Namen
Sozialwahltheorie
Social choice theorie
Theorie kollektiver Entscheidungen
Inhalt
Aggregation individueller Präferenzen zu kollektiver Präferenz = sozialer Präferenz (der Gruppe bzw. Gesellschaft als Ganzes)
in Form von Abstimmungen und Wahlen
Probleme und Paradoxien
vermeidbare Unzufriedenheit
Stimmen zählen - Zählen Stimmen?
2 Arten von Wahlen
1. Bewertung des Ausgangs rein subjektiv
alle politischen Wahlen
wichtige Prämisse: es gibt keine objektive richtige Lösung (evtl. Bestimmung der Zufriedenheit)
2. Normative Bewertung des Ausgangs möglich
Beispiel: Problemlösen in Gruppen
korrekte Lösung manchmal bekannt
einzelne Überzeugungen können so aggregiert werden, dass die Gruppe als Ganzes das Problem löst (mit höherer Wahrscheinlichkeit als ein Einzelner)
Frage: Wird mit einen Wahlverfahren mit höherer Wahrscheinlichkeit die richtige Lösung gewählt als mit einem anderen?
Beispiel: Betriebsausflug
relative Mehrheit für Museum (49:100)
absolute Mehrheit sieht Museum auf dem letzten Platz (51:100)
Condorcet-Kriterium: Bowling gewinnt alle paarweisen Vergleiche
51:49 gegen Museum
97:3 gegen Schiffsausflug
100:0 gegen MacDonalds
100:0 gegen Fußball
-> mit der Entscheidung für Bowling würde die ganze Präferenzstruktur berücksichtigt
Arten von Wahlsystemen
Mehrheitswahl
relative Mehrheit (plurality rule)
absolute Mehrheit (majority rule; ab 51%)
Mehrheitswahl mit Stichwahl zwischen den beiden Vorrundenbesten
Approval voting mit dichotomer Wahl zwischen „akzeptabel“ und „nicht akzeptabel“
Rangfolgewahl mit sofortiger Stichwahl („instant runoff“)
Borda-Count (rangbasierte Abstimmung; ranked voting)
Condorcet-Wahl
Range voting (Bewertungswahl)
-> bei keinem Wahlsystem gibt es die Möglichkeit, strategisches (unehrliches) Wählen zu berücksichtigen
Abhängigkeit des Wahlsiegers vom Wahlmodus
Mehrheitswahl: A gewinnt
Mehrheitswahl mit Stichwahl: B gewinnt
Approval voting: F gewinnt (rot = akzeptabel)
Rangfolgewahl (instant-run-off): C gewinnt
Borda-Wahl: D gewinnt
Condorcet-Wahl: E gewinnt
Range voting: potenziell alle
Mehrheitswahl mit Stichwahl der beiden Stimmbesten
Wahl zwischen A und B
B gewinnt (6:5)
Approval voting (Wahl durch Zustimmung)
mehr Informationen als reine Präferenzstruktur
Frage: Welcher Kandidat ist für die meisten Wähler “akzeptabel”?
F ist für 3+2+1+1 Personen akzeptabel
Reichspräsidentenwahl 1932
SPD hat von Hindenburg in ihre Approval Menge aufgenommen, damit Hitler nicht zum Präsidenten wird
Präsidentschaftswahl in den USA
2000
Al Gore vs. George W. Bush
Spoiler-Kandidat: Ralph Nader (grün)
soll politische Lager aufbrechen
Ergebnis:
Gore 48.4% Gore > Nader > Bush
Bush 47.9% Bush >> Nader > Gore
Nader 2.7% Nader > Gore >> Bush
-> Präferenzen der Wähler unterscheiden sich stark
Bush wurde zum Präsidenten, obwohl Gore (oder evtl. Nader) durch Approval gewonnen hätten
1990er
Spoiler-Kandidat: Ross Perot (konservativ)
1992: Bill Clinton 43%, Bush 37%, Perot 19%
1996: Bill Clinton 49%, Dole 41%, Perot 8%
-> Perot könnte durch Approval gewinnen
2016
Donald Trump 46.1%, Hillary Clinton 48.2%, Gary Johnson (Libertäre) 3.2%, Jill Stein (Grüne) 1.1%
-> beide Spoiler-Kandidaten könnten das Wahlergebnis umdrehen
Präsidentschaftswahl in Frankreich
Mehrheitswahl mit Stichwahl der besten Kandidaten
2002
stärkste Kandidaten: Jacques Chirac 20% (konservativ) und Jean-Marie Le Pen 17% (noch konservativer)
Lionel Jospin erhielt aufgrund der Zersplitterung der Linken nur 16% der Stimmen (beliebtester Kandidat der Linken)
Ergebnis der Stichwahl:
82% für Chirac
18 % für Le Pen stimmten
-> Linke wählten Chirac um Le Pen zu verhindern
-> Bei Verwendung von Approval voting hätte die Stichwahl zwischen Chirac und Jospin stattgefunden
2007
Bayrou schied in der Vorwahl aus, obwohl er das meiste Approval hatte
In der Zweier-Endwahl hätte er jedoch sehr wahrscheinlich sowohl den stärker rechtsgerichteten Kandidaten Nicolas Sarkozy als auch die linke Kandidaten Segolene Royal geschlagen
2017
Erster Wahlgang:
Emmanuel Macron 24% sozialliberal
Marine Le Pen 21% nationalistisch
François Fillon 20% konservativ
Jean-Luc Mélenchon 20% linkssozialistisch
Benoît Hamon 6% sozialdemokratisch
