Besonderheiten im Arbeitsrechtlichen Urteil
Welche Frist ist bei einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil zu beachten?
Eine Woche (§ 59 ArbGG)
Zulässigkeit
Wonach richtet sich die sachliche Zuständigkeit?
Sachlich zuständig ist in erster Instanz das Arbeitsgericht, § 8 Abs. 1 ArbGG. Eine § 1 ZPO i.V.m. § 23 I Nr. 1 GVG auf den Streitwert abstellende Vorschrift existiert nicht
Zulässigkeit: Statthafte Klageart
Wieso sollte neben einem punktuellen Kündigungsschutzantrag noch ein sog. “Schleppnetzantrag” gestellt werden? Welchen kostenrechtlichen Vorteil bietet dies (Anwaltsklausur)?
Punktueller Kündigungsschutzantrag führt dazu, dass Arbeitsverhältnis auch aufgrund anderen Grundes beendet sein kann. Dies kann mit einem allgemeinen Feststellungsantrag § 256 ZPO verhindert werden, aber der allein dazu führen kann, dass die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung gem. § 7 KSchG geheilt wird.
Deswegen Kombination (Antragsformulierung):
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18.07.2022 nicht aufgelöst ist.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst ist, sondern fortbesteht.[1] [Schleppnetzantrag]
Kosten: Schleppnetzantrag hat einen Streitwert von 0 €, weil lediglich vorläufiger Charakter, daher kein Kostennachteil.
Liegt ein Schleppnetzantrag in der folgenden Formulierung vor? Ist eine weitere Kündigung, die nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, damit materiell wirksam (§ 4 S. 1, § 7 KSchG)?
„Es wird festgestellt, dass das ArbV der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom […] nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.“
Versteckter verkürzter Schleppnetzantrag? Oder rein redaktionelle Bekräftigung (überflüssiger Hinweis auf Rechtsfolge, dass das ArbV unverändert fortbesteht).
Auslegung nach Sinn und Zweck: Braucht der überhaupt einen Schleppnetzantrag → Gibt es überhaupt weitere Beendigungstatbestände? Falls es mehrere Kündigungen gibt, sind diese vielleicht bereits vom erweiterten punktuellen Streitgegenstand erfasst? Dann brauche ich auch keinen Schleppnetzantrag. Liegt aber eine weitere vor (Var. Oben), dann ist die Formulierung als Schleppnetzantrag auszulegen. Allerdings geht man in diesen Fällen nur in entsprechender Anwendung des § 6 S. 1 KSchG davon aus, dass weitere Angriffe der Kündigungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen dürfen
Formulierung: Der Kläger hat sich rechtzeitig gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt, indem er sich mit Schriftsatz vom 8. Juli 2019 gegen die Kündigungen vom 8. Mai 2019 gewendet hat. Denn die grundsätzlich bestehende Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 1 S. 2, § 4 S. 1 KSchG ist in analoger Anwendung des § 6 S. 1 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu verlängern. Insofern ist es nicht von Bedeutung, dass bei verständiger Auslegung (§§ 133, 157 BGB) die Formulierung im Antrag vom 3. April 2019 „sondern fortbesteht“ für sich allein nicht ausreicht, um alle weiteren Beendigungstatbeständen bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Wege eines weiteren Feststellungsantrags (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 ZPO) einzubeziehen. Denn das Gericht weist insoweit entsprechend § 139 ZPO darauf hin, dass es dieses Anhängsel zumindest im Sinne eines sog. „kleinen Schleppnetzantrages“ deutet, wonach der Kläger bis zum Ende der mündlichen Verhandlung Zeit hat, mittels einer Erweiterung seiner Antragsstellung die Präklusion zu verhindern.
Zulässigkeit: Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO)
Woraus folgt bei einer ordentlichen und außerordentlichen Kündigung das nach § 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse?
Präklusionsgefahr nach (§ 13 Abs. 1 S. 2), § 4 S. 1, § 7 KSchG
Außerordentliche Kündigung: Diskriminierende Wirkung und beeinträchtigt den Arbeitnehmer in seiner Ehre, seinem gesellschaftlichen Ansehen und in seinem beruflichen Fortkommen
Zulässigkeit: Begründetheit
Kündigungserklärung: Auf welche Vorschrift ist hier besonders zu achten, wenn die Kündigung durch einen Bevollmächtigten erfolgt?
