-Als „soziale Ungleichheit“ bezeichnet man Lebensbedingungen die es Menschen erlauben, in ihrem alltäglichen Handeln allgemein geteilte Ziele eines ‚guten Lebens‘ (wie z.B. Gesundheit, Sicherheit, Wohlstand, Ansehen – kulturell unterschiedlich) besser als andere Menschen zu erreichen (Hradil 2004)
-„Lebensbedingungen“ – äußere Rahmenbedingungen des Lebens und Handelns von Menschen: Wohnung, Arbeitsplatz, Einkommen, Bildungsniveau
-Soziale Ungleichheit bezieht sich auf Güter, die…
o In einer Gesellschaft als wertvoll gelten (sind für ein „gutes Leben“ bedeutsam und knapp
o In einer Gesellschaft ungleich verteilt sind
o Die durch die Einnahme sozialer Positionen und durch soziale Beziehungen vermittelt werden
==> Soziale Ungleichheit lässt sich vermutlich nie komplett abschaffen, aber es können Maßnahmen zu ihrer Reduzierung getroffen werden
-Verteilungsungleichheit – ungleiche Verteilung eines wertvollen Gutes in der Bevölkerung
-Chancenungleichheit – ungleiche Verteilung der Chancen zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen (Frauen, Ausländer, etc.) um wertvolle Güter zu erhalten
-Stand
o Gruppierungen denen Menschen i.d.R. durch Geburt angehören, deren ungleiche Existenzbedingungen und Lebensweisen weitgehend geregelt und in ihren Abgrenzungen von anderen Ständen genau festgelegt sind
-Klasse
o Klassen sind Gruppierungen, die auf Grund ihrer Stellung innerhalb des Wirtschaftsprozesses anderen Gruppierungen über- oder unterlegen sind (z.B. wegen Besitz oder Nicht-Besitz an Produktionsmitteln oder wegen ihrer Machtposition auf dem Arbeitsmarkt) woraus ihnen bessere oder schlechtere Lebensbedingungen erwachsen – meist wird nur in zwei Klassen unterschieden – Besitz oder Nicht-Besitz
-Schicht
o Gruppierungen von Menschen mit ähnlich vorteilhafter oder unvorteilhafter beruflicher Stellung (hinsichtlich Qualifikation, Macht, Einkommen oder Prestige) werden als Schicht bezeichnet
-Soziale Lage
o Als soziale Lage bezeichnet man die Gesamtheit der Lebensbedingungen einer sozialen Gruppierung, die durch eine gemeinsame soziale Position (Studierende, Rentner, Facharbeiter, Arbeitslose, ausländischer unqualifizierter Arbeiter, Hausfrau etc.) definiert ist.
-In jeder Gesellschaft gibt es Positionen unterschiedlicher Wichtigkeit und funktionaler Bedeutung (z.B. Grad der Abhängigkeit anderer Personen)
o Obwohl fast jede Schicht eine Gesellschaft lahmlegen kann – es gibt dort kaum eine Rangordnung, auch wenn einige Gruppen herauszuragen scheinen
-Jede Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Positionen von Personen besetzt werden, die die Aufgaben kompetent erfüllen
-Besonders talentierte und kompetente Personen sind knapp und müssen motiviert werden (zum Beispiel eine höhere Ausbildung zu absolvieren), die funktional wichtigen Positionen einzunehmen
-Höhere Positionen müssen daher besser belohnt werden als niedrigere Positionen
-Überdurchschnittliche Belohnung und Berufsprestige sollen Konkurrenz um die Besetzung der wichtigsten Positionen erhöhen
-Dadurch wird gesichert, dass diejenige diese Positionen einnehmen, die dafür am besten geeignet sind
-Soziale Ungleichheit ist universell – durch Leistung legitimierte Ungleichheit ist in allen Gesellschaften notwendig
-Annahme: Gemeinsamer Kern von Klassen- und Schichtbegriffen
o Ähnlichkeit in Merkmalen der Gruppen (Stellung zu den Produktionsmitteln, Besitz- oder Einkommensverhältnisse, Berufe, Qualifikationen)
o Klassen- bzw. schichttypische Prägungen und Subkulturen (Sozialisationsannahme)
o Klassen-, bzw. schichttypische Lebenschancen und Lebensrisiken
-Erste Annahme:
o Eine Bevölkerung lässt sich in Gruppen untergliedern, die sich in ähnlichen Klassen- oder Soziallagen befinden, z.B.
