-Einerseits: „Herrschaft“ als Ordnungsleistung (Sicherheit, u.v.m.) ist ein Kollektivgut (nicht-rivalisierend, nicht-ausschließbar)
o Beispiel: Finanzierung über Steuern
-Andererseits: Bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Personen profitieren besonders von einer bestimmten Herrschaftsordnung (-auch die, die bspw. Steuern hinterziehen, was das Kollektivgutproblem irgendwo aushebelt // d.h. theoretisch haben wir allen Grund möglichst wenig beizutragen)
o Durchsetzung einer bestimmten „Verfassung“/sozialen Produktionsfunktion
o Herrscherposition(en)
o Ausschluss bestimmter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt
==> Herrschaft als Mittel der Verfestigung und des Ausbaus von Machtverhältnissen (Vorteil: man hat schon Machtressourcen)
==> Konflikt um die Herrschaft
-Nach Popitz
-Die Ausgangssituation
o „Ein Schiff kreuzt im östlichen Mittelmeer von Hafen zu Hafen, Waren aller Art und Passagiere aller Zungen an Bord (...) Der einzige Luxus und zugleich die einzigen Requisiten der folgenden Handlung sind einige Liegestühle. Es gab etwa ein Drittel so viel wie Passagiere. In den ersten Tagen, zwischen drei oder vier Häfen, wechseln die Liegestühle ständig ihre Besitzer. Sobald jemand aufstand, galt der Liegestuhl als frei. Belegsymbole wurden nicht anerkannt. (...) Die Zahl der Liegestühle reichte für den jeweiligen Bedarf etwa aus, man fand meist einen, wenn man wollte.“
-Die neue Ordnung
o „Nach der Ausfahrt aus einem Hafen (...) brach diese Ordnung plötzlich zusammen. Die Neuankömmlinge hatten die Liegestühle an sich gebracht und erhoben einen dauerhaften Besitzanspruch. Sie deklarierten also auch einen zeitweilig nicht von ihnen besetzten Liegestuhl als „belegt“. (...) Näherte man sich einem gerade freien Liegestuhl in irgend verdächtiger Weise, so wurde man durch Posen, Gesten und Geschrei der Auch-Besitzer zurückgewiesen. (...) Zwei Klassen hatte sich etabliert, Besitzende und Nicht-Besitzende (...)“ – der Starken durch Machtausübung
-Möglicher weiterer Verlauf
o „Der nächste Schritt ist zweifellos die zeitweilige Vermietung der Liegestühle an einige Nicht-Besitzer. Als Gegenwert kommen neben Naturalien vor allem Dienstleistungen in Frage, und hier wiederum in erster Linie die Übernahme derjenigen Funktion, die mit jedem Besitzanspruch entsteht, der Funktion des Wächters. (...)“
o Eine dritte Klasse entsteht (durch sozialen Aufstieg) ==> Besitzende, Wächter, Nur-Besitzlose
§ Entscheidender Mechanismus: Wächter haben Machtverhältnis trotz eigenem Nachteil akzeptiert (sind immer noch schlechter gestellt als die Besitzenden, aber besser als die Nicht-Besitzenden)
§ Legitimation der Herrschaft der Besitzenden
§ Nur-Besitzlose sind nun aus freien Stücken / eigenem Verschulden in der schlechten Lage
==> Passagiere unterteilen sich in „(...) die Gruppen der Besitzenden, der Wächter und der Nur-Besitzlosen. Damit ist zugleich eine wesentliche Klärung erreicht: Die Nur-Besitzlosen sind von nun an aus freien Stücken und eigenem Verschulden in der schlechtesten Lage (...)“
-„Die Minderheit hat absurderweise eine Chance, ihre neue Ordnung durchzusetzen. Wie, worin ist diese Chance begründet?“ (Popitz)