§ 174 S. 1 BGB (unverzüglich ist etwa eine Woche)
§ 174 S. 2 BGB: Die Kenntnis kann hier auch daraus folgen, dass mit bestimmten Funktionen oder Stellen (Prokurist, Personalleiter) üblicherweise die Bevollmächtigung zur Kündigung verbunden ist. Insofern ist es dann ausreichend für den Ausschluss der Kündigung, dass der AN in Kenntnis gesetzt wurde, wer Personalleiter ist (keine Nachforschungspflicht für AN); bei Prokuristen wird Kenntnis aber insoweit über § 15 Abs. 3 HGB fingiert.
Auch bei Anwaltsklausur und Vertretung eines gekündigten Arbeitnehmers immer an § 174 BGB denken und unverzüglich (eine Woche) zurückweisen. Der Zurückweisung ist dann aber auch wieder eine Anwaltsvollmacht beizufügen (sonst gleicher Fehler – lol). Neben der Zurückweisung trotzdem natürlich KSK erheben, um Fiktionswirkung (§ 7 KSchG) zu vermeiden.
Materielle Präklusion (§ 7 KSchG)
An welche Vorschrift ist im Zusammenhang mit der Fristwahrung zu denken? Reicht auch eine Laienhafte Klage aus?
Muss die Kleinbetriebsklausel (§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG) zur Anwendbarkeit geprüft werden?
Grundsätzlich ist Klageerhebung (Zustellung Klageschrift [§ 253 Abs. 1 ZPO]) erforderlich, aber auch hier immer an Rückwirkung der Zustellung (§ 167 ZPO) denken (über § 46 Abs. 2 ArbGG), es ist daher ausreichend, wenn Klage innerhalb von drei Wochen beim Arbeitsgericht eingegangen ist (zu Protokoll der Geschäftsstelle, Schreiben, Telefax [beA nur für AG]).
„Laienhafte Klage“: Ausreichend. Entscheidend ist, dass derjenige, der den Brief in Kopie bekommt (Arbeitgeber), erkennen kann, dass AN sich gegen Kündigung zur Wehr sitzt.
Kleinbetriebsklausel (§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG) hier nicht prüfen, weil ausdrücklich §§ 4–7, 13 I 1, 2 KSchG ausgenommen!!
Wann beginnt die Präklusionsfrist? Welche Ausnahme gibt es?
Zugang Kündigung (§ 187 Abs. 1 BGB): Wenn die Kündigung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass nach den gewöhnlichen Verhältnissen mit Kenntnis zu rechnen ist (tatsächliche Kenntnis unerheblich)
Ausnahme: Kündigungen, die der vorherigen Zustimmung einer Behörde bedürfen (§ 17 MuSchG, § 18 BEEG, §§ 168 ff. SGB IX) und sofern ArbG Kenntnis vom Sonderkündigungsschutz hat (Voraussetzung der Rspr.) → Bekanntgabe behördlicher Entscheidung (§ 4 S. 4 KSchG).
Nach welcher Vorschrift kann eine verspätete Klage zugelassen werden? Besteht ein Antragserfordernis und eine Frist? Nenne Beispiele für unverschuldete Fristversäumung.
Maßstab: Erhöhter Maßstab, wenn AN mit Kündigung rechnen musste. Bei Urlaubsanwesenheit i. d. R. unverschuldet bei Abwesenheit von maximal sechs Wochen. AN muss alle Umstände vortragen und glaubhaft machen.
Antragserfordernis: Keine Prüfung von Amts wegen in Urteilsklausur. In Anwaltsklausur Antrag bei entsprechendem Anlass stellen. Wiedereinsetzungsantrag wäre entsprechend auszulegen. Eine verspätete Klageerhebung allein reicht aber nicht aus (würde Antrag obsolet machen).
