Europäisierung
• Europäisierung: Wechselwirkungen zwischen
europäischer und nationaler Ebene
• Die Literatur zur EU war ursprünglich nur auf die
EU-Ebene fokussiert. → Integrationstheorien
• Inzwischen: Interesse, in welchem Ausmaß die
europäische Integration die Politiken, Prozesse
und Systeme der Mitgliedsstaaten berührt
Konsequenzen der Europäisierung
• Auswirkungen auf drei Politikbereiche:
1. Politische Sachentscheidungen → POLICY
2. Politische Prozesse → POLITICS
3. Politische Institutionen → POLITY
• Welche Beispiele könnt ihr für eine Europäisierung in den
drei Bereichen nennen?
Beispiel: Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU ist ein zentraler Bereich, in dem europäische Entscheidungen nationale Agrarpolitiken maßgeblich beeinflussen. Die GAP legt fest, wie landwirtschaftliche Subventionen verteilt werden und welche Umweltauflagen Landwirte erfüllen müssen.
Beispiel: Europawahlen
Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind ein direktes Beispiel für die Europäisierung politischer Prozesse. Alle fünf Jahre wählen die Bürger der Mitgliedstaaten ihre Vertreter im Europäischen Parlament.
Beispiel: Europäischer Gerichtshof (EuGH)
Der Europäische Gerichtshof hat eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung und Interpretation des EU-Rechts. Nationale Gerichte sind verpflichtet, den EuGH bei Fragen der Auslegung des EU-Rechts anzurufen.
Prospektives und retrospektives Wählen
Prospektiv:
• Wähler*innen schauen nach vorne
• Sachfragenorientiert
• Wahlprogramme beeinflussen Wähler*innen
• Abbildung der politischen Präferenzen der Wähler*innen
durch Repräsentant*innen im
Retrospektiv:
• Wähler*innen schauen zurück
• Bewertung vergangener Leistungen der Regierungsparteien, insbesondere wirtschaftlich
• Wiederwahl von Amtsinhaber*innen mit guten Leistungen, Abwahl von Amtsinhaber*innen mit schlechten Leistungen
Ökonomisches Wahlverhalten
• Wähler*innen entscheiden nach „Kassenlage ”: Bewertung der eigenen,regionalen oder nationalen wirtschaftlichen Situation
• Diese Bewertung entscheidet dann, ob man der Regierungspartei oder der Oppositionspartei die Stimme gibt.
• Moderater Effekt
Annahmen:
• Die Wähler*innen wissen, welche Akteure für bestimmte politische Entscheidungen verantwortlich sind.
• Wenn die wirtschaftliche Entwicklung nicht in der Hand der Regierung liegt, sollte diese auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden.
➢Kritik: Schwierig in föderalen Mehrebenensystemen
→ Problem der Verantwortungszuschreibung
Wahrgenommene Zuständigkeiten in der EU
➢ Bürger*innen sehen mehr Zuständigkeiten bei der EU als Expert*innen und unterscheiden
weniger zwischen Politikfeldern. → Ursache: Lack of information
➢ Bürger*innen mit hohem Wissen zur EU ähneln in ihrer Wahrnehmung eher den Expert*innen.
Abbildung:
Verantwortungszuschreibung im europäischen Mehrebenensystem
• Die EU besitzt mehrere politische Ebenen: EU-Ebene,
nationale Ebene, regionale Ebenen
1. Welche Ebene wird verantwortlich gemacht?
➢ Institutioneller Ansatz: Klare oder unklare Zuständigkeiten
2. Welche Rolle spielen Wahrnehmungsverzerrungen der
Wähler*innen?
➢ Sozialpsychologischer Ansatz
Mögliche Verzerrungseffekte im Mehrebenensystem
1. Parteipolitische Verzerrung
➢Anhänger*innen von Regierungsparteien vs. Anhänger*innen
von Oppositionsparteien
2. Einstellungen gegenüber EU
➢Bürger*innen mit EU-skeptischen Einstellungen vs. Bürger*innen mit EU-freundlichen Einstellungen
Modell der Verantwortungszuschreibung (Hobolt & Tilley)
Hypothesen
Drei Hypothesen von Hobolt und Tilley
1. EU-skeptische Bürger*innen weisen die Verantwortung eher der EU zu, je schlechter die wahrgenommene politische Lage ist.
2. Bei besserer Entwicklung sehen EU-skeptische Bürger*innen die Verantwortung eher bei der nationalen Regierung.
3. Umgekehrte Effekte für EU-Befürworter*innen
Ergebnisse der Studie
• Bei schlechter wirtschaftlicher Entwicklung sprechen EU-
Skeptiker*innen der EU deutlich mehr Verantwortung zu als EU-
Befürworter*innen.
