Soziale Kognition – Grundbegriffe
Forschung im Bereich Sozialer Kognition:
- untersucht spezifische kognitive Prozesse, die ablaufen, wenn Menschen mit der sozialen Umwelt interagieren
- operiert auf der Annahme, dass das Verhalten von Individuen in einer sozialen Umgebung nur verstehbar ist, wenn mensch ihre mentalen Prozesse kennt
- betont die Wichtigkeit interner Repräsentation der Umwelt – der objektiv gleiche Input kann verschieden interpretiert werden
-> kognitive Wende: radikale Abwendung vom Behaviorismus
- vormals dominantes Paradigma: Behaviorismus
- O: „black box“ laut Behavioristen -> Gedanken des Organismus seien egal -> weil sei uns nicht helfen würden, die Reaktion des Organismus zu verstehen
- Skinner Tauben, Pawlow’scher Hund -> behavior shaping: Belohnung der Annäherung an gewünschtes Verhalten
beyond the black box…
- Wahrnehmung: sensorischer Input
- Enkodierung und Kategorisierung: Sinn geben
- Im Behaviorismus gibt es keine Entscheidungen, da Verhalten dort als determiniert angesehen wird
- Gedächtnis, organsiertes Wissen über die Welt
- Schemata verzerren die Wahrnehmung und leiten Urteile
Wahrnehmung
Nicht aller Schall, der an unserer Ohr dringt, wird wahrgenommen (-> inherente Selektivität)
- Aufmerksamkeit als zentrales Kriterium für Wahrnehmung
- Cocktail party effect (Cherry, 1953; Broadbent, 1954) als akkustisches Figur-Grund-Problem
-> Indiz dafür, dass viel mehr als die Spotlight-Logik passiert
- Aufmerksamkeit richtet sich auf distinkte, saliente Stimuli
- Salienz ist keine Eigenschaft des Objekts selber, sondern seiner Beziehung zur Umwelt bzw. zur wahrnehmenden Person
-> Salienz: Funktion der Beziehung eines Stimulus zu seiner Umwelt -> Aufmerksamkeit auf sich ziehen
Salienz
- Aus der Menge herausfallendes, seltenes Exemplar
- Bewegtes Objekt in unbewegter Menge
- Unbewegtes Objekt in bewegter Menge
- Beleuchtetes Objekt in dunklem Raum
- Unerwartete, sozial inadäquate Reize
-> z.B. Nackheit in der Sauna vs. in der U-Bahn
⇒ Generell Stimuli, die nicht schon ohnehin im sozialen Wissen repräsentiert sind
Salienz durch persönliche Relevanz:
- Bedürfnisabhängig, z.B. Nahrung bei Hungrigem, Polizeisirene bei Flüchtenden
- Cocktail Party Effekt
Konsequenz von Salienz
- Führt zu intensiverer Verarbeitung
-> Information beeinflusst Urteile stärker als andere Stimuli – mehr Kausalität wird attribuiert
(Beispiel: Verbale und physische (salienter) Auseinandersetzung)
-> Verstärkt bereits bestehende Urteilstendenz
(Beispiel: moderat (un-)sympathische Partygäste)
-> Intensive Verarbeitung, stärkere kognitive Beschäftigung
-> Intensive Verarbeitung – bessere Erinnerung
Enkodierung und Kategorisierung
- Bildung von neuen und Abgleich mit bestehenden Konzepten
- Enkodierung geht über reine Wahrnehmung hinaus („going beyond the information given“)
-> Bsp. 1: fremdes Auto als Auto erkennen, da das Schema bzw. die Kategorie „Auto“ besteht, an die das neue Exemplar assimiliert wird
