Darstellung der Beweiswürdigung
Was sind Schlagwörter? Wie kann die Beweiswürdigung abgeschlossen werden?
Schlagwörter:
Eine Aussage ist „ergiebig“ hinsichtlich […]
eine Aussage ist vor dem Hintergrund […] plausibel
aus der räumlichen Nähe folgt, dass der Zeuge das Geschehen gut einsehen konnte;
Abschließendes Ergebnis: „In der Zusammenschau der Aussagen der Zeugen […] und der Inaugenscheinnahme von […] ergibt sich ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich […]“.
Welche Vorschrift sollte bei Verleseung von Behörden und Sachverständigen stets mitzitiert werden, um darzulegen, wie das Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann?
§ 256 Abs. 1 Nr. 2 (ärztliche Atteste)/Nr. 3 (Blutentnahmen)
Relative Beweisverwertungsverbote
Wann führt eine rechtsfehlerhafte Beweisverwertung bei Fehler einer ausdrücklichen Regelung zu einem Beweisverwertungsverbot?
Welche Kritierien sind zu berücksichtigen?
Rechtsfehlerhafte Beweiserhebung führt nicht automatisch zur Unzulässigkeit der Verwertung.
Verwertungsverbot (+), wenn das Interesse an der Sicherung der Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren die Wahrheitserforschungspflicht und das Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der Strafrechtspflege überwiegt.
→ Schutzgüterabwägung: Schutz des Beschuldigten vs. Wahrheitserforschungspflicht und Funktionieren der Strafrechtspflege
→ Rechtskreistheorie: Dient verletzte Verfahrensvorschrift zur Sicherung der verfahrensrechtlichen Stellung (Verwertungsverbot eher [+]) oder dient sie in erster Linie nicht dem Schutz des Beschuldigten (Verwertungsverbot (eher [–])
Kriterien: Schwere der Rechtsgutverletzung, Schutzwürdigkeit des Angeklagten, Intensität des Beweiserhebungsverbotes, Theorie des rechtmäßigen Alternativverhaltens
Widerspruchslösung: Mit welchem Argument ist ein Widerspruch bei relativen Beweisverwertungen erforderlich?
Ein verteidigter Angeklagter, der ein unselbständiges Verwertungsverbot geltend machen will, muss der Verwertung rechtzeitig bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprechen. Ob dies zwingend ist, ist aber in der Rspr. des BGH höchst strittig, BGH aus 2017 hat Widerspruch bei Verstößen gegen § 136 Abs. 1, S. 2, § 163a Abs. 4 S. 2 StPO und fehlerhaften Gesprächsüberwachungen gem. §§ 100a, 100f StPO für erforderlich gehalten, nicht aber bei unselbständigen Beweisverwertungserboten. Arg.: Versäumnisse der Verteidigung dürfen nicht dazu führen, dass rechtswidrige erlangtes Beweismaterial ohne weiteres zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung führe. BGH 2018 hat demnach widersprochen, Widerspruch sei erforderlich; Arg.: Schonung von Justizressourcen.
Belehrungspflicht § 136 Abs. 1 StPO
Über welche Vorschriften gilt § 136 StPO auch fpr polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmungen?
Systematik: § 163a Abs. 4 S. 2 StPO für polizeiliche Beschuldigtenvernehmung, § 163a Abs. 3 S. 2 StPO für staatsanwaltschaftliche Vernehmung.
Was ist Voraussetzung, damit eine Belehrungspflicht besteht?
I. Vorliegen einer Vernehmung
Eine Vernehmung ist eine formale Befragung, die von einem Staatsorgan in amtlicher Funktion mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage durchgeführt wird.
II. Beschuldigteneigenschaft (Zeitpunkt)
Eine Belehrung ist dann erforderlich, wenn sich der bereits bei Beginn der Vernehmung bestehende Verdacht so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt.
Vernehmung: Wovon ist eine Vernehmung abzugrenzen?
Informatorische Befragung: Befragung einer Person, gegen die noch kein Anfangsverdacht besteht
Spontanäußerung: Äußerung, die der Beschuldigte ohne Aufforderung tätigt; insoweit fehlt es begrifflich bereits an einer Vernehmung mangels amtlichen Auskunftsbegehrens
Beschuldigteneigenschaft: Wie ist maßgeblich zu bestimmen, ob jemand Beschuldigter ist?
Verfolgungswillen der StA oder ihrer Ermittlungspersonen (subjektives Element),
der sich objektiv in einem Verfolgungsakt (objektives Element) zu manifestieren hat.
Jedenfalls (+), sofern förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ansonsten entscheidend, wie sich Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Betroffenen, darstellt.
Objektives Kriterium auch „Stärke des Tatverdachts“: Grundsätzlich Bestimmung Verdachtsgrad zwar Beurteilungsspielraum der Strafverfolgungsbehörde, aber Beschuldigter (+), wenn bewusst Beschuldigtenrechte umgangen werden („subjektive Willkür“) oder angesichts der Stärke des Tatverdachts, wenn sich das Fehlen einer Belehrung als „sachlich unvertretbar“ erweist (objektive Willkür)
Besteht eine Belehrungspflicht, wenn der Dritte zum Zwecke der Informationsbeschaffung (V-Leute/Vertrauenspersonen) einsetzt?
Verwertungsverbot (–), weil Aushorchung durch V-Leute ≠ Vernehmung, weil nicht im amtlicher Funktion gegenübertritt; Täuschung zieht kein Verbot nach sich, weil § 52 StPO nicht Schutz des Beschuldigten diene
Umgehung von § 136 StPO (–), weil dieser den Beschuldigten nur vor Irrtum bewahren soll, zur Aussage verpflichtet zu sein, nicht aber vor staatlich veranlasster irrtumsbedingter Selbstbelastung. Schutz vor Selbstbelastung ist mit Pflicht des Staates zur effektiven Strafverfolgung abzuwägen: Heimlicher Einsatz von Person zulässig, wenn es sich bei der den Gegenstand der Verfolgung bildenden Tat um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert wäre
Muss eine Belehrung bei wiederholten richterlichen oder polizeilichen Vernehmungen wiederholt werden? Hat der Verteidiger ein Recht, bei Vernehmungen anwesend zu sein?
