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Ständegesellschaft

AG
by Adele G.

Griechische Antike

1. Ständemodell als vormodernes Ordnungsmuster

  • Definition und Ursprung:

    • Das Ständemodell ist eine theoretische und idealisierte Einteilung der Gesellschaft in verschiedene Stände, die durch Geburt festgelegt sind.

    • Diese Vorstellung findet sich schon bei Platon (427-347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.), die jeweils unterschiedliche Entwürfe von gesellschaftlicher Ordnung vorlegten.

  • Platon:

    • In seiner „Politeia“ beschreibt Platon ein ideales Gemeinwesen, in dem Menschen durch göttlichen Willen in verschiedene Stände eingeteilt werden:

      • Herrscher (Gold)

      • Helfer (Silber)

      • Bauern, Handwerker, Arbeiter (Eisen)

    • Die Ständestruktur wird durch vier Kardinaltugenden gestützt:

      • Weisheit und Tapferkeit für die ersten beiden Stände.

      • Gerechtigkeit und Mäßigung gelten für alle, aber besonders für den dritten Stand.

    • Mäßigung bedeutet hier die Akzeptanz der gesellschaftlichen Ordnung und der eigenen Position darin.

  • Aristoteles:

    • Er differenziert die Gesellschaft in verschiedene Stände, wobei er keine feste Struktur vorgibt. Beispiele seiner Stände sind:

      • Bauern, Handwerker, Militärische Funktion, Reiche, Priester, Führungskräfte.

    • Er betont die Notwendigkeit der Eintracht zwischen den Ständen, ähnlich wie die Glieder eines Körpers zusammenarbeiten sollen.

2. Soziale Realität in der Vormoderne

  • Grundlagen und Prinzipien:

    • Das Ständemodell spiegelt nicht die tatsächliche soziale Realität wider, sondern ist ein idealisiertes Konstrukt.

    • Die soziale Realität wurde vielmehr durch Besitz und den Grad an persönlicher Freiheit bestimmt.

    • Reichtum war eine Voraussetzung für Freiheit, da nur der Reiche unabhängig von der „Beschränkung durch einen anderen“ leben konnte.

  • Unterschiede in der Freiheit:

    • Frauen, Kinder und Sklaven waren von rechtlicher Freiheit ausgeschlossen.

    • Auch rechtlich freie Männer waren in ihrem Ansehen und ihrer Freiheit eingeschränkt, wenn sie körperlich arbeiten mussten.

    • Besonders gering angesehen war Lohnarbeit und Handwerk, die für andere und nicht für sich selbst verrichtet wurde.

  • Landbesitz und Status:

    • Der Besitz von Land war entscheidend für den sozialen Status und die Freiheit von entwürdigender Arbeit.

    • Höhere soziale Tätigkeiten waren Krieg, Sport, Künste, Politik und die Finanzierung öffentlicher Aufgaben.

  • Widerspruch zur Demokratie:

    • Die Demokratie in Athen galt zwar als egalitär, doch nur eine Minderheit besaß Bürgerrechte.

    • Diese Elite war oft auch wirtschaftlich privilegiert und besaß genügend Land und Sklaven, um sich der Politik und dem gesellschaftlichen Ansehen widmen zu können.

    • Die griechische Aristokratie war eine ökonomische, nicht politische Kategorie, die sich durch Reichtum und nicht durch politische Vorrechte definierte.


Römische Antike

1. Ständemodell

Die Römische Aristokratie und der Politadel

  • Besonderheit der römischen Aristokratie: In der römischen Gesellschaft entwickelte sich eine außergewöhnliche Form der Adelsherrschaft, bei der sich die Aristokratie durch ihren Einsatz für das Gemeinwesen, die res publica, definierte.

  • Mitgliedschaft im Politadel: Zur römischen Nobilität (Politadel) gehörte, wer hohe Ämter (Magistrate) bekleidet hatte und Mitglied des Senats war. Familien mit einem Senatsmitglied, idealerweise einem ehemaligen Konsul, zählten zur Nobilität.

  • Prestige und Vererbung: Die Zugehörigkeit zur Nobilität erforderte familiäres Prestige und Reichtum, die vererbt wurden. Diese Stellung musste jedoch durch individuelle Karrieren in jeder Generation neu gefestigt werden.

Der Begriff „Ordo“ und die Ständeordnung

  • Zentralbegriff „Ordo“: Der zentrale Begriff des politischen Denkens war der ordo, das lateinische Wort für Stand. Die römischen Stände (ordines) waren spezifische soziale Gebilde.