Frist für Antrag in § 5 Abs. 3 KSchG: Antragsfrist zwei Wochen, Höchstfrist sechs Monate. Voraussetzung ist aber, dass Umstand, der zur Verhindert geführt hat, innerhalb der Frist begonnen hat!
Unverschuldet: Weder fahrlässige noch vorsätzliche Fristversäumung, z. B. Krankenhausaufenthalt, bis zu 6-wöchige (Urlaubs-)Abwesenheit. Sofern Post ungewöhnlich lange braucht (z. B. fünf Tage), liegt auch ein unverschuldetes Handeln vor (AN darf auf normale Postlaufzeit „Einwurftag + 1“ vertrauen. Frist auszureizen ist nicht vorwerfbar. Untersuchungshaft (Hessen November 2021): Umstände des Einzelfalles; zumutbar wohl insbesondere Rechtsanwalt bitten, Klage einzureichen.
Zurechnung Verschulden eines Prozessbevollmächtigten (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 85 Abs. 2 ZPO), z. B. besteht eine anwaltliche Pflicht zur Ausgangskontrolle (ähnlich wohl auch bei beA).
Anhörung Betriebsrat (§ 102 BetrVG)
Was ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung? In welcher Frist muss Betriebsrat Stellung nehmen? Was ist die Folge, wenn eine Kündigung zu früh oder ohne Anhöhrungsverfahren erklärt wird?
Wirksamkeitsvoraussetzung: Nur Anhörung. Die Zustimmung des Betriebsrats (rechtsgeschäftsähnliche Handlung) hat keinen Einfluss auf Wirksamkeit der Kündigung (kein Mitentscheidungsrecht)! Arbeitgeber muss dem Betriebsrat diejenigen gründe mitteilen, auf die er die Kündigung stützen will (Grundsatz der subjektiven Determinierung). Der Betriebsrat muss sich ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit machen können, um zu überlegen, ob er Bedenken erheben oder Widerspruch einlegen will.
Ordentliche Kündigung: Betriebsrat hat Bedenken unter Angabe der Gründe dem AG spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt Zustimmung als erteilt.
Außerordentlicher Kündigung: Betriebsrat hat unverzüglich Bedenken (spätestens innerhalb von drei Tagen) zu äußern (§ 102 Abs. 2 BetrVG). Fristberechnung §§ 187 ff. BGB.
Eine Kündigung während des Anhörungsverfahrens ist unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG).
Dürfen Kündigungsgründe, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurde, im Prozess verwendet werden? Wie ist zu unterscheiden?
Kündigungsgründe, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurden, können auch nicht im Prozess verwendet werden. Bei Nachschieben von Kündigungsgründen – solche, die AG erst später bekannt werden – muss Betriebsrat erneut angehört werden. Einer erneuten Kündigungserklärung bedarf es aber nicht.
Gründe, die erst nach Kündigungserklärung eintreten (≠ bekannt werden): Dazu muss – nach erneuter Anhörung Betriebsrat – erneut gekündigt werden!
In welchen Fällen ist eine Anhörung entbehrlich?
Entbehrlichkeit der Anhörung bei leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG → Auffangtatbestand in Nr. 3). Restriktive Auslegung (nicht etwa Teamleiter, Abteilungsleiter), leitende Angestellte setzt voraus, dass eigenverantwortlich unternehmerische Entscheidungen, im wesentlichen weisungsfrei und Beeinflussung der Unternehmensführung.
Sonderkündigungsschutz
Schwangere/Mütter (§ 17 MuSchG)
Schwerbehinderte (§ 2 Abs. 2 SGB IX) und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen (§ 2 Abs. 3 SGB IX) (§§ 168 ff. SGB IX): Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX). Gilt auch für außerordentliche Kündigung (§ 174 SGB IX). Ausnahmen in § 173 SGB IX geregelt. Sonderkündigungsschutz kann gem. § 242 BGB verwirken, wenn AN dem AG nicht innerhalb einer angemessenen Frist (drei Wochen) von Behinderung erzählt, sofern dieser keine Kenntnis hat („illoyale Verspätung“)
Betriebsratsmitglieder (§ 15 KSchG)
Pflegezeit (§ 5 PflegeZG)
Elternzeit (§ 18 BEEG)
Auszubildende (§ 22 Abs. 2 BBiG)
Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch Arbeits- o. Tarifvertrag (nur wenn problematisch)
Begründetheit: Außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB)
Was ist ein bei einer außerordentlichen Kündigung zu prüfen?
