenteil wird der inkrementalistischen Logik des Haushaltsprozesses gefolgt und Kürzungen werden nach dem Rasenmäherprinzip durch hierarchische Koordination durchgesetzt. Das maßgeblich von der Verwaltungspraxis angestoßene KGSt-Leitbild der Haushaltskonsolidierung in den 1980er Jahren hat diese Mischung von Koordinationsmechanismen am deutlichsten ausformuliert. Haushaltskonsolidierung hängt danach vor allem vom energischen Eingreifen des Verwaltungschefs in Zusammenarbeit mit dem Kämmerer ab (KGSt 1982: 9). Sparvorschläge sollten von der Verwaltungsführung und vertrauten Mitarbeitern nichtöffentlich entwickelt werden, dann zügig im Rat durchgesetzt werden und im Haushaltsvollzug durch eine „hartnäckige Aneinanderreihung einer Vielzahl kleiner, mittlerer und größerer Einzeleingriffe“ (KGSt 1982: 12) gegenüber den Fachverwaltungen umgesetzt werden

-In der Haushaltspraxis hat sich auf allen föderalen Ebenen in Deutschland, wenn man die Ergebnisse der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung mit einschließt, ein Vorgehen im Sinne der Haushaltskonsolidierung bewährt, dass intern auf Hierarchisierung und Stärkung der Exekutive durch mikropolitische Strategien unterhalb verfassungsrechtlicher Neuregelung setzt und dies kombiniert mit anderen Governance-Mechanismen, die die Probleme hierarchischer Koordination kompensieren: Einfache Kürzungsregeln anstelle von umfassender Planung, um das Informationsproblem von hierarchischer Koordination zu reduzieren und selektiver, nichtöffentlicher Einbezug von zentralen Akteuren in Verhandlungen, um Widerstände abzubaue

-Auf kommunaler Ebene stehen aufgrund der räumlichen Nähe zu den Bürgern mit den Konzepten der Bürgerkommune und des Sparbürgerhaushalts allerdings noch andere Handlungsoptionen zur Verfügung, die eng zugeschnittene Partizipationsangebote mit hierarchischer Koordination verbinden. Interne Widerstände werden durch das hierarchische Eingreifen der Verwaltungsführung überwunden und auch der Bürgerschaft werden häufig klare Vorgaben „zugemutet“. Im Rahmen des Sparbürgerhaushalts kann sie nur noch über unterschiedliche Sparvorschläge nach dem Mehrheitsprinzip abstimmen und nicht die Haushaltspolitik als Ganzes oder einzelne Ausgabenwünsche umfassend in Bürgerforen diskutieren. Auch im Rahmen der Bürgerkommune werden Aufgaben häufig auf Vereine übertragen, nachdem diesen mit der Schließung von Einrichtungen oder Streichung von städtischen Zuschüssen gedroht wurden

-Mit den Governance-Mechanismen lassen sich in Verbindung mit dem Vetospieleransatz auch Kontextbedingungen aufzeigen, bei denen die Hierarchisierung an Grenzen stößt, insbesondere wenn Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen nicht vorwiegend verwaltungsintern nach dem Rasenmäherprinzip realisiert werden, sondern wenn öffentliche und außenwirksame Reformen und Policies durchgesetzt werden sollen. Wenn Vetoakteure bei ausgeprägtem (Parteien-) Wettbewerb eine andere parteipolitische Färbung aufweisen als der Regierungs- bzw. der Verwaltungschef, dann dürfte Hierarchisierung besonders schwer realisierbar sein (Holtkamp 2008a). Der klassische Fall auf nationaler Ebene ist hierfür der Bundesrat als Vetospieler, der bei gegenläufigen Mehrheiten und traditionell ausgeprägtem Parteienwettbewerb die Reformoptionen der Regierung empfindlich einschränkt

Ergebnisse für Beratung und Verwaltungspraxis


- gute Politik- und Verwaltungsberatung setzt auch Theorien und Heuristiken voraus, weil lediglich rückblickende Einzelfallstudien keine Ex-Ante-Evaluation und damit empirisch untermauerte Prognosen ermöglichen. Ohne diese Ordnungs- und Prognoseleistungen von Theorien und Heuristiken ist Reformberatung letztlich „Kaffeesatzleserei“ und führt bestenfalls dazu, dass alte Empfehlungen jahrzehntelang ohne Berücksichtigung des Verwaltungs- und Gesellschaftswandels fortgeschrieben werden

