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Lektüre: Heimatochare

AG
by Adele G.

Südsee-Stereotypen in Literatur und Medien der Spätaufklärung und um 1800

Vorstellung der Terra Australis Incognita und die Entdeckungen im Südpazifik:

  1. Entdeckungsreisen im Südpazifik:

    • Seit den 1760er Jahren wurden wissenschaftliche Expeditionen von französischen, englischen und russischen Schiffen unternommen, um die terra australis incognita, einen legendären Südkontinent im Stillen Ozean, zu finden.

    • Obwohl sich die Vorstellung eines Südkontinents als Fiktion erwies, führten Kapitäne wie Samuel Wallis, Louis Antoine de Bougainville und James Cook zu bedeutenden Entdeckungen.

    • Diese Expeditionen ermöglichten die Erforschung und Vermessung von Hunderten Inseln und Archipelen im Südpazifik, die zum Teil bis heute die Namen der Entdecker tragen.

    • Wirtschaftlich-imperialistische Ziele spielten eine zentrale Rolle bei den Expeditionen.

  2. Gegensätzliche Vorstellungen der Südsee:

    • In den Reiseberichten entstanden zwei gegensätzliche Vorstellungen über die Inselbewohner und ihre Lebensweise:

      • Tahiti-Mythos:

        • Idealisiertes Bild eines paradiesischen Lebens mit Fülle und Harmonie zwischen Mensch und Natur.

        • Sexuelle Freizügigkeit und Gütergemeinschaft ohne gesellschaftliche Zwänge und soziale Hierarchien.

        • Diese Vorstellung reflektiert eine Art von Naturzustand, ähnlich der Hypothese von Jean-Jacques Rousseau in seiner Schrift zur Ungleichheit unter den Menschen (1755).

      • Bild des Kannibalen:

        • Negatives Bild von grausamen Kannibalen mit Stammesfehden, Kopfjägerei und Menschenopfern.

  3. Populär-rousseauistische Auffassung:

    • Die Annahme eines solchen harmonischen Naturzustands wird als populär-rousseauistisch bezeichnet, da sie Rousseaus Konzept des hypothetischen Naturzustands auf die Südsee überträgt.

    • Es wird entweder angenommen oder gehofft, dass ein solcher Zustand tatsächlich existiert.


Zur Entstehung und Verbreitung des Tahiti-Mythos

Entwicklung des Tahiti-Mythos und der Südsee-Romantik:

  1. Bougainvilles Reisebericht (1771):

    • In seinem Bericht "Voyage autour du monde" begann Bougainville, die rousseauistische Vorstellung von Tahiti als „La Nouvelle Cythère“ (Insel der Venus) zu verbreiten.

    • Diese Vorstellung aktualisierte das Stereotyp des „edlen Wilden“, das bereits bei der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus auf indianische Ureinwohner angewandt wurde.

  2. Gegenbild des „unedlen Wilden“:

    • Bougainville erwähnte auch das Gegenbild des „unedlen Wilden“, basierend auf den Aussagen eines tahitischen Informanten.

    • Trotzdem setzte sich schnell die idealistische Sichtweise der Tahitier als „edle Wilde“ durch.

  3. Verbreitung des Tahiti-Mythos:

    • Philipp Commerson, Arzt und Begleiter auf Bougainvilles Expedition, trug zur Verbreitung der idealisierenden Vorstellung durch einen begeisterten Bericht bei.

    • Diese Vorstellung wurde durch literarische Propaganda und die Medien der 1770er Jahre rasch verbreitet und verfestigte sich als Tahiti-Mythos.

  4. Populär-Rousseauismus und künstlerische Rezeption:

    • Der Populär-Rousseauismus zeigte sich in verschiedenen Medien:

      • Literatur, Theater, Oper, Ballet und die Bildende Kunst.

    • Die großen Reisenden brachten auch polynesische Einheimische nach Europa:

      • Bougainville brachte den Informanten Aoutourou nach Paris.

      • James Cook führte den Polynesier Omai in Londoner Salons ein, wo er von Intellektuellen bewundert wurde, darunter auch Christoph Lichtenberg.

  5. Lebende „Exponate“:

    • Die Polynesier fungierten als kuriose Attraktionen und Kulturvermittler, aber auch als Symbole der Macht der Entdecker.

