Buffl

Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften

EJ
by Emely J.

Diagnsotische Kompetenz von Lehrkräften und Lernerfolg




Empirische Befunde

  • Studie von Lehmann et al. (2002):

    • Kein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit von Mathematiklehrkräften, den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben einzuschätzen, und den Mathematikleistungen der Schüler am Ende des Schuljahres

    • Nur in einzelnen Klassen zeigten sich geringe positive Zusammenhänge.

  • Studie von Anders et al. (2010)

    • Geringe, aber statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen der Fähigkeit von Mathematiklehrkräften der Sekundarstufe, den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und die Leistungsrangfolge der Schüler zu beurteilen, und der Unterrichtsqualität

    • Genauere Einschätzung des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben führte zu höherem kognitiven Anregungsgehalt der Aufgaben (r = 0,18) und besseren Mathematikleistungen der Schüler (r = 0,37)

  • Studie von Schrader (1989):

    • Hauptschullehrkräfte sollten die Anzahl der von Schülern lösbaren Aufgaben und die Schwierigkeit der Aufgaben für die Klasse einschätzen

    • Kein allgemeiner positiver Effekt der diagnostischen Kompetenz auf den Lernerfolg der Schüler

    • Der Lernerfolg war jedoch höher, wenn die Lehrkraft neben hoher diagnostischer Kompetenz auch viele Strukturierungshilfen im Unterricht bot

  • Längsschnittstudie von Behrmann und Souvignier (2013):

    • Die Effektivität der Rückmeldungen der Lehrkraft war von deren diagnostischer Kompetenz abhängig

    • Häufige Leistungsrückmeldungen führten nur dann zu einem verbesserten Leseverständnis, wenn die Lehrkraft eine hohe Urteilsgenauigkeit besaß


Erweiterte Konzepte der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräften




Vergleich von Lehrerbeurteilungen und Schulleistungstests

  • Gute Einschätzung der Schülerposition:

    • Lehrkräfte können im Allgemeinen die relative Position ihrer Schüler im Leistungsspektrum der Klasse gut einschätzen

    • Überschätzung des Leistungsniveaus:

      • Lehrer neigen dazu, das tatsächliche Leistungsniveau der Schüler zu überschätzen.

  • Unterschiedliche pädagogische Bewertungen:

    • Einige Autoren (z. B. Helmke, Weinert & Schrader) argumentieren, dass es nicht angemessen ist, die Qualität der Lehrerurteile ausschließlich an der Übereinstimmung mit objektiven Leistungstests zu messen

    • Gründe gegen hohe Präzisionserwartungen:

      • Angesichts der komplexen Anforderungen im Unterricht sei es unrealistisch, von Lehrerurteilen dieselbe Präzision wie von psychometrischen Tests zu erwarten

      • Extreme Genauigkeit in der Diagnose ist im Klassenzimmer oft nicht notwendig oder förderlich.

  • Optimistische Voreingenommenheit:

    • Vorteile einer Überschätzung:

      • Schrader und Helmke sehen die Tendenz zur Überschätzung des Leistungsniveaus als Ausdruck einer optimistischen Erwartungshaltung

      • Diese Haltung kann dazu führen, dass Lehrkräfte höhere Erwartungen an ihre Schüler stellen und dadurch eine leistungsförderliche Atmosphäre schaffen

  • Pädagogisch günstige Voreingenommenheit:

    • Weinert und Schrader plädieren für eine moderate Unterschätzung der Leistungsunterschiede und eine moderate Überschätzung des Leistungspotenzials

    • Dies könnte Lehrkräfte motivieren, sich weiterhin um Lernfortschritte zu bemühen, auch wenn objektive Diagnosen dazu führen könnten, dass sie aufgeben.


Studie zur Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz (Birgit Spinath)




Methodik —> Instrumente

  • Erfassung der Intelligenz:

    • In Klassenstufen 1 bis 3 wurde der CFT 1 (Weiß & Osterland, 1997) verwendet, in Klasse 4 der CFT 20 (Weiß, 1998)

    • Der CFT 20 wurde in Kurzform genutzt (Korrelation der Testhälften r = .80)

    • Gesamttestwert der Intelligenz wurde nach Altersnormen des CFT-Handbuchs bestimmt.

  • Selbstberichte der Schüler:

    • Erfassung der schulischen Fähigkeitsselbstwahrnehmungen (sFSW), Lernmotivation (sLM), und Leistungsängstlichkeit (sLÄ) durch Fragebogen mit fünfstufiger Antwortskala

    • Items sowohl durch grafische Symbole als auch verbale Beschreibungen gekennzeichnet

    • Schulische Fähigkeitsselbstwahrnehmungen (sFSW): 4 Items, z.B. "Wie schwer findest du das, was ihr im Unterricht macht meistens?

