Buffl

Beweis- und Beweisverwertung

SP
by Sebastian P.

Verbotene Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO)


Sonderfall: Hörfalle


Welche Vorschriften sind alle anzuprüfen? Sind die Erkenntnisse letztlich verwertbar?


Fall: Ermittlungsbehörden veranlassen eine Privatperson, mit einem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichtetes Gespräch zu führen, das ein Beamter mithört. Einführung des Inhalts des Gesprächs durch Zeugenbeweis (Privatperson oder mithörender Beamter)?

1. Belehrung § 136 StPO (–), weil Privatperson nicht in amtlicher Eigenschaft Auskunft verlangt (≠ Vernehmung)

2. Entsprechende Anwendung § 136 StPO (–), weil die Vorschrift davor schützen soll, dass der Beschuldigte sich veranlasst sehen könnte, einem amtlichen Auskunftsverlangen nachzukommen. Der Beschuldigte weiß aber, dass keine Aussagepflicht gegenüber Privatperson besteht

3. Unzulässige Umgehung § 136 StPO (–), weil Schutz des Beschuldigten vor irriger Annahme eines Aussagezwangs hier nicht besteht

4. Verbotene Täuschung § 136a StPO (–), weil restriktiv auszulegen, nicht vergleichbar

5. Verstoß gegen „Nemo-tenetur-Grundsatz“ (–), weil Aussage freiwillig erfolgt

6. Rechtsstaatliche Grenzen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem Rechtsstaatsprinzip und Grundsatz des fairen Verfahrens?

→ Abwägung gegen notwendigen Schutz des Gemeinwesens und Pflicht des Staates zur effektiven Strafverfolgung

→ Verwertbarkeit (+), wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung (vgl. §§ 98a, 100a, 110a StPO) geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre

Verwertbarkeit von Zeugenaussagen: Verlesungsverbot nach § 252 StPO


Ausnahme: Frühere richterliche Vernehmung


Unter welchen Voraussetzungen ist eine Verlesung zulässig? Warum? Ist bei richterlichen Vernehmung eine Belehrung dahingehend erforderlich, dass Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibt?

Verwertung zulässig, wenn

  1. Vernehmung als Zeuge

  2. Zeugnisverweigerungsrecht bestand bereits bei richterlicher Vernehmung

    ! Wenn Zeugnisverweigerungsrecht erst nach richterlicher Vernehmung entsteht (siehe 2.), dann bleibt die Aussage des Zeugen unverwertbar.

  3. Ordnungsgemäße Belehrung (keine qualifizierte Belehrung erforderlich [siehe unten])

  4. Wirksamer Verzicht auf Zeugnisverweigerungsrecht

Argument: Güterabwägung: Angesichts eines nach Belehrung bewusst erklärten Verzichts auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in der verfahrensrechtliche hervorgehobenen Situation einer richterlichen Vernehmung ist das öffentlich Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von größerem Interesse als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur Hauptverhandlung erhalten zu können. Das besonderes Gewicht richterlicher Vernehmung zeigt sich auch in § 251 Abs. 2, § 168c Abs. 2, § 161a Abs. 1 S. 3 StPO.


Folgefrage: Qualifizierte Belehrung dahingehend, dass die Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung verwertbar bleibt, ist nicht erforderlich. Begründung: Derartige Belehrungspflicht ergebe sich nicht aus Gesetz, auch keine planwidrige Regelungslücke. § 252 StPO diene lediglich dem Schutz des Zeugen und sei deshalb nicht geeignet, die mit der qualifizierten Belehrung verbundene weitere Erschwerung der Wahrheitserforschung zu rechtfertigen.

Durchsuchungen beim Beschuldigten (§§ 102, 105 StPO)


Sind Zufallsfunde verwertbar? Sind angestrebte Zufallsfunde verwertbar?


Beispiel: Angeklagt wegen Beihilfe zum Betrug. Daneben angeklagt wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Im letzteren Verfahren ordnet Gericht Durchsuchung Wohnung an. Polizeibeamten nehmen bei „Grobsichtung“ schriftliche Unterlagen in Beschlag, die Beihilfe zum Betrug belegen

Nach § 108 StPO verwertbar, wenn Anordnung der Durchsuchung rechtmäßig war, angeordnete Durchsuchungsbeschränkungen eingehalten worden sind und § 97 StPO nicht entgegensteht.

 

Problem: Angestrebte Zufallsfunde

Abwägung aller Umstände im konkreten Einzelfall, ob öffentliches Interesse an einer Aufklärung der Tat zurückzutreten; stets Abwägung zwischen Aufklärungsinteresse und Einhaltung eines rechtmäßigen Verfahrens; (+) (=Beweisverwertungsverbot), sofern keine Schwerstkriminalität.