  6. Einfluss der „Meuterei auf der Bounty“ (1789):

    • Die Geschichte der Meuterei fügte dem Südsee-Mythos ein Element des Rebellischen und Anarchischenhinzu.

    • Bis heute ist die Meuterei ein beliebtes Thema in der Filmindustrie und für Touristikunternehmeneinträglich.


Kritik am Tahiti-Mythos

Kritik an der Tahiti-Begeisterung:

  1. Kritische Stimmen und Desillusionierung:

    • Trotz der weit verbreiteten Begeisterung für den Tahiti-Mythos gab es auch kritische Stimmen, die versuchten, diese idealisierende Sicht zu entzaubern.

    • Einer der wichtigsten Kritiker war der Naturforscher, Philosoph und Schriftsteller Georg Forster, der an James Cooks zweiter Weltumsegelung (1772–1775) teilnahm.

  2. Georg Forsters Beobachtungen:

    • In seinem philosophischen Reisebericht "Reise um die Welt" (1778–1780) stellte Forster fest, dass Tahiti keine egalitäre Gesellschaft war, sondern eine streng hierarchisch organisierte Gesellschaft.

    • Ein Beispiel ist der "tahitische Fresser", ein Angehöriger der Oberschicht, der als „träger Wolllüstling“ dargestellt wird, der ununterbrochen von Frauen gefüttert wird.

    • Allerdings missverstand Forster die indigenen Taburegeln, wonach Adelige aus religiösen Gründen Speisen nicht berühren durften.

  3. Langsame Akzeptanz der Realität:

    • Trotz Forsters realistischerer Darstellung dauerte es lange, bis sich die Vorstellung durchsetzte, dass Standeshierarchien und rituelle Regeln die südpazifischen Kulturen prägten.

  4. Denis Diderots Kritik:

    • In Frankreich versuchte Denis Diderot in seinem posthum veröffentlichten Werk "Supplément au voyage de Bougainville" (1796), den Tahiti-Mythos für seine Kulturkritik zu nutzen.

    • Diderot enthüllte, dass hinter den scheinbar wissenschaftlichen Interessen in Wahrheit kolonialistische Eroberungs- und Ausbeutungsbestrebungen steckten.

    • Trotz seiner Imperialismuskritik hielt Diderot jedoch an der romantischen Vorstellung von Tahiti als bessere Welt fest.

  5. Deutsche Spätaufklärung und der Tahiti-Mythos:

    • Auch republikanisch gesinnte Autoren der deutschen Spätaufklärung nutzten den Südsee-Mythos, um staatsutopische Ideen einer Gesellschaft auf Freiheit und Gleichheit zu verbreiten.

    • Allerdings war ihre Kritik an den Missständen der eigenen Gesellschaft nostalgisch und nicht anti-bürgerlich.

    • Anstelle politischer Emanzipation des Bürgertums trat die Flucht in das romantische Spiel der Fantasie.


Das Stereotyp des “unedlen” Wilden

Der Vorstellungskomplex des ‚unedlen Wilden‘ (Ignoble Savage):

  1. Stereotyp des ‚unedlen Wilden‘:

    • Der unedle Wilde wurde in den Reiseberichten des späten 18. Jahrhunderts dargestellt.

    • Typische Merkmale dieses Stereotyps waren:

      • Hang zum Diebstahl.

      • Neigung zu Wollust.

      • Bereitschaft zu Kriegen, Kannibalismus und Kopfjägerei.

  2. Anti-Rousseauismus:

    • Der ‚unedle Wilde‘ stand im Gegensatz zur idealisierten Vorstellung des „edlen Wilden“ und wurde als Anti-Rousseauismus interpretiert.

    • Dies wurde besonders in den Rezensionen zeitgenössischer Reiseliteratur betont, wie z. B. in den von Albrecht von Haller publizierten Rezensionen in den Göttingischen gelehrten Anzeigen (1746–78).

  3. Perhorreszierende Vorstellung der Südsee:

    • Um 1775 war bereits ein Schreckensbild der Südsee etabliert.

    • Diese negative Sichtweise wurde in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts weitergeführt.

  4. Funktionen des ‚unedlen Wilden‘-Stereotyps:

    • Entzauberung exotistischer Stereotype und populärer Rousseau-Ideen.

