1. Bedeutung pädagogischer Beziehungen
Zahlreiche Befunde zu Zusammenhang zwischen positiven Beziehungen und Lernerfolg im motivationalen, sozialen und kognitiven Bereich (Allen et al. 2006; Hattie, 2009; Roorda et al., 2011; Witt et al., 2004)
• Beispiele:
• kognitive Prozesse sind effektiver (Ahnert et al., 2013)
• vorhandenes Leistungspotential kann effizient ausgenutzt werden (Harwardt-Heinecke et
al., 2014)
• Konflikte hemmen die Anstrengungsbereitschaft und wirken sich negativ auf schulische Leistungen aus (Harwardt-Heinecke et al., 2014)
• Positive Beziehungen führen zu prosozialerem Verhalten und weniger aggressivem Verhalten (Pianta & Stuhlman, 2004)
• Kinder, die nahe Beziehungen eingehen können,
• haben ein positiveres Selbstkonzept (Yamaguchi, 2004)
• können Stress besser regulieren (Ahnert et al., 2012)
• Beziehungsqualität geht mit schulischem Wohlbefinden
1. Bedeutung pädagogischer
Beziehungen
• Neurobiologische Grundlage (Hüther, 2004)
• Erfahrungen, die in Beziehungen mit anderen Menschen
gesammelt werden, prägen unser Gehirn am stärksten in
Form komplexer neuronaler Verknüpfungen und
synaptischer Verschaltungen
• soziale Beziehungen formen und strukturieren das
menschliche Gehirn
• frühe Bindungserfahrungen bestimmen mit, „wie und
wofür ein Kind sein Gehirn benutzt“, d.h. wie es lernt
(Hüther, 2004, S. 489)
1. Bedeutung pädagogischer beziehungen
• Gute pädagogische Beziehung gilt als Grundlage für Bildung
und Erziehung (Wettstein & Scherzinger, 2020; Pianta et al., 2003)
• Eine der wichtigsten Eigenschaften einer guten Lehrperson
aus Sicht von Lernenden: Fähigkeit, fürsorgliche
Beziehungen aufzubauen (Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006)
• Wird durch gesellschaftliche Entwicklungen weiter an
Bedeutung gewinnen (Tippelt, 2013)
• Bedeutung pädagogischer Beziehungen für Lehrer:innen
(Scherzinger & Wettstein, 2020; Thies, 2017):
• Lehrberuf ist in besonderem Maße mit psychischen
Belastungen und daraus resultierendem vorgezogenem
Ruhestand verbunden
• Pädagogische Beziehungen:
• hängen eng mit der Lehrer:innenbelastung zusammen
• spielen entscheidende Rolle für Bewertung der beruflichen
Zufriedenheit
• zentraler Faktor für psychische Gesundheit von Lehrkräften,
Engagement, Emotionen
• Umgekehrt beeinflusst Gesundheit bzw. Belastung der
Lehrkraft die pädagogische Beziehung
Aber:
• Prengel (2013): durchschnittlich
vermutlich ein Viertel der Interaktionen
von Lehr- und Fachkräften mit Kindern
und Jugendlichen in Kitas und Schulen
sind als verletzend zu charakterisieren
• In einigen Bundesstaaten der USA wird
die Prügelstrafe durch Lehrkräfte
wieder eingeführt
2. Besonderheiten
pädagogischer Beziehungen
• Rechtlich geregelt
• Rollenerwartungen
• Mangelnde Freiwilligkeit
• Zeitliche Begrenzung, Regelmäßigkeit vorgegeben
• Grundsätzlich austauschbar in der Rolle
• Weniger persönliches und biographisches Wissen
vorhanden
• Asymmetrie (siehe Funktionen von Schule)
• Klassenöffentlichkeit
3. Begriffsbestimmung
Pädagogische Beziehung
Pädagogische Beziehung „bezeichnet eine Arbeitsbeziehung zwischen
pädagogisch tätigen Erwachsenen und den Kindern beziehungsweise
Jugendlichen […], die sie betreuen, unterrichten, erziehen, beraten
[…] Einzelne Interaktionen sind die Elemente, aus denen sich
pädagogische Beziehungen formieren“ (Prengel, 2013, S.19)
• Das bedeutet:
1. Pädagogische Beziehungen sind zielgerichtet
2. Differenzierung zwischen „pädagogischer Beziehung“ und „Interaktionen“
• Arbeitsbeziehung ist darauf ausgerichtet, „lern- und leistungsförderliche
[…] Schulumgebungen“ zu gewährleisten (Hascher, 2004, S. 7)
• Bildungs- und Erziehungsauftrag
• Gesellschaftliche Funktionen von Schule:
1. Schüler*innen sollen Normen und Werte der Gesellschaft übernehmen
(Integrations- bzw. Legitimationsfunktion)
Qualifikation für das Berufsleben (Qualifikationsfunktion)
Befähigung zur kulturellen Teilhabe (Enkulturationsfunktion)
Berechtigungen für das Voranschreiten im Bildungssystem (Selektionsfunktion)
Berechtigung zu bestimmten beruflichen und gesellschaftlichen Positionen
(Allokationsfunktion)
2. Differenzierung zwischen Beziehungen und Interaktionen
• Soziale Interaktionen: Verhaltensketten im Rahmen einer Dyade
• Verhalten einer Person zieht Reaktion der anderen Person nach sich, auf die
wiederum eine Reaktion der ersten erfolgen kann etc.