Einhaltung der Ausschlussfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)
Wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB
a) Abtrakte Eignung
b) Konkrete Eignung: Interessensabwägung/Verhältnismäßigkeit
Was sind Beispiele für einen wichtigen Kündigungsgrund aufgrund einer schuldhaften, pflichtwidrigen Vertragspflichtverletzung?
Sexuelle Belästigung
Strafbare Handlungen, etwa Vermögens- und Eigentumsdelikte (Emmely-Entscheidung)
Arbeitszeitbetrug: Insoweit ist aber nicht die strafrechtliche Würdigung entscheidend, sondern die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung und die damit verbundene Zerstörung des Vertrauensverhältnisses
Erhebliche Unpünktlichkeit, Konkurrenztätigkeiten, Verstöße gegen Alkoholverbote am Arbeitsplatz, Massive private Internetnutzung während der Arbeitszeit.
Außerdienstliches Verhalten kann ausnahmsweise die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verletzen, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (sexueller Missbrauch der Kinder eines Kollegen). Siehe insofern „Crystal-Meth-Entscheidung“ (Kraftfahrer konsumierte außerdienstlich Chrystal-Meth. Nach BAG war Kündigung zulässig, weil abstrakte Gefahr besteht, dass Unfall infolge Auswirkungen eintritt und daher auf das Arbeitsverhältnis einwirkt [im Sylt-Fall vielleicht eher [–]) und „Facebook-Fall“ (Straßenbahnfahrer postet rassistische Bilder auf Facebook. Kündigung zulässig, weil erhöhtes Maß an Verfassungstreue im öffentlichen Dienst).
Druckkündigung
Beispiel: Dritter verlangt vom AG unter Androhung von Nachteilen die Entlassung eines bestimmten AN (entweder ordentlich oder außerordentlich).
Unechte Druckkündigung: Verlangen ist durch Verhalten des Arbeitnehmers oder einen personenbedingten Grund objektiv gerechtfertigt: Es liegt dann im Ermessen des AG, ob er eine Kündigung erklärt.
Echte Druckkündigung: Es fehlt an einer objektiven Rechtfertigung, so dass nur eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommt. Strenge Anforderungen. AG hat sich schützend vor AN zu stellen. Nur wenn bei Verwirklichung Drohung schwere wirtschaftliche Schäden drohen, kann Kündigung sozial gerechtfertigt sein.
Verdachtskündigung: AG begründet seine Kündigung mit einer nicht erwiesenen strafbaren Handlung, weil das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört sei.
Fall: AG kündigt AN, weil AN vor einigen Wochen wegen Lohnfortschuss vorstellig war. Einige Wochen später fehlten drei sündhafte teure Bohrmaschine (je 2.000 €). AN hatte Zugang dazu.
Abw.: Ferner hat der AN auf seinem E-Bay-Kleinanzeigen-Konto drei Bohrmaschinen angeboten, die vom Typ und von Gebrauchsspuren passt. Seriennummer wurde allerdings entfernt.
Der Verdacht muss „erdrückend“ sein und das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtigt wird, müsste – wäre es erwiesen – einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB darstellen. Vermutungen sind nicht ausreichend, auf die Einschätzung von Strafverfolgungsbehörden kommt es nicht an. Erforderlich sind starke Verdachtsmomente, die auf objektive Tatsache gründen. Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen, insbesondere den AN Gelegenheit zur Stellungnahme (Anhörung → ansonsten vor Ausspruch Kündigung nie erforderlich!) geben (ohne Anhörung wegen Verstoß gegen Verhältnismäßigkeit und ultima-ratio-Grundsatz unwirksam).
Kündigungsgrund ist nicht die Tat, sondern auf Grund dieser schwerwiegenden objektiven Indizien beruhende Vertrauensbruch (daher eher eine Art „personenbedingte“, nicht „verhaltensbedingte“ Kündigung).