Zweiter Wahlgang:
Emmanuel Macron 66%
Marine Le Pen 34%
Instant Runoff-Voting (Rangfolgewahl mit sofortiger Stichwahl)
Thomas Hare (1859)
sequenzielles Verfahren mit n-1 Durchgängen
bei jedem Durchgang wird die Alternative mit den wenigsten Erstplatzierungen eliminiert
Kritik: durch mehrere Wahlrunden Zeit für Verhandlungen (Korruption)
Lösung: komplette Präferenzstruktur einmal erheben
Beispiel:
Wahl der Ausrichterstadt für die Olympiade
Wahl des Präsidenten der APA
-> C gewinnt
Borda-Wahl: Rangbasierte Abstimmung
Jean Charles de Borda (1733 – 1799): einer der 72 Namen auf dem Eiffelturm
jede Alternative erhält entsprechend ihrem Rang einen bestimmten Punktwert, den „Borda Count“
Punktvergabe: k-r (k Alternativen, r Rang)
1. Platz = 4 - 1 = 3 Punkte
2. Platz = 4 - 2 = 2 Punkte
3. Platz = 4 - 3 = 1 Punkt
4. Platz = 4 - 4 = 0 Punkte
-> analog zum gewichteten Mittel
modifiziert angewandt beim Eurovision Song Contest
-> D gewinnt
Condorcet-Verfahren
Marquis de Condorcet (1785)
Paarvergleiche zwischen allen Alternativen
es gewinnt die Alternative, die allen anderen vorgezogen wird: „Condorcet-Gewinner“
gibt es keinen Condorcet-Gewinner, gewinnt die Alternative mit dem geringsten Verlustabstand („Abbruchkriterium“)
-> E ist Condorcet-Gewinner
einziges Wahlverfahren, das die Wahl von Hitler verhindern könnte
jede Alternative wird nach dem Grad der Zustimmung von 0-100 bewertet
Intervallskala (Borda = ordinal)
differenzierte Präferenzstruktur
je nach Verteilung und Intensität kann jede Alternative gewinnen
Approval voting könnte zur Wahl von Ghandi führen, wenn die Schwelle des Approvals gering ist
Vermeidbare Unzufriedenheit
Frage: Wie können unterschiedliche Wahlsysteme systematisch hinsichtlich der von ihnen erzeugten (vermeidbaren) Unzufriedenheit evaluiert und bewertet werden?
wir brauchen eine Metrik, um die Zufriedenheit / vermeidbare Unzufriedenheit zu messen
2 Arten von Wahlen:
-> keine Möglichkeit der Bestimmung der Güte des Aggregationsverfahrens
Problemlösen in Gruppen
politische Wahlen: „magische“ Wahl des „besten“ Gewinners
ermöglicht Bestimmung der von unterschiedlichen Wahlsystemen erzeugten „vermeidbaren“ Unzufriedenheit
-> quantitative Bewertung der Güte des Aggregationsverfahrens
Entscheidung über die Flugbahn von Voyager 1 und 2
An actual application of collective choice theory to the selection of trajectories for the Mariner Jupiter/Saturn 1977 project
32 Doppeltrajektorien für die Durchquerung des Sonnensystems kamen in die engere Wahl
verschiedene Wissenschaftsteams hatten ganz unterschiedliche fachspezifische Präferenzen
einige Trajektorien waren die erste Wahl des einen Teams und gleichzeitig die letzte Wahl eines anderen Teams
-> Trajektorie 26 wurde schließlich ausgewählt
Monte-Carlo-Computersimulation (Smith, 2000)
empirische Bestimmung des „besten“ (= zur geringsten vermeidbaren Unzufriedenheit führenden) Wahlsystems
Implementierung von 31 verschiedenen Wahlsystemen
Bestimmung der vermeidbaren Unzufriedenheit für jedes Wahlsystem über viele Millionen Simulationsdurchgänge
5,10,20,50,100 oder 200 Wahlberechtigte
2 bis 5 zur Wahl stehende Kandidaten
0,1,2,3,4 und unendlich viele „Issues“ (Programmpunkte)
berücksichtigt auch unehrliches („strategisches“) Wahlverhalten unter Nutzung vorheriger Umfrageergebnisse
völlig ehrlich: links; völlig strategisch: rechts
Approval und Range voting schneiden am besten ab
„Der Nutzenunterschied zwischen Range Voting und der Mehrheitswahl ist etwa so groß wie der Nutzenunterschied zwischen der Mehrheitswahl und einem Zufallsgewinner.
Die Einführung von Range Voting wäre also ein so großer Fortschritt für die Demokratie wie die Erfindung der Demokratie selbst.“
Warum strategisches Wählen?
man könnte glauben, dass man seinen Willen eher durch Unehrlichkeit erreicht
Beispiel: Burying (verbuddeln) - akzeptablen Kandidaten wird keine Stimme gegeben, damit der Hauptfavorit nicht gefährdet wird
Borda, Approval, Range
man kann aber auch einen schlechten Kandidaten in die Stichwahl bringen, damit andere dann gezwungen sind den eigenen Favoriten zu wählen
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