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Klausurfragen Wahrnehmung Außereuropa

AG
by Adele G.

Geschichte der europäischen Ausbreitung über den Globus aka Begegnungen in Übersee


1. Historischer Überblick über die europäische Expansion

Die europäische Expansion, beginnend im Mittelalter und verstärkt ab dem 15. Jahrhundert, markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften. Bereits in der Antike überschritt Europa regelmäßig seine geographischen und kulturellen Grenzen. Das Mittelmeer und das Ägäische Meer wurden nicht als Grenzen, sondern als Brücken betrachtet, die Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen ermöglichten. Dies setzte sich im Mittelalter fort, als italienische Kaufleute und Missionare wie Marco Polo und Wilhelm von Rubruk Kontakte nach Asien suchten und erste kulturelle Begegnungen dokumentierten.

2. Der Einfluss der Entdeckungsreisen

Mit den Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts änderte sich die europäische Wahrnehmung dramatisch. Die portugiesischen und spanischen Entdecker suchten nach neuen Handelswegen und stießen dabei auf bisher unbekannte Kulturen. Die „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus 1492 und die nachfolgenden Eroberungen durch die Konquistadoren wie Hernán Cortés und Francisco Pizarro führten zu einer radikalen Veränderung der Sichtweise auf die indigenen Völker Amerikas.

Kolumbus’ anfängliche Begeisterung über die „friedlichen“ Arawaken wuchs schnell zu einer dichotomen Wahrnehmung, die die Kariben als „böse“ und „kriegerisch“ einstufte. Diese Wahrnehmungen waren oft von vorgefassten Stereotypen und mittelalterlichen Vorstellungen geprägt, wie etwa der Vorstellung von Kannibalen und anderen fantastischen Wesen, die die Vorstellungskraft der Europäer belebten.

3. Die Auswirkungen der Kolonialisierung

Die Kolonialisierung Amerikas führte zu massiver Gewalt und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung. Die Suche nach Reichtum und die Notwendigkeit, die Entdeckungsreisen als Erfolg darzustellen, führten zu einer brutalisierten Behandlung der Einheimischen. Die Kolonialisierung, die Landenteignung und die Zwangsarbeit prägten die europäische Sicht auf die Kolonien. Der spanische Dominikaner Bartolomé de Las Casas trat gegen diese Missstände auf, was zu einem intellektuellen Streit über den Status der Indigenen führte. Der Disput von Valladolid (1550/51) zwischen Las Casas und Juan Ginés de Sepúlveda reflektierte die Auseinandersetzung zwischen der Vorstellung der Indigenen als „Barbaren“ und der Auffassung, dass sie vernunftbegabte Menschen seien.

4. Die Jesuiten in China und der Ritenstreit

Im Gegensatz zu den brutalen Begegnungen in Amerika erlebten die Jesuiten in China eine andere Form des Kulturkontakts. Die Jesuiten passten sich an die höfische Elite Chinas an und integrierten chinesische Riten in ihre christliche Verkündigung. Dies führte zu Konflikten mit anderen europäischen Missionaren und letztlich zum „Ritenstreit“. Obwohl die Jesuiten einen tiefen Einblick in die chinesische Kultur erhielten, scheiterte die Mission hauptsächlich an dem Desinteresse der Chinesen an der christlichen Religion.

5. Aufklärerische Wissenschaftler und die Entwicklung des europäischen Kulturbegriffs

Im 18. und 19. Jahrhundert übernahmen Wissenschaftler wie James Cook und Alexander von Humboldt eine neue Rolle. Ihre Expeditionen dienten nicht primär kolonialen oder religiösen Zwecken, sondern verfolgten ein universelles wissenschaftliches Interesse. Sie dokumentierten Natur- und Völkerkunde und trugen zur Bildung eines umfassenderen, jedoch weiterhin eurozentrischen Weltbildes bei. Diese Wissenschaftler prägten das Bild von „edlen Wilden“ und „unberührten Naturkindern“, das sich von den vorherigen, oft gewalttätigen Begegnungen unterschied.

6. Die Transformation des europäischen Kulturbegriffs

Die europäische Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften hat sich durch die unterschiedlichen Intensitätsstufen des Kulturkontakts verändert. Urs Bitterli unterschied vier Stufen: von vorübergehender Berührung über friedlichen Kontakt und gewaltsamen Zusammenstoß bis hin zur dauerhaften Verflechtung. Jürgen Osterhammel ergänzte diese Perspektive durch das Konzept der kulturellen Grenze, an der die Regeln und Symbole einer Gesellschaft auf die einer anderen stoßen.

Diese Entwicklungen haben den europäischen Kulturbegriff tiefgreifend beeinflusst. Die anfänglichen Vorstellungen von Europa als kulturellem Zentrum, das in einem transkulturellen Austausch steht, entwickelten sich weiter zu einem differenzierteren Verständnis, das die Komplexität der Kulturkontakte und deren Auswirkungen auf die europäische Identität und den Kulturbegriff reflektiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die europäische Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften von anfänglichen Vorurteilen und Stereotypen über gewaltsame Eroberungen hin zu einem differenzierteren wissenschaftlichen und kulturellen Verständnis gewandelt hat. Dieser Wandel hat nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie Europa die Welt sieht, sondern auch den europäischen Kulturbegriff selbst transformiert, indem er einen Kontext von kultureller Interaktion und gegenseitigem Einfluss anerkennt.

