Schacter 1989: DICE-Modell
DICE = Dissciable interactions and conscious experience
Postuliert ein gesondertes Bewusstseinssystem
• produziert phänomenales Erleben durch Interaktion mit Verarbeitungs- und Gedächtnismodulen
• Integriert die Ausgänge der Verarbeitungsmodule (globale Datenbasis)
• sendet Ausgänge an exekutives System (regelt Aufmerksamkeit und willentliche Aktivitäten
Probleme des DICE-Modells
Offene Fragen
Welche Mechanismen aktivieren das Bewußtseinssystem?
Wie erzeugt das Bewußtseinssystem Bewußtsein?
—> Postulierung eine Moduls für Bewußtsein ohne weitere Informationen (z.B. Mechanismen) weicht der Frage aus, wie Bewußtsein entsteht
Empirische Plausibilität
Wenn ein dezidiertes Bewusstseinssystem existiert, müsste eine Läsion des Systems Bewusstsein für alle Repräsentationen (Sinnesmodalitäten, Erinnerungen, etc) verhindern
—>So etwas ist noch nicht beobachtet worden, daher gilt ein ”Bewusstseinsmodul” als unplausibel
Baars 1988: Global workspace theory
Annahmen:
1) Frühe Stimulusverarbeitung geschieht in spezialisierten Modulen und ist unbewusst.
2) Bewusstsein entsteht durch Integration von Information aus spezialisierten Modulen spät in der Verarbeitung.
3) Mit Bewußtsein assoziierte Module variieren als Funktion der Bewusstseinsinhalte, wobei es aber Kernmodule gibt (ähnlich Arbeitsgedächtnis).
4) Phänomenales Bewusstsein setzt vorherige selektive Aufmerksamkeit voraus
Das Neuronale Korrelat von Bewusstsein
Popularisierung und Spezifizierung des Ziels neurowissenschaftlicher Forschung (nebst eigener Theorien)
Neuronales Korrelat von Bewusstsein : minimale Menge neuronaler Mechanismen die gemeinsam für ein spezifisches bewußtes Perzept hinreichend sind
Synchronisation
Crick & Koch (1990,1995):
Phänomenales Bewusstsein entsteht, wenn Neurone phasensynchron feuern.
Greifen neuronale Synchronisation als Lösung des Bindungsproblems neu auf.
Bewusste Wahrnehmung ist integriert (durch Synchronisation), nicht fragmentiert.
Singer (2000):
Synchronisation ist notwendig, nicht hinreichend (wird auch im V1 beobachtet, wo Merkmale/Kenten repräsentiert werden, die aber nicht bewußt werden).
Es bedarf zusätzlich einer direkten Verbindung zum Frontalkortex
Lamme 2018: Rekurrente Verarbeitung
Lamme postuliert Stufen normaler perzeptueller Prozessierung, die mit unterscheidlichen Bewusstseinszuständen assoziiert sind
Stufe 1
Stufe 1: Schnelle vorwärtsgerichtete Prozessierung durch die visuelle Hierarchie
—> ermöglicht Abgabe motorischer Reaktion Þ unbewusste Informationsverarbeitung
Stufe 2
Stufe 2: Rekurrente (schleifenförmige und top-down) Verarbeitung ab 100ms nach Stimuluspräsentation zwischen frühen visuellen Arealen
—> Grundlage phänomenalen Bewusstseins
Stufe 3
Stufe 3:
Rekurrente/top-down Aktivieriung durch das gesamte Gehirn, inklusiver Präfrontalkortex
—> Grundlage des Zugriffsbewusstseins & Kommunikation bewusster Inhalte an andere Menschen
Wieso rekurrente Verarbeitung?
Argument 1: Vorwärtsgerichtete Verarbeitung ist fragmentiert (unterschiedliche Objektmerkmale unabhängig), aber bewusste Wahrnehmung ist integriert
=> Rekurrenz zur Integration/Bindung notwendig
Wieso rekurrente Verarbeitung? 2
Argument 2: Visuelle Wahrnehmung ist kohärent, selbst wenn visueller Input ambig ist (Konstruktivität der Wahrnehmung) Þ Top-down Prozesse wichtig für kohärente Wahrnehmung
Wieso rekurrente Verarbeitung? 3
Argument 3: Techniken die rekurente Verarbeitung verhindern/beinflussen verhindern auch bewusste Wahrnehmung
• Beispiel rückwärtsgerichtete Maskierung: die Maske unterbricht späte, rekurrente Verarbeitung indem ein neuer Input in das visueller System geschleust wird
Dehaene et al 2006, Baars 1998: Global Neuronal Workspace (GNW) Model
Computationale und neurowissenschaftliche Weiterentwicklung des kognitiven Modells
1) Frühe Stimulusverarbeitung geschieht in spezialisierten im Gehirn verteilten Modulen und ist unbewusst.
2) Bewusstsein entsteht durch Integration von Information aus spezialisierten Modulen spät in der Verarbeitung. Implementiert durch Kombination aus vorwärts- und rückwärtsgerichterer Verarbeitung findet eine “Zündung” statt, die zu weiter Verarbeitung in synchroner Aktivität führt.
