Lernziele
Sie sind mit den einzelnen Bestandteilen des Psychopathologischen Befundes nach AMDP vertraut und kennen Beispiele für einzelne Symptome:
1. Wahn
2. Sinnestäuschungen
3. Ich-Störungen
4. Affektivität
5. Antrieb, Intentionalität, Wille
6. Persönlichkeitsmerkmale
7. weitere Symptome
• Als Wahn bezeichnet man eine unkorrigierbar falsche Beurteilung der Realität, die erfahrungsunabhängig auftritt und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird
• Überzeugung steht im Widerspruch zur Wirklichkeit und zur Überzeugung der Mitmenschen
• Wahnphänomene können in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlichem Inhalt auftreten
• Wahnideen gehören zu den inhaltlichen Denkstörungen.
• werden oft verheimlicht und müssen bei entsprechendem Verdacht gezielt exploriert werden
• müssen von überwertigen Ideen abgegrenzt werden
• überwertige Ideen = gefühlsmäßig stark besetzte Erlebnisinhalte, die das Denken in unsachlicher und einseitiger Weise beherrschen, aber nicht absolut unkorrigierbar sind
-> Einteilung der Wahnsymptome
• Wahneinfall: oft unvermitteltes, sich nicht in erster Linie auf Sinneswahrnehmungen berufendes Auftreten von wahnhaften Vorstellungen und Überzeugungen
• Klinische Beispiele Wahneinfall: „Gestern ist mir aufgegangen, dass ich den Friedensnobelpreis erhalte, weil ich die Supermächte telepathisch ausgesöhnt habe.“ „Heute Morgen ist mir sonnenklar geworden, dass mein Sohn gar nicht von mir stammt.“
• Wahngedanken: aus Wahnwahrnehmungen oder Wahneinfällen hervorgegangene und festgehaltene Überzeugung „Vor mehreren Monate sind lauter gelbe ausländische Autos in der Stadt herumgefahren, die mich offensichtlich beobachtet haben. Seitdem weiß ich, dass sie mich dauernd im Visier haben.“
• Systematisierter Wahn: Wahnideen werden durch logische bzw. paralogische Verknüpfungen zu einem Wahngebäude ausgestaltet
• Wahndynamik: Affektive Anteilnahme am Wahn; die Kraft des Antriebs und die Stärke der Affekte, die im Wahn wirken
-> mögliche Wahninhalte
-> F 32.3
• Beziehungswahn: Menschen und Dinge der Umwelt werden wahnhaft vom Kranken auf sich selbst bezogen
• Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn: Der Kranke erlebt sich wahnhaft als Ziel von Beeinträchtigung und Verfolgung „Mit einem großen Radioteleskop überwachen die Psychologen mich auf Schritt und Tritt. Mit den Videokameras filmen sie alle meine Bewegungen und verwenden es dann gegen mich. Sie wollen mich in den Selbstmord treiben.“
• Eifersuchtswahn: Wahnhafte Überzeugung, vom Partner betrogen oder hintergangen zu werden
• Schuldwahn: Wahnhafte Überzeugung, z.B. gegen Gott, die Gebote, eine höhere sittliche Instanz verstoßen zu haben (Depression!) „Ich hätte niemals dem Verkauf zustimmen dürfen, das war auf jeden Fall falsch. Wenn die Kinder das erfahren, werden sie nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen; aber ich habe es auch nicht besser verdient, das ist jetzt die Strafe alles ist aus.“
• Verarmungswahn: Wahnhafte Überzeugung, dass die finanzielle Lebensbasis bedroht oder verloren gegangen ist (Depression!)
• Nihilistischer Wahn: Wahnhafte Überzeugung, alles sei verloren, alles sei aussichtslos, alles sei hoffnungslos; extrem Walking Corpse Syndrome (auch Cotard Syndrom) (Depression!)