Wege des Wissens

1. Verbreitung von Informationen über außereuropäische Welten:

  • Medienrevolution der frühen Neuzeit: Der Bedeutungsgewinn schriftlich niedergelegter Texte und die Weiterentwicklung des Buchdrucks durch Gutenbergs bewegliche Lettern führten zu einer erheblichen Veränderung in der Verbreitung von Informationen über außereuropäische Welten.

  • Flugschriften: Im 15. Jahrhundert und besonders während der Reformation und des Bauernkriegs waren Flugschriften ein erstes "Massenmedium", das aktuelle Nachrichten aus den neu entdeckten Welten weit verbreitete. Diese Medien hatten eine hohe Auflage und kurze Produktionszeiten, was zur schnellen Verbreitung von Entdeckungsberichten, wie dem Kolumbusbrief, beitrug.

  • Reiseberichte und private Bibliotheken: Ab dem 16. Jahrhundert erlebten Reiseberichte und andere Schriften über fremde Kulturen eine breite Leserschaft. Diese Berichte wurden auch in private Bibliotheken aufgenommen, die zu Prestigeobjekten gebildeter Kreise wurden. Es entstanden zahlreiche Kompilationen, Enzyklopädien und Universalgeschichten, die das Wissen über außereuropäische Regionen bündelten.

2. Veränderung der europäischen Wahrnehmung:

  • Stereotypen und Missverständnisse: Trotz des enormen Interesses an fremden Welten führten die Publikationen oft zur Tradierung von Stereotypen, Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Die Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften war häufig durch Filter und Verzerrungen geprägt.

  • Neugier und Gewalt: Es existierte eine grundlegende Neugier auf das Neue und das Fremde, auch wenn diese Neugier oft durch gewalttätige Expansionen und koloniale Unterdrückung begleitet wurde. In den Berichten und Sammlungen spiegelte sich diese ambivalente Haltung wider.

3. Bedeutung für den europäischen Kulturbegriff:

  • Intellektueller Diskurs: Die Berichte über fremde Kulturen wurden zu einer zentralen Informationsquelle für den intellektuellen Diskurs um Kulturbegriff und Kulturvergleich in Europa. Die Art und Weise, wie diese Berichte aufgenommen und verarbeitet wurden, beeinflusste das europäische Verständnis von Kultur und Kulturvergleich.

  • Kulturkompilation und -differenzierung: Die Sammlung und Kompilation von Wissen über andere Kulturen führten zu einer differenzierten Betrachtung, jedoch auch zu einer Weitergabe von kulturellen Stereotypen. Der europäische Kulturbegriff wurde durch die kontinuierliche Auseinandersetzung mit und die Verarbeitung von fremden Kulturen zunehmend komplexer und vielschichtiger.


Wandel der Bilder

Wandel der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften:

  1. 18. Jahrhundert: Integratives Kulturverständnis

    • Im 18. Jahrhundert war ein integratives Kulturverständnis vorherrschend, das alle Kulturen, sowohl europäische als auch neu entdeckte in Übersee, prinzipiell als gleichwertig ansah.

    • Europa wurde als höchste Entwicklungsstufe betrachtet, während andere Kulturen auf unterschiedlichen, niedrigeren Entwicklungsstufen gesehen wurden.

    • Es gab eine Differenzierung zwischen den „edlen Wilden“ (mit Potenzial zur Höherentwicklung) und den „primitiven Wilden“ (assoziiert mit Rohheit und Brutalität).

  2. 19. Jahrhundert: Eurozentrische Perspektive und Abwertung

    • Der positive Diskurs über außereuropäische Kulturen wandelte sich im 19. Jahrhundert zu einer Eurozentrischen Sichtweise.

    • China, das zuvor als Hochkultur angesehen wurde, wurde zunehmend als rückständig und seine Gesellschaft als statisch betrachtet.

    • Die Idee von Westeuropa als das Ideal der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung wurde stärker betont, und die Wertung anderer Kulturen wandelte sich zur Abwertung.

    • Der „edle Wilde“ wurde zurückgedrängt, während der „primitive Wilde“ in den Vordergrund trat.

  3. Koloniale Expansion und Einfluss auf Wahrnehmung

    • Die Kolonialisierung verstärkte die eurozentristische Perspektive und brachte die Begriffe „Zivilisation“ und „Zivilisierung“ in den Fokus.

    • Die europäischen Mächte rechtfertigten die Kolonialisierung als „Zivilisierungsmission“, die die Errungenschaften der europäischen Moderne als Zielsetzung für die gesamte Welt definierte.

  4. Akademische Entwicklungen und Rassismus

    • Im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein akademischer Rassismus, der die außereuropäischen Kulturen als biologisch minderwertig ansah und die Hierarchie zwischen Kulturen verstärkte.

    • Theoretiker wie Gobineau und Chamberlain lieferten „wissenschaftliche“ Grundlagen für rassistische Ideologien, die die europäische Kultur als überlegene Idealform darstellten.