Richterliche Vernehmungen: Beschuldigtee ist über Aussagefreiheit auch dann zu belehren, wenn bereits polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmung mit Belehrung vorausgegangen ist. Wenn aber bereits richterliche Vernehmung vorausgegangen ist, muss keine erneute Belehrung erfolgen.
Polizeiliche Vernehmungen: Beschuldigter ist lediglich in der ersten Vernehmung zu belehren. Die Belehrung wirkt für folgende Vernehmungen fort.
Anwesenheit:
Polizeiliche Vernehmung: § 163a Abs. 4 S. 2 StPO i. V. m. § 168c Abs. 1 StPO.
Richterliche Vernehmung: § 168c Abs. 1 StPO. Dokumentationspflicht aus § 168 Abs. 1 StPO, weil wesentliche Förmlichkeit.
Belehrungspflicht § 136 Abs. 1 StPO: Rechtsfolgen
Welche Rechtsfolge hat ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht “Recht zu schweigen” aus § 136 StPO?
Verwertungsverbot (+): Grundsatz, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen (Schweigerecht) = tragendes Prinzip des Strafprozesses (siehe § 136 Abs. 1 S. 2, § 243 Abs. 5 S. 1 StPO). Das Recht zu Schweigen und der „Nemo-tenetur-Grundsatz“ gehören zum Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen Verfahrens.
Verwertungsverbot aber (–), sofern Beschuldigter sein Schweigerecht auch ohne Belehrung kannte (z. B. bei Polizeibeamten, Staatsanwälten, Richtern und Rechtsanwälten, nicht aber Beschuldigter, der schon in einem früheren Verfahren von seinem Schweigerecht belehrt worden ist).
Welche Rechtsfolge hat es, wenn Fehler hinsichtlicher der Verteidigerbelehrung vorliegen? Was spricht gegen ein Verwertungsverbot?
Im Einzelfall Abwägung „Interesse Strafverfolgung“ vs. „Schutz des Beschuldigten vor ungerechtfertigter Strafverfolgung“: Geht es etwa um ein Tötungsdelikt, und belehrt die Polizeibehörde den Beschuldigten darüber, dass es ihm zustehe, Verteidiger zu beantragen, weist aber nicht auf Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers hin, hat der BGH eine Verwertung zugelassen (allerdings zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht in § 136 StPO aufgenommen!). In § 136 Abs. 1 S. 5 StPO ist nunmehr auch ausdrücklich ein Hinweis auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgenommen.
Arg.: Gesetzgeber hat nicht ausdrücklich absolutes Verwertungsverbot direkt mitgeregelt (a. A. aber auch vertretbar mit guten Argumenten bei Wolters/Gubitz, Rn. 84). Letztlich kann aber relatives Verwertungsverbot vorliegen (Abwägung erforderlich).
Verstoß gegen Vernehmung ohne Benachrichtigung Verteidiger (§ 168c Abs. 1, § 163a Abs. 4 S. 2 StPO)
Abwägung, bei richterlicher Beschuldigtenvernehmung Verwertungsverbot anerkannt. Tendenziell auch bei polizeilicher Vernehmung Verwertungsverbot (+)
Unterlassen der Aufzeichnung nach § 136 Abs. 4 S. 2 StPO trotz Verpflichtung
Verwertungsverbot (–), weil § 136 Abs. 4 S. 2 StPO lediglich eine Ordnungsvorschrift zum Schutz des Beschuldigten. Es soll auch nicht der Schluss gezogen werden, ein Fehlen einer Aufzeichnung indiziere eine fehlende Belehrung.
Hinweis auf Schweigerecht bei vorläufiger Festnahme (§§ 127 Abs. 4, 114b StPO)
Verstoß hat keine unmittelbaren Folgen, ungefragte Äußerungen sollen weiterhin verwertbar sein. Argument innerhalb der Abwägung: Verfahrens wiegt weniger schwer, weil keine Vernehmungssituation vorlag.
Sind Angaben eines Mitbeschuldigten, die dieser unter Verletzung der Belehrungspflicht macht, gegen anderen Beschuldigten verwertbar?
Ja, denn die Regelung des § 136 StPO dient ausschließlich dem Schutz des Beschuldigten und entfaltet keine Drittwirkung; Interessen des Beschuldigten werden gerade nicht durch Verletzung des Belehrungsgebots eines Mitbeschuldigten berührt. Nach einer Entscheidung des BGH gilt das Gleiche, wenn der Verteidiger eines Mitbeschuldigten unter Verstoß gegen § 168c Abs. 1 und 5 StPO nicht vom Termin einer richterlichen Vernehmung informiert wurde.
Belehrungspflicht § 136 Abs. 1 StPO: Fortwirken des Beweisverwertungsverbots bei erneuten Aussagen
Was ist eine qualifizierte Belehrung? Warum ist sie erforderlich?
Qualifizierte Belehrung: Hinweis, dass frühere Aussagen nicht verwertbar
Arg.: Rechtsordnung muss Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass ein Beschuldigter nur deshalb auf sein Aussageverweigerungsrecht verzichtet, weil er glaubt, eine frühere Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können.
Qualifizierte Belehrung erforderlich, wenn
Beschuldigter in der ersten Vernehmung gar nicht gem. § 136 Abs. 1 StPO belehrt wurde,
nach vorangegangen Spontanäußerungen des Beschuldigten sich ein Gespräch mit den Polizeibeamten zu einer Vernehmung verdichtete, ohne dass eine Belehrung nach § 136/§ 114 StPO erfolgte und
der Tatverdächtige zu Unrecht zunächst als Zeuge und nicht schon als Beschuldigter vernommen wurde.
