Definition von psychischen Störungen im Kindes- und
Jugendalter (Steinhausen, 2002)
▪ Wenn das Verhalten und/oder Erleben eines Kindes oder
Jugendlichen unter Berücksichtigung verschiedener
Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Erwartungen der
Gesellschaft, Art und Ausmaß der Auffälligkeiten)
abnormal ist und/oder
▪ zu einer Beeinträchtigung führt (z.B. durch persönliches
Leiden, soziale Einengung, Behinderung der Entwicklung,
Auswirkungen auf Dritte).
➢ Bedeutung sozialer Normen und kultureller Aspekte.
Was ist zu beachten bei psychischen Störungen im Kindes und Jugendalter?
Entwicklungsprozesse: Im Verlauf von normaler kindlicher Entwicklung können
diverse pathologische Symptome auftreten z.B. Trotz, Angst vor Gespenstern, etc.
▪ erst dann problematisch, wenn dauerhaft und über entsprechendes Entwicklungsalter hinaus bestehend
Normative Entwicklungsübergänge
▪ Können Entwicklung psychischer Störungen begünstigen z.B. Einschulung, Wechsel auf weiterführende Schule, Pubertät, etc.
Entwicklungsstörungen
▪ Können zusätzlich auf psychische Symptomatik wirken z.B. LRS, motorische Entwicklungsverzögerung
—>!!!Entwicklungs-
psychologisches
Wissen
wesentlich!
Psychische Störungen mit Beginn im Kleinkindalter, in
der Kindheit oder Adoleszenz
nach ICD-10 und DSM-5
Intelligenzniveau und Entwicklungsstörungen, Beginn
ebenfalls in der Kindheit
Nach ICD-10 und DSM-5
Epidemiologie
BELLA-Studie (BEfragung zum seeLischen WohLbefinden und
VerhAlten)
▪ repräsentative bundesweite Befragung zur psychischen
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (Daten 2014-2017)
▪ Teil einer umfassenderen Studie des RKI zur körperlichen und
psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
▪ Befragung von ca. 2800 Kindern und Jugendlichen von 7-17
Jahre und deren Eltern
▪ 14,5% erfüllen die Kriterien für mind. eine spezifische
psychische Auffälligkeit
Prävalenz der vier häufigsten psychischen Störungen im
Kindes- und Jugendalter
SSV=Störungen des Sozialverhaltens
Veränderungen im Kontext der COVID-19 Pandemie:
Vergleich BELLA und COPSY-Studie
Veränderungen im Kontext der COVID-19 Pandemie
Fortbestehen v.a. psychosomatischer Beschwerden
Zwischenfazit
Was nehmen Sie aus dem bisherigen Theorieinput mit?
➢ (Fast) alle psychischen Erkrankungen des Erwachsenenalters können auch im Kinder- und Jugendalter
auftreten, teils etwas andere Symptome z.B. bei der Depression
➢ Einige spezifische Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters (ICD Kapitel F9x) z.B. ADHS, Störung
des Sozialverhaltens, aber auch Bindungsstörungen oder Enuresis
➢ Zudem oft Belastungen durch Teilleistungsstörungen oder Entwicklungsstörungen wie z.B. Autismus
➢ Kinder und Jugendliche sind ähnlich häufig psychisch krank wie Erwachsene
➢ Kinder sind eine besonders vulnerable und damit auch schutzbedürftige Gruppe
➢ In der jüngeren Vergangenheit und auch aktuell besteht eine Vielzahl von Belastungen, welche die
Häufigkeit psychischer Erkrankungen Im Kinder- und Jugendalter erhöhen
Beginn psychischer Störungen
▪ Psychische Störungen im Kindesalter
stehen oft am Anfang von negativen
Entwicklungskaskaden und behindern
das Kind, wichtige
Entwicklungsaufgaben und
Kompetenzen in den dafür
vorgesehenen sensitiven
Entwicklungsfenstern zu meistern
➢ Kinder- u. Jugendpsychotherapeutische
Unterstützung ist wichtig!
Rechtlicher Rahmen: Definition
„Kinder- u. Jugendlichenpsychotherapeutin“
Besonderheiten des therapeutischen Arbeitens mit
Kindern und Jugendlichen
▪ Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess zur Beeinflussung von
Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die behandlungsbedürftig sind
➢ häufig unterschiedliche Sicht auf Behandlungsbedürftigkeit und Therapiemotivation
▪ mit psychologischen Mitteln
➢ größere Vielfalt an altersadäquaten Materialien nötig
▪ in Richtung auf ein definiertes, gemeinsam erarbeitetes Ziel
➢ Ggf. unterschiedliche Ziele/ Gefahr der Instrumentalisierung
▪ mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie von normalem / pathologischem Verhalten
➢ größere Vielfalt an altersadäquaten Techniken nötig
▪ In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig
➢ Eintauchen in die spezifische Erlebenswelt
Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitässtörung)
AWMF-S3 Leitlinie (2017) - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
▪ Elterntrainings: Psychoedukation, Anleitung zu liebevollen, aber konsequenten Erziehungsverhalten, je jünger das Kind, desto relevanter, z.B. THOP; auch für ErzieherInnen u. LehrerInnen
▪ Kindzentrierte Interventionen: Verbesserung von Spiel- und
Beschäftigungsintensität und –ausdauer, Einübung von
Handlungsabläufen z.B. Marburger Konzentrationstraining (MKT)
▪ Pharmakotherapie: indiziert bei ausgeprägter Symptomatik z.B.