Bedeutung dieses Wandels für den europäischen Kulturbegriff:

  1. Von Integration zu Abgrenzung

    • Der Wandel von einem integrativen zu einem ausgrenzenden Kulturverständnis reflektierte sich in der Wahrnehmung der europäischen Kultur als überlegene und abschließende Entwicklungsstufe.

    • Die Vorstellung, dass andere Kulturen nur frühe Entwicklungsstufen der eigenen Gesellschaft repräsentierten, führte zu einer Wahrnehmung der europäischen Kultur als alleinige Vollendung der kulturellen Entwicklung.

  2. Zivilisationsgedanke und Kolonialismus

    • Der Begriff „Zivilisation“ wurde im Kontext des Kolonialismus verwendet, um die Überlegenheit der europäischen Kultur zu legitimieren und die koloniale Expansion als moralische Verpflichtung darzustellen.

  3. Institutionalisierung von Rassismus

    • Der Wandel in der Wahrnehmung führte zu einer verstärkten akademischen und gesellschaftlichen Institutionalisierung von Rassismus, der die europäische Kultur als überragend und die anderen als minderwertig darstellte.

  4. Fortdauernde Kontroversen

    • Trotz der vorherrschenden rassistischen und eurozentristischen Perspektiven existierten auch verschiedene, differenzierte Sichtweisen und akademische Disziplinen, die sich mit der Vielfalt der Kulturen auseinandersetzten.


Text gpt

Im 18. Jahrhundert prägte ein integratives Kulturverständnis den europäischen Diskurs. Kulturen, sowohl die eigenen als auch die in Übersee entdeckten, wurden grundsätzlich als gleichwertig betrachtet. Allerdings implizierte dies nicht, dass sie als gleichrangig bewertet wurden. Vielmehr dominierte die Vorstellung, dass Europa den höchsten Entwicklungsstand erreicht habe, während andere Kulturen sich auf niedrigeren Entwicklungsstufen befänden, die Europa jedoch eines Tages durch eine Art "Erwachsenwerden" erreichen könnten. Diese Sichtweise, geprägt von einer paternalistischen Überlegenheit, schuf eine Hierarchie, in der Europa als das erstrebenswerte Ziel galt.

Besonders deutlich wird dies in der Dichotomie des „edlen Wilden“ und des „primitiven Wilden“. Während der „edle Wilde“ – oft in Form von Indianern oder Polynesiern – als naturverbunden und potenziell entwicklungsfähig betrachtet wurde, galt der „primitive Wilde“ – meist Afrikaner – als roh, brutal und kulturell minderwertig. Diese Unterscheidung spiegelte eine frühe Form des Rassismus wider, die bereits im 18. Jahrhundert die europäischen Vorstellungen von außereuropäischen Kulturen prägte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Rassismus weiter und wurde zunehmend ideologisiert und wissenschaftlich untermauert. So wurde der Rassismus zu einer zentralen Komponente in der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften.

Ein Wandel in der europäischen Wahrnehmung zeigt sich deutlich am Beispiel Chinas. Während im 18. Jahrhundert ein intensives Interesse an China und seiner Hochkultur bestand, wandelte sich dieses Bild im 19. Jahrhundert drastisch. China wurde nun als rückständig und statisch angesehen, und die anfängliche Bewunderung wich einer zunehmenden Abwertung. Diese Verschiebung spiegelt die wachsende eurozentrische Perspektive wider, in der Europa endgültig als das Idealbild menschlicher Entwicklung betrachtet wurde. Andere Kulturen wurden nun als minderwertig angesehen, und der europäische Kulturbegriff entwickelte sich zu einem ausgrenzenden Konzept.

Dieser Wandel ging Hand in Hand mit den politischen und ökonomischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Die kolonialen Bestrebungen der europäischen Mächte, insbesondere in Asien und Afrika, verstärkten das europäische Überlegenheitsgefühl. Die Idee der „Zivilisierung“ wurde zum Leitmotiv der Kolonialpolitik, wobei europäische Zivilisationskriterien als universeller Maßstab für kulturelle Entwicklung betrachtet wurden. Diese kolonialen Praktiken führten dazu, dass der Begriff „Kultur“ in Europa zunehmend mit Nationalismus und Rassismus verknüpft wurde.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen erlebte im 19. Jahrhundert ebenfalls eine Transformation. Aus den universalistischen Ansätzen der Aufklärung entwickelten sich spezialisierte Wissenschaften wie die Ethnologie, die eng mit den kolonialen und rassistischen Diskursen verflochten waren. Diese Disziplinen institutionalisierten die Abgrenzung und Hierarchisierung außereuropäischer Kulturen und trugen zur Verfestigung eines eurozentrischen Kulturbegriffs bei.

Insgesamt führte der Wandel der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften zu einer tiefgreifenden Veränderung des europäischen Kulturbegriffs. Während im 18. Jahrhundert noch ein relativ offener und integrativer Ansatz vorherrschte, entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein ausgrenzendes, rassistisch geprägtes Kulturverständnis, das Europa als unangefochtene Spitze der kulturellen Entwicklung betrachtete. Dieser Wandel hatte weitreichende Auswirkungen auf die europäische Selbstwahrnehmung und die Art und Weise, wie Europa mit anderen Kulturen interagierte.