o Spaltungsstrategie (==> Mehrheitsverhältnisse – einige Wenige Nicht-Besitzende teilhaben lassen, so hat man diese schon auf seiner Seite - Veränderung der Sozialstruktur und damit Legitimation, dritte neue Klasse hat nun andere Interessen als die Nur-Besitzlosen)
o Höhere Organisationsfähigkeit (Art von Tausch – Besitzenden können sich besser organisieren):
§ Sie wissen, welche Ordnung (für sie) richtig ist
§ Die Besitzlosen wissen lediglich, welche Ordnung falsch ist, haben aber keine gemeinsamen Vorstellungen von einer richtigen Ordnung
-„Die Besitzenden haben sich gegenseitig unmittelbar etwas zu bieten: Stellvertretung, Schutz, Bestätigung. (...) Die Situation der Nichtbesitzenden ist viel komplizierter. (...) Was soll geschehen, wenn eine gemeinsame Aktion Erfolg hätte?“ – keine Ahnung/Aussicht, wie es danach weitergehen soll – es gibt keine Ordnung und damit wieder ein Verteilungsproblem – je größer die Gruppe desto schwieriger (Popitz)
-„In der freien Konkurrenz der Ordnungsentwürfe müßten sich also die Verfechter des reinen Gebrauchsrechtes (keine festen Besitzansprüche) jedesmal von neuem gegen fixierte Besitzansprüche durchsetzen, während sie ihrerseits die Liegestühle nach Gebrauch konfliktlos freigäben. (...) Die Vertreter des genossenschaftlichen gleichheitlichen Prinzips können sich nur durchsetzen, wenn sie sich radikal durchsetzen. Entweder muß es ihnen gelingen, das Besitzdenken so zu unterdrücken, daß es praktisch nicht zur Geltung kommen kann – die „Umerziehung“ – oder sie müssen eine geschlossene Gesellschaft bilden, an der die anderen nicht teilhaben, vom Gebrauchsrecht ausgeschlossen sind. Es entsteht damit jener merkwürdige Zwang zur Intoleranz, der einer bestimmten Ordnungsvorstellung „an sich“ anzuhaften scheint, der sich aber lediglich aus dem Verhältnis zweier Ordnungsvorstellungen ergibt. (...) Wer gegen das „Haben“ ist, kann nicht mit denen, die haben wollen, frei konkurrieren.“ (ebd., S. 193)
-Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“
-„Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“
o Spezialfall von Macht (Wächter auf dem Kreuzfahrtschiff – Gewaltmonopol ergibt sich aus der Aufgabe auf die Liegen aufzupassen)
o Autorität mit Legitimitätsanspruch ≠ („nackte“) Gewalt
§ Als Vater möchte ich, dass mich mein Kind aufgrund meiner Erziehung anerkennt
o Gehorchen-Wollen; potentielle und situationsspezifische Überlassung von Rechten
o institutionalisierte Machtbeziehung mit klarer Rollenverteilung
o beide beruhen auf relativem Transaktionsteresse der Akteure und damit auf der Verteilung von Kontrolle und Ressourcen
= zunehmende Stabilisierung/Verfestigung von
-Macht durch
o zunehmende Entpersonalisierung: Funktionsträger
§ Man ist nicht einer namentlichen Einzelperson, sondern einem Funktionsträger verpflichtet
o zunehmende Formalisierung der Machtausübung: Regeln, Rituale
§ Regeln und Rituale, damit die Legitimität der Anweisungen besteht, evtl. Übergabe von Machtsymbolen
o zunehmende Integration in Ordnungsgefüge: Machtstrukturen
§ Herrschaftsapparat mit verschiedenen Rollen (z.B. Wächter) und Machtstrukturen
==> Prozess lässt sich als Abfolge von Stufen beschreiben.