Rechtsfolge bei fehlender qualifizierter Belehrung
Abwägung: Im Einzelfall gleichwohl auch ohne qualifizierte Belehrung verwertbar: Neben in die Abwägung einzubeziehenden Gewicht des Verfahrensverstoßes und des Sachaufklärungsinteresse ist maßgeblich darauf abzustellen, ob der Betreffende nach erfolgter Belehrung davon ausgegangen ist, von seinen früheren Aussagen nicht mehr abrücken zu können
Kriterien:
Willkür → Verwertungsverbot (+)
Anhaltspunkte für Vorstellung des Beschuldigten, Schweigen sei sinnlos: tendenziell Verwertungsverbot (+)
Angaben gehen über eine bloße Wiederholung hinaus: eher Verwertungsverbot (–)
Beschuldiger kannte sein Schweigerecht in erster Vernehmung: Verwertungsverbot (–)
Vorhalt sonstiger unverwertbarer Erkenntnisse (z. B. aus rechtswidriger Durchsuchung) und Folgevernehmung
Fall: Beschuldigter A äußert sich in Vernehmung selbstbelastend, nachdem ihm vorgehalten wird, man habe bei einer Durchsuchung – die aber rechtswidrig war – die Tatwaffe gefunden.
1. Unverwertbarkeit der sonstigen Erkenntnisse prüfen
2. Vorhalt der unverwertbaren Erkenntnisse in erster Vernehmung
→ Kein Verstoß gegen § 136 StPO, keine Pflicht zur qualifizierten Belehrung
→ Rechtsprechung: Trotz Belehrung nach § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 StPO sei Beschuldigter bei Vorhalt unzulässiger erlangter Erkenntnisse nicht mehr frei in seiner Entschließung, ob und wie er sich zu einzelnen Punkten einlassen soll
3. Verwertbarkeit einer Folgevernehmung
→ Verwertungsverbot eher (–): Abwägungslehre: Verfahrensverstoß hat nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht, denn die Verletzung der Pflicht, darauf hinzuweisen, dass Beweismittel unzulässig erlangt (sozusagen „qualifizierte Belehrung“), wiegt nicht so schwer wie ursprünglicher Verfahrensfehler
→ Verwertungsverbot eher (+), sofern Anhaltspunkte für willkürliches Handeln
Verbotene Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO)
Gilt § 136a StPO auch im Rahmen der Zeugenvernehmung?
Ja, entsprechende Anwendbarkeit über § 69 Abs. 3 ZPO.
Abgrenzung „Täuschung“ (§ 136a Abs. 1 S. 1 StPO) und „kriminalistische List“
Bsp.: Beschuldigter A bestreitet. Polizei gibt wahrheitswidrig an, die Beweislage sei so erdrückend, dass nur Geständnis hilfreich sei.
Täuschung in rechtlicher Hinsicht („du musst aussagen“) stets unzulässig. Bei Täuschung in tatsächlicher Hinsicht Abgrenzung zur kriminalistischen List erforderlich.
Tatbestand restriktiv auszulegen, weil nach systematischer Auslegung „Täuschung“ weniger starker Eingriff als bei den anderen verbotenen Vernehmungsmethoden
→ Täuschung (+), sofern Lüge und bewusste Irreführung („Dein Mittäter hat schon gestanden, es bringt eh nichts!“), Beeinträchtigung Aussagefreiheit, vorsätzliches Unterlassen einer Belehrung i. S. v. § 136 StPO, Erklärung, dass Beschuldigter aussagen müssen und das sein Schweigen gegen ihn verwendet werden könne
→ Erlaube kriminalistische List (+), sofern ein Irrtum nicht berichtigt wird (verboten wäre nur Ausweitung und Vertiefung dieses Irrtums. Unbeabsichtigte Irreführungen sind erlaubt)
Führt ein Verstoß gegen § 136a StPO zu einer Fernwirkung dergestalt, dass Beweismittel, die aufgrund verbotener Vernehmungsmethoden gefunden werden, ebenfalls nicht verwertet werden dürfen?
Eine derartige Fernwirkung wird grundsätzlich abgelehnt. Arg.:
(+), weil einzelne Person sonst das gesamte Strafverfahren lahmlegen könnte und Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts, die zu den tragenden Grundsätzen des Strafverfahrensrechts gehört, ausgehöhlt würde
(+), weil oftmals Erkenntnisse ohnehin erlangt worden wären
Ausnahme: Beweisverwertungsverbot (+), wenn es als ausgeschlossen erscheint, dass das weitere Beweismitteln ohne den Verfahrensfehler erlangt worden wäre unter Berufung auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und ethischen Prinzipen ein Verbot geboten ist (eher nicht in Klausur annehmen).
Sonderfall: Hörfalle
Welche Vorschriften sind alle anzuprüfen? Sind die Erkenntnisse letztlich verwertbar?
Fall: Ermittlungsbehörden veranlassen eine Privatperson, mit einem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichtetes Gespräch zu führen, das ein Beamter mithört. Einführung des Inhalts des Gesprächs durch Zeugenbeweis (Privatperson oder mithörender Beamter)?
1. Belehrung § 136 StPO (–), weil Privatperson nicht in amtlicher Eigenschaft Auskunft verlangt (≠ Vernehmung)
2. Entsprechende Anwendung § 136 StPO (–), weil die Vorschrift davor schützen soll, dass der Beschuldigte sich veranlasst sehen könnte, einem amtlichen Auskunftsverlangen nachzukommen. Der Beschuldigte weiß aber, dass keine Aussagepflicht gegenüber Privatperson besteht
3. Unzulässige Umgehung § 136 StPO (–), weil Schutz des Beschuldigten vor irriger Annahme eines Aussagezwangs hier nicht besteht
4. Verbotene Täuschung § 136a StPO (–), weil restriktiv auszulegen, nicht vergleichbar
5. Verstoß gegen „Nemo-tenetur-Grundsatz“ (–), weil Aussage freiwillig erfolgt
6. Rechtsstaatliche Grenzen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem Rechtsstaatsprinzip und Grundsatz des fairen Verfahrens?
→ Abwägung gegen notwendigen Schutz des Gemeinwesens und Pflicht des Staates zur effektiven Strafverfolgung
→ Verwertbarkeit (+), wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung (vgl. §§ 98a, 100a, 110a StPO) geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre
Verwertbarkeit von Zeugenaussagen
Führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 57 ZPO zu einem Verwertungsverbot?