Soweit sich herausstellt, dass Verdacht unbegründet war, kann ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen. Entfall des Verdachts nicht allein durch Einstellung des Strafverfahrens (§ 170 Abs. 2 StPO), selbst Freispruch für sich genommen begründet keinen Wiedereinstellungsanspruch. Es müssen nachträglich andere Umstände eintreten, die den Verdacht beseitigen.
Gedankenstütze: „Dringender Tatverdacht“ (StPO) erforderlich. Im o. g. Fall auf keinen Fall erfüllt, allenfalls Anfangsverdacht. Es könnte genauso gut jemand anderes geklaut haben. In der Abw. wohl eher ausreichend.
Was ist auf der zweiten Stufe zu prüfen? Was sind die einschlägigen Kriterien?
Auf der zweiten Stufe ist im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung die konkrete Eignung des wichtigen Grundes zu einer fristlosen Kündigung zu prüfen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, wobei ein objektiver Maßstab anzusetzen ist.
Negative Zukunftsprognose: Erforderlich ist zunächst eine Negativprognose, dass das Arbeitsverhältnis durch die eingetretene Störung auch in Zukunft erheblich beeinträchtigt wird
Interessenabwägung: Kündigung als Ultima Ratio (Schwerpunkt)
Die außerordentliche Kündigung darf nur das letzte Mittel sein. Erst wenn die zulässigen, gleich geeigneten und angemessenen Mittel ausgeschöpft sind, die in ihren Wirkungen für den Arbeitnehmer milder sind, fällt die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers aus. Es ist das Beendigungsinteresse des AG mit dem Bestandsschutzinteresse des AN abzuwägen.
Übermaßverbot: Das Prognoseprinzip und das ultima-ratio-Gebot werden ergänzt durch das Übermaßverbot. Die Interessenabwägung muss die Frage beantworten, ob die außerordentliche Kündigung keine übertriebene Reaktion auf die Störung des Arbeitsverhältnisses darstellt.
Kriterien sind u. a.
(1) der Verschuldensgrad,
(2) die Geringwertigkeit einer Sache oder des Verstoßes (Intensität und Beharrlichkeit der Pflichtverletzung),
(3) der Umfang des Schadens,
(4) die Stellung des AN im Betriebs,
(5) die Störung von Betriebsabläufen und des Betriebsfriedens,
(6) das Verhalten nach Tatbegehung sowie
(7) Alter und Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Unterhaltspflichten.
Interessensabwägung: Was sind mildere Mittel zur Kündigung? In welchen Fällen ist eine Abmahnung entbehrlich?
Abmahnung (sofern verhaltensbedingte Kündigung) (§ 314 Abs. 2 S. 1 BGB): Bei verhaltensgebunden Kündigungen stellt regelmäßig die Abmahnung ein milderes Mittel dar. Eine solche kann aber entbehrlich sein, wenn (1) der Arbeitnehmer nicht in der Lage oder willens ist, sein Verhalten zu ändern oder (2) wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien objektiv derart gestört ist, dass bereits bei einmaliger Pflichtverletzung Vertrauensverhältnis nicht wiederhergestellt werden kann (z. B. Straftat gegenüber dem Arbeitgeber). Ferner kann bei evidenter Pflichtwidrigkeit einer Entbehrlichkeit vorliegen, insbesondere bei Straftaten.
Änderungskündigung
Ordentliche Kündigung!
Versetzung
Woran ist stets zu denken, wenn eine außerordentliche Kündigung unwirksam ist?
Eine außerordentliche Kündigung, die die Voraussetzungen des § 626 BGB nicht erfüllt, kann analog § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, sofern dessen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen (Inzidentprüfung!)
Begründetheit: Ordentliche Kündigung
Ist bei einer ordentlichen Kündigung ein Kündigungsgrund erforderlich?
Grundsätzlich kein Kündigungsgrund erforderlich, es sei denn, das KSchG ist einschlägig (was regelmäßig der Fall sein wird). Genau deswegen hat Gesetzgeber KSchG erfunden!
