Aufbau
1. Theoretische Positionen zu den Ursachen „struktureller“ sozialer Ungleichheit
Macht und Herrschaft
Angebot und Nachfrage: Funktionalistische
Schichtungstheorie und Humankapitaltheorie
Konzept der ökonomischen Renten
2. Ursachen„individueller“Ungleichheit
Alles eine Frage der Begabung? Zur Bedeutung sozialer Prozesse
Soziale Ungleichheit
= Unterschiede/Ähnlichkeiten in Eigenschaften (aller Art) zwischen sozialen Kategorien von Akteur*innen
• Heute: Fokus auf vertikaler Ungleichheit
• Unterscheidung zwischen struktureller und individueller Ungleichheit
• Strukturelle Ungleichheit: Mit Positionen verbunden
• Individuelle Ungleichheit: Mit individuellen Begabungen und Anstrengungen verbunden
Macht und Herrschaft als Ursachen sozialer Ungleichheit
„Wenn wir davon ausgehen, daß viele Dinge, welche die Menschen erstreben, knapp sind, dann muß es dieses Surplus wegen unweigerlich zu Konflikten und Kämpfen zwischen ihnen kommen. Wenn wir Weber folgend Macht als die Chance definieren, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben der anderen durchzusetzen, dann folgt daraus, daß Macht weitgehend darüber bestimmt, wie der Surplus einer Gesellschaft verteilt wird.“ (Lenski 1973, S. 71)
Knappheit —> Konflikten
Herrschaft ermöglicht Arbeitsteilung (mindert Risiko der AT) und Privateigentum und darüber einen größeren Surplus / bestimmt aber auch dessen Verteilung.
Surplus —> Überschuss
Ursachen sozialer Ungleichheit
Macht & Herrschaft
Was ist der Ursprung sozialer Ungleichheit?
• Ausgangspunkt: Menschen streben nach knappen Gütern
• Konkurrenz um Ressourcen
• Macht bestimmt, wie das Surplus in einer Gesellschaft verteilt ist
Das Mehrprodukt oder der Surplus ist in der klassischen Nationalökonomie der Überschuss, der über das zum Leben notwendige Maß hinaus produziert wird
• Herrschaft ermöglicht Arbeitsteilung und Privateigentum und darüber einen größeren Surplus; bestimmt aber auch dessen Verteilung.
Funktionalistische Schichtungstheorie (Davis/Moore)
Ausgangspunkt:
Gesellschaft als System von (beruflichen) Positionen
Besetzung dieser Positionen ist für den Fortbestand der
Gesellschaft funktional notwendig.
Für jede Position sind spezielle Begabungen und Ausbildungen (technical skills) erforderlich.
Problem: Besetzung der (bedeutsamen) Positionen mit hohen Anforderungen mit (knappen) Talenten
—> Wie schafft man das?
Lösung: Belohnungen wie Einkommen und Prestige als Anreize für Mühen der Ausbildung und Tätigkeit.
Strukturelle Folge: soziale Ungleichheit (nach „Anstrengung“ und „Leistung“!)
—> Schichtung funktional notwendig!
Also keine Frage von Macht und Herrschaft, sondern von Angebot und Nachfrage?
Ungleichheit als Folge von Angebot & Nachfrage
Abbildung:
Konstellation 1
Abbildung
Flexible Ausweitung des Angebots (S-), z.B. wegen geringer Qualifikationserfordernisse
—> Nur geringe Erhöhung des Einkommens (p ́-), z.B. weil es viele Bewerber für die „einfache“(!) Dienstleistung gibt
Konstellation 2
Abbildung: Annahme: Nachfrage nach Leistung X steigt (z.B wegen gestiehendem Wohlstand oder neuen gestzlichen Ansprüchen)
Weniger flexible Ausweitung des Angebots (S+), z.B. aufgrund hoher Qualifikationsanforderungen
—> Stärkere Erhöhung des Einkommens (p ́+), z.B. weil es wegen der langwierigen Ausbildung nicht sofort genügend Bewerber gibt
Einkommensungleichheit in der Humankapitaltheorie
Einkommensungleichheit spiegelt unterschiedliche (Qualifikations-)Anforderungen von Berufen wider
—> Höhere Löhne spiegeln größeren Aufwand oder geringeren intrinsischen Nutzen wider.