-Stufen der Institutionalisierung
o 1. Sporadische Macht: Machtausübung im Einzelfall (evtl. auch Einzelperson)
§ Übergang: Dauerhafte Machtmittel, wiederholbare Situationen u. Leistungen, kein Exit-Option für Abhängige/Schwächere
o 2. Normierende Macht: „Immer-wenn-dann-Fügsamkeit“
§ immer die gleiche Einzelperson, die Macht ausübt in einer sich wiederholenden Situation
o 3. Positionalisierung: überpersönliche Machtstellungen
§ (Klärung eines Nachfolgers, Stellvertreters der die Macht ausübt,evtl. legitimierende Symbole der Macht für Nachfolger
o 4. Positionsgefüge: Bildung eines Herrschaftsapparats
§ geographische Ausweitung, arbeitsteilige Organisierung, Schaffung eines Positionsgefüges
o 5. Staatliche Herrschaft: Veralltäglichung zentrierter Herrschaft
§ Herrschaft durchzieht den Alltag, meist ohne, dass man sich dieser bewusst wird – kann trotzdem omnipräsent sein
o Bsp.: „Wir erfahren morgens mit dem Blick auf die Uhr die zentral festgelegte Zeit, verbrauchen zentral geliefertes Wasser, Licht und Wärme zu (hoffentlich) zentral kontrollierten Preisen, treffen uns zu grimmiger Runde am Frühstückstisch – im Rahmen des Ehe- und Familienrechts –, fädeln uns, das Haus verlassend, in die Kanäle der Straßenverkehrs- ordnung ein, und dürfen nicht einmal zur Selbsthilfe greifen, wenn jemand vor unserer Garage parkt“ (Popitz)
==> Auch Herrschaften: Zeit, Strom- und Wasserversorgung, etc.
==> Herrschaft gibt aber oftmals Sicherheit
-Problem von Herrschaft: „Garantie“
o äußere Garantien: Entlohnung und Sanktionen
o innere Garantien: Legitimität
-Legitimität = wahrgenommene Richtigkeit und Gerechtigkeit einer Ordnung (empfinden auch Beherrschte so, Akzeptanz der Herrschaft)
-Drei Idealtypen legitimer Herrschaft in denen Legitimitätsglauben der Menschen verankert sind (gehen fließend ineinander über):
o charismatische Herrschaft (außeralltäglich): Heiligkeit, Heldenkraft oder Vorbildlichkeit einer Person
§ Problem: öffnet Diktatur die Tür; Person kann Fehler machen und damit Glaube an die Legitimität erschüttern; Nachfolgeproblem (Jesus, Napoleon, Trump)
o traditionale Herrschaft (alltäglich): Alltagsglauben an (Heiligkeit einer) Tradition
§ Bsp. für traditionale Herrschaft – Papst, indisches Kastensystem
o rationale Herrschaft (alltäglich): Glaube an die Legalität gesetzter Ordnungen
§ Bsp. für Mischung aus traditionaler und rationaler Herrschaft: konstitutionelle Monarchie in GB / rationale Herrschaft: Republiken wie in Frankreich und Deutschland
§ Man vertraut nicht unbedingt Kanzler*in oder Präsident*in, aber Verfassung und Wahlsystem
= Prozess der Erzeugung von Legitimität
-Hintergrund: Fundierung auch der repressiven Normen (über Interesse an und Akzeptanz der Ordnung) und Durchsetzung (gegen Versuchungen und andere Interessen)
-Drei Mechanismen:
o Transzendenz (Berger/Luckmann)
o Verständigung (Habermas)
o Verfahren (Luhmann)
-Legitimation durch Transzendenz
o „Erklärung“ der Ordnung denjenigen, die nicht an ihrer Entstehung beteiligt waren, insbesondere: Folgegeneration(en) (Bsp. des Händeschüttelns aus dem ersten Semester als Ursprung einer transzendenten Legitimation – später religiöse/ideologische Aufladung)
o Lösung: Transzendenz
§ Legitimations-„Theorien“: „Erklärungen“ dafür, dass die jeweilige Ordnung „notwendig“ und nicht anders denkbar ist; „Welterklärungen“ - Gegenstandsbereich jenseits möglicher Erfahrungen, bzw. vorfindbarer Wirklichkeit)
§ Religion und Ritual: Bekräftigung des transzendenten Charakters (Menschen sollen vergessen, dass die menschengemachte Herrschaftsordnung eventuell nicht die bestmögliche ist)