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Die europäische Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften in der Frühen Neuzeit (15. bis 19. Jahrhundert) war geprägt von verschiedenen Faktoren. Zum einen spielte die Intention der europäischen Reisenden eine Rolle. Missionare, die vorrangig den christlichen Glauben verbreiten wollten, waren mit anderen Absichten in Übersee als beispielsweise Händler oder Kolonialherren. Auch die konkrete Begegnung vor Ort beeinflusste die Wahrnehmungsformen der Europäer maßgeblich. Der Schweizer Historiker Urs Bitterli unterscheidet in diesem Zusammenhang vier Formen des Kulturkontakts: Kulturberührung, Kulturbeziehung, Kulturzusammenstoß und Kulturverflechtung. Dabei übernahmen auch die außereuropäischen Gesellschaften einen aktiven Part, denn die Art und Weise, wie Europäer von der lokalen Bevölkerung empfangen wurden, spielte eine wichtige Rolle.

Zudem existierten bereits tradierte Stereotypen und Vorurteile über Außereuropa, die europäische Reisende mit sich brachten. Diese stammten teilweise aus der Antike und dem Mittelalter. Fabelwesen und Monster wurden gemäß europäischer Vorstellungen zunächst an die Ränder der bekannten Welt verortet. Als man jedoch immer weiter nach Übersee vordrang und nicht auf solche Fabelwesen traf, verschwanden diese nach und nach aus der Vorstellungswelt der Europäer. Das Phänomen der Fremdheit führte häufig zu verzerrten oder falschen Darstellungen, Missverständnissen, Übersetzungsfehlern und sogar Fantasieangaben.

Eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung und Verfestigung solcher Stereotype und Vorurteile spielte die sogenannte „Medienrevolution“ im 15. Jahrhundert, die mit der Verbesserung des Buchdrucks durch Gutenberg einherging. Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern ermöglichte es, Schriftgut in größeren Mengen, schneller und billiger zu produzieren. Dies führte zu einer Verbreitung von Schriften über außereuropäische Gesellschaften, wobei der Inhalt oft von Autoren stammte, die selbst niemals in Übersee waren. Diese Berichte trugen erheblich zur Verfestigung von Vorurteilen und Missverständnissen bei. Reiseberichte von Augenzeugen konnten dabei, je nach Autor und Adressat, in ihrem Aussagegehalt erheblich variieren. Um den Absatz zu steigern, orientierten sich Autoren häufig an den Erwartungen und dem Geschmack des Lesepublikums, was zu Übertreibungen und hinzugefügten Sensationen führte. Ein Beispiel hierfür ist Hans Stadens „Warhaftige Historia“, in der er über seinen Aufenthalt in Brasilien Mitte des 16. Jahrhunderts berichtet.

Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies am Beispiel des Kannibalismus, der häufig in Darstellungen über Außereuropa thematisiert wurde, um das Interesse des europäischen Lesepublikums zu wecken. Ob es dieses Phänomen jedoch tatsächlich gegeben hat, ist in der Forschung umstritten. Einige, wie William Arens, argumentieren, dass Berichte über Kannibalismus auf Missverständnissen und kulturellen Projektionen beruhten. Andere, wie Simon Haberberger, verweisen auf archäologische Belege und sehen darin Anhaltspunkte für die Existenz des Kannibalismus. Annerose Menninger positioniert sich zwischen diesen Extremen, indem sie darauf hinweist, dass das frühneuzeitliche Wissen oft eine Mischung aus Tatsachen, etablierten Stereotypen und neuen Mythen war.

Im 18. Jahrhundert prägte ein integratives Kulturverständnis den europäischen Diskurs. Kulturen, sowohl die eigenen als auch die in Übersee entdeckten, wurden grundsätzlich als gleichwertig betrachtet. Allerdings implizierte dies nicht, dass sie als gleichrangig bewertet wurden. Vielmehr dominierte die Vorstellung, dass Europa den höchsten Entwicklungsstand erreicht habe, während andere Kulturen sich auf niedrigeren Entwicklungsstufen befänden, die Europa jedoch eines Tages durch eine Art "Erwachsenwerden" erreichen könnten. Diese Sichtweise, geprägt von einer paternalistischen Überlegenheit, schuf eine Hierarchie, in der Europa als das erstrebenswerte Ziel galt.

Besonders deutlich wird dies in der Dichotomie des „edlen Wilden“ und des „primitiven Wilden“. Während der „edle Wilde“ – oft in Form von Indianern oder Polynesiern – als naturverbunden und potenziell entwicklungsfähig betrachtet wurde, galt der „primitive Wilde“ – meist Afrikaner – als roh, brutal und kulturell minderwertig. Diese Unterscheidung spiegelte eine frühe Form des Rassismus wider, die bereits im 18. Jahrhundert die europäischen Vorstellungen von außereuropäischen Kulturen prägte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Rassismus weiter und wurde zunehmend ideologisiert und wissenschaftlich untermauert. So wurde der Rassismus zu einer zentralen Komponente in der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften.