• Interaktionsmuster, das spezifisch für diese Dyade ist
• Grundlage für kognitive Repräsentationen der Beziehung, die auch mit
Emotionen und Erwartungen an die Beziehung und die Beteiligten verbunden
sind (Beziehungsschemata)
• Beziehung ist durch „regelmäßige soziale Interaktion über eine
bestimmte Zeitspanne hinweg und mit der Erwartung einer gewissen
Beständigkeit“ gekennzeichnet (Argyle & Henderson, 1986, S. 12)
4. Pädagogische Beziehungen
als Rollenbeziehungen
• Pädagogische Beziehungen sind (zielgerichtete)
Rollenbeziehungen
• Traditionelle rollentheoretische Sicht (Fend, 2006):
• Lehrperson als Umsetzerin der Funktionen von Schule
• Ermöglicht Reproduktion der Gesellschaft, Erhaltung
ihrer Werte
• Maßnahmen der Sanktionierung zum Durchsetzen
• Rolle der Schüler*in komplementär, fügt sich den
Maßstäben der Lehrperson
• Aktuelle interaktionistische Sicht:
• Beziehungen werden von den Interagierenden
gemeinsam konstruiert
• Rollenbeziehung unterliegt Aushandlungs- und
Interpretationsprozessen
• Handeln der Lehrkraft basiert auf professionellem
Selbstverständnis
• Schüler*innen (insb. jüngere) sind primär durch ihre
spezifischen situativen Bedürfnisse gesteuert
• Viele verschiedene Forschungsansätze haben sich mit
pädagogischen Beziehungen beschäftigt
• Heute:
• Transaktionales Modell
• Vertrauenstheorie
5. Transaktionales Modell
• Geht auf Nickel (1976) zurück, wurde von verschiedenen
Autor*innen aufgegriffen
• Grundgedanke:
• Unterrichtswirklichkeit ist nicht objektiv gegeben,
sie ist Ergebnis subjektiver und sozialer Konstruktion
• Beteiligte haben unterschiedliche kognitive Schemata,
die mit Handlungsskripten („individuellen
Drehbüchern“) verknüpft sind
• Was wir wahrnehmen, lenkt unser Denken, Fühlen und
Handeln
• Bitte diskutieren Sie zu zweit über die folgenden beiden Beispiele (ca.
1. 2. 5 Minuten)
Stellen Sie sich vor, Sie geben als Lehrkraft eine Klassenarbeit
zurück:
• Welche Gefühle antizipieren Sie bei den Lernenden?
• Wie würden Sie sich selbst dabei fühlen?
• Wie würden Sie sich jeweils verhalten?
Stellen Sie sich vor, während Ihres Unterrichts treten
Nebengesprächen auf:
• Wie würden Sie sie als Lehrkraft interpretieren?
• Wie würden Sie jeweils handeln?
• Inwiefern beeinflussen Informationsverarbeitungsmuster und damit
verbundene Handlungsmuster die Beziehungsqualität?
• Beispiele (siehe Thies, 2014):
• Höherer Anteil an afro-amerikanischen Schüler*innen führt zu geringeren Erwartungen und weniger Verantwortungsgefühl von Lehrkräften in USA
• Schüler*innen erleben divergente Beziehungsqualitäten zu Lehrperson in Abhängigkeit von Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit; auch Einfluss auf Mathematikleistung nachgewiesen
• Mädchen gelingt es signifikant leichter, Vertrauen der Lehrkraft zu gewinnen. Der Wunsch nach vertrauensvoller Beziehung ist aber bei beiden Geschlechtern gleich
• Mädchen berichten von besserer Beziehungsqualität, Jungen von mehr Aufmerksamkeit durch unerwünschtes Verhalten
• Eigene Studien: Mädchen nehmen mehr soziale Eingebundenheit wahr und fühlen sich stärker unterstützt als Jungen
• Solche Befunde sind nicht durch intendiertes Lehrkrafthandeln zu erklären,
sondern durch Handlungsmuster, die nicht bewusst ablaufen.