o Ähnlichkeit in den Merkmalen („Schichtdeterminanten“)
§ Stellung zu den Produktionsmitteln
§ Besitz- oder Einkommensverhältnisse
§ Berufe
§ Qualifikationen
-Zweite Annahme:
o Es gibt klassen-, bzw. schichttypische Prägungen und Subkulturen (Sozialisationsannahme – wo wir geboren werden, prägt uns) – dies kann auch zu Konflikten innerhalb von Familien führen, besonders dann, wenn einer gegen diese Prägungen rebelliert – nach oben wie nach unten
o Menschen in ähnlicher Klassen- und Soziallage leben unter ähnlichen Bedingungen und machen ähnliche Erfahrungen
o Klassen- und Soziallage beeinflussen
§ Klassenbewusstsein (Marx)
§ Schichtmentalität (Geiger)
§ Klassenhabitus (Bourdieu)
§ Schichtspezifische Einstellungs- und Verhaltensmuster
-Dritte Annahme:
o Aus Klassen- und Soziallagen mit ihren Ressourcen und Prägungen resultieren typische Lebenschance und Lebensrisiken
-”Die Begriffe Schicht und Klasse fassen Menschen in ähnlicher sozioökonomischer Lage zusammen, mit der aufgrund ähnlicher Lebenserfahrungen ähnliche Persönlichkeitsmerkmale (psychische Dispositionen, Einstellungen und Wertorientierungen, Bedürfnisse und Interessen, Mentalitäten und Lebensstile) sowie ähnliche Lebenschancen und Risiken verbunden sind“ (Geißler 2014)
-Kontroverse: Entwicklung der Klassen-/Schichtstruktur (1950-1970)
-„Klassengesellschaft im Schmelztiegel“ (Kritik von Geiger (1949) an Marx
o Differenzierung der Schichtstruktur nimmt zu (z.B. innerhalb der Arbeiterschaft durch technischen Fortschritt)
o Klassenkonflikte nehmen ab: Institutionalisierung des Klassenkonfliktes
o Neue Differenzierungsformen entstehen (z.b. Stadt vs. Land)
-„Nivellierte Mittelstandgesellschaft“ (Schelsky, 1950er Jahre)
o Kollektive Auf- und Abstiegsprozesse führen zu sozialer Nivellierung (Aufstieg der Industriearbeiter und technische sowie verwaltungsfachliche Angestellte – Abstieg des ehemaligen Besitz- und Bildungsbürgertums)
o Herauskristallisieren einer breiten Mittelschicht mit einem einheitlichen Lebensstil – wurde in der alten BRD zu einem Lebensstil
-Klassengesellschaft vs. soziale Schichtung (1960er/1970er-Jahre)
o Kontroversen zwischen Neomarxisten und nicht-marxistischen Schichttheoretikern (á la „Ist die BRD eine Klassengesellschaft?“)
o Klassenanalyse stärker ökonomisch geprägt, konflikt- und machtorientiert
o Immerhin: Allgemeine Anerkennung, dass noch große Unterschiede in den Lebensbedingungen (u.a. Einkommens- und Besitzverhältnisse, Bildungschancen) und Einstellungen existieren
-Massive Umschichtung
o Ausdehnung des Dienstleistungsbereichs auf Kosten des Mittelstands im oberen und mittleren Bereich und auf Kosten der Arbeiterklassen in mittleren und unteren Bereichen
o „Unterschichtung“ durch Einwanderung
-Weitere Entwicklungen (nicht in Modellen sichtbar)
o Mehr Wohlstand
o Durchlässigere Schichtgrenzen (Überlappungshypothese), Fortsetzung der Entschichtung
o Zusammenhang zwischen Soziallagen, Mentalitäten und Verhaltensweisen wird schwächer
o Latenzhypothese: Schichttypische Unterschiede sind weniger sichtbar geworden, nur noch in der „Tiefenstruktur“ der Gesellschaft
-Schichtmodelle konzentrieren sich auf traditionelle vertikale Dimensionen sozialer Ungleichheit, neue „horizontale“ Ungleichheiten werden vernachlässigt (z.B. Geschlecht, Alter, Generation, Lebensform, Region, Erwerbstätigkeit/Nichterwerbstätigkeit)
-Kulturelle Vielfalt wird unzureichend erfasst, Schichtmodelle erfassen nur unzureichend die zunehmende Vielfalt der Mentalitäten, Lebensstile, Milieus, Interessen, Subkulturen, u.ä.
