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Zivilrecht

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by Ann-kathrin L.

Hat der Irrende bei Schweigen mit Erklärungswirkung ein Anfechtungsrecht?

Rechtsfolgenirrtum:

Irrt der Schweigende über die Rechtsfolgen des Schweigens, scheidet eine Anfechtung nach § 119 ff BGB aus. Dann handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum/ Schlüssigkeitsirrtum, der von den Anfechtungsregeln nicht erfasst wird.

Irrtümer i.S.d. §§ 119 f. BGB:

Hat sich der Schweigende dagegen z.B. über bestimmte Vertragpunkte geirrt und will deswegen an den Vertrag nicht gebunden sein, liegt ein Fall des § 119 I BGB vor und die Frage um die Anwendbarkeit der Anfechtungsregel ist entscheidend. Nach wohl h.M. ist zu differenzieren:

  • Schweigen als Zustimmung: §§ 119 ff. BGB analog (+); Arg.: Schweigender soll nicht stärker gebunden sein als der Redende.

  • Schweigen als Ablehnung: §§ 119 ff. BGB analog (-); Arg.: Rechtssicherheit. Gegner soll Klarheit über die Rechtslage haben.

Anfechtung des Schweigens auf ein Kaufmännischesbestätigungsschreiben:

Umstritten ist, ob ein Schweigen, welches auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben folgt, anfechtbar ist. Eine Anfechtung wegen Unkenntnis über die Rechtsfolgen des Schweigens scheidet aus (sog. Schlüssigkeitsirrtum). Umstritten ist allein, ob eine Anfechtung nach § 119 I BGB jedenfalls dann möglich ist, wenn der Inhalt des Bestätigungsschreibens missverstanden wurde.

  • teilweise: uneingeschränkte Anwendung der Anfechtungsregeln

    • Empfänger ist nur in seinem Vertrauen auf die Zustimmung, nicht aber hinsichtlich des Nichtvorliegens von Willensmängeln geschützt

    • unbillig, bie Schweigen auf Kaufmännischesbestätigungsschreiben mehr an Schutz zu gewährleisten, als bei ausdrücklicher Zustimmung

  • teilweise: auch bei Irrtum über den Inhalt des Kaufmännischenbestätigungsschreibens generell keine Anfechtung

    • Möglichkeit, rechtzeitig zu widersprechen, genügt dem Schutz

    • Sicherheits-/ Beschleunigungszweck des Kaufmännischenbestätigungsschreibens ist bei Anfechtungsmöglichkeit vereitelt

  • teilweise: Anfechtungsrecht, wenn Irrtum bei gebotener Sorgfalt nicht verhinderbar

    • nach Zweck des Kaufmännischenbestätigungsschreibens kann Absender darauf vertrauen, dass der Empfänger sorgfältig liest - ein weitergehender Schutz ist nicht geboten

    • interessengerechte Risikoverteilung

Gehört das Erklärungsbewusstsein für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung zwingend zum Inhalt des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung?

(Erklärungsbewusstsein ist das Bewusstsein des Handelnden, irgendeine rechtsergebliche Erklärungshandlung vorzunehmen.)

h.M.:

potenzielles Erklärungsbewusstsein genügt

Dies liegt vor, wenn der Erklärende bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass der schutzwürdige Empfänger sein Verhalten nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als rechtlich bindend verstehen durfte, und wenn der Empfänger es auch tatsächlich so verstanden hat.

  • Verkehrs- und Vertrauensschutzerfordernis ergibt sich aus §§ 119, 157 BGB. Das Vertrauen des Erklärungsempfänger an der Rechtsverbindlichkeit der WE überwiegt, so dass im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs zunächst vom Vorliegen einer rechtsverbindlichen WE auszugehen ist.

  • Interessengerechtigkeit: Wahlrecht, die Willenserklärung gelten zu lassen oder durch Anfechtung gem. § 119 I Fall 2 i.V.m. § 142 I BGB wegen der Erklärungsfahrlässigkeit zu vernichten.