• Hypochondrischer Wahn: Wahnhafte Überzeugung, dass die Gesundheit bedroht oder verloren gegangen ist
• Größenwahn: Wahnhafte Selbstüberschätzung bis hin zur Identifizierung mit berühmten Persönlichkeiten der Vergangenheit oder Gegenwart „Ich verfüge über eine Superintelligenz und habe die Aufgabe die kriegsführenden Länder zu versöhnen.“
• Liebeswahn: Wahnhafte Überzeugung, von einem anderen geliebt zu werden
• Doppelgängerwahn: Wahnhafte Vorstellung, dass ein Doppelgänger existiert; Capgras-Syndrom (nach Psychiater Joseph Capgras)
• Bedeutungswahn: Einem an sich zufälligen Ereignis wird eine besondere Bedeutung zugeschrieben
I. Illusion
• Verfälschte wirkliche Wahrnehmung, Verkennung, Missdeutung von Sinneseindrücken
II. Halluzinationen
• Wahrnehmungserlebnisse ohne physikalische Reizquelle, die auf jedem Sinnesgebiet auftreten können
• Akustische Halluzinationen
○ Stimmenhören, dialogisierende Stimmen, imperative Stimmen
○ Akoasmen (ungeformte elementare akustische Wahrnehmungen, wie Klopfen, Hämmern)
• Optische Halluzinationen
○ Photome (ungeformte elementare optische Wahrnehmungen, wie Lichtblitze, Muster)
○ Gegenstände, Personen oder ganze Szenen werden ohne entsprechende äußere Reizquelle wahrgenommen
• Geruchs- und Geschmackshalluzinationen (olfaktorische und gustatorische Halluzinationen)
○ Pat. mit wahnhaften Vergiftungsängsten geben z.B. an, Gas zu riechen
• Körperhalluzinationen
○ Taktile Halluzinationen (Berührung durch nicht vorhandene Objekte: „Eine kalte, behaarte Hand legte sich auf meinen Körper“),
○ Zönästhesien/coenästhetische Halluzinationen (qualitativ abnorme, fremdartige Leibsensationen, die nicht als von außen gemacht empfunden werden: „Strom fließt durch meinen Körper“, „Mein Gehirn schwappt hin und her“)
III. Sonstige Wahrnehmungsstörungen
• Im Gegensatz zu Halluzinationen sind diese Veränderungen der Wahrnehmung meist wesentlich einfacher zu erfragen, weil sie dem Patienten nicht als so fern vom normalen psychischen Erleben vorkommen.
• Veränderung der Wahrnehmungsintensität: Sinneseindrücke sind farbiger, lebhafter, farbloser, verschleiert
• Mikro-/Makropsie: Gegenstände werden verkleinert bzw. entfernter oder näher wahrgenommen.
• Metamorphopsie (Dysmorphopsie): Gegenstände werden in Farbe oder Form verändert oder verzerrt wahrgenommen
-> Welche F Diagnose könnte man vergeben?
-> Störungen, bei denen sich die Ichhaftigkeit des Erlebens verändert (Derealisation, Depersonalisation) oder die Grenze zwischen dem Ich und der Umwelt durchlässig erscheint.
I. Derealisation
• Personen, Gegenstände, und oft die gesamte Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig, räumlich verändert und damit unvertraut, sonderbar, gespenstisch
II. Depersonalisation
• Störung des aktuellen Einheitserlebens der Person oder der subjektiven Identität in Bezug auf den ganzen Lebenslauf. Der Betroffene erlebt das eigene Ich oder Teile des Körpers als fremd, unwirklich, verändert, uneinheitlich
III. Gedankenausbreitung, -entzug und –eingebung
• Gedankenausbreitung: konkretes, subjektives Erleben, dass die Gedanken nicht mehr dem Patienten alleine gehören, dass andere daran Anteil haben und wissen, was er denkt (Gedankenlesen)
• Gedankenentzug: Eindruck des Wegnehmens eigener Gedanken von außen
• Gedankeneingebung: Eindruck des Implantierens fremder Gedanken und Vorstellungen in das eigene Erleben im Sinne einer von außen gesteuerten Beeinflussung und Lenkung
IV. Fremdbeeinflussungserlebnisse
• Betroffene finden ihr Fühlen, Streben, Wollen und Handeln als von außen gemacht, gelenkt, gesteuert
= Oberbegriff
-> »Stimmung« (längerdauernd), »Affekt« (kurz, spontan, aus der jeweiligen Situation entstehend).