Methylphenidat, Handelsname: Ritalin, Medikinet
Gutes Buch: THOP - Elternprogramm - Arveitsbuch für Eltern - von Kinnen , Halder, Döpfner.
Oppositionelles Trotzverhalten und Störungen des Sozialverhaltens
AWMF-S3 Leitlinie (2016)
▪ Elterntrainings: Einüben neuer Erziehungskompetenzen,
regelmäßige Rückmeldung, soziales Lernen in Gruppe oder
Einzelsetting, Positive Parenting Program (Tripl P©, Sanders,
2012)
▪ Kindzentrierte Interventionen: Soziale Kompetenz- und
Problemlösetrainings
▪ Multimodale Interventionen: neben Individualtherapie des
Kindes Einbezug der Familie und des gesamten Lebensumfeldes
(z.B. Gleichaltrige, Schule)
Gutes Buch: Glückliche Familien. Strake Beziehungen. Kompetente Kinder. Das alles beginnt hier.
Depression NICE-Leitlinien (2019) - National Institute for Health and Care Excellence (GB)
▪ Kindesalter:
▪ Familienbasierte IPT, Systemische Therapie, psychodynamische PT
oder KVT
▪ Wissenschaftliche Fundierung der Interventionen schwach
▪ Jugendalter:
▪ KVT, alternativ IPT, Systemische Therapie, Psychoedukation mit Verhaltensaktivierung/ Alltagsstrukturierung, psychodynamische PT, Medikamentöse Therapie
▪ Ergänzende Maßnahmen: regelmäßige Sportaktivitäten,
Psychoedukation zur Schlafhygiene und ausgewogener Ernährung
gutes buch: Trainingsprogramm zur Prävention von Depressionen bei Jugendlichen. Hogrefe
Angststörungen
Keine AWMF-Leitlinie, Empfehlungen basierend auf Meta-Analysen (Schwartz et al., 2019; Thulin et al., 2014; Weisz et al., 2017)
▪ KVT (inkl. Konfrontation) bei Trennungsangst, spezifischen Phobien, soziale Angststörung und GAS
▪ Bei erfolgloser KVT: ACT, psychodynamische Kurzzeittherapie,
medikamentöse Behandlung
Gutes Buch: Kognitive Verhaltenstherapie bei Ängsten im Kindes und Jugendalter. Hogrefe
Videobeispiel zu einer typischen Situation in der
Kinderpsychotherapie
▪ Grundlage: Lehrfilmreihe Handwerk der Psychotherapie (2018).
Staffel 4: Interventionen und Methoden der Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie, DVD 13, Film 1:
Trennungsängstliches Kind spricht nicht mit Therapeutin, DGVT-
Verlag.
▪ Ablauf: Verfolgen Sie das Video. Es wird die Anfangssituation
der 2. Psychotherapiestunde mit einem trennungsängstlichen
Mädchen gezeigt.
▪ Fragestellung: Was ist das Ziel der Interventionen? Was würde
Sie als TherapeutIn herausfordern? Worin sehen Sie hier
deutliche Unterschiede zum Arbeiten mit Erwachsenen?
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung:
▪ Wissensstand der Evidenzbasierung
psychotherapeutischer Verfahren und
Methoden weit hinter dem
Wissensstand im Erwachsenenalter
▪ Heterogene Patientengruppen u.a. da
Umfeld und Möglichkeiten sehr
unterschiedlich, aber wesentlicher
Einfluss dadurch
▪ Hoher Forschungsbedarf
Ausblick
▪ Neues Psychotherapeutengesetz:
Formale Anforderungen für den Beruf
des KJP angehoben, d.h. vorher hatten
auch SozialpädagogInnen,
FachtherapeutInnen, etc. die Möglichkeit
zur Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen-
ausbildung nun Psychotherapiestudium
mit Richtlinienvertiefung KJP (Y-Modell)
Welche Konsequenzen könnten durch diese
Veränderung entstehen?