-> Bsp. 2: neuer Mensch, Kategorie „Nordafrikanischer Bereich“ -> Vorstellung von dessen Wesen
- Gedächtnis ist konstruktiv; Erinnern: Puzzleteile zusammenfügen
Gedächtnis
- Generelles Weltwissen, Schemata führen zu sogenannten Intrusionsfehlern
-> Intrusionsfehler: wenn man etw. nicht weiß, füllt man das mit dem Schema auf -> lückenhaftes Gedächtnis auffüllen
- Schemakonsistente und inkonsistente Informationen werden unterschiedlich verarbeitet
-> Inkonstistente Informationen werden irgendwann wieder vergessen
Der Autopilot – Schemata
· Autopilot: energieeffizientes Zurechtfinden in der Welt
· Schemata
- Mentale Strukturen, die Menschen benutzen um ihr Wissen in Themenbereichen oder Kategorien bzgl. der sozialen Welt zu organisieren
- Organisiertes Wissen über die Welt
· Beispiele für Schemata
- Situationen: Skripte (typischen Ablauf eines Restaurantbesuchs, Kneipe, Stippefötsche)
- Menschen: Stereotype (Professoren, Studierende)
Funktionen von Schemata
5 Punkte
-> Verständnis von der Gesamtsituation
· Effizienz
- Schnellere Verarbeitung von Information
- Fokussierung auf entscheidende Information
· Kontinuität
- Vorhersagbarkeit von Situationen und Verhalten anderer
-> Auch bei Stereotypen der Fall -> Schema wird genutzt, um sich sinnvoll zu verhalten
· Verarbeitung mehrdeutiger Information
- Klassisches Experiment von Kelley (1950):Beurteilung eines Gastdozenten
- Manipulation
- „Menschen in seinem Bekanntenkreis beschreiben ihn als eher kühle Persönlichkeit, als fleißig, kritisch, pragmatisch, resolut“ vs. „…als eher warme Persönlichkeit…“
- Diskussion Gastdozent – Klasse (20 Minuten)
- Ergebnis:
-> Verhalten: schemakonsistente Beteiligung an Diskussion -> Schemata prägen Verhalten
-> Beurteilung: schemakonsistent, vor allem bei mehrdeutiger Info
· Aufmerksamkeit
- Schemata als Filter für neue Information
- Fokus auf konsistente Information
· Erinnerung
- Rekonstruktives Gedächtnis
- Auffüllen von Informationslücken durch schemakonsistente Information
Schlussfolgern zusätzlicher Attribute
Schemata in der klinischen Diagnostik
Das ist auch das Interessante an klinisch-psychologischer Diagnostik
· Die alleinige Benennung von Individuen als „depressiv“ oder „schizophren“ bringt erst einmal nur wenig – bzw. ist für sich ein reines Etikettenspiel
-> Bsp.: 3/10 Kriterien für eine Krankheit erfüllen
· Interessant nur deshalb, weil sich daraus weiteres ergibt, dass ich nicht in jedem Einzelfall neu erfassen muss
- Wahrscheinlich selbstmordgefährdet
- Muss unterstützt werden
- Kann mit Antidepressiva behandelt werden
- Spricht wahrscheinlich gut auf kognitive Verhaltenstherapie an
-> Bande über das Schema -> praktisch
Schemata erlauben…
- das schnelle Zurechtfinden im unbekannten Setting (solange Schema existiert)
- Folgern zusätzlicher Attribute
- Vorhersage von Ereignissen
- Verarbeitung mehrdeutiger Information
- 11.11.: Frauen schneiden Krawatten ab -> Schema existiert -> nicht bedrohlich
Aktivierung von Schemata
Welches Schema wird angewendet?
