Buffl

Arbeitsrecht

SP
by Sebastian P.

Zulässigkeit: Statthafte Klageart


Liegt ein Schleppnetzantrag in der folgenden Formulierung vor? Ist eine weitere Kündigung, die nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, damit materiell wirksam (§ 4 S. 1, § 7 KSchG)?


„Es wird festgestellt, dass das ArbV der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom […] nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.“

  • Versteckter verkürzter Schleppnetzantrag? Oder rein redaktionelle Bekräftigung (überflüssiger Hinweis auf Rechtsfolge, dass das ArbV unverändert fortbesteht).

  • Auslegung nach Sinn und Zweck: Braucht der überhaupt einen Schleppnetzantrag → Gibt es überhaupt weitere Beendigungstatbestände? Falls es mehrere Kündigungen gibt, sind diese vielleicht bereits vom erweiterten punktuellen Streitgegenstand erfasst? Dann brauche ich auch keinen Schleppnetzantrag. Liegt aber eine weitere vor (Var. Oben), dann ist die Formulierung als Schleppnetzantrag auszulegen. Allerdings geht man in diesen Fällen nur in entsprechender Anwendung des § 6 S. 1 KSchG davon aus, dass weitere Angriffe der Kündigungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen dürfen


Formulierung: Der Kläger hat sich rechtzeitig gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt, indem er sich mit Schriftsatz vom 8. Juli 2019 gegen die Kündigungen vom 8. Mai 2019 gewendet hat. Denn die grundsätzlich bestehende Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 1 S. 2, § 4 S. 1 KSchG ist in analoger Anwendung des § 6 S. 1 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu verlängern. Insofern ist es nicht von Bedeutung, dass bei verständiger Auslegung (§§ 133, 157 BGB) die Formulierung im Antrag vom 3. April 2019 „sondern fortbesteht“ für sich allein nicht ausreicht, um alle weiteren Beendigungstatbeständen bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Wege eines weiteren Feststellungsantrags (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 ZPO) einzubeziehen. Denn das Gericht weist insoweit entsprechend § 139 ZPO darauf hin, dass es dieses Anhängsel zumindest im Sinne eines sog. „kleinen Schleppnetzantrages“ deutet, wonach der Kläger bis zum Ende der mündlichen Verhandlung Zeit hat, mittels einer Erweiterung seiner Antragsstellung die Präklusion zu verhindern.

Zulässigkeit: Begründetheit


Materielle Präklusion (§ 7 KSchG)


Nach welcher Vorschrift kann eine verspätete Klage zugelassen werden? Besteht ein Antragserfordernis und eine Frist? Nenne Beispiele für unverschuldete Fristversäumung.

  1. Maßstab: Erhöhter Maßstab, wenn AN mit Kündigung rechnen musste. Bei Urlaubsanwesenheit i. d. R. unverschuldet bei Abwesenheit von maximal sechs Wochen. AN muss alle Umstände vortragen und glaubhaft machen.

  2. Antragserfordernis: Keine Prüfung von Amts wegen in Urteilsklausur. In Anwaltsklausur Antrag bei entsprechendem Anlass stellen. Wiedereinsetzungsantrag wäre entsprechend auszulegen. Eine verspätete Klageerhebung allein reicht aber nicht aus (würde Antrag obsolet machen).

  3. Frist für Antrag in § 5 Abs. 3 KSchG: Antragsfrist zwei Wochen, Höchstfrist sechs Monate. Voraussetzung ist aber, dass Umstand, der zur Verhindert geführt hat, innerhalb der Frist begonnen hat!

  4. Unverschuldet: Weder fahrlässige noch vorsätzliche Fristversäumung, z. B. Krankenhausaufenthalt, bis zu 6-wöchige (Urlaubs-)Abwesenheit. Sofern Post ungewöhnlich lange braucht (z. B. fünf Tage), liegt auch ein unverschuldetes Handeln vor (AN darf auf normale Postlaufzeit „Einwurftag + 1“ vertrauen. Frist auszureizen ist nicht vorwerfbar. Untersuchungshaft (Hessen November 2021): Umstände des Einzelfalles; zumutbar wohl insbesondere Rechtsanwalt bitten, Klage einzureichen.

  5. Zurechnung Verschulden eines Prozessbevollmächtigten (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 85 Abs. 2 ZPO), z. B. besteht eine anwaltliche Pflicht zur Ausgangskontrolle (ähnlich wohl auch bei beA).


Begründetheit: Außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB)


Verdachtskündigung: AG begründet seine Kündigung mit einer nicht erwiesenen strafbaren Handlung, weil das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört sei.