• Bei guter wirtschaftlicher Entwicklung sprechen EU-Befürworter*innen der EU deutlich mehr Verantwortung zu als
EU-Skeptiker*innen.
Framing politischer Entscheidungen
• Framing = Einbettung eines Themas in einen bestimmten
Kontext → Frames als kognitive Deutungsrahmen
• Politische Akteure präsentieren Sachfragen vor dem
Hintergrund von Problembeschreibungen und moralischen Überlegungen.
• Framing kann den kognitiven Prozess beeinflussen: Person
bildet sich ein Urteil durch Abwägung
Demokratietheoretische Bedeutung
• Die Verantwortlichkeit wird nicht objektiv zugewiesen.
• Bürger*innen sehen die Schuld bei schlechter Entwicklung:
1. Bei der EU, wenn sie Anhänger*innen von Regierungsparteien sind.
2. Bei nationalen Regierungen, wenn sie EU-Befürworter*innen sind.
• Rolle von Informationen:
o Normale Bürger*innen sehen viel mehr Zuständigkeit bei der EU und unterscheiden weniger zwischen Politikfeldern.
o Grund: lack of information
➢Framing der Information relevant von Politiker*innen und Medien
“Blame Game” in der EU
• Wenn durch Wirtschafts-und Eurokrise die Zustimmung zur EU nachlässt, kommen Regierungen bei schlechter wirtschaftlicher Lage womöglich mit schlechter Leistung davon, da sie weniger stark verantwortlich gemacht werden.
• Nationale Politiker*innen können diesen Effekt unter Umständen durch negative Aussagen über die EU verstärken, insbesondere wenn die Zustimmung zur EU in der Bevölkerung nachlässt.
Blame Avoiding (Schuldvermeidung)
1. Schuld auf jemand Anderen schieben (EU-Institution, MS)
2. Ein Problem als europäisches Problem darstellen
3. Verantwortung auf möglichst viele andere Akteure verteilen
Credit-Claiming:
1. Sich selbst die Credits für positive EU-Ergebnisse geben
2. Die eigene Verbindung mit positiven EU-Ergebnissen betonen
Mythos der 80%-Europäisierung
• Projektion von Jacques Delors (1988):
„In 10 Jahren werden 80% der Wirtschaftsgesetzgebung, vielleicht auch der steuerlichen und sozialen, gemeinsamen Ursprungs sein.
➢ Folge: Entstehung des 80%-Mythos
• Annahme: Die fortschreitende Integration beeinflusst die Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten bei der Gesetzgebung,
dem Parteienwettbewerb, etc
Aspekte der Europäisierung
Tatsächliche Entwicklung
• Die Umsetzung von europäischen Rechtsakten (Richtlinien) in
nationales Recht bietet Spielraum für die MS, aber birgt ein höheres Risiko für Umsetzungsprobleme. → Nicht rechtzeitig, nicht korrekt
• Was ist der Kuckucksei-Effekt?
Lange Umsetzungsfristen (bis zu 10 Jahren) bergen Gefahr der Diskontinuität:
Je länger Umsetzungsfristen, desto höher Wahrscheinlichkeit, dass Nachfolgerregierung gezwungen ist, EU Gesetze umzusetzen, die von Vorgängerregierung im Rat mit beschlossen wurden
1. Es gibt eine Europäisierungstendenz bei deutschen Gesetzen, diese liegt aber weit von dem
80% Mythos entfernt: Von 17% auf 35%
2. Bei Gesetzen mit kostenimplizierendem Charakter haben circa
1/4 bis 1/3 europäischen Impuls.
3. Nur 15% aller wichtigen deutschen Gesetze (Schlüsselgesetze) zwischen 1976 und 2005
hatten einen europäischen Ursprung
4. Aber: Nicht nur Richtlinien sind relevant, sondern auch Verordnungen
5. Die Entwicklung ist je nach Politikfeld unterschiedlich: Starke Europäisierung vor allem in den Bereichen Umwelt, Energie, Landwirtschaft, Finanzen und Bankenregulierung
Differnzierte Integration
Auch bekannt unter: Europa der zwei Geschwindigkeiten,
Kerneuropa, Europa mit „opt-outs“
Horizontale Differenzierung:
Fälle, in denen ein Politikfeld auf EU-Ebene verlagert wird, jedoch nicht alle Mitgliedsländer teilnehmen.
Bsp: Dänemark Währungsunion = kein Euro sondern Kronen
Vertikale Differenzierung:
Politikfelder, bei denen lediglich ein Teil der Zuständigkeiten auf EU- Ebene übertragen wird.
Bsp: Umweltpolitik, Sozialpolitik
EU Integration ist differenziert, das heißt nicht unbedingt für alle Mitgliedstaaten gleich
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