-> Zugänglichkeit eines Schemas entscheidend
- situativ erhöhte Zugänglichkeit
-> Priming: Aktivierung eines Schemas
-> Unmittelbar vorhergehende Verwendung eines Schemas
- chronisch erhöhte Zugänglichkeit
-> Häufige Verwendung eines Schemas
Aktvierung von Schemata
· Higgins, Rholes & Jones (1977)
„Donald verbrachte viel Zeit damit danach zu suchen, was er für sich selbst gern als „Abenteuer“ bezeichnet. Er hatte bereits den Mt. McKinley bestiegen, war die Stromschnellen des Colorado mit einem Kajak hinuntergerast, war in einem Schrottfahrzeugrennen mitgefahren und am Steuer eines düsengetriebenen Motorbootes gesessen – ohne allzu gut über Boote Bescheid zu wissen…“
-> Schemata: Risikoverhalten -> positiv/negativ (bewertend)
- Priming: waghalsig, eingebildet vs. abenteuerlustig, selbstsicher (Vorgehen: Wortlisten lernen)
- Eindrucksbildung: Personenbeschreibung Donald lesen
- Personenbeurteilung
-> konsistent positiv oder negativ je nach zuvor „geprimtem“ Schema
- Schemata sind Gedächtnisinhalte und individuell sehr unterschiedlich
Stereotype: gesellschaftlich geteilte Schemata
Schemata sind veränderungsresistent
- Fehlende Information wird schemakonsistent gefolgert
- Inkonsistente Information ignoriert
- Perseveranz (Fortbestehen) falscher Überzeugungen
- Perseveranzeffekt: einmal angenommene Überzeugungen lassen sich nicht so einfach korrigieren
Sich selbst erfüllende Prophezeiungen
· Rosenthal & Jacobsen (1968)
- IQ-Tests zu Beginn des Schuljahrs
- Falsche Rückmeldung über besonders gute Schüler an Lehrer
- Beobachtungen des Lehrerverhaltens
- IQ-Tests am Ende des Schuljahrs
- Schema: „1er-Kandidat“
- objektiver, psychometrischer Intelligenztest
Verhaltensunterschiede
· Lehrerverhalten gegenüber angeblich begabteren Schülern:
- mehr Aufmerksamkeit, Lob, Ermutigung, Unterstützung
- Mehr und schwierigere Aufgaben
- Mehr und positiveres Feedback
- Mehr Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung am Unterricht und
- mehr Zeit für Antworten
Moderator: Schwellenmodell
Homo oeconomicus
- normatives Verhalten
- marktliberal
Prospect Theory
Asian Disease Problem
Ohne Intervention sterben 60.000 Meschen
· Win Frame
- 20.000 werden sicher gerettet
- Mit Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle gerettet, mit Wahrscheinlichkeit von 2/3 niemand
· Loss Frame
- 40.000 sterben sicher -> hört sich immer schlimmer an
- Mit Wahrscheinlichkeit von 2/3 sterben alle, mit Wahrscheinlichkeit von 1/3 niemand
Heuristiken
Heuristik (von altgriechisch εὑρίσκω heurísko (ich finde) bzw. εὑρίσκειν heurískein (auffinden, entdecken)) bezeichnet Methoden, die mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen kommen.[1] Es bezeichnet ein analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenztem Wissen über ein System mit Hilfe mutmaßender Schlussfolgerungen Aussagen über das System getroffen werden. Die damit gefolgerten Aussagen weichen oftmals von der optimalen Lösung ab. Durch den Vergleich mit einer optimalen Lösung kann die Güte der Heuristik bestimmt werden.
- Auch in Abwesenheit eines auf die Situation anwendbaren Schemas lassen sich Entscheidungen relativ effizient treffen mit Heuristiken oder Daumenregeln
- Grundlage der Entscheidung sind dann z.B. die Leichtigkeit, mit der man bestimme Alternativen abrufen kann
1. Verfügbarkeitsheuristik
- die Ähnlichkeit zu einer typischen Vorstellung
2. Repräsentativitätsheuristik
- akut verfügbare Optionen
3. Ankerheuristik
- Verlassen auf Daumenregeln, wie wir auf richtige Entscheidungen kommen
Verfügbarkeitsheuristik
Verfügbarkeit über Wissen über eine bestimmte Problemfrage
- Wäre es die reine Menge generierbarer Beispiele, die der Wahrscheinlichkeitsschätzung zugrunde liegt, könnte diese verzerrt sein, aber vermutlich der best guess
- Wahrscheinlichkeits- und Häufigkeitseinschätzungen basieren aber auf Leichtigkeit mit der Exemplare abgerufen werden können (ease-of-retrieval)
- Verzerrung durch Faktoren die Verfügbarkeit beeinflussen aber von Häufigkeit unabhängig sind
-> Vividness
-> Abrufbarkeit aus Gedächtnis
Beeinflussung der Leichtigkeit
- Experiment von Schwarz et al, 1991
1. Nennen Sie uns 6 (vs. 12) Beispiele für Situationen, in denen Sie hohe (vs. geringe) Durchsetzungsfähigkeit bewiesen haben.