Ein Wandel in der europäischen Wahrnehmung zeigt sich deutlich am Beispiel Chinas. Während im 18. Jahrhundert ein intensives Interesse an China und seiner Hochkultur bestand, wandelte sich dieses Bild im 19. Jahrhundert drastisch. China wurde nun als rückständig und statisch angesehen, und die anfängliche Bewunderung wich einer zunehmenden Abwertung. Diese Verschiebung spiegelt die wachsende eurozentrische Perspektive wider, in der Europa endgültig als das Idealbild menschlicher Entwicklung betrachtet wurde. Andere Kulturen wurden nun als minderwertig angesehen, und der europäische Kulturbegriff entwickelte sich zu einem ausgrenzenden Konzept.

Dieser Wandel ging Hand in Hand mit den politischen und ökonomischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Die kolonialen Bestrebungen der europäischen Mächte, insbesondere in Asien und Afrika, verstärkten das europäische Überlegenheitsgefühl. Die Idee der „Zivilisierung“ wurde zum Leitmotiv der Kolonialpolitik, wobei europäische Zivilisationskriterien als universeller Maßstab für kulturelle Entwicklung betrachtet wurden. Diese kolonialen Praktiken führten dazu, dass der Begriff „Kultur“ in Europa zunehmend mit Nationalismus und Rassismus verknüpft wurde.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen erlebte im 19. Jahrhundert ebenfalls eine Transformation. Aus den universalistischen Ansätzen der Aufklärung entwickelten sich spezialisierte Wissenschaften wie die Ethnologie, die eng mit den kolonialen und rassistischen Diskursen verflochten waren. Diese Disziplinen institutionalisierten die Abgrenzung und Hierarchisierung außereuropäischer Kulturen und trugen zur Verfestigung eines eurozentrischen Kulturbegriffs bei.

Insgesamt führte der Wandel der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften zu einer tiefgreifenden Veränderung des europäischen Kulturbegriffs. Während im 18. Jahrhundert noch ein relativ offener und integrativer Ansatz vorherrschte, entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein ausgrenzendes, rassistisch geprägtes Kulturverständnis, das Europa als unangefochtene Spitze der kulturellen Entwicklung betrachtete. Dieser Wandel hatte weitreichende Auswirkungen auf die europäische Selbstwahrnehmung und die Art und Weise, wie Europa mit anderen Kulturen interagierte.

Zusammenspiel Kulturbegriff und Geschichtswissenschaft

Der folgende Text behandelt das Zusammenspiel zwischen Kulturbegriff und deutscher Geschichtswissenschaft in den letzten 250 Jahren. 

In einer chronologischen Übersicht wird erläutert, wie “Kultur” seit der ersten Wortprägung vor etwa 250 Jahren definiert wurde und wie diese Definition die deutsche Geschichtswissenschaft beeinflusst hat. Hierbei werden drei Phasen des Zusammenwirkens herausgearbeitet. 

 

Das Wort “Kultur” wurde im deutschsprachigen Raum erstmals vor etwa 250 Jahren durch Johann Gottfried Herder geprägt. In seiner Schrift “Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit” von 1784-91 bezeichnet er “Cultur” als die “zweite Genesis des Menschen”. 

Sein Kulturbegriff ist davon geprägt, dass die niedersten Bereiche des menschlichen Lebens ebenfalls zur Kultur gezählt werden. Nach Herder gehören alltägliche Werkzeuge, wie beispielsweise Pfeil und Bogen, genauso zur Kultur wie Sprache oder “Künste”. 

Ebenfalls habe jede Kultur eine unverwechselbare Eigenart, welche sie von anderen Kulturen klar unterscheide. Sein Kulturbegriff ist also global ausgerichtet und betrachtet Kulturen als in sich geschlossen und abgrenzbar gegenüber anderen. 

Das Verständnis von Kulturen als globale und klar abgrenzbare Menschengruppen findet sich ebenfalls in der deutschen Geschichtswissenschaft zum Ende des 18. Jahrhunderts (“Universalgeschichte”) wieder.  

In seiner Vorlesung “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?” von 1789 vergleicht Friedrich Schiller die europäische Kultur mit außereuropäischen Kulturen. Letztere bezeichnet er als Kinder, welche sich weiter kultivieren müssten, um die höchste Stufe zu erreichen. Diese sei seiner Ansicht nach die europäische Kultur. Das Ziel der Geschichtswissenschaft sei also die Untersuchung “fremder” Kulturen, um anhand derer den Weg der europäischen Kultur zu verstehen.  

Diese erste Phase endet im 19. Jahrhundert mit dem aufsteigenden Nationalismus und der literarischen Epoche der Romantik. 

Diese neuen Entwicklungen zogen eine Verengung des Kulturbegriffs nach sich. Der moderne, bildungsbürgerliche Kulturbegriff verstand sich auf die geistigen Errungenschaften der eigenen Nation. Dies sind vor allem Werke aus Literatur, Wissenschaft, Kunst oder Musik. Bereiche des alltäglichen Lebens wie beispielsweise Sprache werden nicht mehr als Kultur verstanden. Ebenfalls verliert der Kulturbegriff seinen globalen Charakter. “Kultur” gab es demnach nur in Deutschland und diese wurde weit über die “Zivilisation” anderer Nationen gestellt. 