  • Geschichtlicher Hintergrund: Laut Historiker Livius führte der sagenhafte König Servius Tullius die Ständeordnung ein, um Abgrenzungen nach Rang und Vermögen sichtbar zu machen. Diese Ständeordnung hatte fundamentale Bedeutung in der augustäischen Zeit.

  • Ciceros Ansicht: Auch in den Staatsschriften Ciceros galt die ständische Ordnung als Kennzeichen einer idealen Bürgerschaft. Cicero unterschied zwischen hohen, mittleren und niedrigen Ordnungen, die durch die Idee der Eintracht (concordia ordinum) verbunden sein sollten.

Entwicklung und Veränderung der Stände

  • Archaische Zeit: Ursprünglich gab es eine Unterscheidung zwischen aristokratischen Patriziern und Plebejern. Nach dem Ende der Ständekämpfe im 4. Jahrhundert v. Chr. verloren diese Unterschiede an Bedeutung.

  • Neue aristokratische Gruppe: Ab dieser Zeit trat die Nobilität als neue aristokratische Gruppe auf. Der interne Rang eines Nobilis wurde nach dem höchsten bekleideten Amt, der Seniorität und dem Prestige der Familie bemessen. Öffentliches Prestige wurde durch Rituale wie das Leichenbegängnis demonstriert.

Die Ordo-Struktur

  • Informelle Nobilität: Trotz ihrer politischen Bedeutung war die Nobilität in der römischen Sozialordnung keine offizielle Kategorie. Die offiziellen Stände (ordines) waren:

    • Ordo Senatorius: Senatorenstand, einschließlich aller ehemaligen und aktuellen Senatsmitglieder und deren Familien.

    • Ordo Equester: Ritterstand, eine Form des Geldadels, dessen Mitglieder ihr Vermögen durch Handel und staatliche Finanzaufträge erwarben.

    • Populus: Der Rest der Bevölkerung mit römischem Bürgerrecht.

Stabilität und Veränderungen in der Kaiserzeit

  • Beständigkeit der Stände: Die republikanische Sozialordnung blieb auch in der Kaiserzeit weitgehend bestehen. In den Provinzstädten etablierte sich der Dekurionenstand (ordo decurionum) als zusätzlicher ordo.


2. Soziale Realität

Unterschiede zum Ständemodell

  • Dreiteilung der Stände: Die Dreiheit der Stände – Senatoren, Ritter und Dekurionen – etablierte sich dauerhaft. Diese Stände wurden klar voneinander abgegrenzt mit spezifischen Zugangsvoraussetzungen und Titulaturen.

  • Ausgrenzung des Volkes: Die soziale Trennlinie verlief zwischen den honestiores (Ehrenhaften, die ein Amt innehatten) und den humiliores (Niedrigen), die standeslos waren. Das Volk (populus) wurde dauerhaft aus dieser Ständetrias ausgeschlossen.

Aufnahme in die Ordo-Stände

  • Nicht automatische Mitgliedschaft: Die Mitgliedschaft in einem ordo wurde nicht automatisch durch wirtschaftliche und soziale Merkmale wie Vermögen, Abkunft, Alter, Amt oder Beruf erworben.

  • Formelle Aufnahme durch den Kaiser: Seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert vollzog der Kaiser die formelle Aufnahme in einen Stand, mit einer Ausnahme:

    • Senatorensöhne: Standeszugehörigkeit war erblich.

    • Nicht-Senatoren (homines novi): Wurden vom Kaiser durch Überreichung des Rangabzeichens (breiter Purpurstreifen an der Toga) aufgenommen und erhielten den Titel clarissimus (für Frauen clarissima).

    • Ritter: Mussten ihre Standeszugehörigkeit individuell erwerben, erhielten vom Kaiser das Ritterpferd (equus publicus), den Titel eques Romanus und trugen den schmalen Purpurstreifen (angustus clavus) und einen goldenen Ring.

    • Dekurionen: Wurden durch Bekleidung eines städtischen Amtes und offiziellen Eintrag in die Dekurionenliste aufgenommen.

Aufnahmevoraussetzungen und Vermögen

  • Mindestvermögen:

    • Senatoren: 1.000.000 Sesterzen

    • Ritter: 400.000 Sesterzen

    • Dekurionen: Variierte je nach Stadt von 100.000 Sesterzen (Oberitalien) bis 20.000 Sesterzen (Africa)

  • Tatsächliches Vermögen: Übertraf in allen Ständen meist den Mindestzensus. Das Vermögen bestand hauptsächlich aus Grundbesitz.