Außerhalb von Durchsuchungen richtet sich die Zulässigkeit von Zufallsfunden nicht nach § 108 StPO. Dabei gilt grundsätzlich: Zufallsfunde gegen der Anlasstat dürfen unmittelbar verwertet werden, wenn es sich bei der anderen Tat auch um Katalogtat handelt. Sofern dies nicht der Fall ist, dürfen diese nicht zu Beweiszwecken, sondern nur mittelbar als Ermittlungsansätze verwendet werden.

Beachte zudem, dass die Verwertung derartiger Zufallsfunde auch dann problematisch ist, wenn diese ihren Ursprung in prozessualen Maßnahmen haben, die nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig sind. Für Erkenntnisse, die nicht aus Strafverfahren stammen, gilt dann § 161 Abs. 3 S. 1 StPO. Für Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren verweist § 479 Abs. 2 S. 1 StPO auf die entsprechende Anwendbarkeit von § 161 Abs. 3 S. 1 StPO.

Verdeckte Ermittlungsmaßnahme der Polizei


Problem: Einwirkung des vE auf den Beschuldigten


Fall: Beschuldigter entscheidet sich, zum Tatvorwurf zu schweigen. Der vE schafft ein besonderes Vertrauensverhältnis und drängt den Beschuldigten zu einer geständigen Aussage.

I. Verstoß gegen §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–), weil vE nicht in amtlicher Funktion auftritt → Vernehmung (–)

II. Entsprechende Anwendung §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–): Beschuldigter muss nicht vor irrtümlicher Annahme einer Aussagepflicht geschützt werden

III. Unzulässige Umgehung der §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO (–) (kann man wohl gemeinsam mit II ansprechen)

IV. Unverwertbarkeit nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO (–), weil nicht vergleichbar mit Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit

V. Verstoß gegen den „Nemo-tenetur-Grundsatz: je nach Einzelfall (+)/(–)

Selbstbelastungsfreiheit gehört zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Soweit Beschuldigter Schweigen will, verdichtet sich der durch die Selbstbelastungsfreiheit gebotene Schutz derart, dass die Strafverfolgungsbehörden seine Entscheidung für das Schweigen grundsätzlich zu respektieren haben. Nutzen sie in diesem Fall ein besonderes Vertrauensverhältnis zum vE aus, hat das regelmäßig ein Verwertungsverbot zur Folge.


Hinweis: Das Verwertungsverbot kann sich auch auf den Inhalt einer nachfolgenden Vernehmung erstrecken (Fortwirkung), wenn dem Beschuldigten erklärt wird, seine Angaben gegenüber dem vE seien gerichtsverwertbar.

Verdeckte Ermittlungsmaßnahme der Polizei


V-Leute/Vertrauenspersonen (VP): : Provokation zu Straftaten durch vE/VP

I. Konkretes Vorgehen als Tatprovokation

Eine Tatprovokation liegt nur dann vor, wenn auf Veranlassung oder mit Einwilligung einer staatlichen Dienstelle auf eine Zielperson eingewirkt wird, um deren Verhalten so zu steuern, dass sie einer Straftat überführt werden kann.

Der Einsatz muss auf das Handeln staatlicher Organe zurückführbar sein. Dies ist bei vE stets der Fall. Bei VP indes nur, wenn die Provokation mit dem Wissen eines für die Anleitung der Amtsperson verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte verhindern können.

Ferner muss Einwirkung erheblich sein. Daran fehlt es, wenn lediglich die bereits offen erkennbare Bereitschaft der Zielperson zur Begehung von Straftaten durch Schaffen der Tatgelegenheit ausgenutzt wird.


II. Rechtsstaatliche Grenzen

Tatprovokation grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise zulässig, wenn der agent provocateur gegen eine Person eingesetzt wird, die bereits in eine den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt zu sein oder zu einer künftigen Straftat bereit zu sein. Art und Intensität einer zulässigen Einwirkung sind aber jedenfalls überschritten, wenn Provokation ein unvertretbares Übergewicht hat. Je stärker Tatverdacht, desto stärker darf Einflussnahme durch vE/VP sein.


III. Folgen der Einwirkung auf den Beschuldigten

1. Einwirkung erreicht nicht das Ausmaß einer Tatprovokation: Berücksichtigung als Strafmilderungsgrund auf Strafzumessungsebene

2. Einwirkung stellt unzulässige Tatprovokation dar:

BGH: Schuldunabhängiger Strafmilderungsgrund von besonderem Gewicht (Strafzumessungslösung), kein Verwertungsverbot.

BVerfG: Aus Rechtsstaatsprinzip folge kein Verwertungsverbot, weil dieses auch der materiellen Gerechtigkeit der Strafverfolgung diene. Möglicherweise aber Verwertungsverbot unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGMR. 

Neuere BGH-Rechtsprechung: Regelmäßige Folge sei ein Verfahrenshindernis. Strafzumessungsregel stehe im Widerspruch zu einem fairen Verfahren i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EMRK.

Hinweis: Vertretbar wohl alle Positionen, letztlich Abwägung unter Berücksichtigung klausurtaktischer Erwägungen.

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Sebastian P.

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