==> bedarf an neuen Konzepten zur Betrachtung sozialer Ungleichheiten
-Erweiterung der Schicht- und Klassenanalyse zur mehrdimensionalen Ungleichheitsforschung (auch Wohlfahrtsforschung)
-Es werden vertikale und horizontale Ungleichheiten einbezogen
-Bevölkerung wird nach sozial bedeutsamen Merkmalen in verschiedene Soziallagen unterteilt
o Berufspositionen (berufliche Stellung, Erwerbsstatus)
o Alter (unter/über 60 Jahre)
o Geschlecht
o Region (Ost/West)
· Mit Soziallagen verknüpft: objektive und subjektive Wohlfahrtsindikatoren
o Objektive Indikatoren sind materielle Ressourcen (z.B. Einkommen)
o Subjektive Indikatoren sind z.B. Lebenszufriedenheit
-Milieus- und Lebensstilanalysen sind kultursoziologische Ansätze innerhalb der Sozialstrukturforschung
-Sie ordnen kulturelle Vielfalt und fragen in einem zweiten Schritt, ob diese mit „objektiven“ sozialstrukturellen Merkmalen zusammenhängen
-Zentrale Begriffe von Lebensstilanalysen sind unscharf, es gibt zahlreiche Varianten von Lebensstileinteilungen (Was wird konsumiert? Welche Konsummöglichkeiten nutze ich?)
-„Unter Lebensstil wird ein relativ stabiles, regelmäßig wiederkehrendes Muster der alltäglichen Lebensführung verstanden – ein ‚Ensemble‘ von Wertorientierungen, Einstellungen, Deutungen, Geschmackspräferenzen, Handlungen und Interaktionen, die aufeinander bezogen sind (…)“.
-Merkmale von Lebensstilen
o Bereichsübergreifend, mit Schwerpunkt Freizeit-/Konsumbereich
o Expressiv-ästhetische Orientierung
o Vermitteln Individuen einen „subjektiven Sinn“
o Identitätsstiftend und distinktiv, schaffen kollektive Identitäten
==> Paradigmen-Vielfalt (Gültigkeit vieler nebeneinander existierender Ansätze)
-Milieubegriff hat in der Soziologie eine längere Tradition, wurde aber in den letzten Jahren durch die „Erlebnisgesellschaft“ und die Sinus-Milieus bekannt
-Sinus-Institut strebt „Zielgruppenorientierung“ in Produktentwicklung und Marktforschung an
-Menschen mit ähnlichen Lebensauffassungen und Lebensweise (Subkulturelle Einheiten) werden zu sozialen Milieus gruppiert
o Vereinheitlichung der Lebensbedingungen (durch steigenden Wohlstand und staatliche Umverteilung nehmen auch untere Schichten an Privilegien der oberen Schichten teil
o Differenzierung der Soziallagen, horizontale Ungleichheiten („neue“ Ungleichheiten werden betont: Geschlecht, Alter, Religion, Kinderzahl, etc.)
o Auflösung schichttypischer Subkulturen (klassen- und schichtspezifische Mentalitäten lösen sich auf)
o Pluralisierung von Lebensstilen/Milieus und Entkopplung von objektiven Lebensbedingungen (Lebensstile/Milieus sind immer weniger an Klassen und Schichten gebunden)
o Entschichtung der Lebenswelt (Klassen und Schichten werden im Alltag immer weniger wahrgenommen)
o Pluralisierung der Konfliktlinien (Soziale und politische Konflikte sind immer weniger Konflikte zwischen Klassen und Schichten)
o Schichttypische Lebenschancen und Risiken (Bildung, Aufstieg, Erb• Schichttypische Lebenschancen und Risiken (Bildung, Aufstieg, Erbschaft, politische Teilnahme, angenehme und qualifizierte Arbeit, Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, Mediennutzung etc.)