Verwertungsverbot bei Verstoß (–), weil ausschließlich im Interesse des Zeugen erlassene Ordnungsvorschrift
Wann ist eine Belehrung nach § 55 Abs. 2 ZPO erforderlich? Führt eine nicht erfolgte Belehrung zu einem Beweisverwertungsverbot?
Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO (+), sofern Gefahr der Verfolgung; es besteht keine generelle Hinweispflicht. Gefahr der Verfolgung (+), wenn aus der wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen für die Ermittlungsbehörden Tatsachen ergeben können, die den Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründen; nicht ausreichend sind Vermutung oder rein denklogische Möglichkeiten
Verwertungsverbot (–) bei Verstoß gegen Belehrungspflicht. Teilweise wird zwar argumentiert, jeder Verstoß gegen Regeln über zulässige Methoden der Wahrheitsfindung berühre auch den Rechtskreis des Beschuldigten. § 55 StPO dient aber dennoch nur dazu, dass dem Zeugen und nur ihm der Konflikt erspart werden soll, sich selbst oder Angehörige zu belasten. § 55 StPO dient nicht dazu, Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern.
Verwertbarkeit von Zeugenaussagen: § 52 StPO
Wann (zu welchem Zeitpunkt) besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 ZPO? Ist eine Belehrung vonnöten? Welche Rechtsfolge hat ein Verstoß?
Belehrungspflicht (§ 52 Abs. 3 S. 1 StPO). Verlobte (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO): Ausreichend ist Glaubhaftmachung (§ 56 StPO), wofür ausreichend ist, dass das Gericht sie für wahrscheinlich hält → nicht zu strenge Maßstäbe. Verlöbnis nur ablehnen, wenn handfeste Anhaltspunkte dagegensprechen. Bei Ehe (§ 52 Abs. 1 Nr. 2, 2a StPO) besteht Zeugnisverweigerungsrecht auch nach Scheidung fort. Beachte ferner allgemein, dass für ein Zeugnisverweigerungsrecht das begründende Verhältnis nicht schon zum Zeitpunkt der Tat vorgelegen haben muss; maßgebend ist der Zeitpunkt der Vernehmung.
Rechtsfolge bei Verstoß Belehrungspflicht:
a) Verwertungsverbot nach Abwägung (+): Schutzbereich der Norm, Rücksicht auf Familienfrieden zu nehmen, bezieht Beschuldigten mit ein, betrifft folglich seinen Rechtskreis und ist ein grundrechtlich gesichertes Gut
b) Verwertungsverbot (–), wenn Zeugnisverweigerungsberechtigter sein Recht gekannt hat und auch bei ordnungsgemäßer Belehrung ausgesagt hätte (restriktiv)
Verwertbarkeit von Zeugenaussagen: Verlesungsverbot nach § 252 StPO
Auf welchem Weg könnten theoretisch frühere Zeugenaussagen in die HV eingeführt werden?
Darf eine Zeugenaussage verlesen werden, wenn ein Zeuge später von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht? Welche Ausnahmen gibt es?
Ausgangslage: Zeuge hat bereits eine Aussage gemacht und beruft sich später auf Zeugnisverweigerungsrecht.
Hinweis, auf welchem Wege dieser in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann
Urkundsbeweis durch Verlesung der Niederschrift des Protokolls: Nach § 252 StPO verboten (schriftliche Mitteilungen dürfen aber wohl im Wege des Urkundsbeweises nach § 249 StPO eingeführt werden, was insoweit sinnvoll erscheint, als hier keine Vernehmung vorlagt [Kaiserskript, S. 59])
Zeugenbeweis über die Vernehmung der Person, welche die Vernehmung im Ermittlungsverfahren vorgenommen hat (Wahrnehmung einer Person i. S. v. § 250 S. 1 StPO): Wortlaut nur „verlesen“, aber nach Sinn und Zweck umfassendes Verwertungsverbot, das auch Zeugenbeweis umfasst, denn § 252 StPO dient dazu, „die frühere Aussage als Grundlage der Überzeugungsbildung vollständig auszuschalten“
Grundsätzlich Verwertbarkeit bei Zeugnisverweigerungsrecht nach § 252 StPO (–).
Zwei Ausnahmen:
Vernehmung durch Richter
Zustimmung zur Verwertung
Gilt das Verlesungsverbot für alle Zeugnisverweigerungsrechte? Muss das Zeugnisverweigerungsrecht bereits im Zeitpunkt der früheren Vernehmung bestanden haben?
Grundsätzlich (uneingeschränkt) nur für Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO; Später eintretendes Verweigerungsrecht: Verwertungsverbot besteht auch dann, wenn Zeugnisverweigerungsrecht erst nach polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Vernehmung eintritt (etwa durch Heirat) (es gibt wohl neue Rechtsprechung, die das anzweifelt, aber scheint mir nicht gefestigt zu sein)
Kein Verlesungsverbot bei Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO; Argument: Rechtskreistheorie: § 55 StPO dient ausschließlich dem Schutz des Zeugen, der sich nicht selbst belasten soll
Ausnahme: Frühere richterliche Vernehmung
Unter welchen Voraussetzungen ist eine Verlesung zulässig? Warum? Ist bei richterlichen Vernehmung eine Belehrung dahingehend erforderlich, dass Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibt?
Verwertung zulässig, wenn
Vernehmung als Zeuge
Zeugnisverweigerungsrecht bestand bereits bei richterlicher Vernehmung
! Wenn Zeugnisverweigerungsrecht erst nach richterlicher Vernehmung entsteht (siehe 2.), dann bleibt die Aussage des Zeugen unverwertbar.
Ordnungsgemäße Belehrung (keine qualifizierte Belehrung erforderlich [siehe unten])
Wirksamer Verzicht auf Zeugnisverweigerungsrecht
Argument: Güterabwägung: Angesichts eines nach Belehrung bewusst erklärten Verzichts auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in der verfahrensrechtliche hervorgehobenen Situation einer richterlichen Vernehmung ist das öffentlich Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von größerem Interesse als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur Hauptverhandlung erhalten zu können. Das besonderes Gewicht richterlicher Vernehmung zeigt sich auch in § 251 Abs. 2, § 168c Abs. 2, § 161a Abs. 1 S. 3 StPO.
