Streit: Darf die Behörde (bzw. der jeweilige Beamte) eine Rechtsvorschrift, die sie für rechtswidrig und nichtig hält einfach nicht anwenden?
Nichtanwendungspflicht des Beamten (e.A.)
= Beamter darf Rechtsvorschrift unangewendet lassen
(-): Verstoß gegen Art. 1 III, 20 III GG
-> Wendet Beamter Rechtsvorschrift nicht an, weil er sie für rechtswidrig hält, ist sie aber in Wahrheit doch rechtmäßig, verstößt er gegen seine Bindung an das Gesetz und die hieraus folgende Pflicht zum Vollzug rechtmäßiger Vorschriften aus Art. 20 III GG und wenn die Nichtanwendung des verfassungsmäßigen Gesetzes ein Grundrechtseingriff ist darüber hinaus gegen Art. 1 III GG und das entsprechende Grundrecht
Anwendungspflicht des Beamten (a.A.)
= Beamter muss die Rechtsvorschrift anwenden
->
Aussetzungs- und Vorlagepflicht des Beamten (a.A.)
= Beamter muss das Verfahren aussetzen und die Frage der Rechtmäßigkeit der Rechtsnorm seinem Vorgesetzten vorlegen, der dann - wenn er sie ebenfalls für rechtswidrig hält:
> Die Verfahrensbeteiligten auf die Rechtswidrigkeit der Vorschrift und etwaiger Rechtsbehelfe dagegen hinweisen kann
> Beim Normgeber und ggf. bei dessen Aufsichtsbehörde die Aufhebung der Rechtsvorschrift anregen kann
> Für seine Behörde das OVG nach § 47 II 1 VwGO anrufen kann, wenn ein entsprechender Antrag zulässig ist oder seinem Vorgesetzten vorlegen bis die Regierung mit der Angelegenheit befasst ist und dann ggf. das Landesverfassungsgericht oder das BVerfG (nach Art. 93 I Nr. 2 GG) anrufen
(+): Vermeidet Gefahr, gegen Art. 1 III, 20 III GG zu verstoßen
-> Setzt der Beamte das Verfahren aus wird die Rechtsvorschrift nur vorläufig nicht angewendet, eine endgültige Nichtanwendung und damit einen Verstoß gegen Art. 20 III GG (falls die Rechtsvorschrift doch rechtmäßig sein sollte) bedeutet dies hingegen nicht
(+): Gewährleistet dass eine allgemeinverbindliche Entscheidung einer hierzu befugten Stellen herbeigeführt wird
-> Normgebende Stelle kann Rechtsvorschrift aufheben
-> Zuständiges Gericht entscheidet rechtskräftig über Gültigkeit
(Für Landesrecht vgl. § 63 II BBG)
Problem: Darf die Behörde (bzw. der jeweilige Beamte) eine Rechtsvorschrift, die sie für rechtswidrig und nichtig hält, einfach nicht anwenden, wenn eine sofortige Entscheidung erforderlich ist und das Verfahren damit nicht ausgesetzt werden kann?
=> Beamter trägt in jedem Fall das rechtliche Risiko der Anwendung oder Nichtanwendung:
Er hält die Rechtsvorschrift für rechtmäßig und wendet sie an und sie ist aber rechtswidrig
Er hält die Rechtsvorschrift für rechtswidrig und wendet sie nicht an und sie ist aber rechtmäßg
Er hält die Rechtsvorschrift für rechtswidrig und wendet sie nicht an und sie ist tatsächlich rechtswidrig
-> Er handelt rechtswidrig und amtspflichtwidrig
-> Er handelt rechtmäßig
Ggf. handelt er aber nicht schuldhaft
Gilt der Anwendungsvorrang des EU-Rechts auch hinsichtlich Verwaltungsakten, die EU-Recht widersprechen?
=> Verwaltungsakte, die gegen EU-Recht verstoßen sind nur rechtswidrig, bleiben aber anwendbar und durchsetzbar, wenn sie nicht erfolgreich vor einem deutschen Gericht oder einer deutschen Behörde angegriffen werden
-> Sie sind idR auch nicht nach § 44 VwVfG nichtig!
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