Anwendbarkeit des KSchG: Wie ist eine rechtliche Unterbrechung im Hinblick auf den 6-Monats-Zeitraum (§ 1 Abs. 1 KSchG) einzuordnen?
Können im Rahmen der sachlichen Anwendbarkeit mehrere Unternehmen zusammengerechnet werden?
Rechtliche Unterbrechungen können unschädlich sein, sofern zwischen altem und neuen Arbeitsverhältnis ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.
Mehrere Unternehmen können einen „gemeinsamen Betrieb“ bilden mit der Folge, dass AN für Schwellenwerte addiert werden (Kern der Arbeitgeberfunktionen [Weisungsrecht] wird im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt).
Anwendbarkeit des KSchG: Was passiert, wenn das KSchG nicht anwendbar sein sollte?
Sofern KSchG nicht anwendbar ist, gelten nur die zivilrechtlichen Generalklauseln für die Kündigung. Verlangt wird ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme (§ 242 BGB). Es geht vor allem darum, willkürliche und auf sachfremden Motiven beruhende Kündigungen zu verhindern („Missbrauchskontrolle“). Willkürvorwurf entfällt, sofern ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung besteht. Auch Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) kann hier relevant werden. Bei Verletzung einer in § 1 AGG genannten Gründe ist die Kündigung nach § 134 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG, §§ 1, 3 AGG unwirksam.
Was sind die Grundprinzipen der Sozialen Rechtfertigung?
Beurteilungsmaßstab: Rechtmäßigkeit der Kündigung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung
Prognoseprinzip: Entscheidung über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung bedarf stets einer Prognose. Das Prognoseprinzip gilt bei alle Kündigungsgründen und ist die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Kündigungsgründe ihrer Natur nach zukunftsbezogen sind. Geschehnisse in Vergangenheit besagen noch nicht über die Rechtfertigung, sondern sind auf das zukunftsbezogene Moment der Weiterbeschäftigung zu interpretieren
Ultima-ratio-Prinzip: Kündigung ist das letzte Mittel. Mildere Mittel: Abmahnung, Änderungskündigung (§ 2 KSchG) und Umsetzung
Personenbedingte Kündigung
Wie ist die personenbedingte Kündigung zu prüfen?
Negative Zukunftsprognose bzgl. der Arbeitspflichterfüllung: Gründe , die auf den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des AN beruhen und die in der Zukunft weitere Störungen der Erbringung der Arbeitsleistung erwarten lassen (keine Besserung zu erwarten).
Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen: Sichere Wahrscheinlichkeit, dass das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis von Arbeitsleistung gegen Vergütung zukünftig erheblich gestört wird.
Interessenabwägung im Einzelfall: Betrieblichen Beeinträchtigungen führen zu einer billigerweise nicht mehr hinnehmbaren Belastung des Arbeitgebers . Dabei muss beachtet werden, dass die Kündigung nur ultima ratio herangezogen werden darf. Beweislast beim AG, § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG.
Was sind typische Beispiele einer personenbedingten Kündigung?
Mangelnde körperliche und geistige Eignung
Erkrankungen, die die Verwendung des AN erheblich herabsetzen
Entzug einer Arbeitserlaubnis: Entziehung einer Fahrerlaubnis, bei öffentlicher Verwaltung auch ein Mindestmaß an Verfassungstreue (möglicherweise [–] bei Drogenhandel oder Aufruf zum Umsturz der Regierung).
Bei Berufskraftfahrer grundsätzlich „Augenleiden“, aber nicht, wenn dies wieder geheilt werden kann (dann keine negative Prognose).
Unverschuldete Arbeitsverweigerung (Gewissenskonflikte): AN kommt zur Erkenntnis, dass ihm sein Glaube bereits das Ein- und Ausräumen alkoholischer Flaschen verbiete. Nach BAG personenbedingte Kündigung zulässig.
Wie wirkt es sich aus, wenn sich die negative Zukunftsprognose als falsch erweist?