Rechtliche Rahmenbedingungen (Berufsordnung der PTK
Bayern, 2014)
Psychotherapeutenkammer
▪ Allgemeine Pflichten (Autonomie der Patienten wahren, Achtung der
Menschenrechte, Absicherung gegen evtl. Haftungsansprüche, …)
▪ Sorgfaltspflicht (Diagnostik, Befunde Dritter, Orientierung an Leitlinien, …)
▪ Abstinenzgebot (professionelle Beziehungsgestaltung bei der die Vertrauensbeziehung
keinesfalls zur Befriedigung der Interessen des Therapeuten genutzt wird,
therapeutische Tätigkeit ausschließlich mit Honorar abgegolten, …)
▪ Aufklärungspflicht
▪ Allgemeine Schweigepflicht mit den Ausnahmen akute Selbst- und Fremdgefährdung
▪ Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht von 10 Jahren
▪ Fortbildungspflicht (250 Fortbildungspunkte in 5 Jahren)
▪ Datensicherheit (aktuelle Debatte um Telematik Infrastruktur)
!!!! bei minderjährigen Patient/-innen teils besonders beachten.
Wesentliche Besonderheiten durch Arbeiten mit
Minderjährigen
Einsichtsfähigkeit:
▪ Unabhängig vom Alter Aufklärung über
diagnostische und psychotherapeutische
Interventionen
▪ Einsichtsfähigkeit ab Vollendung des 14. Lj.
Herausforderungen mit „besonderem Charakter“ im KiJu-Bereich:
▪ Suizidalität und Suizid, „Schleichender“ Therapieabbruch, Schulabsentismus, eventuelle
Kindeswohlgefährdung, Instrumentalisierung durch Eltern bzw. Großeltern, Idealisierung, Häufige Anrufe, Mails und Textnachrichten.
Schweigepflicht:
▪ Schweigepflicht rechtlich nur dem
Kind/Jugendlichen gegenüber
▪ Bei Kindern bis zur Vollendung des 14. Lj.
gilt die Offenbarungspflicht gegenüber den
Eltern (aus fachlicher Sicht zu hinterfragen)
Häufige Anrufe, Mails und Textnachrichten
Arbeit mit Bezugspersonen
▪ Da Jugendliche in der Regel erst mit Vollendung des 14. Lbj selbst eine Psychotherapie beantragen dürfen, ist die Zusammenarbeit mit den sorgeberechtigten Eltern bei jüngeren Kindern zwingend.
▪ Auch ansonsten empfohlen, um
▪ Fremdanamnese einzuholen und die Lebenssituation besser zu verstehen
▪ Ansatzpunkte zu hilfreichen Veränderungen im Familiensystem zu identifizieren und diese Veränderungen zu begleiten
➢ Bezugspersonen meist im Verhältnis 1:4; ABER: Bezugspersonen teils auch selbst
belastet
➢ Unterstützung durch weitere Helfersysteme kann sinnvoll sein
Einbezug der Eltern
Drei-Ebenen-Modell des Einbezugs der Eltern in die Angstbehandlung des Kindes
(Lippert et al., 2019)
Relevante Helfersysteme
Welche relevanten Helfersysteme fallen Ihnen ein?
➢ Erziehungsberatungsstellen – ggf. auch Gruppenangebote
➢ Schulpsychologischer Dienst/ SchulsozialarbeiterIn, LehrerInnen, ErzieherInnen
➢ Jugendamt, Erziehungsbeistände, Sozialpädagogische Familienhilfen
➢ Haus- und Kinderärzte
➢ Fachärzte v.a. Kinder- und Jugendpsychiater
➢ (Tages)kliniken
➢ Wohngruppen, heilpädagogische Tagesstätten
➢ Ergo- und LogotherapeutInnen
➢ Aber auch Familienangehörige, Freunde oder SportgruppenleiterInnen
Überblick über eine typische Arbeitswoche
▪ Stand September
2018, d.h. reine
Selbstständigkeit
▪ Farben spiegeln
verschiedene
Tätigkeitsbereiche
wider
▪ „bunte“ Tätigkeit,
Patientenkontakt
vorwiegend
nachmittags
Persönliche Wahrnehmung: Arbeiten als Kinder- u.
Jugendlichenpsychotherapeutin
Herausforderungen , Angenehmes
Herausforderungen:
▪ Permanente Konfrontation mit
belastenden Situationen und schwierigen
Schicksalen
▪ Druck durch Selbstständigkeit und
enorme Nachfrage
▪ Vielzahl an formal-bürokratischen
Anforderungen im Blick behalten und
umsetzen
▪ Fehlen von kollegialem Austausch in der
Einzelpraxis
Angenehmes
▪ Abwechslungsreiches Arbeiten durch
verschiedene inhaltliche Tätigkeitsfelder,
aber v.a. auch angewandte Techniken
und Methoden
▪ Einblicke in viele verschiedene
Lebenssituationen u. –entwürfe
▪ Oft Gefühl Sinnvolles zu tun
▪ Dankbarkeit vieler Patienten
▪ Guter Verdienst
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