Eine Verengung des Gegenstandsbereiches ereilte ebenfalls die Geschichtswissenschaft. Diese fokussierte sich nun ausschließlich auf Politik. Die Betrachtung anderer Lebensbereiche wie Ökonomie, Gesellschaft und Kultur erfolgte nicht mehr im Rahmen der Geschichtswissenschaft. Ebenfalls wurde sie weitaus individualistischer. Statt Zusammenhänge und Entwicklungen wurden einzelne Akteur*innen und deren Handlungen betrachtet. Ihr wurde ein Vorbildcharakter gegeben, der die Menschen zu Selbstreflexion anhalten sollte.  

Mit dem Ende des Nationalsozialismus begann eine dritte Phase des Zusammenspiels des Kulturbegriffs und der Geschichtswissenschaft. 

Der Kulturbegriff erfährt eine vollständige Umdeutung hin zum sogenannten postmodernen Kulturbegriff. Der bildungsbürgerliche Kulturbegriff betrachtete Kultur vor allem als eine Sache. Jedoch war Kultur nun nicht mehr die Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm oder die Gedichte Ernst Moritz Arndts. Unter dem postmoderne Kulturbegriff versteht man Verhaltensstile. Beispielsweise entspringen diesem Verständnis von Kultur Begriffe wie “Streitkultur” oder “Unternehmenskultur”.  

Nach Ende des Nationalismus brauchte auch die Geschichtswissenschaft einen neuen Gegenstandsbereich. Das verfolgte Ziel eines Vorbilds für den Menschen ging unter Akteur*innen wie Hitler oder Stalin nicht mehr auf. 

Geschichtswissenschaftliche Diskurse widmeten sich kulturwissenschaftlichen Fragestellungen und verschoben somit allmählich ihren Gegenstandsbereich. Als Historische Kulturwissenschaft befasst sich die Geschichte nun mit Zusammenhängen und Beziehungen verschiedener Ereignisse. 

 

Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kulturbegriff und deutscher Geschichtswissenschaft in den vergangenen 250 Jahre läuft also in drei Phasen ab. 

Phase eins ist durch eine enge Verknüpfung zwischen dem Verständnis von Kultur und der “Universalgeschichte” beobachten. Durch das Interesse der Geschichtswissenschaft an “Kultur” wird diese maßgeblich vom geltenden Kulturbegriff beeinflusst.  

Eine Spaltung dieses Verhältnisses ist kennzeichnend für die zweite Phase. Sowohl der Kulturbegriff als auch die Geschichtswissenschaft erfahren eine Verengung ihrer Gegenstandsbereiche. Da sich die Geschichtswissenschaft ausschließlich auf die Politik fokussiert, kann das geltende Kulturverständnis keinen Einfluss auf diese nehmen.  

Die Annäherung erfolgte in Phase drei. Seitdem entwickelte sich die Geschichtswissenschaft hin zu einer Historischen Kulturwissenschaft und orientiert sich stark am postmodernen Kulturbegriff.  

Anhand dieser drei Phasen lässt sich das Zusammenspiel zwischen Kulturbegriff und deutscher Geschichtswissenschaft in den letzten 250 Jahren darstellen. Das Zusammenspiel war sowohl von Nähe als auch von Distanz geprägt. Dabei wurden beide Bereiche immer ähnlich von den gesellschaftlichen Zuständen geprägt. 

allgemeinen Grundbedingungen der europäischen Wahrnehmung außereuropäischer Gesellschaften vor Beginn des 20. Jahrhunderts und erläutern Sie den Wandel dieser Wahrnehmung vom 18. zum 19. Jahrhundert!

Die europäische Wahrnehmung außereuropäischer Kulturen unterlag vom 18. zum 19. Jahrhundert einem Wandel. Um diesen Wandel verstehen zu können, müssen zunächst die allgemeinen Grundbedingungen für die Entstehung dieser Wahrnehmungen erörtert werden. Der folgende Text bietet also zunächst einen Überblick über diese Grundbedingungen und wird nach einem Vergleich der Wahrnehmungen im 18. und im 19. Jahrhundert, die Veränderung der Entstehungsbedingungen kurz skizzieren. 

Die allgemeinen Grundbedingungen für die Perspektive auf andere Kulturen sind die konkrete Form des Kulturkontakts, Stereotype bzw. Vorurteile und der Grund für den Kulturkontakt. Urs Bitterli unterscheidet vier Stufen des Kulturkontakts: die vorübergehende Kulturberührung, der friedliche Kulturbeziehung, der gewaltsame Kulturzusammenstoß und die dauerhafte Kulturverflechtung. Die Art des Kulturkontakts wird vor allem durch den Grund der Reise und den Emfang den die Europäer*innen erhielten bestimmt.

Die vorübergehende Kulturberührung definiert Urs Bitterli als eine erstmalige bzw. nach einer langen Zeit erfolgte, zeitlich begrenzte Begegnung zwischen Europäer*innen und einer außereuropäischen Gesellschaft. Als einen solchen Kulturkontakt können Forschungsreisen von Gelehrten wie Alexander von Humboldt.

Unter einer Kulturbeziehung versteht Bitterli ein längerfristiges Verhältnis zwischen Kulturen, dass weitgehend friedlich ist und auf gleichen Machtverhältnissen beruht. Diese gingen häufig aus Kulturberührungen hervor. Beispielsweise nachdem die Portugal nach ihren ersten Aktivitäten an der afrikanischen Wetsküste (Kulturberührung) dauerhafte Stützpunkte aufbauten und Handel mit Afrika betrieben.