Folgefrage: Qualifizierte Belehrung dahingehend, dass die Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibt, ist nicht erforderlich. Begründung: Derartige Belehrungspflicht ergebe sich nicht aus Gesetz, auch keine planwidrige Regelungslücke. § 252 StPO diene lediglich dem Schutz des Zeugen und sei deshalb nicht geeignet, die mit der qualifizierten Belehrung verbundene weitere Erschwerung der Wahrheitserforschung zu rechtfertigen.
Wonach ist beim Sachverständigen als Zeugen zu unterscheiden?
I. Zusatztatsachen sind solche, die das eigentliche Tatgeschehen betreffen und zu deren Ermittlung und Wahrnehmung keine besondere Sachkunde erforderlich ist.
→ § 252 StPO (+), dürfen nicht durch Vernehmung des Sachverständigen als Zeugen vom Hörensagen oder Verlesung des Sachverständigengutachtens eingeführt werden
II. Befundtatsachen sind Anknüpfungstatsachen für das Gutachten, die der Sachverständige aufgrund seiner Sachkunde selbst festgestellt hat.
→ § 252 StPO (–)
Durchsuchungen beim Beschuldigten (§§ 102, 105 StPO)
Wovon ist die Durchsuchung bei Duchsuchungen am Körper abzugrenzen?
Person des Verdächtigen: Durchsuchung am Körper, ohne medizinische Hilfsmittel mögliche Einsicht in Körperöffnung (z. B. Mund), bei notwendiger medizinischer Hilfe sind die §§ 81a ff. StPO einschlägig
Darf die StA wegen Gefahr im Verzug eine Durchsuchung anordnen (Eilkompetenz), wenn bereits ein Antrag an den Richter gestellt ist, dieser aber noch nicht entschiedene hat?
Grundsatz: Eilkompetenz endet, wenn Richter mit der Sache befasst ist (bei Antragsstellung). Eilkompetenz lebt nicht wieder auf, weil Richter noch nicht entschieden hat. Arg.: Wortlaut und Systematik Art. 13 Abs. 2 GG, wonach mit Antragsstellung ein präventiver Grundrechtsschutz in Gang gesetzt werden konnte, der nicht einseitig wieder aufgehalten werden kann.
Ausnahme: Eilkompetenz kann nur dann neu begründet werden, wenn tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung im Sinne einer überholenden Kausalität entgegenstehen und die Gefahr eines Beweismittelverlustes begründen (restriktiv, eher nicht annehmen)
Welche inhaltlichen Anforderungen sind an eine Durchsuchungsanordnung zu stellen?
→ Bezeichnung der Straftat, wegen derer durchsucht wird
→ zumindest bei Wohnungsdurchsuchungen Angaben zum Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, wenn nach Stand der Ermittlungsverfahren möglich und den Zwecken des Strafverfahrens nicht zuwiderlaufen
→ Zweck und Ausmaß der Durchsuchung müssen genannt und annäherungsweise begrenzt werden (Begrenzungsfunktion)
→ Umreißen der Verdachtsgründe
Hinweis: Nicht zu hohe Anforderungen, weil Durchsuchung naturgemäß dem Zweck dient, den Inhalts des Tatvorwurfs und Tatverdachts weiter konkretisieren zu können.
Sind Zufallsfunde verwertbar? Sind angestrebte Zufallsfunde verwertbar?
Beispiel: Angeklagt wegen Beihilfe zum Betrug. Daneben angeklagt wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Im letzteren Verfahren ordnet Gericht Durchsuchung Wohnung an. Polizeibeamten nehmen bei „Grobsichtung“ schriftliche Unterlagen in Beschlag, die Beihilfe zum Betrug belegen
Nach § 108 StPO verwertbar, wenn Anordnung der Durchsuchung rechtmäßig war, angeordnete Durchsuchungsbeschränkungen eingehalten worden sind und § 97 StPO nicht entgegensteht.
Problem: Angestrebte Zufallsfunde
Abwägung aller Umstände im konkreten Einzelfall, ob öffentliches Interesse an einer Aufklärung der Tat zurückzutreten; stets Abwägung zwischen Aufklärungsinteresse und Einhaltung eines rechtmäßigen Verfahrens; (+) (=Beweisverwertungsverbot), sofern keine Schwerstkriminalität.
Außerhalb von Durchsuchungen richtet sich die Zulässigkeit von Zufallsfunden nicht nach § 108 StPO. Dabei gilt grundsätzlich: Zufallsfunde gegen der Anlasstat dürfen unmittelbar verwertet werden, wenn es sich bei der anderen Tat auch um Katalogtat handelt. Sofern dies nicht der Fall ist, dürfen diese nicht zu Beweiszwecken, sondern nur mittelbar als Ermittlungsansätze verwendet werden.
Beachte zudem, dass die Verwertung derartiger Zufallsfunde auch dann problematisch ist, wenn diese ihren Ursprung in prozessualen Maßnahmen haben, die nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig sind. Für Erkenntnisse, die nicht aus Strafverfahren stammen, gilt dann § 161 Abs. 3 S. 1 StPO. Für Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren verweist § 479 Abs. 2 S. 1 StPO auf die entsprechende Anwendbarkeit von § 161 Abs. 3 S. 1 StPO.
Führen Fehler im Rahmen der Durchsuchung zu einem Beweisverwertungsverbot?
Verfahrensverstöße nicht generell zu einem Verwertungsverbot führen, weil dies die Verpflichtung der Gericht zur Erforschung der Wahrheit unterlaufen würde. Ein Verwertungsverbot kann im Rahmen einer Abwägung aber eintreten, wenn besonders grober Verfahrensverstoßt.
→ Besonders grober Fehler (–), wenn Richter die Durchsuchung ohne Weiteres hätte anordnen müssen (hypothetische Ersatzanordnung)
→ Besonders grober Fehler (+), wenn Durchsuchung willkürlich unter Missachtung des Richtervorbehalts oder in grober Verkennung der Rechtslage
→ Besonders grober Fehler (–), wenn nur Rangverhältnis zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft nicht gewahrt wurde.