-Praxisberatung heißt für die empirische Verwaltungswissenschaft auch, dass man sich systematisch mit den seit Jahrzehnten dominanten effizienzorientierten Reformen beschäftigen muss. Die tradierte, auf Abgrenzung der unterschiedlichen Subdisziplinen setzende, wissenschaftliche Arbeitsteilung ist offensichtlich strukturell nicht in der Lage basale Reformtrends abzubilden und tatsächlich umsetzbare Empfehlungen für das dominante Effizienzziel zu geben. Nur interdisziplinäre Zusammenarbeit der empirisch interessierten Wissenschaften kann den Anspruch einer praxisorientierten Verwaltungsreformwissenschaft einlösen

-Ein Problem der wissenschaftlichen Beratung bleibt aber die normative Bewertung von Reformeffekten und Politikfolgen, die vor der Empfehlung und nach den Argumentationsschritten der empirischen Beschreibung und Erklärung folgen sollte. Einen sinnvollen Ansatz für wissenschaftliche Bewertungen bieten die komplexe Demokratietheorie und damit die Kriterien der Input- und Outputlegitimität. Hierdurch können zentrale Kriterien für die Leistungsfähigkeit eines politisch-administrativen Systems im besten Falle intersubjektiv nachvollziehbar in den Bewertungsprozess einfließen.

-Allerdings fällt die Gewichtung109 der einzelnen Kriterien bei den Akteuren sehr unterschiedlich aus. Häufig ist aber die Verwaltungswissenschaft und Politikfeldanalyse bei der Bewertung von Reformergebnissen noch zu staatszentriert bzw. „staatstragend“ und berücksichtigt dabei die Präferenzen gesellschaftlicher Akteure kaum. So konzentriert sich die vergleichende Staatstätigkeitforschung bei ihren Empfehlungen im Politikfeld Haushalt ausschließlich auf eine Maximierung der Konsolidierungseffekte, ohne dieses Ziel kritisch zu hinterfragen und gegen andere Ziele erkennbar abzuwägen

-Aufgabe der empirischen Verwaltungs- und Politikwissenschaft könnte es deshalb zukünftig auch sein, vermehrt die unterschiedlichen Reform- und Konsolidierungsoptionen auch für ein etwas breiteres Publikum transparent zu machen. Dabei wird es weniger darum gehen neue anspruchsvolle Reformleitbilder oder zivilgesellschaftliche Utopien zu formulieren, sondern möglichst stark variierende Strategien zu skizzieren, die sich im Sinne unterschiedlicher Akteurspräferenzen und Ziele empirisch bewährt haben (vgl. z. B. Holtkamp 2010b). Dadurch eröffnet sich für alle interessierten Akteure ein Möglichkeitsraum, um auch unter restriktiven Haushaltsbedingungen unterschiedlich handeln und die hinter Rationalitätsfassaden erwartbaren Strategien möglicher Gegenspieler antizipieren zu können

-Diese Empfehlungen lassen sich für entgegengesetzte Zielsetzungen aber auch umkehren. Wer als Akteur weniger intensiv das Ziel der Haushaltskonsolidierung verfolgt bzw. es angesichts vergeblicher Konsolidierungsbemühungen aufgegeben hat, kann auch die Schwächen hierarchischer Koordination ausspielen.

-Das Informationsproblem hierarchischer Koordination kann gezielt durch Informationsüberflutung und „Informationsverschmutzung“ genutzt werden, um sich beispielsweise der Intervention der Haushaltsaufsicht zu entziehen und damit von einem einschneidenden Konsolidierungskurs als kommunale Entscheidungsträger abzuweichen.

-Und auch zivilgesellschaftliche Akteure haben die Möglichkeit die Schließung oder Privatisierung von Einrichtungen zu verhindern und zwar nicht nur dadurch, dass sie kooperativ anbieten, die Einrichtungen ehrenamtlich weiterzuführen, sondern auch durch konfrontative Strategien. Dann wird gezielt die Öffentlichkeit durch Polarisierung und Skandalisierung gegen die Verwaltungsführung mobilisiert, um die Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen stärker von der inneradministrativen in die parlamentarische Arena zu verlagern, es werden parteipolitische Kontakte genutzt und Koalitionen mit negativ betroffenen Fachpolitikern eingegangen

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Maya G.

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