-„Lebensform“ als Grundbegriff für Strukturen der privaten sozialen Beziehungen von Individuen
-Aspekt der sozialen Beziehungsstruktur einer Gesellschaft
-Definition: „Der Begriff kennzeichnet einen sozialen Beziehungszusammenhang, der durch Muster der Organisation des alltäglichen Zusammenlebens repräsentiert wird. Diese Muster spezifizieren unter anderem den Institutionalisierungsgrad der Lebensgemeinschaft (…), die Haushaltsform und die Generationenzusammensetzung des Haushalts. Je nach Verwendung können auch weitere Merkmale (…) aufgenommen werden.“
-Merkmale zur Unterscheidung/Typisierung von Lebensformen
o Haushaltsform (z.B. alleinlebend, Wohngemeinschaft, etc.) und Zusammensetzung des Haushalts, Haushaltsgröße und Kinderzahl
o Familienstand und Beziehungsform (ehelich oder nicht, mit oder ohne Paarbeziehung)
o Zahl der Generation im Haushalt
o Sozialrechtliche Stellung bzw. Erwerbsstatus der Personen im Haushalt
o Institutionalisierungsgrad – Beziehungen sind unterschiedlichem Maße geregelt und normiert
-Haushalten (Zusammen wohnen und wirtschaften) sind spezielle Formen von Lebensformen und damit zu unterscheiden
o Privater Haushalt: Alleinlebende oder Personen, die zusammenleben und gemeinsam wirtschaften (WGs, solange zusammen gewirtschaftet wird)
o Nicht-private Haushalte, bzw. sogenannte Anstalten (spielen in der VL keine Rolle): Gemeinschaftsunterkünfte, Altersheime, Gefängnisse
==> Es werden immer mehr Haushalte – gleichzeitig werden sie jedoch auch immer kleiner
o Mehr Einpersonenhaushalte – dies heißt jedoch nicht zwingend, dass es auch weniger Partnerschaften gibt
-Definition Paarbeziehungen: Persönliche, intime Beziehung zweier Individuen (eheliche oder nicht eheliche Lebenspartner)
o Paarbeziehungen in einem gemeinsamen Haushalt bilden eine Lebensgemeinschaft (Paargemeinschaft)
o Paarbeziehungen in getrennten Haushalten bilden eine LAT-Beziehung („living apart together“) oder bilokale Paarbeziehung
-Institutionalisierungsgrad von Paarbeziehungen
o Ausmaß der gesellschaftlichen, bzw. normativen Regulierung von Paarbeziehungen (z.b. Rechte und Pflichten)
o Jede Gesellschaft kennt bestimmte soziale Beziehungen zwischen Mann und Frau, die sozial bevorzugt werden
o Reihenfolge: LAT – nichteheliche Lebensgemeinschaften (Kohabitation) – Ehe
§ LAT ist am wenigsten reguliert, aber auch am wenigsten geachtet
§ Ehe hat eine maximal gesellschaftliche Regulierung (Gesetze im BGB), aber erhält auch die größte gesellschaftliche Achtung
-Ehe (als Institiution)
o Soziale oder von einer Rechtsordnung anerkannte gefestigte Verbindung zwischen Personen zur Lebensgemeinschaft – höchster Institutionalisierungsgrad
o Kaufmann (1966): „Im alltäglichen Sprachgebrauch versteht man unter Ehe sowohl die legitimen, d.h. durch Heirat zustande gekommenen dauerhaften Paarverhältnisse, als auch den Komplex von Normen, der diese spezifische Art sozialer Beziehungen regelt“ – letzteres spiegelt die Institution der Ehe wider
-Gleichgeschlechtliche Ehe
o In mehreren Ländern gibt es mittlerweile die gleichgeschlechtliche Ehe (zuerst 2001 in den Niederlanden, in Deutschland 2017)
o Vorher ermöglichte Deutschland eine eingetragene Lebenspartnerschaft (von August 2001 bis September 2017)
==> Heiratsziffer sinkt, Heiratsalter steigt (lässt nicht auf weniger Paarbeziehungen schließen, lediglich anderer Institutionalisierungsgrad populärer: nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL))