• I. Depressivität: Breites Spektrum von negativ getönten Gefühlszuständen: Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Lustlosigkeit, Interessenverlust, Sorge, Gram, Hilflosigkeit, innere Qual, Verzweiflung, Anspannung, untergründige – seltener auch offene – Gereiztheit und Aggressivität, Hoffnungslosigkeit, pessimistische Grundstimmung, fehlende Zukunftsorientierung
• II. Gefühllosigkeit: „Gefühl der Gefühllosigkeit“: Reduktion allen affektiven Erlebens; subjektiv wahrgenommene Gefühlsleere (z.B. Unfähigkeit, Trauer zu erleben)
• III. Anhedonie: Störung des Erlebens von Freude und Wohlgefühl
• IV. Affektarmut: Vorwiegend vom Untersucher wahrgenommen; das Spektrum gezeigter Gefühle ist vermindert; nur wenige oder nur sehr dürftige Affekte sind beobachtbar; Betroffene wirken gleichgültig, emotional verhalten, lust- und interessenlos
• V. Affektstarre: Verlust der affektiven Modulationsfähigkeit, Verbleiben in seinen Affekten oder Stimmungen, unabhängig von der äußeren Situation oder dem Gesprächsgegenstand
• VI. Läppischer Affekt: alberne, leere Heiterkeit mit dem Anstrich des Einfältigen, Törichten, Unreifen
• VII. Euphorie: Übersteigerte(s) Wohlbefinden, Behagen, Heiterkeit, Zuversicht, gesteigertes Vitalgefühl
• VIII. Dysphorie: Missmutige Verstimmtheit, Übellaunigkeit, Unzufriedenheit, Ärgerlichkeit
• IX. Gereiztheit: Bereitschaft zu aggressiv getönten, affektiven Ausbrüchen
• X. Innere Unruhe: affektiver und psychomotorischer Anteil; Betroffene fühlen sich aufgewühlt, getrieben, gehetzt (»Agitiertheit«, »motorische Unruhe«)
• XI. Klagsamkeit: Die erlebten negativen Affekte werden sprachlich, mimisch und gestisch ausdrucksstark vorgetragen
• XII. Ambivalenz: Gleichzeitiges Vorhandensein widersprüchlicher Gefühle, Vorstellungen, Wünsche, Intentionen, Impulse, was meist als außerordentlich unangenehm erlebt wird und zu Anspannung führt
• XIII. Parathymie: Bei der Parathymie stimmen Gefühlsausdruck und berichteter Erlebnisinhalt nicht überein, es entsteht der Eindruck des Inadäquaten, mitunter auch des Paradoxen
• XIV. Affektlabilität und Affektinkontinenz: Die Affektlabilität ist gekennzeichnet durch schnelle Stimmungswechsel. Stärkster Ausprägungsgrad dieses Symptoms ist die Affektinkontinenz, bei der die affektiven Reaktionen schon bei geringem Anlass massiv sind und vom Patienten nicht beherrscht werden können
• XV. Störungen des Selbstwertgefühls: Insuffizienzgefühle drücken das verlorengegangene Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder gar den »Wert« der eigenen Person aus (z.B. Patient mit einem nihilistischen Wahn, der bestreitet, als Person überhaupt noch zu existieren, geschweige denn einen Wert für sich oder andere darzustellen) -> Der umgekehrte Fall ist beim gesteigerten Selbstwertgefühl gegeben
• XVI. Schuld- und Verarmungsgefühle: Der Schuldgefühle äußernde Patient macht sich Vorwürfe wegen aus seiner Sicht verfehlter Handlungen, Gedanken oder Wünsche. Dies kann ein wahnhaftes Ausmaß annehmen (Schuldwahn; analog: Verarmungsgefühl oder Verarmungswahn)
• XVII. Störungen der Vitalgefühle: Allgemeine Herabsetzung des Gefühls von Kraft und Lebendigkeit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit
• XVIII. Ängstlichkeit
○ Generalisierte Angst: »frei flottierend«, ohne konkretes Objekt, »Angst vor allem«
○ Phobische Angst: Ängste vor ganz bestimmten, von den Patienten klar zu bezeichnenden Situationen oder Objekten (Folge: Vermeidung!)
