Entwicklung von TV-Nachrichten
von anfänglichen Nischenprodukt zu zentralen Element des TV Programms
Gatekeeping
Die Gatekeeping Forschung addressiert die Auswahlprozesse bei Nachrichten, also die Produktionsseite
Über die Auswahl von Nachrichten (d. h. berichtenswerten Ereignissen) durch Journalist*innen/Redaktionen entscheiden neben „objektiven“ Eigenschaften von Ereignissen…
journalistische Berufsnormen
organisationale Routinen
personenbezogene Faktoren der Journalist*innen (u. a. individuelle Vorlieben aber auch (Vor-)Urteile)
Antizipation der Interessen der Rezipient*innen (vgl. Kausalitätsfrage beim Agenda-Setting)
Erwartungen von journalistischen Kolleg*innen
Rahmenbedingungen, die durch das Medium/Programm gesetzt werden (u. a. mögliche Dauer eines Beitrags, Vorliegen bildlichen Materials beim Fernsehen)
unvorhersehbare Ereignisse, bei denen sich das Nachdenken über mögliche alternative Berichterstattungen erübrigt (z. B. Corona-Pandemie seit Mitte März 2020 in der BRD)
Nachrichtenwertfaktoren
Über welche Ereignisse soll berichtet werden, über welche nicht?
Das Konzept der Nachrichtenwertfaktoren besagt, dass bestimmte Merkmale (Nachrichtenfaktoren) von Ereignissen die Beachtungswürdigkeit (Nachrichtenwert) dieser Ereignisse determinieren.
Es gibt unterschiedliche Kataloge solcher Faktoren, Bonfadelli (2000) unterscheidet:
Ereignisanlass (Überraschung, Neuartigkeit, Ungewöhnlichkeit)
Ereignisablauf (Kurzfristigkeit, abgeschlossene Entwicklung, konkreter Ort)
Ereignismodalität (Konflikt, Regelwidrigkeit, Drama (Bild Zeitung), Skandal, Krise)
Ereignisrelevanz (Konsequenzen, Schaden, Negativität vs. Erfolg)
Ereignisnähe (geographische und kulturelle)
Status der Akteur*innen (Elite, Personalisierung)
Nachrichtenwertfaktoren können bis zu 40% der Nachrichtenauswahl erklären (bzgl. Varianz des Umfangs und Platzierung von TV Nachrichten), doch insgesamt gibt es eine substanzielle Variation ihres Erklärungswertes über Studien hinweg (Staab 1998)
Kritik am Ansatz der Nachrichtenwertfaktoren:
empirische Studien deuten auf lediglich moderate Erklärungskraft des Konzepts der Nachrichtenwertfaktoren hin
ein Wandel der journalistischen Auswahlkriterien zeichnet sich ab und ist z. T. abhängig vom Zeitgeist
einzelne Nachrichtenwertfaktoren scheinen kulturell und gesellschaftlich vermittelt, sind demnach nicht universell gültig
Nachrichtenwertfaktoren scheinen eine ressortspezifische Bedeutung zu haben (u. a. sind bei innenpolitischer Berichterstattung andere Faktoren von Bedeutung bei als bei außenpolitischer Berichterstattung)
in unterschiedlichen Medien(-gattungen) gelten z. T. unterschiedliche Nachrichtenfaktoren (z. B. klassische TV-Nachrichten vs. YouTube-Kanäle)
Framing
Nachrichteninhalte und Veränderungen in der Berichterstattung
Nachrichten sind sehr selektiv zusammengesetzt (70% addressieren Politik und Wirtschaft, Kamps 1999)
Im Zeitverlauf ließ sich folgendes feststellen:
„Gewaltthemen sind generell häufiger geworden, die Gewaltdarstellung hat sich intensiviert, vor allem im Hinblick auf ihre Bebilderung. Gewalt ist ein zunehmend präferierter Informationsanlass und Gewalt rückt an die exponierten Stellen im Sendungskonzept.“ (Bruns & Marcinkowski, 1997, S. 290ff.)
Aber: Private Sender (RTL, SAT.1, Pro7) präsentierten vor ca. 20 Jahren etwa doppelt so viel gewalthaltige Einstellungen wie die öffentlich-rechtlichen Sender (ARD, ZDF) im Zeitraum von 1996-2000 (Winterhoff-Spurk, Unz& Schwab, 2001).