    • Herausstellung christlicher Werte als überlegen gegenüber den „unzivilisierten“ Kulturen.

    • Rechtfertigung der europäischen Überlegenheit, sowohl in moralischer, wissenschaftlicher als auch technischer Hinsicht.

  5. Kolonialistische Interessen:

    • Im Verlauf des 19. Jahrhunderts diente dieses negativ besetzte Stereotyp auch zur Rechtfertigung der europäischen kolonialen Dominanz.

    • Der koloniale Wettlauf um einen „Platz an der Sonne“ wurde durch umfangreiche literarische und publizistische Schriften unterstützt.

    • Diese Schriften verstärkten die nationalen und imperialistischen Interessen der europäischen Nationen.


Rekurrenz und Stabilität des Südsee-Exotismus

Kopräsenz der Stereotypen ‚Edler Wilder‘ und ‚Unedler Wilder‘:

  1. Doppelte Konstellation von Exotismus:

    • Beide Stereotypen – der ‚edle‘ und der ‚unedle Wilde‘ – existieren gleichzeitig im exotistischen Diskurs.

    • Diese Konstellation spiegelt die ambivalente Beziehung zwischen:

      • Abwehr und Verlangen.

      • Faszination und Bedrohung.

      • Anziehung und Abstoßung.

  2. Definition von Exotismus:

    • Exotismus bezeichnet ein positiv besetztes Heterostereotyp, das als normatives Korrektiv für Missstände in der europäischen Kultur dient.

    • Es bildet ein Spannungsfeld zwischen zwei Polen, die Emotionen und Vorstellungen auslösen.

  3. Ambivalenz und Facettenreichtum:

    • Die Kombination von Abwehr und Verlangen zeigt die Ambivalenz und den Facettenreichtum der Wahrnehmung des „Fremden“.

    • Diese Perspektive ist eine heuristische Methode, um das Verhältnis von Eigenem und Fremdem zu beleuchten, allerdings ohne tiefere theoretische Grundlage.

Forschung und Südsee-Diskurs:

  1. Südsee-Diskurs:

    • Beide Stereotypen prägten die Reden über die Südsee im 18. und 19. Jahrhundert.

    • Trotz der Präsenz beider Stereotypen in der Diskussion, steht in der bisherigen Forschung vor allem der ‚Tahiti-Mythos‘ im Vordergrund.

  2. Populäre Vorstellung vom Südseeparadies:

    • Die Vorstellung von der Südsee als Paradies ist bis heute in der populären Imagination lebendig.

    • Beispiele dafür sind:

      • Reisekataloge.

      • Zeitschriften, wie GEO.

      • Reiseliteratur, die das „paradiesisch-exotische“ Bild der Südsee, oft in kritischer Absicht, weiterführt.

  3. Moderne Reiseliteratur:

    • Werke wie Paul Theroux’ „The Happy Isles of Oceania“ (1992) oder Anke Richters „200 Tage Tokelau“ (2003) beschäftigen sich kritisch mit der exotischen Vorstellung der Südsee.


Haimatochare - Südsee-Diskurs und koloniales Begehren

Authentizitätsfiktion in der Erzählung:

  1. Verwendung historischer Eigennamen:

    • Die Erzählung enthält zahlreiche Details und historische Eigennamen, die den Eindruck von Authentizität verstärken.

    • Namen wie Bligh, Broughton, Menzies, A. v. C., Johnstone, Widhbey, Colnett verweisen auf historische Personen, die an den Expeditionen von Cook und Vancouver in den Südpazifik und speziell nach Hawaii teilnahmen.

  2. Verknüpfung mit historischen Expeditionen:

    • Diese Personen stehen für die wissenschaftliche Erschließung des Südpazifik, die zwei Facetten aufweist:

      • Imperialistische Bestrebungen.

      • Eskapistische Sehnsüchte und Zivilisationskritik.

  3. Südseediskurs des 18. und frühen 19. Jahrhunderts:

    • Hoffmanns Erzählung knüpft an den Südseediskurs an, der exotistische Stereotype und Mythen umfasst:

      • Paradiesische Insel.

      • ‚Edler Wilder‘ und der Tahiti-Mythos.

      • Der Mythos umfasst auch die Utopie einer freien Sexualität in einer Gesellschaft ohne Zwänge.