Bekanntestes Beispiel zur Wirkung von Erwartungen: Pygmalion-
Effekt (Rosenthal & Jacobson, 1965)
• Harris & Rosenthal (2005):
• Lehrkräfte realisieren in Abhängigkeit ihrer
Leistungserwartungen unterschiedliche
Handlungsstrategien
• Schüler*innen, an die hohe Leistungserwartungen
geknüpft sind, erleben verstärkt emotionale Wärme,
erhalten mehr Input (z.B. Materialien), vermehrt die
Gelegenheit, sich zu äußern und mehr differenziertes
Feedback
• Interaktionen zwischen Lehrkraft und Lernenden
finden in einem spezifischen soziokulturellen
Bezugsrahmen statt, der geprägt ist durch
• soziale Lernvergangenheit
• gegenwärtige soziale Beziehungen und Erfahrungen
• objektivierte Einflüsse (z.B. Lehrplan,
„Massenmedien“)
• Kognitive Strukturen i.S.v. Einstellungen
• beinhalten, wie man sich in bestimmten Situationen
z.B. als Lehrkraft zu verhalten hat
• prägen das eigene Verhalten und die Wahrnehmung
des Verhaltens der Interaktionspartner*innen
Grundlagen des Modells:
• gleichzeitige Berücksichtigung personaler und situativer
Faktoren
• Beziehung wird in Interaktionen gemeinsam konstruiert
• Handlungen von Lernenden und Lehrenden beeinflussen
sich gegenseitig
6. Vertrauen als zentrale Grundlage
vertrauen gilt als…
empirische befunde
• Vertrauen gilt als Grundlage gelungener
(pädagogischer) Beziehungen
• Empirische Befunde: Positive Effekte auf …
• subjektive Leistungsfähigkeit
• Motivation
• Interesse
• Reduktion von Angst
6. Vertrauen als zentrale
Grundlage
was ist vertrauen
beispiel
• Was ist Vertrauen?
• wesentlicher Mechanismus zur Reduktion von Komplexität
• Befriedigung von Kontroll- und Sicherheitsbedürfnissen
• dadurch ist weniger kontrollierendes Verhalten notwendig
• Beispiel:
• Vertrauen der Lehrkraft in die
Eigenverantwortung der Schüler*innen
• Verzicht auf Hausaufgabenkontrolle
• Stattdessen: peer-feedback
• dadurch Stärkung des Gruppengefühls,
der Selbstregulation etc.
• Lehrkräfte und Schüler*innen verfügen über implizite Vertrauenstheorie:
• • Lehrkräfte und Schüler*innen verfügen über implizite Vertrauenstheorie:
normative Erwartungen, die die Information filtern und damit Einfluss auf
Handlungsalternativen haben
• Vertrauensrelevante Erwartungen der Schüler*innen beziehen sich auf:
• Fachliche Kompetenz
• respektvollen Umgang
• Aufrichtigkeit
• Zugänglichkeit
• persönliche Zuwendung
• Lehrkräfte sehen sich unterschiedlichen Erwartungssystemen gegenüber
• Es sollte
• Es sollte Vertrauenskonkordanz ermöglicht werden:
• Übereinstimmung zwischen vertrauensrelevanten Erwartungen und
(wahrgenommener) Unterrichtsrealität
• Setzt progressive Vertrauenskreisläufe in Gang
7. Implikationen für Unterricht
Verhaltensweisen der Lehrkraft, die dazu führen, dass Schüler*innen
Vertrauen entgegen bringen (Thies, 2014):
1. Vertrauensvorleistung der Lehrkraft als ranghöhere Person in der
asymmetrischen Beziehung:
• Vertrauensvolle Erwartungen, um Vertrauensentwicklung in Gang zu bringen (z.B. Partizipation, Übertragung von Verantwortung, schrittweiser Verzicht auf
Kontrolle)
• Schüler*innen schreiben einer solchen Lehrkraft prosoziale Motive und
Gerechtigkeit zu
• Idealfall: Schüler*innen können die dem Vertrauen immanente
Reziprozitätsnorm erfüllen, indem sie zeigen, dass sie das Vertrauen nicht
missbrauchen
2. Vertrauensförderndes Interaktionsverhalten:
• ernst nehmen der Schüler*innen, freundliches Verhalten, Versprechen
einhalten, Gefühl vermitteln, dass man sich auf die Lehrkraft verlassen kann
3. Vertrauensförderliches Lehrverhalten:
• Fehler zugeben, gerechte Benotung/Beurteilung, Wunsch, den Schüler*innen
wirklich etwas beibringen zu wollen
4. Signalisieren von Sicherheit:
• Ehrlichkeit, Angstfreiheit, Schaffen einer Atmosphäre, in der Schüler*innen
nicht bloßgestellt werden
Zusammenfassung
• Pädagogische Beziehungen haben große Relevanz für
Lehr-Lernprozess
• Beziehungen in der Schule weisen einige
Besonderheiten auf
• Interaktionen und Beziehungen sollten jedoch auch
unter transaktionaler Perspektive betrachtet werden
• Erwartungen und Einstellungen bestimmen die
Wahrnehmungen und damit unser Verhalten
• Vertrauen stellt zentrale Grundlage für pädagogische
Beziehungen dar
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