-Es gibt keine einheitliche Definition von „Familie“ aber häufig grenzt man „Familie“ durch folgende Merkmale von anderen Lebensformen ab
o „Biologisch-soziale Doppelnatur“, d.h. Übernahme von Reproduktions- und Sozialisationsfunktionen
o Generationendifferenzierung (Großeltern, Eltern, Kinder)
o Spezifisches Kooperations- und Solidaritätsverhältnis, aus dem heraus die Rollendefinitionen festgelegt sind
§ „Geben und Nehmen“ wird nicht gegeneinander aufgerechnet, kein Lohn für Familienarbeit, für Leistungen wird keine unmittelbare Gegenleistung erwartet (ggf. spätere Gegenleistung der Kinder)
§ Jedes Mitglied gibt nach seinem Vermögen und erhält nach seinen Bedürfnissen des insgesamt Vorhandenen
§ Gemeinsames Eigentum („Familienkommunismus“), wenig bis keine Konkurrenz
§ Einbindung der Individuen mit ihrer ganzen Persönlichkeit (Soll-Zustand, leider nicht der Ist-Zustand)
-Universalität von Ehe und Familie, d.h. sie waren immer schon da – und sind bis heute in unserer Gesellschaft hoch institutionalisiert
-Treffendste Definition vermutlich: Familie als Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern, wobei Eltern rechtlich und materiell für Kinder verantwortlich sind
o Von einer Haushaltsfamilie spricht man, wenn die Lebensgemeinschaft das Zusammenleben von Eltern und Kind beschreibt – enge Definition von Familie
o Wenn Eltern und Kinder in getrennten Haushalten leben spricht man von einer weiten Definition von Familie
o Kinderlose (Ehe)Paare sind damit keine Familie
o Es ist egal ob
§ Es sich um leibliche Eltern handelt
§ Ob die Eltern verheiratet sind
§ Ob es sich um einen oder mehrere Erwachsene handelt
==> Traditionen leben bis heute fort
-1. Phase der Veränderung – Neuzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts
o Industrialisierung: Trennung von Produktion und Familienhaushalt (Mann ist außerhalb des Haushaltes erwerbstätig)
o Partnerwahl: Partnerschaft basiert auf persönlicher Zuneigung und Liebe – nicht mehr auf materiellen Interessen und Standesregeln
o Staatliche Ehe wird institutionelle Grundlage von Partnerschaft und Familie
o Kinder werden in ihrer Persönlichkeit akzeptiert, die Kindheit wird eine eigenständige und geachtete Lebensphase
o Geschlechtsspezifische Rollenteilung in einer Partnerschaft
o Rückgang der Kinderzahl leicht über dem Reproduktionsniveau, materielle Kosten der Kinder erhöhen sich, emotionale und sozial-normative Bedeutung nimmt zu
o Hochzeit der bürgerlichen Familie (siehe Golden Age of Marriage) in Westdeutschland in den 1950er und 1960er Jahren – in Ostdeutschland bleibt diese aufgrund der hohen Arbeitsbeteiligung der Frauen eingeschränkt
-2. Phase der Veränderung – seit den späten 1960er Jahren
o Modell der bürgerlichen Familie verliert an Bedeutung (Deinstitutionalisierung)
o Abkopplung von Sexualität und Ehe sowie Elternschaft und Ehe
o Rückgang der Eheschließung
o Zunahme der NELs und Einzelpersonenhaushalte
o Destabilisierung der von Paarbeziehungen und Ehen, (weiterer) Anstieg der Scheidungen, Rückgang der Wiederverheiratung
o Anstieg des Alters bei Heirat und Familiengründung (vom zweiten Lebensjahrzehnt eher ins dritte Lebensjahrzehnt)
o Geburtenrückgang auf Größenordnung unter Reproduktionsniveau, Zunahme der Kinderlosigkeit
o Rückgang der traditionellen Geschlechtsrollendifferenzierung, Zunahme der Bildungs- und Erwerbschancen
-Aktuelle Situation von Ehe und Familie – Widersprüchliche Entwicklungen?