→ Besonders grober Fehler (–), wenn Durchsuchungsanordnung nur inhaltliche Mängel aufweist oder wenn Gericht bei mündlicher Anordnung den Vorgang nicht ausreichend dokumentiert.
Durchsuchungen bei Dritten (§§ 103, 105 StPO)
Welche Rechtsfolge haben Fehler bei Durchsuchungen bei Dritten?
Kein Verwertungsverbot, da Vorschrift nicht der Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren, sondern Schutz des nicht tatverdächtigen Dritten dient. Rechtskreis des Beschuldigten ist nicht berührt.
Beschlagnahme (§§ 94 ff., 98 StPO)
Worauf ist bei den Beschlagnahmeverboten (§ 97 StPO) zu beachten? Welchen Sinn haben sie?
Führt ein Verstoß gegen Beschlagnahmeverbote zu einem Beweisverwertungsverbot (Rechtsfolge)?
Die Beschlagnahme ist aber nur dann verboten, wenn sie die Gegenstände im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden (§ 97 Abs. 2 StPO).
Sinn: Umgehung der Zeugnisverweigerungsrechte (§§ 52 ff. StPO) soll vermieden werden
Rechtsfolge: Verstoß gegen Beschlagnahmeverbot führt zu Bewertungsverbot
Weiteres Beschlagnahmeverbot im Rahmen der Kommunikation mit Verteidiger kann aus § 148 StPO folgen (Unterlagen, die Beschuldigter erkennbar zum Zwecke seiner Verteidigung erstellt hat). Achtung: Hier Gewahrsam unerheblich!
Welche Rechtsfolge hat es, wenn der Richtervorbehalt nicht beachtet wird?
Richtervorbehalt (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO). Sofern Beschlagnahme durch Polizei oder StA, kein Verwertungsverbot; aber in Abschlussverfügung Antrag auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme aufnehmen (§ 98 Abs. 2 StPO)
Sonderfall: Beschlagnahme von Tagebüchern
Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und dem Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege. Kernbereich privater Lebensgestaltung (Intimsphäre) grundsätzlich unantastbar und jeder Einwirkung durch öffentliche Gewalt entzogen → Beweisverbot
Im übrigen Abwägen; Aufzeichnungen, die nur äußeres Geschehen festhalten, dürfen verwertet werden. Verwertet werden dürfen auch Aufzeichnungen über begangene oder bevorstehende schwere Straftaten, weil sie nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören.
Sonderfall: Postbeschlagnahme (§ 99 StPO)
Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO zulässig, wenn
(1) sich das Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten
(2) Sendung an ihn gerichtet ist (S. 1) oder sich aus konkreten Tatsachen ergibt, dass die Sendung von ihm herrührt oder obwohl nicht adressiert für ihn bestimmt ist (S. 2)
(3) verhältnismäßig (konkretisierter Tatverdacht hinsichtlich einer nicht nur geringfügigen Tat)
(4) Es sich nicht um Verteidigerpost handelt (§ 148 StPO)
Merke: §§ 99, 100 StPO sind nur einschlägig, wenn Beschlagnahme beim Postunternehmen! Wird beim Beschuldigten beschlagnahmt, handelt es sich um eine einfach beschlagnahme i. S. v. § 94 StPO. Die Zulässigkeit richtet sich nach den §§ 94, 98 StPO (ebenso, sofern Post sich beim nicht beschuldigten Empfänger befindet [dann § 97 StPO beachten, bei Verteidiger auch § 148 StPO])
Richtervorbehalt (§ 100 StPO) (Ergänzung in Nr. 77 ff. RiStBV)
→ StA bei Gefahr im Verzug; bei fehlender Bestätigung innerhalb drei Tage wird Anordnung StA unwirksam, in dieser Zeit beschlagnahme Post bleibt aber beschlagnahmt (keine Rückwirkung)
Rechtsfolge:
→ Lagen die materiellen Voraussetzungen nicht vor, besteht wegen der Schwere des Verstoßes ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot
→ Verstoß gegen § 100 Abs. 1 StPO nur Beweisverwertungsverbot, wenn StA willkürlich gehandelt hat.
Telefonüberwachungen (§ 100a ff. StPO)
In welchen Fällen besteht ein Verwertungsverbot?
Anordnung einer Überwachung darf im Regelfall nur durch Richter erfolgen (§ 110e StPO) und sich nur auf die in § 100a StPO genannten Straftaten beziehen. Inhaltliche Anforderungen der richterlichen Anordnung in § 100e Abs. 3, 4 StPO. Betrifft die Maßnahme den Kernbereich der privaten Lebensführung, sieht § 100d Abs. 1 und 2 StPO ein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot vor
Verwertungsverbote: Jedenfalls für solche Telefonüberwachungen, die unter völliger Umgehung der Voraussetzungen der §§ 100a und 100e StPO erfolgen.
Beschlagnahme von E-Mails
Phase 1: Übertragung E-Mail vom Absender an Provider: § 100a StPO (unzweifelhaft Kommunikationsvorgang)
Phase 2: Speicherung der E-Mail beim Provider
BGH: § 100a StPO (–), weil Speicherung ≠ Telekommunikationsvorgang; §§ 94, 98 StPO (–), weil zu weit; Anwendung der Vorschriften zur Postbeschlagnahme nach § 99 StPO
BVerfG: Phase der Speicherung sei Telekommunikationsvorgang, weil Auslegung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 GG ergeben, dass Schutzbedürftigkeit des Grundrechtsträgers im Vordergrund stehe; gleichwohl seien Eingriffe auch über §§ 94 ff. StPO möglich, wenn es sich nicht um heimliche, sondern um eine offene Maßnahme handelt; falls heimlich → § 100a StPO
Phase 3: Während der Übertragung der E-Mail nach Abruf an den Empfänger: § 100a StPO
Phase 4: Ankunft beim Empfänger: § 94 ff. StPO
Verwertbarkeit anderer Straftaten oder anderer Personen bei ordnungsgemäßer Telefonüberwachung
Fall: Überwachung führt dazu, dass eine andere Tat aufgedeckt wird.