Die Negativprognose ist vom Zeitpunkt der Kündigung aus zu treffen. Nachträgliche Änderungen der Tatsachengrundlage können sich nicht auswirken. Denn das Gesetz will bei einseitigen Willenserklären Schwebezustände vermeiden, vgl. §§ 11, 388 S. 2 BGB. Mögliche Härten lassen sich durch einen etwaigen Wiedereinstellungsanspruch ausgleichen
Was ist im Rahmen der Interessensabwägung im Einzelfall zu berücksichtigen?
Eine Kündigung ist unzulässig, wenn es andere angemessene Möglichkeiten zur „Entstörung“ des Arbeitsverhältnisses gibt, z. B. Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Versetzung (oder Änderungskündigung) auf freien „leidensgerechten“ Arbeitsplatz, Gelegenheit zu „spezifischer Behandlungsmaßnahme“. Interesse AN Arbeitsplatz zu beachten hoch zu gewichten, weil Erwerbsgrundlage; Versetzungsmöglichkeit auf einen der geminderten Leistung entsprechenden Arbeitsplatz; Umschulungsmaßnahmen möglich; ggf. betriebliches Eingliederungsmanagement möglich (§ 167 Abs. 2 SGB IX [Kaiser, S. 25]) zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Änderungen der Arbeitsbedingungen
Sonderfall der personenbedingten Kündigung: Krankheitsbedingte Kündigung
Es ist anerkannt, dass unter bestimmten Umständen auch eine Krankheit eine Kündigung sozial rechtfertigen kann.
1. Stufe: Negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Erkrankung . Prognose stützt sich auf bisherigen Umfang der Krankheitszeiten, allerdings nur solche, bei denen Wiederholungsgefahr besteht (chronische Erkrankungen oder solche, die immer wieder auftreten).
Häufige Kurzzeiterkrankungen: AG kennt Krankheitsursachen häufig nicht. Notwendig sind Tatsachen, die eine ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen. Ausreichend, dass der AN in den letzten drei Jahren pro Jahr länger als 6 Wochen erkrankt war (weil insoweit sechs Wochen Entfeltfortzahlung duch AG)
Langandauernde/Langfristige Erkrankungen: Negativprognose (+), wenn damit zu rechnen ist, dass der AN auf nicht absehbare Zeit krank sein wird.
Dauernde Arbeitsunfähigkeit/Dauererkankung: Negativprognose (+), wenn feststeht, dass die Arbeit nie wieder aufgenommen werden kann. Aber auch eine bereits seit längerem anhaltende Arbeitsunfähigkeit ist wie eine dauernde zu behandeln, wenn völlig ungewiss ist, ob und wann die Arbeit wieder aufgenommen werden kann (wenn in nächsten 24 Monaten nicht mit anderer Prognose gerechnet werden kann)
2. Stufe: Bei häufiger Kurzzeiterkrankung geht es um die Frau, ob aufgrund der prognostizierten Fehlzeiten auch in Zukunft damit zu rechnen ist, dass AG mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Jahr wird leisten müssen (mehr nicht zumutbar, vgl. § 3 Abs. 1 EFZG). Bei langandauernder Erkrankung und dauernder Arbeitsunfähigkeit besteht die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nicht in Entgeltfortzahlungskosten, sondern darin, dass AG auf unabsehbare Zeit (mehr als 24 Monate) oder dauerhaft gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben. Bei erheblicher und dauerhafter Leistungsminderung ist i. d. R. von einer erheblichen Beeinträchtigung auszugehen.
3. Stufe: Grundsätzlich normale Abwägung, beachte etwa, dass AG bei qualifizierten Arbeitskräften nur schwer Ersatz kurzzeitig Ersatz finden kann.
Verhaltensbedingte Kündigung
Wie prüft man eine verhaltensbedingte Kündigung?
Abstrakte Eignung: Das Verhalten muss zunächst an sich geeignet sein, einen wichtigen Kündigungsgrund darzustellen. Daher müsste die behauptete Vertragsverletzung zunächst einmal überhaupt vorliegen.