Einkommensunterschiede sind im Gleichgewicht genau so, dass es allen Personen egal ist, welchen Beruf sie ausüben (Theorie kompensierender Lohndifferentiale).
„According to human capital theory, the higher incomes of the higher educated compensate for higher training costs and do not create a permanent advantage over the lifetime of persons.“ (Sørensen 2000: 1541)
gilt nur wenn:
Entscheidende Voraussetzung:
Perfekte Wettbewerbsmärkte, z.B vollständige Informationen
Erinnerung:
Der vollkommene Markt als Idealtypus
Bislang betrachtet: (Kurzfristiges) Marktgleichgewicht bei perfektem Wettbewerb
Langfristig gilt aber: Markteintritt & Konkurrenz bis Nullgewinne
• Annahmen des Modells:
Markttransparenz /vollständige Information
Homogenität der Güter (Güter = völlig einheitlich /undifferenziert, keine Qualitätsunterschiede)
Keine persönlichen oder räimlichen Präferenzen
Direkte Reaktion aller Markteilnehmer
—> Diese Annahmen sind enpirisch nicht immer erfüllt!
„Auf einem Markt mit vollständiger Konkurrenz ist es ohne Bedeutung, wer wen beschäftigt, also ob Kapital Arbeit oder ob Arbeit Kapital mietet. In einer solchen ökonomischen Umgebung kann es keine Klassen geben. Jeder Akteur hat zu jeder Position den gleichen Zugang. Arbeiter könnten ohne jedes Problem in die Rolle von Kapitalisten schlüpfen. Sie müßten dafür nur an einem ihnen offenstehenden Kapitalmarkt einen Kredit aufnehmen und anschließend Arbeiter beschäftigen. Klassenbildung kommt dann zustande, wenn der Kreditmarkt unvollkommen ist.
Die Einkommensungleichheit kommt also in die Welt durch Marktunvollkommenheiten. Diese münden immer in Zutrittsbeschränkungen.“
Typische Zutrittsbeschränkungen Beispiele
Zulassungsbeschränkungen von Berufsverbänden (z.B. der Ärzte)
Karrierestufen (z.B. Professuren)
„Statusgemäße“ Bezahlung (u.a. Tariflöhne)
Patente
Seltene Talente (sog. „natürliche“ Monopole)
Rechtliche oder räumliche Mobilitätseinschränkungen der Nachfrager (u.a. Leibeigenschaft)
—> also u.a. wiederum: Macht und Herrschaft (kann in Marktmodell integriert werden —> siehe Steigung der Angebotskurve (Auswertung des Angebots)
Unter Umständen aber vielleicht sogar wünschenswert?
Unter Umständen sind manche Zutrittsbeschränkungen vielleicht sogar wünschenswert (Qualitätssicherung, Innovationsreiz,…)
Sinnvoller Referenzpunkt für die Erklärung von Einkommensungleichheit:
= Einkommensungleichheit unter Bedingungen vollständiger Konkurrenz
≠ Gleichheit aller Einkommen
—> Lohndifferenzen sind wichtig zur Kompensation aber Begründung für mehr als zur Kompensation notwendig: Macht & Herrschaft (Zutrittsbeschränkungen)
Aber:
Problem eines kontrafaktischen Vergleichsmaßstabes
Achtung vor Ideologiefalle: Dies bedeutet keineswegs, dass „Mehr Markt“ (≠ vollständige Konkurrenz!) immer zu einer Reduzierung von Ungleichheiten führt.
