Hemisphären-Asymmetrien
1) Hemisphären des Gehirns und Verbindungen
- Hemisphäre: aus ἡμι- (hēmi) → grc „halb“ und σφαιρίον (sphairio) → grc „kleine Kugel“
- commissura (lat.) = Verbindung
- der Corpus callosum („Balken“) ist die wichtigste Verbindung der beiden Hemisphären
-> Faserverbindung (weiße Substanz)
- Chiasma opticum: ein wichtiger Abschnitt der Sehbahn. Durch die partielle Überkreuzung der Sehnerven verarbeitet die rechte Großhirnhemisphäre nur optische Reize der linken Gesichtsfeldhälfte und die linke Hemisphäre nur optische Reize der rechten Gesichtsfeldhälfte
Getrennte Untersuchung der Hemisphären
- Trennung des corpus callosum (Hauptverbindung)
-> wurde bei schweren Epilepsiefällen eingesetzt (damit der Anfall nicht von einer Hirnhälfte auf die andere überspringt)
- die Information kommt nur in eine Hemisphäre des Telencephalons (Großhirn) -> die andere Hemisphäre hat keinen Zugriff
- Wort links vs. rechts
-> links konnte die Information nicht verarbeitet werden
Gehirn des Monsieur Tan
- ca. 1860
- Diagnose: Broca—Aphasie
- Monsieur Tan war Patient bei Pierre Broca
- alles, was der Patient sprachlich artikulieren konnte, war „Tan“
- der Patient hat Sprache verstanden
- es gibt eine Trennung zwischen dem, was man versteht, und dem, was man ausdrücken kann
- blau umkreist: spezifische Schädigung im frontalen Bereich des Gehirns
Hypothese lateralisierter Funktionen
- Pierre Brocas Hypothese: das Areal, das für Sprachproduktion zuständig ist, befindet sich in der linken Hemisphäre
- Carl Wernickes Beobachtung: Patienten konnten sinnvoll antworten, aber hatten ein schlechtes Sprachverständnis
- Aphasien = erworbene Sprachstörung
-> altgriechisch ἀφασία aphasía ‚Sprachlosigkeit'
- Broca und Wernicke machten entgegengesetzte Beobachtungen
Ergebnisse aus der Tierforschung
- perzeptuelles Lernen findet primär in den visuellen Arealen statt
- der Katze wurde ein Auge abgedeckt
- Kontrollgruppe: entweder das Chiasma opticum (altgriechisch χίασμα chíasma, deutsch ‚Kreuzung'), das Corpus callosum oder keines von beiden (hier gezeigt) wurde durchtrennt
-> Lernkurve bleibt erhalten
- Experimentalgruppe: sowohl das Chiasma opticum als auch das Corpus callosum wurden durchtrennt
-> das zweite Auge (bzw. der Okzipitallappen) muss selbstständig trainiert werden
- daraus folgt: es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen perzeptuellem Lernen und der Verbindung der Hemisphären
Funktionelle Lateralisierung
- im Alltag fällt die Lateralisierung nicht auf
-> das Gehirn arbeitet als komplexes System zusammen (-> effizientes Arbeiten)
- Schlaganfall: wenn man früh und viel trainiert, kann man bestimmte Funktionen zurückgewinnen, obwohl der jeweilige Bereich des Hirns geschädigt ist
Strukturelle Asymmetrien
- Planum temporale: lat. planum „eben, Fläche“, v. lat. tempus „Schläfe“) wird die Oberfläche des Schläfenlappens (Lobus temporalis), nach Teilentfernung des Scheitellappens (Lobus parietalis), bezeichnet; enthält das Wernicke-Areal
-> hier findet die Verarbeitung akustischer Information statt
-> bei den meisten Menschen wird Sprache vorwiegend in der linken Gehirnhälfte verarbeitet
- links: das Planum temporale
- rechts: leicht Hemisphären Asymmetrie
- absolutes Gehör hat einen kulturellen Aspekt: es gibt Kulturen, in denen Tonhöhen wichtiger sind als bei uns
Komponenten der Sprachverarbeitung
- das Wernicke- und das Broca-Areal existieren in der Form nur in der linken Hemisphäre
- Das Wernicke-Areal erstreckt sich vom dorsalen Teil des Gyrus temporalis superior bis über die Gyri angularis et supramarginalis des Parietallappens (Brodmann Areae 22, 39, 40). Es liegt jeweils auf der dominanten Hemisphäre:
-> bei Rechtshändern meist linkshemisphärisch
-> bei Linkshändern ebenfalls links- oder rechtshemisphärisch
- Das Broca-Areal liegt im Bereich der Partes triangularis et opercularis des Gyrus frontalis inferior (Brodmann-Areale 44, 45) innerhalb der dominanten Großhirnhemisphäre:
-> bei Rechtshändern in der Regel linkshemisphärisch
-> bei Linkshändern rechts- oder linkshemisphärisch