o Ökonomisch unabhängige Lebensführung vom Partner wird selbstverständlich für Mann und Frau – es existieren aber immer noch unterschiedliche (geschlechtsspezifische) Vorstellungen zur Lebenslaufplanung
o Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch groß – Kinderbetreuung bleibt oft noch Privatsache
o Für die Frauen wird die Ehe unattraktiv, solange sie zu traditioneller Arbeitsteilung führt; für Männer wird die Ehe unattraktiv, solange die traditionelle Arbeitsteilung wegfällt – These oder Wahrheit?
o Höhere Ansprüche an die Partnerschaft (mehr als nur „Liebe“) bei abnehmender Stabilität
o Offenheit von Lebensläufen und unsichere berufliche Perspektiven verhindern die frühzeitige Festlegung auf Ehe oder Familie
o Ökonomische Unabhängigkeit der Partner verstärkt die Instabilität, was wiederum Zwang zur eigenständigen ökonomischen Absicherung erhöht
-Was bedeutet „Pluralisierung der Lebensformen“
o Pluralisierung ist die zunehmende Vielfalt oder Heterogenität von Merkmalsausprägungen oder Zuständen – in diesem Falle hier der Lebensformen
o Vielfalt von Lebensformen kann sich auf zwei Arten verändern
§ Strukturelle Vielfalt: Zahl der tatsächlich existierenden Lebensformen – dabei kommt es darauf an, wie viele verschiedene Lebensformen es gibt(andere Beispiele: Zahl der Parteien oder Religionsgruppen)
§ Distributive Vielfalt: eine Klassifikation von Lebensformen wird vorausgesetzt und die Verteilung der Individuen/Haushalte über die Kategorien betrachtet. Die distributive Vielfalt ist minimal, wenn alle Elemente in eine Kategorie fallen (bspw. alle wählen die gleiche Partei), sie ist maximal, wenn alle Elemente gleichmäßig über die Kategorien verteilt sind (bspw. alle wählen verschiedene Parteien)
-Es gibt zwei Maße für Heterogenität
o Die Entropie
o Die Diversifikation
==> Diese korrelieren hoch miteinander
-Entropie – Maß für Grad von Unvorhersehbarkeit / Unsicherheit mit der eine Person einer bestimmten Kategorie angehört
-Diversifikation
-Westdeutschland
o Pluralisierung über alle Haushaltstypen zwischen den 1970er und 1990er Jahren – die Dominanz von Ehepaaren mit Kindern wurde unterdessen abgelöst von der Dominanz der Einpersonenhaushalte
o Pluralisierung bei den Ein- und Zweigenerationenhaushalten zwischen 1972 bis 2007 – vor allem wegen des Rückgangs von Ehen mit und ohne Kinder
-Ostdeutschland
o Pluralisierung vor allem im Bereich der Zweigenerationenhaushalte
-Kritik / Schwierigkeiten
o Ausmaß der Vielfalt hängt ab vom gewählten Lebensformkonzept
o Heterogenitätsmaße sind neutral gegenüber Lebensformen
o Veränderungen in der Vielfalt der Lebensformen können durch mehrere voneinander unabhängige Prozesse zustande kommen
o Abhängigkeit vom historischen Zeitraum und vom Lebensalter
-Makrotheoretische Ansätze: Gesellschaftlicher Wandel
o Laut Beck kommt es zu zwei historischen Individualisierungen: Erste Individualisierung der Männer (im Zuge der Industrialisierung) – zweite Individualisierung der Frauen (im Zuge der Emanzipationsbewegung)
o Erst kommt es zu einer Institutionalisierung der bürgerlichen Familie, dann ihre Deinstitutionalisierung und weitere Differenzierung zur verschiedenen Teilsystemen privater Lebensformen
-Mikrotheoretische Ansätze: Die Wahl der Lebensform
o Übergang zur Partnerschaft: unter welchen Bedingungen findet eine Verstetigung der Interaktion statt (Austauschtheorie)?
o Unter welchen Bedingungen wir ein gemeinsamer Haushalt gegründet? Was sind die Transaktionskosten (mehr gemeinsame Zeit, Arbeitsteilung, etc.)?