Fall: AG kündigt AN, weil AN vor einigen Wochen wegen Lohnfortschuss vorstellig war. Einige Wochen später fehlten drei sündhafte teure Bohrmaschine (je 2.000 €). AN hatte Zugang dazu.

Abw.: Ferner hat der AN auf seinem E-Bay-Kleinanzeigen-Konto drei Bohrmaschinen angeboten, die vom Typ und von Gebrauchsspuren passt. Seriennummer wurde allerdings entfernt.

  1. Der Verdacht muss „erdrückend“ sein und das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtigt wird, müsste – wäre es erwiesen – einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB darstellen. Vermutungen sind nicht ausreichend, auf die Einschätzung von Strafverfolgungsbehörden kommt es nicht an. Erforderlich sind starke Verdachtsmomente, die auf objektive Tatsache gründen. Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen, insbesondere den AN Gelegenheit zur Stellungnahme (Anhörung → ansonsten vor Ausspruch Kündigung nie erforderlich!) geben (ohne Anhörung wegen Verstoß gegen Verhältnismäßigkeit und ultima-ratio-Grundsatz unwirksam).

  2. Kündigungsgrund ist nicht die Tat, sondern auf Grund dieser schwerwiegenden objektiven Indizien beruhende Vertrauensbruch (daher eher eine Art „personenbedingte“, nicht „verhaltensbedingte“ Kündigung).

  3. Soweit sich herausstellt, dass Verdacht unbegründet war, kann ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen. Entfall des Verdachts nicht allein durch Einstellung des Strafverfahrens (§ 170 Abs. 2 StPO), selbst Freispruch für sich genommen begründet keinen Wiedereinstellungsanspruch. Es müssen nachträglich andere Umstände eintreten, die den Verdacht beseitigen.

  4. Gedankenstütze: „Dringender Tatverdacht“ (StPO) erforderlich. Im o. g. Fall auf keinen Fall erfüllt, allenfalls Anfangsverdacht. Es könnte genauso gut jemand anderes geklaut haben.  In der Abw. wohl eher ausreichend.


Begründetheit: Außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB)


Was ist auf der zweiten Stufe zu prüfen? Was sind die einschlägigen Kriterien?

Auf der zweiten Stufe ist im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung die konkrete Eignung des wichtigen Grundes zu einer fristlosen Kündigung zu prüfen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, wobei ein objektiver Maßstab anzusetzen ist. 

  1. Negative Zukunftsprognose: Erforderlich ist zunächst eine Negativprognose, dass das Arbeitsverhältnis durch die eingetretene Störung auch in Zukunft erheblich beeinträchtigt wird

  2. Interessenabwägung: Kündigung als Ultima Ratio (Schwerpunkt)

    Die außerordentliche Kündigung darf nur das letzte Mittel sein. Erst wenn die zulässigen, gleich geeigneten und angemessenen Mittel ausgeschöpft sind, die in ihren Wirkungen für den Arbeitnehmer milder sind, fällt die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers aus. Es ist das Beendigungsinteresse des AG mit dem Bestandsschutzinteresse des AN abzuwägen.

  3. Übermaßverbot: Das Prognoseprinzip und das ultima-ratio-Gebot werden ergänzt durch das Übermaßverbot. Die Interessenabwägung muss die Frage beantworten, ob die außerordentliche Kündigung keine übertriebene Reaktion auf die Störung des Arbeitsverhältnisses darstellt.


Kriterien sind u. a.

(1)    der Verschuldensgrad,

(2)    die Geringwertigkeit einer Sache oder des Verstoßes (Intensität und Beharrlichkeit der Pflichtverletzung),

(3)    der Umfang des Schadens,

(4)    die Stellung des AN im Betriebs,

(5)    die Störung von Betriebsabläufen und des Betriebsfriedens,

(6)    das Verhalten nach Tatbegehung sowie

(7)    Alter und Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Unterhaltspflichten.

Begründetheit: Ordentliche Kündigung


Personenbedingte Kündigung


Sonderfall der personenbedingten Kündigung: Krankheitsbedingte Kündigung

Es ist anerkannt, dass unter bestimmten Umständen auch eine Krankheit eine Kündigung sozial rechtfertigen kann.


1. Stufe: Negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Erkrankung . Prognose stützt sich auf bisherigen Umfang der Krankheitszeiten, allerdings nur solche, bei denen Wiederholungsgefahr besteht (chronische Erkrankungen oder solche, die immer wieder auftreten).

  1. Häufige Kurzzeiterkrankungen: AG kennt Krankheitsursachen häufig nicht. Notwendig sind Tatsachen, die eine ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen. Ausreichend, dass der AN in den letzten drei Jahren pro Jahr länger als 6 Wochen erkrankt war (weil insoweit sechs Wochen Entfeltfortzahlung duch AG)

  2. Langandauernde/Langfristige Erkrankungen: Negativprognose (+), wenn damit zu rechnen ist, dass der AN auf nicht absehbare Zeit krank sein wird.