Verwertbarkeit (+), wenn
(1) es sich um dieselbe prozessuale Tat handelt,
(2) andere Straftat ebenfalls Katalogstraftat betrifft
Hinweis: Sofern Telefonüberwachung ordnungsgemäß, sind sogar Gespräche im Hintergrund („Raumgespräche“) verwertbar, wenn diese während einer gewollten Verbindung geführt werden.
Bei anderen Straftaten (Nichtkatalogstraftaten) allenfalls Anlass zur Aufnahme weiterer Ermittlungen; Ausnahme: „enger Bezug zu der in der Anordnung aufgeführten Katalogtat vorliegt“ (BGH hat Ermittlungsverfahren gegen RA wegen Hehlerei und Begünstigung als zulässig angesehen, dass herausgekommen ist, weil Mandant G wegen Erpressung und anderen Straftaten abgehört wurde)
Zufallsfunde über andere prozessuale Taten: Verwertbarkeit richtet sich nach § 479 Abs. 2 S. 1, § 161 Abs. 3 S. 1 StPO.
Zufallsfunde gegen der Anlasstat dürfen unmittelbar verwertet werden, wenn es sich bei der anderen Tat auch um Katalogtat handelt. Sofern dies nicht der Fall ist, dürfen diese nicht zu Beweiszwecken, sondern nur mittelbar als Ermittlungsansätze verwendet werden.
Weitere Überwachungen
I. Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO), bei der unbemerkt aus der Ferne der Computer eines Beschuldigten nach Hinweisen auf Straftaten untersucht wird; Zuständigkeit einer Spezialkammer nach § 74a Abs. 4 GVG.
II. Akustische Überwachung (Wohnraumüberwachung) (§ 100c, 100d StPO)
Wohl wenig klausurrelevant. Wichtig ist, dass Kernbereich privater Lebensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) berührt nicht berührt wird (§ 100d Abs. 1, 2 und 4 StPO.
II. Akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen (§ 100f StPO)
Beispiel: akustische Überwachung eines Kraftfahrzeuges, auch die Überwachung eines Haftraumes einer JVA, Besuchsraum einer JVA. Voraussetzungen in § 100f Abs. 2–4 StPO. Über § 100f Abs. 4 StPO gilt auch hier Richtervorbehalt nach § 100e StPO. Auch hier gilt, dass nicht Kernbereich privater Lebensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) berührt sein darf. Dies hat der BGH etwa aber Selbstgesprächen in einem PKW als verletzt angesehen. Gedanke ist, dass in eine nicht auf Kommunikation gerichteten Prozess Gedanken vor Zugriffen durch Strafverfolgungsbehörden geschützt werden müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Beschuldigter sich als „allein“ empfindet und die Äußerung mit inneren Gedanken identisch ist. Es liegt in diesen Fällen ein Verwertungsverbot vor.
Verdeckte Ermittlungsmaßnahme der Polizei
Was ist ein Informant? Nach welcher Vorschrift darf eingesetzt werden?
Privatperson, die im Einzelfall die Ermittlungsbehörden mit Informationen über Straftaten versorgt. Ermächtigungsgrundlage für seinen Einsatz § 161 Abs. 1 S. 1 StPO.
Verwertbarkeit: Information sind ohne Weiteres verwertbar (ggf. wohl über „Zeugen vom Hören sagen“, wenn Identität geschützt werden soll).
Nicht öffentlich ermittelnde Polizeibeamte (NoeP)
Polizeibeamte, die ohne Legende und meinst unter falschen Namen auftreten. Ermächtigungsgrundlage für seinen Einsatz § 161 Abs. 1 S. 1 StPO.
Verwertbarkeit: Information sind ohne Weiteres verwertbar
Verdeckte Ermittler: Welche Voraussetzungen sind (materiell und formell) zu beachten?
Polizeibeamte, die unter einer Legende (§ 110a Abs. 2 StPO) ermitteln. Ermächtigungsgrundlage in den §§ 110a ff. StPO.
Materielle Voraussetzungen (§ 110a StPO):
1. Verdacht einer Katalogtat von erheblicher Bedeutung (§ 110a Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4 StPO), eines Verbrechens mit Wiederholungsgefahr außerhalb Katalogtat (§ 110a Abs. 1 S. 2 StPO) oder eines Verbrechens von besonderer Bedeutung (§ 110a Abs. 1 S. 4 StPO). Auf
2. Aufklärung der Tat ohne Einsatz vE zumindest wesentlich erschwert (§ 110a Abs. 1 S. 1, 2 StPO) oder mit anderen Ermittlungsmaßnahmen aussichtslos (§ 110a Abs. 1 S. 4 StPO)
Formelle Voraussetzungen (§ 110b StPO)
1. Befristete und schriftliche Zustimmung der StA (§ 110b Abs. 1 StPO)
2. Beachten des Richtervorbehalts (§ 110b Abs. 2 StPO)
Problem: Einwirkung des vE auf den Beschuldigten
Fall: Beschuldigter entscheidet sich, zum Tatvorwurf zu schweigen. Der vE schafft ein besonderes Vertrauensverhältnis und drängt den Beschuldigten zu einer geständigen Aussage.
I. Verstoß gegen §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–), weil vE nicht in amtlicher Funktion auftritt → Vernehmung (–)
II. Entsprechende Anwendung §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–): Beschuldigter muss nicht vor irrtümlicher Annahme einer Aussagepflicht geschützt werden
III. Unzulässige Umgehung der §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–) (kann man wohl gemeinsam mit II ansprechen)
IV. Unverwertbarkeit nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO (–), weil nicht vergleichbar mit Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit
V. Verstoß gegen den „Nemo-tenetur-Grundsatz: je nach Einzelfall (+)/(–)
Selbstbelastungsfreiheit gehört zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Soweit Beschuldigter Schweigen will, verdichtet sich der durch die Selbstbelastungsfreiheit gebotene Schutz derart, dass die Strafverfolgungsbehörden seine Entscheidung für das Schweigen grundsätzlich zu respektieren haben. Nutzen sie in diesem Fall ein besonderes Vertrauensverhältnis zum vE aus, hat das regelmäßig ein Verwertungsverbot zur Folge.