o Übergang von der NEL zur Ehe – Warum soll geheiratet werden? – höchstens zur Absicherung von Investitionen in die Partnerschaft, weniger symbolischer Status
-Diffusionstheorie: Verbreitung neuer Lebensformen
o Soziale Innovationen diffundieren in der Gesellschaft nach bestimmten Regeln
-Zwei Aspekte der Forschung zur Partnerwahl
o Eingehen einer Partnerschaft (LAT, NEL, Ehe): Wer geht warum welche Partnerschaft ein?
o Merkmale ausgewählter Partner/Partnerinnen: Wer wählt warum welche Partner/Partnerin aus?
-Einschränkungen der Wahlfreiheit durch
o Rechtliche und kulturelle Faktoren
§ Inzestverbot, Mindestheiratsalter (harte Gesetze), Altersabstand (weiche Gesetze) u.v.m.
o Sozialstrukturelle Faktoren
§ Fokustheorie (Feld): Foki (Orte, wo man sich trifft) strukturieren die Kontaktchancen
§ In Foki (Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze, Internet) treffen sich eher Personen mit ähnlichen Interessen/Eigenschaften
§ Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer homogamen Paarbeziehung
§ Strukturelle Effekte: die Chance für eine homogene Beziehung ist umso größer, je homogener eine soziale Gruppe ist, in der man verkehrt
§ Personen mit Eigenschaften, die in ihrer Umgebung nur selten vorkommen und Mitglieder von Minderheiten haben geringere Chancen für homogame Paarbildungen
-Partnerschaftswahl als schrittweiser Prozess der Verfestigung und Institutionalisierung
-Zeit vor einem Institutionalisierungsschritt als Phase der Evaluation eines Partners
-Beispiele für Institutionalisierungsschritte
o Vorstellung des Partners gegenüber Freunden und Eltern (Anerkennung)
o Deponie von Gegenständen in der Wohnung des Partners
o Gemeinsamer Urlaub
o Zusammenziehen, usw.
o Höchste Stufe ist die Ehe
-Partnerschaften werden als Produktionsgemeinschaften aufgefasst
o Durch Zusammenleben der Ressourcen werden commodities produziert (können nicht am Markt erworben werden) – das Ziel ist eine effiziente Haushaltsproduktion
o Man tut sich zusammen, weil man so ein höheres Wohlfahrtsniveau erwartet, als wenn man alleine bleibt
o Partner- und Heiratsmärkte sind intransparent (bekomme ich sicher einen Partner), es treten Suchkosten (Zeit, Geld, Gefühle) auf. Man entscheidet sich für einen Lebenspartner, wenn angesichts der erwarteten Gewinne eine weitere Suche zu Wohlfahrtseinbußen würde (mikroökonomische Theorie)
-Partnerschaften als Tauschbeziehung (Ressourcentheorie)
o Durch reziproken Austausch werden individuelle Vorteile optimiert
o Zwei Menschen gehen eine Beziehung ein, wenn der eine über Güter und Mittel verfügt, die für den anderen interessant sind und umgekehrt
o Der erwartete Ertrag müsste höher sein, als der subjektive Wert der Investition in die Beziehung
o Das Anspruchsniveau als Maßstab für das Eingehen einer Partnerschaft
-Partnerwahlprozesse beeinflussen die Geburtenentwicklung: lebenslange Kinderlosigkeit (auch) eine Folge gestiegener Partnerlosigkeit und abnehmender Beziehungsstabilität
-Partnerschaften haben positive Folgen für die Gesundheit (Lebenserwartung, protektiver Faktor)
-Materielle Wohlstandsgewinne durch Partnerschaft (pooling-on-Ressourcen, gemeinsames Wirtschaften)
-Partnerschaftswahl und sozialer Status: Soziale Auf- und Abstiegsprozesse, je nach Sozialstatus der Partner*innen; reproduziert soziale Ungleichheit in der Gesellschaft, insofern die Partnerwahl schichtspezifisch ist – so war früher die Heirat für Frauen der einzige Weg eines sozialen Aufstiegs
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