  3. Dauernde Arbeitsunfähigkeit/Dauererkankung: Negativprognose (+), wenn feststeht, dass die Arbeit nie wieder aufgenommen werden kann. Aber auch eine bereits seit längerem anhaltende Arbeitsunfähigkeit ist wie eine dauernde zu behandeln, wenn völlig ungewiss ist, ob und wann die Arbeit wieder aufgenommen werden kann (wenn in nächsten 24 Monaten nicht mit anderer Prognose gerechnet werden kann)


2. Stufe: Bei häufiger Kurzzeiterkrankung geht es um die Frau, ob aufgrund der prognostizierten Fehlzeiten auch in Zukunft damit zu rechnen ist, dass AG mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Jahr wird leisten müssen (mehr nicht zumutbar, vgl. § 3 Abs. 1 EFZG). Bei langandauernder Erkrankung und dauernder Arbeitsunfähigkeit besteht die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nicht in Entgeltfortzahlungskosten, sondern darin, dass AG auf unabsehbare Zeit (mehr als 24 Monate) oder dauerhaft gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben. Bei erheblicher und dauerhafter Leistungsminderung ist i. d. R. von einer erheblichen Beeinträchtigung auszugehen.


3. Stufe: Grundsätzlich normale Abwägung, beachte etwa, dass AG bei qualifizierten Arbeitskräften nur schwer Ersatz kurzzeitig Ersatz finden kann.

Begründetheit: Ordentliche Kündigung


Verhaltensbedingte Kündigung


Nenne Beispiele.


Fall: AN soll Müllcontainer entsorgen, AN vergisst dies. AN fälscht Kündigungsschreiben an örtlichen Versorger und sagt gegenüber Chef, dass sie Vertrag mit Versorger gekündigt habe.

Fall: Bezeichnung Chef als „asoziales Arschloch“

  1. Nicht angemessene Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit (Minderleistung), wobei insoweit Maßstab seine individuelle Leistungsfähigkeit ist (≠ Durchschnittsleistungsfähigkeit)

  2. Alle Sachverhalte, die auch bereits einen außerordentlichen Grund i. S. v. § 626 BGB; es sind aber auch weniger gravierende Pflichtverletzungen ausreichend (z. B. wiederholte Unpünktlichkeit).

  3. Bei Verletzung von Weisungen (§ 106 GewO) ist zu beachten, dass unbillige Weisungen unverbindlich sind, ferner ruht Weisungsrecht während Krankheit (z. B. bei Anweisung, während Krankheit zum Personalgespräch zu erscheinen).

  4. Diebstahl geringwertiger Sachen: Auch beim Diebstahl geringwertiger Sachen vom Vermögen des AG begeht der AN eine schwerwiegende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Daher kann ein solches Verhalten auch dann einen wichtigen Grund darstellen, wenn es nur geringwerte Sachen betrifft (vgl. Fall Emmely Entscheidung).

  5. Mischtatbestand (z. B. Diebstahl am Arbeitsplatz): In Betracht kommt auch eine personenbedingte Kündigung, weil die persönliche Eignung und die Vertrauenswürdigkeit fehlen. Bei einer personenbedingten Kündigung ist aber eine Abmahnung nicht erforderlich und sinnlos. Daher ist der Schwerpunkt zu bilden. Geprüft werden muss, ob ein steuerbares Verhalten vorliegt. Wenn ja, liegt im Schwerpunkt eine verhaltensgebundene Kündigung vor und eine Abmahnung ist erforderlich


Fall: „Frisieren“ der Akte ist verhaltensbedingter Grund (Das Vergessen der Kündigung des Versorgervertrags wäre nicht ausreichend).


Fall: Scharfe und polemische Bezeichnungen sind noch wegen Meinungsfreiheit erlaubt. Nicht von Meinungsfreiheit gedeckt Schmähkritik, Formalbeleidigung und sonstige Verletzung der Menschenwürde. Schmähkritik ohne sachlichen Bezug allein um jemanden verächtlich zu machen nicht mehr von Meinungsfreiheit gedeckt. Formalbeleidigungen („Arschloch“). Sonstige Verletzungen der Menschenwürde („Affenlaute“ gegenüber dunkelhäutigen Kollegen). Hier kann „asozial“ noch erlebt sein, sofern es dafür einen sachlichen Bezug gibt; jedenfalls „Arschloch“ aber unzulässige Formalbeleidigung.


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Sebastian P.

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