▪ AGENDA Systemische Therapie
Merkmale der Systemischen Therapie
▪ Historischer und theoretischer Hintergrund
▪ Systeme und ihre Funktionen
▪ Indikation und Kontraindikation
▪ Diagnostik
▪ Interventionen in der Systemischen Therapie
▪ Empirischer Stand
Fokus:
▪ sozialer Kontext psychischer Störungen
▪ nicht Patient*in (Indexperson IP) ist krank, sondern Interaktionen mit
Mitgliedern des Bezugssystems (Familie, Freunde, Arbeitskollegen,
usw.) und Beziehungsstrukturen innerhalb des Systems sind fehlerhaft
→ verursacht Symptome
▪ Patient*in ist „Symptomträger“, Symptom als positiver Lösungsversuch
▪ Analyse von Allianzen oft von Bedeutung
Ziel:
➢ Veränderung der Interaktions- und Kommunikationsstruktur
Theoretische Grundlagen der systemischen Therapie
▪ „systemische Therapie“ als Sammelbegriff unterschiedlicher theoretischer
Interventionsansätze denen die Fokussierung auf die Wechselbeziehungen innerhalb
(familiärer) Systeme gemein ist
▪ Die einzelnen Teile des Systems stehen in ständiger Interaktion und werden im
Gleichgewicht gehalten (Homöostase)
▪ Das Verhalten des Einzelnen ist stets Ursache als auch Wirkung (Zirkularität)
▪ Ein System gilt als gesund, wenn die Subsysteme ihre Funktion erfüllen
Historischer und theoretischer Hintergrund der systemischen Therapie
Historischer Hintergrund:
▪ Entwicklung aus unterschiedlichen Ansätzen, u.a. aus der frühen
Familientherapie der 1950er-Jahre in den USA
▪ Virginia Satir gilt als „Mutter der Familientherapie“
→ Entwicklung verschiedener Techniken z.B. Familienskulptur
▪ Salvador Minuchin gründete die „strukturelle Familientherapie“
→ verdeutlichen von Subsystemen u. Allianzen z.B. „family map“
▪ Jay Haley gründet die „strategische Familientherapie“
→ kurze handlungsorientierte Interventionen z.B. „ordeals“
▪ Paartherapie spezielle Unterform der Familientherapie
Verschiedene Foki der Systemischen Therapie
Klassische Systemische Ansätze:
Strukturelle Familientherapie:
Fokus auf den Beziehungen und Grenzen
innerhalb und zwischen den Subsystemen
der Eltern und der Kinder
Strategische Familientherapie:
Fokus auf Durchbrechen von
dysfunktionalen Problemlösestrategien der
Familie
Andere Schulen
Psychodynamische Sicht
Fokus auf unbewusste über Generationen
hinweg weitergegebene Vermächtnisse und
Delegationen, die sich auf die aktuellen
Interaktionen und gegenseitigen Erwartungen
der Familienmitglieder auswirken
Humanistisch-psychologische Sicht
Fokus auf Aktivierung von in der Familie
innewohnenden Selbstheilungskräften
Systemische Therapie
Systeme und ihre Funktionen
Zentrale Funktionen familiärer Systeme
▪ Alltagsbewältigung und Aufgabenerfüllung
▪ Intimität d.h. Nähe und Bindung zwischen den einzelnen Mitgliedern des Systems
▪ Entwicklung des Einzelnen bei Aufrechterhaltung des Ganzen d.h. angemessenes Verhältnis
zwischen Gemeinsamkeit/ Miteinander und Individualität
▪ Emotionalität d.h. Umgang mit emotionalen Prozessen als wichtiger Aspekt des Erlebens
und Verhaltens
▪ Rollenverhalten
▪ Kohäsion d.h. Zusammenhalt und Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder
▪ Kommunikation
▪ Orientierung und Kontrolle z.B. durch klare Grenzen und Regeln innerhalb des Systems
Drei funktionale Familiensysteme (Subsysteme)
Systemisches Störungsverständnis
▪ Konzept der System-Umwelt-Grenzen
▪ Welche Grenzen hat das System nach außen?
▪ Überprüfung der Grenzen und ihre Angemessenheit in der
Therapie
▪ Partner oder Familie stellen häufig den Bezugsrahmen dar,
weshalb die systemische Therapie oft in Familien-/Paarsetting
angewendet wird
▪ Allerdings ist auch Einbezug anderer Bezugssysteme denkbar
z.B. berufliches Umfeld
▪ Auch eine systemische Einzeltherapie ist möglich -> Verhalten
und Denken der Anderen ist dabei hypothetisch, bzw. kann
indirekt erfragt werden
Kriterien zur Einschätzung von Systemen
Bedeutung von Symptomen in der
systemischen Therapie
SYMPTOME - IHRE BEDEUTUNGUNEN:
neffektive Lösung eines Problems
verschafft Macht
Als schutzfunktion
symbolischer hinweis auf andere familienprobleme
Indikation und Kontraindikation
(=Indikatoren (lat. indicare, „anzeigen“) sind allgemein Hilfsmittel, die gewisse Informationen anzeigen sollen. Sie gestatten die Feststellung von Zuständen und die Verfolgung von Abläufen, indem sie das Erreichen oder Verlassen bestimmter Zustände anzeigen.)