○ Panikattacke: schwere Angstattacke, deren Auftreten nicht an besondere situative Umstände gekoppelt ist und die daher für den Betroffenen auch nicht vorhersehbar ist (Dauer etwa 5-15 min). Vegetative Begleitsymptomatik (Schwitzen, Zittern, Herzklopfen etc.)
Intentionalität: Fähigkeit, Zielvorstellungen für die unmittelbare und fernere Zukunft entwickeln und entsprechende Handlungsstrategien entwerfen und durchhalten zu können
Antriebsstörungen
• Antriebsarmut: Ein Mangel an Energie, Initiative und Anteilnahme an der Umgebung (Intentionalität eingeschränkt!)
• Antriebshemmung: Initiative- und Planungsfähigkeit sind vorhanden (Intentionalität ist also da!), werden aber als gebremst oder blockiert erlebt. Wünsche und Absichten können geäußert, aber nicht in entsprechende Handlungen umgesetzt werden
Antriebssteigerung: Zunahme an Energie, Aktivität und Planung, wobei dies bei stärkerer Ausprägung mit zunehmend unorganisiertem Verhalten einhergehen kann. Häufig findet sich begleitend eine motorische Unruhe im Sinne einer gesteigerten und ungerichteten motorischen Aktivität (inhaltliche Nähe zum psychomotorischen Symptom der Agitiertheit)
Willensstörungen
• Befehlsautomatismus: Patient führt Anweisungen auch dann gleichsam »automatenhaft« aus, wenn dies den eigenen Absichten zuwiderläuft und ein willentlicher Entschluss zum Handeln subjektiv gar nicht vorliegt
• Negativistische Kranke hingegen tun gerade das nicht, was man von ihnen erwartet oder verlangt (passiver Negativismus) oder sie tun genau das Gegenteil (aktiver Negativismus)
• Ambitendenz: gleichzeitig nebeneinander vorkommende, entgegengesetzte Willensimpulse machen entschlossenes Handeln unmöglich
Wesentliche Felder, zu denen bei der Persönlichkeitsbeschreibung Stellung genommen werden kann, sind:
• dauerhafte Muster in der Art der Selbstwahrnehmung
• der Wahrnehmung anderer
• des Wertgefüges
• des Umgang mit (Selbst-)Kontrolle und Impulsivität
• dauerhafte Charakteristika von Antrieb und Stimmung
• soziale Kompetenzen im Sinne von Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit
• besondere Modi des Umgangs mit aversiven Affekten und Konflikten (»Abwehrmechanismen«)
Persönlichkeitszüge: Orientierung z.B. an den Clustern des DSM
Intelligenz
• Einschätzung der Intelligenz über die bereits besprochenen Bereiche der Aufmerksamkeit, des Denkens und Gedächtnisses
• Eine differenzierte Quantifizierung ermöglichen testpsychologische Verfahren
-> Suizidalität
• Unter Suizid (Selbsttötung) versteht man die absichtliche Selbstschädigung mit tödlichem Ausgang.
• Unter Suizidversuch versteht man die absichtliche Selbstschädigung mit dem Ziel bzw. mit der Möglichkeit des tödlichen Ausgangs. Der Suizidversuch führt aber nicht zum Tod.
• Abgrenzung zur Selbstverletzung! (Absicht zu Sterben vs. Ausführung zur Emotionsregulation)
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