Übertragung des Tahiti-Mythos auf Hawaii:

  1. Illusion von der Insulanerin:

    • In Hoffmanns Erzählung wird der Tahiti-Mythos auf Hawaii übertragen.

    • Die Vorstellung von einer schönen, freien Insulanerin funktionierte, da das deutsche Publikum 1819 bereits das Bild von Hawaii und Tahiti als Inseln der freien Liebe verinnerlicht hatte.

  2. Erzählerische Suggestion:

    • Hoffmann nutzt diese bereits etablierten Vorstellungen, um seine Leser durch erzählerische Suggestion in die Geschichte einzubinden.

Gegenläufiger Aspekt – ‚Unedler Wilder‘:

  1. Dualität im Südseediskurs:

    • Neben der Darstellung des ‚edlen Wilden‘ und der paradiesischen Utopie, verweist Hoffmanns Erzählung auch auf den gegenläufigen Aspekt:

      • Die Vorstellung vom ‚unedlen Wilden‘, der das exotistische Bild in ein negatives Licht rückt.

Hoffmanns Erzählung und die gegensätzlichen Vorstellungs-komplexe

  1. Bezugnahme auf gegensätzliche Vorstellungen:

    • Hoffmanns Erzählung erweckt den Eindruck, dass das leidenschaftlich begehrte Objekt eine ‚holde Insulanerin‘ ist.

    • In einem Brief an Chamisso erklärt Hoffmann, dass der Leser bis zum verhängnisvollen Duell der Naturforscher glauben soll, es ginge um den Besitz eines schönen Mädchens.

  2. Einsatz von Südsee-Elementen:

    • Der Erzähler schafft eine idyllische Kulisse mit Aspekten von:

      • Eskapismus

      • Erotisch-sexueller Sehnsucht

      • Harmonie mit der Natur

Beispiel aus der Erzählung:

  1. Brief von Menzies an Johnstone:

    • Menzies beschreibt seine Erlebnisse in Hana-ruru (Honolulu, Hawaii):

      • Absicht, einen seltenen Schmetterling einzufangen.

      • Atmosphäre: Schwüle und wollüstiges Aroma.

      • Er beschreibt das Gefühl von „seltsam süßem Bangen“ und geheimnisvollen Schauer.

      • Entdeckung der Insulanerin:

        • „Niedlichste, schönste, lieblichste Insulanerin“ auf buntem Teppich aus Taubenflügeln.

        • Haimatochare: Name und Objektstatus.

Sexualisierte Verlangen und Forschungstrieb:

  1. Literatur um 1800:

    • Tahiti und Hawaii gelten in Deutschland als Synonym für ungehemmte Sexualität.

    • Der sexualisierte Drang wird auf den naturwissenschaftlichen Forschungstrieb ausgeweitet.

  2. Affektive Sprache:

    • Der Sprecher zeigt emotionale Intensität mit:

      • Vergleichen („wie mit zärtlichen Liebesworten“).

      • Ausrufezeichen und Gedankenstriche.

Fragwürdige Figureninformationen:

  1. Kritische Aspekte:

    • Drei Merkwürdigkeiten deuten auf fragwürdige Figureninformationen hin:

      • a) Kleinheit der Insulanerin („ihr ganz kleines Zimmer“).

      • b) Namensnennung.

      • c) Besitzanspruch („war mein“).

    • Diese Besitzergreifung entspricht dem Frauenbild der damaligen Zeit, ist jedoch fragwürdig.

Objektstatus und imperialistische Praxis:

  1. Benennung als Machtakt:

    • Die Namenszuschreibung zeigt den Objektstatus der Insulanerin.

    • Die Benennung reflektiert imperialistische und missionarische Praktiken, wo neue Entdeckungen nach Entdeckern benannt und einheimische Namen oft ausgetauscht wurden.

Wissenschaftssatire und Skandal:

  1. Besitzansprüche der Naturforscher:

    • Der Besitzanspruch auf die Insulanerin wird als der „eigentliche Skandal des Textes“ bezeichnet.

    • Beide Naturforscher streben nach dem Besitz desselben Objekts und beanspruchen Ruhm in den „Annalen“ für sich.

  2. König von Ohau als imperialer Mitspieler:

    • Der König von Ohau wird als Mitspieler der europäischen Wissenschaftsmission dargestellt.