(=Unter einer Kontraindikation (Gegenanzeige) versteht man in der Medizin ein Kriterium oder einen Umstand (beispielsweise Schwangerschaft oder eine bestimmte Krankheit), die eine – an sich angezeigte – diagnostische oder therapeutische Maßnahme verbieten.)
Indikationen:
▪ Problematik im interpersonellen
Bereich, d.h. wenn das System
relevant für die Entwicklung und
Aufrechterhaltung der Störung ist
▪ Einbezug relevanter Personen;
Voraussetzung: Systemmitglieder
sollten motiviert werden können das
Problem als gemeinsames anzusehen
und umzuformulieren
Kontraindikationen
▪ klar abzugrenzender intrapsychischer
Konflikt
▪ ggf. wenn das System nicht bereit ist
teilzunehmen
▪ wenn Offenheit später mit Gewalt,
Missbrauch oder Repressionen
beantwortet wird
▪ Diagnostik und Therapie
▪ Keine strikte Trennung zwischen Explorations- und
Interventionsphase
▪ Diagnostische Methoden (z.B. zirkuläres Fragen,
Familienskulptur) haben häufig schon therapeutische Wirkung
▪ Verschiedene standardisierte und psychometrisch evaluierte
Verfahren zur Diagnostik
− Standardisierte Beobachtungsverfahren
− Familienidentifikations-Test (FIT; Remschmidt & Mattejat, 1999)
− Symbolisch-methaphorische Verfahren (Genogramm,
Familienskulptur)
− Familien-Systemtest (FAST; Gehring, 2004)
Bennen sie ein Testverfahren in der systemischen therapie
Beispiel: Familiensystemtest (FAST)
▪ Ziel: Quantitative und qualitative Erfassung individueller u.
gemeinsamer Wahrnehmungen von Beziehungsstrukturen in Familien
in unterschiedlichen Situationen
▪ Grundannahme: Gesunde Familiensysteme besitzen eine balancierte
Beziehungsstruktur i.S.v. Kohäsion und ausgewogener Hierarchie,
klare Generationengrenzen und eine flexible Organisation
▪ Methoden: Fragebogen, Interaktionsbeobachtung, Figurentechniken
▪ Varianten: Einzeltest mit einem oder mit mehreren
Familienmitgliedern, Gruppentest Gesamtsystem oder einzelnen
Subsystemen, kombiniert
▪ Erhebung der Typischen, der Idealen und der Konflikt-Repräsentation
ablauf:
▪ Erhebung familienanemnestischer
Daten
▪ Testinstruktion
▪ Durchführung des Tests mit
Beobachtung des Testverhaltens
▪ Protokollierung der
Familienrepräsentationen
▪ Nachbefragung
▪ Auswertung
Therapeutische Haltung
▪ Respektvolle Allparteilichkeit gegenüber allen
beteiligten Personen (Systemmitglieder)
▪ Ressourcenorientiert (z.B. funktionale Beziehungen,
Kompromissfähigkeit, Zugehörigkeitsgefühl, usw.)
Praxis der Systemischen Therapie
▪ Sitzungsfrequenz sehr variabel (~ ein- bis zwei Mal pro Woche bis zu alle 6 Wochen)
▪ Therapiesitzung als Anstoß zur Änderung im Erleben und Verhalten, konkrete
Änderungen im alltäglichns Umfeld
▪ Eingangsphase:
▪ Joining: Herstellung von Sicherheit und Abbau von Angst, Scham und Vorurteilen
▪ Reframing: Umdefinieren der subjektiven starren Wirklichkeiten, Muster durch
neue Sichtweisen unterbrechen
Interventionen in der Systemischen Therapie
▪ Lösungsorientierte Methoden
▪ Zirkuläre Methoden und paradoxe Interventionen
▪ Strukturelle und strategische Methoden
▪ Symbolisch-metaphorische Methoden
▪ Narrative und dialogische Methoden
Lösungsorientierte Methoden
▪ Steve De Shazer 1970er-Jahre
▪ Grundannahme: Sprechen über das
Problem bringt wieder neue Probleme
hervor
▪ Fokus: Lösungsprozess und nicht
Problem
➢ Ziel: Entwicklung neuer Perspektiven
➢ Interventionen durch spezifische
Fragetechniken
beispiel lösungsorientierte fragetechnik:
Angenommen, während du
schläfst geschieht ein Wunder
und dein Problem ist gelöst.
Woran würdest du es als erstes
merken?
▪ Mailänder Gruppe (Selvini-Palazzoli, Boscolo, Cecchin und Prata) 1970er-Jahre
▪ Zirkuläre Fragen:
▪ Kein direktes Erfragen, sondern über Dritte
▪ Beziehungen und Sichtweisen der Personen übereinander sollen erfasst werden bsp: Sigmund, was
glaubst du, was es für deine Frau Martha bedeutet, dass du
schweigst?