2. Wie durchsetzungsfähig sind Sie?
- 6 Beispiele zu generieren ist einfach, 12 sind schon eher schwierig
Repräsentativitätsheuristik
- „Linda ist 31 Jahre alt, allein stehend, eloquent und sehr klug. Sie studierte Philosophie. Als Studentin war sie sehr engagiert in Fragen sozialer Gerechtigkeit und nahm an einigen Demonstrationen teil.“
- Was glauben Sie, wie wahrscheinlich ist es, dass Linda:
(a) eine Bankangestellte ist?
(b) eine Bankangestellte ist, die sich in der feministischen Bewegung engagiert?
· Wahrscheinlichkeitseinschätzungen basieren auf Ähnlichkeit zwischen Stimulus und Prototyp
· Verzerrung durch Vernachlässigung anderer Einflüsse
- Basisraten (base-rate-neglect)
- Konjunktive Ereignisse
-> conjunction fallacy: die Wkt. dass Linda feministische Bankangestellt ist, inkludiert die Wkt., dass sie Bankangestellte ist -> Wkt. ist niedriger als eingeschätzt
Ankerheuristik
- man denkt, dass die Person, die die Antwort weiß (Frage stellt), privilegiertes Wissen hat
-> Annahme: der Anker ist plausibel
Ankereffekte im echten Leben
- Ankereffekte sind extrem robust und stabil
· Strafurteile (Englich, Mussweiler & Strack, 2005; 2006)
- Anker über „Journalist“ oder offen zufällig
- Alle kritischen Informationen vorhanden
- Aussagen von Zeugen, Täter, Opfer, Gutachten, Gesetzestexte
· Ankereffekt auch bei erfahrenen Richtern
· KFZ-Verkauf bei Mechanikern (Mussweiler, Strack & Pfeiffer, 2000): „Mein Freund hat gemeint der Wagen sollte noch so DM 2800/5000 (Unterschied von 1000 DM) bringen. Ist das zu viel oder zu wenig?“
-> First offer effect (Galinsky & Mussweiler, 2001)
- insufficient judgement
- War Gandhi 3 oder 300 Jahre alt, als er gestorben ist?
Jenseits von verzerrter Interpretation
Priming
- Automatisches Verhalten
- Aktivierung von Konzepten beeinflusst Verhalten in gebahnte Richtung auch ohne kognitiven Zwischenschritt
Behavioral Priming: It’s all in the mind, but whose mind?
Bargh, Chen, & Burrows, 1996
-> Replikation gescheitert
Priming Intelligent Behavior: An Elusive Phenomenon
- behavior priming: too fancy to be real?
Kontrollierte Prozesse
· Kontrolliertes soziales Denken
- bewusst
- freiwillig
- absichtlich
- aufwendig (mentale Kapazitäten) -> z.B. wenn müde, wenig mentale Kapazitäten
· Je höher Wichtigkeit der Aufgabe und Motivation zu einem guten Urteil zu gelangen, desto wahrscheinlicher sind kontrollierte Prozesse
· Kontrolle und Korrektur automatischer Prozesse
Zwei-Prozess-Modelle
- Selbstkonflikte
- Erklären das Zusammenspiel von eher automatischen und eher kontrollierten Prozessen
- Welches System die Überhand gewinnt ist Funktion von Ressourcen (Zeit, Energie), die dem kontrollierten System zur Verfügung stehen
RI-Modell: Dissoziation
- reasoning = Überlegen
- Refelktives System:
-> braucht Ressourcen (können auch bei Ablenkung, z.B. Fernsehen, verringert werden)
- das Impulsive System ist evolutionär älter
- die Assoziation „Schnitzel mit Pommes – lecker“ befindet sich im semantischen Knoten
Lernziele
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