  • In § 118 BGB geregelte Situation ist nicht vergleichbar, weil dort bewusst Nichtgeltung der Erklärung gewollt, die Nichtigkeit entspricht also - anders als bei dem potenziellen Erklärungsbewusstsein - seinem tatsächlichen Willen.

  • Fahrlässiges Verhalten des Handelnden führt auch bei Rechtsscheinsvollmachten zur Bindung.

früher: Willenstheorie

aktuelles Erklräungsbewusstsein erforderlich

Wer sich nicht bewusst ist, dass er etwas Rechtserhebliches erklärt, nimmt keine Willenserklärung vor. Der Erklärende muss zumindest das Bewusstsein gehabt haben, eine Willenserklärung abzugeben; dessen Fehlen führt danach zur Nichtigkeit der Erklärung

  • Andernfalls würde die Privatautonomie verletzt, denn wenn jemand nicht rechtsgeschäftlich tätig werden will, darf sein Verhalten nicht als Willenserklärung gewertet werden.

  • Der Schutz des Erklärenden überwiege das Interesse des Rechtsverkehrs.

  • Dogmatik: Fahrlässiges Verhalten des Erklärenden könne nicht zu einer Bidnung, sondern allenfalls zu Schadensersatzansprüchen des anderen Teils aus §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB (c.i.c.) oder § 122 BGB analog führen.

  • Erst-Recht-Schluss aus § 118 BGB: Wenn derjenige, der bewusst den äußeren Schein einer Willenserklärung setzt, nicht gebunden ist, dann auch nicht der unbewusst Handelnde.

Kann eine ohne den Willen des Erklärenden in den Rechtsverkehr gelangte Willenserklärung wirksam werden? Also kann das In-den-Verkehr-bringen der Erklärung dem Verfasser der Erklärung zumindest zugerechnet werden?

h.L.: Willenserklärung ist wirksam, aber anfechtbar,

wenn die Erklärung zwar nicht willentlich, aber in einer dem Erklärenden durch zumindest fahrlässiges Verhalten zurechenbaren Weise in den Verkehr gelangt ist

  • Schutz des Rechtsverkehrs, der auf das Vorliegen einer WE vertraut; der Erklärende ist über die Regeln der Anfechtung ausreichend geschützt

  • Schutz der Privatautonomie wird über Anfechtungsrecht erreicht

  • Mangel stammt aus Sphäre des Erklärenden, er hat für den gesetzten Rechtsschein einzustehen

  • Situation ist vergleichbar mit der, beim fehlenden Erklärungsbewusstsein (hätte der Verfasser die Absendung bei entsprechender Sorgfalt erkennen/ vermeiden können)

-> Diese Ansicht ist vorzugswürdig, da vorrangigen Schutz der Rechtsverkehr verdient, der auf die Wirksamkeit einer WE vertraut. Die Situation ist zudem mit der des fehlenden Erklärungsbewusstseins vergleichbar, bei der ebenfalls eine Zurechnung fahrlässigen Verhaltens erfolgt.

Rechtsprechung: keine wirksame Willenserklärung

Nach der Rechtsprechung löst eine nicht willentlich in den Verkehr gekommene Willenserklärung keine Rechtswirkungen aus. Mangels Abgabe liegt keine Willenserklärung vor. Dies könne aus einem Vergleich aus § 172 BGB entnommen werden, der einen - gesetzlich geregelten - Rechtsschein nur begründet, wenn eine Vollmachtsurkunde von dem Geschäftsherrn dem Vertreter ausgehändigt worden ist. Ist die Vollmachtsurkunde ohne Willen des Geschäftsherrn in die Hände des Vertreters gelangt, bindet diese den Geschäftsherrn nicht. Nur bei willentlicher Entäußerung liegt eine privatautonome Teilnahme am Rechtsverkehr vor. Der Empfänger soll aber bei Verschulden des Erklärenden bzgl. des Inverkehrsbringes nach § 280 I i.V.m. §§ 241 II; 311 II BGB (c.i.c.), im Übrigen ggf. analog § 122 BGB entschädigt werden.

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Ann-kathrin L.

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