3) Mit Bewusstsein assoziierte Module variieren als Funktion der Bewusstseinsinhalte, wobei es aber Kernmodule gibt. Diese Kerrmodule beinhalten Präfrontal-, Parietal- und cingulärer Kortex, die weit verschaltet sind.
Dehaene et al. (2006) Bewusst, vorbewusst und unterschwellig
Bewusstseinszugang ist Verfügbarkeit von Information für andere Systeme.
Dehaene et al. unterscheiden Stufen von Verfügbarkeit und damit Stufen von Bewusstheit.
Dehaene et al. (2006) Stufe 1: Subliminal (schwacher Reiz)
—> Erlaubt keinen Bewusstseinszugang
Dehaene et al. (2006) Stufe 2: Vorbewusst
—> Erlaubt keinen Bewusstseinszugang/Bericht solange Aufmerksamkeit anderweilig beschäftigt.
Dehaene et al. (2006) Stufe 3: Bewusst
—> Erlaubt Bericht der Inhalte des Bewusstseins.
Integrierte Informationstheorie
Phänomenologisch axiomatischer Ansatz, der aus fünf essentiellen Eigenschaften phänomenalen Bewusstseins notwendige Bedingungen für ein System definiert, das bewusst ist.
Intrinsische Existenz (nur für einen selbst zugänglich)
Kompositionalität (hat Struktur)
Spezifizität (Erlebnisse unterscheiden sich)
Einheit (Inhalte sind in einem einheitlichen Bewusstsein integriert)
Informationsreichtum (phänomenales Bewusstheit ist informativ)
Integrierte Informationstheorie: physikalisches Substrat
Physikalische Substrat des Bewusstseins = physikalischer Mechanismus, der die maximale, nicht reduzierbare Ursache-Wirkung Struktur hat.
IIT misst integrierte Information (Φ, phi) als das Maximum der intrinsischen, integrierten Ursache-Wirkung Leistung über das Substrat.
Hypothese im Menschen auf Grund theoretischer und neuroanatomischer Überlegungen: hauptsächlich im posterioren Parietalkortex (‚posterior hot zone‘).
IIT ist eine Form des Panpsychismus: zu dem Grad, zu dem ein System Φ hat, ist es bewusst. Dies gilt für alle Systeme unabhängig von Implementation (biologisch, künstlich).
IIT versus GNW
Handlungskontrolle - Freier Wille
Bewusste Alltagserfahrung:
Legt nahe, dass wir frei (unabhängig von Beschränkungen) entscheiden, welche von vielen möglichen Handlungsoptionen wir durchführen.
Gegenposition:
Unsere Handlungen sind durch unbewusste Prozesse bestimmt. Der ‚freie Wille‘ ist eine Illusion. Ihr liegt der Fehlschluss zu Grunde, dass unsere Handlungen durch bewusste Intentionen bestimmt sind.
Kriterien der Selbstzuschreibung einer Handlungsursache
Wann schreiben wir uns Handlungen selbst zu?
Wegner (2003): Es müssen drei Prinzipien erfüllt sein, damit wir uns selbst als Verursacher unserer Handlungen wahrnehmen
Wenn ein Gedanke im Bewusstsein auftaucht…
1) vor einer Handlung (Priorität)
2) der konsistent mit dieser Handlung ist (Konsistenz)
3) und es keine alternative Erklärung/Ursache für die Handlung gibt (Exklusivität)
… dann schreiben wir uns die Ursache für die Handlung selbst zu
Beispielstudie: Van der Weiden 2013
Paradigma (1/2):
Aufgabe: Probanden sollen bei Zielwort (hier ”SOAP”) und “STOP” eine Taste drücken. Dabei wird Ihnen gesagt, dass zwischendurch (sinnvolle) Wörter präsentiert werden. Diese Wörter maskieren sich gegenseitig, sind also unterbewusst.
UV 1: Zielwort (1 von 4 Wörtern, in diesem Beispiel “SOAP”)
UV 2: Bahnungsreiz (1 von 4 Wörtern, in diesem Beispiel (”SOAP”)
Paradigma (2/2):
Zuletzt wird eines der 4 Worte als Ergebnis gezeigt. Probanden werden (fälschlich informiert), zu 50% entscheide der Computer, zu 50% sie selbst. Das Ergebnis ist aber immer Computer determiniert.
Abhängige Variable: Zuletzt geben sie eine Abschätzung ab, wie sicher sie sind, dass sie der Verursacher des Wortes sind.
Van der Weiden 2013: Ergebnis
Ergebnis: Probanden glauben das Ergebnis selbst herbeigeführt zu haben, wenn
• Das Ergebnis dem Ziel/Intention (d.h. mit dem Zielwort übereinstimmt) entspricht
• Wenn das Ergebnis einem unterschwelligen Reiz (d.h. mit dem Bahnungsreiz übereinstimmt) entspricht.