    • “Schulische Lernmotivation (sLM): 4 Items, z.B. "Wie sehr magst du die Dinge, die ihr im Unterricht macht meistens?"

    • Schulische Leistungsängstlichkeit (sLÄ): 3 Items, z.B. "Wenn ich drangenommen werde, habe ich Angst, etwas Falsches zu sagen."

    • Zeitliche Stabilität der Merkmale: Mittel bis hoch (Stabilität zwischen .56 und .94 bei sechsmonatigem Intervall)

  • Einschätzung der Schülermerkmale durch Lehrer:

    • Einschätzung per Fragebogen mittels eines Items pro Schülermerkmal

    • Intelligenzeinschätzung: "Wie schätzen Sie die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit (im Sinne von Intelligenz) der Schülerin/des Schülers ein?"

      • Fünfstufige Ratingskala mit typischen prozentualen Häufigkeiten für

        Intelligenzverteilungen

      • Erläuterung: Kategorien beschreiben prozentuale Häufigkeiten in der

        Population aller Schüler

    • Einschätzung weiterer Merkmale (sFSW, sLM, sLÄ):

    • Analoge Vorgehensweise, jedoch ohne prozentuale Häufigkeiten auf der Antwortskala

    • Lehrer waren mit den Skalen aus dem Schülerfragebogen vertraut

    • Test-Retest-Reliabilität nach sechs Monaten als Reliabilitätsmaß verwendet.


Studie zur Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz (Birgit Spinath)




Ergebnisse —> Komponenten der Urteilsgenauigkeit

  • Drei Komponenten der Urteilsgenauigkeit:

    • Niveaukomponente (Nk): Maß für die Tendenz zur Über- oder Unterschätzung der Schülermerkmale durch Lehrer

      • Berechnung: Mittlere Differenz zwischen Lehrereinschätzungen und

        gemessenen Schülerwerten.

      • Nk-Wert von 0 bedeutet akkurate Einschätzung; Werte > 0 bedeuten

        Überschätzung, Werte < 0 Unterschätzung.

      o Differenzierungskomponente (Dk): Maß für die Tendenz zur Über- oder Unterschätzung der Streuung der Schülermerkmale

      • Berechnung: Quotient der Streuungen der Lehrereinschätzungen und

        der gemessenen Schülerwerte.

      • Dk-Wert von 1 bedeutet akkurate Einschätzung; Werte > 1 bedeuten

        Überschätzung, Werte < 1 Unterschätzung.

      o Rangkomponente (Rk): Maß für die Genauigkeit der relativen Einschätzung der Schülermerkmale

      • Berechnung: Rangkorrelation zwischen Lehrerurteilen und Schülerwerten

  • Verteilungskennwerte: Tabelle 2 zeigt Mittelwerte, Standardabweichungen und Prozentränge der Akkuratheitskomponenten für vier Schülermerkmale (Intelligenz, sFSW, sLM, sLÄ)

    • Niveaukomponente (Nk):

      • Lehrer tendieren dazu, sFSW und sLM zu unterschätzen, während sLÄ

        überschätzt wird

      • Der IQ wurde im Durchschnitt genau eingeschätzt

      o Differenzierungskomponente (Dk):

      • Lehrer neigen dazu, die Streuung von IQ und sLÄ leicht zu unterschätzen

      • Die Streuung von sFSW und sLM wird überschätzt

      o Rangkomponente (Rk):

      • Akkuratheitswerte für IQ und sFSW sind moderat, für sLM und sLÄ jedoch gering

    • Spannweite der Lehrerkennwerte

      • Große individuelle Unterschiede bei den Akkuratheitswerten der

        Lehrer, die nicht auf Ausreißer zurückzuführen sind


Studie zur Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz (Birgit Spinath)




Ergebnisse —> Zusammenhänge zwischen Fähigkeit und akkuraten Einschätzung

  • Überprüfung einer gemeinsamen Fähigkeit zur akkuraten Einschätzung:

    • Untersucht wurde, ob gleiche Akkuratheitskomponenten über verschiedene Schülermerkmale hinweg positiv korrelieren

    • Ergebnisse der Interkorrelationen (Tabelle 3):

      • Differenzierungskomponente (Dk): Moderate positive Korrelationen (r = .42) zwischen den Dk der vier Schülermerkmale.