Konkrete Eignung: Auf der zweiten Stufe ist im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung die verhaltensbedingte Kündigung unter Berücksichtigung des ultima ratio Prinzips zu prüfen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Vertragspflichtverletzung allein nicht genügt, sondern es müssen nach dem Prognoseprinzip zukünftige Pflichtverletzungen zu befürchten sein, sog negative Zukunftsprognose. Kriterien sind u. a. der Verschuldensgrad, die Geringwertigkeit einer Sache oder des Verstoßes, der Umfang des Schadens, die Stellung des AN im Betriebs, das Verhalten nach Tatbegehung sowie Alter und Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Nenne Beispiele.
Fall: AN soll Müllcontainer entsorgen, AN vergisst dies. AN fälscht Kündigungsschreiben an örtlichen Versorger und sagt gegenüber Chef, dass sie Vertrag mit Versorger gekündigt habe.
Fall: Bezeichnung Chef als „asoziales Arschloch“
Nicht angemessene Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit (Minderleistung), wobei insoweit Maßstab seine individuelle Leistungsfähigkeit ist (≠ Durchschnittsleistungsfähigkeit)
Alle Sachverhalte, die auch bereits einen außerordentlichen Grund i. S. v. § 626 BGB; es sind aber auch weniger gravierende Pflichtverletzungen ausreichend (z. B. wiederholte Unpünktlichkeit).
Bei Verletzung von Weisungen (§ 106 GewO) ist zu beachten, dass unbillige Weisungen unverbindlich sind, ferner ruht Weisungsrecht während Krankheit (z. B. bei Anweisung, während Krankheit zum Personalgespräch zu erscheinen).
Diebstahl geringwertiger Sachen: Auch beim Diebstahl geringwertiger Sachen vom Vermögen des AG begeht der AN eine schwerwiegende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Daher kann ein solches Verhalten auch dann einen wichtigen Grund darstellen, wenn es nur geringwerte Sachen betrifft (vgl. Fall Emmely Entscheidung).
Mischtatbestand (z. B. Diebstahl am Arbeitsplatz): In Betracht kommt auch eine personenbedingte Kündigung, weil die persönliche Eignung und die Vertrauenswürdigkeit fehlen. Bei einer personenbedingten Kündigung ist aber eine Abmahnung nicht erforderlich und sinnlos. Daher ist der Schwerpunkt zu bilden. Geprüft werden muss, ob ein steuerbares Verhalten vorliegt. Wenn ja, liegt im Schwerpunkt eine verhaltensgebundene Kündigung vor und eine Abmahnung ist erforderlich
Fall: „Frisieren“ der Akte ist verhaltensbedingter Grund (Das Vergessen der Kündigung des Versorgervertrags wäre nicht ausreichend).
Fall: Scharfe und polemische Bezeichnungen sind noch wegen Meinungsfreiheit erlaubt. Nicht von Meinungsfreiheit gedeckt Schmähkritik, Formalbeleidigung und sonstige Verletzung der Menschenwürde. Schmähkritik ohne sachlichen Bezug allein um jemanden verächtlich zu machen nicht mehr von Meinungsfreiheit gedeckt. Formalbeleidigungen („Arschloch“). Sonstige Verletzungen der Menschenwürde („Affenlaute“ gegenüber dunkelhäutigen Kollegen). Hier kann „asozial“ noch erlebt sein, sofern es dafür einen sachlichen Bezug gibt; jedenfalls „Arschloch“ aber unzulässige Formalbeleidigung.
Kann Freizeitverhalten eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen?
Grundsätzlich kein Einfluss, weil privates Verhalten.
Ausnahme , wenn Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis besteht.
In Betracht kommen kann aber eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen, z.B. wenn Berufskraftfahrer Fahrerlaubnis entzogen wird oder wenn Erzieher wegen Missbrauchs von Kindern in der Freizeit bestraft wird.
Was ist ein typisches milderes Mittel bei einer verhaltensbedingten Kündigung?
Bei verhaltensgebunden Kündigungen stellt regelmäßig die Abmahnung ein milderes Mittel dar. Eine solche kann aber entbehrlich sein, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage oder willens ist, sein Verhalten zu ändern oder wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien derart gestört ist, dass es nicht wiederhergestellt werden kann. Ferne kann bei evidenter Pflichtwidrigkeit einer Entbehrlichkeit vorliegen, insbesondere bei Straftaten
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