Interpretation: Bewusste Handlungszuweisung ist eine von Zielen und unbewussten Prozessen beeinflussbare kognitive Funktion.
Libet et al. (1983) Paradigma freier Wahlentscheidung
Idee: Versuchspersonen sollten schnelle freiwillige Bewegung ausführen (Finger krümmen/ Faust machen), wann immer sie die Intention dazu verspüren.
• Handlung entsteht endogen, also nicht als Reaktion auf einen äußeren Stimulus.
• Es gibt keine externen Restriktionen oder Zwänge, die die Initiierung und Durchführung der Handlung direkt oder vermittelt kontrollieren.
• Probanden haben „introspektiv“ das Gefühl zu spüren, dass sie die Handlung aus eigener Initiative ausführen und dass sie frei sind, die Handlung auszuführen oder zu unterlassen.
Libet et al. (1983) Versuchsaufbau
Probanden führen freie Wahlentscheidungen durch (Muskelaktivität wird aufgezeichnet).
Sie geben nach der Bewegung an, wann sie den Handlungswunsch verspürten. Hierzu geben sie die Position eines im Uhrzeigensinn schnell wandernden Lichtpunkt zu jenem Zeitpunkt wahr.
Hirnaktivität wird aufgezeichnet, umden Zeitpunkt der Bewegungsvorbereitung zu bestimmen
Libet et al. (1983) Versuchsaufbau 2
—> Wir erhalten drei Zeitpunkte:
• der Entscheidung/Willenswahrnehmung (via Lichtpunkt)
• der Ausführung (via Muskelaktivität)
• des Beginns bewegungsassozierter Hirnaktivität (EEG, insbesondere Bereitschaftspotential)
Libet et al. (1983) Ergebnisse
Ergebnisse
• Der Willensakt liegt vor der Ausführung der Handlung (ca 200ms)
• Vorbereitende Gehirnaktivität (Das Bereitschaftspotential) geht dem bewussten Willensakts (W) um ca. 350 ms voraus.
Libet et al. (1983) Schlussfolgerungen
Revision des Konzeptes des freien Willens: Bewusste Entscheidungen sind durch unbewusste Gehirnvorgänge und nicht durch Bewusstsein determiniert.
Alternativrolle des Bewusstseins: Kontrollfunktion über Ausführung der Vorbereitung (Vetofunktion).
• Bereitschaftspotentiale führen nicht immer zu einer Handlung. Diese können bei entsprechender Absicht/Entscheidung abgebrochen werden (Go/No-Go Tasks).
Der Freie Wille basiert demnach auf der Fähigkeit Fehler zu erkennen und zu korrigieren.
(Beispiel-) Kritik an Libet et al. (1983)
Unklar was das Bereitschaftspotential misst, Entscheidung, Planung, unspezifische Erwartung?
Zeitpunkt der Entscheidung wird aus dem Gedächtnis berichtet (Anfällig für Verzerrungen durch nachfolgende Ereignisse)
Libet zeigt nur Korrelationen, die nicht als Kausalitäten interpretiert werden sollten. Direkte Manipulation ist nötig
Vor jeder einzelnen Bewegung ist kein bewusster “Willensakt” notwendig, da die Intention zu Beginn des Experiments die Verhaltensbereitschaften bereits im Sinne der Instruktion “konfiguriert” hat
Handlung sehr artifiziell, fraglich ob bewusstes Entscheidung wirklich nötig ist
Fokus auf Handlungsvorbereitung und nicht auf zugrundeliegenden Entscheidungsprozesse: nur Entscheidung für „Wann“, nicht für „Was“
Bode,…Haynes, 2011 Freie Wahlentscheidung (‘Was’)
Freies Wahlparadigma: Zeitpunkt (Wann) und Bewegung rechter/linker Zeigefinger (Was).
Auf dem Bildschirm wird alle 1.5s ein neuer Buchstabe dargestellt.
Zeitpunkt der Entscheidung durch Angabe des Buchstabens, der zu dem Zeitpunkt auf dem Bildschirm war.
Gehirnaktivität mit fMRT aufgezeichnet.
Bode et al. 2011 Ergebnisse
Analyse
Mit Hilfe Techniken maschinellen Lernens wurde bestimmt, wo/wann sich die Was-Entscheidung aus Gehirnaktivität im Verhältnis zum Zeitpunkt der bewussten Entscheidung herauslesen lässt.
Ergebnis
Bis zu 10s vor der bewussten Entscheidung lässt sich die Wahl vorhersagen.
Interpretation
Der Präfrontale Kortex spielt eine wichtige Rolle in der unbewussten Generierung freier Entscheidungen.
Bewusstsein im informationstheoretischen Paradigma
Kognition wird verstanden als Informationsverarbeitung, d.h. Repräsentation und Transformation von Information in Modulen und durch Informationsfluss
Bewusstsein muss in diesem Rahmen (Module, Verarbeitung) erklärt werden, d.h. als eine Eigenschaft von Repräsentationen, Transformation, oder beidem, aber nichts anderem.
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