Hinweis: Das Verwertungsverbot kann sich auch auf den Inhalt einer nachfolgenden Vernehmung erstrecken (Fortwirkung), wenn dem Beschuldigten erklärt wird, seine Angaben gegenüber dem vE seien gerichtsverwertbar.
V-Leute/Vertrauenspersonen (VP)
Personen, die ohne einer Verfolgungsbehörde anzugehören, bereit sind, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird. Ermächtigungsgrundlage § 161 Abs. 1 S. 1 StPO.
V-Leute/Vertrauenspersonen (VP): : Provokation zu Straftaten durch vE/VP
I. Konkretes Vorgehen als Tatprovokation
Eine Tatprovokation liegt nur dann vor, wenn auf Veranlassung oder mit Einwilligung einer staatlichen Dienstelle auf eine Zielperson eingewirkt wird, um deren Verhalten so zu steuern, dass sie einer Straftat überführt werden kann.
Der Einsatz muss auf das Handeln staatlicher Organe zurückführbar sein. Dies ist bei vE stets der Fall. Bei VP indes nur, wenn die Provokation mit dem Wissen eines für die Anleitung der Amtsperson verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte verhindern können.
Ferner muss Einwirkung erheblich sein. Daran fehlt es, wenn lediglich die bereits offen erkennbare Bereitschaft der Zielperson zur Begehung von Straftaten durch Schaffen der Tatgelegenheit ausgenutzt wird.
II. Rechtsstaatliche Grenzen
Tatprovokation grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise zulässig, wenn der agent provocateur gegen eine Person eingesetzt wird, die bereits in eine den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt zu sein oder zu einer künftigen Straftat bereit zu sein. Art und Intensität einer zulässigen Einwirkung sind aber jedenfalls überschritten, wenn Provokation ein unvertretbares Übergewicht hat. Je stärker Tatverdacht, desto stärker darf Einflussnahme durch vE/VP sein.
III. Folgen der Einwirkung auf den Beschuldigten
1. Einwirkung erreicht nicht das Ausmaß einer Tatprovokation: Berücksichtigung als Strafmilderungsgrund auf Strafzumessungsebene
2. Einwirkung stellt unzulässige Tatprovokation dar:
BGH: Schuldunabhängiger Strafmilderungsgrund von besonderem Gewicht (Strafzumessungslösung), kein Verwertungsverbot.
BVerfG: Aus Rechtsstaatsprinzip folge kein Verwertungsverbot, weil dieses auch der materiellen Gerechtigkeit der Strafverfolgung diene. Möglicherweise aber Verwertungsverbot unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGMR.
Neuere BGH-Rechtsprechung: Regelmäßige Folge sei ein Verfahrenshindernis. Strafzumessungsregel stehe im Widerspruch zu einem fairen Verfahren i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EMRK.
Hinweis: Vertretbar wohl alle Positionen, letztlich Abwägung unter Berücksichtigung klausurtaktischer Erwägungen.
Weitere Ermittlungsmaßnahmen: § 161 Abs. 3 VwGO
§ 161 Abs. 1 S. 1 StPO ist nicht nur die Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Informaten und verdeckt ermittelnden Polizeibeamten, sondern für viele weitere Maßnahmen, die mit einem minder schweren Grundrechtseingriff verbunden sind und nicht von einer spezielleren Ermächtigungsgrundlage erfasst werden. Dazu gehört etwa
Blutproben (§ 81a StPO)
Eine körperliche Untersuchung liegt vor, wenn die Beschaffenheit des Körpers untersucht oder im Körper nach Beweisen gesucht oder dem Körper Blut entnommen wird, das sodann als Beweismittel untersucht wird.
1. Schritt: Verstoß gegen Richtervorbehalt § 81a Abs. 2 S. 1 StPO? (nicht erforderlich bei bestimmten Straßenverkehrsdelikten [§ 81a Abs. 2 S. 2 StPO])
2. Schritt: Falls ja, Verwertbarkeit
→ Abwägung; möglicherweise Verwertungsverbot (+), wenn Polizeibeamter sich keine Gedanken über die Fragen des Verzugs gemacht hat und allein aufgrund „langjähriger Erfahrung“ handelt
Videoaufnahmen und Fotos
Zwichen welcher Art und Videoaufzeichnung ist zu unterscheiden? Welche Argumente sprechen für eine Verwertbarkeit bei Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen?
Grundlagen: Nur zu prüfen, sofern Verwertungswiderspruch in Klausur enthalten. Zu unterscheiden ist eine Videoaufnahme der Polizei als Observationsmaßnahme (§ 100h Abs. 1 S. 1 StPO) und Videoaufzeichnung auf privater Basis (z. B. Überwachungskameras in Supermärkten, Tankstelle). Letztere sind Regelfall in Klausur. Sie sind nur zulässig, wenn sie mit § 4 BDSG vereinbar sind. Häufige Rüge ist ein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 BDSG.
Rechtsfolge bei Verstoß: Abwägungslehre (relatives Beweisverwertungsverbot). Grundsätzlich kein Verwertungsverbot, weil
Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmung diene nicht Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren
Kernbereich privater Lebensgestaltung (hier Sozialsphäre) nicht betroffen
Verstoß nicht Strafverfolgungsbehörde zuzurechnen.
Einzubeziehen (wie immer) auch Schwere der Tat.
Soweit Kernbereich privater Lebensgestaltung gerügt wird, wieder unterscheiden in Intims-, Privats- und Sozialsphäre.
Sonderfall Dash-Cams: Regelmäßig Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BDSG, aber Abwägung dürfte auch hier regelmäßig gegen ein Beweisverwertungsverbot sprechen. Ähnlich bei Body-Cams von Polizeibeamten (Rechtsgrundlage in § 14 HSOG).
Einführung von Beweismitteln aus präventiv-polizeilicher Grundlage in den Prozess nach § 161 Abs. 3 S. 1 StPO
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