Ein weitere Beispiel wäre die christliche Mission, wie sie beispielsweise von Ferdinand Kittel in Indien betrieben wurde.

Von einen gewaltvollen Kulturzusammenstoß spricht Bitterli, wenn eine friedliche Kulturberührung umschlägt. Sie ist geprägt von Gewalt die von der Bedrohung und Zurückdrängung der indigenen Bevölkerung bis hin zur vollständigen Auslöschung reichte. Ein klassisches Beispiel für einen gewaltvollen Kulturzusammenstoß ist die spanische Eroberung des Aztekenreichs durch Hernán Cortés und seine Konquistadoren im frühen 16. Jahrhundert.

Eine dauerhafte Kulturverflechtung liegt vor, wenn langanhaltende Kulturbeziehungen zu beidseitigen Transfer und Transformationsprozessen geführt haben. Als Beispiele können diverse entkolonialisierte Länder und Regionen genannt werden, hier sei jedoch nur die Karibik genannt. Die Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen Kulturen zusammen. Neben der indigenen Bevölkerung leben durch Kolonialisation und Sklavenhandel auch eruopäische, afrikanische und asiatische Menschengruppen zusammen. Der engen Kontakt und das Zusammenleben dieser verschiedenen Gruppen ließ neue, synkretische kulturelle Formen entstehen. Dies erkennt man bereits an kreolischen Sprachen, die Elemente europäischer Sprachen (vor allem Englisch, Französisch und Spanisch) mit afrikanischen und indigenen Sprachstrukturen kombinierten. Diese Sprachen wurden zu den Alltags- und Nationalsprache vieler karibischer Staaten.

Das Schema von Bitterli wurde nach gehäufter Kritik durch Jürgen Osterhammel weiterentwickelt. Sein System der “kulturellen Grenzen” sollte eine weniger strenge Systematisierung ermöglichen.

Neben der Art des Kulturkontaktes waren auch Stereotypen und Vorurteile wahrnehmungsleitend. Zu beobachten ist dies insbesondere am Phänomen des Kannibalismus. Die außereuropäische Reiseliteratur der Frühen Neuzeit war geprägt von Erlebnissen des Kannibalismus.

Die ebenfalls wahrnehmungsleitenden Stereotypen gehen teilweise auf mittelalterliche Mythen von Fabelwesen mit Hundeköpfen oder Kannibalen zurück. Hauptsächlich entstanden sie jedoch im Rahmen der Häufung von Informationen über außereuropäische Kulturen in der Frühen Neuzeit. Die Zusammenführung von Wissen über außereuropäische Kulturen in Enzyklopädien bildete die Grundlage für Werke anderer Autor*innen, welche selbst niemals einen Kulturkontakt erlebten. Desinformationen, Interpretationen und fehlenden Quellenangaben führten zur Bildung von Stereotypen und Vorurteilen. 

Im 18. Jahrhundert definierte sich Europa vor allem durch die Abgrenzung zu außereuropäischen Kulturen. Der vorherrschende Kulturbegriff wird von einem integrativen Kulturverständnis her verstanden. Kulturen galten zwar als grundsätzlich gleichwertig, jedoch bedeutet dies nicht gleichrangig. Differenziert wurde zwischen den Hochkulturen Asiens, insbesondere China, und den sogenannten “Wilden”. Afrikaner*innen wurden als “primitive Wilde” angesehen, Indianer*innen und Polynesier*innen als “edle Wilde”. Während die “edlen Wilden” als die früheren Entwicklungsstufen Europas wahrgenommen wurden, galten die “primitiven Wilden” als roh, brutal und religionslos.   Im Gegensatz hierzu weckten die Hochkulturen Asiens nicht nur das Interesse von Gelehrten wie Gottfried Wilhelm Leibniz. Dieser publizierte 1697 mit seinem Werk “Novissima Sinica” eine der bekanntesten Abhandlung über China. Es fand sich auch im alltäglichen Leben der Europäer*innen die Begeisterung vor allem gegenüber China wieder. Die Etablierung und Nachahmung chinesischer Kunst waren im 18. Jahrhundert in Europa weit verbreitet. 

Jedoch ist zu bedenken, dass dieses integrative Verständnis von Kultur auch bereits im 18. Jahrhundert gegenläufige Tendenzen hatte. Beispielsweise ist hier der Atlantische Sklavenhandel zu nennen. Er zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Beteiligte Mächte wie Dänemark oder Großbritanien Verbote für Sklavenhandel zu erlassen.

Insbesondere die Wahrnehmung Asiens nahm im 19. Jahrhundert eine komplette Wendung. Während diese im 18. Jahrhundert noch das Interesse Europas weckte und Leibniz sich einen positiven Einfluss auf andere Kulturen erhoffte, wurde China, aber auch andere asiatische Kulturen, im 19. Jahrhundert abgewertet. Gleiches widerfahr den “Wilden”. Das Bild des “primitiven Wilden” dominierte das Denken der Europäer*innen und traf nun auch den im 18. Jahrhundert noch als “edel” bezeichneten “Wilden”. In der europäischen Wahrnehmung waren außereuropäische Kulturen nun nur noch rückständig und ihre Entwicklungsfähigkeit wurde ihnen abgesprochen. Die Messung des in Europa entwickelten sogenannten Zivilisationsgrades ergab, dass Europa die höchste und erstrebenswerteste Kultur darstelle. Der Zivilisationsgrad war abhängig von Kriterien wie Staat und Verfassung, Ökonomie oder technischem Fortschritt. Diese Kriterien wurden in Zivilisationsmissionen auf andere Kulturen übertragen. Es kann davon gesprochen werden, dass sich die Wahrnehmung von außereuropäischen Gesellschaften von einem integrativen Kulturverständnis hin zu einem ausgrenzenden Kulturverständnis entwickelt hat. 