  • Ausschluss: Auch die Mitgliedschaft konnte förmlich beendet werden.

Demographische Verteilung

  • Größe der Stände:

    • Gesamtzahl der Ordo-Mitglieder: Höchstens 200.000, was etwa 1% der Gesamtbevölkerung entsprach.

    • Senatorenstand: Etwa 600 Mitglieder in der Kaiserzeit.

    • Dekurionenstand: 100.000–150.000 Mitglieder in ca. 1000 Provinzstädten.

  • Politische Führungsschicht:

    • Um 30 n. Chr.: Ca. 160 Personen

    • Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.: Etwa doppelt so viele

Soziale Realität der „Humiliores“

  • Bevölkerungsmehrheit: Die Mehrheit der „humiliores“ (Niedriggestellten) war in stark heterogene Unterschichten unterteilt:

    • Unterscheidungen: Freie (ingenui), Freigelassene (liberti) und Sklaven (servi).

  • Soziale Unterschiede:

    • Ein großer Unterschied bestand zwischen reichen Freigelassenen im Handel und Bankwesen und armen freien Bauern.

    • Sklaven arbeiteten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen, z.B. in Bergwerken oder auf großen landwirtschaftlichen Betrieben (Latifundien).

  • Fehlender Mittelstand: Im populus fehlte ein sozial anerkannter Mittelstand. Viele „mittelständische“ Funktionen wurden von reichen Freigelassenen erfüllt, besonders in Provinzstädten.

Rolle der Freigelassenen

  • Einflussreiche Freigelassene:

    • Spielten eine wichtige Rolle als Spender und Wohltäter (‚Euergeten’) bei der Finanzierung öffentlicher Bauten und Leistungen.

    • Hatten jedoch aufgrund des Makels des ehemaligen Sklaven kein entsprechendes soziales Ansehen.


Frühes Christentum und Spätantike

1. Ständemodell

Aufwertung der „Humiliores“ durch Jesus von Nazareth

  • Einfluss Jesu auf die Unterschicht:

    • Jünger Jesu: Einfache Leute wie Handwerker und Fischer.

    • Verkehr mit Niedrigsten: Jesus umging gesellschaftliche Grenzen und suchte Kontakt zu Verachteten der Gesellschaft, wie Dirnen und Zöllnern.

  • Verkündigung Jesu:

    • Seligpreisungen: In der Bergpredigt lobt Jesus die Armen im Geiste, Verfolgten, Trauernden und Machtlosen (Mt 5, 1-12).

    • Gute Taten: Er preist den guten Knecht, der seine Arbeit gut verrichtet (Mt 24, 45) und lobt Zöllner und Dirnen, die Johannes’ Predigt glaubten (Mt 21,31f.).

    • Reichtum und Seligkeit: Das Gleichnis vom Kamel, das leichter durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in den Himmel (Mk 10, 25).

    • Magnificat: Mariens Lobgesang kehrt die sozialen Verhältnisse um: Mächtige werden gestürzt, Niedrige erhoben, Reiche bleiben leer (Lk 1, 46-55).

  • Aufwertung der Arbeit:

    • Arbeit als Wert: Jesus preist die Arbeit als wichtig, ein Zeichen der Unterschicht (Mt 10, 10; 20, 1; Lk 10, 7).

Paradoxien und Wirkung der christlichen Botschaft

  • Revolutionäre Sozialethik:

    • Umwälzung der antiken Sozialnormen: Jesu Botschaft stellte traditionelle soziale Differenzierungen infrage.

    • Eschatologische Erwartung: Die Forderungen nach sozialer Gleichheit waren nicht „sozial-real“ (in der gegenwärtigen Welt) gemeint, sondern „eschatologisch-real“ (in der kommenden Welt).

  • Paulus’ Sichtweise:

    • Gleichheit durch Taufe: Alle Menschen sind durch die Taufe gleich (Röm 2, 11; Apg 10, 34).

    • Aufhebung der Stände: Im Galaterbrief wird radikal formuliert, dass es keine Unterschiede mehr gibt (Gal 3, 28).

    • Leib Christi: Die Gemeinschaft der Gläubigen ist der Leib Christi, in dem alle Glieder wichtig sind, auch die schwächeren (1 Kor 12, 12ff.).