▪ Paradoxe Interventionen:
▪ Kreative Interventionsstrategien, die gegen die Erwartungen verstoßen und damit ein
Überraschungspotenzial haben
▪ Reframing (Umdeutung)
▪ Relabeling (Umettikettierung)
▪ Symptomverschreibung
▪ Weitere z.B. Advocatus diaboli, Eingeständnis der endgültigen Hoffnungslosigkeit
Strukturelle und strategische Methoden
▪ Salavador Minuchin 1960er-Jahre, Jay Haley 1970er-Jahre
▪ Ziele:
▪ Etablierung von angemessenen Grenzen innerhalb der Familie
▪ Stärkung des elterlichen Subsystems
▪ Methoden:
▪ Verschreibungen z.B. gemeinsame Unternehmungen,
Zimmertüren verschließen, Zweisamkeit
▪ Paradoxe Interventionen z.B. „Ordeals“
Leseprobe mit Beispiel
Symbolisch-metaphorische Methoden
▪ Ziel: symbolisch-visuelle Darstellung der Vorstellungen über das familiäre System
▪ Genogramm
▪ Familienskulptur
▪ Systemische Aufstellung
Genogramm:
▪ Grafische Darstellung der Familienstruktur
▪ Bestimmte Symbole liefern „harte Fakten“ z.B.
Namen, Daten, Art der Beziehung und „weiche
Informationen“ z.B. Qualität der Beziehung,
Glaubenssätze, Streitthemen
▪ Übersicht von komplexen Informationen über
Familiensysteme, durch parallele Erzählungen
weitere Hintergründe erfahren
Familienskulptur:
▪ Beziehungen und Verhalten von
Familienmitgliedern zueinander werden
symbolisch dargestellt
▪ Ziel: Systemisches Verständnis über sich
selbst und die Beziehungen zu anderen
entwickeln
▪ Aufstellung z.B. gemäß emotionaler
Bindung oder Stellung in Familie
▪ Definition der Personen, Charakterisierung
z.B. zentrale Eigenschaften
▪ Weitere Bearbeitung, z.B.
▪ Typische Aussagen zur Indexperson
▪ Emotionales Befinden in der
jeweiligen Rolle
▪ Unausgesprochenes aussprechen
lassen
▪ Personen umstellen
Systemische Aufstellung:
▪ Weiterentwicklung der Familienskulptur
▪ Aufstellung ohne die wirklichen Angehörigen, sondern
Gruppenmitglieder werden als Stellvertreter
herangezogen
▪ Relevant: Abstand und der Winkel der aufgestellten
Personen
Differenzieren von „unseriösen“ Familienaufstellungen
Narrative und dialogische Methoden
▪ Grundannahme: nicht das Erlebte sondern
die Versprachlichung wird geteilt
▪ Paul Watzlawick:
▪ über die Sprache werden subjektive
Annahmen über Ursache-Wirkungs-
Beziehungen erkennbar
▪ diese Annahmen haben Einfluss auf die
Beziehungswahrnehmung und -
gestaltung
Kommunikationstraining:
▪ Kommunikationsfertigkeit wird
trainiert, typische Fehler werden
aufgedeckt und behoben
▪ Mehr/bessere Verständigung,
zielorientierte Diskussionen,
konstruktive Gespräche
▪ Rückgriff auf Modelle z.B. Vier-
Ohren-Modell
Reflecting Team:
▪ In Anwesenheit der Patient*innen
reflektieren mehrere Therapeut*innen
über die von ihnen vorher beobachtete
therapeutische Sitzung
▪ Anschließend sprechen die
Patient*innen mit dem*r eigentlichen
Therapeut*in über die Beobachtungen
des Reflecting Teams
Empirischer Stand
2008 wissenschaftliche und berufsrechtliche Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat
Psychotherapie
▪ Wirksamkeit für folgende Störungen im Erwachsenenalter nachgewiesen:
▪ Affektive Störungen
▪ Essstörungen
▪ Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten
▪ Abhängigkeit und Missbrauch
▪ Schizophrenie und wahnhafte Störungen
➢ Anerkennung als Psychotherapieverfahren
➢ Vertiefungsverfahren in der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten und zum
Kinder- und Jugendtherapeuten
Neuer Status als Richtlinienverfahren
▪ 22.11.2018: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)
entscheidet, dass Systemische Therapie für Erwachsene zukünftig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird.
▪ Seit 01.07.2020 ist die Systemische Therapie für Erwachsene Richtlinienverfahren.
▪ 18.01.2024: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nimmt die Systemische Therapie auch
als Leistung bei Kindern und Jugendlichen in die Psychotherapie-Richtlinie auf. Dieser Beschluss
trat am 12.04.2024 in Kraft.
„Der erreichte Status als Richtlinienverfahren bedeutet neben dem Vorteil der Integration in
die bestehenden Versorgungsstrukturen des Gesundheitssystems auch eine gewisse
Unterwerfung unter ein medizinisches Störungs- und Wissenschaftsverständnis, welches
dem systemischen Denken diametral entgegensteht“ Helle (2019)
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