Beeinflusst war die Wandelung des Bildes von außereuropäischen Kulturen durch eine Veränderung der allgemeinen Grundbedingungen. Insbesondere im asiatischen Raum breitete sich die Kolonialisierung aus. Indien wurde teilweise durch militärische Gewalt Großbritannien unterworfen und zur Kronkolonie ernannt. Der Malaiische Archipel wurde von den Niederlanden besetzt und Frankreich kolonialisierte Indochina.   Die Kolonialisierung betraf auch Afrika. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts teilten europäische Mächte auf der Berliner Kongokonferenz den Kontinent unter sich auf. Kolonialisierung als Grund für Kulturkontakte führte zu gewaltsamen Kulturzusammenstößen und dauerhaften Kulturverflechtungen.  

Ebenfalls verbanden sich im 19. Jahrhundert die Wörter “Kultur” und “Nation”. Dies zog eine Verstärkung der eurozentrischen Perspektive nach sich. Im Vergleich zu Europa wurden außereuropäische Kulturen abgewertet und eine Rechtfertigung für die militärische Unterwerfung war gefunden. Diese Abwertung anderer Kulturen gipfelte in einem akademischen Rassismus. 

Es lässt sich also feststellen, dass sich die Wahrnehmung außereuropäischer Kulturen vom 18. zum 19. Jahrhundert negativ gewandelt hat. Während sie die bereits abwertende Wahrnehmung der “Wilden” weiterhin verstärkte, wurden auch die im 18. Jahrhundert noch positiv betrachteten Hochkulturen Asiens insgesamt herabgestuft. Die Gründe hierfür liegen in den allgemeinen Grundbedingungen für Kulturwahrnehmung: die Gründe und Formen des Kulturkontakts und die bestehenden Stereotypen und Vorurteile. Es veränderte sich die Rolle des Profitstrebens europäischer Länder im kolonialen Kontext. Dies zog eine verschärfte Sicht auf Außereuropa nach sich. 



mehr Beispiele

Kanibalismus aus der aktuellen Forschung

NEIN

VIELLEICHT

JA

William Arens

  • bedeutendstes Werk: "The Man Eating Myth" (1979)

  • Kannibalismus ist Mythos (relativiert Aussage später etwas)

  • wirft Kannibalismus-Verfechtern leichtferti- gen Umgang mit Quellen vor

    Kernargumentation:

    In Europa gab und gibt es Rituale, die an Anthro- pophagie erinnern (christliche Eucharistie), sie wurden aber von den Europäern aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds schon immer als das ver- standen, was sie sind, nämlich bloße Rituale, die den Verzehr von Menschenfleisch nur symbolisch vollziehen; ähnliche Rituale in Übersee wurden hingegen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und kultureller Standortgebundenheit (tradierte Vorstellungen aus dem Mittelalter stellten Inter- pretationsrahmen des Gesehenen bereit) der eu- ropäischen Reisenden als reale Formen von Anthropophagie missverstanden, zumal auch ei- nander feindlich gesinnte außereuropäische Kul- turen einander Kannibalismus vorwarfen.

Annerose Menninger

  • bezweifelt Anthropophagie der Tupinambá

  • vermutet, dass Staden zwecks größerer Brei-

    tenwirkung übertrieb und hinzuerfand

  •   weist daraufhin, dass gerade Stadens Bericht-

    erstattung langfristig das Bild der indigenen Bevölkerung Brasiliens prägte

    Fazit:

  • frühneuzeitliches Wissen tritt meist als Kom- bination von Tatsachen, etablierten Stereoty- pen und neuen Mythen auf, daher Vorsicht mit "Augenzeugenberichten"

  • Transfer von Wissen aus Übersee ist ein mehrfach gebrochener Prozess

Simon Haberberger

  • archäologische Befunde und Schriftzeugnisse, die nicht auf öffentliche Wirkung gerichtet waren, lassen den Schluss zu, dass Kanniba- lismus in bestimmten Regionen unter be- stimmten Bedingungen nicht auszuschließen ist

Beispiele:

  • Martyrium der Jesuiten Brébeuf und Lalemant erscheint nicht nur im veröffentlichten Jah- resbericht ihres Ordens, sondern auch in internen Berichten und zeitnahen persönli- chen Briefen

  • ab 1890 ergriff die deutsche Kolonialverwal- tung in Neuguinea gezielte Maßnahmen ge- gen Anthropophagie, die im Rahmen von Kriegen, Strafen, Ermordung von Außensei- tern und Hungersnöten auftrat; die entspre- chenden Akten hatten verwaltungsinterne Funktion und waren nicht auf Breitenwirkung ausgerichtet


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Adele G.

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