    • Er legt die Erlaubnis zur Besitzergreifung der Schätze des Landes, einschließlich der einheimischen Menschen, in den Mund.

Forschungsergebnisse zur Erzählung

  1. Freundschaftsbündnis und koloniale Interessen:

    • Die Forschung hat herausgestellt, dass das ‚Freundschaftsbündnis‘ auf Kolonialismus und Imperialismusausgerichtet ist.

    • Hinter jeder Expedition stehen letztlich handelspolitische Absichten und kolonialistische Interessen.

  2. Valerie Weinsteins Sichtweise:

    • Weinstein bestätigt die Behauptung einer verlorenen Unschuld der Europäer:

      • In der Erzählung wird der sexualisierte Forschungstrieb der Naturforscher kompromittiert.

      • Das Begehren wird auf ein einzelnes Objekt übertragen, das der Leser als indigene Frau interpretieren soll.

    • Bekanntes:

      • Misogynie und rassistische Stereotype von Frauen und Eingeborenen werden fortgeführt.

  3. Hoffmanns Text und das Begehren:

    • Hoffmanns Text stellt das vermeintliche Begehren des Naturforschers in Frage:

      • „The text introduces a fantasy of precolonial contact as the site of heterosexual desire“.

  4. Axel Dunkers gegenteilige Schlussfolgerung:

    • Dunker sieht die Erzählung als harsche Kritik am Kolonialismus:

      • Die literarische Struktur zeigt die Unmöglichkeit, aus der imperialistischen Praxis auszusteigen.

      • Die Erzählung legt die kritischen Potenziale offen und verdeckt sie zugleich.

Zentrale Fragestellung:

  1. Präkoloniale Phantasien vs. Kolonialkritik:

    • Es bleibt die Frage offen, ob die Erzählung präkoloniale Phantasien oder Kolonialkritik befördert.

    • Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die Verarbeitung von negativ besetzten Stereotypen des Fremden.


Haimatochare - Negativ besetze Stereotype und deren Funktion

Etymologie und Symbolik von "Haimatochare"

  1. Bedeutung des Namens:

    • Der Name Haimatochare setzt sich aus den griechischen Wörtern αιμα (haima) (Blut) und χαίρω (chairô)(Freude) zusammen.

    • Bedeutet: „die, die Freude am Blut hat“.

  2. Gattungszuordnung und parasitärer Status:

    • Die Gattungsbezeichnungen „pediculus pubescens“ und „nirmus crassicornis“ deuten auf einen parasitären Status des Tiers hin.

    • Textstelle könnte lauten:

      • „heranwachsende Laus [...] lebt auf dem Menschen, bietet den Hottentotten und den Grönländern eine beliebte Nahrung; dickhörniger Parasit der Gattung Nirmus [...], der auf der Ente, der Gans und dem Huhn lebt“.

  3. Assoziationen und Satire:

    • Die Laus wird mit den Menschen verbunden, indem sie als Nahrungsmittel für Hottentotten und Grönländer dargestellt wird, die damals als unzivilisiert galten.

    • Dies greift den Südsee-Diskurs satirisch auf, indem er:

      • Hottentotten und Grönländer als Grenzfall des Zivilisierten (z.B. „ignoble savage“) markiert.

      • Negative Vorstellungen wie Feindseligkeit, Krieg und Kannibalismus hervorruft.

  4. Negative Stereotypen:

    • Lessing (1766) beschreibt Hottentotten als „schmutzig“ und nennt sie im Kontext von Kannibalismus.

    • Kant (1802) stellt fest, dass für den Grönländer „ein Glas Thran ein Nektar“ sei und dass sie von „keiner Verzärtelung des Geschmackes“ wüssten.

    • Diese Äußerungen zeigen, dass Hottentotten und Grönländer als kulturell unterlegen wahrgenommen wurden.

  5. Verbindung zu Hawaii:

    • Die Laus wird auf Hawaii gefunden und mit den Einheimischen in Verbindung gebracht.

    • Ekel soll beim Leser provoziert werden, indem angedeutet wird, dass die Hawaiianer ähnliche, befremdliche Sitten wie die Hottentotten pflegen.