—> Abbau von allen Marktunvollkommenheiten unrealistisch (teilweiser Abbau führt vielleicht sogar zu einer schlechteren Situation)
Ökonomische Renten als Ursache von Ungleichheit
Renten = Zahlungen über den Betrag hinaus, der für die Nutzung einer Ressource unter Wettbewerbsbedingungen erforderlich wäre
Angebot des Faktors ist nicht beliebig vermehrbar
Zahlungen an Inhaber einer sozialen Position (unabhängig von den individuellen Anstrengungen und Fähigkeiten)
Zahlungen, deren Grundlage lediglich ein Besitztitel und keine Leistung ist
Ursache: Wettbewerbsbeschränkungen, die aus Prozessen der sozialen Schließung hervorgehen (—> Entstehung nicht-konkurrierender Gruppen)
Renten lassen Klassen entstehen
„(...) rents are advantages that prevent other actors from realizing the full return on their assets. Rents are crucial for the emergence of exploitation classes because those who benefit from rents have an interest in protecting their rights to the rent-producing assets, while those who are prevented from realizing the full return on their assets have an interest in eliminating the rents. Rents thus may create antagonistic interests and conflict.“
(Sørensen 2000: 1535)
Klassenhandeln = rent seeking, Verteidigung von Renten, Zerstörung von Renten
Individuelle Ungleichheit: Eine Frage der Begabung?
• Ein Großteil der beobachteten Ungleichheit ist jedoch individuell, z.B. die große Varianz in den Einkommen von Künstler*innen oder Sportler*innen
• Individuelle Ungleichheit ergibt sich aus unterschiedlichen Talenten und erworbenen Qualifikationen.
Qualifikationen sind abhängig von Zutrittsbeschränkungen
Verteilung der Geburstmonate von Profifußballern und Bevölkerung
Stichtag für Zuordnung zu Altersklassenim Jugendbereich: 1.8. (bis zum Spieljahr 1997/1998)
—> relative Stärke (körperlich, Training) à Zugangschancen zu Auswahlmannschaften/ höheren Ligen à unterschiedliche Förderung und Qualifikation
Zufall führt zu systematischem Vorteil
Experiment von Salganik et al
Music Lab
Kontrollgruppe: Keine Information über bisherige Downloads
Experimentalbedingung 1: Anzahl bisheriger Downloads
Experimentalbedingung 2: Anzahl + Rangfolge
Der Versuchsaufbau
Fragestellungen:
Welche Wirkung hat die Stärke sozialer Beeinflussung...
...auf die Ungleichheit im Marktanteil?
...auf die Vorhersagbarkeit des Erfolgs?
Wie stark ist der Erfolg in diesem kulturellen Markt ein Zeichen der Qualität der Produkte?
—> Unabhängige Entscheidungen in Kontrollgruppe als Qualitätsmessung
Qualität und Erfolg der Songs
Abbildung Exp1
Ende Graph = independent condition (Qualität der Songs)
Abbildung Exp2
+ Verstärkung von initialem Einfluss = größere Streuung
Graph = positiver Zusammenhang
Unvorhersehbarkeit der Qualität kann sozial beeinflusst werden
Soziale Beeinflussung
Ungleichheit und Unvorhersagbarkeit von Erfolg in kulturellen Märkten
Fazit der Studie
Sozialer Einfluss führt zu einer stärkeren Ungleichheit und größeren Unvorhersagbarkeit des Erfolgs in kulturellen Märkten.
Ein Beispiel für den allgemeineren Mechanismus des „kumulativen Vorteils“ (Schneeball-Effekt)
sog. Matthäus-Effekt: „wem hat, dem wird gegeben“
Hier: Extreme Verstärkung (weitgehend) zufälliger
Anfangsunterschiede durch sozialen Prozess
Auch beobachtbar in anderen Bereichen, z.B. Karrieren in der Wissenschaft
Akkumulation von Vermögen durch Finanzmärkte: https://mkorostoff.github.io/1-pixel-wealth/
Ungleichheit durch augängliche Vorteile
Zusammenfassung
Strukturelle Ungleichheit ergibt sich aus ökonomischen Renten, also aus Prozessen sozialer Schließung (gegenüber freier Konkurrenz)
Ein besonders effektiver, tendenziell expansiver Spezialfall sind institutionalisierte Machtbeziehungen (Herrschaft)
Individuelle Ungleichheit ergibt sich aus unterschiedlichen Talenten und erworbenen Qualifikationen sowie dynamischen sozialen Prozessen der Vorteilsverstärkung (Zufall spielt eine große Rolle)
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