Lokalisation der Sprachverarbeitung
Wernicke-Geschwind Modell
- stellt eine vereinfachte Darstellung der neuronalen Repräsentation von Sprachfähigkeit dar
- Hr. Geschwind hat die die Verbindung des Broca- und Wernicke-Areals postuliert
- die menschliche Sprachverarbeitung umfasst im Kern drei Strukturen:
1. Wernicke-Areal
2. Broca-Aral
3. Verbindung
- Einschränkung des Modells: gesprochene Sprache im Fokus (lesen, schreiben und hören wird vernachlässigt)
- Sprache ist ein symbolisches System
- Semantik (Bedeutung, Inhalt (eines Wortes, Satzes oder Textes)): Bedeutung eines gesprochenen und geschriebenen Wortes ist gleich
- Broca-Areal: zuständig für das Produzieren von Sprache (Sprechmotorik)
- Wernicke-Areal: zuständig für das Verstehen von (gesprochener) Sprache
Perisylvisches Sprachnetzwerk
- diffusor tension imaging (DTI): kann strukturelle Verbindungen zwischen Hirnarealen modulieren
-> DTI: an MRI technique that measures water molecule diffusion and its directionality
- long segment: direkte Verbindung
- anterior segment: indirekte Verbindung
Problem Patientenstudien
- die Idee der klaren Fokussierung der Hirnareale, die für die Sprachverarbeitung zuständig sind, ist so nicht haltbar
- das geschädigte Gebiet (lachsfarben markiert) ist ein sehr breiter Bereich
Lokale Sprachzentren im Gehirn?
- die lokalen Sprachzenten im Hirn sind breit über den Neokortex verteilt
-> das gesamte Gehirn ist an Sprache beteiligt
Lexikalisch-phonologisches Netzwerk
- Probleme in der früheren Forschung:
· es wurde ausschließlich gesprochene Sprache untersucht
· die Reichhaltigkeit von Sprache wurde nicht berücksichtigt (einfache Sprache, die nicht das ganze Netzwerk beansprucht, wurde methodisch verwendet)
Dual-Stream Modell der Sprachverarbeitung
- Distanzierung von der Loskalisationeidee hin zur Idee, dass das Gehirn komplex ist und in einem Netzwerk Leistung vollbringt
- dorsal stream: sound to action (Sprachproduktion)
- ventral stream: Sprachverständnis
- Sprache als supermodales Symbolsystem
- Sprache hat unterschiedliche Funktionen
- sensorimotor interface (interface = Schnittstelle): Sprechen ist ein motorische Handlung
- input from other sensory modalities: gesprochene Sprache ist nicht rein auditiv und gelesene Sprach ist nicht rein optisch
-> viel multisensorische Verarbeitung
- "Spectro-temporal" refers most commonly to audition, where the neuron's response depends on frequency versus time
-> spectrotemporal analysis: auditive Verarbeitung
Sprachverarbeitung: auditiv-visuelle Interaktion
- Sprachverarbeitung ist im Regelfall auditiv und visuell
- speech recognition = Sprachverarbeitung
- teilweise kann man ein Wort rein auf der Mimik erkennen (Gesichtsmotorik) -> Lippenlesen
- die Modelle, die wir von Sprachverarbeitung haben, sind etwas zu begrenzt, um die Realität abzubilden
Kognitive Kontrollfunktionen
Phineas Gage (1823-1860)
- US-amerikanischer Arbeiter bei der Eisenbahn
- Sprengstoff: P. Gage sollte ihn vorbereiten; die Stange, mit der er den Sprengstoff reingestopft hat, hat seinen Schädel durchbohrt -> Gage erlitt eine schwere Hirnverletzung; sein Körper konnte dies aber kompensieren
- P. Gage überlebte und durchging einen Persönlichkeitswandel -> von einer ruhigen Person wurde er zu einer impulsiven Person
- Gages präfrontaler Kortex (zuständig für Impulskontrolle und kognitive Kontrollfunktionen) wurde verletzt
Präfrontaler Cortex und kognitive Kontrolle
- DLPFC = dorsolateraler präfrontaler Kortex
- der DLPFC hat eine begrenzte Kapazität (memory load) -> es gibt Möglichkeiten, diese zu erweitern
Funktionelle Koordination der Hemisphären
1. Bedingung: ein Ziel, eine Handlung
-> Aufgaben sind auf beiden Hemisphären repräsentiert
2. Bedingung: switching -> funktionelle Lateralisierung
-> eine Hemisphäre Aufgabe A, die andere Aufgabe B; +DLPFC
-> optimale Verteilung der Kapazitäten
- es ist aufgabenabhängig, ob Aufgaben über die Hemisphären verteilt werden
- viel funktionelle Dynamik -> Flexibilität -> flexible strukturelle funktionale Netzwerke
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