      • Niveaukomponente (Nk): Nur in einem Fall signifikante Korrelation (r = .12); die meisten Korrelationen sind schwach und variieren um

        Null

      • Rangkomponente (Rk): Keine signifikanten Korrelationen (mittleres r= .00)

  • Transformation der Niveau- und Differenzierungskomponenten:

    • Um Interkorrelationen zwischen verschiedenen Akkuratheitskomponenten innerhalb gleicher Merkmale zu untersuchen, wurden Nk und Dk transformiert, sodass höhere Werte höhere Akkuratheit repräsentieren

      o Transformation:

      • Nk: Beträge der Abweichungen zwischen Lehrerurteilen und Schülerwerten wurden summiert und mit -1 multipliziert

      • Dk: Von den Streuungsquotienten wurde 1 subtrahiert, der Betrag gebildet und mit -1 multipliziert

  • Ergebnisse der transformierten Kennwerte (Tabelle 4):

    • Gemittelte Korrelationen zwischen den drei Akkuratheitskomponenten liegen zwischen .04 und .12

    • Nur zwei Korrelationen sind signifikant:

      • Moderate positive Zusammenhänge zwischen Nk und Rk für IQ und sLM


Studie zur Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz (Birgit Spinath)




Diskusion —> Bewertung der Akkuratheit von Lehrerurteilen

  • Hauptergebnis der Studie: Lehrerurteile über die untersuchten Schülermerkmale (Intelligenz, schulische Fähigkeitsselbstwahrnehmungen, Ängstlichkeit und Lernmotivation) weisen insgesamt nur geringe Akkuratheit auf

  • Vergleich mit früheren Studien: Die gefundenen Akkuratheitswerte entsprechen weitgehend den Ergebnissen früherer Untersuchungen

  • Fehlende Bewertungsgrundlage: Obwohl es keine verbindlichen Richtlinien zur Bewertung von Akkuratheitsmaßen gibt, wird hier argumentiert, dass die Urteilsgenauigkeit der Lehrer als gering und verbesserungswürdig einzustufen ist

  • Vergleich mit Urteilen unter minimaler Informiertheit: Studien zeigen, dass valide Einschätzungen von Intelligenz und anderen Personenmerkmalen bereits auf Grundlage von Fotografien oder kurzen Videosequenzen möglich sind. Dies verdeutlicht die geringe Urteilsgenauigkeit von Lehrern, die über umfangreichere Informationen zu ihren Schülern verfügen

  • Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität: Die geringe Urteilsgenauigkeit steht im Widerspruch zu den Erwartungen, die an die Professionalität von Lehrern gestellt werden

  • Methodische Überlegungen:

    • Die verwendeten Messungen der Schülermerkmale könnten als unangemessene Kriterien für die Bestimmung der Akkuratheit von Lehrerurteilen infrage gestellt werden

    • Auch unter Berücksichtigung der Messfehler zeigen die Akkuratheitswerte eine geringe Genauigkeit

    • Merkmale mit geringer Stabilität könnten schwer einzuschätzen sein, jedoch sind die untersuchten Merkmale als stabil einzustufen.


Studie zur Akkuratheit der Einschätzung von Schülermerkmalen durch Lehrer und das Konstrukt der diagnostischen Kompetenz (Birgit Spinath)




Diskusion —> Mangel an Belegen für das Konstrukt diagnostischer Kompetenzen

  • Überprüfung der diagnostischen Kompetenz:

    • Untersucht wurde, ob es positive Korrelationen zwischen verschiedenen Akkuratheitsindikatoren gibt, die auf eine allgemeine diagnostische Kompetenz hinweisen

    • Ergebnisse:

      • Es fanden sich keine bedeutsamen Korrelationen zwischen den Akkuratheitskomponenten innerhalb eines Merkmals oder zwischen gleichen Komponenten über verschiedene Merkmale hinweg

      • Ausnahme: Moderat positive Korrelationen zwischen den Differenzierungskomponenten über verschiedene Merkmale hinweg

      • Mögliche systematische Zusammenhänge: Zwei signifikante Korrelationen zwischen der Niveau- und der Rangkomponente für Intelligenz und Lernmotivation deuten auf einen möglichen systematischen Zusammenhang hin

  • Geringe praktische Bedeutsamkeit: Gemittelt über alle vier untersuchten Schülermerkmale ist die praktische Bedeutung dieser Zusammenhänge gering.

  • Fazit: Das gefundene Muster von Korrelationen rechtfertigt nicht die Annahme einer zugrunde liegenden Fähigkeit zur akkuraten Beurteilung von Personen.

  • Kritik am Begriff der diagnostischen Kompetenz:

    • Der Begriff sollte vermieden werden, wenn er die Fähigkeit zu treffenden Beurteilungen von Personenmerkmalen impliziert

    • Genauigkeit von Lehrerurteilen muss nach Schülermerkmal und Akkuratheitskriterium differenziert betrachtet werden

    • Die nach PISA häufig geäußerte Behauptung, Lehrer besäßen geringe diagnostische Kompetenzen, ist nicht haltbar


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Emely J.

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