Winterhoff-Spurk, Unz und Schwab (2001) haben zu drei Messzeitpunkten in den Jahren 1996, 1998 und 2000 jeweils eine Woche lang die Hauptnachrichtensendungen von ARD (Tagesschau), ZDF (heute), RTL (18:30), Sat.1 (SAT-news) und Pro7 (Pro7-Nachrichten) inhaltlich analysiert.
Sie fanden u. a., dass…
der prozentuale Anteil gewalthaltiger Einstellungen in Nachrichten von 1996 zu 1998/2000 deutlich anstieg, sowohl für öffentlich-rechtliche als auch private Sender, wobei Nachrichten der privaten Sender zu allen drei Messzeitpunkten deutlich mehr gewalthaltige Einstellungen zeigten (ca. doppelt so viele)
sich über die Jahre die Tendenz zeigte, Gewalt häufiger mit Bildern zu präsentieren
das subjektive Erleben gewalthaltiger Nachrichteninhalte bei (jugendlichen) Zuschauer*innen hingegen negativ ausfiel
„Ereignisse mit vorsätzlicher Gewalt werden im Vergleich zu nicht-gewalthaltigen Ereignissen als weniger angenehm, als dringlicher, weniger bewältigbar und weniger mit externen Normen vereinbar eingeschätzt.
Die Versuchspersonen empfinden bei der Rezeption weniger Freude, mehr Trauer, mehr Ekel, mehr Wut, mehr Verachtung und mehr Angst.“ (S. 29)
-> Gewalthaltige Inhalte werden einerseits häufig gezeigt, andererseits fällt die emotionale Reaktion der Zuschauer negativ aus
-> Erklärung möglich durch Mood Management und U & G Ansatz
Konvergenzthese
Die Konvergenzthese besagt, dass sich öffentlich-rechtliche und private Nachrichtenangebote über die Zeit aneinander angleichen bzw. angeglichen haben.
Es lassen sich sowohl einseitige als auch beidseitige Konvergenztendenzen erkennen
Anpassungsprozess von 1986-1996 seitens der privaten an die öffentlich-rechtlichen Sender in den Themenkategorien Politik, Kriminalität/Katastrophen und Human-Interest/Buntes. -> Insgesamt geringere boulevardorientierte Berichterstattung bei den privaten Sendern (Krüger, 1998)
Für den Zeitraum von 1986-1994 fanden Bruns und Marcinkowski(1996)einerseits eine beidseitige Annäherung –z. B. bei der Verwendung von Originaltönen –, andererseits aber auch einseitige Konvergenzen, wobei RTL z. B. das Leitmedium bzgl. der Anzahl von Gewaltsequenzen war und ARD/ZDF bzgl. des Anteils von Human-Interest-Themen
Aber: Konvergenzen führ(t)en nicht notwendiger Weise zur Absenkung des Qualitätsniveaus von Fernsehbeiträgen
Und: Die Debatte um Konvergenztendenzen scheint zu verblassen (Jäckel, 2012)
Auswahl und Wirkung auf Rezipientenseite
Auch im Rahmen von Nachrichten greifen die in den bereits behandelten Modellen der Medienauswahl und Medienwirkung thematisierten Prozesse:
U. a. Mood-Management-Theorie, Selective Exposure Ansatz, Uses-and-Gratification-Ansatz, Agenda-Setting-Effekte, Framing-Effekte, Entstehung einer Wissenskluft, Kultivierungsprozesse, etc.
Jedoch sind ein paar besondere Aspekte herauszustellen:
Das Interesse an Nachrichten ist/war sehr groß: 93% der Deutschen interessierten sich durchschnittliche stark für Nachrichtensendungen (Bonfadelli, 2000)
Nur ein geringer Prozentsatz der Meldungen (geschätzt 25% im Feld, ca. 50% im Labor) wird tatsächlich behalten (Winterhoff-Spurk, 1999).
Zeitungsnachrichten werden besser behalten als Radio-und Fernsehnachrichten (Furnham& Gunter, 1989)
Dennoch fühlen sich die Zuschauer*innen gut informiert -> Wissensillusion
Rezipient*innen sind in der Nachrichtenauswahl sehr selektiv, ebenso in ihrer Aufmerksamkeit für Nachrichten sowie der Wahrnehmung und Interpretation dieser
Die Informationsverarbeitung der Rezipient*innen erfolgt eher heuristisch, orientiert sich an bereits existierenden Schemata und läuft mit geringer Aufmerksamkeit ab (Brosius, 1998)
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