  6. Karikatur der Einheimischen:

    • Am Ende der Erzählung wird das Verhalten der Einwohner von Ohau als so fremdartig dargestellt, dass es den Hottentotten Konkurrenz macht:

      • Eine groteske Trauerfeier, bei der die Laus in einem Pappsarg übergeben wird, und die Einheimischen singen abscheuliche Trauergesänge.

      • Die Königin Kahumanu fügt sich aus Trauer einen „großen Haifischzahn in den Hintern“ und leidet von der Wunde.

  7. Parallelisierung der Protagonisten:

    • Das Begehren der Naturforscher nach der Insulanerin wird durch ihren Konkurrenzkampf vereitelt und endet tödlich.

    • Die Königin wird von Menzies abgewiesen und verletzt sich, um ihre unerfüllte Liebe zu erinnern.

    • Wechselseitiges Begehren führt zu schädlichen affektiven Handlungen:

      • Die britischen Naturforscher bezahlen mit ihrem Leben.

      • Königin Kahumanu gefährdet ihre Gesundheit.

  8. Scheitern der kulturellen Begegnung:

    • Erwartungen werden desillusioniert: sowohl die Forscher als auch die Einheimischen erleiden Verluste durch ihre unerfüllten Begierden.


Haimatochare - Desillusionierung des Südsee-Stereotyps und Kolonialkritik

Aspekte der lateinischen Klassifikation von „nirmus crassicornis“

  1. Klassifikation der Filzlaus:

    • Der zweite Teil der Klassifikation „nirmus crassicornis“ beschreibt die Filzlaus als Parasit auf den Haustieren Ente, Gans und Huhn.

    • Diese Tiere waren vor dem Kontakt mit Europäern im Südpazifik noch nicht bekannt.

  2. Einführung durch Europäer:

    • Folgerung: Die Laus ist nicht endemisch, sondern wurde durch europäische Expeditionsschiffe ins fremde Land eingeführt.

    • Hinweis auf schädliche Beziehung: Der Text deutet an, dass der Kulturkontakt nicht nur Krankheiten (wie Syphilis) ins „Paradies“ brachte, sondern auch grundsätzlich schädliche Auswirkungen hatte.

  3. Wirkung auf Hawaiianer und Naturforscher:

    • Die Erzählung thematisiert nicht primär die negativen Auswirkungen auf die Hawaiianer, sondern wie die wissenschaftliche Unterwerfung der natürlichen Reichtümer auf die Naturforscher zurückschlägt.

    • Reflexiver Charakter des Begehrens: Das verderbliche Begehren der Naturforscher hat Folgen für sie selbst.

  4. Kritik an den Wissenschaftlern:

    • Kritik an Neid, Egoismus und Nachruhm: Die Erzählung übt implizit Kritik an den imperialistischen Tendenzen der beiden britischen Wissenschaftler.

    • Verstrickung von wissenschaftlichen und imperialistischen Interessen: Diese werden offenbart und desillusioniert.

  5. Eskapistische Wünsche und Abscheu:

    • Die Erzählung hält eskapistische Wünsche bis zum Tod der Naturforscher aufrecht.

    • Vorstellungen, die durch Abscheu geprägt sind, werden am Ende in ihrer Projektion entlarvt.

  6. Wechsel von Begehren zu Abscheu:

    • Der groteske Wechsel von der begehrten Insulanerin zur wenig begehrenswerten Filzlaus spielt auf beide Seiten des Südsee-Diskurses an: Begehren schlägt in Abscheu um.

    • Haimatochare: klingt exotisch und begehrenswert, entpuppt sich jedoch als ein Objekt, das negative Vorstellungen evoziert.

  7. Affektive Handlungen:

    • Das ungestillte Begehren führt auf beiden Seiten zu affektiven Handlungen, die letztendlich den Handelnden schaden.

  8. Ambivalenz des Südsee-Diskurses:

    • Haimatochare fasst die Ambivalenz des Südsee-Diskurses zusammen.

    • Die Laus fungiert als doppeldeutige Trope und ist eine Projektionsfläche für exotistische sowie perhorreszierende Vorstellungen.

    • Der doppelte Illusionscharakter wird durch satirisch-groteske Überzeichnung offenbart.

  9. Desillusionierung präkolonialer Phantasien:

    • Wenn die Erzählung präkoloniale Phantasien transportiert, werden diese gründlich desillusioniert.


Author

Adele G.

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