  • Paradoxie und Realität:

    • Zukünftige Verwirklichung: Die soziale Gleichheit galt für die zukünftige Welt, nicht für die gegenwärtige (1 Kor 7,31; 7,24; 7,17; 7,20).

    • Beharren in traditionellem Stand: Die Christen wurden ermutigt, in ihrem Stand zu verbleiben, während die neue Sozialordnung auf den Jüngsten Tag wartete.

Entwicklung der christlichen Ständelehre

  • Ständetafeln:

    • Haus- und Ständetafeln: Paulus’ Briefe (Kol 3, 18ff.; Eph 5, 22) und spätere bischöfliche Briefe betonten die soziale Ordnung und das Verhältnis von Frauen, Männern, Kindern, Eltern, Herren und Sklaven.

    • Erweiterung der Stände: Neben den genannten Ständen wurden auch geistliche Ämter und andere soziale Rollen betrachtet.

  • Klerus und Laien:

    • Erste Unterscheidung: Klerus (geweihte Amtsträger) und Laien (Gemeindemitglieder).

    • Veränderung des Begriffs Ordo: Im Christentum bezeichnet „Ordo“ nun die religiös legitimierte Elite: Bischöfe, Priester, Diakone und ab dem 4. Jahrhundert auch Mönche.

  • Entwicklung zur religiösen Elite:

    • Neue Elite: Unter dem Einfluss des Christentums formierte sich eine religiös legitimierte Elite, die den traditionellen Laienwelt der griechisch-römischen Antike ablöste.

2. Soziale Realität

Politische Wende und Etablierung des Christentums

  • Konstantinische Wende:

    • Konstantin der Große:

      • Bekehrung: Vor der Schlacht an der Milvischen Brücke 312.

      • Taufe: Auf dem Totenbett 337.

    • Theodosius I.:

      • Etablierung des Christentums: 391 verbot er alle heidnischen Kulte.

  • Privilegien für den Klerus:

    • Immunitätsprivileg (privilegium immunitatis):

      • Befreiung von öffentlichen Diensten, Steuern und Kriegsdienst.

      • Paulus’ Begründung: „Wer für Gott kämpft, kann seinen Lebensunterhalt von anderen beanspruchen“ (1 Kor 9,7; 2 Kor 11,8).

    • Rechtsprivileg (privilegium fori):

      • Befreiung von der weltlichen Gerichtsbarkeit.

      • Eigenes Gerichtssystem für Zivil- und Strafsachen.

  • Standesnormen des Klerus:

    • Zölibat: Einführung einer eigenen Lebensnorm für den Klerus (idealerweise).

    • Realisierung: Klerus war nun durch die rechtlichen Privilegien so in der Realität etabliert, dass er zum „Vorbild aller privilegierten Stände im Abendland“ (O. Hintze) wird.

1. Ständemodelle

Dreigeteilte Gesellschaftsordnung

  • Augustinus’ Unterscheidung (um 390):

    • Drei Typen von Menschen:

      • Vorsteher (praepositi): Weltlicher Klerus, der die Kirche leitet.

      • Enthaltsame (contienti): Mönche.

      • Im Ehestand lebende (conjugati): Laien.

    • Biblische Archetypen:

      • Noah: Führer der Arche.

      • Daniel: Vertreter des weltabgewandten Lebens.

      • Hiob: Verkörperung des Lebens mit Familie.

Neuplatonische Ordo-Idee und soziale Ungleichheit

  • Augustinus’ Ordo-Idee:

    • Konzept: Die Welt als irdisches Abbild göttlicher Urbilder (nach Platon).

    • Ordnung der Welt: Menschen sollen den Platz und die Ordnung erkennen und Un-Ordnungen im Sinne Gottes richten.

  • Soziale Ungleichheit:

    • Begründung durch Erbsünde:

      • Augustinus, Gregor der Große, Isidor von Sevilla: Ungleichheit als Folge der Erbsünde.

      • Gregor der Große: „Nicht alle Menschen können ihren Lebensweg gleich beschreiten; einer muss den anderen führen“ (Moralia 21).

      • Isidor von Sevilla: Freiheit der Sklaven, Böses zu tun, muss durch die Herrschaft der Herren eingeschränkt werden.

  • Sklaverei im Mittelalter:

    • Kontinuität der Sklaverei: Die Praxis hielt sich bis ins Mittelalter und erlebte im 6. und 7. Jahrhundert eine besondere Hochzeit.


Author

Adele G.

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