o Schichttypische Orientierungen, Verhaltensweisen, Lebensstile, Milieus (Erziehungsstile, Heiratskreise, Freizeit und Sport, Alltagsästhetik, Parteipräferenzen, sozialräumliche Segregation etc.)
o Schichttypische Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse (eher in den oberen Schichten)
o Präsenz von Schichten im Alltagsbewusstsein der Akteure (Bevölkerung geht vom Fortbestand der Schichten aus)
o Wahrnehmung sozialer Konflikte (Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Arm und Reich etc. sind immer noch verbreitet)
==> Ergebnis des Modernisierungsprozesses ist keinesfalls das Auflösen der Klassen und Schichten, sondern die Herausbildung einer dynamischen, pluraleren und auch stärker latenten Schichtstruktur!
-Wechsel zwischen sozialen Positionen
-Typen sozialer Mobilität
o Generationenmobilität oder Intergenerationenmobilität vs. Karrieremobilität oder Intragenerationenmobilität
o Horizontale vs. vertikale Mobilität
§ Horizontale Mobilität: Mobilität zwischen Positionen mit gleichem Rang (bspw. Wechsel des Betriebs)
§ Vertikale Mobilität: Mobilität zwischen Positionen mit unterschiedlichem Rang, soziale Auf- und Abstiege
o Individuelle vs. kollektive Mobilität (z.B. Aufstieg der Volksschullehrer durch die Akademisierung der Ausbildung)
o Fluktuationen (soziale Mobilität von Individuen) vs. Umschichtung (Veränderungen des Positionsgefüges)
-Abstrom- vs. Zustromquoten
o Abstromquoten bei der Generationenmobilität: wie viel Prozent der Kinder strömen in den Beruf ihres Vaters, bzw. in andere Berufe ab (seltener: Mütter)
§ Chancenstruktur einer Gesellschaft
§ Statuserhalt, Statusvererbung
o Zustromquoten (Herkunftsquoten) zeigen an aus welchen Schichten die Angehörigen einer Berufsgruppe stammen
§ Selbstrekrutierungsquoten (Zuströme aus eigener Berufsgruppe)
§ Geschlossenheit, bzw. Offenheit gegenüber anderen Gruppen bspw. hohe Studienkosten
-Gesellschaft ist in den vergangenen 50 Jahren geringfügig mobiler geworden
-Aufstiegschancen haben zugenommen, Abstiegsrisiken haben abgenommen
-Zunahme der „Langstreckenmobilität“
-Insgesamt hohe Generationenmobilität
-Viele Aufstiegschancen durch Entwicklung zur „industriellen Dienstleistungsgesellschaft“, Ausdehnung der Bildungsschichten, Bedeutungsverlust der Besitzschichten mit gleichzeitiger Umschichtung nach oben
-Schichten sind offen und sozial gemischt zusammengesetzt
-Ausnahme: Landwirte als relativ konstante Schicht
-Generationenmobilität bei Frauen – Statuserwerb über Bildung und Beruf, aber auch über Heiratsmarkt
-„Nach der revolutionären Öffnung der vertikalen Mobilitätskanäle in der Startphase der DDR etabliert sich die neue Führungsschicht der sozialen Aufsteiger und schottet sich zunehmend gegen den Zugang von unten ab; die sozialen Mobilitätskanäle schließen sich wieder“ (Geißler)
o Zunächst Rekrutierung der sozialistischen Intelligenz nach dem Proporz-Modell
o Seit den 1970er Jahren: Rückgang der Generationmobilität
-Nach der Wende:
o Sehr hohe Intergenerationenmobilität
o Bis 1993 hatten etwa zwei Drittel ihren Arbeitsplatz von 1989 verlassen müssen
o Und nur 36-44% der Männer und 29% der Frauen konnten sich vom Juli 1989 bis Dezember 1991 auf einer vollen Stelle behaupten
o Ein Höchstmaß an sozialer Sicherheit verkehrte sich über Nacht in ein Übermaß an Unsicherheit
Last changed10 months ago