==>Berger 1973: „Gesetzt, jemand habe mit voller Absicht eine neue Gesellschaft gestiftet, ein Moses und ein Machiavelli in einer Person, dann stellt sich die Frage: Wie wird er den Fortbestand der ex nihilo (aus dem Nichts) geschaffenen institutionellen Ordnung am besten sichern? Offenkundig lautet die Antwort: durch Macht. Nehmen wir aber an, alle Machtmittel seien schon erfolgreich eingesetzt (...) Nur das Problem der Legitimität ist noch offen (...) Die Lösung bietet folgendes Rezept: Man interpretiere die institutionelle Ordnung möglichst so, daß ihr konstruktiver Charakter verborgen bleibt. Man lasse, was dem Nichts abgerungen wurde, als Manifestation von etwas erscheinen, das von Anbeginn der Zeiten oder wenigstens seit den Anfängen dieser einen gesellschaftlichen Gruppierung da war. Die Menschen müssen vergessen, daß die Ordnung, in der sie leben, ein Gebilde von Menschenhand ist, dessen Fortbestand vom Konsens unter Menschen abhängt. Sie müssen glauben, daß sie, wenn sie im Rahmen der ihnen auferlegten institutionellen Programme handeln, (...) sich damit in Einklang mit der Grundordnung des Universums bringen. Kurz: Man setze religiöse Legitimationen.“
==> Probleme bei der Legitimation durch Transzendenz
o Warum gibt es dennoch „Ungerechtigkeiten“? (Theodizee)
o Konkurrenz durch alternative Welterklärungen/-anschauungen?
o Folge: „Rationalisierung“ der Welterklärungen (Mythologien ==> Theologien ==> Philosophie ==> moderne Wissenschaft)
-Legitimation durch Verständigung
o Hintergrund: Transzendenzlösung wird für „komplexe“ und „entzauberte“ Gesellschaften immer schwieriger; Zerfall einheitlicher Welterklärungen
o „Theorie des kommunikativen Handelns“ (Jürgen Habermas)
§ Begründung von (legitimierenden) Werten über Zustimmung in herrschaftsfreiem Diskurs
§ „Argumentation“: nur das Interesse an „Richtigkeit“ zählt
==> Der „zwanglose Zwang der besseren Argumente“ erzeugt eine moralische Bindewirkung (auch gegen egoistische Versuchungen)
Man ist moralisch gebunden, sich für die beste Lösung zu entscheiden
o Kritik
§ Ist diese Bindewirkung stark genug? Emotionen nicht evtl. stärker?
§ Wie lässt sich diese „Kommunikation“ in Großgesellschaften einrichten?
§ Hintergrundannahme: Einigung auf einen „Wert“ – das ist sehr schwierig (Gesellschaften meist nicht homogen genug)
§ Niklas Luhmann: das ist „alteuropäisch“! -- Moderne Gesellschaften brauchen die Werte nicht, sie „steuern“ sich selbst (!?) -- Sie sind nicht vertikal über Werte, sondern horizontal über Interdependenzen integriert -- Jeder übergreifende Wert wäre viel zu abstrakt
-Legitimation durch Verfahren
o Idee: keinerlei „substanzielle“ Legitimität mehr, sondern nur noch „formale“
o „Man kann Legitimität auffassen als eine generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen.“ (Luhmann, Niklas, 1975, Legimitation durch Verfahren, S. 28)
==> vorherige Zustimmung zu einem „Verfahren“ (z.B. Masken- /Steuerpflicht, wenn /weil der Bundestag sie beschließt) sowie:
o Einsicht in die Aussichtslosigkeit (Akzeptanz der eigenen Grenzen), Abarbeitung von Enttäuschungen, Zersplitterung der Konfliktfronten (siehe bspw. Gerichtskonflikte)
o Viele Rollen die gleichzeitig einzunehmen sind, die Welt ist nicht mehr nur schwarz-weiß
o Folge: „Legitimität“ als (bloße) Hinnahme, keine empathische Unterstützung (mehr nötig) ==> Hinnahme von Entscheidungen
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